Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2025

Arbeit und Soziales: Die größten Baustellen von Bärbel Bas

Sie verantwortet den größten Etat und gilt als eine der mächtigsten Frauen in der neuen Regierung. Ein Überblick über Aufgaben und Debatten, die auf die neue Arbeitsministerin zukommen.

Die ersten Wortmeldungen von Bärbel Bas deuten darauf hin, dass sie den abwägenden Kurs von Hubertus Heil fortführen will. Das Bürgergeld werde nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt, sagte sie bei Maischberger. Die Schwierigkeit bei Verschärfungen sei, eine Regelung zu finden, „die die Richtigen trifft und nicht die anderen bestraft, die es richtig in Anspruch nehmen“. Im Interview mit der Funke-Mediengruppe sagte sie, die Sanktionen werde man „anschärfen, wenn dies angezeigt ist“. Eine Komplettstreichung der Sozialleistung inklusive Wohnkosten sei nicht möglich, weil der Staat das Existenzminimum sichern müsse. „Ich werde nicht das Risiko eingehen, dass die Reform des Bürgergelds von den Sozialgerichten kassiert wird“, so Bas.

Das dürfte noch für Diskussionen mit der Union sorgen. Im Koalitionsvertrag ist ein „vollständiger Leistungsentzug“ angekündigt für Menschen, „die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“. Der ist für maximal zwei Monate schon seit 2024 möglich, wobei die Vorgaben aus Karlsruhe so eng sind, dass er in der Realität kaum vorkommt. Die Kosten der Unterkunft sind zudem ausgenommen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Das mit der offiziellen Bürgergeld-Evaluation betraute IAB betont zudem, eine Sanktion sei kein Allheilmittel. Laut Direktor Bernd Fitzenberger „garantiert sie keinen Übergang in Beschäftigung, geschweige denn in stabile und bedarfsdeckende Beschäftigung“. Den Vermittlungsvorrang wiedereinzuführen bei Personen, die nicht ernsthaft daran arbeiten, ihre Hilfebedürftigkeit zu überwinden, sei richtig. Bei niedrigem Qualifikationsniveau sollte aber eine abschlussbezogene Weiterbildung im Fokus stehen, so Fitzenberger.

Hier kommt es darauf an, ob Union und SPD die versprochene ausreichende Finanzierung der Jobcenter gewährleisten. Helfen soll dabei auch der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer (PAT). Dieses bisher nur als Haushaltsvermerk verankerte Instrument soll gesetzlich verstetigt und bei mehr Fördermaßnahmen als bisher angewandt werden. Dabei wird das Bürgergeld, die passive Leistung, zur anteiligen Förderung einer Beschäftigung, der aktiven Leistung, genutzt. Für 2025 sind maximal 700 Millionen Euro vorgesehen, 2024 waren es rund 285 Millionen Euro. Laut BMAS kommt der PAT in Form von Pauschalen in fast allen Jobcentern zum Einsatz. Er könne aber nicht eine „auskömmliche Ausstattung des Eingliederungstitels“, also der Mittel für die Integration in den Arbeitsmarkt, ersetzen.

IAB-Chef Fitzenberger mahnt denn auch zur Vorsicht. Eine PAT-Ausweitung sei grundsätzlich positiv, dürfe aber nicht zu viel Bürokratie zur Folge haben durch die verschiedenen Töpfe, auf die man zugreifen muss. Zudem brauche es klar abgegrenzte Zielgruppen für die Lohnsubvention, um Mitnahmeffekte bei Arbeitgebern zu vermeiden. Auch bei Jobcentern drohen laut IAB Fehlanreize – etwa, wenn sie durch die zusätzlichen Mittel auf öffentlich geförderte Beschäftigung setzen, obwohl es im Einzelfall vielleicht einen anderen Weg gäbe, um jemanden in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren.

Schon das erste Printinterview von Bärbel Bas wenige Tage nach Amtsantritt sorgte für scharfe Reaktionen von CDU und CSU. Der Funke-Mediengruppe hatte Bas gesagt, auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige sollten in die Rentenversicherung einzahlen. Das war an sich nichts Neues, schon Hubertus Heil hatte das mehrmals ins Spiel gebracht – wenn auch etwas weniger deutlich. Von den Grünen, Linken und den Sozialverbänden, die eine solche „Bürgerversicherung“ schon lange befürworten, gab es Zustimmung. Von „populistischem Unfug“ sprach dagegen Christoph Ahlhaus, Vorsitzender des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft und CDU-Mitglied. Der Beamtenbund wies den Vorschlag ebenfalls zurück. Der Noch-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach hatte kürzlich in einem Gastbeitrag für Table.Briefings erläutert, warum. Martin Werding vom Sachverständigenrat Wirtschaft sprach sich an gleicher Stelle dafür aus. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sagte zu Bas' Vorschlag, weder löse er die Probleme in der Rentenversicherung noch sei er vom Koalitionsvertrag gedeckt.

