Ursula von der Leyen hat es ihrer Parteienfamilie nicht leicht gemacht in den vergangen vier Jahren – bei den Grünen hatte die CDU-Politikerin bisweilen mehr Freunde als im eigenen Lager. In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union bemühte sich die Kommissionspräsidentin aber, Salbe auf die Wunden zu schmieren.
Sie sprach “unseren Landwirten” ihre Anerkennung aus, versprach, “whatever it takes” für die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu tun und forderte eine schnelle Einigung auf den Migrationspakt. EVP-Chef Manfred Weber, in den vergangenen Monaten eher auf Konfrontation aus, zeigte sich erfreut und beschwor in seinem Redebeitrag die Geschlossenheit der “Von-der-Leyen-Koalition”. Seine S&D-Kollegin Iratxe García Pérez machte keinen Hehl aus ihrer Verwunderung.
Die Christdemokraten und ihre mögliche Kandidatin sind also dabei, sich zu versöhnen. Selbst wenn von der Leyen nicht die CDU-Landesliste in Niedersachsen zieren sollte, so wohl aber doch die Plakate für die Europawahl im Juni 2024. Sie selbst vermittelte jedenfalls keineswegs den Eindruck, bereits ans Ende ihrer Amtszeit zu denken. Daran dürfte auch die heftige Kritik mancher Industrieverbände nichts ändern, die sich nicht mit wohlklingenden Ankündigungen abspeisen lassen wollen.
In dieser Ausgabe nehmen wir die wichtigsten Initiativen ihrer SOTEU-Rede kritisch unter die Lupe. Ich wünsche Ihnen eine hoffentlich gewinnbringende Lektüre.
Die Kommissionspräsidentin hat bei ihrer SOTEU-Rede eine Antisubventionsuntersuchung zu Elektrofahrzeugen aus China angekündigt. Die Weltmärkte würden “mit billigen chinesischen Elektroautos überschwemmt“, sagte sie. Ihr Preis werde durch “riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt”. Das verzerre auch den europäischen Markt.
Von der Leyen nahm damit auch gleich vorweg, was bei der Untersuchung wohl herauskommen dürfte. So wie die EU staatliche Subventionen “nicht von innen” akzeptiere, “akzeptieren wir es auch nicht von außen”, sagte sie. Europa sei offen für Wettbewerb, “nicht für einen ungleichen Unterbietungswettlauf“.
Die Sätze der Kommissionspräsidentin machen klar: Ihr politischer Wille ist sehr ausgeprägt, aus China importierte batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) am Ende der Untersuchung tatsächlich mit Strafzöllen zu belegen.
Die Sorge ist groß, dass sie damit einen Handelskonflikt der EU mit China lostritt. Die chinesische Handelskammer in Brüssel reagiert postwendend und drückte “große Besorgnis und Widerstand” aus. Der Wettbewerbsvorteil der E-Autos aus China sei nicht auf staatliche Subventionen zurückzuführen, sondern auf technologischen Vorsprung. Dies müsse von der EU objektiv betrachtet werden, “anstatt auf einseitige Wirtschafts- und Handelsmaßnahmen” zurückzugreifen, die Entwicklung und Betriebskosten chinesischer BEVs auf dem europäischen Markt behindern oder erhöhen könnten.
Wang Lutong, im chinesischen Außenministerium für europäische Angelegenheiten zuständig, verwies auf Absatzförderung für Elektroautos (Battery Electric Vehicles, BEV) in vielen EU-Staaten und schrieb empört auf X: “In welcher Position ist die EU-Kommission, eine Antisubventionsuntersuchung gegen Elektrofahrzeuge aus China einzuleiten? Das ist nichts anderes als purer Protektionismus.”
Unterstützung für die Kommission kommt dagegen aus Paris und Berlin. Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno LeMaire sagte, es sei eine “sehr gute Entscheidung“. Wenn die chinesischen Subventionen gegen das internationale Regelwerk verstießen, “müssen wir das ahnden”. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich ähnlich: Wenn es den Verdacht gebe, dass unlauterer Wettbewerb stattfinde, sei die Untersuchung der richtige Schritt.
Auch Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, begrüßt die Ansage von der Leyens: “Die Entscheidung der Kommission ist richtig, da es Verdachtsmomente gibt.” Wettbewerb müsse über die Qualität erfolgen und nicht über unlautere Preise. “Sonst haben Unternehmen wie VW, die gute Arbeitsplätze und starke Arbeitnehmerrechte garantieren, einen klaren Wettbewerbsnachteil.” Lange mahnt aber auch: “Jede Untersuchung sollte stets auf Fakten beruhen und nicht politisch motiviert sein.” Maßnahmen sollten den fairen Wettbewerb garantieren und kein Instrument des Protektionismus sein.
Lange weist darauf hin, dass China einen Marktanteil an der Produktion von Batterien für BEV von 60 Prozent habe. Auch 70 Prozent der Verarbeitung von Lithium finde in China statt. Der SPD-Politiker fordert die EU auf, in der Industriepolitik aktiver zu werden: “Dazu gehören Handelsabkommen mit Südostasien und mehr Recycling zur Stärkung unserer Batterieproduktion. Innovatives Denken statt Protektionismus.”
Die schärfsten Gegner von möglichen Strafzöllen sind die deutschen Hersteller. Sie wurden kalt erwischt von der Ankündigung von der Leyens. Der Schock sitzt tief, so tief, dass die Branche weitgehend sprachlos bleibt. Der VDA beschwört in der ersten Reaktion nur den “freien, fairen und regelbasierten Handel” und mahnt: “Mögliche Gegenreaktionen müssen berücksichtigt werden.” BMW und VW wollen sich gar nicht offiziell äußern. Als einziger Hersteller positioniert sich Mercedes gegen Strafzölle: “Protektionistische Maßnahmen sind kontraproduktiv.”
Hinter vorgehaltener Hand werden Vertreter der Branche deutlicher: Sie befürchten, dass die Antisubventionsuntersuchung der Auftakt ist für einen schweren Handelskonflikt mit China. Wenn die EU Ernst mache, werde China umgehend Vergeltungsmaßnahmen verhängen, heißt es dort. Darunter litten vor allem die deutschen Premiumhersteller. “Die Kommissionspräsidentin handelt hier in französischem Auftrag.” Von der Leyen gieße Öl ins Feuer der ohnehin zunehmend schwieriger werdenden Handelsbeziehungen mit China.
Auch die Verärgerung über die französische Industrie ist massiv: “Letztlich zielt Frankreich nicht nur auf die Konkurrenz aus China, Paris will auch die deutschen Premiummarken schwächen.” Allein die Ankündigung von der Leyens sei eine deutliche Belastung für die Handelsbeziehungen zu China, heißt es weiter. Handelskommissar Valdis Dombrovskis werde das bei seiner Reise nach China in wenigen Tagen spüren. “Am Ende steht, dass die europäische Industrie nicht wettbewerbsfähiger wird, sondern die Position der Europäer im Welthandel geschwächt wird.”
Eine direkte Betroffenheit der deutschen Marken von Strafzöllen gegen BEV aus China dürfte es nicht geben. Die deutschen Konzerne führen keine Autos aus chinesischer Produktion nach Europa aus. Auch auf dem europäischen Markt konkurrieren BMW und Mercedes nicht mit chinesischen BEV. Lediglich VW befinde sich mit seinen Produkten in einer Konkurrenzsituation mit BYD.
BMW, Mercedes und VW exportierten im vergangenen Jahr 2,41 Millionen Fahrzeuge. In Deutschland haben VW, Mercedes und BMW im gleichen Zeitraum 3,15 Millionen Pkw produziert, davon waren 535.000 Stück BEV. In China haben BMW, VW und Mercedes 2022 4,48 Millionen PKW produziert, 275.000 Stück davon BEV. Mit Felix Lee und Till Hoppe
Ursula von der Leyen hat sich klar für eine Erweiterung der EU und zugleich eine tiefere Integration der Mitgliedstaaten ausgesprochen. Dies sei keine Frage des Entweder-oder, sagte die Kommissionspräsidentin: “Wir können und müssen beides tun.” Europa stehe vor der historischen Aufgabe, “unsere Union zu vollenden”.
Von der Leyen betonte, Beitrittskandidaten wie die Ukraine, Moldau, Georgien und die Westbalkan-Staaten müssten zunächst alle Kriterien erfüllen – das erfordere “harte Arbeit und Führungsstärke”. Kiew und andere Kandidaten hätten aber bereits viele Fortschritte gemacht und zeigten sich entschlossen zu Reformen.
