Analyse
Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2024

Ampel vor dem Aus? Welche Szenarien es gibt – und wer in welcher Ausgangslage agiert

Austritt, Vertrauensfrage, Rauswurf – es gibt drei Szenarien, wie die Ampel-Koalition vorzeitig ihr Ende finden könnte. In den Parteizentralen werden sie längst durchdekliniert. Verbunden mit der Abwägung, welchen Nutzen und Schaden ein Koalitionsbruch mit sich bringen könnte.

Die Spekulationen sind schon lange nicht mehr neu, aber sie bekommen von Tag zu Tag mehr Gewicht: Wie lange will diese Ampel so weiter machen? Wer kommt wann zu dem Schluss, dass es vorbei sein muss? Und was passiert dann in den drei Ampel-Parteien? Wir schildern drei mögliche Szenarien, beschreiben die jeweilige Ausgangslage und schildern außerdem, wann auch der Kanzler schon einmal über einen Bruch nachgedacht hat.

Es ist die wahrscheinlichste Variante. Jedenfalls, wenn die Liberalen ihre vielen Andeutungen ernst nehmen. Christian Lindner sagte im heute journal, er habe keine Vorsätze, die Koalition zu beenden, wenn alle sich an den Koalitionsvertrag halten, fügte jedoch an: „Aber klar ist, wenn das, was das Land braucht, dringlicher wird und das, was politisch erreichbar ist, kleiner wird, dann müssen alle sich die Karten legen.“ Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wurde noch klarer. Im Podcast Ronzheimer sagte er auf die Frage nach einem Ampel-Aus: „Ich habe eine persönliche Meinung dazu. Die würde ich auch in den Gremien dann auch in den nächsten Tagen auch so artikulieren.“

Fraglich ist der Zeitpunkt. Bislang galt die Bereinigungssitzung am 14. November oder spätestens die Verabschiedung des Haushalts im Bundestag am 29. November als heikelstes Datum. In der Koalition verdichten sich jedoch die Hinweise, dass es schon in der kommenden Woche so weit sein könnte. Möglicherweise könnte Lindner einen bislang für Mittwoch geplanten Koalitionsausschuss nutzen, um anschließend zu erklären, dass sich die Wirtschaft mit diesem Bündnis nicht mehr retten lässt. Ob das geplante Spitzentreffen tatsächlich stattfindet, ist nach Informationen von Table.Briefings aber noch offen.

Diese Variante würde der Kanzler sehr wahrscheinlich mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts am 29. November verknüpfen. Verbunden mit klaren Vorstellungen für zusätzliche Investitionen auf Pump, die der Finanzminister bislang vehement ablehnt. Ziel wäre es, die eigene Position klar zu benennen, um die Liberalen dann zu einem Ja (also einem Kurswechsel) oder (viel wahrscheinlicher) zu einem Nein zu zwingen.

Selbst wenn in der kommenden Woche mit einer Wahl von Donald Trump viele Rahmenbedingungen womöglich ganz neu gedacht werden müssen, ist die Chance gering, dass Lindner von seinem Kurs in dieser Frage abweicht. Zu sehr hat er sein persönliches Schicksal mit der Verteidigung der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form verbunden. Immer wieder. Öffentlich und auch intern. Voraussichtliches Ergebnis deshalb: Scholz würde die Abstimmung verlieren und im Anschluss den Bundespräsidenten bitten, das Parlament aufzulösen. Im Umfeld des Kanzlers gilt dies als „Worst-Case-Szenario“. Ausgeschlossen ist es nicht. Zumal der Bundespräsident in diesem Moment kaum Sorge haben müsste, dass es sich um eine „unechte Vertrauensfrage“ handeln könnte.

Der Kanzler müsste argumentieren, dass er die vier Minister aus staatspolitischer Verantwortung entlässt und mit einer Minderheitsregierung weitermacht. Ohne verabschiedeten Haushalt hieße das allerdings, dass die Regierung mit einer „vorläufigen Haushaltsführung“ agieren müsste, bei der bereits genehmigte Programme, Gehälter und Mieten im öffentlichen Dienst und gesetzliche Leistungen weiterbezahlt, aber neue Investitionen nur in eng begrenztem Rahmen getätigt werden können.

