Entsetzen bei Rolf Mützenich, eine bebende Britta Haßelmann, erkennbare Verunsicherung bei Friedrich Merz und eine feixende AfD: Was am Mittwoch im Bundestag passiert ist, wird noch lange nachwirken. Dass die Union mit Unterstützung der AfD ihren Antrag zur Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts durchgesetzt hat, ließ im Parlament alle kurz innehalten. Mützenich sprach von einer „Zäsur“ und warf Merz vor, er sei an diesem Tag „aus der politischen Mitte ausgebrochen”.
Das gemeinsame Abstimmungsverhalten von Union, AfD und FDP wird den Wahlkampf und die Debatten der nächsten Wochen prägen. Von einem „historischen Tag im Negativen“ sprach Grünen-Fraktionschefin Haßelmann. Der hart kritisierte Merz bemühte sich um Schadensbegrenzung. Er ahnt, dass er mit dem Abstimmungserfolg einen Pyrrhus-Sieg errungen haben könnte. Wie zum Beleg applaudierte auch niemand aus der Unions-Fraktion zum Antragserfolg.
„Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedauere ich das“, sagte Merz. Nach der Verkündung des Ergebnisses erklärte er, alles dafür zu tun, „dass wir nie wieder in eine solche Lage kommen, wie wir sie heute diskutieren müssen“. Aber zentral sei die Entscheidung in der Sache: „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen.“ Er bot SPD und Grünen an, mit der Union in Gespräche zu gehen, um bei der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz am Freitag einen gemeinsamen Weg zu finden. Erkennbar will er eine Wiederholung einer Mehrheit mit Hilfe der AfD vermeiden. Die Chancen dazu stehen nach diesem Tag eher schlecht.
Bei der AfD erntete Merz für sein Bemühen, den Schaden zu begrenzen, nur Gelächter. Ihr erster PGF Bernd Baumann freute sich demonstrativ über einen „historischen Moment“ und machte sich über den CDU-Kanzlerkandidaten mit den „schlotternden Knien“ lustig. Dass der sich jetzt dafür entschuldige, zeige nur, dass er kein Kanzlerformat habe. „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche – und die führen wir an.“
Das Ergebnis könnte auch mögliche Koalitionsverhandlungen gefährden. „Ich kann mir Koalitionsgespräche mit der Union nicht mehr vorstellen“, hatten noch vor der Abstimmung gleich mehrere Abgeordnete von SPD und Grünen gegenüber Table.Briefings geäußert. „Wo endet das? Was kann man Merz noch glauben?“ Nach der Abstimmung wurden die Zitate noch schärfer. Mehrere Sozialdemokraten und Grüne kündigten intern an, dass sie Merz niemals zum Kanzler wählen werden. Darunter auch Abgeordnete, die mit einem solchen Bündnis geliebäugelt haben. Noch sind solche Stimmen Momentaufnahmen. Aber sie lassen erahnen, dass diese Woche viel verändern kann.
Der historische Einschnitt erhielt zusätzliches Gewicht durch den Tag, an dem er stattfand. Nur Stunden zuvor hatte der Bundestag in einer Sondersitzung den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Der Bundespräsident hatte vor Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit gewarnt. Der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman hatte in bewegenden Worten erzählt, wie er Angehörige verloren und dennoch überlebt hatte. Sichtlich berührt und nachdenklich lauschten die Abgeordneten dem Juden aus der Ukraine. Umso schärfer war der Bruch danach, als die Debatte über die Anträge begann.
Olaf Scholz brachte in seiner Regierungserklärung drei Kernbotschaften unter: Keines der Attentate hätte durch schärfere Gesetze verhindert werden können. Zudem widersprächen die Unions-Vorschläge nationalem und europäischem Recht. Vor allem aber: Merz kündige einen Grundkonsens auf. Und direkt an ihn gerichtet: „Ich hatte Ihren Zusicherungen wirklich geglaubt – was sind diese Worte jetzt noch wert?“ Von einem „Schicksalstag” sprach Robert Habeck und dass dies „der steile Weg in den Abgrund“ sei. Für den Grünen-Spitzenkandidaten ist mit diesem Mittwoch die Büchse der Pandora geöffnet: „In welcher Frage würde die Union nicht mehr gemeinsam mit der AfD abstimmen?“
Deutlich wird, dass Merz in der eigenen Truppe noch unter großen Druck geraten dürfte. Und das gleich zweifach. Acht Unionsabgeordnete – Monika Grütters, Thomas Heilmann, Roderich Kiesewetter, Yvonne Magwas, Astrid Timmermann-Fechter, Marco Wanderwitz, Sabine Weiss und Annette Widmann-Mauz – blieben der Abstimmung fern. Antje Tillmann stimmte gegen seinen Antrag. Zudem wurde exakt an diesem Tag bekannt, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zwei Anträge in den Bundesrat eingebracht hat, die die Forderungen von Merz noch verschärfen. Der CSU-Chef fordert unter anderem, „Abschiebungsgefangene“ nicht mehr ausschließlich in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, die Verantwortung für Abschiebungen dem Bund zu übertragen und Pflichtanwälte in Abschiebeverfahren abzuschaffen.