Daher sei es nun an der EU, sich auf die Beitritte vorzubereiten. “Ich glaube, dass Europa auch mit mehr als 30 Staaten funktioniert”, sagte von der Leyen. Die CDU-Politikerin zeigte sich grundsätzlich offen für einen Europäischen Konvent und eine Änderung der EU-Verträge, wie sie das Europaparlament fordert. Angesichts der großen Widerstände unter den Mitgliedsstaaten forderte von der Leyen aber, nicht auf eine Vertragsänderung zu warten, um die Erweiterung voranzubringen: “Eine erweiterungsfähige Union können wir rascher erreichen.”
Von der Leyen habe sich bemerkenswert klar dafür ausgesprochen, Erweiterung und Vertiefung der EU zu verknüpfen, sagte Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dabei habe sie aber konkrete Vorschläge vermieden: “Sie versucht offenbar, zunächst Einigkeit über diesen grundsätzlichen Befund herzustellen, den noch längst nicht von allen Mitgliedstaaten akzeptiert ist”.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte bei seiner Rede in Heidelberg eine ganz andere Perspektive eingenommen – er sprach sich dafür aus, umfangreiche Kompetenzen von der EU-Ebene auf die Mitgliedstaaten zurückzuverlagern. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg lehnte kürzlich institutionelle Reformen ab: Der Lissabonner Vertrag biete genug Spielraum für eine Erweiterung.
Olaf Scholz und Emmanuel Macron hatten hingegen die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten an Reformen im Gefüge der EU geknüpft. Frankreichs Präsident sprach sich vergangene Woche erneut für eine EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus, damit integrationswillige Staaten vorangehen können. Der deutsche Bundeskanzler fordert insbesondere, Mehrheitsentscheidungen auf neue Politikfelder auszuweiten wie die Außen- und Sicherheitspolitik und die Steuerpolitik. Doch dagegen gibt es erhebliche Bedenken in kleineren Ländern – sie befürchten, in sensiblen Fragen einfach überstimmt zu werden.
Die Staats- und Regierungschefs werden voraussichtlich beim informellen Treffen in Grenada Anfang Oktober und beim EU-Gipfel im Dezember über diese Fragen diskutieren. Beim Rat im Dezember steht auch die Entscheidung an, ob sie den Weg ebnen für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau. “Das wäre der Zeitpunkt zu sagen, wir starten einen Reformprozess”, sagt von Ondarza.
Von der Leyen kündigte an, die Kommission werde nun damit beginnen zu prüfen, wie die einzelnen Institutionen und Politikfelder auf eine Erweiterung angepasst werden sollten. Man müsse überlegen, wie das Europaparlament und die Kommission mit mehr als 30 Mitgliedsstaaten aussehen würden. Auch über den EU-Haushalt und die Sicherheitsarchitektur gelte es zu sprechen. “Das sind Fragen, denen wir uns heute stellen müssen, um für die Zukunft gewappnet zu sein.”
Die Einfuhrverbote einiger europäischer Nachbarstaaten für Getreide aus der Ukraine sind ein Vorgeschmack auf die Konflikte, die eine Aufnahme des riesigen Agrarlandes in die EU mit sich bringen könnte. Auch würden osteuropäische Länder wie Polen, die bislang weit mehr aus dem gemeinsamen Haushalt erhalten, als sie einzahlen, auf einmal zu Nettozahlern.
Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.
Die Kommissionspräsidentin hat den Green Deal also nicht für beendet erklärt, sondern dessen Fortsetzung beteuert und weitere Maßnahmen angekündigt:
Von der Leyen versprach, die europäische Industrie während des Übergangs auch weiterhin zu unterstützen. Er sei für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend. Die Industriestrategie der EU-Kommission sehe vor, für jedes industrielle Ökosystem Risiken und Bedürfnisse individuell zu berücksichtigen. Die Energiewende-Dialoge sollen dabei helfen, in jedem Sektor die Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Dekarbonisierung voranzutreiben.
Windenergie kann genau das liefern, was Europas Industrie dringend braucht: günstigen, grünen Strom. Insofern sind von der Leyens Ankündigungen zum Windkraft-Paket folgerichtig. Sie will:
Allerdings laufen für viele dieser Punkte bereits Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene. Die Worte der Kommissionspräsidentin dürften deshalb vor allem als Appell an die Co-Gesetzgeber zu verstehen sein und als Aufruf an die Mitgliedstaaten, beschlossene Regeln schnell umzusetzen.
Ähnlich sieht es der deutsch-belgische Getriebehersteller ZF Wind Power. “Viele Maßnahmen müssen letztlich in den Mitgliedsstaaten und dort auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt werden. Entscheidend wird sein, dass Europa geschlossen und auf allen Ebenen agiert“, sagt CTO Martin Knops.
Mit der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) etwa steht die EU kurz davor, natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften zu lockern. Es sind deshalb auch keine weiteren planungsrechtlichen Vereinfachungen auf EU-Ebene, die der Verband WindEurope anmahnt, sondern schnellere Verfahren auf nationaler Ebene.
Investorenfreundlichere Auktionsregeln, wie sie von der Leyen will, stehen zudem bereits mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) an. Für die Windindustrie soll nicht allein die Höhe der Gebote den Ausschlag geben, es sollen auch qualitative Kriterien einfließen – quasi Bonuspunkte für Kriterien wie Cybersicherheit und Nachhaltigkeit. Damit würde der Kostendruck für die Industrie gesenkt und europäische Hersteller könnten finanzielle Nachteile wettmachen, die sie gegenüber der chinesischen Konkurrenz haben.
Abhängigkeiten bei seltenen Erden und Kupfer geht die EU mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) an, WindEurope will die Liste der begünstigten Materialien etwa um Glasfasergewebe ergänzen.
Für Investitionen in neue Fabriken hatte die Kommission zuletzt schon den Beihilferahmen für Transformationstechnologien gelockert. “Entscheidend ist aber, dass die EU eigenes Geld auf den Tisch legt“, heißt es bei WindEurope – etwa über den Souveränitäts- und den Innovationsfonds. Bei der Finanzierung stört die europäische Industrie zudem der ungleiche Wettbewerb mit China. Abnehmer chinesischer Anlagen müssten etwa erst dann zahlen, falls oder nachdem der Windpark tatsächlich gebaut wurde.
Was die Kommission mit dem Windkraft-Paket über die bereits vorgestellten Gesetzesvorschläge hinaus plant, ist noch nicht bekannt. Laut von der Leyen ist das Ziel, dass Europa wieder Heimat der Clean-Tech-Industrie wird.
Auch zur Landwirtschaft hatte von der Leyen etwas zu sagen: Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen dazu in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.
Doch sie mahnte auch “mehr Dialog und weniger Polarisierung” an. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gingen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, lies sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.
Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table.Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen“.
Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), neuen Gentechnik, nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt.
Ebenfalls unerwähnt blieben Europas klimapolitische Anstrengungen auf internationaler Ebene. Auf der anstehenden Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) muss Europa enorme Überzeugungsarbeit leisten, dass auch andere Industrienationen und Schwellenländer ihre Industrie transformieren. Insbesondere angesichts der diesjährigen globalen Bestandsaufnahme – dem Hauptinstrument zur Ambitionssteigerung globaler Klimaziele – sei die Abwesenheit des Themas in der Rede verwunderlich, schrieb Linda Kalcher, Exekutivdirektorin des paneuropäischen Thinktanks Strategic Perspectives auf der Plattform X.
