Interview
Erscheinungsdatum: 05. Februar 2025

OB von Pirmasens: „Das Ganze hat demokratiegefährdende Tendenzen“

Markus Zwick (CDU) ist seit 2019 Oberbürgermeister von Pirmasens, das zu den meistverschuldeten Städten des Landes gehört. Zusammen mit dem Landkreis Kaiserslautern klagt er in Karlsruhe für mehr Geld für Kommunen.

Der Bund will die Hälfte der kommunalen Altschulden übernehmen. Weil Ihre Partei nicht zustimmt, kommt die dafür nötige Grundgesetz-Änderung erst mal nicht. Wie finden Sie das?

Schlecht. Aber es war klar, dass es so kurz vor der Wahl nicht mehr zu einer Lösung kommt. Das Vorhaben war ja auch auf unser Drängen hin in den Koalitionsvertrag gekommen. Ich war in den letzten Jahren oft zu Gesprächen in Berlin, auch im Kanzleramt. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass man sich dem Thema wirklich widmen will. Außerdem hat man Zeit verloren.

Inwiefern?

Als die Zinsen niedrig waren, hätte man eine Entschuldung gut angehen können. Natürlich muss ich aber auch innerhalb meiner Parteienfamilie dafür kämpfen, dass eine Lösung unterstützt wird. Manche Länder wie Bayern haben das Problem ja nicht. Die fragen sich dann, wieso man Ländern wie Rheinland-Pfalz oder NRW helfen sollte, die „ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben“.

Erwarten Sie eine Lösung, wenn die Union die nächste Regierung anführt?

Wir als Bündnis werden es einfordern. Wir sind kontinuierlich im Gespräch mit den Fraktionen und haben Aktionen vor den Parteizentralen veranstaltet, auch bei der CDU. Aber auch wenn die Altschulden weg wären, wäre das Problem noch nicht gelöst.

Warum?

Die Schulden sind nur das Resultat einer Politik, die den Kommunen immer mehr Leistungen aufbürdet, aber nicht sicherstellt, dass sie auch ausfinanziert sind. Das gilt insbesondere für den Sozialbereich. Es kommen also permanent neue Schulden dazu. Darum muss sich die nächste Regierung kümmern – egal, unter wem.

Haben Sie ein Beispiel?

Der größte Kostenblock ist die Eingliederungshilfe, also Leistungen für Menschen mit Behinderung. Die Summe der ungedeckten Sozialausgaben in Pirmasens beträgt seit 20 Jahren konstant rund 30 Millionen Euro. So viel kann ich über meine Haupteinnahmequellen – Gewerbe- und Grundsteuer – gar nicht ausgleichen. Derzeit sind wir wegen des Bürgergelds und neuen Standards in der Eingliederungs- und Jugendhilfe bei 34 Millionen.

Was genau verursacht die hohen Kosten?

Im Schulbereich haben wir zum Beispiel einen enormen Aufwuchs an Integrationshelfern, die Kindern mit Behinderungen helfen. Weil wir sparen müssen, hat aber nicht mehr jedes einen eigenen Helfer. Wir haben einen Pool an Personen eingerichtet, die eine bestimmte Zahl an Kindern betreuen.(Nachfrage: Wie viele Kinder betreut ein Helfer?)

Sind Sie für eine Abschaffung der Schuldenbremse?

Nein. Man muss mit den verfügbaren Mitteln so sorgsam umgehen, dass man nachfolgenden Generationen nicht noch größere Probleme bereitet. Ich glaube, wir haben genügend Potenzial, um Mittel einzusparen.

Wo?

Wir beschäftigen eine Armee von Fachkräften, die nur für die Beantragung von Förderprogrammen da sind. Der bürokratische Aufwand ist enorm, weil die Richtlinien hochkomplex sind. Wenn der Bund das Geld einfach direkt den Kommunen geben würde, könnten wir das sinnvoll einsetzen – zumal wir auch nicht mehr genug Fachkräfte finden.

