Analyse
Erscheinungsdatum: 27. August 2023

Paula Piechotta: „Politik muss es den Menschen so einfach wie möglich machen“

51. Bundestagssitzung und Haushaltsdebatte in Berlin Aktuell,08.09.2022 Berlin, Dr. med. Paula Piechotta von der Partei Buendnis 90/Die Gruenen im Portrait bei ihrer Rede zur Haushaltsdebatte Gesundheit bei der 51 Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin Berlin Berlin Deutschland *** 51 Bundestag session and budget debate in Berlin News,08 09 2022 Berlin, Dr med Paula Piechotta of the party Buendnis 90 Die Gruenen in portrait during her speech on the budget debate health at the 51 session of the German Bundestag in Berlin Berlin Germany

Bild: Imago / Political-Moments
Paula Piechotta, grüne Bundestagsabgeordnete aus Leipzig, ist 2021 nach Berlin gekommen, weil sie das Gesundheitssystem verbessern und Rechtsextremismus bekämpfen wollte. Hohe Belastungen kannte sie aus der Uniklinik, Berührungspunkte mit der AfD aus Thüringen und Sachsen. Die Ärztin diagnostiziert: „Ganz gesund ist es nicht, was wir in Berlin da machen.“

Paula Piechotta ist kein Mensch, der gern verschwendet. Nicht natürliche Ressourcen für Profit, nicht die Energie von Ärzten für Bilanzen. Gespräche beginnt sie nie mit Smalltalk, große Worte und Gefühle überlässt sie anderen. „Sagen wir mal so: Ich bin keine Claudia Roth.“ Fokussiert und „sehr outcome-orientiert“ betreibe sie Politik, seit sie 2021 für die Grünen in den Bundestag gezogen ist. „Wenn ich denke, dass ein Treffen wenig bringt, dauert es sicher nicht lange. Ich lege wenig Wert auf Sommerfeste von Verbänden.“ Undenkbar viel in wenig Zeit zu schaffen, kennt die Radiologin aus der Uniklinik Leipzig. „Ich habe eine hohe Motivation, weil viele Angehörige vom System verschlissen wurden – als Patient:innen oder Angestellte“, sagt Piechotta. „Ich möchte das System verbessern.“

Paula Piechotta sitzt im Gesundheits-, Forschungs- und Haushaltsausschuss. „Gesundheitspolitik ist das Unangenehmste, was man in Berlin machen kann“, sagt sie. Wegen des Umgangs mit Lobbyorganisationen, des schneidenden Tons. „Apothekerverbände versuchen durchaus mal, Personen zu beschädigen.“

Ihr Beruf habe sie auf die Politik vorbereitet, sie in Belastbarkeit trainiert. Arbeit nachts, an Wochenenden, die Verteilung unberechenbar. „Mal gab es an einem Wochenende keinen Patienten, mal vier Schwerverletzte auf einmal, weil es einen Unfall gegeben hat.“ Ähnlich ist es in der Politik; in Zeiten großer Krisen vielleicht noch etwas mehr. Unter der Woche sei es in der Klinik besser gewesen, am Wochenende schob Piechotta immer wieder 14-Stunden-Schichten. „Die einzigen, die mit dem Wechsel in die Politik nicht weniger Schlaf bekommen, sind die Ärzte.“

Als Wurf ins kalte Wasser habe sie den Start der Legislatur nicht empfunden. „Beeindruckend war für mich, dass sich so schnell so große Fragen gestellt haben. Man merkt: Es sind besonders krasse Zeiten.“ Die Sondersitzung zum Kriegsbeginn in der Ukraine sei die belastendste Situation als Abgeordnete gewesen, „wegen des Gefühls, dass sich hier gerade etwas sehr Grundlegendes ändert“. Bei Abgeordneten anderer Fraktionen, auch ihrer Koalition, habe Piechotta beobachtet, dass sie erst jahrelang zusehen, ehe sie selbst viel bewirken könnten. „Das war bei mir ganz anders. Wir sehen es im direkten Vergleich beim Haushalt.“ Den verwalten zu lassen, trauen die Grünen jüngeren, kürzer gedienten Abgeordneten zu als die anderen Fraktionen.

