Rigorosum
Erscheinungsdatum: 01. Juni 2023

Fraunhofer-Spuk hat sein Ende – jetzt müssen Reformen beginnen

Die Fraunhofer-Gesellschaft ist unter neuer Führung. Thomas Sattelberger skizziert in seinem Rigorosum die Schwerpunkte der nun anstehenden Reform unter dem neuen Präsidenten Holger Hanselka.

Der „Spuk“, wie es das Nachrichtenmagazin Spiegel am 25. Mai, dem Tag der entscheidenden Senatssitzung nannte, hatte sein Ende. Fraunhofer-Chef Reimund Neugebauer musste endlich zurücktreten. Das lange Ringen vieler Menschen und auch das meine um würdige und innovationsorientierte Führung dieser wertvollen Forschungsgesellschaft hat neue Hoffnung, Holger Hanselka. Fraunhofer hat wieder eine Chance auf eine seiner Bedeutung angemessene Führung.

Hoffnungsträger: Hoffentlich – und mit Herkulesaufgabe

Der derzeitige Chef des KIT hat eine verdammt schwere Aufgabe vor sich. Einige, die ihn kennen, sagten mir, die Entscheidung sei nicht falsch, aber ob er die nötige Härte mitbringe? Doch zuallererst geht es darum, das Vertrauen der Mitarbeiterschaft zurückzugewinnen, ebenso das Vertrauen der Wirtschaft. Hier meine ich nicht das der doch stets sehr verwöhnten Automobilindustrie, sondern des Tech-Mittelstands und der Tech-Gründer, denen Fraunhofer oft genug als steuerfinanzierter Konkurrent und gieriger Ausgründungsverschlimmerer böse in die Quere kam. Den Vertrauensvorschuss der Ministerin für Bildung und Forschung, den hat Hanselka wohl.

Abschieds-Schalmeienklänge auf der Mitgliederversammlung        

Dass auf der Mitgliederversammlung Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer („Mein lieber Reimun…..äh Professor Neugebauer“) und Carsten Schneider, Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland („Oh weh, Professor Neugebauer, kein Präsident der ostdeutschen Gemeinschaft mehr“) Abgesänge anstimmten, mag nicht verwundern. Hier hat Neugebauer mit dem Aus- und Aufbau großer Forschungszentren wirklich Rühmliches geschaffen, aber auch mit der nur politisch erklärbaren kleinteiligen Standortzuteilung sowie der Dresdner Geldvernichtung der Fraunhofer Zukunftsstiftung Unrühmliches verursacht. Das war es dann auch nach weiteren Reden. Ade, hoffentlich!

Innovating Innovation: Schwerpunkte der nötigen Reform

Parallel zu dem nötigen Vertrauensaufbau steht jetzt die langwierige Arbeit an, Fraunhofer selbst strategisch, strukturell wie kulturell zu reformieren. Sicher nicht vollständig, aber einige Kernpunkte möchte ich benennen.

  • Kurzfristig: Personelles Aufräumen als Start der Kulturreform. Die Entscheidung, ob der neue Präsident mit dem Teil der Vorstandschaft und den Mitläufern des Top Teams, die Teil des Systems Neugebauer waren, weiterhin zusammenarbeitet, muss schnell getroffen werden. Es geht hier insbesondere um den Vorstand Kurz und die Vorständin Ewen, die lange Neugebauers exekutierende Gehilfen waren. Aber auch um die Direktorin Kasper, die sich bei der Mitgliederversammlung in ihrer neuen Rolle als Senats-Geschäftsstellenleitung vermeintlich klug neben Hanselka platzierte (platziert wurde). br>br>Vorstand Kurz selbst wanderte auf der Mitgliederversammlung hektisch durch die Runden mit – wie mir Teilnehmer berichteten – feuchten Händen und in beklagenswertem Zustand. Kulturreform beginnt meist an der Spitze. Das schafft nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern ermöglicht auch offenere Kommunikation bis hin zu Mitarbeiterbefragungen, um Veränderungsbedarfe aufzudecken. Das personelle Aufräumen sollte sich auch auf Schattengestalten wie auf den früheren Generalbevollmächtigten Wilhelm beziehen. Rückforderungen an ihn oder Schadensersatzforderungen an Neugebauer sind zu prüfen.br>

  • Kurzfristig: Instrumentalisierung der Zukunftsstiftung und des Senats verunmöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten Wiebke Esdar (SPD) und Kerstin Radomski (CDU) nicht schon als Mitglieder des Stiftungsrates Nägel mit Köpfen gemacht und Neugebauer zum Nachfolger von Hans-Jörg Bullinger und damit zum nächsten Vorsitzenden der Fraunhofer Zukunftsstiftung mitbestimmt haben. Wenn das der Fall wäre, hätten beide ihr Mandat in Kenntnis der Vorwürfe gegen Neugebauer fehlgeleitet genutzt.br>

  • Kurzfristig: Senat satzungsgemäß besetzen: Bundestagshaushälter raus aus dem Senat. Die Satzung des Fraunhofer-Senats sieht keine Abgeordneten als Mitglieder vor. Als Vertreter der Politik sind nur Vertreter der Bundesministerien und der Länder vorgesehen. Vorschriftsmäßig ist auch nicht, dass Regierungsfraktionen auf Vorschlag des Fraunhofer-Präsidenten Kandidaten für den Senat ernennen – erst recht nicht, ohne den Senatswahlausschuss von Fraunhofer zuvor inhaltlich einzubinden. Zudem: Wie sollen Haushälter im Parlament unbefangen einen Haushalt genehmigen oder ablehnen, den sie vorab schon bei Fraunhofer abgesegnet haben? Zudem muss Diversity her: Die Automobil-Fraktion und die sächsische Neugebauer-Connection muss aufgebrochen werden und mit einer Verjüngung des Senats einhergehen.br>

  • Mittelfristig: Strategische Erneuerung. Schon länger rumort es in den Ländern, das unkontrollierte Wachstum von Fraunhofer erfülle sie mit Sorge. Und auch der Bundesrechnungshof fordert jüngst in seinem zweiten, aktuellen Prüfbericht: „Um in der Spur des PFI zu bleiben und Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren“ (Tz.6). Böse Zungen sagen, dass Neugebauer wichtigen, überwiegend Unionspolitikern mit Forschungsstandorten in ihrem Wahlkreis gedankt hat, etwa in Görlitz, Zittau, Frankfurt, Jülich und Penzberg.br>

  • Mittelfristig: Strukturelle Erneuerung. Seit Jahren gibt es Klagen über eine überbordende Bürokratie und Kontrollwahn der Verwaltungszentrale. Eine Analyse meines damaligen Bundestagsbüros ergab, dass die Fraunhofer- Hauptverwaltung acht mal größer ist als die Zentralen weitaus größerer DAX-Konzerne im Schnitt – hier insbesondere die sogenannten Präsidialstäbe des Präsidenten selbst. Überflüssige Bereiche streichen, notwendige gegebenenfalls stärken. Ich sage dies im Wissen um die intrinsische Motivation und das Engagement der Fraunhofer-Mitarbeiterschaft. Die Forschungsorganisation braucht eine schlanke Zentrale und agile Institute. Dieser Umbauprozess muss jedoch von einem guten Governance- und Compliance-Regelwerk begleitet sein. Verantwortung ist der Zwilling von Freiheit. 

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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