Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Januar 2025

Komplexer Sozialstaat: Warum eine Reform so schwer ist 

Bürokratie und ein Zuständigkeits-Gewirr haben den deutschen Sozialstaat ineffizient gemacht. Die Chefin des Kölner Sozialamts, Katja Robinson, erklärt die Probleme und fordert eine „Managementkultur“ für die Behörden.

Aus Sicht von Fachleuten hat sich das Sozialsystem in Deutschland so sehr in Bürokratie und unterschiedlichen Verantwortlichkeiten verheddert, dass der Spielraum für Veränderungen gegen null geht. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ist sogar zu dem Ergebnis gekommen, dass niemand ganz genau sagen kann, wie viele Sozialleistungen es in Deutschland überhaupt gibt. Der Auftraggeber der Analyse, der CDU-Politiker Kai Whittaker, sagte Table.Briefings: „Unser Sozialstaat ist ein undurchsichtiges, bürokratisches und teures Labyrinth geworden.“

Ein Blick in die Praxis zeigt, dass tiefgreifende Reformen kaum mehr möglich sind. Die Chefin des Kölner Sozialamts, Katja Robinson, kann darüber eine lange Geschichte erzählen. Und sie erklärt auch, wo ein Schlüsselproblem liegt: „Wenn ein Wirtschaftsunternehmen schlecht läuft, kann es insolvent gehen, die nicht lukrativen Bereiche abschalten und neu anfangen“, sagte sie Table.Briefings. Der Sozialstaat mit seiner Verwaltung aber könne das nicht. Aus Robinsons Sicht braucht es eine „Managementkultur“: Sie verlangt, mehr in Prozessen zu denken, statt nur Verfahren abzuarbeiten. „Das System ist so sehr auf Perfektion ausgerichtet, dass wir strukturell lernen müssen, loszulassen“, so die Juristin.

Keiner wolle Fehler machen. Weil jeder im Gesetz festgeschriebene Schritt „potenziell von Rechnungsprüfungsämtern, Rechnungshöfen und Gerichten geprüft wird“, sei das ganze Gefüge auf Rechtmäßigkeit und Einzelfallgerechtigkeit getrimmt. Robinson plädiert für eine engere Zusammenarbeit über die verschiedenen Teile des Sozialgesetzbuchs hinweg: Für die Umsetzung etwa des SGB II sind die Jobcenter zuständig, für das SGB III die Agenturen für Arbeit und für das SGB XII die Sozialämter. Bisher grenze sich jedes System mangels Ressourcen von dem anderen ab.

Ein strukturelles Problem liegt für sie auch im Föderalismus. Wenn in Berlin ein Gesetz verabschiedet ist, „wird das dort gefeiert – umsetzen müssen es aber andere“, sagte die Amtschefin. Im Zweifel setze das Land dann noch ein Ausführungsgesetz obendrauf, bevor es dann an die personell und finanziell unterbesetzten Kommunen gehe. Helfen würde aus Robinsons Sicht, wenn der Bund die Auszahlung von Leistungen zentral über die Finanzverwaltung abwickeln würde. Allein in Köln seien 400 von 950 Leuten nur damit beschäftigt, die Sozialhilfe zu berechnen, auszuzahlen und dazu zu beraten.

Einfach mal ein bisschen was „zu vereinfachen“, hält sie für unmöglich. Sie beklagt, dass „die Wirkung von Veränderungen in diesem komplexen System überhaupt nicht abschätzbar ist“. Das habe die Kindergrundsicherung gezeigt, bei der in der geplanten Form drei verschiedene Gerichtsbarkeiten zuständig gewesen wären: Sozial, Finanzen und Verwaltung. Zudem hat die Kommunalpolitik laut Robinson andere Sorgen als die Umsetzung von kompliziertem Bundesrecht. Auch CDU-MdB Whittaker, der das Gutachten zum Thema in Auftrag gegeben hatte, sieht Änderungsbedarf: Er fordert ein einziges System der Grundsicherung – bisher gibt es mit dem Bürgergeld auf der einen sowie Wohngeld und Kinderzuschlag auf der anderen Seite de facto zwei. Was der Bund aus Robinsons Sicht tun sollte, lesen Sie im Interview des Berlin.Table.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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