Das stimmt nur zum Teil. Neue Selbstständige, die nicht wie Landwirte und Angehörige von Kammerberufen schon verpflichtend versichert sind, sollen laut Vereinbarung durchaus einbezogen werden. Schon im Satz darauf steht allerdings, andere Formen der Altersvorsorge, „die eine verlässliche Absicherung (...) gewährleisten“, würden weiter möglich bleiben. Wie das vereinbar sein soll, ist unklar. Bei den anderen Plänen dürfte es zumindest zu Beginn weniger Streitpotenzial geben: Das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent wird bis 2031 gesichert und die Möglichkeit zum abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren („Rente mit 63“) bleibt erhalten. Das Renteneintrittsalter wird nicht erhöht. Die betriebliche Altersvorsorge soll reformiert werden mit dem Ziel, mehr Menschen eine zusätzliche Absicherung zu bieten. Außerdem sollen finanzielle Anreize dazu führen, dass Menschen länger arbeiten.

Wieder einmal geplant ist außerdem eine Rentenkommission. Ihre Aufgabe: bis zur Mitte der Legislatur eine „neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen prüfen“. Gemeint sind damit die gesetzliche Versicherung sowie die betriebliche und die private Altersvorsorge. Der Bericht der letzten Kommission erhielt kaum Aufmerksamkeit. Das lag allerdings auch daran, dass er im März 2020 vorgestellt wurde – kurz nach Beginn der Corona-Pandemie. In seiner Kritik an Bas' Vorstoß zum Versichertenkreis sagte Hoffmann von der CSU, sie solle nicht versuchen, der Kommission „alte SPD-Ideen als zukünftiges Ergebnis vorzuschreiben“. Im Interview hatte die Ministerin gesagt, die Einnahmeseite der Versicherung müsse verbessert werden. Die Ausgestaltung obliege aber dem Fachgremium. Ein Teil des Konflikts wurde also in die Zukunft verschoben.

Die Pläne, statt einer täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einzuführen, sorgten schon SPD-intern beim Mitgliederentscheid für Diskussionen. In der Ampel-Koalition hatte Heil ähnliche FDP-Forderungen nach einer Flexibilisierung, die vage auch im Koalitionsvertrag festgehalten waren, noch ausgesessen. Diesmal wird das für die Sozialdemokraten schwerer, auch wenn im Vertrag nur von „wollen“ und nicht von „werden“ die Rede ist. Im Gespräch mit Sandra Maischberger sagte Bas auf Nachfrage, sie könne dem Vorhaben wenig abgewinnen, es stamme ja aber auch nicht von der SPD. Manche Branchen hätten tatsächlich Probleme mit einem „starren Achtstundentag“, aber in belasteten Bereichen wie die Pflege dürften Änderungen nicht ausgenutzt werden.

Klar ist: Die Gewerkschaften, die über die konkrete Ausgestaltung mitentscheiden sollen, werden hier Druck machen. Schon am 1. Mai hieß es von DGB-Chefin Yasmin Fahimi und ihrem Vorstand unisono „Hände weg vom Arbeitszeitgesetz!“ Die Hans-Böckler-Stiftung betonte kürzlich, eine Deregulierung der täglichen Arbeitszeit könne bestehende gesundheitliche Probleme bei Beschäftigten verschärfen. Sie kann sich dabei auf offizielle Erkenntnisse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stützen, wonach lange Arbeitszeiten mit mehr gesundheitlichen Beschwerden einhergehen. Entgrenzte Arbeitszeiten stünden zudem der Gleichstellung von Mann und Frau etwa mit Blick auf die unbezahlte Arbeit zu Hause entgegen, so die Stiftung. Für Frauen, die Teilzeit arbeiten, werde eine Ausweitung der Arbeitszeit zudem schwerer, wenn etwa der vollzeitbeschäftigte Partner länger arbeitet und dadurch noch weniger Zeit für Sorgearbeit hat.

Die Regierungsparteien haben vereinbart, niemand dürfe zu längerem Arbeiten gezwungen werden. Man werde Missbrauch ausschließen. Wie das konkret sichergestellt werden soll, ist bisher nicht bekannt. Die SPD legt viel Wert auf die geplante elektronische Erfassungspflicht von Arbeitszeiten. Diese leitet sich ab aus Urteilen von EuGH (2019) und Bundesarbeitsgericht (2022) und soll gegen Betrug helfen. Erleichtern würde sie auch die von der CDU durchgesetzte Bestimmung, dass auf Überstundenzuschläge keine Steuern gezahlt werden müssen. Das Problem schon bisher: Die meisten Überstunden sind unbezahlt. Laut IAB waren es 2024 637,6 Millionen im Vergleich zu 552,3 Millionen bezahlten.

Neben dem steuerfinanzierten Bürgergeld gibt es das aus Beiträgen gespeiste Arbeitslosengeld (ALG1). Und die wirtschaftliche Lage führte zuletzt dazu, dass die BA viel davon auszahlen muss. Ende April warnte Vorstandschefin Andrea Nahles erneut davor, dass die Agentur 2025 ein Defizit einfahren könnte. Von Januar bis März gab die BA mehr als 6,5 Milliarden Euro für das ALG1 aus, gut eine Milliarde mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Noch hat sie Rücklagen, aber nur etwas mehr als drei Milliarden Euro. Das IAB empfahl in der Vergangenheit mindestens 25 Milliarden Euro.

