
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehenden geopolitischen Veränderungen haben Deutschland und Europa gezwungen, die Abhängigkeit von russischem Gas in kürzester Zeit zu reduzieren. Eine Vielzahl fragwürdiger politischer Entscheidungen hat in der Vergangenheit jedoch nicht nur bei Gaslieferungen, sondern auch bei kritischen Rohstoffen zu Abhängigkeiten geführt, die die strategische Autonomie Europas einschränken.
Kritische Rohstoffe sind unerlässlich, um die grüne Transformation nicht nur zu bewältigen. Bestehende Abhängigkeiten gefährden daher nicht nur die europäische Wettbewerbsfähigkeit, sondern sie machen uns auch erpressbar und können sicherheitspolitisch notwendige Reaktion auf aktuelle Ereignisse verhindern. Es ist daher zentral, rasch Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen und diese Abhängigkeiten konsequent zu adressieren.
Globales Bündnis gleichgesinnter Partner
Zunächst müssen die Anstrengungen, die Beschaffung kritischer Rohstoffe zu diversifizieren, unmittelbar und mit verschiedenen Instrumenten intensiviert werden. Während die Diversifizierung globaler Lieferketten grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung ist, können Regierungen die Bemühungen von Unternehmen unterstützen, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel könnte ein globales Bündnis gleichgesinnten Partnern etabliert werden, ein sogenannter Critical Raw Materials Club, in dem Informationen, Netzwerke und Kapazitäten gemeinsam genutzt werden.
Die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit der Europäischen Kommission im Rahmen der Mineral Security Partnership bietet hierfür einen geeigneten Rahmen. Denn auch gleichgesinnte Länder werden sich in naher Zukunft wahrscheinlich einen Wettlauf um kritische Rohstoffe liefern. Ein spezieller Kooperationsrahmen könnte in diesem Zusammenhang ermöglichen, dass sich Länder den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern, sich bei lokalen Engpässen jedoch gegenseitig aushelfen und so das Risiko durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen seitens Drittstaaten verringern können.
Bedeutung von Umwelt- und Sozialstandards
Der Zugang zu noch nicht erschlossenen Lagerstätten wird auch durch Freihandelsabkommen begünstigt, die einen bevorzugten Zugang zu relevanten Quellen kritischer Rohstoffe ermöglichen. Dies gilt insbesondere für die Handelsabkommen mit Afrika und Lateinamerika, deren kritische Rohstoffvorkommen als hoch eingeschätzt werden. Der Abschluss dieser Handelsabkommen ist oft hinausgezögert worden oder ihre Ratifizierung steht noch aus.
Künftige Handelsbeziehungen zwischen Europa und weniger entwickelten Ländern im Zusammenhang mit der Beschaffung von kritischen Rohstoffen bieten auch die Möglichkeit, mögliche Geber-Empfänger-Beziehungen der Vergangenheit in Richtung einer für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft auf Augenhöhe zu entwickeln. Auf seiner jüngsten Reise nach Chile, die der Erneuerung der deutsch-chilenischen Rohstoffpartnerschaft diente, betonte Bundeskanzler Scholz daher zu Recht die Bedeutung der Einhaltung lokaler Umwelt- und Sozialstandards bei gleichzeitiger Sicherung der lokalen Wertschöpfung.
Lokale Bevölkerung in Bergbauvorhaben einbeziehen
Der Abbau und die Verarbeitung kritischer Rohstoffe ist jedoch nicht nur Aufgabe von Drittstaaten. Auch Europa sollte sich am weiteren Abbau beteiligen, um die künftige Versorgung zu sichern und ein gewisses Maß an Autonomie für den Fall unvorhergesehener Engpässe zu bewahren. Dies erfordert vor allem, die Vorteile des Zugangs zu nationalen Vorkommen kritischer Rohstoffe zu vermitteln und die lokale Bevölkerung in die Vorhaben einzubeziehen.
