Seit 2022 hat die Nato, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, ihre Einigkeit bei der Unterstützung der Ukraine zur Verteidigung gegen Russland gewahrt. Aber wo ist die kohärente Nato-Strategie, um auf Putins Russland zu reagieren? Die ernüchternde Antwort lautet: Es gibt sie nicht!
Dabei hat man sich bereits im Strategisches Konzept von 2022 darauf verständigt, dass die „Russische Föderation die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ ist.
Demzufolge könnte die Mission der Nato als Grundlage einer neuen Russland-Strategie lauten: Unsere Mission ist es, Russland als Bedrohung für die Sicherheit des Bündnisses sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus einzudämmen.
Zur Umsetzung einer solchen Mission sollte die Nato auch ihre strategischen Hauptziele definieren:
Als Hauptbausteine einer kohärenten Eindämmungsstrategie gegen Russland sollten die hier skizzierten Aktionsstränge verfolgt werden:
Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, den Krieg gegen Russland zu ihren eigenen Bedingungen zu gewinnen. Leider haben sich seit 2022 zu viele Entscheidungsträger selbst auferlegte „rote Linien" verordnet. Das typische Argument lautet: Eskalation. Das ist ein grundlegendes Missverständnis. Präsident Putin agiert nicht auf einer Eskalations- und Deeskalationsleiter. Vielmehr respektiert er Stärke und nutzt Schwäche aus. Was wir bisher erlebt haben, ist ein kollektives Versagen von historischem Ausmaß: Die 56 an der Koalition zur Unterstützung der Ukraine beteiligten Partner, deren gemeinsames Bruttoinlandsprodukt das Russlands exponentiell übersteigt, waren seit 2022 nicht willens oder nicht in der Lage, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie den Kampf gegen den Aggressor gewinnen kann.
Der Aufbruch in eine neue Ära der kollektiven Abschreckung und Verteidigung muss intensiviert und zu einem guten Teil auch neu gedacht werden.Der Nachholbedarf der Nato-Staaten ist immens, und es braucht neue Antworten auf Russlands hybriden Schattenkrieg.
Die internen Schwächen der Verbündeten müssen angegangen und minimiert werden. Schließlich ist jede Kette nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Die Resilienz aller Bündnispartner muss weiter ausgebaut werden, beispielsweise in den Bereichen Energiesicherheit und kritische Infrastruktur. Vor allem aber gilt es, auch innerhalb der Nato-Staaten die verantwortungsvolle Regierungsführung zu stärken.
Die Nato-Kernaufgabe der Krisenprävention und kooperativen Sicherheit muss auf ein strategisch relevantes Niveau angehoben werden. Derzeit wird dies im Wesentlichen als Nebentätigkeit behandelt. Damit wird die Nato den strategischen Herausforderungen, wie der Einflussnahme von Russland und China in Afrika, im Kaukasus oder dem westlichen Balkan, in keiner Weise gerecht.
Die strategische Nato-EU Partnerschaft muss weiter ausgebaut werden. Dazu sollten europäische Staaten ihre Investitionen in Sicherheit und Verteidigung weiter erhöhen. Die EU könnte den Nato-Grundwert von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Investitionen in Sicherheit als ihren eigenen Standard übernehmen.
Die Debatte um eine Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Sicherheitsrat sollte neu belebt werden. Russland missbraucht auf schändliche Weise seinen Sitz und sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Die Hürden für einen Ausschluss sind hoch, aber nicht unüberwindbar. Eine Wiederbelebung der Debatte wäre ein starkes Signal an Russland.
Aber vor allem: Treten wir für unsere Vision ein! Die wohl stärkste und dauerhafteste Eindämmung beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Es muss das Verständnis und der Wille vorhanden sein, Russland einzudämmen, nicht weil wir per se gegen Russland sind, sondern weil der Putinismus eine Gefahr für sein Land ist, eine Bedrohung für den Frieden und die Stabilität im euro-atlantischen Raum und eine Bedrohung für genau die Art von offenen Gesellschaften, die wir sein wollen.
Dr. Gerlinde Niehus war seit 2019 und bis Ende September 2024 im Nato-Hauptquartier als Vize-Direktorin für die Sicherheitskooperation mit den Partnerländern der Nato verantwortlich. Sie arbeitet jetzt als unabhängige Expertin für Nato- und internationale Sicherheitspolitik.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und sollten nicht so verstanden werden, dass sie notwendigerweise die der Nato oder der Nato-Mitgliedsstaaten wiedergeben.