Analyse
Erscheinungsdatum: 02. Juni 2024

Nord Stream 2: Wie interne Papiere und Habecks Kritik die Union unter Druck setzen 

Die GroKo hat bis 2021 intensiv für die Pipeline Nord Stream 2 lobbyiert. Das führt nun zu einem heftigen Streit in Berlin. Robert Habeck sagt, die Union sei „verantwortlich für die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten“. Die CDU wehrt sich.

Nach den Berichten von Table.Briefings und der SZ über den intensiven Einsatz der GroKo für die Pipeline Nord Stream 2 erheben die Grünen schwere Vorwürfe gegen die Union. Auf dem kleinen Parteitag der Grünen am Samstag in Potsdam sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Union sei „verantwortlich für die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten“. Er nannte auch Friedrich Merz persönlich. Alles gehe zurück auf einen „historischen Fehler der großen Koalition“ von Union und SPD. „Wir hätten uns niemals abhängig machen dürfen von Putins Gas“, sagte Habeck. Auf die Verantwortung der Groko für die Abhängigkeit von Russland weist auch Stefan Wenzel, Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, in einem Brief an den CDU-Abgeordneten Thomas Gebhart vom 1. Juni hin.

Andreas Jung, stellvertretender CDU-Vorsitzender, weist die Angriffe auf seine Partei und den Vorsitzenden Merz zurück. „ Polemik scheint ja Habecks neue Philosophie zu sein, er haut vor allem daneben“, sagte Jung Table.Briefings. Merz habe sich in der Zeit als Vorsitzender der Atlantikbrücke für eine enge Partnerschaft mit den USA eingesetzt. Tatsächlich hatte Merz im November 2018 als Kandidat für den Parteivorsitz den Bau der Pipeline infrage gestellt: „Je mehr der Konflikt eskaliert, desto mehr kommt die Frage in den Fokus: Ist es wirklich richtig, dass wir diese Pipeline bauen“, hatte er bei einer Regionalkonferenz seiner Partei gesagt. Jung gibt aber zu, dass die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas „ein Fehler“ gewesen sei. „Das haben wir auch klar benannt.“

Wie passiv das Wirtschaftsministerium unter Habecks Amtsvorgänger Peter Altmaier (CDU) in Bezug auf die leeren Gasspeicher agiert hat, zeigen Dokumente, die Table.Briefings vorliegen. So wird in einem Informationspapier der Fachabteilung für den Minister vom 6. August 2021 gewarnt, dass die Befüllung der Gasspeicher „weiterhin sehr schleppend“ verlaufe. Vor allem jene Speicher, die zuvor an den russischen Konzern Gazprom verkauft wurden, würden „nicht gut gefüllt“, obwohl es ausreichende Pipeline-Kapazitäten gebe. Als möglichen Grund nennt das Ministerium, dass Russland Deutschland unter Druck setzen wolle, die fertig gestellte Pipeline Nord Stream 2 schneller zu genehmigen. „Durch eine Verknappung des Gases könnte RUS versuchen, eine vorherige faktische Inbetriebnahme zu erzwingen“, schreiben die Beamten.

Eine Einordnung können Sie auch in der aktuellen Folge des Podcasts Table.Today hören:

Konsequenzen zog die schwarz-rote Regierung nicht. Im Gegenteil: Sie gab ihm nach. Am 26. Oktober 2021, dem letzten Tag, an dem die alte Bundesregierung noch offiziell im Amt war, erfüllte Altmaier eine Voraussetzung für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2: Er schickte einen Versorgungssicherheitsbericht an die Bundesnetzagentur, in dem bestätigt wurde, dass die neue Pipeline zu einer „Verbesserung der Liefersituation“ führe, „die sich auf die Bewertung der Versorgungssicherheit positiv auswirkt“. Nach Informationen aus damaligen Regierungskreisen geschah das auf Wunsch des Koalitionspartners SPD und mit Zustimmung des seinerzeit von Olaf Scholz geführten Bundesfinanzministeriums.

Auch unternahm das Wirtschaftsministerium im Laufe des Jahres 2021 wenig, um den Füllstand der Gasspeicher zu verbessern. Zwar wurde durch Ausschreibungen ein Anreiz gesetzt, die Speicher nicht weiter zu leeren. Eine gesetzliche Verpflichtung zum Füllen der Speicher lehnte das BMWi aber ab. „Staatliche Einlagerungsvorgaben führen zu erhöhten Preisen, nicht zwingend zu einer besseren Bevorratung in den Speichern“, heißt es in einem Vermerk, der Altmaiers Nachfolger Habeck eine Woche nach Amtsantritt vorgelegt wurde. Der Vorschlag, der stattdessen gemacht wird, klingt hilflos: „Es ist zu erwägen, politisch auf RUS zuzugehen und weitere Lieferungen zu fordern.“ An diese Empfehlungen hat sich Habeck allerdings nicht gehalten: Im Februar zog er den Versorgungssicherheitsbericht der Vorgänger-Regierung zurück, im April wurde das Gasspeichergesetz geändert, um die zuvor vom Ministerium abgelehnten Mindestfüllstände einzuführen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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