Analyse
Erscheinungsdatum: 24. März 2021

Berlin: Pekings Sanktionen sind "unangemessene Eskalation"

Einige EU-Länder reagieren auf Pekings Sanktionen mit der Einbestellung der Botschafter - auch in Berlin gab es ein Gespräch mit Wu Ken. Im Europäischen Parlament formiert sich indes weiter Widerstand gegen das Investitionsabkommen CAI: Zuerst müssten die Strafmaßnahmen gegen EU-Parlamentarier zurückgenommen werden, ehe über das Abkommen gesprochen werden könne, betonen Grüne und Sozialdemokraten. Die große EVP-Fraktion und die EU-Kommission halten aber weiter an CAI und dessen Ziel fest.

Nach Pekings Sanktionen gegen Politiker, Organisationen und Wissenschaftler haben die diplomatischen Konsequenzen mehrere europäische Hauptstädte erreicht - darunter Berlin: „Der chinesische Botschafter, Wu Ken, wurde heute zu einem dringenden Gespräch mit Staatssekretär Miguel Berger gebeten", hieß es auf Anfrage von China.Table aus dem Auswärtigen Amt. Im Gespräch habe Berger die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben, dass die Strafmaßnahmen "eine unangemessene Eskalation darstellen, die die Beziehungen zwischen der EU und China unnötig belasten". Der Schritt sei "inhaltlich nicht nachvollziehbar" und müsse umgehend rückgängig gemacht werden.

Paris und Brüssel gingen noch einen Schritt weiter, dort wurde die jeweiligen chinesischen Botschafter offiziell einbestellt. Cao Zhongming, Chinas Botschafter in Belgien, sei wegen der Sanktionen gegen ein Mitglied der belgischen Abgeordnetenkammer, Samuel Cogolati, in das Außenministerium einbestellt worden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Regierungsquellen. Belgiens Vize-Premier- und Außenministerin Sophie Wilmès hatte die Sanktionen gegen Cogolati bereits am Montag scharf verurteilt und angekündigt, dass sie das Thema mit anderen EU-Kollegen "weiter verfolgen" werde.

In der französischen Hauptstadt wurde Chinas Botschafter Lu Shaye in den Quai d'Orsay einbestellt. Am Dienstagvormittag sei Lu auf Ersuchen von Frankreichs Chef-Diplomaten Jean-Yves Le Drian über alle vorliegenden "Beschwerden" informiert worden, berichtete die Tageszeitung La Depeche.

Zwischen Paris und Peking brodelt es derzeit nicht nur wegen der Sanktionen, die auch den französischen Europa-Abgeordneten und Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des EU-Parlaments, Raphaël Glucksmann, betreffen. Botschafter Lu und auch der Twitter-Account der chinesischen Botschaft in Frankreich teilen regelmäßig gegen Kritiker aus. Zuletzt wurde der Wissenschaftler Antoine Bondaz, der für den renommierten Thinktank The Foundation for Strategic Research arbeitet, auf Twitter angegangen und als "verrückte Hyäne", "ideologischer Troll" und "Kleinganove" beschimpft.

Der Asien-Direktor des Quai d'Orsay, Bertrand Lortholary, teilte Lu dem Bericht zufolge mit, dass die Methoden der Botschaft und der Ton "völlig inakzeptabel" seien und "allgemein akzeptierte Grenzen" überschritten wurden. Zudem sei Lu die Missbilligung der Sanktionen aus Peking mitgeteilt worden.

Peking bestellte im Gegenzug den EU-Botschafter in China, Nicolas Chapuis, ein, wie Staatsmedien berichteten. Der stellvertretende chinesische Außenminister Qin Gang habe dabei "die jüngsten Sanktionen der EU gegen China wegen sogenannter Menschenrechtsfragen in Xinjiang" angeprangert, berichtete die Partei-Zeitung Global Times.

Derweil formiert sich im Europäischen Parlament heftiger Widerstand gegen das Investitionsabkommen CAI. Die Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, die deutsche Abgeordnete Ska Keller und der Belgier Philippe Lamberts, erklärten: "Solange die Sanktionen der chinesischen Führung in Kraft sind, können wir nicht einmal in Erwägung ziehen, das Investitionsabkommen auf die Tagesordnung des Europäischen Parlaments zu setzen."

Es sei ein Fehler der EU-Kommission und der EU-Regierungen gewesen, die Verhandlungen vorschnell voranzutreiben, der chinesischen Führung sei nicht zu trauen, wenn sie Abgeordnete des Europäischen Parlaments gezielt angreife, so die Grünen-Fraktionsvorsitzenden. Auch die sozialdemokratische S D-Fraktion des EU-Parlaments forderte die Aufhebung der Sanktionen gegen Europa-Abgeordnete als Voraussetzung, um weiter über das CAI zu sprechen.

Iuliu Winkler, ständiger Berichterstatter des Handelsausschusses zu China und Mitglied der großen EVP-Fraktion im Europaparlament, betonte jedoch, dass vor einer möglichen Ratifizierung noch viel Zeit bleibe - derzeit liege das CAI gar nicht auf dem Tisch. "Gleichzeitig haben sich die wirtschaftlichen Realitäten und die grundlegenden Ziele, für die CAI ausgehandelt wurde, nicht geändert", so Winkler.

Winkler erklärte, die Sanktionen seien nicht in Bezug auf die CAI-Verhandlungen oder den Inhalt der Vereinbarung verhängt worden. Sie seien "vielmehr das Ergebnis einer breiteren Asymmetrie in der Wahrnehmung von Menschenrechten und Regierungsführung in China." Er räumte ein, dass die Sanktionen jedoch zu einem Rückgang des Vertrauens zwischen den beiden Akteuren führten. "Die Auswirkungen werden auf breiter Front sichtbar sein, und der Schritt ist sicherlich nicht vorteilhaft für eine bilaterale Agenda, die auf Zusammenarbeit beruht", sagte Winkler.

Auch die Sprecherin der Generaldirektion für Handel der Europäischen Kommission, Miriam García Ferrer, betonte, dass die Sanktionen nicht hilfreich seien, eine konstruktive Beziehung zu China aufzubauen - am CAI werde aber dennoch festgehalten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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