Demokratien unterscheiden sich von autoritären Staatsformen auch durch ein Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Nicht erst seit kurzem ist Gegenstand unzähliger Debatten, wie sich dieses Vertrauen – und damit unsere parlamentarische Demokratie – wieder festigen lässt. Meist werden diese Debatten jedoch sehr einseitig geführt. Fast immer geht es um das Vertrauen der Menschen in die, die sie vertreten und regieren.
Vertrauen ist aber keine Einbahnstraße. Gerade in Zeiten, in denen unsere Demokratie von Innen und Außen massiv angegriffen wird, braucht es eine aktive und kritische Zivilgesellschaft, die bereit und in der Lage ist, unsere Demokratie und damit unsere Freiheit zu verteidigen. Das kann sie aber nur, wenn sie auch das Vertrauen der Politik genießt.
CDU/CSU haben sich in der letzten Legislaturperiode jedoch von der demokratischen Zivilgesellschaft entfremdet und sie regelmäßig angegriffen. In der neuen Bundesregierung wird die Union die Innen-, Familien-, Bildungs-, und Kulturpolitik maßgeblich bestimmen. Damit droht eine neue Phase des politischen Misstrauens und der staatlichen Einschränkung der demokratische Zivilgesellschaft. Das wäre fatal, denn rechtsextreme Einstellungen nehmen in Deutschland zu und die AfD ist so stark wie nie. Die Demokratie in Deutschland ist durch diese Entwicklungen mittelfristig in ihrer Existenz gefährdet. Um sie zu verteidigen, brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft mehr denn je.
In der Kleinen Anfrage der CDU/CSU Fraktion „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ vom 24.02.2025 (Drucksache 20/15035) attackierte die CDU/CSU Nichtregierungsorganisationen als „Schattenstruktur“ und stellte deren Gemeinnützigkeitsstatus und Förderfähigkeit in Frage. Zahllose Organisationen bis hin zu Vereinen wie „Omas gegen Rechts“ wurden dabei unter Generalverdacht gestellt. Ausgangspunkt war, dass einige der Organisationen zu Protesten gegen die gemeinsame Abstimmung im Bundestag von Friedrich Merz mit der in Teilen rechtsextremen AfD aufgerufen hatten. Dabei sind Verlautbarungen jenseits der konkreten staatlich geförderten Projektumsetzung Ausdruck einer Grundrechtsausübung, die die vollziehende Gewalt zu gewährleisten und nicht zu beschneiden hat, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort klargestellte.
Die Kleine Anfrage wurde folglich als ein Einschüchterungsversuch gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgefasst, wie wir sie von sonst nur von autoritär agierenden Parteien kennen. In einem offenen Brief hatten sich deshalb mehr als 200 Organisationen und Einzelpersonen, darunter viele Wissenschaftler*innen, gegen die Einflussnahme auf Zivilgesellschaft und NGOs gewandt.
Zwar will die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD das erfolgreiche Bundesprogramm „Demokratie leben!“ fortsetzen, kündigt aber gleichzeitig „eine unabhängige Überprüfung dieses Programms in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung“ (Koa-Vertrag, S. 104) an, obwohl regelmäßige wissenschaftliche Evaluationen schon jetzt ein Bestandteil des Programms sind. Darüber hinaus soll die „Verfassungstreue geförderter Projekte“ weiterhin sichergestellt werden. Auch das ist eigentlich überflüssig zu betonen, da zu Recht keine Arbeit gefördert werden darf, die sich gegen unsere Verfassung richtet.
Es steht also zu befürchten, dass CSU/CSU diese Prüfung nutzen wollen, um erneut eine sogenannte „Extremismusklausel“ einzuführen. Schon 2011 hatte die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder eine solche Klausel eingeführt, die von geförderten Organisationen ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und eine Überprüfung der Verfassungstreue von Partnerorganisationen verlangte.
Eine Extremismusklausel ist unnötig, denn schon jetzt ist durch die Zuwendungsbescheide und die Förderrichtlinie von „Demokratie leben!“ und anderer Programme geregelt, dass die Mittel nur für Aktivitäten verwendet werden dürfen, die mit den Zielen des Grundgesetzes in Einklang stehen. Sie ist zudem verfassungsrechtlich problematisch, weil ein Bekenntniszwang als Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gewertet werden kann. Bereits 2012 hatte das Verwaltungsgericht Dresden die damals unter Bundesministerin Kristina Schröder eingeführte Extremismusklausel für zu unbestimmt und damit rechtswidrig erklärt. Auch der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) beabsichtigte 2024, eine „Antisemitismusklausel“ für die Kulturförderung einzuführen, die israelkritische Künstler*innen von der Förderung ausschließen sollte, musste sie aber nach vier Wochen aufgrund fehlender Rechtssicherheit wieder zurücknehmen.
Eine Extremismusklausel drückt ein generelles Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft aus und kann zur Denunziation von politisch missliebigen Organisationen missbraucht werden, obwohl sie fachlich gute Arbeit leisten.
Unsere Demokratie steht vor der größten Herausforderung ihrer 76-jährigen Geschichte. Rechtsextreme und rassistische Diskurse dominieren die öffentliche Debatte und in einigen Ländern und vielen Kommunen ist die AfD die stärkste Kraft und untergräbt dort schon aktiv die demokratischen Institutionen.
Insbesondere in einigen ländlichen Regionen sind die durch Bundesmittel geförderten Demokratieprojekte oft die zentrale, letzte Stütze des demokratisch-zivilgesellschaftlichen Widerstands gegen den Rechtsextremismus. Gerade jetzt brauchen wir daher eine Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft. CDU/CSU hingegen diffamieren seit Jahren Teile davon als „links“ bzw. „linksextrem“. Das muss aufhören.
In der vergangenen Legislaturperiode hat das grün geführte Bundesfamilienministerium die Mittel für die Demokratieförderung nicht nur erhöht, sondern auch gegen Angriffe der FDP erfolgreich verteidigt. Die neue Regierung sollte daran anknüpfen, indem sie die Demokratieförderung finanziell ausbaut und durch ein Demokratiefördergesetz verstetigt.
Sven Lehmann ist Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen.
In der scheidenden Bundesregierung war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.