Eine mangelnde sozial gerechte Umsetzung des Green Deals beklagt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. “Die Kommissionspräsidentin hat zwar die Industrietransformation als zentrale Herausforderung erkannt, aber sie sollte wesentlich konkreter werden, wie sie den Green Deal als Projekt im Sinne einer sozial gerechten Transformation weiterentwickeln will”, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
15.09.-17.09.2023, Bonn
FES, Seminar Europas autokratisierende Zwillinge? Ungarn und Polen in der EU
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geht der Frage nach, welche Instrumente der EU zur Verfügung stehen, um Grundwerte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedstaaten zu garantieren. INFOS
15.09.2023 – 09:30-14:30 Uhr, online
ECFR, Discussion 30 years of the Single Market: A look into the future
The European Council on Foreign Relations (ECFR) brings together representatives of the Spanish and European institutions, the private sector, and civil society to address the achievements of the Single Market in its 30th anniversary and the challenges ahead. INFOS & REGISTRATION
15.09.2023 – 11:00-15:00 Uhr, Osnabrück
KAS, Q&A Tag der Demokratie 2023: Europa vor der Wahl
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) spricht mit Bürgern über die gemeinsamen Werte der EU. INFOS & ANMELDUNG
15.09.2023 – 18:30-22:30 Uhr, Düsseldorf
KAS, Symposium Freiheit in Sicherheit – 3. Lange Nacht der Politik
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) widmet sich der Frage, in welchem Europa wir leben wollen. INFOS & ANMELDUNG
18.09.-22.09.2023, online
ERA, Seminar Summer Course on EU Staff Regulations
The Academy of European Law (ERA) provides an introduction to the EU Staff Regulations. INFOS & REGISTRATION
18.09.-22.09.2023, Bonn
FES, Seminar EU in der Welt 2030 – Ein Blick in die Zukunft
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) beschäftigt sich mit der neuen weltpolitischen Situation nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und den Folgen für die europäische Politik. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 10:30-13:30 Uhr, online
Behörden Spiegel, Podiumsdiskussion Digital Services Act
Der Behörden Spiegel diskutiert den aktuellen Stand der Umsetzung des Digital Services Act sowie weiteren Handlungsbedarf. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 13:00-18:00 Uhr, Augsburg
EP, Konferenz Multiplikatoren-Treffen zur Europawahl
Das Europäische Parlament (EP) legt dar, welche kostenlose Unterstützung es den EU-Akteuren im Vorfeld der Europawahlen anbieten kann. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 13:00-15:00 Uhr, Berlin
KAS, Konferenz Turbo für Klimaneutralität?! Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie im Fokus
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert die Auswirkungen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED III) für den Wirtschaftsstandort Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
19.09.-20.09.2023, Brüssel (Belgien)/online
European Shipping Summit
The European Shipping Summit 2023 offers industry sessions, networking opportunities, and high-level dialogues featuring European and international policymakers, regulators, and industry stakeholders. INFOS & REGISTRATION
19.09.2023 – 08:30-19:30 Uhr, Berlin
HBS, Konferenz Gesellschaftsprojekt Energiewende – volle Kraft voraus!
Die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) sucht nach Strategien und Ideen, die das Gesellschaftsprojekt Energiewende beschleunigen und in die Breite tragen. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 10:30-17:00 Uhr, Düsseldorf/online
BMUV, Diskussion Diskussionsforum zum Thema Recht auf Reparatur
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gibt Einblicke in die rechtlichen und empirischen Aspekte des “Rechts auf Reparatur”. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 10:30-12:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erneuerbare Fernwärme: Tiefe Geothermie
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beschäftigt sich beispielhaft mit den Projektierungs- und Betriebserfahrungen aus einem Tiefengeothermie-Projekt. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
KAS, Diskussion Wofür stehen christliche Demokraten in der EU?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) spricht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Wertevorstellungen der christlich-demokratischen, liberalen und konservativen europäischen Parteienfamilie. INFOS & ANMELDUNG
Die Außenpolitik war in den vergangenen vier Jahren eines der wichtigsten Anliegen der “geopolitischen Kommission”. Doch in ihrer Rede zur Lage der Union setzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dem Bereich kaum neue Akzente. Die EU werde ihre Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Russland fortsetzen und sich auf mögliche Sicherheitsgarantien für Kiew vorbereiten, sagte sie. Details blieb die Deutsche jedoch schuldig. Auch zu einem möglichen Friedensgipfel in diesem Jahr äußerte sie sich nicht.
Die EU werde der Ukraine “so lange wie nötig” zur Seite stehen, sagte von der Leyen. Vier Millionen Ukrainer hätten seit Beginn des Krieges in der Union Zuflucht gefunden. Die Kommission werde nun den Mitgliedstaaten eine Verlängerung des Schutzstatus für die Ukrainer in der EU vorschlagen. Außerdem deutete sie an, dass die Verteidigungsindustrie befähigt werden soll, dem Land Sicherheitsgarantien zu geben. “Wir werden der Ukraine bei jedem Schritt auf ihrem Weg zur Seite stehen”, hieß es.
Der Schlüssel zum Erfolg in der Außenpolitik sei die Geschlossenheit, sagte von der Leyen. Dies gelte auch für Afrika. “Wir müssen also Afrika gegenüber ebenso an einem Strang ziehen, wie wir es bei der Ukraine getan haben.” Mit Blick auf den Militärputsch im Niger sagte sie, die Serie von Staatsstreichen werde die Sahelzone auf Jahre destabilisieren. Russland schlage aus dem Chaos Kapital, die Region sei fruchtbarer Boden für Terror geworden.
Die Unsicherheit gefährde Europa unmittelbar. Deshalb werde die Kommission mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ein neues Strategiekonzept erarbeiten. Dabei will sich von der Leyen von zwei Prinzipien leiten lassen: “Wir müssen uns auf die Zusammenarbeit mit rechtmäßigen Regierungen und regionalen Organisationen konzentrieren.” Und: “Wir müssen eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft entwickeln.” Der EU wurde zuletzt immer wieder vorgeworfen, zuerst an eigene Interessen zu denken.
Im Hinblick auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik zeigte sich von der Leyen überzeugt, dass eine Einigung “in greifbarer Nähe” liege. Das Europaparlament müsse den laufenden Trilog zum Asylpakt so schnell wie möglich beenden. Außerdem kündigte sei eine internationale Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels an. Details blieb die EU-Chefin allerdings auch hier schuldig. ebo
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union zur Nutzung der Chancen sogenannter Künstlicher Intelligenz aufgerufen. Europa wolle auch in diesem Bereich “weltweiter Vorreiter für die Bürgerrechte in der digitalen Welt” sein. Der noch in Abstimmung zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Parlament befindliche AI Act sei eine “Blaupause für die ganze Welt”. Von der Leyen forderte eine zügige Verabschiedung.
Zugleich warb die Kommissionspräsidentin für ein internationales Gremium, vergleichbar dem Weltklimarat IPCC, in dem Risiken und Nutzen für die Menschheit analysiert werden sollten. Von der Leyen will möglichen Problemen mit KI frühzeitig durch enge internationale Abstimmung vorbeugen. Sie sprach sich für globale Mindeststandards für ethische und sichere KI-Nutzung aus.
Von der Leyen kündigte zudem an, dass europäische KI-Startups Nutzungsmöglichkeiten an europäischen Supercomputern erhalten sollten. Die Kommissionspräsidentin verwies zudem darauf, dass sie dem Thema von Beginn ihrer Präsidentschaft an höchste Priorität verliehen habe, weshalb sie sich schon vor Amtsantritt dazu verpflichtet habe, binnen 100 Tagen nach Amtsantritt einen Vorschlag für KI-Regulierung vorzulegen. Tatsächlich vergingen zwischen Amtsantritt Anfang Dezember 2019 und Vorstellung des AI Act Ende April 2020 133 Tage. fst
Das Europäische Parlament hat am Mittwoch verbindliche Zielvorgaben für Fluggesellschaften in Europa verabschiedet, die den Einsatz von nachhaltigen Flugkraftstoffen (Sustainable Aviation Fuels, SAF) erhöhen sollen. Der Vorstoß namens ReFuelEU Aviation zielt darauf ab, sowohl die Nachfrage als auch das Angebot an nachhaltigen Flugkraftstoffen zu erhöhen. Bereits im April hatten sich Rat, Parlament und Kommission im Trilog geeinigt. ReFuelEU Aviation ist Teil des Fit-for-55-Pakets und das ordnungsrechtliche Instrument zur Erreichung der Klimaziele für den Flugverkehr.
Synthetische Kraftstoffe werden mithilfe von abgeschiedenem CO₂ hergestellt. SAF können sowohl synthetisch hergestellt werden als auch biogenen Ursprungs sein, also aus organischen Abfällen. Ausgeschlossen sind Biokraftstoffe, die aus Lebens- und Futtermittelpflanzen hergestellt werden.
Zwei Prozent ab 2025 klinge wenig, sei aber mehr als doppelt so viel wie die ursprüngliche Zielvorstellung des Ministerrats, sagt EU-Verkehrspolitikerin Anna-Deparnay-Grunenberg (Grüne). “Jetzt geht es darum, dass die Produktion möglichst schnell hochläuft.” Der Verband Airlines for Europe begrüßte die Verabschiedung der EU-Verordnung. Man freue sich auf die weitere weltweite Einführung von SAF. Die EU-Länder müssen das Abkommen noch ratifizieren, damit es in Kraft treten kann. rtr/luk
Der Bericht von Javi López (S&D) zur Luftqualitätsrichtlinie hat im Plenum eine Mehrheit erzielt. Damit ist der Versuch von Norbert Lins (CDU) gescheitert, die Parlamentsposition abzuschwächen. López will, dass die WHO-Leitlinien für Luftschadstoffe bis 2030 eins zu eins umgesetzt werden. Dies wäre eine Verschärfung gegenüber dem Vorschlag der Kommission. Die Kommission hatte lediglich eine Annäherung der Grenzwerte vorgeschlagen. Laut ihren Plänen würden die Grenzwerte für die meisten Luftschadstoffe halbiert.
Beschlossen wurde nun als Parlamentsposition eine weitere Verschärfung: So soll etwa der jährliche Durchschnittsgrenzwert für Feinpartikel (PM 2,5) von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft auf zehn Mikrogramm abgesenkt werden.
