Analyse
Erscheinungsdatum: 23. Januar 2025

Mord in Aschaffenburg: Union kämpft um Hoheit in der Migrationspolitik – und erschwert schwarz-grüne Option

Und plötzlich ist es doch ein Migrationswahlkampf: Nach dem Doppelmord von Aschaffenburg schlägt Friedrich Merz hartes Vorgehen in der Asylpolitik an. Eine Koalition mit den Grünen wird dadurch unwahrscheinlicher.

Nach den Morden von Aschaffenburg rückt der Kampf gegen solche Verbrechen ins Zentrum des Wahlkampfs. Die Union verschärft massiv die Tonlage im Kampf gegen illegale Migration und gegen Zuwanderer, die in Deutschland Gewaltverbrechen begehen. Friedrich Merz fordert harte Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts. „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl und Einwanderungspolitik.“ Er weigere sich anzuerkennen, dass Taten wie diese „die neue Normalität“ sein sollen.

Merz und CSU-Chef Markus Söder wollen offenkundig alles versuchen, damit dieser Mord nicht Wasser auf die Mühlen der AfD gießt. Zugleich rückt die Möglichkeit, nach der Wahl ernsthaft in Verhandlungen mit den Grünen einzutreten, in immer weitere Ferne. Merz machte klar, dass seine Forderungen Bedingungen für eine Koalitionsregierung unter seiner Führung sein sollen. „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“, so Merz. Er gehe keinen anderen, und wer ihn mit ihm gehen wolle, müsse sich nach diesen Punkten richten. „Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich.“ Intern hat die CDU-Wahlkampfführung offenbar beschlossen, Kampagne und Plakate auf das Thema Migration zu ziehen. Diese Attacke, so heißt es, habe alles verändert.

In Aschaffenburg hatte ein ausreisepflichtiger Afghane einen zweijährigen Jungen aus Marokko und einen 41-jährigen Mann getötet, der sich dem Täter in den Weg gestellt hatte. Nun rückt die Union zwei Fragen in den Mittelpunkt. Zum einen kündigte Merz an, unter ihm als Kanzler werde es vom ersten Tag an Kontrollen an den Grenzen geben, um alle Versuche der illegalen Einreise zu unterbinden. Er hält das für einen rechtmäßigen Schritt, weil die EU-Asylregeln aus seiner Sicht dysfunktional geworden sind. Zum anderen lenkt Merz den Blick auf die geringe Zahl an Abschiebehaftplätzen in Deutschland. Wenn Ausreisepflichtige aufgegriffen würden, müssten sie in Ausreisegewahrsam oder Ausreisehaft genommen werden. Es sei inakzeptabel, dass es bei derzeit 42.000 vollziehbar Ausreisepflichtigen nur rund 750 Plätze gebe. Merz will, „dass jeder ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder in zeitlich unbefristeten Ausreisearrest genommen werden kann“. Die Union beruft sich auf die Bundespolizei, wonach Hunderte der Ausreisepflichtigen Straftaten begangen hätten.

Für die Union steckt darin auch eine Gefahr. Auch unionsgeführte Länder wie NRW, Schleswig-Holstein und Bayern verfügen aktuell über nur wenige Abschiebehaftplätze. Wenig überraschend weist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bislang jede Mitschuld bayerischer Behörden an der Nichtabschiebung des Täters von Aschaffenburg zurück. Für Abschiebungen sei der Bund zuständig, aber bis auf einen Abschiebeflug habe es bislang keine weiteren Flüge nach Afghanistan gegeben. Auf die Frage, warum der Täter seine angekündigte Ausreise nicht umgesetzt habe, sagte Herrmann, der Mann habe bisher nicht die nötigen Dokumente des afghanischen Generalkonsulates gehabt. Ob bayerische Ausländerbehörden versucht haben, diesen Prozess zu beschleunigen, ließ er offen.

