Rigorosum
Erscheinungsdatum: 19. März 2025

Nach der Verschuldungsorgie: Das Beste aus dem Schlimmen machen

Thomas Sattelberger, MdB FDP

Jede Menge Schulden ohne Strukturwandel, verpasste Chancen für Innovation und eine Politik, die Zukunft verspielt: In den Plänen der kommenden Regierung sieht Thomas Sattelberger vor allem Stillstand statt Reformen. Dabei wäre es doch gar nicht schwer, Fortschritte zu machen.

Klar, jede Koalition muss Kompromisse eingehen. Doch was die Union plant, grenzt an Selbstverleugnung. Oder an extreme Führungsschwäche. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ein Sondierungspapier kein Koalitionsvertrag ist. Deshalb lege ich jetzt die Messlatte eines künftigen Koalitionsvertrages – natürlich mit Fokus auf Forschung und Innovation – an, um noch das Beste aus der Verschuldungsorgie zu machen.

Nicht nur Rheinmetall Co., sondern auch Defense Tech-Davids mit Power. Dass die Verteidigung des Landes und Europas keine Grenzziehung durch ein nach oben begrenztes „Sondervermögen“ zulässt (und übrigens auch Wehrpflicht erfordert), leuchtet sofort ein. Doch davon dürfen nicht nur die Klassiker wie Airbus, Rheinmetall, Renk oder Rohde Schwarz Nutzen ziehen. Und VW damit leere Fabriken auslasten. Neue Player drängen in den Markt, während tradierte Spieler natürlich ihre Positionen verteidigen – doch Ausschreibungen erfolgen immer noch für geschlossene Zirkel, Entscheidungen werden in den politischen Hinterzimmern getroffen.

Wir besitzen in Deutschland hochkarätige Defense Tech-Start-ups wie beispielsweise das KI-Unicorn Helsing, das Bundeswehr-Startup ARX Robotics, die militärisch nutzbare Laser-Technologie von Marvel Fusion oder die Drohnenabwehr-Drohne von Tytan Technologies. Die Technologiezyklen in kriegerischen Zeiten sind dramatisch kürzer als die Zyklen der etablierten Rüstungskonzerne, die von Start-up-Ökosystemen dagegen passen sich schnellstens an.

Neue Wettbewerbsdynamik im Verteidigungssektor nötig. Transparenter Wettbewerb auf Augenhöhe fördert Innovation. Alte Akteure besitzen Reputation (‚past merit’), Fähigkeit, zu Old Tech-Massenproduktion sowie risikoabfedernde Liquidität. Neue Akteure sind agil und haben schnellere, oft preiswertere und gleichzeitig innovativere Lösungen. Zwei Wege, um die Stärken von Konzernen und Start-ups zu verknüpfen, sind zu beschreiten: zum einen nach Software-Intensität differenzierte fünf- bis zehnprozentige Beschaffungsquoten für Defense Tech-Start-ups bei wehrtechnischer Auftragsvergabe, zum anderen Verbundprojekte, bei denen Start-ups gleichberechtigte Entwicklungspartner und nicht nur durchspezifizierte Unterauftragnehmer sind.

Schuldenberge ohne Strukturreformen im Haushalt. Dass man uns aber ein Multimilliarden-schweres Schuldenpaket jenseits der Verteidigung, ohne gravierende Einschnitte in den Sozialhaushalt und ohne verbindlichen Abbau der bürokratischen Regelungsdichte beschert, ist ein Fiasko. Dass mit Mütterrente, Agrardiesel, Entlastung der Gastronomie und Pendlerpauschale sogar noch viele Milliarden Schulden-Schippen draufgeschüttet wurden, ist der Gipfel an Unverschämtheit.

Aber: Mit alledem hat man die Büchse der Pandora für die Subventionsempfänger geöffnet. Gerade im Wissenschaftssektor beginnen jetzt schon Lobbyisten-Vereine wie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder die GEW den üblichen Tanz um den Subventions-Topf. Die Forderungen der beiden allein belaufen sich schon auf über 200 Milliarden Euro: von der Sanierung von Hochschul-Verpflegungstätten bis zur Finanzierung eines Flexibilität und Kosteneffizienz abtötenden Wissenschaftzeitvertragsgesetzes. Das Ganze ist ein Pakt alter Männer und Frauen gegen die junge Generation.

Organisationsinnovation der öffentlichen Verwaltung: Wann, wenn nicht jetzt? System-Reformen wären angesagt. Und zwar nicht nur inkrementelle im Sinne agilerer, schnellerer und unbürokratischerer Prozesse, sondern in Teilen auch disruptive Strukturveränderung. Wer die Grenzen inkrementeller Verwaltungsreform von einem Experten hören will, dem empfehle ich nochmals den über 15 Jahre alten Buchbeitrag „Über die Veränderbarkeit des Seins: Scheitern Verwaltungsreformen?“ von Heinrich Reinermann, emeritierter Professor der deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Für staatlich freiere oder gar vom Staat befreite Agenturen.Die öffentliche Verwaltung hat Transformations-, aber auch Transaktionsaufgaben. Für Letztere eignet sich inkrementelle Innovation. Für Erstere habe ich in früheren Kolumnen ein Plädoyer für Agenturstrukturen gehalten. Solche Strukturen eignen sich nämlich nicht nur für Innovationsagenturen wie die Bundesagentur Sprind und die inzwischen verstorbene Dati, sondern beispielsweise auch für Organisationen wie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), auch oft Beschaffungsamt der Bundeswehr genannt, oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die trotz mehrfacher inkrementeller Reformen aufgrund ihrer transformationalen Aufgaben eine grundsätzliche Strukturreform benötigen.

Während etablierte Routineorganisationen meist üppig hierarchisch, formalisiert und Old Work sind, werden für Transformationsaufgaben autonome, experimentell arbeitende und risikotolerante Start-up-ähnliche Strukturen benötigt. Vielleicht kommt einer der Koalitionäre der zuständigen Arbeitsgruppen auf die Idee, so etwas in den Koalitionsvertrag einzupflegen.

Wirtschaft: Schwurbeln statt ankurbeln. Neben der seit Jahrzehnten in Koalitionsverträgen üblichen Anti-Bürokratie-Beschwörungsfloskel findet man einiges zu den allemal vom Steuerzahler finanzierten Energiekosten, aber nichts zur Reaktivierung der AKWs und damit zur Stützung weiterer Forschung auf dem Feld der Atomenergie. Dagegen wird die von Robert Habeck verkasperte Ansiedlung von technologierelevanten Industrien wie die Halbleiterbranche jetzt neu aufgeführt: Damals als Tragödie, jetzt wohl als Komödie. Weiter: Dass man aber nach dem Fiasko der Ampel weiterhin auf das staatlich-dirigistische Schaffen von klimaneutralen Leitmärkten durch Quoten beispielsweise für grünen Stahl setzt, wird grünen Forschergeist beflügeln, nicht jedoch die Volkswirtschaft. Und die Grünen haben inzwischen durch das Erpressen von weiteren 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfond das Vorhaben weiter zementiert.

Dagegen findet man nichts zur Ankurbelung der Wirtschaft : weder Unterstützung unserer volkswirtschaftlichen Standbeine bei ihrer Transformation noch Unterstützung neuer Spielbeine durch forschungsbasierte Ausgründung aus Forschungsorganisationen. Die für die Digitalisierung 10.000-fach benötigten neuen Selbstständigen jetzt in die staatliche Rentenkasse einzahlen müssen, ist Petitesse am Rande. Wahrscheinlich wird es erst noch schlimmer werden, bevor es besser wird.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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