Unterdessen hat die spanische Ratspräsidentschaft einen neuen Kompromissvorschlag vorgelegt, der Contexte vorliegt. Der Rat will bis Dezember die allgemeine Ausrichtung vornehmen, danach kann der Trilog beginnen. mgr
Das Europaparlament hat die Reformen für mehr Transparenz beschlossen, die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola im Nachgang der Kaili-Affäre mit ihrem 14-Punkte-Plan vorgeschlagen hat. Der Bericht der SPD-Parlamentarierin Gaby Bischoff wurde angenommen. Die Geschäftsordnung des Parlaments wird in mehreren Punkten geändert.
Beschlossen wurde auch, dass Europaabgeordnete künftig vor der Aufnahme ihres Mandats sowie beim Ausscheiden aus dem Parlament eine Erklärung zu ihrem Vermögen und zu ihren Verbindlichkeiten abgeben müssen. Eine Mehrheit gab es auch für die Offenlegung sämtlicher Treffen mit Interessenvertretern, die einen Bezug zu ihrer Abgeordnetentätigkeit haben.
Anders als im Bischoff-Bericht vorgeschlagen, sollen nun doch keine externen Experten in den beratenden Ausschuss berufen werden, der über die Einhaltung der Ethikregeln wacht und bei Verstößen Strafen ausspricht. Beschlossen wurde, dass der beratende Ausschuss nur aus acht Mitgliedern des Parlaments besteht. mgr
Die EU-Kommission kritisiert, dass das neue EU-Gesetz gegen die Abholzung von Wäldern keine Unterstützung von Finanzinstituten erhält. Das erklärte ein Kommissionsvertreter am Mittwoch. Die Kommission stelle den Erzeugerländern viel Geld zur Verfügung, doch die Finanzinstitutionen gingen nicht mit, klagte Leonard Mizzi, Referatsleiter in der Abteilung für internationale Partnerschaften der Kommission. Die Institute seien zwar bereit, Nachhaltigkeitsinitiativen im Energiesektor zu finanzieren, die Landwirtschaft sei für sie aber zu kleinteilig und kompliziert, sagte Mizzi.
Importeure von Kaffee, Kakao, Rindfleisch, Soja, Kautschuk und Palmöl müssen laut dem Gesetz ab 2024 eine Sorgfaltserklärung vorlegen, in der sie nachweisen, dass ihre Waren nicht zur Entwaldung beitragen. Die Unternehmen müssen auch nachweisen, dass die Produkte den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes entsprechen, damit die Menschenrechte und die Rechte indigener Völker geachtet werden. Andernfalls werden Strafen fällig.
Auch unter Exportländern stößt das Gesetz auf Kritik. Laut Reuters bezeichnete Indonesien das Gesetz als Beispiel für einen “regulatorischen Imperialismus“, während Malaysia erklärte, es handele sich um einen “absichtlichen Versuch”, die Kosten und Hindernisse für seinen Palmölsektor zu erhöhen. Laut Mizzi verfolge die EU daher einen “Multi-Stakeholder-Ansatz” und verwies auf die regionalen Kaffeedialoge, die die Union mit mehreren lateinamerikanischen Ländern führe. rtr/luk
Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Venezuela sind nach einem Urteil des Gerichts der EU rechtmäßig. Wie die Deutsche Presse-Agentur gestern berichtete, wiesen die Richter in Luxemburg eine entsprechende Klage Venezuelas am Dienstag ab. Gewalttaten, Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf die Demokratie seien zum Zeitpunkt des Sanktionserlasses hinreichend belegt gewesen. Daher hätten die EU-Staaten keinen Beurteilungsfehler begangen. Gegen das Urteil kann noch vor dem höchsten europäischen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof vorgegangen werden.
Die EU-Staaten verhängten 2017 Sanktionen gegen das südamerikanische Land. Demnach durften zum Beispiel Militärgüter nicht mehr nach Venezuela verkauft oder weitergegeben werden. Venezuela klagte dagegen, die Richter des EU-Gerichts wiesen die Klage 2018 als unzulässig ab, der EuGH hob das Urteil jedoch auf und verwies die Sache zurück an das Gericht, das nun erneut gegen Venezuela entschied.
Venezuela steckt seit Jahren in einer schweren Krise. Mehr als sieben Millionen Menschen haben das Land nach UN-Angaben in den vergangenen Jahren wegen Armut und Gewalt verlassen, die meisten nach Kolumbien. dpa
Sie war 2020 in aller Munde, als ihr Mann in Belarus für das Präsidentschaftsamt kandidierte, dann verhaftet wurde und sie seine Kandidatur übernahm. Gemeinsam mit zwei weiteren Frauen, deren Männer nicht als Kandidaten zugelassen wurden, setzte Swjatlana Zichanouskaja die Präsidentschaftswahl fort. Die Wahl wird international als Scheinwahl anerkannt und die zweifelhaften Ergebnisse zugunsten des Langzeitmachthabers Alexander Lukaschenko lösten Massenproteste in Belarus aus. Offiziell gewann Zichanouskaja zehn Prozent der Stimmen – einige Analysten sehen sie jedoch als gewählte Präsidentin des Landes.
Am Beginn Ihrer politischen Karriere lag Zichanouskajas Fokus überwiegend auf dem Kampf für ein demokratisches Belarus. Bei ihrer Rede im Europäischen Parlament am gestrigen Mittwoch machte sie aber deutlich: Ihre Ziele sind mit den internationalen Krisen nur gewachsen. “Ich bin hier hergekommen, um Sie um Ihre Unterstützung für eine europäische Perspektive für Belarus zu bitten”, sagt die Politikerin. “Belarussinnen und Belarussen wollen von Ihnen hören, dass die Europäische Union auf uns wartet.”
Sie zitiert den ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel: Die Zukunft von Belarus sei verbunden mit der Zukunft von Europa und Belarus wird eines Tages zur Europäischen Union gehören. “Lassen Sie uns das in die Wirklichkeit umsetzen”, so Zichanouskaja.
Lukaschenkos Diktatur hat viele Belarussen ins Exil vertrieben. Seine Herausforderin Zichanouskaja will daher einen neuen belarussischen Pass einführen, der diesen Menschen staatliche Anerkennung geben soll. Der Pass ist angelehnt an jene Pässe, die baltische Staaten während der sowjetischen Besatzung an Menschen im Exil ausstellten. “Sehr bald werden wir zu ihren Regierungen kommen und sie bitten, unseren neuen Pass anzuerkennen”, kündigte Zichanouskaja in Straßburg an.
Nach der Wahl 2020 reiste Zichanouskaja nach Litauen. Von dort rief sie zu friedlichen Protesten gegen Lukaschenko auf. Dieser schrieb wiederum eine internationale Fahndung nach ihr aus. Als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begannt, erklärte sich Zichanouskaja zur rechtmäßigen Vertreterin des belarussischen Volkes. Weil Teile des Angriffs von belarussischem Boden ausgingen, geht die Politikerin davon aus, dass Lukaschenko Wladimir Putin bei seinem Angriffsvorhaben unterstützt.
Der Sturz von Lukaschenko ist weiterhin die wichtigste Aufgabe für Zichanouskaya. “Mord an seinen Konkurrenten, Folter von Demonstranten, Entführung ukrainischer Kinder, stille Kriegsführung gegen sein eigenes Volk und Unterstützung des Angriffskriegs gegen die Ukraine” – die Liste seiner Vergehen sei lang. “Lukaschenko verdient keinen Platz in internationalen Foren. Alles, was er verdient, ist ein One-Way-Ticket nach Den Haag.” Svenja Schlicht
Ursula von der Leyen hat es ihrer Parteienfamilie nicht leicht gemacht in den vergangen vier Jahren – bei den Grünen hatte die CDU-Politikerin bisweilen mehr Freunde als im eigenen Lager. In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union bemühte sich die Kommissionspräsidentin aber, Salbe auf die Wunden zu schmieren.
Sie sprach “unseren Landwirten” ihre Anerkennung aus, versprach, “whatever it takes” für die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu tun und forderte eine schnelle Einigung auf den Migrationspakt. EVP-Chef Manfred Weber, in den vergangenen Monaten eher auf Konfrontation aus, zeigte sich erfreut und beschwor in seinem Redebeitrag die Geschlossenheit der “Von-der-Leyen-Koalition”. Seine S&D-Kollegin Iratxe García Pérez machte keinen Hehl aus ihrer Verwunderung.
