“um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben”. Was der US-Präsident Samstagabend in Warschau zu einem herbeigesehnten Machtwechsel im Kreml sagte, sorgte am Wochenende noch für ein verbales Hin und Her zwischen Washington und Moskau. Ob nun Versprecher oder bewusste Ambiguität der US-Regierung: Das Biden-Zitat beschloss einen diplomatischen Marathon in Europa.
Beim Europäischen Rat hatten die Staats- und Regierungschefs der Ukraine zuvor die Möglichkeit eröffnet, sich am gemeinsamen Gaseinkauf zu beteiligen. Welche Schritte es gegen hohe Energiepreise geben soll, lesen Sie in der Analyse von Eric Bonse, Isabel Cuesta Camacho und Manuel Berkel.
Die USA und Europa rücken nicht nur bei der Energiesicherheit wieder enger zusammen. In Brüssel verkündeten beide Seiten eine Einigung bei einem weiteren wirtschaftlich bedeutsamen Thema, einem neuen Privacy Shield für transatlantischen Datenschutz. Was Digitalkonzernen ebenso wie Geheimdiensten doch noch in die Quere kommen könnte, analysiert Falk Steiner.
Alles andere als geklärt ist auch die Durchsetzung des Digital Markets Act. Wie es nach Abschluss der Verhandlungen für Behörden und Digitalunternehmen weitergeht, lesen Sie in den News.
Um die hohe Kunst der Diplomatie geht es dann wieder im Portrait über Shada Islam. Die Migrationsexpertin möchte einen Sinn für Diversität vermitteln und wendet sich gegen einen eurozentrischen Blick auf hilfsbedürftige Menschen.
Die EU und die USA haben sich auf ein verbessertes Privacy Shield geeinigt. “Wir haben uns auf noch nie dagewesenen Schutz durch Datenschutzmaßnahmen für unsere Bürger geeinigt”, so US-Präsident Joe Biden am Freitag bei einer Pressekonferenz mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Wir sind sehr zufrieden mit der grundsätzlichen Einigung auf einen neuen Rahmen für transatlantische Datenflüsse”, so von der Leyen. Damit würde der Datenverkehr über den Nordatlantik “vorhersehbar und vertrauenswürdig”, “Privatsphäre und bürgerliche Freiheiten schützend”, so die Kommissionspräsidentin. Große Freude darüber herrscht bei den Beteiligten, doch sie könnte verfrüht sein. Denn, so von Ursula von der Leyen: Es handele sich um eine prinzipielle Einigung. Trocken nahm dies der europäische Datenschutzbeauftragte auf: Prinzipiell begrüße er die Ankündigung, erklärte Wojciech Wiewiórowski. Aber ein solches Abkommen müsse die Anforderungen erfüllen, die der Europäische Gerichtshof aufgestellt habe.
Seitdem der Europäische Gerichtshof in seinem Schrems-II-Urteil im Sommer 2020 die vorangegangene Vereinbarung der EU-Kommission mit den USA für ungültig erklärt hatte, steht der transatlantische Transfer personenbezogener Daten, die der DSGVO unterliegen, auf juristisch tönernen Füßen. In den kommenden Tagen steht die Bekanntgabe eines Beschlusses der irischen Datenschutzaufsicht DPC im Fall Facebook an. Damit könnten die von vielen Unternehmen als Alternative zum Privacy Shield oder vergleichbaren Mechanismen genutzten Standardvertragsklauseln (SCC) als rechtliche Möglichkeit entfallen – etliche Juristen rechnen damit.
Umso größer wurde der Druck auf die Verhandler auf beiden Seiten mit jedem Tag: US-Handelsministerin Gina Raimondo sprach seit Monaten von einem sich abzeichnenden Ergebnis, EU-Justizkommissar Didier Reynders blieb hingegen stets vorsichtig, was das baldige Erreichen einer Vereinbarung anging. Im Zuge der Ukraine-Krise sind die transatlantischen Bünde jedoch wieder deutlich enger geworden, die Angewiesenheit der beiden datenschutzrechtlich ungleichen Partner aufeinander offensichtlich. Doch das Hauptproblem bleibt auch mit der politischen Einigung vorerst ungelöst.
Die Einigung, “Enhanced Trans-Atlantic Data Privacy Framework” genannt, soll in den kommenden Wochen mit den entsprechenden Handlungen unterlegt werden – und das bedeutet allen verfügbaren Erklärungen und Dokumenten zur Einigung nach auf US-Seite zwar Zugeständnisse an die Kriterien des Europäischen Gerichtshofes. Allerdings sollen diese offenbar nur per Präsidialverfügung erfolgen, den sogenannten Executive Orders.