Aktuell gilt das als unwahrscheinlichste Variante. Zum einen, weil Lindner das als Bruch am liebsten wäre, weil er den Kanzler dann als unverantwortlich geißeln könnte und er nicht selbst derjenige wäre, der aufgibt. Zum anderen muss das Kanzleramt die internationalen Reaktionen im Blick behalten – und müsste damit rechnen, dort aufgrund der großen Krisen weltweit auf Unverständnis zu stoßen. In der SPD freilich wächst die Zahl derer, die eine FDP, die dem Kanzler auf der Nase herumtanzt, noch schlimmer fänden. Richtig ist zudem, dass Scholz selbst diese Idee vor der Sommerpause im kleinen Kreis schon mal durchgespielt hat. Teilnehmer der damaligen Runde sagen sogar, er habe das damals offensiv vorgeschlagen.

Für die SPD und den Kanzler ist die Lage eigentlich einfach: Olaf Scholz würde am liebsten erhaben und cool bis zum Ende durchhalten. Und auf diese Weise das Image des Staatsmanns, der auch in schweren Zeiten Stabilität ausstrahlt, in den nächsten Wahlkampf gehen. Mit diesem Selbstbild ist er angetreten; und mit ihm will er das Amt auch zu Ende bringen. Allein: Irgendwann ist auch seine Geduld und Absorbierfähigkeit von Provokationen aufgebraucht. Eine Schwelle, die in seiner SPD schon längst erreicht ist. Hier werden vor allem Lindners Aktionen und Nein-Rufe als offener Affront erlebt. Deshalb stellen in der Partei immer mehr Leute die Frage, wie lange sich Scholz das von Lindner noch gefallen lassen will.

Hinzu kommt für Scholz persönlich etwas Zweites. Nach den Treueschwüren von Parteichef Lars Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius sitzt Scholz noch fest im Sattel. Würde die Ampel vorzeitig enden, wäre er bei einem schnellen Wahlkampf deshalb unangreifbar. Dümpelt die Ampel dagegen noch monatelang in ihrem schlechten und immer noch schlechteren Image weiter, dann könnten Treueschwüre alt und überholt werden. Noch dazu dann, wenn die Beliebtheit des Verteidigungsministers anhält.

Für die Grünen könnte ein baldiges Ende der Ampel eigentlich zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Die Neuaufstellung des Bundesvorstands muss erst noch bestätigt werden; und das Ringen um Strategie und Wahlkampfkurs ist trotz Habecks faktischer Nominierung noch nicht abgeschlossen. Hinzu kommt, dass die Spaltung in Realos und Linke wieder aufgebrochen und noch lange nicht wieder aufgelöst ist. Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass man bei den Grünen im Augenblick zwar viel Frust verspürt, aber keine offensive Lust, das Bündnis von sich aus aufzugeben.

Und doch: Sollte es, auf welchem Wege auch immer, zu einem Bruch kommen, könnte Habeck davon auf erstaunliche Weise profitieren. Schneller als es auf anderem Wege möglich wäre, könnte die Partei zusammenrücken und auf ansonsten sicher zu erwartende Debatten über Strategie und inhaltliche Ausrichtung weitgehend verzichten. Nichts diszipliniert viele Funktionäre mehr als der Zwang, für einen schnellen Wahlkampf zusammenzurücken. Zumal dann, wenn die Partei wie aktuell damit rechnen muss, von nahezu allen Parteien besonders attackiert zu werden. Waren die Grünen noch vor vier Jahren die interessanten new kids on the block, so sind sie heute für viele die Projektionsfläche für Bevormundung und Besserwisserei.

Die FDP würde vor allem durch den eigenen Austritt aus der Koalition Gefahr laufen, sich ihr eigens Grab zu schaufeln und nach den Neuwahlen in der außerparlamentarischen Opposition zu landen. In Umfragen liegen die Liberalen konstant, wenn auch teils knapp, unter der Fünf-Prozent-Marke. Dazu kommt, dass Lindner in den Beliebtheitsrankings noch hinter dem Kanzler liegt.

Dennoch hoffen viele in der Partei, dass der Koalitionsbruch ein Befreiungsschlag werden könnte. Das Wahlprogramm liegt mit den Plänen für eine Wirtschaftswende bereits auf dem Tisch. Die Liberalen würden im Wahlkampf für ein Bündnis mit der Union werben und argumentieren, dass sich nur mit der FDP eine Regierungsbeteiligung der Grünen verhindern ließe. Auf diese Strategie setzte die Partei schon in den Wahlkämpfen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg – ohne Erfolg. Allerdings dürfte die Zuspitzung auf die Frage, ob die AfD stärkste Kraft wird, bei der Bundestagswahl eine untergeordnete Rolle spielen. In den drei Ost-Wahlen hat dies die FDP mutmaßlich viele Stimmen gekostet.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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