Analyse
Erscheinungsdatum: 10. September 2024

Die Grünen und die neue Asylpolitik: Knapp an der Zerreißprobe vorbei

Für die Grünen hätte ein Übereinkommen der Ampel mit der Union über eine härtere Asyllinie ein gewaltiges Dilemma bedeutet. Dementsprechend ist die Erleichterung nach dem Ende der Gespräche spürbar.

Das hat es schon länger nicht mehr gegeben: Die Ampel eng vereint. Obwohl man das schon so oft erlebt hat, erstaunt es einen doch immer wieder: Wenn der Gegner nur unangenehm genug ist, schließen sich die Reihen auch in einem schwierigen Bündnis. Und so präsentierten sich Nancy Faeser (SPD), Marco Buschmann (FDP) und Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstagnachmittag so geschlossen wie lange nicht mehr, als sie begründen mussten, dass sie im Asylkonflikt fürs Erste doch keinen gemeinsamen Weg mit der Union gefunden haben. Buschmann begründete sein Nein zum Unionsvorschlag mit größten rechtlichen Bedenken, Faeser erläuterte ihren Vorschlag zu grenznahen Asylzentren. Und Baerbock erklärte, warum sie einen Bruch mit anderen EU-Staaten befürchte. Wer um die Konflikte in der Ampel nicht weiß, hätte denken können, dass da drei Partner schon lange gut zueinandergefunden haben.

So ists natürlich nicht. Aber der Grünen Baerbock konnte man ansehen, wie gut ihr und ihrer Partei dieser gemeinsame Moment getan haben dürfte. Die Ministerin spricht von den beiden als ihre „geschätzten Kolleginnen und Kollegen“; ein Terminus, der in der Ampel rar geworden ist. Baerbock sagt, man müsse einen „kühlen Kopf bewahren“ und dürfe „sich nicht spalten lassen“, weil das Akteure von innen und von außen versucht hätten. Ihre Botschaft wird klar: Wir, die Ampel, lassen uns nicht spalten. Entgegen aller Erwartungen. Entgegen aller Erfahrung. Zumindest nicht heute.

Vor allem für die Grünen drohte der Konflikt zuletzt zu einer Zerreißprobe zu werden. Erst in der Nacht von Freitag auf Samstag hatte Vizekanzler Robert Habeck die verschärfte Asyl-Linie mit ausverhandelt und dabei neuerlichen Bauchschmerzen der eigenen Fraktion über das Wochenende hinweg Sorge getragen. Bei der Fraktionssitzung am Montag diskutierten die Grünen differenziert; einige äußerten angesichts der von Faeser angekündigten Maßnahmen Sorgen um Europa und um die migrantische Community, der die Debatte große Angst bereitet. Dennoch einigten sich die Grünen in ihrer Fraktionssitzung darauf, das Vorhaben mitzutragen, auch der Brandenburg-Wahl wegen.

Trotzdem könnte ein Mittragen scharfer Maßnahmen neuen Ärger provozieren. So wie im vergangenen Jahr, als die Grünen im Zuge der GEAS-Reform eine härtere Gangart Europas gegen Geflüchtete mittrugen. Teile der Parteiführung erklären seit langem, dass der GEAS-Streit auf dem kleinen Parteitag 2023 in Bad Vilbel geschlichtet worden sei. Doch das trifft nur sehr bedingt zu. Besonders die Grüne Jugend ging damals in Teilen schwer erbost nach Hause. Sie konfrontierten die Fraktion auch jetzt wieder mit Forderungen gegen die Asyl-Linie. Andere aus der Grünen-Basis stellen sich offen gegen ihre Führung. „Den Allerärmsten noch die Butter vom Brot nehmen? Abschieben nach Afghanistan und Syrien? Grenzkontrollen in Europa? Kein Klimageld, keine Kindergrundsicherung?“, schrieb etwa die Dresdner Stadträtin Susanne Krause. „Wenn ihr nicht langsam die Kurve kriegt, zurück zu der Partei, die Menschen- und Freiheitsrechte hochhält, habt ihr mich bald verloren.“

Ähnlich streng klingen manche Mandats- und Funktionsträger im Bund. Allerdings richten sie ihre Kritik nicht an die eigene Führung, sondern lenken auf die Union. Ihr Argument: die Angst vor einer Zerstörung Europas. „Der Vorschlag von Friedrich Merz zu Zurückweisungen durch eine Notlage würde Europa zerstören“, twitterte Parteichefin Ricarda Lang. Die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge warnten davor, das Europa der Freizügigkeit, Freiheit und Freundschaft nicht zu gefährden. Ähnlich äußerten sich Fraktions-Vize Andreas Audretsch, Bundesgeschäftsführerin Emily Büning und eine Reihe weiterer Bundestagsabgeordneter.

Dem designierten Spitzenkandidaten Robert Habeck zeigt das, wie komplex und heikel die Lage nach wie vor ist. Er ist auf geschlossene Reihen bei den Grünen angewiesen und muss sich zugleich offen halten für künftige Koalitionsoptionen. Dank der ausnahmsweise geschlossenen Ampel und seiner aktuell guten Kooperation mit Baerbock können beide am Ende dieses Dienstags verkünden: Wir haben nicht blockiert, sondern zusammengehalten. Die Zerreißprobe ist ausgeblieben. Zumindest vorerst.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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