Als ein Kernproblem des Sozialstaats gilt, dass vier Ministerien für die zentralen Leistungen zuständig sind : das BMAS für das Bürgergeld, das BMFSFJ für das Elterngeld, das BMWSB für das Wohngeld und das BMF für das Kindergeld. Das führt dazu, dass große Reformen – wie zuletzt beim Bürger- und Wohngeld – getrennt voneinander verabschiedet werden, ohne die Wechselwirkungen zu berücksichtigen.
Die fehlende übergreifende Steuerung bemängelte auch der Normenkontrollrat in seinem Gutachten „Wege aus der Komplexitätsfalle“. Anfang Januar sprach sich Christian Lindner nun dafür aus, mehrere Ministerien zusammenfassen – dabei bezog er sich neben BMAS und BMFSFJ allerdings auf das BMG. Friedrich Merz wiederum wollte Wirtschaft und Arbeit vereinen, zuletzt war davon aber nicht mehr viel zu hören.Die FDP geht in Sachen Vereinheitlichung noch weiter. Sie will die Zusammenfassung aller steuerfinanzierten Sozialleistungen wie Bürgergeld und Wohngeld in einer Leistung und bei einer Behörde. Das forderte die Partei schon 2005 – unter dem Namen „Liberales Bürgergeld“. Das greift eine zentrale Forderung von Fachleuten auf. Es geht um einen sogenannten One-Stop-Shop, der einheitlich berät, Daten erfasst und automatisiert Anträge vorprüft, um die Verwaltung zu entlasten.
In der Praxis bleibt Deutschland aber sehr weit entfernt davon, obwohl es jetzt schon im Bundestag eine Mehrheit dafür geben dürfte. Es hakt nicht nur in Sachen Digitalisierung, sondern auch bei elementaren Voraussetzungen für Automatisierung, etwa beim noch immer uneinheitlichen Einkommensbegriff im Sozialrecht. Deswegen machten zuletzt sowohl die Kommunen – konkret die Sozialämter von 18 Großstädten – als auch die Länder – in Form der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) – Druck, dass es vorangeht.
Die ASMK wählte in ihrem im Dezember beschlossenen Leitantrag deutliche Worte: Eine – in Wahrheit jetzt schon gegebene – Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Sozialdienststellen „würde zu einer tiefen Vertrauenskrise in den Sozialstaat und die Demokratie in Deutschland führen“. Zusammen mit Bund und Kommunen starten die Länder deshalb eine „Zukunftsinitiative“, in deren Fokus etwa die Pauschalierung von Leistungen – im Unterschied zur bisher propagierten Einzelfallgerechtigkeit – steht.
Vermieden werden sollen auch die permanenten Kostenausgleiche, die für Streit sorgen und die Sozialgerichte belasten. Hier geht es beispielsweise darum, dass eine Behörde in Vorleistung geht und sich das Geld hinterher von dem Träger erstatten lässt, der eigentlich zuständig wäre. An einem ähnlichen Punkt setzt die FDP an: Sie plädiert dafür, dass Steuern und Sozialleistungen direkt miteinander verrechnet werden. Es könne nicht sein, dass arbeitende Personen erst Steuern zahlen, um anschließend Sozialleistungen bei einer steuerfinanzierten Behörde beantragen zu müssen, heißt es mit Blick auf Bürgergeld-Aufstocker im Wahlprogramm.
Zudem wollen die Liberalen die Zuverdienstgrenzen anpassen, um Arbeitsanreize zu erhöhen: Je mehr man neben dem Leistungsbezug verdient, desto mehr soll man behalten dürfen. Auch würde die Partei geringere Beitragszahlungen in die Arbeitslosenversicherung zulassen. Dies hätte einen geringeren Anspruch auf Arbeitslosengeld zur Folge. Der dadurch verringerte Arbeitgeberbeitrag würde dann netto an den Arbeitnehmer ausgezahlt, so der Plan.
Außerdem schlägt die Partei ein staatlich gefördertes Altersvorsorgedepot vor, hier hatte das BMF unter Lindner bereits einen Entwurf vorgelegt. Dazu käme eine individuelle Aktienrente – bei der anders als beim Generationenkapital ein Teil der persönlichen Rentenbeiträge angelegt würde – und eine Abschaffung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Jeder solle bei entsprechenden Zu- oder Abschlägen wie in Schweden selbst entscheiden, wann er in Rente geht, heißt es im Programm. Aber nur, „sofern dann keine Sozialleistungen beantragt werden müssen“.
Grundlegende Änderungen im Bereich Arbeit und Soziales will auch die Union erreichen. Zum einen fordert sie in ihrem Wahlprogramm Sozialleistungen „aus einer Hand“, allerdings ohne das genauer auszuführen. Zudem will sie wie die FDP die tägliche durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. Vollzeitbeschäftigte wiederum sollen auf Überstundenzuschläge keine Steuern zahlen, was zuletzt auch die Ampel-Koalition vorgesehen hatte.
Viele Vorschläge betreffen die Altersvorsorge, darunter die Einführung einer „Frühstart-Rente“. Demnach würde der Staat für Kinder zwischen 6 und 18 Jahren pro Monat zehn Euro in ein kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen. Anschließend soll jeder in sein Depot bis zum Renteneintritt selbstständig weiter einzahlen können und das Geld nicht vor Erreichen der Regelaltersgrenze ausgezahlt bekommen.
Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll zudem auf bis zu 2.000 Euro im Monat keine Steuern zahlen müssen. Außerdem möchten CDU und CSU das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot für Menschen im Rentenalter abschaffen. Bisher darf ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht ein zweites Mal sachgrundlos befristet beschäftigen, wenn er zuvor schon unbefristet dort tätig war.
Darüberhinaus will die Union Selbstständige, die nicht schon zum Beispiel durch ihre Berufskammern abgesichert sind, zum Abschluss einer Altersvorsorge verpflichten. Auch das hatten schon SPD, Grüne und FDP vor, und zwar im Rahmen eines Rentenpakets III. Durch das Ampel-Aus kam es aber bekanntlich nicht mal mehr zum Rentenpaket II.