Table.Standpunkt | Staatsreform
Erscheinungsdatum: 30. September 2025

Der Sozialstaat ist nicht nur ein Kostenfaktor

Derzeit auch Vorsitzende des Sozialbeirats: Constanze Janda (Klaus Landry)

Die aktuelle Debatte beschränke sich zu oft auf die vermeintlich zu hohen Ausgaben, schreibt Constanze Janda von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer – man müsse den Blick weiten.

Die Vielfalt der Leistungen, die von unterschiedlichen Trägern administriert werden und sich teilweise gegenseitig ausschließen, einander bedingen oder aufeinander angerechnet werden, hat viele Arbeitsschritte zur Folge. Sie bindet Zeit und Personal und verursacht hohe Verwaltungskosten. Die Sozialstaatsreform muss neben einer Vereinfachung des Rechts daher auch die Entflechtung von Leistungen in den Blick nehmen.

Besonders drängend ist dies bei den existenzsichernden Leistungen. Verschiebebahnhöfe, ständiges Nachfordern von Nachweisen und unterschiedliche Anforderungen unterschiedlicher Träger verzögern die Leistungsbewilligung und können auch das Vertrauen in Staat und Verwaltung untergraben, wenn Menschen befürchten, ihren Lebensunterhalt nicht decken zu können.

Einen Ausweg könnte die Zusammenfassung der existenzsichernden Leistungen in kommunaler Trägerschaft bieten. Warum muss der Lebensunterhalt für Erwerbsfähige, Nichterwerbsfähige und alte Menschen in unterschiedlichen Rechtskreisen gesichert werden? Warum müssen unterschiedliche Grenzen für Einkommen und Vermögen gelten, warum Unterschiede in der Berücksichtigung von Haushaltsangehörigen, Altersgrenzen und Bewilligungszeiträumen? 

Eine Reform könnte die Leistungen nach SGB II (Bürgergeld) und SGB XII (Sozialhilfe) – wie früher im Bundessozialhilfegesetz – zusammenführen. Dies bedeutet nicht, dass die „Hartz-Reformen“ aufgegeben würden. Denn die Differenzierung zwischen Erwerbsfähigen und Nichterwerbsfähigen ist sinnvoll, um passgenaue Angebote für die berufliche und soziale Teilhabe machen zu können. 

In die Existenzsicherung könnten auch Studierende einbezogen werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die unzureichenden BAföG-Regelsätze die Menschenwürde nicht verletzen. Das hindert den Gesetzgeber aber nicht daran, ein einheitliches Existenzsicherungssystem für all jene zu konzipieren, denen es an ausreichenden Mitteln für den Lebensunterhalt fehlt. 

Das vereinheitlichte System darf und soll differenzieren, und zwar bei den Mitwirkungspflichten: Erwerbsfähigen darf die Mitwirkung bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit auferlegt werden, Studierenden das ernsthafte Betreiben ihres Studiums, Nichterwerbsfähigen gegebenenfalls die Teilnahme an Maßnahmen zur Rehabilitation. Auch Asylsuchende könnten in das System einbezogen werden, wie es vor dem Erlass des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 der Fall war.

Ist der kommunale Träger für alle Fragen der Existenzsicherung zuständig, könnte sich die Bundesagentur für Arbeit auf die Vermittlung in Ausbildung, Weiterbildung und Arbeit konzentrieren. Zugleich könnten gesonderte Leistungen wie etwa der Unterhaltsvorschuss wegfallen, denn bereits jetzt kennen das SGB II und das SGB XII den Regress beim Unterhaltsverpflichteten – also die Rückforderung gezahlter Beträge.

Die Integration von Kinderzuschlag und Wohngeld in ein so vereinfachtes System existenzsichernder Leistungen erweist sich als Herausforderung, denn die beiden Angebote verfolgen andere Ziele: als Leistungen der sozialen Förderung bieten sie lediglich einen Zuschuss und sind gerade nicht auf die vollständige Deckung aller Lebenshaltungskosten gerichtet. Da sich aber in der Grundsicherung viele Träger im Hinblick auf die übernommenen Kosten der Unterkunft an der Formel „Wohngeld + 10 Prozent“ orientieren, wäre eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen durchaus denkbar. Ergänzt werden könnte das durch Vorgaben zum Abschmelzen der Leistung bei Personen, die ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.

Die Zusammenfassung der Leistungen würde auch deren Beantragung erleichtern. Ein bundeseinheitliches Portal böte Orientierung im Hinblick auf die Leistungen, auf die möglicherweise ein Anspruch besteht. Die digitale Erfassung von Angaben zur Person, zur Lebenslage, zu Einkünften und Vermögen kann die Antragstellung beschleunigen, solange das geplante Once-Only-Prinzip zum Datenaustausch noch nicht umgesetzt ist. Dass die Sozialverwaltung aber immer auch persönlich erreichbar sein muss, versteht sich von selbst: Teilhabe lässt sich nicht in einem digitalisierten Verfahren gewährleisten, sondern es bedarf der persönlichen Begleitung, um den Menschen Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Maß der Sozialstaatsreform sollte jedenfalls nicht die potenzielle Kostenersparnis sein, denn sozialrechtliche Ansprüche sind kein Almosen, sondern – gerade mit Blick auf die Existenzsicherung – ein Grundrecht. 

Dieser Text ist der fünfte und letzte Teil einer Reihe zur Zukunft des Sozialstaats. Den ersten Teil finden Sie hier, den zweiten hier, den dritten hier und den vierten hier.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 30. September 2025

Teilen
Kopiert!