Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Februar 2024

Warum eine Rückkehr zur Wehrpflicht viele Hürden hat

Boris Pistorius will die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht überstürzen. Aus seiner Sicht gibt es zuvor eine Menge Fragen zu beantworten. Ob das „schwedische Modell“ ein Vorbild sein kann, will er vor Ort überprüfen.

In zwei Wochen fährt Verteidigungsminister Boris Pistorius nach Skandinavien. Zum einen macht er sich auf diesen Weg, weil er die deutschen Gebirgsjäger besuchen will, die bei der größten NATO-Übung seit Jahrzehnten in Norwegen im Einsatz sind. Zum anderen stattet der frühere Wehrdienstleistende Pistorius Schweden einen Besuch ab. Sein Ziel: das in Deutschland viel zitierte „schwedische Modell“ der Wehrpflicht im Detail anzusehen. Aus Neugier ob der Möglichkeiten, aber auch, um dabei einen realistischen Blick auf dessen Übertragsbarkeit auf Deutschland zu werfen. Denn die Deutschen haben, so ist von schwedischen Offizieren zu hören, beim Thema Schweden bisweilen schlicht falsche Vorstellungen: „Ihr habt ein Bullerbü-Syndrom.“

Pistorius ist bewusst, dass in der deutschen Debatte der zweite Schritt oft vor dem ersten gemacht wird. „Die erste Frage an die Bundeswehr ist: Wofür Wehrpflicht?“, mahnte der Minister erst am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Aus seiner Sicht gibt es eine Menge Fragen zu beantworten, von der nach den nötigen Soldatinnen und Soldaten für den Heimatschutz über die Frage nach der sinnvollen Aufstockung der aktiven Truppe bis zum Aufbau einer Reserve für den Kriegsfall.

„Ohne Reserve wird es schwierig“, heißt es im Ministerium. Denn nur damit wären die Streitkräfte auch in der Lage, einen Konflikt über eine längere Strecke durchzustehen. Das bedeutet, insbesondere aus Sicht von Pistorius: Erst wenn Rolle und Erwartung an die Wehrpflicht klar definiert sind, könne man über Modelle und den dafür nötigen Rechtsrahmen reden. Dass das „schwedische Modell“ schon von den Zahlen her nicht einfach auf die Bundeswehr übertragen werden kann, haben die Fachleute dem Minister bereits vorgerechnet. Zehn Prozent eines Jahrgangs, Männer wie Frauen, werden in Schweden am Ende eingezogen. Schon mit den rechnerisch 40.000 Wehrpflichtigen wäre die Truppe in Deutschland überfordert – und das wären nur die Männer. „Wir brauchen Kasernen, wir brauchen Material, wir brauchen Ausbilder.“ Vielleicht, so Pistorius’ Erwägung, könnte man mit 3.000 bis 4.000 Wehrpflichtigen überschaubar anfangen.

Allerdings, auch das ist dem Juristen Pistorius bewusst, bestünde immer die Gefahr, dass bei einem solchen Vorgehen die Wehrgerechtigkeit auf der Strecke bleibt – und dann vor dem Bundesverfassungsgericht eingeklagt wird. Auch das ist ein Unterschied zu Schweden: Das Thema Wehrgerechtigkeit spielt dort keine Rolle. In Deutschland scheint unterdessen die grundsätzliche Bereitschaft zur (Wieder)Einführung der Wehrpflicht zuzunehmen. 52 Prozent der Befragten sprachen sich im vergangenen Sommer in einer Umfrage für die Einführung eines Wehrdienstes „im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht“ aus, zwei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Allerdings je nach Alter sehr unterschiedlich: Bei den unter 30-jährigen, Hauptbetroffene eines Pflichtdienstes, hielten 44 Prozent eine Wehrpflicht für nötig – ab 30 stieg die Zustimmung auf deutlich über 50 Prozent.

Dass es neben dem schwedischen auch ein norwegisches Modell gibt, könnte für Pistorius noch interessant werden. Der norwegische Verteidigungsattaché in Berlin, Fredrik B. Borgmann, empfiehlt Deutschland das Modell seines Landes, wo seit 2015 alle Männer und Frauen wehrpflichtig sind. In Norwegen stünden jedes Jahr etwa 60.000 Männer und Frauen zur Verfügung, von denen nur etwa 9.500 einberufen werden. Etwa 3.000 von ihnen seien Frauen. Ein „auf die deutsche Gesellschaft zugeschnittenes kombiniertes Zivil- und Militärdienstmodell“ wäre in Deutschland „auch bei der Personalbeschaffung hilfreich“, schreibt Borgmann in einem Standpunkt für den Security.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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