Analyse
Erscheinungsdatum: 21. April 2025

Schlüsselfiguren in Regierungen: Über die besondere Rolle von Fraktionschefs

Weder CDU noch SPD haben sich für einen Fraktionschef entschieden – dabei könnte diese Entscheidung den Erfolg der nächsten Koalition bestimmen.

Noch, so heißt es, ist die Frage nicht entschieden. Nicht bei der Union, und auch nicht bei der SPD. Dabei markiert die Frage eine der wichtigsten Weichenstellungen der kommenden Wochen. Sie wird maßgeblich darüber entscheiden, ob die nächste Koalition funktioniert – oder scheitert. Gleichwohl wollen Friedrich Merz und Lars Klingbeil noch nicht entschlüsseln, wer ihre Fraktionen anführen soll. Auch wenn sich von dieser Benennung fast alle anderen ableiten.

Der Fraktionschef ist bedeutsamer als jeder Minister, einflussreicher als jeder Parteichef und überhaupt einer der mächtigsten Taktgeber im parlamentarischen Getriebe. Noch sind die Benennungen auf beiden Seiten offen. Wird es in der Union, wie viele vermuten, Jens Spahn? Oder doch Thorsten Frei? Oder gar ein Dritter, der loyale Johann Wadephul zum Beispiel? Und wie entscheidet sich der SPD-Chef? Für Carsten Schneider? Für Bärbel Bas? Oder bleibt er selbst? Und wenn er ins Kabinett wechselt: Wäre auch eine Fraktions-Doppelspitze eine Variante?

Die Ansprüche an Fraktionsvorsitzende sind besondere: Sie müssen Generalisten sein, sich in den Themen und Abläufen auskennen, gleichermaßen führen und integrieren können. Sie müssen Autorität ausstrahlen, ohne autoritär zu agieren. Es ist ein schmaler Grat. Der Typus Herbert Wehner hat ausgedient, auch Andrea Nahles hatte durch allzu bestimmte Auftritte nach innen am Ende ihren Kredit verspielt. „Autoritär geht nicht mehr“, sagt ein Genosse, der schon manche Fraktionschefs hat kommen und gehen sehen.

Gemessen an der Amtszeit seiner Kanzlerin gehörte Volker Kauder zu den erfolgreichsten Fraktionschefs. Zu Beginn seiner 13 Jahre brachte er eine nahezu ideale Mischung mit. Er war loyal, obwohl er konservativer dachte als Angela Merkel. Er war ein burschikoser Anführer, der die Truppe auf Kurs hielt. Und er geriet nie in Verdacht zu glauben, er könne es besser als die Chefin. Anders ausgedrückt: Nicht eine Sekunde wurde er zu einem Konkurrenten. Zugleich machte er es vor allem im Duett mit seinem SPD-Kollegen Peter Struck immer wieder deutlich, was mit den Fraktionen ging – und was nicht. Erst mit der Müdigkeit der Kanzlerin kam auch seine. Prompt wählte die Fraktion Ralph Brinkhaus zum Nachfolger.

Einen Unterschied macht es, ob die Fraktion den Kanzler stellt oder den Platz des Juniorpartners einnimmt. Nur Peter Struck hatte bisher beide Rollen inne. Zwischen 1998 und 2002 stützte der Sozialdemokrat Gerhard Schröder; zwischen 2005 und 2009 unter Merkel führte er für Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier die kleinere SPD-Truppe. Seinen Job interpretierte er entsprechend differenziert. In den Schröder-Jahren gab es nur sehr dosiert Kritik. Unter Merkel dagegen polterte er regelmäßig Richtung Union und Kanzlerin. Mal warf er ihr „Wortbruch“ vor (2006), mal kritisierte er ihren Stil als „Wischiwaschi“; dann wieder klagte er: „Man kann sich nicht auf sie verlassen“. Es waren gezielte Attacken, um die eigene Truppe ruhig zu stellen.

Für eine Regierung entscheidend ist, ob die Fraktionschefs vertrauensvoll miteinander können. So gern Struck gegen Merkel austeilte – mit Kauder verband ihn eine fast freundschaftliche Wertschätzung. Bei weitem nicht so belastbar war das Verhältnis der Fraktionsspitzen in der Ampel. Mit bekannten Folgen für den Zusammenhalt der Regierung. Auch vor diesem Hintergrund werden Merz und Klingbeil ihre Entscheidungen treffen (müssen). Sollte sich Merz für Spahn entscheiden, hätte die Unionsfraktion einen machtbewussten Anführer. Aber auch einen, dessen Loyalität viele in der Fraktion anzweifeln – und der vom Koalitionspartner sehr skeptisch beäugt wird. Auch Frei würde die Fraktion nicht zum Abnickverein degradieren, hätte aber ein dienendes Selbstverständnis. Bei der SPD sind die Fußstapfen nach Rolf Mützenich groß. Carsten Schneider ist erfahren – aber hat er auch die Schläue eines Peter Struck? Bärbel Bas ist die Überraschung der letzten Jahre – aber kann sie alle Themen? Oder wird’s am Ende eine Doppelspitze, damit niemand zu dem einen Gegenspieler von Klingbeil heranwachsen kann?

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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