Table.Briefing: Europe

Silke Stremlau im Interview + Wie chinesisch ist Mercedes? + Grüner Wasserstoff auf Kanada

  • Sustainable Finance-Beirat: “90 Prozent des Weges liegen noch vor uns”
  • Wie chinesisch ist Mercedes?
  • Kanada soll grünen Wasserstoff liefern
  • Opposition in Tschechien droht mit Misstrauensantrag gegen Regierung
  • 43 Getreideschiffe seit Öffnung des Korridors in See gestochen
  • Konflikt zwischen Serbien und Kosovo: Weitere Gespräche geplant
  • Angola und EU wollen Handelsabkommen besprechen
  • What’s cooking in Paris: Macrons Cordon bleu
Liebe Leserin, lieber Leser,

nachhaltig investieren ist der Trend dieser Zeit. Aber was gilt als nachhaltig, was nicht? Die EU-Taxonomie sei bei der Einordnung der richtige Ansatz, sei aber zu umfangreich und enthalte grundlegende Fehler, sagt Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, im Interview mit Leonie Düngefeld. Es liegt noch ein weiter Weg vor einem grünen Finanzmarkt.

Wie chinesisch ist Mercedes? Diese Frage stellt mein Kollege Markus Grabitz in seiner Analyse. Denn: Mehr als ein Drittel seiner Autos verkauft der Autohersteller aus Stuttgart in China, ein Fünftel der Aktien sind in chinesischem Besitz. Folgt bald eine Übernahme?

Drei Tage werden Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck ab Sonntag in Kanada sein. Während des Besuches wollen sie eine Vereinbarung zur Produktion von grünem Wasserstoff abschließen.

Unsere Kolumnistin Claire Stam meldet sich heute nicht aus Brüssel, sondern aus Paris. Dort kehrt wieder politisches Leben in den Elysée-Palast ein. Präsident Emmanuel Macron wird jetzt alles daran setzen müssen, um in eine günstige Position für mögliche Neuwahlen zu kommen.

Ihre
Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

“90 Prozent des Weges liegen noch vor uns”

Silke Stremlau ist Vorständin des Versicherungsverbunds Hannoversche Kassen und Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, der seit 2019 die Bundesregierung berät. Im Interview redet sie über nachhaltige Investitionen, Green Finance und die EU-Taxonomie
Silke Stremlau ist Vorständin des Versicherungsverbunds Hannoversche Kassen und Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, der seit 2019 die Bundesregierung berät.

Frau Stremlau, damit Europa seine Klimaziele erreicht, müssen gigantische Summen an Investitionen mobilisiert werden. Wie gut gelingt das?

Dass wir einen sozial-ökologischen Umbau unserer gesamten Wirtschaft überhaupt brauchen, hat sich erst in den letzten ein bis zwei Jahren in den Köpfen der verantwortlich Handelnden durchgesetzt – und ist leider immer noch nicht bei allen angekommen. Durch den Ukraine-Krieg wurde das allerdings nochmal enorm beschleunigt. Und der Klimawandel ist auch hier in Europa jedes Jahr deutlicher zu spüren. Mit der Finanzierung stehen wir noch ganz am Anfang: Der Markt der nachhaltigen Geldanlagen wächst seit der letzten Finanzkrise jedes Jahr deutlich, im institutionellen und im privaten Bereich. Aber von dem, was noch vor uns liegt, haben wir vielleicht zehn Prozent geschafft. 90 Prozent dessen, was an Geldern bewegt werden muss, liegt noch vor uns. Der Finanzmarkt steht bereit, es muss sich aber noch viel ändern und wir brauchen andere Leitplanken.

Mit der Taxonomie hat die EU ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen geschaffen. Ist das keine geeignete Leitplanke?

Den Ansatz der EU-Kommission – ihren Action Plan on Sustainable Finance und die verschiedenen Regulierungsschritte, die sie vor Augen hat – finde ich richtig. Wir brauchen eine klare Definition, was nachhaltig ist. Wir brauchen bessere Kennzahlen und Berichte, wie weit die Unternehmen auf ihrem Weg der Nachhaltigkeit fortgeschritten sind. Und wir brauchen mehr Transparenz bei den Finanzmarktakteuren darüber, wie sie das Thema Nachhaltigkeit umsetzen. Diese drei Schritte ist die Kommission mit der Taxonomie, der Offenlegungsverordnung und der CSRD-Richtlinie gegangen. Aber ich frage mich, ob das der richtige Weg ist: Für das erste Umweltziel umfasst die Taxonomie-Verordnung 460 Seiten – und es gibt fünf weitere Umweltziele, die noch gar nicht definiert wurden. Außerdem gibt es handwerkliche Probleme in der Umsetzung. Es braucht also einen Review-Prozess.

Welche handwerklichen Probleme meinen Sie?

Zum Beispiel die Green Asset Ratio bei Banken. Die Banken müssen jetzt ausweisen, wie hoch ihr Anteil grüner Kredite am gesamten Kreditportfolio ist. Sie dürfen aber nur solche Unternehmen mit einbeziehen, die unter die Berichterstattungspflicht fallen, also große, als Aktiengesellschaft notierte Unternehmen. Das kann zur Folge haben, dass bestimmte Banken irreführend bewertet werden: Die GLS-Bank, mit einem zu 95 Prozent nachhaltigen Kreditportfolio, hat zum Beispiel eine Green Asset Ratio von vier Prozent, weil sie viele Kredite an kleinere Projektgesellschaften vergibt, etwa an Bürgerenergiegenossenschaften oder Privatleute. Die werden alle nicht durch die Berichtspflicht erfasst. Das ist ein handwerklicher Fehler, an dem gearbeitet werden muss.

Als Fehler bezeichnen viele auch, dass Atomkraft- und Erdgasprojekte aufgenommen wurden und demnach als nachhaltig gelten. Hat die Taxonomie dadurch an Kraft und Glaubwürdigkeit verloren?

In Deutschland, ja. In vielen anderen Ländern Europas ist Atomkraft nach wie vor die Antwort auf die Klimakrise. Dort gibt es nicht diesen Glaubwürdigkeitsverlust der Taxonomie wie hier in Deutschland. Ich halte das aber nicht für einen handwerklichen Fehler, sondern für eine absolut politische Fehlentscheidung. Ich habe die Taxonomie so verstanden, dass sie der Goldstandard für nachhaltige, zukunftsfähige, resiliente Wirtschaftsaktivitäten ist – und dass sie wissenschaftlich fundiert ist. Die gesamte Wissenschaft, die in dem Prozess konsultiert wurde, hat sich gegen die Aufnahme von Atomkraft und Gas ausgesprochen. In einer grünen Umwelttaxonomie haben beide nichts zu suchen. Die Entscheidung ist bitter. Ich bin auch enttäuscht vom Parlament, das da mitgegangen ist.

Das Europäische Parlament hat im Juli die Chance verpasst, ein Veto einzulegen. Aber was hat das nun überhaupt für Konsequenzen – werden Investoren in Deutschland nun tatsächlich noch verstärkt in Kernenergie und Erdgas investieren?

Aus der Fonds- und Investmentindustrie höre ich, Finanzprodukte für den deutschen Markt werden Atomkraft und Gas weiterhin ausschließen. Das Thema wird in Zukunft keine Relevanz haben. Kein Investor in Deutschland, auch nicht die großen institutionellen Investoren, wollen wieder in Atomkraft und Gas investieren. Gerade flammt die Debatte durch CDU-Größen und Herrn Lindner zwar nochmal auf, aber eigentlich besteht Einigkeit. Anders ist es, wenn ich als Anlegerin in einen Fonds einer Bank aus Ländern mit wie Frankreich investieren will, die dann den Taxonomie-Stempel haben, oder eine Anleihe kaufen will. Dann muss ich genau hinschauen, ob auch Atomkraftprojekte im Portfolio sind. Das sollte ich aber generell. Dieser Rat an alle Anlegerinnen besteht nach wie vor im nachhaltigen Investieren: Man sollte sich immer die zehn größten Titel des Portfolios anschauen und sich fragen, ob diese zum eigenen Nachhaltigkeitsverständnis passen.

Zehntausende Unternehmen in Europa sind bald von den neuen Nachhaltigkeitsberichtspflichten betroffen. Was verändert sich für die Banken und Investoren?

Alle Unternehmen werden in den nächsten Jahren merken, dass sie zunehmend sozial-ökologische Daten abliefern müssen, wenn sie einen Kredit bei ihrer Bank wollen. Denn die Banken sind gefordert, Transparenz über ihr Kreditportfolio, über den CO2-Fußabdruck, über die sozial-ökologischen und die Klimarisiken zu erstellen. Wenn ich heute als Bank investiere, bin ich darauf angewiesen, dass die Unternehmen freiwillig gut berichten. Das wird leichter, weil sie nun dazu verpflichtet werden und die Hauptdaten dann im Lagebericht stehen. In den nächsten drei bis zehn Jahren wird ein riesiger Wandel auf uns zukommen: Bei den Banken muss ein komplett anderes Denken Einzug erhalten, weil sie Klima- und Biodiversitätsrisiken in ihr Kredit- und Risikomanagement einbeziehen müssen. Sie müssen neue Daten erheben, mit ihren Kreditnehmern ganz anders in den Austausch gehen, neue Datenerfassungssysteme aufbauen.

