Interview
Erscheinungsdatum: 24. Juli 2024

Franziska Schubert: „Den Grünen fehlte lange der Blick für den Osten“

Franziska Schubert regierte als Fraktionsvorsitzende der Grünen fünf Jahren lang in Sachsens Kenia-Bündnis mit. Gut einen Monat vor der Landtagswahl erzählt sie, warum das Bündnis trotz viel Streit harmonischer als die Ampel war und welche Fehler ihre eigene Partei auf Bundesebene gemacht hat.

Michael Kretschmer verhandelt dem Vernehmen nach mit dem BSW über eine Koalition mit der CDU. Haben Sie noch Hoffnung auf eine weitere Regierungsbeteiligung?

Ich glaube, dass die Regierungsmehrheit aus der Mitte heraus gebildet werden sollte. Mit BSW koalieren zu wollen trotz Unvereinbarkeitsbeschlusses mit den Linken – das passt nicht zusammen.

Haben Sie als Grüne schon damit abgeschlossen, Opposition zu werden?

Wir kämpfen natürlich um die Regierungsbeteiligung. Wir haben vieles auf den Weg gebracht, was wir weiterverfolgen möchten. Wir sind in der Lage, Kompromisse zu finden. Wir könnten einen guten Koalitionsvertrag machen – auch wenn es anstrengend war und sicher nicht leichter wird.

Man hörte viel Unmut bei den Grünen über die Koalitionspartner. Haben Ihre Leute wirklich noch Lust auf diese Koalition?

Wenn die Themen stimmen, wenn wir genug Ergebnisse raushandeln, kriegt man die Basis hinter sich. Michael Kretschmer treibt gerade schlicht den Preis hoch.

Es wirkte schon die vergangenen Jahre über ähnlich unharmonisch wie die Ampel.

Unsere Koalition war harmonischer als die Ampel. Bestimmte rote Linien haben wir nie überschritten.

Welche roten Linien hat die Ampel denn überschritten?

Zum Beispiel, dem Koalitionspartner wissentlich zu schaden, indem man ein unfertiges Gesetz durchsticht. Wir hatten diese existenziellen Krisen mit Corona und Ukraine-Krieg. Die haben wir zusammen gemeistert und uns darüber nicht zerlegt – auch wenn es heftig war.

Haben Sie in den fünf Jahren Kenia mal gedacht, das Bündnis würde zerbrechen?

Ja, als es um die sächsische Bauordnung, erneuerbare Energien und Abstandsregelungen ging. Das waren sehr krasse Verhandlungstage. Das war ein Moment, wo ich dachte, jetzt könnte es kippen. Es gab auch andere Momente, wo uns die CDU ziemlich in die Pfanne gehauen und auflaufen lassen hat.

Warum sind Sie geblieben?

Es gab immer den Anspruch, Sachsen irgendwie zusammenzuhalten. Das unterscheidet uns vielleicht von der Ampel. Es gibt in der CDU Leute, über die ich kein schlechtes Wort verlieren würde – oder sie über mich. Ich bin nicht sicher, ob das in der Ampel viele voneinander sagen würden.

Aber Michael Kretschmer würde Sie in die Pfanne hauen?

Mich persönlich nicht, denke ich. Die Grünen an sich schon. Aber Michael Kretschmer hat menschlich Qualitäten. Man kommt mit ihm klar. Innerhalb der Koalition ist es schwierig: Seit die Grünen in der Ampel sind, hat er uns für vogelfrei erklärt und das belastet die Zusammenarbeit sehr, der Ministerpräsident ist da nicht immer fair.

Er hat die Grünen oft als ideologisch geframt.

Das ist nicht unser Verständnis. Auch als König kannst du nicht auf deiner Maximalposition verharren. Die CDU war es, die sich ideologisch verhalten hat, beim Agrarstrukturgesetz zum Beispiel. Mir fällt kein Beispiel ein, wo wir Grünen in Sachsen ideologisch gewesen wären. Konkret wird da auch Kretschmer nicht. Er argumentiert dann immer mit den Grünen im Bund. Damit bietet er der AfD Angriffsflächen.

Verstehen Sie, dass er die Grünen im Bund als ideologisch empfindet?

