Rigorosum
Erscheinungsdatum: 24. August 2023

Das Mint-Desaster will keiner hören ­– selbst Mint-Initiativen verdrücken sich 

Die Mint-Quellen verarmen: Das Elend des Fachkräftemangels beginne schon sehr früh, bei der Bildung unserer jungen und jüngsten Generation, kritisiert Thomas Sattelberger. Er fordert eine Bündelung der großen und finanzstarken Mint-Organisationen in einem nationalen Kraftakt: mit wenig Egoismus und Eitelkeit.

Am Beispiel der Chipfabriken in Magdeburg und Dresden habe ich zuletzt die dramatischen Konsequenzen des Mint- Fachkräftemangels bei Hightech-Standortentscheidungen für Deutschland deutlich gemacht. Doch das ist doch nur die Spitze des Eisberges. Deutschlands Mint-Talentquellen verarmen und wir werden zudem (immer noch) kein Land für qualifizierte Mint-Einwanderung.

Daten des Statistischen Bundesamts zufolge wählten im Studienjahr 2021 rund 307.000 Studierende im ersten Fachsemester ein Mint-Fach. Das waren 6,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Anfänger in Maschinenbau und Elektrotechnik hat sich in den letzten zehn Jahren bis Studienbeginn 2021/2022 halbiert. Es gibt inzwischen Hochschulen, die 30 bis 40 Prozent weniger Studienanfänger im Mint-Bereich haben.

Gleichzeitig sinkt der Anteil derjenigen, die sich im ersten Fachsemester für Mint-Fächer entscheiden: 2021 lag er bei 37,7 Prozent. Im Jahr 2015 hatte er noch 40,5 Prozent betragen. Das anteilige Stück am Kuchen ist also ebenso geschrumpft wie der Kuchen selbst.

Über die Studienabbruchs- und Wechselquoten von circa 50 Prozent in Mathematik, Informatik, Elektrotechnik, Physik und Chemie habe ich noch gar nicht gesprochen. Darunter die international Studierenden, deren Abbruchquoten zum Teil absolute zehn Prozent höher liegen.

Dies alles hat drastische Konsequenzen für Arbeitsmarkt und Fachkräftelücke. Im Mai 2023 betrug die Mint-Fachkräftelücke laut Mint-Frühjahrsreport 2023 des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fast 310.000. Das ist nahe am historischen Höchststand und größer als die Lücke der Mint-Facharbeiter und die der Spezialisten, der Meister und Techniker.

Bei einer Betrachtung nach Bundesländern (Quelle: Studie Jobvalley / Universität Maastricht) haben nur die Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie Bayern und Baden-Württemberg einen positiven Migrationssaldo. Alle anderen Bundesländer verlieren Ingenieure. Die ostdeutschen Bundesländer haben einen negativen Migrationssaldo in 2022 von minus 29 Prozent (Sachsen) bis hin zu einer Abnahme von 66 Prozent (Thüringen) und sogar 70 Prozent in Sachsen-Anhalt. Aber auch Niedersachsen (minus 37 Prozent) oder Rheinland-Pfalz (minus 54 Prozent) gehören zu den ganz großen Verlierern.

Vor dem Hintergrund, dass wir neben dem allemal demografisch bedingten Ersatzbedarf zusätzlich Hunderttausende Fachkräfte sowohl für die Energiewende als auch für die digitale Transformation benötigen, ist dies eine Katastrophe.

Noch schlimmer ist, dass das Elend schon sehr früh, bei der Bildung unserer jungen und jüngsten Generation beginnt. Ein Viertel (25,4 Prozent) der getesteten Kinder in Deutschland erreicht nicht den international festgelegten Mindeststandard beim Lesen (Kompetenzstufe III), der zum Lernen, gerade auch dem Mint-Lernen nötig wäre. Nur rund ein Drittel des Leistungsabfalls erklärt sich durch die veränderte Zusammensetzung der Schülerschaft.

„Wichtig ist auch, dass nicht die ausländische Herkunft maßgeblich ist. Der soziale Status – Buchbesitz, Bildungsabschluss und Berufsstatus der Eltern – und die zu Hause gesprochene Sprache erklären die Leistungsunterschiede“, erläutert Nele McElvany, Leiterin der internationalen Studie (vorherige Quelle). Zudem sind die Pisawerte in Mathematik und Naturwissenschaften wieder auf den Wert von 2003 zurückgefallen, also fast wieder auf dem Wert des Pisa Schocks 2000.

Zusammen mit dem damaligen Arbeitgeber-Präsidenten Dieter Hundt habe ich 2008 die eher operative Nationale Initiative Mint Zukunft e.V. (später als gemeinsame BDA/BDI- Initiative) und 2012 mit dem damaligen acatech-Präsidenten Henning Kagermann das policy- und strategiebasierte Nationale Mint Forum gegründet. 2022 hielt ich eine Dinnerspeech zum zehnjährigen Bestehen. Es war eine Brandrede zum Jubiläum.

Das Mint-Desaster war nicht erst absehbar, sondern schon voll im Gange. Ich forderte eine Bündelung der großen und finanzstarken Mint-Organisationen in einem nationalen Kraftakt: mit wenig Egoismus und Eitelkeit. Denn natürlich will in der deutschen privaten Förderszene jede Organisation mit ihren eigenen Spezialitäten strategisch hervorstechen und Reputation erwerben. Doch die Situation ist so schlimm, dass wir uns im Interesse der Sicherung einer umfassenden Mint-Bildung und des Technologiestandorts Deutschland auf ganz bodenständige Basics der Förderung verständigen müssen.

Es geht jetzt nicht mehr um das extravaganteste schulische Hightech Multimedia-Labor der XY-Stiftung, nicht mehr um abgehobene Mint-Diversity-Konferenzen in der Berliner Blase. Es geht jetzt nicht mehr um die Girls Days, deren Impact nie jemand richtig evaluiert hat, auch nicht um das nächste Policy Paper, das gebetsmühlenartig den alten, breitgetretenen Käse nach weiblichen Mint-Rollenvorbildern proklamiert. Die Ressourcen und gerade auch die finanziellen Ressourcen gehören gebündelt. Eine Milliarde von privaten Geldgebern mit Matching von zwei zusätzlichen Lindner-Milliarden – das wäre ein Wort!

Dafür bräuchte es eine klare gemeinsame Idee der privaten Geldgeber, einen Plan, der sowohl Qualitätssicherung als auch einen zügigen Mittelabfluss garantiert.

Innovating Innovation : Wer nicht erfolglos weiter so wie bisher wursteln will und damit nur „Mehr des Gleichen“ macht, dem gebe ich folgende vier innovative Stellhebel mit auf den Weg:

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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