Was müsste sich noch ändern?

Die Mittelverteilung im Föderalismus müsste zunächst einmal verfassungskonform sein. Dass es in Rheinland-Pfalz nicht so ist, wurde uns schon in zwei Etappen – vom Verwaltungsgericht und vom Verfassungsgerichtshof – bestätigt. Die dritte Etappe ist das Bundesverfassungsgericht, bei dem wir noch auf die Entscheidung warten.

Warum sollte es in Ihrem Sinne entscheiden?

Im Grundgesetz steht eine kommunale Selbstverwaltungsgarantie und die Länder sind verpflichtet, die Kommunen finanziell auskömmlich auszustatten. Das ist nicht der Fall – das ist also verfassungswidrig. Deshalb müsste man die Verteilung der Mittel neu regeln, sodass die Kommunen höhere Steueranteile erhalten.

Rheinland-Pfalz hat 2024 86 Prozent Ihrer Altschulden übernommen, knapp 300 Millionen Euro. Hat das nicht geholfen?

Doch, aber gleichzeitig laufen neue Schulden auf, weil wir weiterhin unterfinanziert sind. Ein einmaliger Schuldenschnitt ergibt da keinen Sinn, sondern es braucht eine gerechte Verteilung. In Pirmasens sind wir seit 30 Jahren nicht in der Lage, unsere Aufgaben zu erfüllen, ohne dafür Kredite aufzunehmen.

Warum hat sich das nicht geändert?

Weil Bund und Länder die Verantwortung immer auf die jeweils andere Ebene schieben. In der Verfassung von Rheinland-Pfalz steht zum Beispiel sinngemäß: Das Land kann den Kommunen nur so viel Geld geben, wie es sich leisten kann. Wenn es dann ein neues Gesetz für Kitas oder Ganztagsschulen gibt, heißt es: Der Bund hat uns nicht genug Geld für die Kommunen gegeben.

Und was sagt der Bund dazu?

Der sagt: Die Ausstattung der Kommunen ist nicht unsere Sache – wir beschließen Gesetze, für die es in den Ländern Ausführungsgesetze gibt. Darüber seien die Länder verpflichtet, die Finanzierung sicherzustellen. Aber wenn das Land bei einem neuen Bundesgesetz kein neues Landesgesetz erlässt, wie es hier schon geschehen ist, heißt es aus Mainz nur: Wendet euch an Berlin.

Welche konkreten Auswirkungen hat das auf Pirmasens?

Wir haben gut 40.000 Einwohner und pro Kopf rund 12.000 Euro Schulden. Die sogenannten freiwilligen Aufgaben wie Sportförderung und Kultur machen nur noch vier Prozent unseres Haushalts aus. Alles andere machen wir im Auftrag von Land und Bund. Wir machen nur noch das Allernotwendigste und leben auf Verschleiß: Der Zustand von Straßen und Gebäude verschlechtert sich – das betrifft Schulen und Kindergärten. All das hat Folgen.

Was meinen Sie?

Die Lebensverhältnisse in den überschuldeten Städten und Regionen und den schuldenfreien driften immer weiter auseinander. Menschen ziehen dort hin, wo die Infrastruktur in einem guten Zustand gehalten werden kann und wo man Geld hat für Angebote, die die Stadt lebenswert machen. Das Ganze hat demokratiegefährdende Tendenzen.

Inwiefern?

Wenn Leute, die sich im Gemeinderat für ihre Kommune einsetzen wollen, aus finanziellen Gründen nichts mehr bewegen können, führt das zu einem Verdruss in der Bevölkerung. Deshalb ist es in unser aller Sinne, wenn wir den Kommunen wieder mehr Handlungsfähigkeit verschaffen. Sonst führt das zu Zuständen wie in einer anderen verschuldeten Stadt: Da war vor einiger Zeit das einzige, was sie sich als über Pflichtaufgaben hinausgehende Investition geleistet hat – ein Taubenhaus.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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