Umso entschiedener bemüht sich CSU-Chef Söder jetzt darum, die eigene Entschlossenheit zu unterstreichen – und die CDU für ihr Einschwenken auf den CSU-Kurs zu loben. Bayern habe „diese Linie schon immer verfolgt“, sagt er. Dabei verschweigt Söder, dass auch er seine Haltung mehrfach geändert hat. Im Streit um Merkels Flüchtlingspolitik 2015 gehörte Söder zu den Scharfmachern; als 2018 der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer mit Angela Merkel um Zurückweisungen an den Grenzen stritt, hielt sich Söder hingegen raus. Seehofer sagte Table.Briefings, er habe damals aus München „keine Unterstützung“ erhalten. Der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume kritisierte nach der miserablen Landtagswahl 2018 sogar die scharfe Seehofer-Linie in der Migrationspolitik, mit der die CSU die AfD abwehren wollte: „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken.“

Merz muss solche Wendungen nicht vollziehen. Er hat in der CDU seit dem Abschied von Merkel an einer härteren Linie gearbeitet. Bis zuletzt allerdings wollte Merz im aktuellen Wahlkampf die Migrationspolitik nicht ins Zentrum stellen. Nach Aschaffenburg ist er davon nun abgerückt. Die Konsequenzen sind sofort zu besichtigen. FDP-Chef Christian Lindner und die FDP-Innenpolitikerin Linda Teuteberg erklärten am Donnerstag, diese Linie werde Merz nur mit der FDP, nicht aber mit SPD oder Grünen umsetzen können. Teuteberg sagte Table.Briefings: „Eine rechtsstaatliche Begrenzung von Migration wird es nur mit Schwarz-Gelb geben.“

Robert Habeck bemühte sich am Donnerstag trotzdem, die Tür nicht zuzuschlagen. Auch er zog eine scharfe Linie gegenüber solchen Taten. „Für meine Partei und für mich kann ich sagen, dass diese fürchterlichen Gewaltakte in keinster Weise tolerabel sind. Da gibt es kein Pardon und auch keine Rücksicht für Menschen, die hier das Asylrecht missbrauchen.“ Habeck fordert eine konsequente und auch selbstkritische Aufarbeitung der Fehler. Niemand solle jetzt kommen und sagen: „Eines weiß ich schon: Wir haben alles richtig gemacht“. Irgendetwas müsse schiefgelaufen sein. Vielleicht handle es sich auch um ein Zusammenspiel von Fehlern, in Bundesbehörden, im Bamf, im Bundesinnenministerium, vielleicht auch in bayerischen Behörden.

Der Kanzlerkandidat zog auch Parallelen zu den anderen Anschlägen in jüngster Zeit. Sie würden offenbar Ähnlichkeiten aufweisen. „Es muss gefragt werden, ob daraus nicht ein Muster abgeleitet werden kann, was die Betreuung von gewalttätigen, vielleicht psychisch instabilen jungen Männern angeht. Schaffen das die Kommunen? Ist es im Vollzug überhaupt möglich, solchen Hinweisen nachzugehen? Sind die Polizisten gut genug in der Lage, ihre Informationen auszutauschen?“ Gefragt nach den Forderungen von Merz, sagte Habeck: „Alles, was die Sicherheit im Lande voranbringt und europarechtskonform und auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht, ist ein guter Vorschlag und muss dann geprüft und analysiert werden.“ Wie weit das aus Sicht der Grünen gehen kann, ließ Habeck allerdings offen.

Wie schwer das für die Grünen noch werden kann, zeigten Reaktionen anderer Grünen-Politiker. Die Innenpolitikerin Irene Mihalic sagte Table.Briefings, das Verbrechen müsse „jetzt haarklein aufgearbeitet werden“. Dann aber betonte sie, ohne die Union zu nennen: „Populistische und unausgegorene Vorschläge aus der Hüfte bringen uns nicht weiter und vergrößern am Ende eher noch die Probleme, statt zu ihrer Lösung beizutragen.“ Dazu lenkte sie den Blick nach Bayern. Wichtig sei es, „dass die bayerische Staatsregierung die Fehler, die in den Behörden gemacht wurden, schnell identifiziert, damit sie abgestellt werden können“. Das zeigt, dass die Grünen nicht einfach mitmachen wollen, ohne mit den Fingern auch auf die Union zu zeigen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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