Neben Klimaschutz und Gesundheitspolitik seien der Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine wissenschaftsbasierte Politik ihre Ziele. Ihre Rolle, ihre Aufgabe sieht Piechotta auch darin, Ostdeutsche in der Fraktion zu repräsentieren. Piechotta ist im thüringischen Gera geboren, lebt in Leipzig, das als progressive Insel Sachsens gilt, als „safe space“ für Menschen, die vor der Dominanz rechten Gedankenguts in Teilen des ländlichen Raums flüchten. „Wenn du dich in Ostdeutschland politisch engagieren, aber keinen Hundekot im Briefkasten willst, ziehst du nach Leipzig.“

Berührungspunkte mit der AfD kennt Piechotta aus nächstem Familienumfeld, bei Feiern würden sich einige nicht mehr an den gleichen Tisch setzen – eine Erfahrung, die einige Grüne aus ostdeutschen Bundesländern teilen. Eine Grüne hätte vor dem letzten Parteitag ihrer Familie erzählt, sie fahre nur zu einer Weiterbildung. Konfrontationen mit Rechtsaußen kennt Piechotta seit ihrer Kindheit, in der sechsten Klasse wechselte sie Schule – „die Nazis waren damals schon ein Problem.“ Ihre Studienzeit verbringt Piechotta in Jena, das zugleich thüringisch und sehr studentisch ist.

Für ihre Facharztweiterbildung zieht Piechotta nach Heidelberg. Nach ein paar Jahren kehrt sie in den Osten zurück. „Weil man als Ostdeutsche nur zu 100 Prozent ankommt, wenn man seine Herkunft um 120 Prozent verschleiert. Da hatte ich keine Lust mehr drauf.“

Dass die AfD sich auch in Westdeutschland, in Niedersachsen bei der Landtagswahl 2022 fast verdoppeln konnte, sei die größte politische Enttäuschung seit ihrem Einzug in den Bundestag gewesen, sagt Piechotta. Gewöhnlicherweise könne sie abends gut abschalten. Eine Wohnung in Berlin hat sie nicht; abgesehen von einzelnen Ausnahmen fährt sie immer zurück nach Leipzig, da fühle sich Berlin „sehr weit weg“ an. Wenn sie abends doch über Politik nachdenken müsse, wanderten ihre Gedanken oft zur nächsten Bundestagswahl. Zur AfD. „Es ist gut belegt, dass die Autoritarismus-Sehnsucht bei Krisen zunimmt. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Die Politik muss es der Bevölkerung so einfach wie möglich machen.“ Reformen: ja. Aber weiter runtergebrochen, konkreter erzählt. Zugewandter.

Paula Piechotta sagt, dass die Koalition in der zweiten Hälfte der Legislatur besser kommunizieren müsse. „Das Tempo, was wir erstmal vorgelegt haben, hätte man nicht halten können. Wir müssen jetzt mal runterschalten. Wir müssen lernen, ordentlich zu erklären.“ Die Krankenhausreform sei ihr sehr wichtig. „Wir brauchen unbedingt eine bessere Qualität. Das kann nur passieren, wenn das Personal nicht mehr so verheizt wird, was nicht mal den Patienten hilft, sondern den Bilanzen.“

Den Kontakt zur Klinik hält Piechotta, schiebt weiterhin zwei monatliche Schichten. So bleibe sie auch unabhängig von der Politik. Ob sie 2024 wieder kandidieren will? „Würde es in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode so weitergehen wie in der ersten, käme man an körperliche Grenzen“, sagt Piechotta. „Dann müsste man sich ehrlich gesagt fragen: Kann ich das noch?“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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