Die Christdemokraten und ihre mögliche Kandidatin sind also dabei, sich zu versöhnen. Selbst wenn von der Leyen nicht die CDU-Landesliste in Niedersachsen zieren sollte, so wohl aber doch die Plakate für die Europawahl im Juni 2024. Sie selbst vermittelte jedenfalls keineswegs den Eindruck, bereits ans Ende ihrer Amtszeit zu denken. Daran dürfte auch die heftige Kritik mancher Industrieverbände nichts ändern, die sich nicht mit wohlklingenden Ankündigungen abspeisen lassen wollen.
In dieser Ausgabe nehmen wir die wichtigsten Initiativen ihrer SOTEU-Rede kritisch unter die Lupe. Ich wünsche Ihnen eine hoffentlich gewinnbringende Lektüre.
Die Kommissionspräsidentin hat bei ihrer SOTEU-Rede eine Antisubventionsuntersuchung zu Elektrofahrzeugen aus China angekündigt. Die Weltmärkte würden “mit billigen chinesischen Elektroautos überschwemmt“, sagte sie. Ihr Preis werde durch “riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt”. Das verzerre auch den europäischen Markt.
Von der Leyen nahm damit auch gleich vorweg, was bei der Untersuchung wohl herauskommen dürfte. So wie die EU staatliche Subventionen “nicht von innen” akzeptiere, “akzeptieren wir es auch nicht von außen”, sagte sie. Europa sei offen für Wettbewerb, “nicht für einen ungleichen Unterbietungswettlauf“.
Die Sätze der Kommissionspräsidentin machen klar: Ihr politischer Wille ist sehr ausgeprägt, aus China importierte batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) am Ende der Untersuchung tatsächlich mit Strafzöllen zu belegen.
Die Sorge ist groß, dass sie damit einen Handelskonflikt der EU mit China lostritt. Die chinesische Handelskammer in Brüssel reagiert postwendend und drückte “große Besorgnis und Widerstand” aus. Der Wettbewerbsvorteil der E-Autos aus China sei nicht auf staatliche Subventionen zurückzuführen, sondern auf technologischen Vorsprung. Dies müsse von der EU objektiv betrachtet werden, “anstatt auf einseitige Wirtschafts- und Handelsmaßnahmen” zurückzugreifen, die Entwicklung und Betriebskosten chinesischer BEVs auf dem europäischen Markt behindern oder erhöhen könnten.
Wang Lutong, im chinesischen Außenministerium für europäische Angelegenheiten zuständig, verwies auf Absatzförderung für Elektroautos (Battery Electric Vehicles, BEV) in vielen EU-Staaten und schrieb empört auf X: “In welcher Position ist die EU-Kommission, eine Antisubventionsuntersuchung gegen Elektrofahrzeuge aus China einzuleiten? Das ist nichts anderes als purer Protektionismus.”
Unterstützung für die Kommission kommt dagegen aus Paris und Berlin. Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno LeMaire sagte, es sei eine “sehr gute Entscheidung“. Wenn die chinesischen Subventionen gegen das internationale Regelwerk verstießen, “müssen wir das ahnden”. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich ähnlich: Wenn es den Verdacht gebe, dass unlauterer Wettbewerb stattfinde, sei die Untersuchung der richtige Schritt.
Auch Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, begrüßt die Ansage von der Leyens: “Die Entscheidung der Kommission ist richtig, da es Verdachtsmomente gibt.” Wettbewerb müsse über die Qualität erfolgen und nicht über unlautere Preise. “Sonst haben Unternehmen wie VW, die gute Arbeitsplätze und starke Arbeitnehmerrechte garantieren, einen klaren Wettbewerbsnachteil.” Lange mahnt aber auch: “Jede Untersuchung sollte stets auf Fakten beruhen und nicht politisch motiviert sein.” Maßnahmen sollten den fairen Wettbewerb garantieren und kein Instrument des Protektionismus sein.
Lange weist darauf hin, dass China einen Marktanteil an der Produktion von Batterien für BEV von 60 Prozent habe. Auch 70 Prozent der Verarbeitung von Lithium finde in China statt. Der SPD-Politiker fordert die EU auf, in der Industriepolitik aktiver zu werden: “Dazu gehören Handelsabkommen mit Südostasien und mehr Recycling zur Stärkung unserer Batterieproduktion. Innovatives Denken statt Protektionismus.”
Die schärfsten Gegner von möglichen Strafzöllen sind die deutschen Hersteller. Sie wurden kalt erwischt von der Ankündigung von der Leyens. Der Schock sitzt tief, so tief, dass die Branche weitgehend sprachlos bleibt. Der VDA beschwört in der ersten Reaktion nur den “freien, fairen und regelbasierten Handel” und mahnt: “Mögliche Gegenreaktionen müssen berücksichtigt werden.” BMW und VW wollen sich gar nicht offiziell äußern. Als einziger Hersteller positioniert sich Mercedes gegen Strafzölle: “Protektionistische Maßnahmen sind kontraproduktiv.”
Hinter vorgehaltener Hand werden Vertreter der Branche deutlicher: Sie befürchten, dass die Antisubventionsuntersuchung der Auftakt ist für einen schweren Handelskonflikt mit China. Wenn die EU Ernst mache, werde China umgehend Vergeltungsmaßnahmen verhängen, heißt es dort. Darunter litten vor allem die deutschen Premiumhersteller. “Die Kommissionspräsidentin handelt hier in französischem Auftrag.” Von der Leyen gieße Öl ins Feuer der ohnehin zunehmend schwieriger werdenden Handelsbeziehungen mit China.
Auch die Verärgerung über die französische Industrie ist massiv: “Letztlich zielt Frankreich nicht nur auf die Konkurrenz aus China, Paris will auch die deutschen Premiummarken schwächen.” Allein die Ankündigung von der Leyens sei eine deutliche Belastung für die Handelsbeziehungen zu China, heißt es weiter. Handelskommissar Valdis Dombrovskis werde das bei seiner Reise nach China in wenigen Tagen spüren. “Am Ende steht, dass die europäische Industrie nicht wettbewerbsfähiger wird, sondern die Position der Europäer im Welthandel geschwächt wird.”
Eine direkte Betroffenheit der deutschen Marken von Strafzöllen gegen BEV aus China dürfte es nicht geben. Die deutschen Konzerne führen keine Autos aus chinesischer Produktion nach Europa aus. Auch auf dem europäischen Markt konkurrieren BMW und Mercedes nicht mit chinesischen BEV. Lediglich VW befinde sich mit seinen Produkten in einer Konkurrenzsituation mit BYD.
BMW, Mercedes und VW exportierten im vergangenen Jahr 2,41 Millionen Fahrzeuge. In Deutschland haben VW, Mercedes und BMW im gleichen Zeitraum 3,15 Millionen Pkw produziert, davon waren 535.000 Stück BEV. In China haben BMW, VW und Mercedes 2022 4,48 Millionen PKW produziert, 275.000 Stück davon BEV. Mit Felix Lee und Till Hoppe
Ursula von der Leyen hat sich klar für eine Erweiterung der EU und zugleich eine tiefere Integration der Mitgliedstaaten ausgesprochen. Dies sei keine Frage des Entweder-oder, sagte die Kommissionspräsidentin: “Wir können und müssen beides tun.” Europa stehe vor der historischen Aufgabe, “unsere Union zu vollenden”.
Von der Leyen betonte, Beitrittskandidaten wie die Ukraine, Moldau, Georgien und die Westbalkan-Staaten müssten zunächst alle Kriterien erfüllen – das erfordere “harte Arbeit und Führungsstärke”. Kiew und andere Kandidaten hätten aber bereits viele Fortschritte gemacht und zeigten sich entschlossen zu Reformen.
Daher sei es nun an der EU, sich auf die Beitritte vorzubereiten. “Ich glaube, dass Europa auch mit mehr als 30 Staaten funktioniert”, sagte von der Leyen. Die CDU-Politikerin zeigte sich grundsätzlich offen für einen Europäischen Konvent und eine Änderung der EU-Verträge, wie sie das Europaparlament fordert. Angesichts der großen Widerstände unter den Mitgliedsstaaten forderte von der Leyen aber, nicht auf eine Vertragsänderung zu warten, um die Erweiterung voranzubringen: “Eine erweiterungsfähige Union können wir rascher erreichen.”
Von der Leyen habe sich bemerkenswert klar dafür ausgesprochen, Erweiterung und Vertiefung der EU zu verknüpfen, sagte Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dabei habe sie aber konkrete Vorschläge vermieden: “Sie versucht offenbar, zunächst Einigkeit über diesen grundsätzlichen Befund herzustellen, den noch längst nicht von allen Mitgliedstaaten akzeptiert ist”.
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte bei seiner Rede in Heidelberg eine ganz andere Perspektive eingenommen – er sprach sich dafür aus, umfangreiche Kompetenzen von der EU-Ebene auf die Mitgliedstaaten zurückzuverlagern. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg lehnte kürzlich institutionelle Reformen ab: Der Lissabonner Vertrag biete genug Spielraum für eine Erweiterung.
