Analyse
Erscheinungsdatum: 27. Oktober 2024

Vor den Wirtschaftsgipfeln: Koalition will an die Netzentgelte ran

Olaf Scholz und Christian Lindner haben für Dienstag getrennt und unabhängig voneinander Wirtschaftsvertreter zum Gespräch geladen. Nach Informationen von Table.Briefings bereitet das Kanzleramt eine Entlastung bei Netzentgelten vor. Die FDP hat ähnliche Pläne.

Bundeskanzler Olaf Scholz will offenbar bei dem Industriegipfel am Dienstag im Kanzleramt eine weitergehende Entlastung der Wirtschaft bei den Netzentgelten vorschlagen. Bisher genießen nur die energieintensiven Industrien eine Privilegierung bei den staatlichen Gebühren zur Nutzung des Stromnetzes (rund 1 Milliarde Euro). Eine Erweiterung dieses Rabattes ist nun angedacht, heißt es in vorbereitenden Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft, wie Table.Briefings erfuhr.

Schon im vergangenen Jahr hatte die Koalition einen Steuerzuschuss in Höhe von 5,5 Milliarden Euro zur Absenkung der Netzentgelte geplant – diesen aber nach dem Haushaltsurteil in Karlsruhe gestrichen. Ohne einen solchen Zuschuss, einschneidende Reformen oder Einsparungen würden die Netzentgelte immer weiter steigen, da sowohl die Fernleitungen als auch die Verteilnetze für viel Geld ausgebaut werden müssen.

Die Industriestrompreise in Deutschland liegen mit knapp 20 Cent pro Kilowattstunde (kWh) deutlich über den Konkurrenzmärkten in Amerika und Asien. Die Kostenbelastung ist ein erheblicher Standortnachteil geworden, wie aus einer aktuellen Studie der Prognos AG für die Vereinigung bayerische Wirtschaft (vbw) hervorgeht. Die Netzentgelte machen allein rund 6 Cent pro kWh aus. In Europa liegt Deutschland mit den Industriestrompreisen zwar im Mittelfeld, allerdings müssen die Unternehmen etwa in Frankreich nur 11 Cent pro kWh zahlen. Als Vergleichsmaßstab wurde eine jährliche Abnahmemenge von 2.000 Megawattstunden angenommen.

Die Wirtschaft steckt in der Rezession, der Druck auf die Koalition ist groß. Scholz will das Thema Industriepolitik zur Chefsache machen, insbesondere Industriearbeitsplätze sichern und gegebenenfalls fördern; er hat kurzerhand ausgewählte Wirtschaftsvertreter zu einem „vertraulichen Gespräch“ geladen. Mit dabei sind am Dienstag Spitzenvertreter der Chemie-, Pharma-, Halbleiter-, Auto- und Maschinenbaubranche. Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck sowie Finanzminister Christian Lindner wurden erst kurz vorher informiert, sie selbst sind nicht dabei. Erste Ergebnisse sollen bis möglichst Mitte Dezember vorliegen.

Lindner plant nun am Dienstag eine eigene Veranstaltung und hat jene Verbände geladen, die beim Kanzler keine Einladung bekommen haben. Anders als Scholz will er vor allem den Mittelstand in den Blick nehmen. Auf der Teilnehmerliste stehen Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Stephan Hofmeister, Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe, Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer und Reinhold von Eben-Worlée, Präsidiumsmitglied des Verbands die Familienunternehmer. Für die FDP wird neben Lindner auch Fraktionschef Christian Dürr dabei sein.

In FDP-Kreisen wird die Initiative bei den Netzentgelten positiv gesehen. Die Freidemokraten denken vor allem an eine Flexibilisierung. Die „zeitweise massive Netzbelastung durch wetterabhängige erneuerbare Energien“ sorge für eine „ineffiziente Überforderung“. Als Sofortmaßnahme dürfe es zu Zeiten negativer Strompreise keine Vergütung mehr geben. Sollte der Kanzler darüber hinaus gehen wollen, so kann man die FDP interpretieren, werde man ihn unterstützen. Eine neue Subvention allein löse das Problem aber nicht.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte in seinem in der vergangenen Woche vorgestellten Schuldenfonds für Infrastruktur und Innovationen ebenfalls vorgeschlagen, die Netzentgelte „deutlich und verlässlich“ zu senken. Außerdem schlägt der Grünen-Minister vor, die Stromsteuer für alle – also auch Privathaushalte – auf das europarechtliche Mindestniveau abzusenken. Auch dies soll beim Scholz-Gipfel im Kanzleramt als Vorschlag auf dem Tisch liegen.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter, fordert ernsthafte Reformen bei den Strukturen. „Statt die strukturellen Reformen anzugehen, schüttet man Geld auf Probleme“, kritisiert der ehemalige CDU-Finanzstaatssekretär die Vorschläge für neue Schuldenfonds. Die Ampel habe eine Verantwortung und auch eine Pflicht für klares Handeln zur Stärkung der Wirtschaft. Das ganze Gespräch hören Sie im Podcast ab 6 Uhr hier.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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