Besonders der Mittelstand beschwert sich über den großen bürokratischen Aufwand, den die Berichtspflichten mit sich bringen …

Mehr Aufwand ist es definitiv. Die Banken suchen händeringend nach Nachhaltigkeitsanalysten und Experten, weil sie komplett überfordert sind. Sie müssen Zahlen erheben, die sie jetzt noch nicht auf Knopfdruck haben. Aber das ist ein Startaufwand, für den beispielsweise die Sparkassen und Volksbanken Unterstützung von ihren Dachverbänden erhalten. Man probiert, eine einheitliche Datenbanklösung aufzubauen. Aber letztendlich sind die Kosten später doch viel höher: Wenn ich es vorher nicht in den Kredit einpreise und zum Beispiel durch Extremwetterereignisse Gebäude weggeschwemmt werden, habe ich später Kreditausfälle. Das ist dann weitaus teurer, das geht dann in die Millionen. Letztendlich ist ein mittelständisches Unternehmen überschaubarer als ein Großkonzern, der verschiedene Standorte und Gesellschaften hat. Es muss ja auch eine Steuererklärung abgeben, einen Geschäftsbericht erstellen und einen Wirtschaftsprüfer mit Daten füttern. Also ist es auch machbar, noch zwanzig ökologische Kennzahlen zu erheben.

Auch beim Thema Lieferketten plant die EU strengere Vorgaben. Inwiefern betrifft das Banken und Investoren?

Aus Finanzmarktperspektive ist das ein sehr relevantes Thema. Alle institutionellen Investoren investieren nicht nur in Deutschland, wo wir wenig Lieferkettenprobleme haben, sondern weltweit. Sie investieren in Titel wie Adidas, die 1500 Zulieferer haben, oder in die Rohstoffindustrie, die Seltene Erden in Afrika und Asien abbaut. Wenn herauskommt, dass ein Unternehmen Umweltstandards oder Arbeitnehmerrechte nicht beachtet hat, dann wird es keine Aufträge mehr bekommen. Dann geht der Aktienkurs runter und es kann keine Dividende mehr ausgeschüttet werden. Das hat für mich als Investorin hohe finanzielle Risiken. Wir haben deshalb ein originäres Interesse daran, dass hohe Umwelt- und Sozialstandards in der Lieferkette gelten und dass es Transparenz darüber gibt. In Deutschland ist das Sorgfaltspflichtengesetz stark abgemildert worden, auch durch Druck von Verbänden und Unternehmen. Ich hoffe, dass das EU-Lieferkettengesetz schärfer gehandhabt wird als momentan geplant und dass sich das deutsche Gesetz dann eher noch nach oben strecken muss.

Der Sustainable Finance-Beirat, dem Sie vorstehen, hat gerade seine Arbeit aufgenommen, Ende September soll ein Arbeitsprogramm erstellt werden. Was sind die wichtigsten Punkte des Programms?

Es geht darum, wie der Finanzmarkt die sozial-ökologische Transformation unterstützen, das Geld umlenken und die bestehenden Risiken managen kann. Auch die Berichterstattung wird ein großes Thema sein. Wir sind Sparringspartner für die Bundesregierung und für die Verbände, weil wir die Möglichkeit haben, aus der breiten Stakeholder-Sicht Feedback zu geben. Wo gibt es noch Probleme, wo muss auf Harmonisierung geachtet werden? Wo sind mittelständische Unternehmen überfordert und brauchen Hilfe? Capacity Building und Wissensaufbau wird uns begleiten, sowohl in der Finanzindustrie als auch in den Aufsichtsbehörden und bei den Verantwortlichen in der Bundesregierung, die die Pensionsgelder der Beamtinnen und Beamten anlegen. Und das Thema öffentliche Kapitalanlagen wird weiterhin auf unserer Agenda sein: Wie können diese noch strenger als bisher an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet sein?

Unter anderem soll in Deutschland eine “Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte” eingeführt werden. Was bedeutet das?

Jedes Finanzprodukt, sei es ein Sparbrief, ein Baufinanzierungskredit oder ein Investmentfonds, bekommt eine Einschätzung von A bis E, wie nachhaltig es ist und welche Chancen und welche Risiken aus ESG-Perspektive es hat. Ähnlich wie das Energieeffizienzlogo am Kühlschrank, an dem ich auf einen Blick sehe, wie effizient der Kühlschrank ist. Da gibt es schon ein Konzept, vom ersten Beirat entwickelt, und das geht jetzt weiter in die inhaltliche Abstimmung. Die Idee ist, dies auch europaweit auszuspielen. Wir diskutieren das zurzeit im Beirat, aber das Finanzministerium wird es sicher in den europäischen Prozess einschleusen und schauen, wie die Resonanz ist.

Die deutsche Sustainable Finance Strategie wurde kurz vor dem Regierungswechsel beschlossen. Gibt es da nun Änderungsbedarf?

Im Februar 2021 haben wir als Beirat 31 Empfehlungen vorgestellt. Die Bundesregierung kam im Mai mit 26 Maßnahmen. Es hat sich nicht alles wiedergefunden, aber in einigen Punkten ist sie auch darüber hinausgegangen, was der Beirat empfohlen hatte. In anderen Teilen ist die Strategie sehr allgemein und unklar. Sie sollte stringenter und ambitionierter werden. Ich habe den Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung auch so verstanden, dass die Strategie geschärft werden soll. Die Bundesregierung hat uns auf vier Seiten übermittelt, welche Erwartungen sie an den Beirat hat und wo sie selbst Handlungs- und Beratungsbedarf sieht. Daran kann man sich als Beirat abarbeiten und dann den Finger in die Wunden legen. Wir sind jetzt am Anfang, in der Themenfindung. Aber schon jetzt sind wir weiter als am Anfang des ersten Beirats.

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Wie chinesisch ist Mercedes?

Mercedes hat China spät entdeckt. Erst 2005 ging der Stuttgarter Hersteller nach Peking und gründete mit dem Staatskonzern BAIC das Joint Venture Beijing Benz Automotive Co. (BBAC). In der Anfangszeit spielte das China-Geschäft für die Zentrale in Untertürkheim eine überschaubare Rolle. “Wenn die Kollegen in Stuttgart die chinesische Länderkennung im Display ihrer Telefone gesehen haben, sind sie gar nicht erst dran gegangen”, erinnert sich ein Mitarbeiter aus dem Finanzbereich an seine Anfänge in China.

Inzwischen hat sich das geändert. China ist für die Stuttgarter sehr wichtig geworden. Im vergangenen Jahr hat Mercedes weltweit 2,093 Millionen Pkw verkauft, davon gingen 763.706 an Käufer in China. Das sind über 36 Prozent des Gesamtabsatzes. Auch bei den anderen deutschen Herstellern sichert China das Geschäftsmodell und spielt das Geld für Investitionen in die Transformation ein. VW verkaufte 2021 40 Prozent der Neufahrzeuge der Konzernmarken nach China, bei BMW lag der Wert bei 34 Prozent.

Mercedes kann Mandarin

Bei Mercedes kann man Mandarin: 586.804 Mercedes-Fahrzeuge wurden 2021 vor Ort im Pekinger Werk montiert. In seinem 17. Jahr in China hat der Konzern mit dem Stern damit 28 Prozent seines Weltabsatzes in China gebaut. Seit 2012 leitet der Vorstand Hubertus Troska vor Ort in Peking die China-Geschäfte. Für die chinesischen Kunden werden auch Autos mit extra langem Radstand gefertigt. Ein eigenes Modell – nur für den chinesischen Markt – ist angekündigt.

China ist nicht nur die Werkbank: Forschung und Entwicklung (R&D) werden zunehmend in China angesiedelt. Gerade erst wurde in Shanghai das zweite R&D-Centre eröffnet. Insgesamt sind schon rund tausend Entwickler dort tätig. Vorstandschef Ola Källenius hat den McKinsey-Berater Paul Gao verpflichtet, der auch Mandarin spricht und in China und in den USA studiert hat. Gaos Titel lautet Chief Strategy Officer. Seine Mission: Er soll bei den strategischen Geschäftsentscheidungen die spezifischen Anforderungen der asiatischen Schlüsselmärkte im Blick haben.

Mercedes operiert nicht nur aus China und verdient gut mit dem China-Geschäft, der Konzern ist zu beträchtlichen Teilen in chinesischer Hand. Der Staatskonzern BAIC hat seinen Anteil auf zehn Prozent erhöht, was lange Zeit nicht an die Öffentlichkeit drang. Und der Geschäftsmann Li Shufu, dem seit 2018 Volvo gehört sowie der Hersteller Geely, ist über seine Investmentgesellschaft größter Einzelaktionär mit einem Anteil von weiteren 9,7 Prozent.

Droht Mercedes die Übernahme aus China?

Wegen der Eigentumsverhältnisse bei Mercedes – anders als bei BMW und VW gibt es keine Quandts, Porsches und Piechs, die die Strippen ziehen, viele Aktien sind in Streubesitz – gilt der Stuttgarter Konzern als angreifbar für Übernahmen. Gerade war es ruhig, da nährte jüngst ausgerechnet Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Spekulationen, als er im Fall eines Übernahmeversuchs aus China ein Veto der Bundesregierung ankündigte. Ob der Grüne einen konkreten Anlass für seine Intervention hatte, blieb unklar.

Man darf aber davon ausgehen, dass die Investoren in China sehr genau eine weitere Erhöhung der Aktienanteile prüfen. Kaum eine Marke ist den Deutschen wichtiger. Auch in Peking weiß man, dass die Übernahme von Mercedes in Deutschland ein Politikum wäre. Wie zu hören ist, hat der Konzern dennoch Vorsorge getroffen: Bei der Abspaltung der Lastwagensparte im vergangenen Jahr habe man sehr bewusst einen Geschäftsbereich, der eine militärische Variante des G-Modells produziert, nicht den Truckern, sondern der Pkw-Sparte zugeschlagen. “Damit hat die Bundesregierung die Möglichkeit, allein aus Sicherheitsinteressen eine Übernahme durch China zu untersagen”, hört man.    