Olaf Scholz und Emmanuel Macron hatten hingegen die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten an Reformen im Gefüge der EU geknüpft. Frankreichs Präsident sprach sich vergangene Woche erneut für eine EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus, damit integrationswillige Staaten vorangehen können. Der deutsche Bundeskanzler fordert insbesondere, Mehrheitsentscheidungen auf neue Politikfelder auszuweiten wie die Außen- und Sicherheitspolitik und die Steuerpolitik. Doch dagegen gibt es erhebliche Bedenken in kleineren Ländern – sie befürchten, in sensiblen Fragen einfach überstimmt zu werden.
Die Staats- und Regierungschefs werden voraussichtlich beim informellen Treffen in Grenada Anfang Oktober und beim EU-Gipfel im Dezember über diese Fragen diskutieren. Beim Rat im Dezember steht auch die Entscheidung an, ob sie den Weg ebnen für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau. “Das wäre der Zeitpunkt zu sagen, wir starten einen Reformprozess”, sagt von Ondarza.
Von der Leyen kündigte an, die Kommission werde nun damit beginnen zu prüfen, wie die einzelnen Institutionen und Politikfelder auf eine Erweiterung angepasst werden sollten. Man müsse überlegen, wie das Europaparlament und die Kommission mit mehr als 30 Mitgliedsstaaten aussehen würden. Auch über den EU-Haushalt und die Sicherheitsarchitektur gelte es zu sprechen. “Das sind Fragen, denen wir uns heute stellen müssen, um für die Zukunft gewappnet zu sein.”
Die Einfuhrverbote einiger europäischer Nachbarstaaten für Getreide aus der Ukraine sind ein Vorgeschmack auf die Konflikte, die eine Aufnahme des riesigen Agrarlandes in die EU mit sich bringen könnte. Auch würden osteuropäische Länder wie Polen, die bislang weit mehr aus dem gemeinsamen Haushalt erhalten, als sie einzahlen, auf einmal zu Nettozahlern.
Der Green Deal sei noch immer die starke Antwort Europas auf den Klimawandel. Das war sicherlich die Kernaussage zur europäischen Klima- und Umweltpolitik in Ursula von der Leyens Rede zur Lage der EU. Beobachter hatten sich ein solches erneutes Bekenntnis zur grünen Agenda gewünscht, nachdem von der Leyens eigene Parteienfamilie im EU-Parlament ambitionierte Naturschutzgesetze blockiert hat.
Die Kommissionspräsidentin hat den Green Deal also nicht für beendet erklärt, sondern dessen Fortsetzung beteuert und weitere Maßnahmen angekündigt:
Von der Leyen versprach, die europäische Industrie während des Übergangs auch weiterhin zu unterstützen. Er sei für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend. Die Industriestrategie der EU-Kommission sehe vor, für jedes industrielle Ökosystem Risiken und Bedürfnisse individuell zu berücksichtigen. Die Energiewende-Dialoge sollen dabei helfen, in jedem Sektor die Entwicklung eines Geschäftsmodells für die Dekarbonisierung voranzutreiben.
Windenergie kann genau das liefern, was Europas Industrie dringend braucht: günstigen, grünen Strom. Insofern sind von der Leyens Ankündigungen zum Windkraft-Paket folgerichtig. Sie will:
Allerdings laufen für viele dieser Punkte bereits Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene. Die Worte der Kommissionspräsidentin dürften deshalb vor allem als Appell an die Co-Gesetzgeber zu verstehen sein und als Aufruf an die Mitgliedstaaten, beschlossene Regeln schnell umzusetzen.
Ähnlich sieht es der deutsch-belgische Getriebehersteller ZF Wind Power. “Viele Maßnahmen müssen letztlich in den Mitgliedsstaaten und dort auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt werden. Entscheidend wird sein, dass Europa geschlossen und auf allen Ebenen agiert“, sagt CTO Martin Knops.
Mit der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED) etwa steht die EU kurz davor, natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften zu lockern. Es sind deshalb auch keine weiteren planungsrechtlichen Vereinfachungen auf EU-Ebene, die der Verband WindEurope anmahnt, sondern schnellere Verfahren auf nationaler Ebene.
Investorenfreundlichere Auktionsregeln, wie sie von der Leyen will, stehen zudem bereits mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) an. Für die Windindustrie soll nicht allein die Höhe der Gebote den Ausschlag geben, es sollen auch qualitative Kriterien einfließen – quasi Bonuspunkte für Kriterien wie Cybersicherheit und Nachhaltigkeit. Damit würde der Kostendruck für die Industrie gesenkt und europäische Hersteller könnten finanzielle Nachteile wettmachen, die sie gegenüber der chinesischen Konkurrenz haben.
Abhängigkeiten bei seltenen Erden und Kupfer geht die EU mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) an, WindEurope will die Liste der begünstigten Materialien etwa um Glasfasergewebe ergänzen.
Für Investitionen in neue Fabriken hatte die Kommission zuletzt schon den Beihilferahmen für Transformationstechnologien gelockert. “Entscheidend ist aber, dass die EU eigenes Geld auf den Tisch legt“, heißt es bei WindEurope – etwa über den Souveränitäts- und den Innovationsfonds. Bei der Finanzierung stört die europäische Industrie zudem der ungleiche Wettbewerb mit China. Abnehmer chinesischer Anlagen müssten etwa erst dann zahlen, falls oder nachdem der Windpark tatsächlich gebaut wurde.
Was die Kommission mit dem Windkraft-Paket über die bereits vorgestellten Gesetzesvorschläge hinaus plant, ist noch nicht bekannt. Laut von der Leyen ist das Ziel, dass Europa wieder Heimat der Clean-Tech-Industrie wird.
Auch zur Landwirtschaft hatte von der Leyen etwas zu sagen: Der Green Deal bewahre die Natur, während er gleichzeitig die Ernährungssicherheit gewährleiste, begann von der Leyen dazu in deutscher Sprache. Sie dankte den Landwirten und würdigte ihre Arbeit zur Sicherung der “Lebensmittelversorgung und einer qualitativ hochwertigen Ernährung”.
Doch sie mahnte auch “mehr Dialog und weniger Polarisierung” an. Sie sei überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen gingen. Man brauche beides, sagte sie und kündigte einen strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU an. Wie dieser aussehen soll, lies sie offen. Auch auf Nachfrage von Table.Media nannte ein Sprecher der Kommission keine Details. Alle Einzelheiten würden “zu gegebener Zeit” bekannt gegeben.
Es sei das richtige Signal an die europäischen Landwirte, kommentierte Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Der Abgang von Frans Timmermans biete die Chance für eine neue Form von “Pragmatismus und Dialogbereitschaft in der Klimapolitik”. Auch Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Ankündigung des Dialogs. “Die Polarisierung, die die EVP gemeinsam mit den rechten Parteien nicht nur herbeigeführt, sondern geradezu befeuert hat, schadet der Landwirtschaft, der Biodiversität und dem Klima”, sagte sie zu Table.Media. Ihre Fraktion wolle “gemeinsame Lösungen mit den Landwirten und Landwirtinnen“.
Konkret erwähnte die Kommissionspräsidentin weder das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur noch die Gesetze zur Reduzierung des Pestizideinsatzes (SUR), neuen Gentechnik, nachhaltigen Lebensmittelsystemen oder zum Tierschutz. Auch die Überarbeitung der REACH sowie die Gesetze zum Exportverbot von in der EU verbotenen Giftstoffen blieben unerwähnt.
Ebenfalls unerwähnt blieben Europas klimapolitische Anstrengungen auf internationaler Ebene. Auf der anstehenden Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) muss Europa enorme Überzeugungsarbeit leisten, dass auch andere Industrienationen und Schwellenländer ihre Industrie transformieren. Insbesondere angesichts der diesjährigen globalen Bestandsaufnahme – dem Hauptinstrument zur Ambitionssteigerung globaler Klimaziele – sei die Abwesenheit des Themas in der Rede verwunderlich, schrieb Linda Kalcher, Exekutivdirektorin des paneuropäischen Thinktanks Strategic Perspectives auf der Plattform X.
