
Selten war das deutsch-französische Verhältnis so strapaziert wie derzeit. Gegenseitige Vorwürfe und beiderseitig geäußertes Unverständnis machten in den vergangenen Wochen heftige Dissonanzen in der Zusammenarbeit deutlich.
Das „deutsch-französische Paar“ steht kurz vor einer Trennung – so wirkten zuletzt die Beziehungen zwischen Berlin und Paris. Einige Politiker in Frankreich bezichtigten Deutschland des „Alleingangs“ und der „hegemonialen Absichten“ in Verteidigungsfragen. Berlin sei kein „verlässlicher Partner“ mehr, hieß es bei manchen Industriellen oder Abgeordneten, die Regierung solle ihre Zusammenarbeit in Europa weniger auf die Deutschen fokussieren, sondern stärker diversifizieren.
Jüngster Ausdruck dieser Spannungen ist die erneute Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats, der ursprünglich für Juli und dann für Ende Oktober geplant war. Nun soll er im Januar stattfinden.
FCAS litt von Anfang an unter einem Ungleichgewicht
Das Verhältnis von Berlin (früher Bonn) und Paris war immer wieder von unterschiedlichen Ansichten auf politischen Teilgebieten geprägt, ohne dass beide Seiten ihre Zusammenarbeit nachhaltig infrage stellten. Man könnte dafür beispielhaft das Scheitern des deutsch-französischen Panzerprogramms in den 1970er-Jahren oder des Kampfflugzeugprogramms in den 1990er-Jahren nennen.
Die Gründe für die Meinungsverschiedenheiten sind vielfältig und reichen von einer unterschiedlichen strategischen Kultur – die von verschiedenen historischen, politischen und geografischen Gegebenheiten abhängt – bis hin zu einem hohen (manchmal zu hohen) Anspruch an den Umfang der Zusammenarbeit.
Das beste Beispiel dafür dürfte die Entwicklung des Future Combat Air Systems (FCAS) sein. Von Anfang an litt das Programm unter einem Ungleichgewicht. Frankreich kann es sich nicht leisten, ein Flugzeugsystem der 6. Generation allein zu stemmen, zugleich aber kommt der Kauf eines solchen Systems im Ausland aus Gründen der „strategischen Autonomie“ nicht infrage.
Für Deutschland liegt die Sache anders. Es ist in Fragen der Rüstungsbeschaffung geschmeidiger. Die eigenen Hersteller werden nicht immer bevorzugt, wie die Entscheidung, 35 amerikanische F-35 zu kaufen, gerade wieder zeigt.
Frankreich stört, dass Deutschland seine Interessen verteidigt
Der zweite Grund, der über FCAS hinausgeht, ist der industrielle Wettbewerb zwischen beiden Ländern. Frankreich kann schwer akzeptieren, dass Deutschland vehementer als früher seine industriellen Interessen verteidigt und sich nicht mehr den Willen seiner Nachbarn aufzwingen lässt. Deutschlands Liste der „Nationalen Schlüsseltechnologien“, vor zwei Jahren veröffentlicht, steht beispielhaft dafür.
Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, gemeinsam mit 14 europäischen Staaten, aber ohne Frankreich einen europäischen Luftverteidigungsschirm aufzubauen (European Sky Shield Initiative), ist ein weiteres Beispiel dafür.
Sowohl auf industrieller als auch auf politischer Ebene herrscht auf französischer Seite inzwischen ein tiefes Misstrauen gegenüber den Deutschen. Es speist sich unter anderem aus den Erfahrungen bei gemeinsamen Rüstungsprojekten. Deutschland reduzierte zum Beispiel die Anzahl der zusammen entwickelten Transportflugzeuge A400M, nachdem entschieden war, wer was produziert.
Es war aber vereinbart, dass sich die Industrieanteile nach der Anzahl der bestellten Flugzeuge richten. Die Franzosen fühlten sich über den Tisch gezogen und haben das immer noch im Kopf, wenn es um industrielle Zusammenarbeit geht.
Weitere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit erklären dieses Gefühl:
- Deutschland liebäugelt damit, aus dem Modernisierungsprogramm für den gemeinsam entwickelten Kampfhubschrauber Tiger auszusteigen und möglicherweise den AH-54 Apache aus US-Produktion zu kaufen.
- Deutschland hat angekündigt, als Seefernaufklärungsflugzeug die marktverfügbare amerikanische P-8 Poseidon zu beschaffen. In Frankreich wird dies als Anfang vom Ende des gemeinsamen Maritime Airborne Warfare System (MAWS) gewertet.
Risiko: Dauerhafte Schwächung der EU-Verteidigung
Klar ist, dass in Berlin eine andere Definition von „strategischer Autonomie“ gilt als in Paris. Nicht umsonst zieht Deutschland den Begriff der „strategischen Souveränität“ vor; er gilt als konsensfähiger und weniger ambivalent gegenüber der Nato. Erst wenn beide Seiten die daraus resultierenden Unterschiede in ihrer jeweiligen Sicherheitspolitik anerkennen und akzeptieren, wird es möglich sein, stabile Grundlagen einer gesunden und fruchtbaren Zusammenarbeit zu schaffen.
Auch wenn das europäische Projekt nicht allein auf Frankreich und Deutschland beruht, ist das militärische Gewicht beider Länder so groß, dass von ihrer Achse die sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der EU abhängt. Wenn sich Frankreich und Deutschland einig sind, wirken sie wie ein Motor, der einen Mitnahmeeffekt auf andere Staaten hat und das Ambitionsniveau des europäischen Verteidigungsprojekts bestimmt.
Die Rolle, die beide Staaten im Prozess der Entwicklung und Verabschiedung des Strategischen Kompasses der EU spielten, ist ein gutes Beispiel dafür. Der Strategieprozess wurde Ende 2020 unter der deutschen Ratspräsidentschaft eingeleitet und Anfang 2022 unter der französischen Ratspräsidentschaft angenommen.
Angesichts der aktuellen Lage ist die effektive Umsetzung dieses sicherheitspolitischen Grundlagendokuments von entscheidender Bedeutung, um die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Gelingt das nicht und bricht die deutsch-französische Achse, würde das zu einer dauerhaften unverantwortlichen Schwächung der europäischen Verteidigungsfähigkeit führen. Eine Schwächung, die wir uns in diesen Zeiten nicht leisten können.