Insgesamt sind ein Fünftel der Mercedes-Aktien in chinesischer Hand. Beim Blick auf die Aktionärsstruktur wird häufig nicht gesehen, dass die beiden chinesischen Player eigene Interessen verfolgen. “BAIC und Geely sind sich überhaupt nicht grün”, sagt ein Beobachter. Der Staatskonzern BAIC ist der Partner, den sich der Konzern mit dem Stern ursprünglich ausgesucht hat.

Bei Li Shufu kann man dagegen über seine Motivation für den Einstieg bei den Schwaben rätseln. Wollte sich der chinesische Geschäftsmann mit der Trophäe schmücken, Anteilseigner einer deutschen Traditionsmarke zu sein? Hat er sich ursprünglich mehr ausgerechnet? Wollte er selbst auf den Fahrersitz bei Mercedes? Ein Analyst sagt zu Europe.Table: “Auffällig ist, dass Källenius-Vorgänger Zetsche auf Fragen zu BAIC eher wohlwollend geantwortet hat und auf Fragen zu Geely eher neutral.”

Wird Mercedes noch chinesischer?

Inzwischen gibt es eine Kooperation zwischen Geely und Mercedes für den Kleinwagen Smart. Das neue Modell – mit der Marke Smart haben die Stuttgarter in Europa nie Geld verdient – wird jetzt von Geely in China gebaut. Die Stuttgarter sind für das Design und die Technik zuständig.  

Ob die chinesischen Investoren Einfluss auf das operative Geschäft nehmen? Darüber ist wenig bekannt. Klar ist, dass sie jedenfalls personell weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat vertreten sind. Es könnte sein, dass Mercedes in Zukunft chinesischer wird und bisher in Europa angesiedelte Aktivitäten abwandern, zum Beispiel das Geschäft mit dem Verbrenner.

Källenius hat zwar die “Electric only”-Strategie ausgerufen. Ende des Jahrzehnts wolle man nur noch E-Autos verkaufen. Doch relativierend kommt dann immer der Zusatz: “wo es die Marktbedingungen zulassen”. Die EU wird das Verbrenner-Aus für das Jahr 2035 beschließen. Aber aus einer neuen E-Auto-Studie der Unternehmensberatung PWC geht hervor, dass im Jahr 2035 weltweit immer noch 41 Prozent der neu zugelassenen Autos einen Verbrennungsmotor haben.

In der Studie steht, dass auch in China dann noch 27 Prozent der Neuzulassungen Verbrenner sind. Es ist schwer vorstellbar, dass Mercedes komplett das Geschäft mit dem Verbrenner aufgibt. Wenn in Europa der Verbrenner beerdigt ist, spricht viel dafür, die Entwicklung von neuen Motoren nach China zu verlagern.

Spekulationen gibt es auch um die Produktion von Volumenmodellen. Källenius hatte kürzlich die verschärfte Luxusstrategie verkündet und angekündigt, vier von sieben Karosserievarianten im Einstiegsbereich zu streichen. Meldungen, wonach die Produktion von A- und B-Klasse in Rastatt eingestellt werden soll, hat der Konzern nie widersprochen. Im Umfeld des Konzerns hörte man von Überlegungen, die Produktion von A- und B-Klasse an den Anteilseigner Geely abzugeben. Ein Mercedes-Sprecher sagte dazu zu Europe.Table: “Ich bitte um Verständnis, dass wir uns, wie gewohnt, zu Spekulationen nicht äußern.”

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News

Kanada soll grünen Wasserstoff liefern

Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen bei ihrem anstehenden Besuch in Kanada eine Vereinbarung zur Produktion von grünem Wasserstoff unterzeichnen. Das Land habe hier enormes Potenzial. Ziel der Übereinkunft sei, den Hochlauf in den kommenden Jahren zu initiieren, hieß es in Regierungskreisen in Berlin.

Kanzler und Vizekanzler reisen am Sonntag gemeinsam für drei Tage nach Kanada. Die Länge des Besuchs zeigt, wie wichtig die Bundesregierung das Land inzwischen als politischen Verbündeten und Handelspartner nimmt. Es dürfte auch das erste Mal sein, dass ein Bundeskanzler Kanada besucht, ohne zuvor nach Washington gereist zu sein.

Scholz und Habeck werden von Wirtschaftsvertretern etwa aus der Auto-, Energie-, Chemie- und Bergbaubranche begleitet. Parallel zu dem Besuch findet eine mehrtägige Wirtschaftskonferenz statt. Kanada ist ein führender Produzent von Metallen wie Nickel oder Kupfer, die für die Autohersteller wichtig sind. Die EU hat mit der Regierung in Québec eine strategische Rohstoffpartnerschaft vereinbart. Das Land soll als verlässlicher Partner in einer unsicheren geopolitischen Lage die hiesige Industrie versorgen.

Bei dem Besuch soll es auch um die Frage gehen, ob Kanada Deutschland mit dringend benötigtem LNG-Gas beliefern kann. Für konkrete Vereinbarungen aber sei es zu früh, sagte ein Regierungsvertreter. In den nächsten ein, zwei Jahren seien keine Lieferungen zu erwarten, weil dafür die Infrastruktur in Kanada fehle. Es gebe in Kanada drei LNG-Projekte an der West- und Ostküste, die aber teilweise schwer durchsetzbar seien. tho

  • Energie
  • Geopolitik
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  • Rohstoffe
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Opposition in Tschechien droht mit Misstrauensantrag gegen Regierung

Der tschechische Oppositionspolitiker und Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš droht mitten in der EU-Ratspräsidentschaft des Landes mit einem Misstrauensantrag gegen die Regierung. In einem am Donnerstag veröffentlichten offenen Brief forderte er ultimativ die Absetzung des Innenministers Vit Rakusan. Diesem warf er vor, “völlig inkompetent” und “ein Mensch mit nachweislichen Beziehungen zu Mafia-Strukturen” zu sein.

Hintergrund ist eine Korruptionsaffäre um die Prager Verkehrsbetriebe, in die Parteikollegen Rakusans verwickelt sein sollen. Der liberalkonservative Regierungschef Petr Fiala wies die Forderung indes zurück und sprach dem Minister nach Angaben der Agentur CTK sein volles Vertrauen aus. Er beschuldigte Babiš, der Ambitionen auf das Präsidentenamt hegt, von seinen eigenen Affären ablenken zu wollen. Um die Regierung zu stürzen, sind die Stimmen von 101 der 200 Abgeordneten erforderlich. Die Opposition verfügt nur über 92 Sitze.

Eine Misstrauensabstimmung käme für die Regierung in Prag gleichwohl zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Tschechien hat noch bis zum Jahresende die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Geplant sind zahlreiche informelle Minister- und Gipfeltreffen, deren Vorbereitung viel Zeit in Anspruch nimmt.

Im politischen Prag werden zudem Erinnerungen an die vorhergehende tschechische EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2009 wach. In deren Verlauf stürzte die damalige Regierung des Konservativen Mirek Topolanek durch ein Misstrauensvotum. Sie wurde durch ein Übergangskabinett ersetzt. dpa

  • Europäischer Rat
  • Europapolitik
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43 Getreideschiffe seit Öffnung des Korridors in See gestochen

Seit der Einigung auf den Korridor für ukrainisches Getreide sind nach türkischen Angaben bereits 43 Schiffe in See gestochen. 25 davon hätten die Ukraine verlassen, 18 hätten sich auf den Weg zu ukrainischen Häfen gemacht, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Somit seien mehr als 622.000 Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen verschifft worden, hieß es.

Die UN und die Türkei hatten Ende Juli Vereinbarungen vermittelt, dass die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges wieder Getreide über ihre Schwarzmeerhäfen ausführen darf. Es wird geschätzt, dass mehr als 20 Millionen Tonnen Getreideerzeugnisse in der Ukraine lagern.

UN-Generalsekretär António Guterres appelliert bei seinem Besuch in Lwiw am Donnerstag an die Kompromissbereitschaft Russlands und der Ukraine, um den Fluss der Getreidetransporte sicherzustellen. “Es gibt keine Lösung für die globale Nahrungsmittelkrise, ohne den weltweiten Zugriff auf ukrainische und russische Lebensmittel und Dünger sicherzustellen”, sagt Guterres vor Reportern. dpa

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Konflikt zwischen Serbien und Kosovo: Weitere Gespräche geplant

Serbien und das Kosovo haben auch unter EU-Vermittlung ihren Streit über Kfz-Kennzeichen und Anerkennung hoheitlicher Rechte nicht beilegen können. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti planten weitere Gespräche in den kommenden Tagen, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Donnerstag nach einem Krisentreffen mit beiden Politikern mit. “Wir haben noch Zeit bis zum 1. September, ich gebe nicht auf”, sagte Borrell.

Er bezog sich damit auf eine vom Kosovo gesetzte Frist im Streit um die Anerkennung von Autokennzeichen. Kurti will spätestens im kommenden Monat die im Norden des Kosovo lebenden Serben dazu verpflichten, in Pristina ausgestellte Autokennzeichen zu verwenden. Die rund 50.000 Serben im Kosovo erkennen die staatlichen Einrichtungen nicht an und werden in dieser Haltung von Serbien unterstützt, das Autokennzeichen und Ausweise aus dem Kosovo nicht akzeptiert.

In der Vergangenheit war es im Grenzgebiet zu Blockaden und Zusammenstößen zwischen der serbischen Minderheit und Sicherheitskräften gekommen. Rund fünf Prozent der 1,8 Millionen Kosovaren sind Serben. Das muslimisch geprägte Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt.

Während Serbien das Kosovo unverändert als seinen Landesteil betrachtet, erkennen Deutschland und eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Republik Kosovo an. Die Vermittlung der Europäischen Union zwischen den einstigen Kriegsgegnern machte in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte. rtr

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Angola und EU wollen Handelsabkommen besprechen

Angola und die Europäische Union werden noch in diesem Jahr Gespräche über ein Handelsabkommen aufnehmen. Zuvor hatten die EU und die afrikanischen Partner einem Antrag des ölproduzierenden Landes auf Beitritt zu einer regionalen Handelsunion zugestimmt, wie aus einem EU-Dokument und den Angaben eines Beamten hervorgeht.