Eine mangelnde sozial gerechte Umsetzung des Green Deals beklagt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. “Die Kommissionspräsidentin hat zwar die Industrietransformation als zentrale Herausforderung erkannt, aber sie sollte wesentlich konkreter werden, wie sie den Green Deal als Projekt im Sinne einer sozial gerechten Transformation weiterentwickeln will”, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
15.09.-17.09.2023, Bonn
FES, Seminar Europas autokratisierende Zwillinge? Ungarn und Polen in der EU
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geht der Frage nach, welche Instrumente der EU zur Verfügung stehen, um Grundwerte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Mitgliedstaaten zu garantieren. INFOS
15.09.2023 – 09:30-14:30 Uhr, online
ECFR, Discussion 30 years of the Single Market: A look into the future
The European Council on Foreign Relations (ECFR) brings together representatives of the Spanish and European institutions, the private sector, and civil society to address the achievements of the Single Market in its 30th anniversary and the challenges ahead. INFOS & REGISTRATION
15.09.2023 – 11:00-15:00 Uhr, Osnabrück
KAS, Q&A Tag der Demokratie 2023: Europa vor der Wahl
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) spricht mit Bürgern über die gemeinsamen Werte der EU. INFOS & ANMELDUNG
15.09.2023 – 18:30-22:30 Uhr, Düsseldorf
KAS, Symposium Freiheit in Sicherheit – 3. Lange Nacht der Politik
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) widmet sich der Frage, in welchem Europa wir leben wollen. INFOS & ANMELDUNG
18.09.-22.09.2023, online
ERA, Seminar Summer Course on EU Staff Regulations
The Academy of European Law (ERA) provides an introduction to the EU Staff Regulations. INFOS & REGISTRATION
18.09.-22.09.2023, Bonn
FES, Seminar EU in der Welt 2030 – Ein Blick in die Zukunft
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) beschäftigt sich mit der neuen weltpolitischen Situation nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und den Folgen für die europäische Politik. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 10:30-13:30 Uhr, online
Behörden Spiegel, Podiumsdiskussion Digital Services Act
Der Behörden Spiegel diskutiert den aktuellen Stand der Umsetzung des Digital Services Act sowie weiteren Handlungsbedarf. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 13:00-18:00 Uhr, Augsburg
EP, Konferenz Multiplikatoren-Treffen zur Europawahl
Das Europäische Parlament (EP) legt dar, welche kostenlose Unterstützung es den EU-Akteuren im Vorfeld der Europawahlen anbieten kann. INFOS & ANMELDUNG
18.09.2023 – 13:00-15:00 Uhr, Berlin
KAS, Konferenz Turbo für Klimaneutralität?! Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie im Fokus
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert die Auswirkungen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED III) für den Wirtschaftsstandort Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
19.09.-20.09.2023, Brüssel (Belgien)/online
European Shipping Summit
The European Shipping Summit 2023 offers industry sessions, networking opportunities, and high-level dialogues featuring European and international policymakers, regulators, and industry stakeholders. INFOS & REGISTRATION
19.09.2023 – 08:30-19:30 Uhr, Berlin
HBS, Konferenz Gesellschaftsprojekt Energiewende – volle Kraft voraus!
Die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) sucht nach Strategien und Ideen, die das Gesellschaftsprojekt Energiewende beschleunigen und in die Breite tragen. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 10:30-17:00 Uhr, Düsseldorf/online
BMUV, Diskussion Diskussionsforum zum Thema Recht auf Reparatur
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gibt Einblicke in die rechtlichen und empirischen Aspekte des “Rechts auf Reparatur”. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 10:30-12:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erneuerbare Fernwärme: Tiefe Geothermie
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beschäftigt sich beispielhaft mit den Projektierungs- und Betriebserfahrungen aus einem Tiefengeothermie-Projekt. INFOS & ANMELDUNG
19.09.2023 – 18:00-19:00 Uhr, online
KAS, Diskussion Wofür stehen christliche Demokraten in der EU?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) spricht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Wertevorstellungen der christlich-demokratischen, liberalen und konservativen europäischen Parteienfamilie. INFOS & ANMELDUNG
Die Außenpolitik war in den vergangenen vier Jahren eines der wichtigsten Anliegen der “geopolitischen Kommission”. Doch in ihrer Rede zur Lage der Union setzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dem Bereich kaum neue Akzente. Die EU werde ihre Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Russland fortsetzen und sich auf mögliche Sicherheitsgarantien für Kiew vorbereiten, sagte sie. Details blieb die Deutsche jedoch schuldig. Auch zu einem möglichen Friedensgipfel in diesem Jahr äußerte sie sich nicht.
Die EU werde der Ukraine “so lange wie nötig” zur Seite stehen, sagte von der Leyen. Vier Millionen Ukrainer hätten seit Beginn des Krieges in der Union Zuflucht gefunden. Die Kommission werde nun den Mitgliedstaaten eine Verlängerung des Schutzstatus für die Ukrainer in der EU vorschlagen. Außerdem deutete sie an, dass die Verteidigungsindustrie befähigt werden soll, dem Land Sicherheitsgarantien zu geben. “Wir werden der Ukraine bei jedem Schritt auf ihrem Weg zur Seite stehen”, hieß es.
Der Schlüssel zum Erfolg in der Außenpolitik sei die Geschlossenheit, sagte von der Leyen. Dies gelte auch für Afrika. “Wir müssen also Afrika gegenüber ebenso an einem Strang ziehen, wie wir es bei der Ukraine getan haben.” Mit Blick auf den Militärputsch im Niger sagte sie, die Serie von Staatsstreichen werde die Sahelzone auf Jahre destabilisieren. Russland schlage aus dem Chaos Kapital, die Region sei fruchtbarer Boden für Terror geworden.
Die Unsicherheit gefährde Europa unmittelbar. Deshalb werde die Kommission mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ein neues Strategiekonzept erarbeiten. Dabei will sich von der Leyen von zwei Prinzipien leiten lassen: “Wir müssen uns auf die Zusammenarbeit mit rechtmäßigen Regierungen und regionalen Organisationen konzentrieren.” Und: “Wir müssen eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft entwickeln.” Der EU wurde zuletzt immer wieder vorgeworfen, zuerst an eigene Interessen zu denken.
Im Hinblick auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik zeigte sich von der Leyen überzeugt, dass eine Einigung “in greifbarer Nähe” liege. Das Europaparlament müsse den laufenden Trilog zum Asylpakt so schnell wie möglich beenden. Außerdem kündigte sei eine internationale Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels an. Details blieb die EU-Chefin allerdings auch hier schuldig. ebo
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union zur Nutzung der Chancen sogenannter Künstlicher Intelligenz aufgerufen. Europa wolle auch in diesem Bereich “weltweiter Vorreiter für die Bürgerrechte in der digitalen Welt” sein. Der noch in Abstimmung zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Parlament befindliche AI Act sei eine “Blaupause für die ganze Welt”. Von der Leyen forderte eine zügige Verabschiedung.
Zugleich warb die Kommissionspräsidentin für ein internationales Gremium, vergleichbar dem Weltklimarat IPCC, in dem Risiken und Nutzen für die Menschheit analysiert werden sollten. Von der Leyen will möglichen Problemen mit KI frühzeitig durch enge internationale Abstimmung vorbeugen. Sie sprach sich für globale Mindeststandards für ethische und sichere KI-Nutzung aus.
Von der Leyen kündigte zudem an, dass europäische KI-Startups Nutzungsmöglichkeiten an europäischen Supercomputern erhalten sollten. Die Kommissionspräsidentin verwies zudem darauf, dass sie dem Thema von Beginn ihrer Präsidentschaft an höchste Priorität verliehen habe, weshalb sie sich schon vor Amtsantritt dazu verpflichtet habe, binnen 100 Tagen nach Amtsantritt einen Vorschlag für KI-Regulierung vorzulegen. Tatsächlich vergingen zwischen Amtsantritt Anfang Dezember 2019 und Vorstellung des AI Act Ende April 2020 133 Tage. fst
Das Europäische Parlament hat am Mittwoch verbindliche Zielvorgaben für Fluggesellschaften in Europa verabschiedet, die den Einsatz von nachhaltigen Flugkraftstoffen (Sustainable Aviation Fuels, SAF) erhöhen sollen. Der Vorstoß namens ReFuelEU Aviation zielt darauf ab, sowohl die Nachfrage als auch das Angebot an nachhaltigen Flugkraftstoffen zu erhöhen. Bereits im April hatten sich Rat, Parlament und Kommission im Trilog geeinigt. ReFuelEU Aviation ist Teil des Fit-for-55-Pakets und das ordnungsrechtliche Instrument zur Erreichung der Klimaziele für den Flugverkehr.
Synthetische Kraftstoffe werden mithilfe von abgeschiedenem CO₂ hergestellt. SAF können sowohl synthetisch hergestellt werden als auch biogenen Ursprungs sein, also aus organischen Abfällen. Ausgeschlossen sind Biokraftstoffe, die aus Lebens- und Futtermittelpflanzen hergestellt werden.