Ideologisch ist ein schwieriges Wort. Sie haben bei manchen Sachen ein bisschen überzogen. Das Heizungsgesetz haben die Leute als sehr übergriffig empfunden. In so einer Krisenzeit sollten wir die Angst vor Klimaschutzmaßnahmen reduzieren, nicht neue produzieren. Auch mit der Kindergrundsicherung ist es nicht befriedigend gelaufen. Lisa Paus hat anfangs viel zu hohe Summen genannt, das macht angreifbar. Die Kommunikation der Kindergrundsicherung lief am eigentlichen Ziel vorbei. Man hätte einfach sagen können: Wir wollen nicht, dass es in Deutschland Kinder gibt, die arm sind. Das hätten die Leute viel besser verstanden. Ich finde es sehr schade, dass davon nur so wenig übrig geblieben ist. Sozialpolitisch wäre die Kindergrundsicherung sehr wichtig gewesen. Das hängt uns nach.

Wie erklären Sie sich, dass es mit dem GEG so schlecht gelaufen ist?

Schlechte Beratung und möglicherweise eine gewisse Naivität im Ministerium. Die haben nicht damit gerechnet, dass es so gestoppt wird. Man hat die Skandalisierung unterschätzt und war in der Krisenkommunikation nicht vorbereitet.

Nehmen Sie den Grünen im Bund übel, dass Sie den Wahlkampf damit massiv erschweren?

Übel nehmen ist das falsche Wort. Besser wäre gewesen, wenn man in so eine Regierungsbeteiligung reingeht und sich darüber klar ist, dass wir am meisten angegriffen werden. Das zweite ist: Den Grünen fehlte lange der Blick für den Osten. Das Zuhören. Das Verständnis, dass wir Dinge unterschiedlich verstehen und benennen, wie die Begriffe Wohlstand und Frieden. Eine Wertschätzung für das, was man sich in einer Zeit von Umbruch erarbeitet hat. Das sind kulturelle Unterschiede. Da hätte ich mir gewünscht, dass man uns eher mitdenkt und mitformuliert. Gerade mit der Kindergrundsicherung hätte es für uns sehr positiv verlaufen können. Wo ich herkomme, gibt es viele Kinder in Armut und schwierigen Verhältnissen. Die steigenden Zahlen in der Jugendhilfe zeigen das deutlich. Aber ich nehme auch wahr, dass sich in unserer Partei was geändert hat – der Osten wird stärker wahrgenommen.

Inwiefern definieren Sie Wohlstand und Frieden anders als die Grünen im Bund?

Ich glaube, die Ossis nutzen das Wort Wohlstand anders. Sie haben sich etwas aufgebaut, sich ihr Häuschen finanziert, auch als Altersvorsorge. Und Frieden zu plakatieren macht uns unglaubwürdig, wenn man Waffenlieferungen unterstützt, was im Osten kritischer gesehen wird – auch wenn ich ganz klar dafür bin, das zu tun. Hier wird das anders gelesen, auch in Verbindung mit Antiamerikanismus. Da bringt es wenig, auf der Faktenebene zu bleiben. Viele Leute treibt auch die Angst vor einem Krieg – die müssen wir in ihrer Gefühlswelt abholen.

Hört und versteht man Ihre Kritik da im Bund?

Wir sprechen das sehr ehrlich aus und es gibt viele, die uns zuhören. Nur am Umsetzen in Kampagnen und der Unterstützung für die ostdeutschen Länder, da muss man noch dran arbeiten. Aber übel nehme ich das nicht. Ich glaube, Robert Habeck ist selbst erschrocken, weil er nicht gedacht hätte, dass ihm sowas passieren könnte. Sich in einer Koalition so schlecht gegenüber dem Partner zu verhalten, ist auch einfach saumäßig. Gerade in Krisenzeiten hätte man zueinander stehen müssen. Robert Habeck hat ja wirklich gut gehandelt, niemand musste frieren. Ich frage mich, wo die Ernsthaftigkeit von FDP und dem Kanzler als Führungsperson blieb. Die Frage „Wo ist Olaf?“ kam zurecht auf. So ein Hickhack in Krisenzeiten ist gefährlich für die Demokratie.

Wie sehr schadet all das Ihren Wahlaussichten?

Vor allem im Osten nimmt man uns Bündnisgrünen die sehr klare Haltung gegenüber Russland übel. Die schärfsten Angriffe der vergangenen Legislatur hatte ich nicht wegen grüner Politik, sondern nachdem ich mich sehr klar in der Ukraine-Hilfe engagiert habe. Dieser Antiamerikanismus hier ist nicht zu unterschätzen. Für mich ist das grotesk. Ich kann gar nicht nachvollziehen, wie jetzt Leute sich auf Putins Seite schlagen können. Aber man darf sich nicht, nur weil es opportun erscheint, zur Unkenntlichkeit verbiegen, auch bei der humanitären Haltung zu Geflüchteten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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