Soll der Versuch gestartet werden, die AfD zu verbieten, weil sie mindestens in Teilen rechtsextrem ist? Oder würde ein Verbotsantrag in Karlsruhe ihr nur weitere Anhänger zutreiben, weil sie sich als Märtyrerin präsentieren würde, die ausgeschaltet werden soll? Es gibt auf diese Fragen kein einfaches Ja oder Nein. Das zeigen jüngste Äußerungen des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann und des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier.
Anders als es die offizielle Linie der CSU-Spitze eigentlich vorgibt, zeigt sich Herrmann offen für ein AfD-Verbot. Der mit 17 Amtsjahren dienstälteste Innenminister Deutschlands sagte bei einer Tagung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing: „Wenn die Toleranten zu lange tolerant sind gegenüber den Intoleranten, kann es sein, dass die Intoleranten die Macht übernehmen und die Toleranten dann gar nichts mehr zu sagen haben.“ Allerdings mahnt Herrmann an, dass ein mögliches Verbotsverfahren deutlich zügiger abgewickelt werden müsste als bisher. Verfahren, die sich über Jahre hinzögen, seien „in der heutigen Realität nicht mehr zu vermitteln“.
Spöttisch kritisierte Herrmann das von den Verfassungsrichtern im zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 eingeführte Argument der „Potenzialität“. Die NPD war damals vor allem deshalb nicht verboten worden, weil sie in den Augen des Gerichts wegen ihres vergleichsweise geringen politischen Einflusses nicht mehr das Potenzial habe, ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Herrmann sprach ironisch von „Sternstunden des Verfassungsgerichtes“, wenn es wie in diesem Fall völlig neue Rechtsgedanken entwickele. Die Politik stehe dann vor dem Problem, den richtigen Zeitpunkt für ein Verbot zu finden. Die Partei dürfe weder zu klein sein, weil sie dann zu irrelevant wäre; noch dürfe sie zu groß sein, weil sie dann vielleicht schon zu bedeutend sei. Herrmanns indirekter Vorwurf: Mit dem von Karlsruhe eingebrachten Kriterium der Potenzialität werde ein Verbotsverfahren für die Politik fast unmöglich gemacht.
Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sieht das anders. Papier gehört zu den Skeptikern eines Verbotsverfahrens; er hat die hohen Hürden für ein Parteiverbot im Blick. Allerdings warnt Papier auch davor, dass die Politik sich in der Frage uneins zeigt. Für fatal hielte er es, sollte im Bundestag über einen Verbotsantrag abgestimmt werden und dieser dann keine Mehrheit erhalten. Überhaupt sieht der frühere Verfassungsrichter die Regierung in der Pflicht. „Wenn nicht die Bundesregierung den Antrag stellt, würde ich die Finger davonlassen“, sagte Papier zu Table.Briefings. Papier bringt einen Gedanken in die Debatte, der bislang kaum diskutiert wird. Sollte ein Verbot tatsächlich vom Gericht beschlossen werden, dann würden mit einem Schlag zahlreiche Abgeordnete in diversen Parlamenten ihre Mandate verlieren. Eine Folge, die man sich bewusst machen muss, auch wenn sie kaum ein Grund sein kann, eine rechtsextreme Partei nicht zu verbieten.
Ein leidenschaftlicher Befürworter eines Verbotsverfahrens ist der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun. Er kämpft seit Jahren gegen Hass und Hetze im Internet und hat die ehemalige Grünen-Ministerin Renate Künast erfolgreich in einem Prozess gegen Facebook vertreten. Jun glaubt, dass allein schon das Verfahren positive Wirkungen hätte. Der Anpassungsdruck durch das drohende Verbot könne dazu führen, dass sich die AfD von radikalen Kräften trenne und sich dadurch demokratisiere – oder dass der Konflikt zwischen Gemäßigten und Extremisten die Partei zerreiße. Beides sei gut für die Demokratie.
Entscheidend für die Diskussion wird das neue Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD sein, das noch dieses Jahr vorliegen soll. Wird die AfD von der Behörde als gesichert rechtsextrem hochgestuft, dann wird der Druck auf Regierung, Bundestag und Bundesrat steigen, ein Verbot voranzutreiben. Bleibt es beim Verdachtsfall, dürften sich Verbotsinitiativen erledigen. Zugleich zeigen neueste Umfragezahlen von Infratest dimap, dass 84 Prozent der AfD-Wähler die Partei nicht mehr trotz, sondern wegen ihrer radikalen Positionen wählt. „Es frisst sich Stück für Stück in die Mitte hinein“, heißt es von Infratest dimap. 84 Prozent der Anhänger sei es schlicht egal, dass die Partei mindestens in Teilen rechtsextrem ist.
Der frühere Verfassungsrichter und ehemalige Ministerpräsident des Saarlands, Peter Müller, ist in seiner Ablehnung eines Verfahrens gleichwohl eindeutig. „Ich halte da überhaupt nichts von“, sagte Müller im Podcast Table.Today. Die Anforderungen an ein Verbot seien groß, so Müller. Auch an das Verfahren selbst, wie er betont, denn wie beim NPD-Verbotsverfahren dürften auch dieses Mal keinerlei Zuträger für den Verfassungsschutz in der AfD arbeiten. „Das vorliegende Material gegen die AfD müsste komplett staatsfrei sein, das ist eine hohe Hürde.“ Das Gespräch hören Sie ab 6 Uhr hier.