“Wir sind jetzt in der Lage, formelle Verhandlungen aufzunehmen, aber es gibt noch keinen Termin, der mit Angola vereinbart wurde. Wir gehen davon aus, dass dies im letzten Quartal dieses Jahres geschehen wird”, sagte ein EU-Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die angolanische Regierung äußerte sich nicht unmittelbar.

Das mögliche Abkommen würde voraussichtlich die Ausfuhren angolanischer Produkte in die EU steigern und möglicherweise die Bedeutung des Öls verringern, das derzeit wertmäßig fast alle Ausfuhren ausmacht. Angolanische Produkte wie gefrorene Shrimps, Ethylalkohol, Weizenkleie und Bananen dürften nach Schätzungen der EU dank der erwarteten Aufhebung der Zölle am meisten profitieren.

Angesichts des zu erwartenden Handelsanstiegs und des gestiegenen Kraftstoffbedarfs der EU angesichts der anhaltenden Energiekrise könnte Angola auch mehr Öl in die EU-Länder exportieren. Derzeit ist China der bei weitem größte Abnehmer, obwohl auf Öl in der EU keine Einfuhrzölle mehr erhoben werden.

Die meisten angolanischen Ausfuhren in die EU werden bereits bevorzugt behandelt, da das Land als am wenigsten entwickeltes Land eingestuft wurde. Dank seines jüngsten, vom Öl angetriebenen Wirtschaftswachstums wird es diesen Status jedoch 2027 verlieren. Das bedeutet, dass das Land mit Zöllen auf verschiedene Produkte konfrontiert würde, wenn es nicht dem regionalen Handelsabkommen beitritt, das die EU 2016 mit sechs Ländern des südlichen Afrikas unterzeichnet hat.

Im Rahmen des Abkommens werden auch EU-Produkte mit niedrigeren Zöllen auf den angolanischen Markt gelangen – ein Vorteil für die lokalen Verbraucher, aber auch ein Risiko für die heimische Industrie, wenn sie nicht investiert, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Im Rahmen des regionalen Handelsabkommens hat die EU die Zölle und Kontingente auf Einfuhren aus Botsuana, Lesotho, Mosambik, Namibia und Eswatini vollständig aufgehoben und die Zölle auf südafrikanische Ausfuhren, die allerdings weiterhin Kontingenten unterliegen, fast vollständig abgeschafft. Im Gegenzug haben die Länder des südlichen Afrikas die Zölle auf bis zu 86 Prozent der EU-Ausfuhren aufgehoben. rtr

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Presseschau

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Höhe weiterer Gasumlagen festgelegt ZEIT
“Senken Mehrwertsteuer auf Gas auf sieben Prozent” FAZ
Schweden horten Holz, Regierung stellt Milliarden für Haushalte zur Verfügung EURONEWS
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Fischsterben in der Oder – Auch EU-Kommission verlangt Aufklärung TAGESSCHAU
EU-Parlament will Spionage gegen griechischen Abgeordneten untersuchen EURACTIV
Gespräche zwischen Serbien und Kosovo ohne Einigung FAZ

Standpunkt

What’s cooking in Paris: Macrons Cordon bleu

Von Claire Stam
Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam

Cordon bleu Pariser Art oder eine Anekdote, die in die Annalen des politischen Gedächtnisses einging: Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2017, genauer am Sonntag des ersten Wahlgangs, genehmigten sich der Kandidat Emmanuel Macron und sein Team eine Mittagspause auf einer Autobahnraststätte. Welches Gericht wählen sie? “Ich mag Cordon bleu”, sagte Emmanuel Macron. Die Kellnerin wendet ein: “Das gehört zum Kindermenü…”.

In diesem politischen Herbst wird Emmanuel Macron jedoch zwischen disruptivem Menü und Wahlkampfküche wählen müssen. Bevor wir mit der politischen Küche Frankreichs fortfahren, sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der Ministerrat die Formation ist, die jede Woche – in der Regel am Mittwoch – alle 16 Minister unter dem Vorsitz des Staatsoberhauptes zusammenbringt.

Er ist eines der Elemente, die es dem Staatsoberhaupt ermöglichen, die Ausarbeitung und Umsetzung der Regierungspolitik zu überwachen und einer Reihe wichtiger Entscheidungen seine Zustimmung zu geben – oder zu verweigern. Ganz allgemein ermöglicht es dieser Rat dem Staatsoberhaupt, Diskussionen, an denen die gesamte Regierung beteiligt ist, durch seine Ansichten zu prägen. Die prunkvollen Empfangssäle, in denen die Regierungsmitglieder im Elysée-Palast empfangen werden, wetteifern mit dem hohen Grad an Formalitäten, der dort herrscht – und mit der Langeweile.

Aber das war Teil der Welt von früher, der Welt vor den Parlamentswahlen im Juni, bei denen Emmanuel Macrons politische Formation eine meisterhafte Wahlklatsche einstecken musste – und die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verlor. Neben dem Verlust der absoluten Mehrheit hat seine Partei fast die Hälfte ihrer Mandate verloren hat: Zum Amtsantritt Macrons 2017 war La République en Marche (LREM) mit 314 Abgeordneten in die Assemblée Nationale eingezogen, 2022 muss sie sich unter dem neuen Namen Renaissance mit 170 Sitzen begnügen. Die Nationalversammlung besteht aus insgesamt 577 Abgeordneten.

Politische Blockaden en masse

In einem so zentralisierten Land wie Frankreich haben die politischen Akteure und Beobachter plötzlich die Notwendigkeit der Kompromissfindung entdecken müssen, eine Vorgehensweise, die in der französischen Politik wie ein UFO wirkt. Die Frage ist nur, wie lange sich diese für Frankreich so fremde Kompromisskultur halten kann. Denn es ist eine Tatsache: Emmanuel Macrons Gegner, mit denen man parlamentarische Kompromisse finden könnte, sind nicht zahlreich genug, um ihm eine stabile und dauerhafte fünfjährige Amtszeit zu garantieren.

Denn in seinem Streben nach Macht hat der derzeitige französische Präsident seine politischen Gegner am rechten und linken Rand des politischen Spektrums geschwächt. Seine Strategie hat es ihm zwar ermöglicht, wiedergewählt zu werden, aber sie hat auch den beiden Extremen geholfen und sie hörbar gemacht. Auf diese Weise wird die Hypothese einer Blockade, die zur Auflösung der Nationalversammlung führen soll, in diesem Kontext besonders glaubwürdig.

Und an Gründen für eine politische Blockade wird es nicht mangeln: ein Gesundheitssystem am Rande des Abgrunds, der immer lauter werdende Unmut der Lehrer und die galoppierende Prekarität der Studenten, die Inflation und die steigenden Energiepreise, die Rentenreformen etc. Und das alles zu einer Zeit, in der das Land eine beispiellose Dürre und Brände erlebt hat.

Was bedeutet das also für Deutschland und die Europäische Union? Deutschland wie die EU sollten sich auf zwei unterschiedliche Phasen in der zweiten Amtszeit Macrons einstellen, stellen Ronja Kempin und Julina Mintel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer neuen Analyse fest. In der ersten Zeit wird der Präsident eine Politik der Reformmehrheiten betreiben, mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen und sich eine gute Ausgangsposition für Neuwahlen zu sichern. “Entsprechend wird Macron in dieser Phase sehr viel politische Energie darauf verwenden, innenpolitische Kompromisse auszuhandeln – und dafür auch von seinem Versprechen abrücken, Frankreichs Staatsschulden abzubauen”, schreiben die beiden Wissenschaftlerinnen.

Macrons Nachfolgerin könnte Marine Le Pen heißen

Das bedeutet, Emmanuel Macron wird in der EU dafür werben, weitere Konjunkturpakete zu schnüren und neue Fonds zu entwickeln sowie sich für eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einsetzen, um mehr finanziellen Spielraum für seine innenpolitischen Reformvorhaben zu gewinnen. “Konflikte mit Berlin sind in dieser Phase also programmiert, wenn Berlin sich weigert, die Maastricht-Kriterien weiterhin auszusetzen oder zu reformieren”, schreiben die zwei Analystinnen. “Doch die Bundesregierung sollte stets im Hinterkopf behalten, dass Macron im Verlauf seines Mandats gezwungen sein wird, die Nationalversammlung aufzulösen, um eine innenpolitische Blockade zu umgehen.”

Falls erfolgreich, dann hätte er in der zweiten Phase seiner Amtszeit mehr Spielraum, sich den Zukunftsfragen der EU zuzuwenden – der Europäischen Politischen Gemeinschaft, der Autonomie der Union, dem Frieden in Europa. “Um diese Themen im deutsch-französischen Gleichklang zu bearbeiten, sollte die deutsche Europapolitik für sich das Ziel formulieren, dass Emmanuel Macron seine innenpolitische Reformagenda realisieren kann. Um den wachsenden sozialen Unterschieden in seinem Land entgegenzuwirken, bedarf Macron Berlins Unterstützung. Es wäre wichtig, dass sich die Bundesregierung klar zur Autonomie der EU in der Gesundheits- und Energiepolitik bekennt und Impulse zugunsten einer einheitlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik setzt”, betonen sie.

