Rigorosum
Erscheinungsdatum: 03. September 2024

Zukunftsrat des Bundeskanzlers: Wann wird die Diskussion wirklich ehrlich? 

Ein Impulspapier des Zukunftsrats bescheinigt Deutschland nur in drei von elf Schlüssel- und Zukunftstechnologien Verbesserungen seit dem Start der Ampel-Regierung. Muss Deutschland erst in allen Bereichen abschmieren, bevor die Wissenschaftscommunity endlich aufwacht?

Die Mauer des Schweigens, die Omerta einer eingeschworenen Gemeinschaft, bröckelt. Während bisher die unangenehmen Wahrheiten zum deutschen Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationssystem von unbequemen Außenseitern adressiert wurden, melden sich jetzt auch erste Stimmen aus der Community selbst.

Der von mir sehr geschätzte Georg Schütte, Staatssekretär a.D., heute experimentierfreudiger Chef der VolkswagenStiftung, und der intellektuell scharfe Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbands, sprechen in ihrem Impulspapier über den Verlust an Innovationskraft und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Sie sprechen über ineffiziente Strukturen, über geringe Dynamik im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern, über den nötigen Wechsel von einer Wettbewerbs- auch zu einer Wirkungslogik, über kostenträchtige Doppelung von Forschungskapazitäten hierzulande und in Summe von einer nationalen Kraftanstrengung für die Weiterentwicklung des deutschen Wissenschaftssystems. Das kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem der Elefant im Raum unübersehbar geworden ist.

Weder die HRK noch die Außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) rührten sich zu der für sie problematischen Ansage. Dafür durfte der Chef der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Uwe Cantner , gestelzt abmoderieren – „….würde der Diagnose, die Wissenschaft stecke in einem tiefen Tal, nicht ohne weiteres folgen“. Seine eigene Kollegin in der EFI-Kommission, Irene Bertschek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, konterkarierte diese Aussage kurz danach. In ihrem aktuellen Impulspapier für den Zukunftsrat des Bundeskanzlers, welches sie zusammen mit dem CEO von Volocopter, Dirk Hoke, erarbeitet hat, schreibt sie: „Deutschland fällt in zentralen Innovationsfeldern zunehmend hinter globale, klar fokussierte Mitbewerber zurück.“

Muss Deutschland erst in allen Technologiebereichen abschmieren, bevor die Wissenschaftscommunity endlich aufwacht? Manchmal erinnert es mich an die Allegorie vom Frosch im Wasserglas, welches mehr und mehr erhitzt wird.

Das im Impulspapier beschriebene und im Zukunftsrat vorgetragene „Technologie – Grid“ ist brutal-nüchtern. Es bescheinigt nur in drei von elf Schlüssel- und Zukunftstechnologien Verbesserungen seit dem Start der Ampel. In den acht übrigen Technologiefeldern gab es in der Forschungspolitik seit 2021 nicht nur keine Verbesserung, sondern teils sogar Verschlechterungen. Dem Plädoyer Bertscheks und Hokes für eine „auf der strategischen Ebene, ehrliche und Commitment-orientierte Debatte“ kann ich mich nur anschließen. Die Rosstäuscherei muss ein Ende haben.

Zu einer offenen und ehrlichen Debatte gehört auch, dass man sich die Karten legt und folgende Fragen diskutiert:

Doch nach der intellektuellen Denksportaufgabe der strategischen Priorisierung kommt der operative Schmerz des Abbaus von Mehrfachkapazitäten. Und zuallererst die ehrenpusselige Festlegung, welche Forschungsstätte den Lead erhält – da kann es nur um wissenschaftliche Exzellenz gehen. Past Merit! Dieser zeigt sich meist bei den Forschungspersönlichkeiten, um die sich die besten jungen Forscherinnen und Forscher scharen. Denn diese sehen nicht nur Past Merit, sondern auch ihre Zukunft. Ich gehe jede Wette ein, dass der Zukunftsrat darüber nicht gesprochen hat.

Wenn Bertschek und Hoke in ihrem Impulspapier dann davon schreiben, dass der Transfer-Output auf ein Niveau gehoben werden müsse, das dem hohen Input entspreche, dann bezweifle ich, dass die Entscheider im Zukunftsrat überhaupt in der Konsequenz verstanden haben, was das heißt. In der Betriebswirtschaft nennt man das „break even“ – man erzielt gerade mal so viel Umsatz, wie man benötigt, um die Kosten zu decken, also nur die Milliarden wieder hereinholt, die man hineingesteckt hat.

Dass Irene Bertschek so argumentiert, kann ich aufgrund ihres Werdegangs gerade noch nachvollziehen. Dass Dirk Hoke so argumentiert, lässt nicht nur für Volocopter nichts Gutes ahnen. Deutschland braucht doch ein Mehrfaches an Umsatz aus innovativen Produkten und Services, um den Abstieg in einen Aufstieg zu drehen.

Wichtig ist nichtsdestotrotz, dass die beiden Autoren den Output strapazieren. Angesichts der verheerenden 2023er-Ausgründungszahlen der fetten Katzen – gemeint sind Fraunhofer Co (Ausnahme in 2023 Max Planck) – und der desaströsen Evaluierung (wenn man die politische Sprache dekodieren kann) der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz für die ersten drei Jahre des fortgeschriebenen Pakts für Forschung und Innovation (PFI IV) für diese fetten Katzen, ist das überfällig gewesen. Zur Erinnerung, meine frühere Kolumne : „Alle schwätzen vom Transfer, aber nichts passiert!“

Deswegen habe ich auch in dieser Kolumne bewusst den Begriff „Omerta“ gewählt: Die immer wieder gleichen Spieler aus Politik, Wissenschaft und Forschung sowie aus der Stiftungswelt sitzen immer wieder in den gleichen Runden zusammen, wie alte Ehepaare – die Wissenschaft nennt das homosoziale Reproduktion. Sie erzählen sich immer wieder die gleichen Geschichten so oft, dass jeder jedem glaubt. Gleichzeitig werden eine unsägliche Geheimhaltung und ein Popanz um Treffen wie das des Zukunftsrats und seiner Papiere gemacht. Obwohl Deutschland den Sense of Urgency zum Thema Zukunft dringend bräuchte. Und das setzt Transparenz und Offenheit voraus.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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