Zwei Prozent ab 2025 klinge wenig, sei aber mehr als doppelt so viel wie die ursprüngliche Zielvorstellung des Ministerrats, sagt EU-Verkehrspolitikerin Anna-Deparnay-Grunenberg (Grüne). “Jetzt geht es darum, dass die Produktion möglichst schnell hochläuft.” Der Verband Airlines for Europe begrüßte die Verabschiedung der EU-Verordnung. Man freue sich auf die weitere weltweite Einführung von SAF. Die EU-Länder müssen das Abkommen noch ratifizieren, damit es in Kraft treten kann. rtr/luk
Der Bericht von Javi López (S&D) zur Luftqualitätsrichtlinie hat im Plenum eine Mehrheit erzielt. Damit ist der Versuch von Norbert Lins (CDU) gescheitert, die Parlamentsposition abzuschwächen. López will, dass die WHO-Leitlinien für Luftschadstoffe bis 2030 eins zu eins umgesetzt werden. Dies wäre eine Verschärfung gegenüber dem Vorschlag der Kommission. Die Kommission hatte lediglich eine Annäherung der Grenzwerte vorgeschlagen. Laut ihren Plänen würden die Grenzwerte für die meisten Luftschadstoffe halbiert.
Beschlossen wurde nun als Parlamentsposition eine weitere Verschärfung: So soll etwa der jährliche Durchschnittsgrenzwert für Feinpartikel (PM 2,5) von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft auf zehn Mikrogramm abgesenkt werden.
Unterdessen hat die spanische Ratspräsidentschaft einen neuen Kompromissvorschlag vorgelegt, der Contexte vorliegt. Der Rat will bis Dezember die allgemeine Ausrichtung vornehmen, danach kann der Trilog beginnen. mgr
Das Europaparlament hat die Reformen für mehr Transparenz beschlossen, die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola im Nachgang der Kaili-Affäre mit ihrem 14-Punkte-Plan vorgeschlagen hat. Der Bericht der SPD-Parlamentarierin Gaby Bischoff wurde angenommen. Die Geschäftsordnung des Parlaments wird in mehreren Punkten geändert.
Beschlossen wurde auch, dass Europaabgeordnete künftig vor der Aufnahme ihres Mandats sowie beim Ausscheiden aus dem Parlament eine Erklärung zu ihrem Vermögen und zu ihren Verbindlichkeiten abgeben müssen. Eine Mehrheit gab es auch für die Offenlegung sämtlicher Treffen mit Interessenvertretern, die einen Bezug zu ihrer Abgeordnetentätigkeit haben.
Anders als im Bischoff-Bericht vorgeschlagen, sollen nun doch keine externen Experten in den beratenden Ausschuss berufen werden, der über die Einhaltung der Ethikregeln wacht und bei Verstößen Strafen ausspricht. Beschlossen wurde, dass der beratende Ausschuss nur aus acht Mitgliedern des Parlaments besteht. mgr
Die EU-Kommission kritisiert, dass das neue EU-Gesetz gegen die Abholzung von Wäldern keine Unterstützung von Finanzinstituten erhält. Das erklärte ein Kommissionsvertreter am Mittwoch. Die Kommission stelle den Erzeugerländern viel Geld zur Verfügung, doch die Finanzinstitutionen gingen nicht mit, klagte Leonard Mizzi, Referatsleiter in der Abteilung für internationale Partnerschaften der Kommission. Die Institute seien zwar bereit, Nachhaltigkeitsinitiativen im Energiesektor zu finanzieren, die Landwirtschaft sei für sie aber zu kleinteilig und kompliziert, sagte Mizzi.
Importeure von Kaffee, Kakao, Rindfleisch, Soja, Kautschuk und Palmöl müssen laut dem Gesetz ab 2024 eine Sorgfaltserklärung vorlegen, in der sie nachweisen, dass ihre Waren nicht zur Entwaldung beitragen. Die Unternehmen müssen auch nachweisen, dass die Produkte den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes entsprechen, damit die Menschenrechte und die Rechte indigener Völker geachtet werden. Andernfalls werden Strafen fällig.
Auch unter Exportländern stößt das Gesetz auf Kritik. Laut Reuters bezeichnete Indonesien das Gesetz als Beispiel für einen “regulatorischen Imperialismus“, während Malaysia erklärte, es handele sich um einen “absichtlichen Versuch”, die Kosten und Hindernisse für seinen Palmölsektor zu erhöhen. Laut Mizzi verfolge die EU daher einen “Multi-Stakeholder-Ansatz” und verwies auf die regionalen Kaffeedialoge, die die Union mit mehreren lateinamerikanischen Ländern führe. rtr/luk
Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Venezuela sind nach einem Urteil des Gerichts der EU rechtmäßig. Wie die Deutsche Presse-Agentur gestern berichtete, wiesen die Richter in Luxemburg eine entsprechende Klage Venezuelas am Dienstag ab. Gewalttaten, Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf die Demokratie seien zum Zeitpunkt des Sanktionserlasses hinreichend belegt gewesen. Daher hätten die EU-Staaten keinen Beurteilungsfehler begangen. Gegen das Urteil kann noch vor dem höchsten europäischen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof vorgegangen werden.
Die EU-Staaten verhängten 2017 Sanktionen gegen das südamerikanische Land. Demnach durften zum Beispiel Militärgüter nicht mehr nach Venezuela verkauft oder weitergegeben werden. Venezuela klagte dagegen, die Richter des EU-Gerichts wiesen die Klage 2018 als unzulässig ab, der EuGH hob das Urteil jedoch auf und verwies die Sache zurück an das Gericht, das nun erneut gegen Venezuela entschied.
Venezuela steckt seit Jahren in einer schweren Krise. Mehr als sieben Millionen Menschen haben das Land nach UN-Angaben in den vergangenen Jahren wegen Armut und Gewalt verlassen, die meisten nach Kolumbien. dpa
Sie war 2020 in aller Munde, als ihr Mann in Belarus für das Präsidentschaftsamt kandidierte, dann verhaftet wurde und sie seine Kandidatur übernahm. Gemeinsam mit zwei weiteren Frauen, deren Männer nicht als Kandidaten zugelassen wurden, setzte Swjatlana Zichanouskaja die Präsidentschaftswahl fort. Die Wahl wird international als Scheinwahl anerkannt und die zweifelhaften Ergebnisse zugunsten des Langzeitmachthabers Alexander Lukaschenko lösten Massenproteste in Belarus aus. Offiziell gewann Zichanouskaja zehn Prozent der Stimmen – einige Analysten sehen sie jedoch als gewählte Präsidentin des Landes.
Am Beginn Ihrer politischen Karriere lag Zichanouskajas Fokus überwiegend auf dem Kampf für ein demokratisches Belarus. Bei ihrer Rede im Europäischen Parlament am gestrigen Mittwoch machte sie aber deutlich: Ihre Ziele sind mit den internationalen Krisen nur gewachsen. “Ich bin hier hergekommen, um Sie um Ihre Unterstützung für eine europäische Perspektive für Belarus zu bitten”, sagt die Politikerin. “Belarussinnen und Belarussen wollen von Ihnen hören, dass die Europäische Union auf uns wartet.”
Sie zitiert den ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel: Die Zukunft von Belarus sei verbunden mit der Zukunft von Europa und Belarus wird eines Tages zur Europäischen Union gehören. “Lassen Sie uns das in die Wirklichkeit umsetzen”, so Zichanouskaja.
Lukaschenkos Diktatur hat viele Belarussen ins Exil vertrieben. Seine Herausforderin Zichanouskaja will daher einen neuen belarussischen Pass einführen, der diesen Menschen staatliche Anerkennung geben soll. Der Pass ist angelehnt an jene Pässe, die baltische Staaten während der sowjetischen Besatzung an Menschen im Exil ausstellten. “Sehr bald werden wir zu ihren Regierungen kommen und sie bitten, unseren neuen Pass anzuerkennen”, kündigte Zichanouskaja in Straßburg an.
Nach der Wahl 2020 reiste Zichanouskaja nach Litauen. Von dort rief sie zu friedlichen Protesten gegen Lukaschenko auf. Dieser schrieb wiederum eine internationale Fahndung nach ihr aus. Als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begannt, erklärte sich Zichanouskaja zur rechtmäßigen Vertreterin des belarussischen Volkes. Weil Teile des Angriffs von belarussischem Boden ausgingen, geht die Politikerin davon aus, dass Lukaschenko Wladimir Putin bei seinem Angriffsvorhaben unterstützt.
Der Sturz von Lukaschenko ist weiterhin die wichtigste Aufgabe für Zichanouskaya. “Mord an seinen Konkurrenten, Folter von Demonstranten, Entführung ukrainischer Kinder, stille Kriegsführung gegen sein eigenes Volk und Unterstützung des Angriffskriegs gegen die Ukraine” – die Liste seiner Vergehen sei lang. “Lukaschenko verdient keinen Platz in internationalen Foren. Alles, was er verdient, ist ein One-Way-Ticket nach Den Haag.” Svenja Schlicht