Und schlussfolgern: “Es mag wohlfeil klingen, doch ist es wahrscheinlicher als je zuvor: Sollte Macron scheitern, dürfte seine Nachfolgerin 2027 Marine Le Pen heißen. Sie befindet sich seit den Parlamentswahlen im Juni in einer sehr komfortablen Machtposition – die in den kommenden Monaten durch eine rigide deutsche Europapolitik nicht noch weiter gestärkt werden sollte”.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    nachhaltig investieren ist der Trend dieser Zeit. Aber was gilt als nachhaltig, was nicht? Die EU-Taxonomie sei bei der Einordnung der richtige Ansatz, sei aber zu umfangreich und enthalte grundlegende Fehler, sagt Silke Stremlau, Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, im Interview mit Leonie Düngefeld. Es liegt noch ein weiter Weg vor einem grünen Finanzmarkt.

    Wie chinesisch ist Mercedes? Diese Frage stellt mein Kollege Markus Grabitz in seiner Analyse. Denn: Mehr als ein Drittel seiner Autos verkauft der Autohersteller aus Stuttgart in China, ein Fünftel der Aktien sind in chinesischem Besitz. Folgt bald eine Übernahme?

    Drei Tage werden Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck ab Sonntag in Kanada sein. Während des Besuches wollen sie eine Vereinbarung zur Produktion von grünem Wasserstoff abschließen.

    Unsere Kolumnistin Claire Stam meldet sich heute nicht aus Brüssel, sondern aus Paris. Dort kehrt wieder politisches Leben in den Elysée-Palast ein. Präsident Emmanuel Macron wird jetzt alles daran setzen müssen, um in eine günstige Position für mögliche Neuwahlen zu kommen.

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    Lisa-Martina Klein
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    Analyse

    “90 Prozent des Weges liegen noch vor uns”

    Silke Stremlau ist Vorständin des Versicherungsverbunds Hannoversche Kassen und Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, der seit 2019 die Bundesregierung berät. Im Interview redet sie über nachhaltige Investitionen, Green Finance und die EU-Taxonomie
    Silke Stremlau ist Vorständin des Versicherungsverbunds Hannoversche Kassen und Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats, der seit 2019 die Bundesregierung berät.

    Frau Stremlau, damit Europa seine Klimaziele erreicht, müssen gigantische Summen an Investitionen mobilisiert werden. Wie gut gelingt das?

    Dass wir einen sozial-ökologischen Umbau unserer gesamten Wirtschaft überhaupt brauchen, hat sich erst in den letzten ein bis zwei Jahren in den Köpfen der verantwortlich Handelnden durchgesetzt – und ist leider immer noch nicht bei allen angekommen. Durch den Ukraine-Krieg wurde das allerdings nochmal enorm beschleunigt. Und der Klimawandel ist auch hier in Europa jedes Jahr deutlicher zu spüren. Mit der Finanzierung stehen wir noch ganz am Anfang: Der Markt der nachhaltigen Geldanlagen wächst seit der letzten Finanzkrise jedes Jahr deutlich, im institutionellen und im privaten Bereich. Aber von dem, was noch vor uns liegt, haben wir vielleicht zehn Prozent geschafft. 90 Prozent dessen, was an Geldern bewegt werden muss, liegt noch vor uns. Der Finanzmarkt steht bereit, es muss sich aber noch viel ändern und wir brauchen andere Leitplanken.

    Mit der Taxonomie hat die EU ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen geschaffen. Ist das keine geeignete Leitplanke?

    Den Ansatz der EU-Kommission – ihren Action Plan on Sustainable Finance und die verschiedenen Regulierungsschritte, die sie vor Augen hat – finde ich richtig. Wir brauchen eine klare Definition, was nachhaltig ist. Wir brauchen bessere Kennzahlen und Berichte, wie weit die Unternehmen auf ihrem Weg der Nachhaltigkeit fortgeschritten sind. Und wir brauchen mehr Transparenz bei den Finanzmarktakteuren darüber, wie sie das Thema Nachhaltigkeit umsetzen. Diese drei Schritte ist die Kommission mit der Taxonomie, der Offenlegungsverordnung und der CSRD-Richtlinie gegangen. Aber ich frage mich, ob das der richtige Weg ist: Für das erste Umweltziel umfasst die Taxonomie-Verordnung 460 Seiten – und es gibt fünf weitere Umweltziele, die noch gar nicht definiert wurden. Außerdem gibt es handwerkliche Probleme in der Umsetzung. Es braucht also einen Review-Prozess.

    Welche handwerklichen Probleme meinen Sie?

    Zum Beispiel die Green Asset Ratio bei Banken. Die Banken müssen jetzt ausweisen, wie hoch ihr Anteil grüner Kredite am gesamten Kreditportfolio ist. Sie dürfen aber nur solche Unternehmen mit einbeziehen, die unter die Berichterstattungspflicht fallen, also große, als Aktiengesellschaft notierte Unternehmen. Das kann zur Folge haben, dass bestimmte Banken irreführend bewertet werden: Die GLS-Bank, mit einem zu 95 Prozent nachhaltigen Kreditportfolio, hat zum Beispiel eine Green Asset Ratio von vier Prozent, weil sie viele Kredite an kleinere Projektgesellschaften vergibt, etwa an Bürgerenergiegenossenschaften oder Privatleute. Die werden alle nicht durch die Berichtspflicht erfasst. Das ist ein handwerklicher Fehler, an dem gearbeitet werden muss.

    Als Fehler bezeichnen viele auch, dass Atomkraft- und Erdgasprojekte aufgenommen wurden und demnach als nachhaltig gelten. Hat die Taxonomie dadurch an Kraft und Glaubwürdigkeit verloren?

    In Deutschland, ja. In vielen anderen Ländern Europas ist Atomkraft nach wie vor die Antwort auf die Klimakrise. Dort gibt es nicht diesen Glaubwürdigkeitsverlust der Taxonomie wie hier in Deutschland. Ich halte das aber nicht für einen handwerklichen Fehler, sondern für eine absolut politische Fehlentscheidung. Ich habe die Taxonomie so verstanden, dass sie der Goldstandard für nachhaltige, zukunftsfähige, resiliente Wirtschaftsaktivitäten ist – und dass sie wissenschaftlich fundiert ist. Die gesamte Wissenschaft, die in dem Prozess konsultiert wurde, hat sich gegen die Aufnahme von Atomkraft und Gas ausgesprochen. In einer grünen Umwelttaxonomie haben beide nichts zu suchen. Die Entscheidung ist bitter. Ich bin auch enttäuscht vom Parlament, das da mitgegangen ist.

    Das Europäische Parlament hat im Juli die Chance verpasst, ein Veto einzulegen. Aber was hat das nun überhaupt für Konsequenzen – werden Investoren in Deutschland nun tatsächlich noch verstärkt in Kernenergie und Erdgas investieren?

    Aus der Fonds- und Investmentindustrie höre ich, Finanzprodukte für den deutschen Markt werden Atomkraft und Gas weiterhin ausschließen. Das Thema wird in Zukunft keine Relevanz haben. Kein Investor in Deutschland, auch nicht die großen institutionellen Investoren, wollen wieder in Atomkraft und Gas investieren. Gerade flammt die Debatte durch CDU-Größen und Herrn Lindner zwar nochmal auf, aber eigentlich besteht Einigkeit. Anders ist es, wenn ich als Anlegerin in einen Fonds einer Bank aus Ländern mit wie Frankreich investieren will, die dann den Taxonomie-Stempel haben, oder eine Anleihe kaufen will. Dann muss ich genau hinschauen, ob auch Atomkraftprojekte im Portfolio sind. Das sollte ich aber generell. Dieser Rat an alle Anlegerinnen besteht nach wie vor im nachhaltigen Investieren: Man sollte sich immer die zehn größten Titel des Portfolios anschauen und sich fragen, ob diese zum eigenen Nachhaltigkeitsverständnis passen.

    Zehntausende Unternehmen in Europa sind bald von den neuen Nachhaltigkeitsberichtspflichten betroffen. Was verändert sich für die Banken und Investoren?

    Alle Unternehmen werden in den nächsten Jahren merken, dass sie zunehmend sozial-ökologische Daten abliefern müssen, wenn sie einen Kredit bei ihrer Bank wollen. Denn die Banken sind gefordert, Transparenz über ihr Kreditportfolio, über den CO2-Fußabdruck, über die sozial-ökologischen und die Klimarisiken zu erstellen. Wenn ich heute als Bank investiere, bin ich darauf angewiesen, dass die Unternehmen freiwillig gut berichten. Das wird leichter, weil sie nun dazu verpflichtet werden und die Hauptdaten dann im Lagebericht stehen. In den nächsten drei bis zehn Jahren wird ein riesiger Wandel auf uns zukommen: Bei den Banken muss ein komplett anderes Denken Einzug erhalten, weil sie Klima- und Biodiversitätsrisiken in ihr Kredit- und Risikomanagement einbeziehen müssen. Sie müssen neue Daten erheben, mit ihren Kreditnehmern ganz anders in den Austausch gehen, neue Datenerfassungssysteme aufbauen.

    Besonders der Mittelstand beschwert sich über den großen bürokratischen Aufwand, den die Berichtspflichten mit sich bringen …

    Mehr Aufwand ist es definitiv. Die Banken suchen händeringend nach Nachhaltigkeitsanalysten und Experten, weil sie komplett überfordert sind. Sie müssen Zahlen erheben, die sie jetzt noch nicht auf Knopfdruck haben. Aber das ist ein Startaufwand, für den beispielsweise die Sparkassen und Volksbanken Unterstützung von ihren Dachverbänden erhalten. Man probiert, eine einheitliche Datenbanklösung aufzubauen. Aber letztendlich sind die Kosten später doch viel höher: Wenn ich es vorher nicht in den Kredit einpreise und zum Beispiel durch Extremwetterereignisse Gebäude weggeschwemmt werden, habe ich später Kreditausfälle. Das ist dann weitaus teurer, das geht dann in die Millionen. Letztendlich ist ein mittelständisches Unternehmen überschaubarer als ein Großkonzern, der verschiedene Standorte und Gesellschaften hat. Es muss ja auch eine Steuererklärung abgeben, einen Geschäftsbericht erstellen und einen Wirtschaftsprüfer mit Daten füttern. Also ist es auch machbar, noch zwanzig ökologische Kennzahlen zu erheben.

