Frau Göring-Eckardt, warum sind Sie dagegen, dass die AfD einen Vize-Bundestagspräsidenten stellt?
Bei jeder einzelnen Sitzung hat die AfD versucht, die Sitzungsordnung zu brechen. Sie geht an und über die Grenzen dessen hinaus, was sich im Plenarsaal gehört.
Was haben Sie konkret beobachtet?
Die AfD beleidigt Frauen, Menschen Migrationshintergrund, queere Menschen. Die AfD findet immer irgendeinen Weg, unter die Gürtellinie zu gehen. In ihren Pöbeleien geht es darum, was Frauen anhaben, um ihre Stimme, sie werfen Frauen vor, dass ihnen die geäußerten Gedanken nicht selbst gekommen wären, sondern sie nur Männern nach redeten. Die Transfrau Tessa Ganserer haben sie bewusst als Mann angesprochen, um ihr wehzutun.
Dass ein AfD-Vizepräsident seine eigene Fraktion für solche Beleidigungen rügt, halten Sie für fraglich.
Man muss merken wollen, dass ein Begriff unparlamentarisch ist, dass eine Bemerkung in Anlehnung zum Nationalsozialismus steht. Man muss merken wollen, dass eine Trans-Person beleidigt wird. Man muss auch wollen, dass die Regenbogenflagge oben auf dem Turm gehisst wird zum CSD. Es gab bei der AfD in Reden immer wieder Bemerkungen, die die NS-Zeit verharmlosen.
Warum kreuzt sich das mit der Tätigkeit im Präsidium ganz besonders?
Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass sie das System sprengen will. Das Präsidium achtet auf Würde und Anstand im Bundestag. Man kann der AfD nicht die Verantwortung dafür geben, dass im Bundestag niemand unter die Gürtellinie geht. Die Aufgabe des Präsidiums während der Sitzungen ist, dass Abgeordnete, die das Wort haben, reden können. Das Präsidium achtet darauf, dass wir ohne Diffamierungen und Beleidigungen in unseren Debatten auskommen. Ein AfD-Vizepräsident würde nicht dafür sorgen, dass das geschieht.
Es spricht also vor allem das Verhalten während Sitzungen gegen ein AfD-Mitglied.
Es geht um mehr als die parlamentarische Debatte. Das Präsidium kümmert sich um die Erinnerungskultur und die Auswahl von Rednerinnen zu Gedenkstunden. Wir besuchen NS-Gedenkveranstaltungen, machen Auslandsreisen. Das alle mit einer Person aus einer mindestens teilweise verfassungswidrigen, faschistischen Partei, zu verbinden, würde dem Ansehen der ganzen Bundesrepublik schaden. Die weitere Normalisierung der AfD dadurch, dass ein AfD-Vizepräsident gewählt wird, tut dem Parlamentarismus und der Demokratie in Deutschland nicht gut. Es ist schlimm genug, das Frau Klöckner die AfD normalisieren will, indem sie mit der Fraktion spricht. Mich verstört das.
Statt zuletzt 77 umfasst die AfD-Fraktion des 21. Bundestags 152 AfD-Abgeordnete. Was bedeutet das für die Atmosphäre im Plenum?
Es wird sehr laut werden im Plenum, davon muss man ausgehen. Das gehört immer zur Machtdemonstration der Männer bei der AfD, dass sie laut sind, pöbeln, auf den Tisch klopfen, laut und hämisch lachen. Das sind alles sehr männliche Machtdemonstrationen.
Wie ging es Ihnen damit als Bundestagsvizepräsidentin, die ungleich mehr Zeit im Plenum sitzt als die meisten anderen Abgeordneten?
Das alles immer wieder anzuhören, ist schrecklich. Diese ganzen Beleidigungen sollen einen im Zweifel persönlich treffen. Aber ich dachte immer wieder: Ich sitze genau hier, weil ihr es nicht wollt. Ihr wollt, dass ich die Klappe halte – ich werde aber die Klappe nicht halten. Ihr wollt meine Autorität, mein Standing beschädigen – kriegt ihr aber nicht. Deswegen hat es auch was von einem Trotzdem, dass ich Vizepräsidentin bleiben will.