Analyse
Erscheinungsdatum: 28. September 2023

Robin Wagener: „Wir haben Zentralasien viel zu lange durch die Moskauer Brille betrachtet“

Robin Wagener in der 14. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 27.01.2022 *** Robin Wagener at the 14 session of the German Bundestag in the Reichstag building Berlin, 27 01 2022. 

Bild: Imago / Future Image
Robin Wagener trägt im Auswärtigen Amt den Titel „Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südlichen Kaukasus, der Republik Moldau sowie Zentralasien“. Im Interview sagt der Grünen-Politiker, warum Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan und Tadschikistan für Deutschland wichtig sind.

Herr Wagener, ist das militärische Eingreifen von Aserbaidschan in Bergkarabach ein Beleg für die neue Machtverteilung in der Welt?

Eines ist klar: Aserbaidschan hat auf die militärische Karte gesetzt, trotz laufender Friedensverhandlungen mit Armenien, trotz anderslautender Zusagen. Aserbaidschan hat so Tatsachen geschaffen. Viele Bewohner von Bergkarabach sehen keine Zukunft in Sicherheit mehr für sich in ihrer Heimat. Niemand weiß, wie es den Menschen wirklich ergeht. Außenministerin Baerbock arbeitet zusammen mit unseren Partnern daran, dass endlich Beobachter nach Bergkarabach entsendet werden können. Wir kommen hier Stück für Stück voran. Es ist gut, dass die Regierung Aserbaidschans jetzt signalisiert hat, dass UN-Mitarbeiter bald vor Ort über die Lage berichten können. Seit Tagen füllen Autokonvois mit Zehntausenden die Straße von Bergkarabach nach Armenien. Wir müssen befürchten, dass sich die allermeisten Bewohner in den kommenden Tagen anschließen, was auf ein fast menschenleeres Bergkarabach hinauslaufen könnte.

Wird das Aserbaidschan zur Besinnung bringen?

Armenien und Aserbaidschan müssen jetzt um echten Frieden ringen. Ob der unter EU-Ägide geführte Friedensprozess zum Erfolg kommt, hat Auswirkungen auf die ganze Region.

Ist es vorstellbar, dass es auf der einen Seite Sanktionen gegen Aserbaidschan gibt, auf der anderen Seite aber Aserbaidschan als ein alternativer Gaslieferant weiter willkommen ist?

Die geopolitische Lage in der Region ist sehr komplex. Aserbaidschan ist ein bedeutender Energiekorridor Richtung Europa. Gleichzeitig müssen wir Baku aber klarmachen, dass eine weitere militärische Eskalation nicht folgenlos bleiben würde. Wir unterstützen die demokratisch gewählte Regierung Armeniens. Destabilisierungsversuche, von wo auch immer, sind inakzeptabel.

Kommen wir zu einer anderen Weltregion. Am Freitag empfängt der Bundeskanzler die fünf Staatschefs aus Zentralasien. Warum sind diese Länder so wichtig geworden?

Die Länder Zentralasiens sind seit 30 Jahren unabhängig. Wir haben die Region aber viel zu lange durch die Moskauer Brille betrachtet. Jetzt endlich nehmen wir die Länder als eigenständige Akteure wahr. Das ist wichtig. Denn Zentralasien steht geostrategisch zwischen allen Stühlen – mit Russland im Norden und China im Osten als Nachbarn. Die fünf Staaten wollen ihre Kontakte mit uns Europäern stärken. Sie setzen auf mehr Zusammenarbeit in der Außen-, der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Wir müssen ihnen die Hand reichen, auch schon im eigenen Interesse, und das wird der Bundeskanzler am Freitag machen.

Gehen die zentralasiatischen Staaten gemeinsam vor? Oder hat jedes Land eine eigene Agenda?

Beides trifft zu. Wir haben es mit einer Region zu tun, die zu den am stärksten durch die Klimakrise herausgeforderten Regionen der Welt gehört. Wasser ist ein großes Thema, das einerseits zur Zusammenarbeit zwingt, andererseits aber als Mangelware die Ursache vieler regionaler Konflikte ist. Für uns heißt das: Wir müssen sowohl jedes einzelne Land betrachten als auch die gesamte Region.

Bereits in den Jahren 2006 und 2007 wurde unter dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier im AA an einer Zentralasien-Strategie gearbeitet. Daraus wurde aber nicht viel. Hat es denn den russischen Angriffskrieg gebraucht, damit Zentralasien wieder auf die Agenda kam?

Ich finde es sehr schwierig, zu sagen, es brauchte diesen Krieg für irgendetwas. Wir haben aber inzwischen zum Glück einen realistischeren Blick auf die Region. Das ist eine wichtige Lehre aus den Fehlern deutscher Außenpolitik. Wir dürfen die Region eben nicht als Moskaus Vorhof wahrnehmen. Es sind eigenständige Akteure. Ich habe den Bundespräsidenten im Sommer bei seiner Reise nach Kasachstan und Kirgisistan begleitet und ich fand es bemerkenswert, dass der Staatschef von Kasachstan immer wieder betont hat, wie wichtig für ihn das Prinzip der territorialen Integrität ist.

Was heißt das für die deutsche Politik?

Wir sollten diesen Staaten auf Augenhöhe begegnen. Es gibt Dinge, die wir wollen. Es gibt Dinge, die die zentralasiatischen Staaten wollen. Das muss man miteinander besprechen. Aber für alle Formen von Zusammenarbeit braucht es Rechtsstaatlichkeit und eine Stärkung der Zivilgesellschaften.