In Portugal wurde beispielsweise das Bergbaugesetz eigens zu diesem Zweck geändert: Die Gewinne aus dem Bergbau, die bisher allein dem Staat zufielen, werden nun bis zur Hälfte mit der lokalen Bevölkerung geteilt. Ein Modell nach portugiesischem Vorbild könnte sich daher neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze auch positiv auf die Stärkung der heimischen Produktion auswirken. Das kürzlich entdeckte schwedische Seltene-Erden-Vorkommen könnte somit eine Chance für Europa sein, die Bereitschaft zu Investitionen zu demonstrieren, die seine Auslandsabhängigkeit zu verringern.
Wiederbelebung der europäischen Bergbauindustrie
In Anbetracht der Notwendigkeit kritischer Rohstoffe für die Herstellung klimafreundlicher Technologien wie Solarpaneele und Windturbinen sollten die Kosten der lokalen Umweltbelastung sorgfältig gegen die Vorteile einer globalen Emissionsreduzierung abgewogen werden. Die Umweltstandards für den Bergbau in Europa sollten daher bei Bedarf neu bewertet werden.
Das Gleiche gilt für die Umweltanforderungen im Zusammenhang mit den Garantien für ungebundene Finanzkredite. Neben den höheren Lieferrisiken für europäische Produzenten dürften die globalen Umweltkosten höher sein, wenn nicht europäische Unternehmen, sondern Länder mit deutlich niedrigeren Umweltstandards den Bergbau in Drittländern übernehmen. Im Hinblick auf eine Ausweitung der europäischen Produktion könnte die Harmonisierung der für den Bergbau relevanten Umwelt- und Sozialstandards die Wiederbelebung der europäischen Bergbauindustrie beschleunigen.
Finanzielle Planungssicherheit für private Unternehmen
Um die Bedenken potenzieller Investoren von Bergbauprojekten in Europa auszuräumen, wäre ein dreistufiger Ansatz ratsam. Zunächst sollten die europäischen Vorkommen kritischer Rohstoffe eindeutig identifiziert werden, während relevante Gebiete vor der Genehmigung neuer kommerzieller oder privater Bauprojekte sorgfältig unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit bewertet werden sollten. Das im Rahmen des EU-Rohstoffgesetzes (CRMA) angedachte Netzwerk der europäischen Rohstoffagenturen könnte hier einen wertvollen Beitrag leisten.
Zweitens sollten die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, damit die durchschnittlichen Vorlaufzeiten nicht mehr, wie bisher, 16 Jahre betragen. Drittens sollten langfristige Abnahmeverträge privater Unternehmen durch ungebundene Finanzkredite oder ähnliche Instrumente unterstützt werden, um finanzielle Planungssicherheit zu schaffen.
Weniger Importe dank Recycling
Langfristig sollte auch die europäische Recycling-Infrastruktur für kritische Rohstoffe als mögliches Instrument zur Verringerung der Importabhängigkeit stärker anerkannt werden. Dieses Ziel wurde im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Bestandteil des europäischen Green Deal formuliert. Insbesondere ressourcenintensive Wirtschaftszweige wie die Textil-, Bau-, Elektronik- und Kunststoffindustrie würden von weiteren Recyclinganstrengungen profitieren, um die Beschaffungskosten zu senken.
Wie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in ihrer letzten Rede zur Lage der Nation 2022 betonte, würde ein Verlust des verlässlichen Zugangs zu kritischen Rohstoffen sowohl unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch unseren Weg zu Netto-Null-Emissionen gefährden. In diesem Zusammenhang haben politische Entscheidungsträger und Unternehmen gleichermaßen erkannt, dass die Abhängigkeit Europas von der Gewinnung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe durch nur wenige Anbieter unseren Wohlstand bedroht – insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten, die das Risiko wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten erhöhen.
Wenn die Fehler, die bei der Beschaffung von Erdgas gemacht wurden, vermieden werden sollen, ist es jetzt an der Zeit zu handeln. Alle Augen richten sich daher auf Brüssel, wo das europäische Gesetz über kritische Rohstoffe voraussichtlich am 14. März 2023 vorgestellt werden soll.