Analyse
Erscheinungsdatum: 07. November 2024

Was kommt nach dem Ampel-Crash? Scholz und Merz streiten über den Neuwahltermin – und die Grünen hoffen auf punktuelle Kooperationen 

Olaf Scholz will am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, sodass es im März Neuwahlen geben könnte. Die Union drängt jedoch auf einen früheren Termin. Auch die Wirtschaft ist ungeduldig.

Bundeskanzler Olaf Scholz stößt mit seiner Entscheidung, trotz Verlust der Mehrheit im Parlament erst in gut zwei Monaten die Vertrauensfrage zu stellen, auf massiven Widerstand. CDU-Chef Friedrich Merz forderte Scholz in einem 25-minütigen Gespräch am Donnerstagmittag dazu auf, doch der Kanzler hat abgelehnt. Das Gespräch soll ungemütlich gewesen sein, hieß es später in Regierungskreisen. Merz habe die Machtlosigkeit Scholz’ thematisiert („Sie kriegen keinen Termin bei Trump“). Scholz hat an die Verantwortung der Opposition erinnert.

Merz soll am Nachmittag bei seinem Termin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Staatsoberhaupt gebeten haben, auf Scholz einzuwirken. In der Fraktionssitzung der CDU hatte Merz am Vormittag von einem „charakterlosen“ Vorgehen des Kanzlers und von „Niedertracht“ gesprochen. Gemeint war laut Teilnehmern das Statement des Kanzlers zu Ex-Finanzminister Christian Lindner. Nur jene, die seine Meinung teilten, würden staatspolitische Verantwortung übernehmen, stichelte Merz. In der kommenden Woche will die Union einen Entschließungsantrag in den Bundestag einbringen, der den Regierungschef zu früheren Neuwahlen aufruft. Möglich, dass FDP-Abgeordnete mitstimmen.

Von Merz kann Scholz kein Entgegenkommen erwarten, solange er nicht selbst auf die Union zugeht. Nur wenn Scholz die Vertrauensfrage nächste Woche stellen würde, sei die Union bereit, in überragend wichtigen Fragen mögliche Gesetze mitzutragen. Dabei gelte eine klare Reihenfolge: erst die Vertrauensfrage, dann mögliche punktuelle Kooperationen. Der Kanzler will indes in den nächsten Tagen Druck auf die Opposition aufbauen, angesichts der Wirtschafts- und Ukrainekrise Entscheidungen mitzutragen, die aus seiner Sicht „keinen Aufschub“ dulden. Am Mittwoch will er eine Regierungserklärung abgeben. Außerdem hält sich hartnäckig die Vermutung, dass der Regierungschef die Wochen nach der Hamburg-Wahl am 2. März erreichen möchte. In der Hoffnung, dass die SPD in seiner Heimat punktet und er so mit Rückenwind in die letzten Tage vor der Neuwahl starten könnte.

In der Wirtschaft wächst die Ungeduld. Zahlreiche Wirtschaftsverbände teilen die Auffassung, dass der Neuwahl-Termin so schnell wie möglich stattfinden sollte. Auch Grünen-Vizekanzler Robert Habeck soll sich nach Informationen aus Parteikreisen gegenüber Vertrauten von dem Scholz-Fahrplan distanziert haben. Die Frage des Termins für die Vertrauensfrage liege allein in der Hand des Kanzlers, so Habeck. Aus der Grünen-Partei ist zu hören, dass man sich auch einen früheren Termin hätte vorstellen können, man deshalb aber nicht die Koalition aufkündige. Die Grünen spüren, dass eine Verzögerung auch ihnen angelastet werden könnte. Zugleich hoffen sie auf „punktuelle Kooperationen“, zum Beispiel bei Gesetzen zur Abwehr von Cyberangriffen oder einer besseren Energiesicherheit. Habeck erklärte, vielleicht könne man ja versuchen, derartige Kooperationen nicht als Niederlage, sondern als Beitrag zum Nutzen des ganzen Landes zu begreifen.

Offen ist, ob ein viel früherer Termin (die Union spricht von Januar) organisatorisch überhaupt möglich wäre. Einerseits behaupten alle Parteien, sie stünden bereit; andererseits wissen alle Parteiführungen, dass dann zahlreiche Aufstellungsverfahren inklusive Landesparteitagen unter immensem Aufwand noch viel weiter nach vorne verschoben werden müssten. Erfahrene Campaigner gehen von rund 100 Tagen Vorlauf bis zum Wahltermin für einen halbwegs geordneten Verlauf aus. Eine Regel steht unverbrüchlich: Jede Kandidatin und jeder Kandidat muss 35 Tage vor dem Wahltag benannt sein. Das heißt, für einen Wahltermin noch im Januar müssten in allen Wahlkreisen die Kandidaten bis Weihnachten benannt sein.

Frank-Walter Steinmeier entließ am Donnerstag nicht nur drei FDP-Minister. Er betonte auch, dass es in 75 Jahren nur selten Regierungen gegeben habe, die vorzeitig auseinandergebrochen seien. Er nannte das eine Krise, die überwunden werden müsse. Deutschland brauche eine stabile und handlungsfähige Regierung. Wer will, kann einen Appell zur Eile herauslesen. Allerdings betonte der Präsident auch, dass in dieser Situation alle ihrer Verantwortung gerecht werden müssten; die Betonung lag auf alle. Er stehe für die notwendigen Schritte bereit.

Dabei könnte auch bei ihm eine drohende Sperrminorität von AfD und BSW nach der nächsten Bundestagswahl eine Rolle spielen. Und zwar für alles, wofür man eine Zwei-Drittel-Mehrheit bräuchte. Sollte auch in der Union die Überzeugung wachsen, dass man angesichts von Trump, einer vielfach sanierungsdürftigen Infrastruktur und einer zunehmend heiklen Lage für die Ukraine über Änderungen bei der Schuldenbremse nachdenken müsse, könnte die Gefahr einer Sperrminorität an Brisanz gewinnen. Vielleicht sogar mit dem Potenzial, Merz und Scholz auch beim Termin zusammenrücken zu lassen. Im aktuellen Bundestag verfügen SPD, Union und Grüne zusammen mehr als 520 von 733 Sitzen – und damit über eine verfassungsändernde Mehrheit.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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