Bereits Ende 2024 hatte die amtierende BA-Verwaltungsratsvorsitzende, Christina Ramb von der BDA, im Interview mit Table.Briefings die Bundesregierung kritisiert: Auch durch von der Politik verantwortete Kostensteigerungen werde man in diesem Jahr ins Minus rutschen. Sie bezog sich damit etwa auf die im Januar in Kraft getretene Verlagerung der Zuständigkeit für Reha und Fortbildungen von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen. Das entlastet den Bundeshaushalt, kostet aber die Beitragskasse rund eine Milliarde Euro. Der Bundesrechnungshof schrieb in seinem Bericht zum BA-Haushalt 2025, die Behörde habe nur geringe Rücklagen, um Mehrbelastungen zu tragen. Daher bestehe das Risiko, dass der Bund der BA „auch Ende 2025 Liquiditätshilfen gewähren muss“.

Neben Nahles und Ramb warnte auch die Arbeitnehmerseite zuletzt davor, der Bundesagentur immer wieder Kosten aufzubürden. Man könne sie nicht „je nach Tageslage auspressen wie eine Zitrone“, sagte DGB-Vorständin Anja Piel im vergangenen Jahr. Der Koalitionsvertrag sieht jedenfalls wieder neue Aufgaben für die BA vor: Sie soll etwa mitwirken bei der Schaffung einer digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung („Work-and-stay-Agentur“) inklusive zentraler IT-Plattform. Darüber hinaus soll sie ab 2028 dauerhaft die Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung für Personen mit ausländischen Berufsqualifikationen übernehmen. Das derzeitige Angebot wird im Rahmen eines Modellvorhabens aus 2027 auslaufenden Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert.

Die „Verwaltungsmodernisierung von Sozialleistungen“ werde man zur Blaupause für die Staatsmodernisierung insgesamt machen, heißt es im Koalitionsvertrag. Schon Ende 2025 soll ein Konzept vorgestellt werden, das Ziel ist sehr ambitioniert: „sozialrechtliche Grundlagen, Verfahren und Zuständigkeiten konsequent zusammenführen und vereinfachen“. Schon die Ampel-Koalition hatte Ähnliches vor. Statt von konkreten Fortschritten wurde die Debatte aber von der Frage dominiert, wann IBAN und Steuer-ID endlich verknüpft werden könnten, um Auszahlungen von Leistungen wie dem Klimageld möglich zu machen.

Diverse Gutachten haben inzwischen Empfehlungen, aber auch die Komplexität des Ganzen aufgezeigt. Zentrale Begriffe wie „Einkommen“ und sogar „Kind“ sind im Sozialrecht nicht einheitlich definiert. Nicht einmal, was alles als Sozialleistung zählt, ist laut des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags klar – dementsprechend auch nicht, wie viele es insgesamt gibt. Im Interview mit Table.Briefings legte die damalige Leiterin des Kölner Sozialamts ausführlich dar, warum das System so schwer zu reformieren ist. Inzwischen ist sie als Professorin an die Katholische Hochschule für Sozialwesen in Berlin gewechselt.

Zuvor hatte sie mit den Leiterinnen und Leiterin der Sozialämter von rund 20 weiteren Großstädten einen Appell zur „Entbürokratisierung und Transformation des deutschen Sozialstaates“ verfasst. Dort sind konkrete Handlungsempfehlungen zu finden, die auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) im Leitantrag zu ihrem Treffen im Dezember 2024 aufgriff. Darin beschlossen die Länder auch den Start einer „Zukunftsinitiative“ mit Bund und Kommunen, in dem Rahmen stellte auch der Normenkontrollrat sein Gutachten zum Thema vor.

Bei all der schon bekannten Expertise stellt sich die Frage, was die von der Bundesregierung vorgesehene Kommission zur Sozialstaatsreform noch Neues zu Tage fördern soll. Ein mögliches Problem, über das nicht alle in der Politik gern öffentlich reden: Würden alle Berechtigten ihnen zustehende Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch nehmen, kämen auf den Staat erhebliche Mehrkosten zu. Dabei lautet das offiziell ausgegebene Ziel, den Zugang durch Digitalisierung und Automatisierung so einfach wie möglich zu gestalten. Spannend wird des Weiteren die Frage, ob die Parteien ihr bisheriges Mantra, dass bei Reformen niemand schlechtergestellt werden dürfe, irgendwann aufgeben. Fachleuten zufolge könnte dies nötig werden, um eine sinnvolle Neuaufstellung des Gesamtsystems zu erreichen.

Einen Überblick über die größten Baustellen von Verena Hubertz, als neue Ministerin zuständig für den Bereich Bauen und Wohnen, finden Sie hier.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, derzeit sei das Bamf für die die Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung für Personen mit ausländischen Berufsqualifikationen zuständig. Richtig ist: Das Bamf administriert das Förderprogramm IQ – Integration durch Qualifizierung , aus dessen Mitteln die Beratung finanziert wird. Zuständig ist die Bundesagentur für Arbeit. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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