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Erscheinungsdatum: 12. Februar 2025

Die Boomer gehen: Warum der Generationenwechsel an Hochschulen eine große Chance ist

Bis 2033 müssen voraussichtlich 44 Prozent der Hochschulprofessuren in Deutschland neu besetzt werden. Das erfordert strategische Personalplanung, schreibt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele. Vor allem aber sollte die Gelegenheit für Innovation genutzt werden.

Unsere aktuelle Analyse zeigt: Es bahnt sich ein Generationenwechsel an deutschen Hochschulen an. Die sogenannten Baby-Boomer unter den Professorinnen und Professoren gehen demnächst in Rente – und das sind nicht wenige. Im Schnitt müssen 44 Prozent der Hochschulprofessuren in Deutschland bis 2033 neu besetzt werden.

Das Hochschulmanagement sieht eine gewaltige Aufgabe der strategischen Personalplanung auf sich zurollen. Denn, so zeigen es unsere Auswertungen, die Situation stellt sich je nach Hochschule, Trägerschaft oder Fächerspektrum ganz unterschiedlich dar. Während etwa private Hochschulen überwiegend jüngere Professorinnen und Professoren in ihren Reihen haben, gibt es auch Hochschulen, bei denen im Extremfall voraussichtlich rund 70 Prozent der Professorinnen und Professoren in den kommenden zehn Jahren altersbedingt ausscheiden. Im Lehr- und Forschungsbereich Theologie sind es mehr als 60 Prozent, an Pädagogischen, Theologischen und Kunst- und Musikhochschulen jeweils mehr als 50 Prozent der Professorinnen und Professoren, die bis 2033 das 65. Lebensjahr erreichen. Eine echte Mammutaufgabe für die Personal- und Auswahlgremien.

Zu den größten Risiken gehört sicher ein drohender Fachkräftemangel in Forschung und Lehre, der je nach Fach oder Region unterschiedlich stark ausfallen wird. Schon jetzt zeigen Studien, dass der wissenschaftliche Nachwuchs immer öfter den Hochschulen den Rücken kehrt. Das 2024 veröffentlichte Wissenschaftsbarometer des DZHW offenbarte, dass nur noch 16 Prozent der Promovierenden eine Professur anstreben. Mehr als die Hälfte der befragten Forscherinnen und Forscher hat in den vergangenen zwei Jahren bereits einen Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen.

Ein starker Wettbewerb um die besten Köpfe ist wahrscheinlich. Die Besetzung von HAW-Professuren ist an manchen Standorten bereits jetzt ein Problem. An den Universitäten dagegen gibt es nach wie vor keine klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen für Post-doc-Karrieren. Auch die rechtsextreme Stimmungsmache in Deutschland sowie die aufgeladene Migrationsdebatte machen das Anwerben internationaler Spitzenkräfte in den kommenden Jahren für Hochschulen sicher nicht einfacher.

All den Risiken stehen allerdings auch enorme Chancen gegenüber, denn ein Generationenwechsel ist immer auch eine gute Gelegenheit für Innovation. Eine verschenkte Gelegenheit wäre es, Professuren stets 1:1 mit der bisherigen Ausrichtung und den gleichen Anforderungen wiederzubesetzen, auch wenn natürlich die laufende Lehre und Forschung das zunächst nahelegen. Hochschulen, die sich in einem strategischen Profilierungsprozess befinden, sollten stattdessen die Berufungen auf ihr Profil abstimmen, Fächer können Curricula und Forschungsschwerpunkte mit neuem Personal modernisieren.

Beispiel Internationalisierungsstrategie: Lehrende und Forschende aus der ganzen Welt können eine neue Orientierung einer Hochschule gezielt unterstützen. Aber auch wenn sich die Hochschule ein bestimmtes Lern- und Digitalisierungskonzept auf die Fahnen geschrieben hat, kann sie die Menschen suchen, die daran mitwirken wollen. Eine Hochschule, die sich auf KI fokussiert, kann entsprechende Professuren quer zu den Fakultäten installieren. Mit Neuberufungen kann eine Hochschule die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen und Professorinnen und Professoren als Change Agents für ihre Profilbildung und strategische Ausrichtung gewinnen.

Mit einer guten Strategie und einem darauf abgestimmten Berufungsmanagement wird eine Hochschule attraktiv und kann die dazu passenden Forschenden für sich gewinnen. Und auch andere Gruppen profitieren: Studierende erleben frischen Wind in ihren Studiengängen, erhalten neue Impulse von jüngeren Lehrkräften. Der wissenschaftliche Nachwuchs, der jetzt gerade promoviert, hat wahrscheinlich so gute Chancen auf eine Professur wie noch nie. Wissenschaftskarrieren könnten an Attraktivität gewinnen.

Das kann aber nur gelingen mit den entsprechenden staatlichen Rahmenbedingungen : Denn Zeiten personeller Umbrüche sind keine Zeiten für Sparprogramme. Die Parallelität von stagnierenden Studierendenzahlen in Kombination mit frei werdenden Professuren darf nicht als Rechtfertigung staatlicher Kürzungen genutzt werden. Ausschreibungen, Auswahlverfahren, Einarbeitung, Ausstattung der Professur – jede Neubesetzung kostet Zeit und Geld. Und beim Wettbewerb um die Forschenden und Lehrenden von morgen darf nicht gespart werden.

Die Hochschulen brauchen gerade für die kommenden Jahre Personal- und Finanzautonomie. Rücklagenbildung muss zum wirtschaftlichen Werkzeugkasten der Hochschulen gehören dürfen. Dafür müssen Inkonsistenzen in der Finanzsteuerung, zum Beispiel Globalhaushalte in Verbindung mit Stellenplänen, oder die widersprüchlichen Verfahren der Bundes- und Landesfinanzierung zugunsten finanzieller Freiheit endlich ein Ende haben.

Damit diese Transformation gelingt,bedarf es also einer engen Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Politik, um die notwendigen finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen. Der personelle Umbruch bei den Professuren bietet allen eine besondere Gelegenheit, die Hochschullandschaft nicht nur an aktuelle Anforderungen anzupassen, sondern langfristig zukunftsfähig zu gestalten. Jeder Hochschule ist zu raten, die Tragweite des Generationenwechsels in ihren Reihen zu überprüfen, die Risiken abzuschätzen und die Spielräume zu nutzen.

Frank Ziegele ist Geschäftsführer des gemeinnützigen CHE Centrum für Hochschulentwicklung.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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