    Auch beim Thema Lieferketten plant die EU strengere Vorgaben. Inwiefern betrifft das Banken und Investoren?

    Aus Finanzmarktperspektive ist das ein sehr relevantes Thema. Alle institutionellen Investoren investieren nicht nur in Deutschland, wo wir wenig Lieferkettenprobleme haben, sondern weltweit. Sie investieren in Titel wie Adidas, die 1500 Zulieferer haben, oder in die Rohstoffindustrie, die Seltene Erden in Afrika und Asien abbaut. Wenn herauskommt, dass ein Unternehmen Umweltstandards oder Arbeitnehmerrechte nicht beachtet hat, dann wird es keine Aufträge mehr bekommen. Dann geht der Aktienkurs runter und es kann keine Dividende mehr ausgeschüttet werden. Das hat für mich als Investorin hohe finanzielle Risiken. Wir haben deshalb ein originäres Interesse daran, dass hohe Umwelt- und Sozialstandards in der Lieferkette gelten und dass es Transparenz darüber gibt. In Deutschland ist das Sorgfaltspflichtengesetz stark abgemildert worden, auch durch Druck von Verbänden und Unternehmen. Ich hoffe, dass das EU-Lieferkettengesetz schärfer gehandhabt wird als momentan geplant und dass sich das deutsche Gesetz dann eher noch nach oben strecken muss.

    Der Sustainable Finance-Beirat, dem Sie vorstehen, hat gerade seine Arbeit aufgenommen, Ende September soll ein Arbeitsprogramm erstellt werden. Was sind die wichtigsten Punkte des Programms?

    Es geht darum, wie der Finanzmarkt die sozial-ökologische Transformation unterstützen, das Geld umlenken und die bestehenden Risiken managen kann. Auch die Berichterstattung wird ein großes Thema sein. Wir sind Sparringspartner für die Bundesregierung und für die Verbände, weil wir die Möglichkeit haben, aus der breiten Stakeholder-Sicht Feedback zu geben. Wo gibt es noch Probleme, wo muss auf Harmonisierung geachtet werden? Wo sind mittelständische Unternehmen überfordert und brauchen Hilfe? Capacity Building und Wissensaufbau wird uns begleiten, sowohl in der Finanzindustrie als auch in den Aufsichtsbehörden und bei den Verantwortlichen in der Bundesregierung, die die Pensionsgelder der Beamtinnen und Beamten anlegen. Und das Thema öffentliche Kapitalanlagen wird weiterhin auf unserer Agenda sein: Wie können diese noch strenger als bisher an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet sein?

    Unter anderem soll in Deutschland eine “Nachhaltigkeitsampel für Finanzprodukte” eingeführt werden. Was bedeutet das?

    Jedes Finanzprodukt, sei es ein Sparbrief, ein Baufinanzierungskredit oder ein Investmentfonds, bekommt eine Einschätzung von A bis E, wie nachhaltig es ist und welche Chancen und welche Risiken aus ESG-Perspektive es hat. Ähnlich wie das Energieeffizienzlogo am Kühlschrank, an dem ich auf einen Blick sehe, wie effizient der Kühlschrank ist. Da gibt es schon ein Konzept, vom ersten Beirat entwickelt, und das geht jetzt weiter in die inhaltliche Abstimmung. Die Idee ist, dies auch europaweit auszuspielen. Wir diskutieren das zurzeit im Beirat, aber das Finanzministerium wird es sicher in den europäischen Prozess einschleusen und schauen, wie die Resonanz ist.

    Die deutsche Sustainable Finance Strategie wurde kurz vor dem Regierungswechsel beschlossen. Gibt es da nun Änderungsbedarf?

    Im Februar 2021 haben wir als Beirat 31 Empfehlungen vorgestellt. Die Bundesregierung kam im Mai mit 26 Maßnahmen. Es hat sich nicht alles wiedergefunden, aber in einigen Punkten ist sie auch darüber hinausgegangen, was der Beirat empfohlen hatte. In anderen Teilen ist die Strategie sehr allgemein und unklar. Sie sollte stringenter und ambitionierter werden. Ich habe den Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung auch so verstanden, dass die Strategie geschärft werden soll. Die Bundesregierung hat uns auf vier Seiten übermittelt, welche Erwartungen sie an den Beirat hat und wo sie selbst Handlungs- und Beratungsbedarf sieht. Daran kann man sich als Beirat abarbeiten und dann den Finger in die Wunden legen. Wir sind jetzt am Anfang, in der Themenfindung. Aber schon jetzt sind wir weiter als am Anfang des ersten Beirats.

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    Wie chinesisch ist Mercedes?

    Mercedes hat China spät entdeckt. Erst 2005 ging der Stuttgarter Hersteller nach Peking und gründete mit dem Staatskonzern BAIC das Joint Venture Beijing Benz Automotive Co. (BBAC). In der Anfangszeit spielte das China-Geschäft für die Zentrale in Untertürkheim eine überschaubare Rolle. “Wenn die Kollegen in Stuttgart die chinesische Länderkennung im Display ihrer Telefone gesehen haben, sind sie gar nicht erst dran gegangen”, erinnert sich ein Mitarbeiter aus dem Finanzbereich an seine Anfänge in China.

    Inzwischen hat sich das geändert. China ist für die Stuttgarter sehr wichtig geworden. Im vergangenen Jahr hat Mercedes weltweit 2,093 Millionen Pkw verkauft, davon gingen 763.706 an Käufer in China. Das sind über 36 Prozent des Gesamtabsatzes. Auch bei den anderen deutschen Herstellern sichert China das Geschäftsmodell und spielt das Geld für Investitionen in die Transformation ein. VW verkaufte 2021 40 Prozent der Neufahrzeuge der Konzernmarken nach China, bei BMW lag der Wert bei 34 Prozent.

    Mercedes kann Mandarin

    Bei Mercedes kann man Mandarin: 586.804 Mercedes-Fahrzeuge wurden 2021 vor Ort im Pekinger Werk montiert. In seinem 17. Jahr in China hat der Konzern mit dem Stern damit 28 Prozent seines Weltabsatzes in China gebaut. Seit 2012 leitet der Vorstand Hubertus Troska vor Ort in Peking die China-Geschäfte. Für die chinesischen Kunden werden auch Autos mit extra langem Radstand gefertigt. Ein eigenes Modell – nur für den chinesischen Markt – ist angekündigt.

    China ist nicht nur die Werkbank: Forschung und Entwicklung (R&D) werden zunehmend in China angesiedelt. Gerade erst wurde in Shanghai das zweite R&D-Centre eröffnet. Insgesamt sind schon rund tausend Entwickler dort tätig. Vorstandschef Ola Källenius hat den McKinsey-Berater Paul Gao verpflichtet, der auch Mandarin spricht und in China und in den USA studiert hat. Gaos Titel lautet Chief Strategy Officer. Seine Mission: Er soll bei den strategischen Geschäftsentscheidungen die spezifischen Anforderungen der asiatischen Schlüsselmärkte im Blick haben.

    Mercedes operiert nicht nur aus China und verdient gut mit dem China-Geschäft, der Konzern ist zu beträchtlichen Teilen in chinesischer Hand. Der Staatskonzern BAIC hat seinen Anteil auf zehn Prozent erhöht, was lange Zeit nicht an die Öffentlichkeit drang. Und der Geschäftsmann Li Shufu, dem seit 2018 Volvo gehört sowie der Hersteller Geely, ist über seine Investmentgesellschaft größter Einzelaktionär mit einem Anteil von weiteren 9,7 Prozent.

    Droht Mercedes die Übernahme aus China?

    Wegen der Eigentumsverhältnisse bei Mercedes – anders als bei BMW und VW gibt es keine Quandts, Porsches und Piechs, die die Strippen ziehen, viele Aktien sind in Streubesitz – gilt der Stuttgarter Konzern als angreifbar für Übernahmen. Gerade war es ruhig, da nährte jüngst ausgerechnet Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Spekulationen, als er im Fall eines Übernahmeversuchs aus China ein Veto der Bundesregierung ankündigte. Ob der Grüne einen konkreten Anlass für seine Intervention hatte, blieb unklar.

    Man darf aber davon ausgehen, dass die Investoren in China sehr genau eine weitere Erhöhung der Aktienanteile prüfen. Kaum eine Marke ist den Deutschen wichtiger. Auch in Peking weiß man, dass die Übernahme von Mercedes in Deutschland ein Politikum wäre. Wie zu hören ist, hat der Konzern dennoch Vorsorge getroffen: Bei der Abspaltung der Lastwagensparte im vergangenen Jahr habe man sehr bewusst einen Geschäftsbereich, der eine militärische Variante des G-Modells produziert, nicht den Truckern, sondern der Pkw-Sparte zugeschlagen. “Damit hat die Bundesregierung die Möglichkeit, allein aus Sicherheitsinteressen eine Übernahme durch China zu untersagen”, hört man.    

    Insgesamt sind ein Fünftel der Mercedes-Aktien in chinesischer Hand. Beim Blick auf die Aktionärsstruktur wird häufig nicht gesehen, dass die beiden chinesischen Player eigene Interessen verfolgen. “BAIC und Geely sind sich überhaupt nicht grün”, sagt ein Beobachter. Der Staatskonzern BAIC ist der Partner, den sich der Konzern mit dem Stern ursprünglich ausgesucht hat.

