Table.Standpunkt | Staatsreform
Erscheinungsdatum: 14. September 2025

Es braucht ein lebendiges Sozialgesetzbuch

Er war bis 2023 Schatzmeister der SPD Hamburg, sie bis Anfang 2025 Leiterin des Kölner Sozialamts

Das SGB hat 13 Teile. Eine Vereinheitlichung würde zu echtem Bürokratieabbau führen, schreiben Christian Bernzen und Katja Robinson von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen.

Die Sicherung des sozialen Friedens und die Stärkung des Für- und Miteinanders sind wesentliche Ziele des Sozialstaats. Menschen zu befähigen, selbstständige Mitglieder unserer Gemeinschaft zu sein, ist die angestrebte Wirkung der sozialen Leistungen der Vorsorge, Entschädigung und Fürsorge. Die Ausrichtung an den individuellen Bedarfen stärkt ihre Wirksamkeit. Das arbeitsteilige Vorgehen aus 10 sozialen Leistungssystemen – darunter die fünf Zweige der Sozialversicherung sowie das Bürger–, Eltern- und Kindergeld – bringt viele Vorteile.

Gleichwohl zeigen die aktuellen Herausforderungen, dass wir zu viel „versäulen“ und regionalisieren, weil

  • personenzentrierte Leistungen für Menschen aus verschiedenen SGB-Büchern kaum mehr verstanden werden

  • Zuständigkeits- und Kompetenzkonflikte nicht nur wirkungslosen Mehraufwand und Kosten produzieren, sondern Staats- und Demokratiefeindlichkeit schüren

  • die mangelnde Verzahnung der Systeme Missbrauch fördert

  • einheitliche Bundesgesetze 500 bis 10.000 verschiedene kommunale Umsetzungs- und Digitalisierungsstrategien erfordern,

Schon in den Siebzigerjahren wurden deshalb die verschiedenen sozialen Systeme in einem einheitlichen Sozialgesetzbuch zusammengefasst. Damit sollte die sich aus vielen verschiedenen Systemen ergebende Unsicherheit überwunden, das Vertrauen in den sozialen Rechtsstaat gestärkt und die Umsetzung der Vorgaben durch Verwaltung und Gerichte erleichtert werden.

Übergreifend wurde deshalb geregelt, dass „das Recht des Sozialgesetzbuchs zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten“ soll. (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Das war und ist ein guter Plan. Keinesfalls geplant war, mit dieser Vielzahl an Leistungsträgern ein vom Menschen abgewandtes System zu produzieren.

Dass ein solches dennoch entstanden ist, liegt am Festhalten an alten Strukturen und Denkweisen sowie an immer schneller etablierten neuen Aufgaben und Verfahrensschritten bei zeitgleicher Streichung der erforderlichen Ressourcen. Dabei bietet das Sozialgesetzbuch selbst heute schon eine Lösung. In § 16 Abs. 2 SGB I steht: „Anträge auf Sozialleistungen sind beim zuständigen Leistungsträger zu stellen. Sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern (…) entgegengenommen.“

Das Ziel wurde also zumindest schon erkannt: eine übergreifende Beratung und Unterstützung des Menschen vor Ort. Und zwar bestenfalls in Kombination mit einem überregionalen, digitalen One-Stop-Shop, der mehr bietet als nur Schnittstellen für einen Markt an Tools zur Übersetzung von Verwaltungsdeutsch und der Menschen und Fachkräften nützt – in und außerhalb der Verwaltung.

Denn welche öffentliche Stelle genau wann, wie und wo die Leistungen finanziert, interessiert die wenigsten Menschen. Um diese Ansätze übergreifend und langfristig wirken zu lassen, braucht es einer gedanklichen Überwindung der Kultur der Versäulung, die sich in 13 unterschiedlichen Büchern zeigt. Es braucht ein Sozialgesetzbuch ohne sich voneinander abgrenzende Bücher: Gleiche Inhalte, etwa zu Einkommen und Vermögen, würden darin gemeinsam „vor die Klammer gezogen“ und in gemeinsamen Teilen geregelt – wie heute schon im SGB X, welches das Sozialverfahrens- und –datenschutzrecht vorgibt.

Spezifische Besonderheiten könnten dann in einzelnen Kapiteln ohne Wiederholungsschleifen ausdifferenziert werden. Das wäre ein zielführendes und messbares Projekt zur ressortübergreifenden Stärkung von Gemeinsamkeit. Und ein wichtiger Schritt zur Stärkung des juristischen und praktischen Zusammenwirkens der vielen Behörden mit dem Ziel, ein zukunftsfähiges Sozialsystem zu schaffen, das den Menschen dient.

Dieser Text ist der dritte Teil einer Reihe zur Zukunft des Sozialstaats. Den ersten Teil finden Sie hier, den zweiten hier.

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Letzte Aktualisierung: 14. September 2025

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