„Die Situation in der Europäischen Union ist widersinnig: Trotz herausragender, weltweit anerkannter wissenschaftlicher Leistungen bringt die EU weniger neue Produkte, Dienste und Verfahren hervor als ihre wichtigsten Konkurrenten.“ So stand es schon 1995 im Grünbuch zur Innovation der Europäischen Kommission. Und das Paradoxon existiert nach wie vor. Die Studie „European Paradox or Delusion – Are European Science and Economy Out-dated?“ attestierte Europa im Jahr 2017 sogar einen Niedergang seiner Wissenschaftsexzellenz, vor allem bei Zukunftstechnologien. In wichtigen Bereichen mangele es nicht nur am Transfer, sondern bereits an den zugrundeliegenden Erkenntnissen. Seither hat die Innovationsnation Großbritannien die EU verlassen und Deutschland sackt weiter ab, wie diverse Indikatoren zeigen.
Transfer im Tiefschlaf trotz Disruptionen
Als Oppositionsabgeordneter habe ich mich in der Zeit von 2017 bis 2021 wiederholt dazu geäußert. In den ersten drei Jahren wurde ich abgebürstet, ich solle doch endlich meine „Manager-Brille“ abnehmen. Wissenschaft und Forschung hätten nichts mit Output zu tun. Ein 16 Jahre lang durch die CDU geführtes Ministerium ließ sich nicht bekehren. Die SPD-Kollegen hatten und haben nach wie vor sehr eigenwillige Vorstellungen staatlicher Politik zum Technologietransfer. Die Grünen schwärmten und schwärmen nach wie vor von skandinavisch geprägter Regionalpolitik. Nichts für ein Land, das zehnmal größer ist als Schweden.
Jetzt, da wir vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges, des Klimawandels und potenzieller Pandemien dringend technologische Souveränität benötigen, ist der Jammer groß. Hightech-Nationen brauchen Standbeine und Spielbeine in der Innovation. Leider stehen wir selbst mit unserem letzten verbliebenen Standbein, dem Maschinen-, Anlagen- und Autobau, mit dem Rücken zur Wand. Und nach wie vor haben wir – wie im Tiefschlaf – weder ein Sprind-Freiheitsgesetz noch eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati).
Ursache 1: Erkenntnis zählt viel, Verwertung kaum
Die Freiheit von Forschung und Lehre wird gegen das Verwertungsinteresse der Wirtschaft immer noch wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Natürlich hat uns die Zeit des Nationalsozialismus bitter gelehrt, dass es diese Freiheit braucht. Doch Verantwortung ist der Zwilling der Freiheit. Wissenschaft und Forschung tragen in vielen Innovationsnationen signifikant zu Lösungen großer gesellschaftlicher Herausforderungen bei und befruchten die Wirtschaft. Das bedeutet Wohlstand und Perspektiven für die Menschen. Und daran müssen sich Wissenschaft und Forschung messen lassen und Rechenschaft ablegen. Innovating Innovation: Fordernde Transferziele basierend auf einer klugen Transfer-Indikatorik zuallererst für die sogenannten Fetten Katzen, aber auch für die Hochschulen, sind überfällig.
Ursache 2: Fette Katzen sonnen sich in alten Strukturen
Max Planck macht die Grundlagenforschung, Helmholtz die Großforschungseinrichtungen, Leibniz mehr oder weniger die Sozial- und Geisteswissenschaften und Fraunhofer die Anwendung. Diese Dogmen sollen die außeruniversitäre Forschung vor Transferdebatten schonen. Dabei ist längst klar, dass sich die sogenannte reine Forschung mit der anwendungsorientierten Forschung verzahnt. Innovationsökosysteme überlagern etablierte Forschungsstrukturen. Innovating Innovation: Die Strukturen unserer Wissenschaftslandschaft bedürfen einer Systemrevision, die auch tradierte Strukturen infrage stellen darf
Ursache 3: Berufsbeamtentum ohne Wettbewerb
„Academics became government employees with neither the pressure of private incentives, nor the competition from private universities to spur research productivity“, erklärte Caroline Fohlin, Professorin an der US-amerikanischen Emory-Universität, den Niedergang des Innovationsgeschehens in Deutschland. Deutschlands Wissenschaftler als Forschungsbeamte ohne Wettbewerbsdruck – so sieht Folin das System hierzulande. Oft werden Ideen und Patente eingemottet, bestenfalls müssen sie sich ihre Unternehmer selbst suchen. Innovating Innovation: Unabhängige Agenturmodelle müssen her, in denen Experten egal welcher beruflichen Sozialisation unternehmerisch agieren können und ebenso vergütet werden, aber an klaren Zielen gemessen werden.
Ursache 4: Unlust oder Inkompetenz an Hochschulen
Die fast nachvollziehbare Gier dramatisch unterfinanzierter Hochschulen nach hohen Patent-Ablösesummen, die wahrgenommene Unprofessionalität hochschulinterner Technologietransferstellen und langwierige, durchbürokratisierte Verhandlungen zum Intellectual Property-Transfer schrecken motivierte Gründerinnen und Gründer ab.
Eine Studie der Kölner Universität erklärt das mit der Angst von Professoren, Leistungsträger zu verlieren, Forschungs- und Arbeitsergebnisse weiterzugeben oder potenzielle Industriemittel aufzugeben. Hinzu kommt: Gründungskompetenzen werden hierzulande eher stiefmütterlich vermittelt. Publizieren ist für Karrieren in der Wissenschaft viel wichtiger, Gründen dagegen nicht. Und der Transferweg ist mit Hürden gepflastert. Anders als in den USA haben europäische Technologietransferstellen nur einen Bruchteil an deren Industrieerfahrung. Kein Wunder, dass gerade Gründer in Deutschland sie kaum in Anspruch nehmen. Innovating Innovation: Anreizsysteme für die Professorenschaft für Gründungen und Professionalisierung des Technologietransfers sind überfällig.