Interview
Erscheinungsdatum: 23. Januar 2024

Verfassungsrechtler Florian Meinel: Wir dürfen nicht hoffen, dass Demonstranten die Arbeit erledigen

Was tun mit einem Politiker wie dem Rechtsextremisten Björn Höcke? Der Verfassungsrechtler Florian Meinel erläutert, warum der Entzug von aktivem und passivem Wahlrecht nicht einfach ist, aber ein Weg sein könnte. Die letzte Entscheidung liegt beim Bundesverfassungsgericht.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass die NPD keine staatlichen Gelder mehr bekommt. Was bedeutet das für die AfD?

Dass sie sich vermutlich jetzt noch entschiedener bemühen wird, sich ein Netzwerk vermögender Spender aufzubauen und sich so und auf andere Weise gegen das politische Risiko des Ausschlusses von der Parteienfinanzierung abzuschirmen. Das System der staatlichen Parteienfinanzierung zu sprengen, ist eines der wichtigsten strategischen Ziele der radikalen Rechten. Auch in den USA beispielsweise ist die Zerstörung der Regeln über Wahlkampffinanzierung ein wesentlicher Aspekt der Erosion des gesamten politischen Systems in den letzten vierzig Jahren.

Gibt es Auswirkungen des Urteils auf die drei AfD-Landesverbände, die der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft hat?

Erstmal nicht. Ein Parteiverbot lässt sich rechtlich auf einen Teil der Partei, insbesondere auf einen oder mehrere Landesverbände beschränken, der Ausschluss von der Parteienfinanzierung leider nicht. Als man die Regelungen 2017 geschaffen hat, hat man das versäumt. Es wäre wegen der finanziellen Verflechtungen von Landesverbänden und Bundespartei auch schwer zu regeln.

Ist die Entziehung der Parteienfinanzierung ein wirksames Mittel im Kampf gegen Bedrohungen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung?

Der Ausschluss aus der staatlichen Teilfinanzierung entstand auf einen Vorschlag des Gerichts selbst aus der NPD-Entscheidung von 2017. Dahinter stand die Vorstellung, man bräuchte doch ein gegenüber dem Parteiverbot milderes Mittel im Kampf gegen eine verfassungsfeindliche Partei. Insofern atmet es den Geist einer Zeit, in der man noch dachte, das Schlimmste am Rechtsextremismus sei das Unwohlsein, dass er staatlich finanziert wird. Es ist ein verspätetes Instrument der wehrhaften Demokratie. Das zeigt sich jetzt, wo die Teilhabe von Verfassungsfeinden an Regierungsmacht eine greifbare Möglichkeit ist.

Über ein weiteres milderes Mittel diskutiert die Öffentlichkeit gerade intensiv: Björn Höcke, dem thüringischen Landeschef der AfD, das passive Wahlrecht zu entziehen. Geht das rechtlich?

Zunächst mal: Ich bin mir nicht sicher, ob es ein milderes Mittel ist gegenüber dem Parteienverbot, es ist ein anderes Mittel. Das Parteiverbot zielt auf die Organisation, es nimmt keiner Person die Fähigkeit, sich politisch zu betätigen. Das Verfahren der Grundrechtseinziehung nach Artikel 18 des Grundgesetzes zielt auf die Person und ist in diesem Punkt härter als das Parteiverbot.

Aber in Artikel 18 des Grundgesetzes steht zum Wahlrecht gar nichts drin.

Ja, die Norm regelt, dass Grundrechte verwirkt werden können, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht werden. Über das Ausmaß entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Im Gesetz, das die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts regelt, dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz, steht, dass sich der Entzug der Grundrechte auch auf das aktive und passive Wahlrecht beziehen kann. Das ist übrigens auch leichter durchzusetzen: Die Person verschwindet von den Stimmzetteln und kann kein öffentliches Amt mehr bekleiden, also etwa nicht Minister werden. Beim Entzug der Versammlungsfreiheit ist das schwieriger: Die Polizei müsste das verhindern.

Ist das eine Besonderheit der deutschen Verfassung?

Nein, die Idee, dass die Macht nicht in falsche Hände geraten darf, ist sehr verbreitet. In den Vereinigten Staaten gibt es die Möglichkeit des Impeachments, in anderen präsidentiellen Systemen auch. Der Artikel 18 des Grundgesetzes ist der Fall eines Impeachment ohne Amt. Er orientiert sich am Fall Goebbels, der Grundrechte missbraucht hat, ohne bisher ein staatliches Amt bekleidet zu haben.

Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben die Petition unterzeichnet, dass Höcke das passive Wahlrecht verlieren soll. Hat sie rechtliche Relevanz?

Nein, rechtlich spielt die Petition keine entscheidende Rolle, sie ist nicht bindend. Das Verfahren zur Entziehung der Grundrechte ist ähnlich wie das Parteiverbotsverfahren. Mit einer Besonderheit: Der Antrag kann nicht nur von Bundesregierung oder Bundestag gestellt werden, sondern auch von jeder Landesregierung. Es gibt also 16 Akteure mehr, die das Verfahren aktivieren könnten.

Wäre die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen gut beraten, das Verfahren in Gang zu setzen?

Ich möchte nicht in der Haut der Landesregierung stecken. Strategisch ist das eine schwierige Frage, es geht um den Spitzenkandidaten der größten Oppositionspartei. Andererseits: Wenn die Verfassungsfeindlichkeit der Betätigung einer Person derart offenkundig ist, ist das Verfahren der Grundrechtsverwirkung das Mittel der Wahl. Die typischen Argumente, die gegen das Parteiverbot sprechen – dass es ja auch noch einen „gemäßigten Flügel“ gibt, zum Beispiel – verfangen hier nicht. Wir sind eben eine Demokratie, die aus historischen Gründen diese Instrumente hat. Und es könnte auch für andere Demokratien und ihre verfassungstreuen Parteien ein großes Zeichen der Ermutigung sein, dass die Bundesrepublik aufhört, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, sondern ein Mittel in der Hand hat und gebraucht.

Unsere Gesetze kennen noch ein weiteres Mittel: das Vereinsverbot, das gegen die Junge Alternative eingesetzt werden könnte, die auch als rechtsextreme Bestrebung eingestuft ist. Was halten Sie davon?

Verfahrensrechtlich wäre das einfacher, denn darüber entscheidet nicht das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesinnenministerium könnte das Verbot aussprechen und sofort vollziehen. Aber in der Sache ist es dann doch nicht so einfach, jedenfalls kein Selbstläufer: Die Junge Alternative ist ein Verein und zugleich eine Jugendorganisation einer Partei. Das heißt: Ein Verbot müsste sich zumindest mittelbar auch an den Maßstäben von Artikel 21 des Grundgesetzes und der Parteienfreiheit messen lassen. Das heißt, neben der verfassungsfeindlichen Programmatik müsste eine konkrete Gefahr bestehen, dass diese Ziele auch umgesetzt werden können.

Hunderttausende demonstrieren nun auf den Städten für die Demokratie. Sind die repressiven Mittel überhaupt notwendig?

Ja, wir dürfen diese Fragen nicht privatisieren und hoffen, dass die Demonstranten die Arbeit erledigen. Die Erfahrungen aller anderen Demokratien in einer ähnlichen Situation ist nicht, dass sich das Problem in Wohlgefallen auflöst, sobald Mittelschichten auf breiter Front empört sind über die radikale Rechte. Es ist wichtig, auch mit den Mitteln der Verfassung in die Konfrontation zu gehen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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