Was halten Sie von der Eignung von Karlheinz Weißmann als Lehrer und rechtsnationaler Publizist, um die Verwendung des Slogans „Alles für Deutschland“ einzuordnen?
Kein ernstzunehmender Geschichtswissenschaftler würde jemals sagen, dass Karlheinz Weißmann objektiv über Sachverhalte Urteile treffen könnte. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet er eingeladen wird, obwohl so viele Forscher in Deutschland zu dem Thema arbeiten. Man hätte auch jemanden laden können, der als objektiver Historiker anerkannt ist und nicht im Sumpf des rechten Nationalismus schwimmt. Es sagt viel aus, dass diejenigen, die unter demselben Verdacht wie Björn Höcke stehen, ihn freisprechen sollen.
Sie reden davon, dass Karlheinz Weißmann zusammen mit Götz Kubitschek das rechtsextreme, kürzlich aufgelöste Institut für Staatspolitik (IfS) gegründet hat.
Zuallererst darf ein Experte kein eigenes Interesse und keine ideologische Verzerrung aufweisen. Karlheinz Weißmann disqualifizieren schon Eigeninteresse und ideologische Verzerrung. Das IfS von Kubitschek ist Wortführer der Neuen Rechten. Man bringt jemanden als Kronzeugen, der aus dem gleichen Sumpf stammt. Das ist kein ernstzunehmender historischer Gutachter.
Gehen Sie davon aus, dass dem Geschichtslehrer Höcke der Slogan „Alles für Deutschland“ als der SA zugehörig nicht bekannt ist?
Es ist unwahrscheinlich, dass Björn Höcke als Geschichtslehrer und jemand, der sich in der Geschichte sehr gut auskennt, nicht gewusst hat, dass „Alles für Deutschland“ die Parole der SA ist. Diese Art von vermeintlicher Naivität ist das typische Spiel. Einerseits spricht er die Rechtsextremen an in der Sprache, die sie kennen. Andererseits hat er vor den Medien und der breiten Öffentlichkeit eine Schutzbehauptung: Er hätte es nicht so gemeint oder hätte es nicht gewusst. Insofern ist es eine bekannte Taktik, Teil seines Geschäftsmodells.
Was halten Sie von der Darstellung von Karlheinz Weißmann, wonach die SA gar keinen wirklichen Slogan hatte – höchstens „Unser Führer, unser Glaube“ – und zwar als Konkurrenz zur SS, um mindestens ebenso große Loyalität gegenüber Hitler zu bekunden?
Allein die vor Gericht erwähnten Gravuren in SA-Dolchen sind klare Beweise dafür, dass „Alles für Deutschland“ SA-Parole war.
Verteidiger Philip Müller argumentierte außerdem, dass Bedeutung und Anziehungskraft der SA gar nicht so groß gewesen sei, eingeschworene Neonazis fasziniere eher die SS beziehungsweise Waffen-SS.
Das ist eine absurde Behauptung. Die SA als die ideologische Truppe des Hitler-Regimes, die zur Machtergreifung eine ganz große Rolle gespielt hat, ist eine klare Identifikationsfigur von Neonazis. Die Aussage dieses Verteidigers kann man nicht ernst nehmen.
Nach Darstellung von Karlheinz Weißmann haben viele Länder ähnliche Slogans nicht unter Strafe gestellt. Er nennt „America First“ in den USA, „La seule France“ , „Italia fara da sei“ oder, „Österreich über alles, wann es nur will“. Was halten Sie von diesen Vergleichen?
Jede nationalistische Partei wird diese Art von Slogan formieren; nichtsdestotrotz ist es weniger wahrscheinlich, wenn Höcke auf französische und andere Kollegen referiert. Sondern dann wiederum muss man es im Kontext sehen. Wir wissen, dass Höcke immer wieder solche Andeutungen macht. Er kodiert es absichtlich. Das sind typische Nebelkerzen, die gestreut werden.
Weißmann argumentierte vor Gericht auch, dass das NS-Regime sich von überall her seine Symbole zusammengeklaut habe – die Farbe von den Sozialisten, eine Flagge bei der Landbauernschaft und anderes mehr. So hätte es auch den Slogan „Alles für Deutschland“ längst vorher gegeben, König Ludwig aus Bayern hätte ihn erstmals verwendet – und nach ihm viele andere. Was halten Sie von dieser Argumentation?
Eine weitere Nebelkerze ist die Argumentation mit dem Zusammenklau. Natürlich hat auch das Hakenkreuz eine Vorgeschichte in der indischen Symbolik, aber die ideologische Aufladung der Symbole, der Parolen, der Sprache ist in der NS-Zeit zu verorten. Wenn man heute Hakenkreuz-Schmierereien macht, kann ich auch nicht behaupten: Ich verbreite ein indisches Symbol. Ich verbreite ein Symbol, das zwar eine Vorgeschichte hat, aber auf die Nazi-Zeit referiert. Man versucht, alle möglichen Nebelkerzen zu streuen, um irgendwo einen Zweifel zu schüren. Man argumentiert in jede denkbare Richtung. Es wird überall versucht, wo es nur Möglichkeiten gibt.
War der Slogan „Alles für Deutschland“ einer breiteren Menge an Menschen zu NS-Zeiten bekannt?
Es gibt viele Quellen, die das bestätigen. Es gab die Sprüche auf Dolchen, sie wurden groß aufgehängt, sie wurden in Schulklassen gerufen, bei Treffen der NSDAP. Das kann man nicht ernsthaft behaupten, dass es den Leuten nicht bekannt war.