    Bei Li Shufu kann man dagegen über seine Motivation für den Einstieg bei den Schwaben rätseln. Wollte sich der chinesische Geschäftsmann mit der Trophäe schmücken, Anteilseigner einer deutschen Traditionsmarke zu sein? Hat er sich ursprünglich mehr ausgerechnet? Wollte er selbst auf den Fahrersitz bei Mercedes? Ein Analyst sagt zu Europe.Table: “Auffällig ist, dass Källenius-Vorgänger Zetsche auf Fragen zu BAIC eher wohlwollend geantwortet hat und auf Fragen zu Geely eher neutral.”

    Wird Mercedes noch chinesischer?

    Inzwischen gibt es eine Kooperation zwischen Geely und Mercedes für den Kleinwagen Smart. Das neue Modell – mit der Marke Smart haben die Stuttgarter in Europa nie Geld verdient – wird jetzt von Geely in China gebaut. Die Stuttgarter sind für das Design und die Technik zuständig.  

    Ob die chinesischen Investoren Einfluss auf das operative Geschäft nehmen? Darüber ist wenig bekannt. Klar ist, dass sie jedenfalls personell weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat vertreten sind. Es könnte sein, dass Mercedes in Zukunft chinesischer wird und bisher in Europa angesiedelte Aktivitäten abwandern, zum Beispiel das Geschäft mit dem Verbrenner.

    Källenius hat zwar die “Electric only”-Strategie ausgerufen. Ende des Jahrzehnts wolle man nur noch E-Autos verkaufen. Doch relativierend kommt dann immer der Zusatz: “wo es die Marktbedingungen zulassen”. Die EU wird das Verbrenner-Aus für das Jahr 2035 beschließen. Aber aus einer neuen E-Auto-Studie der Unternehmensberatung PWC geht hervor, dass im Jahr 2035 weltweit immer noch 41 Prozent der neu zugelassenen Autos einen Verbrennungsmotor haben.

    In der Studie steht, dass auch in China dann noch 27 Prozent der Neuzulassungen Verbrenner sind. Es ist schwer vorstellbar, dass Mercedes komplett das Geschäft mit dem Verbrenner aufgibt. Wenn in Europa der Verbrenner beerdigt ist, spricht viel dafür, die Entwicklung von neuen Motoren nach China zu verlagern.

    Spekulationen gibt es auch um die Produktion von Volumenmodellen. Källenius hatte kürzlich die verschärfte Luxusstrategie verkündet und angekündigt, vier von sieben Karosserievarianten im Einstiegsbereich zu streichen. Meldungen, wonach die Produktion von A- und B-Klasse in Rastatt eingestellt werden soll, hat der Konzern nie widersprochen. Im Umfeld des Konzerns hörte man von Überlegungen, die Produktion von A- und B-Klasse an den Anteilseigner Geely abzugeben. Ein Mercedes-Sprecher sagte dazu zu Europe.Table: “Ich bitte um Verständnis, dass wir uns, wie gewohnt, zu Spekulationen nicht äußern.”

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    Kanada soll grünen Wasserstoff liefern

    Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen bei ihrem anstehenden Besuch in Kanada eine Vereinbarung zur Produktion von grünem Wasserstoff unterzeichnen. Das Land habe hier enormes Potenzial. Ziel der Übereinkunft sei, den Hochlauf in den kommenden Jahren zu initiieren, hieß es in Regierungskreisen in Berlin.

    Kanzler und Vizekanzler reisen am Sonntag gemeinsam für drei Tage nach Kanada. Die Länge des Besuchs zeigt, wie wichtig die Bundesregierung das Land inzwischen als politischen Verbündeten und Handelspartner nimmt. Es dürfte auch das erste Mal sein, dass ein Bundeskanzler Kanada besucht, ohne zuvor nach Washington gereist zu sein.

    Scholz und Habeck werden von Wirtschaftsvertretern etwa aus der Auto-, Energie-, Chemie- und Bergbaubranche begleitet. Parallel zu dem Besuch findet eine mehrtägige Wirtschaftskonferenz statt. Kanada ist ein führender Produzent von Metallen wie Nickel oder Kupfer, die für die Autohersteller wichtig sind. Die EU hat mit der Regierung in Québec eine strategische Rohstoffpartnerschaft vereinbart. Das Land soll als verlässlicher Partner in einer unsicheren geopolitischen Lage die hiesige Industrie versorgen.

    Bei dem Besuch soll es auch um die Frage gehen, ob Kanada Deutschland mit dringend benötigtem LNG-Gas beliefern kann. Für konkrete Vereinbarungen aber sei es zu früh, sagte ein Regierungsvertreter. In den nächsten ein, zwei Jahren seien keine Lieferungen zu erwarten, weil dafür die Infrastruktur in Kanada fehle. Es gebe in Kanada drei LNG-Projekte an der West- und Ostküste, die aber teilweise schwer durchsetzbar seien. tho

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    Opposition in Tschechien droht mit Misstrauensantrag gegen Regierung

    Der tschechische Oppositionspolitiker und Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš droht mitten in der EU-Ratspräsidentschaft des Landes mit einem Misstrauensantrag gegen die Regierung. In einem am Donnerstag veröffentlichten offenen Brief forderte er ultimativ die Absetzung des Innenministers Vit Rakusan. Diesem warf er vor, “völlig inkompetent” und “ein Mensch mit nachweislichen Beziehungen zu Mafia-Strukturen” zu sein.

    Hintergrund ist eine Korruptionsaffäre um die Prager Verkehrsbetriebe, in die Parteikollegen Rakusans verwickelt sein sollen. Der liberalkonservative Regierungschef Petr Fiala wies die Forderung indes zurück und sprach dem Minister nach Angaben der Agentur CTK sein volles Vertrauen aus. Er beschuldigte Babiš, der Ambitionen auf das Präsidentenamt hegt, von seinen eigenen Affären ablenken zu wollen. Um die Regierung zu stürzen, sind die Stimmen von 101 der 200 Abgeordneten erforderlich. Die Opposition verfügt nur über 92 Sitze.

    Eine Misstrauensabstimmung käme für die Regierung in Prag gleichwohl zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Tschechien hat noch bis zum Jahresende die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Geplant sind zahlreiche informelle Minister- und Gipfeltreffen, deren Vorbereitung viel Zeit in Anspruch nimmt.

    Im politischen Prag werden zudem Erinnerungen an die vorhergehende tschechische EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2009 wach. In deren Verlauf stürzte die damalige Regierung des Konservativen Mirek Topolanek durch ein Misstrauensvotum. Sie wurde durch ein Übergangskabinett ersetzt. dpa

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    43 Getreideschiffe seit Öffnung des Korridors in See gestochen

    Seit der Einigung auf den Korridor für ukrainisches Getreide sind nach türkischen Angaben bereits 43 Schiffe in See gestochen. 25 davon hätten die Ukraine verlassen, 18 hätten sich auf den Weg zu ukrainischen Häfen gemacht, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Somit seien mehr als 622.000 Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen verschifft worden, hieß es.

    Die UN und die Türkei hatten Ende Juli Vereinbarungen vermittelt, dass die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges wieder Getreide über ihre Schwarzmeerhäfen ausführen darf. Es wird geschätzt, dass mehr als 20 Millionen Tonnen Getreideerzeugnisse in der Ukraine lagern.

    UN-Generalsekretär António Guterres appelliert bei seinem Besuch in Lwiw am Donnerstag an die Kompromissbereitschaft Russlands und der Ukraine, um den Fluss der Getreidetransporte sicherzustellen. “Es gibt keine Lösung für die globale Nahrungsmittelkrise, ohne den weltweiten Zugriff auf ukrainische und russische Lebensmittel und Dünger sicherzustellen”, sagt Guterres vor Reportern. dpa

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    Konflikt zwischen Serbien und Kosovo: Weitere Gespräche geplant

    Serbien und das Kosovo haben auch unter EU-Vermittlung ihren Streit über Kfz-Kennzeichen und Anerkennung hoheitlicher Rechte nicht beilegen können. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti planten weitere Gespräche in den kommenden Tagen, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Donnerstag nach einem Krisentreffen mit beiden Politikern mit. “Wir haben noch Zeit bis zum 1. September, ich gebe nicht auf”, sagte Borrell.

    Er bezog sich damit auf eine vom Kosovo gesetzte Frist im Streit um die Anerkennung von Autokennzeichen. Kurti will spätestens im kommenden Monat die im Norden des Kosovo lebenden Serben dazu verpflichten, in Pristina ausgestellte Autokennzeichen zu verwenden. Die rund 50.000 Serben im Kosovo erkennen die staatlichen Einrichtungen nicht an und werden in dieser Haltung von Serbien unterstützt, das Autokennzeichen und Ausweise aus dem Kosovo nicht akzeptiert.

    In der Vergangenheit war es im Grenzgebiet zu Blockaden und Zusammenstößen zwischen der serbischen Minderheit und Sicherheitskräften gekommen. Rund fünf Prozent der 1,8 Millionen Kosovaren sind Serben. Das muslimisch geprägte Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt.

    Während Serbien das Kosovo unverändert als seinen Landesteil betrachtet, erkennen Deutschland und eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Republik Kosovo an. Die Vermittlung der Europäischen Union zwischen den einstigen Kriegsgegnern machte in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte. rtr

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    Angola und EU wollen Handelsabkommen besprechen

    Angola und die Europäische Union werden noch in diesem Jahr Gespräche über ein Handelsabkommen aufnehmen. Zuvor hatten die EU und die afrikanischen Partner einem Antrag des ölproduzierenden Landes auf Beitritt zu einer regionalen Handelsunion zugestimmt, wie aus einem EU-Dokument und den Angaben eines Beamten hervorgeht.

    “Wir sind jetzt in der Lage, formelle Verhandlungen aufzunehmen, aber es gibt noch keinen Termin, der mit Angola vereinbart wurde. Wir gehen davon aus, dass dies im letzten Quartal dieses Jahres geschehen wird”, sagte ein EU-Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die angolanische Regierung äußerte sich nicht unmittelbar.