Was wollen wir denn von den zentralasiatischen Staaten?

Das sind hochinteressante Partner im Bereich der Energie. In Aktau am Kaspischen Meer in Kasachstan gibt es beispielsweise Probebohrungen für eine Anlage zur Erzeugung erneuerbaren Energien etwa in der Größe von Brandenburg. Wenn das so realisiert wird wie geplant, dann könnte damit ein erheblicher Anteil des europäischen Bedarfs an grünem Wasserstoff gedeckt werden. Oder denken wir an das gemeinsame Interesse, dass Menschen aus Zentralasien in Deutschland arbeiten. Wir brauchen Fachkräfte, die Staaten in der Region wollen sich von der Abhängigkeit von Russland lösen, wo derzeit sehr viele Menschen aus den zentralasiatischen Ländern arbeiten. Und schließlich können wir der Klimakrise nur gemeinsam begegnen.

In Kasachstan gibt es auch eine Vielzahl seltener Erden. Mehr als 60 dieser wichtigen Elemente werden dort gefördert. Bahnen sich schon Verträge zwischen deutschen und kasachischen Unternehmen an?

Als Bundesregierung unterstützen wir hier natürlich, wo wir können. Es gibt zahlreiche Gespräche. Am Ende kommt es aber natürlich auf deutsche Unternehmen an, die investieren wollen.

Wollen sich die zentralasiatischen Staaten wirklich von Russland emanzipieren? Es gibt da ja schmerzhafte Themen wie die Umgehung der westlichen Sanktionen, also Tausende und Abertausende von Waschmaschinen, die plötzlich über Kasachstan nach Russland exportiert wurden. Wie fühlt sich das für Sie an?

In meinen Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Staaten sehr wohl daran interessiert sind, dass die Sanktionen eingehalten werden. Wir drängen darauf, dass dies auch wirklich über alle Ebenen hinweg passiert. Aber wenn wir nicht wollen, dass in Zentralasien Sanktionen umgangen werden, dann müssen wir auch bei uns in Deutschland dafür sorgen, dass das nicht geschieht. Das sagen mir viele Partner in Zentralasien. Wir müssen also schon unsere Sanktionskontrollen verbessern, etwa mit mehr Zollfahndern.

Was wollen die zentralasiatischen Staaten von uns?

Investitionen und wirtschaftliche Kooperation. Und dann habe ich noch ein besonders schönes Beispiel: Der Ombudsmann für Menschenrechte in Kasachstan, also ein Vertreter der Regierung, nicht der Zivilgesellschaft, hat das Interesse an mich herangetragen, ob wir nicht bei der Ausbildung kasachischer Polizisten helfen könnten. Er war beeindruckt davon, wie besonnen sich Polizistinnen und Polizisten in Deutschland bei Demonstrationen verhalten und sie als demokratisches Grundrecht verstehen. Er sagte, dass es schön wäre, wenn Beamte aus Deutschland ihren kasachischen Kollegen dieses Mindset vermitteln könnten. Das ist erst eine Idee. Sie zeigt aber, dass es auch staatliche Stellen in den zentralasiatischen Staaten durchaus ernst meinen mit Reformen. Wir haben den kasachischen Ombudsmann jedenfalls nicht auf den Gedanken gebracht. Das kam von ihm.

Es gibt auch andere Kraftzentren auf der Welt, die in Zentralasien agieren. China zum Beispiel. Hilft eine Einladung der fünf Staatschefs nach Berlin ins Kanzleramt, um sich in Zentralasien in Position zu bringen?

Solche Treffen helfen ungemein. Schließlich sind nicht nur wir an Zentralasien interessiert. Auch China veranstaltet solche Treffen. Deswegen ist es so wichtig, dass der Bundeskanzler am Freitag mit diesem Treffen ganz deutlich macht: Deutschland und Europa machen ehrliche und faire Angebote, die gerade nicht neue Abhängigkeiten schaffen oder auf finanzielle Knebel setzen.

Sie sprechen von einer Begegnung auf Augenhöhe. Was ist dabei besonders wichtig. Sagen wir, ihr müsst jetzt erst mal demokratische Reformen machen? Oder gucken wir zur Seite, weil wir die Staaten so dringend brauchen?

Es sind ja nicht nur wir, die mehr Rechtsstaatlichkeit fordern. Dieser Wunsch kommt schon auch aus den Zivilgesellschaften in den Ländern selbst. Wirtschaftliche Entwicklung und Menschenrechte sind zwei Seiten derselben Medaille. Wer heute aus Europa in Zentralasien investieren will, braucht die Sicherheit, dass sein Geld nicht in dunklen Kanälen verschwindet. Nachhaltiger Wohlstand und Sicherheit gelingt nur dort, wo die Rechte von Menschen gewahrt sind.

Wie stehen denn die zentralasiatischen Staaten zum russischen Angriffskrieg?

Wir hätten uns gewünscht, dass die Regierungen in der Region den Angriffskrieg deutlicher verurteilen, als sie es getan haben. Aber schon die Tatsache, dass sie die Unverletzlichkeit der Grenzen immer wieder betonen, zeigt, dass sich die Staaten des Problems bewusst sind. Und man muss natürlich auch sehen, dass beispielsweise Kasachstan zu Russland die längste Landgrenze der Welt hat. Das ist schon eine Zwickmühle.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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