    Das mögliche Abkommen würde voraussichtlich die Ausfuhren angolanischer Produkte in die EU steigern und möglicherweise die Bedeutung des Öls verringern, das derzeit wertmäßig fast alle Ausfuhren ausmacht. Angolanische Produkte wie gefrorene Shrimps, Ethylalkohol, Weizenkleie und Bananen dürften nach Schätzungen der EU dank der erwarteten Aufhebung der Zölle am meisten profitieren.

    Angesichts des zu erwartenden Handelsanstiegs und des gestiegenen Kraftstoffbedarfs der EU angesichts der anhaltenden Energiekrise könnte Angola auch mehr Öl in die EU-Länder exportieren. Derzeit ist China der bei weitem größte Abnehmer, obwohl auf Öl in der EU keine Einfuhrzölle mehr erhoben werden.

    Die meisten angolanischen Ausfuhren in die EU werden bereits bevorzugt behandelt, da das Land als am wenigsten entwickeltes Land eingestuft wurde. Dank seines jüngsten, vom Öl angetriebenen Wirtschaftswachstums wird es diesen Status jedoch 2027 verlieren. Das bedeutet, dass das Land mit Zöllen auf verschiedene Produkte konfrontiert würde, wenn es nicht dem regionalen Handelsabkommen beitritt, das die EU 2016 mit sechs Ländern des südlichen Afrikas unterzeichnet hat.

    Im Rahmen des Abkommens werden auch EU-Produkte mit niedrigeren Zöllen auf den angolanischen Markt gelangen – ein Vorteil für die lokalen Verbraucher, aber auch ein Risiko für die heimische Industrie, wenn sie nicht investiert, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

    Im Rahmen des regionalen Handelsabkommens hat die EU die Zölle und Kontingente auf Einfuhren aus Botsuana, Lesotho, Mosambik, Namibia und Eswatini vollständig aufgehoben und die Zölle auf südafrikanische Ausfuhren, die allerdings weiterhin Kontingenten unterliegen, fast vollständig abgeschafft. Im Gegenzug haben die Länder des südlichen Afrikas die Zölle auf bis zu 86 Prozent der EU-Ausfuhren aufgehoben. rtr

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    Presseschau

    Bosnien-Repräsentant und Ex-CSU-Minister Schmidt schreit Journalisten an TAGESSPIEGEL
    Höhe weiterer Gasumlagen festgelegt ZEIT
    “Senken Mehrwertsteuer auf Gas auf sieben Prozent” FAZ
    Schweden horten Holz, Regierung stellt Milliarden für Haushalte zur Verfügung EURONEWS
    EU-Kommission zeigt sich besorgt: Rund 700.000 Hektar Wald in der EU verbrannt RND
    Fischsterben in der Oder – Auch EU-Kommission verlangt Aufklärung TAGESSCHAU
    EU-Parlament will Spionage gegen griechischen Abgeordneten untersuchen EURACTIV
    Gespräche zwischen Serbien und Kosovo ohne Einigung FAZ

    Standpunkt

    What’s cooking in Paris: Macrons Cordon bleu

    Von Claire Stam
    Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam

    Cordon bleu Pariser Art oder eine Anekdote, die in die Annalen des politischen Gedächtnisses einging: Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2017, genauer am Sonntag des ersten Wahlgangs, genehmigten sich der Kandidat Emmanuel Macron und sein Team eine Mittagspause auf einer Autobahnraststätte. Welches Gericht wählen sie? “Ich mag Cordon bleu”, sagte Emmanuel Macron. Die Kellnerin wendet ein: “Das gehört zum Kindermenü…”.

    In diesem politischen Herbst wird Emmanuel Macron jedoch zwischen disruptivem Menü und Wahlkampfküche wählen müssen. Bevor wir mit der politischen Küche Frankreichs fortfahren, sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der Ministerrat die Formation ist, die jede Woche – in der Regel am Mittwoch – alle 16 Minister unter dem Vorsitz des Staatsoberhauptes zusammenbringt.

    Er ist eines der Elemente, die es dem Staatsoberhaupt ermöglichen, die Ausarbeitung und Umsetzung der Regierungspolitik zu überwachen und einer Reihe wichtiger Entscheidungen seine Zustimmung zu geben – oder zu verweigern. Ganz allgemein ermöglicht es dieser Rat dem Staatsoberhaupt, Diskussionen, an denen die gesamte Regierung beteiligt ist, durch seine Ansichten zu prägen. Die prunkvollen Empfangssäle, in denen die Regierungsmitglieder im Elysée-Palast empfangen werden, wetteifern mit dem hohen Grad an Formalitäten, der dort herrscht – und mit der Langeweile.

    Aber das war Teil der Welt von früher, der Welt vor den Parlamentswahlen im Juni, bei denen Emmanuel Macrons politische Formation eine meisterhafte Wahlklatsche einstecken musste – und die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verlor. Neben dem Verlust der absoluten Mehrheit hat seine Partei fast die Hälfte ihrer Mandate verloren hat: Zum Amtsantritt Macrons 2017 war La République en Marche (LREM) mit 314 Abgeordneten in die Assemblée Nationale eingezogen, 2022 muss sie sich unter dem neuen Namen Renaissance mit 170 Sitzen begnügen. Die Nationalversammlung besteht aus insgesamt 577 Abgeordneten.

    Politische Blockaden en masse

    In einem so zentralisierten Land wie Frankreich haben die politischen Akteure und Beobachter plötzlich die Notwendigkeit der Kompromissfindung entdecken müssen, eine Vorgehensweise, die in der französischen Politik wie ein UFO wirkt. Die Frage ist nur, wie lange sich diese für Frankreich so fremde Kompromisskultur halten kann. Denn es ist eine Tatsache: Emmanuel Macrons Gegner, mit denen man parlamentarische Kompromisse finden könnte, sind nicht zahlreich genug, um ihm eine stabile und dauerhafte fünfjährige Amtszeit zu garantieren.

    Denn in seinem Streben nach Macht hat der derzeitige französische Präsident seine politischen Gegner am rechten und linken Rand des politischen Spektrums geschwächt. Seine Strategie hat es ihm zwar ermöglicht, wiedergewählt zu werden, aber sie hat auch den beiden Extremen geholfen und sie hörbar gemacht. Auf diese Weise wird die Hypothese einer Blockade, die zur Auflösung der Nationalversammlung führen soll, in diesem Kontext besonders glaubwürdig.

    Und an Gründen für eine politische Blockade wird es nicht mangeln: ein Gesundheitssystem am Rande des Abgrunds, der immer lauter werdende Unmut der Lehrer und die galoppierende Prekarität der Studenten, die Inflation und die steigenden Energiepreise, die Rentenreformen etc. Und das alles zu einer Zeit, in der das Land eine beispiellose Dürre und Brände erlebt hat.

    Was bedeutet das also für Deutschland und die Europäische Union? Deutschland wie die EU sollten sich auf zwei unterschiedliche Phasen in der zweiten Amtszeit Macrons einstellen, stellen Ronja Kempin und Julina Mintel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer neuen Analyse fest. In der ersten Zeit wird der Präsident eine Politik der Reformmehrheiten betreiben, mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen und sich eine gute Ausgangsposition für Neuwahlen zu sichern. “Entsprechend wird Macron in dieser Phase sehr viel politische Energie darauf verwenden, innenpolitische Kompromisse auszuhandeln – und dafür auch von seinem Versprechen abrücken, Frankreichs Staatsschulden abzubauen”, schreiben die beiden Wissenschaftlerinnen.

    Macrons Nachfolgerin könnte Marine Le Pen heißen

    Das bedeutet, Emmanuel Macron wird in der EU dafür werben, weitere Konjunkturpakete zu schnüren und neue Fonds zu entwickeln sowie sich für eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einsetzen, um mehr finanziellen Spielraum für seine innenpolitischen Reformvorhaben zu gewinnen. “Konflikte mit Berlin sind in dieser Phase also programmiert, wenn Berlin sich weigert, die Maastricht-Kriterien weiterhin auszusetzen oder zu reformieren”, schreiben die zwei Analystinnen. “Doch die Bundesregierung sollte stets im Hinterkopf behalten, dass Macron im Verlauf seines Mandats gezwungen sein wird, die Nationalversammlung aufzulösen, um eine innenpolitische Blockade zu umgehen.”

    Falls erfolgreich, dann hätte er in der zweiten Phase seiner Amtszeit mehr Spielraum, sich den Zukunftsfragen der EU zuzuwenden – der Europäischen Politischen Gemeinschaft, der Autonomie der Union, dem Frieden in Europa. “Um diese Themen im deutsch-französischen Gleichklang zu bearbeiten, sollte die deutsche Europapolitik für sich das Ziel formulieren, dass Emmanuel Macron seine innenpolitische Reformagenda realisieren kann. Um den wachsenden sozialen Unterschieden in seinem Land entgegenzuwirken, bedarf Macron Berlins Unterstützung. Es wäre wichtig, dass sich die Bundesregierung klar zur Autonomie der EU in der Gesundheits- und Energiepolitik bekennt und Impulse zugunsten einer einheitlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik setzt”, betonen sie.

    Und schlussfolgern: “Es mag wohlfeil klingen, doch ist es wahrscheinlicher als je zuvor: Sollte Macron scheitern, dürfte seine Nachfolgerin 2027 Marine Le Pen heißen. Sie befindet sich seit den Parlamentswahlen im Juni in einer sehr komfortablen Machtposition – die in den kommenden Monaten durch eine rigide deutsche Europapolitik nicht noch weiter gestärkt werden sollte”.

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    Europe.Table Redaktion

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