Damit droht der nun getroffenen Einigung eine harte Zukunft: Viele Juristen sind der Auffassung, dass das US-Datenschutzniveau nur dann den EuGH-Vorgaben entsprechen kann, wenn US-Präsident und US-Kongress tätig werden und eine geeignete rechtliche Grundlage schaffen. Nach EU-Recht geschützte Betroffene in den USA müssten wirksam gegen aus EU-Sicht unzulässige Datenverarbeitungen vorgehen können. Da die Richter in Luxemburg hiermit bis in die US-Geheimdienstbefugnisse hineinregieren würden, bräuchte es bei dieser Lesart der bisherigen Urteile nicht nur den guten Willen des US-Präsidenten. Sondern auch den des US-Kongresses, um ein nach europäischem Standard adäquates Datenschutzniveau tatsächlich zu gewährleisten, insbesondere im Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA). Bislang jedenfalls schien es nicht denkbar, dass US-Abgeordnete FBI, NSA oder CIA aufgrund eines Urteils der höchsten EU-Richter in ihren Befugnissen beschneiden würden.
Maximilian Schrems, der vor dem Europäischen Gerichtshof bereits zweimal die sogenannte Angemessenheitsentscheidung der Kommission erfolgreich wegklagte, die auf den vorangegangenen Vereinbarungen Safe Harbor und Privacy Shield beruhte, will erneut tätig werden. Er kündigte an, dass ein rein politisches Abkommen nicht reichen werde. “Wir könnten das gleiche Spiel jetzt ein drittes Mal spielen, am Ende wird der Europäische Gerichtshof entscheiden.”
Hier besteht ungewohnte Einigkeit zwischen Datenschutzaktivist und Wirtschaft: Zwar begrüße man die Ankündigung, dies sei der dringend benötigte erste Schritt, sagt Rebekka Weiß vom Bitkom. “Jetzt gilt es diesen politischen Willen in eine belastbare rechtliche Regelung zu überführen. Die Unternehmen brauchen rasch Rechtssicherheit, damit die bestehende Datenblockade endlich aufgelöst werden kann.”
Und auch andere Akteure, etwa der Berufsverband der Datenschützer (BvD) äußern sich vorsichtig: Nicht alle Fragen konnten gelöst werden, sagt Thomas Spaeing, Bundesvorsitzender des BvD. “Insofern bleibt abzuwarten, inwiefern dieses neue Abkommen vor Gericht Bestand haben wird. Ich denke, man sollte hier keine allzu hohen Erwartungen hegen, bis Details zu dem Abkommen bekannt sind”
Ähnlich sieht Sophie in ‘t Veld (D66/Renew) die neue Vereinbarung: “Ich bin neugierig, wie die neue Vereinbarung EuGH-fest sein soll, wenn sie ohne Änderungen am US-Recht daherkommt”, so die niederländische Europaabgeordnete. Die Kommission habe hoffentlich diesmal dafür gesorgt, dass die Vereinbarung tragfähig sei, hofft in ‘t Veld: “Ein Schrems-III-Urteil wäre eine Bankrotterklärung der Kommission als Europas zuständige Exekutive.”
Die Union ächzt unter hohen Gaspreisen, die über Gaskraftwerke auch die Strompreise nach oben ziehen. Ein mögliches Mittel zur Entlastung könnten gemeinsame Einkäufe des Brennstoffs sein. Beim Europäischen Rat, der am vergangenen Freitag in Brüssel zu Ende ging, nannte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine gemeinsame Beschaffung “das beste Instrument, um die Preise für unser Gas zu senken“. Er verwies auf das Vorbild der Corona-Impfstoffe, welche die Brüsseler Behörde im Auftrag der Mitgliedstaaten bestellt hatte. Unterstützung kam auch von Griechenland und Polen.
Nach Macrons Angaben erhielt die Kommission dafür mit der Abschlusserklärung des Gipfels vom Freitag ein klares Mandat: Es soll freiwillige gemeinsame Käufe von Gas, Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff geben. Dafür soll eine gemeinsame Plattform eingerichtet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte dagegen die Freiwilligkeit der Kooperationen.
Als mindestens ebenso wichtig wie die Kooperation der EU-Staaten untereinander könnte sich noch die Öffnung der gemeinsamen Beschaffungsplattform für ausgewählte Nachbarn erweisen. Offenstehen soll sie laut Abschlusserklärung auch den Ländern des westlichen Balkans sowie den “drei assoziierten östlichen Partnern” – gemeint sind damit die Ukraine, Moldawien und Georgien. Erstere wird bereits über europäische Leitungen mit Erdgas versorgt.
Kiew nahm die Brüsseler Signale am Wochenende gleich auf und versuchte, die gegenseitigen Bande noch weiter zu verstärken. Die Ukraine könne mit ihren Gasspeichern zum Solidaritäts- und Ausgleichsmechanismus beitragen, schrieb Energieminister Herman Haluschtschenko am Samstag auf Facebook. Sein Land habe die größten unterirdischen Speicheranlagen in Europa.
Zweiter Zankapfel beim Gipfel war die Frage, wie die Staaten auf die hohen Energiepreise reagieren können. Zur Debatte standen Preisdeckel für einzelne Energieträger, eine Änderung des Marktdesigns, das den Strompreis an die hohen Gaspreise koppelt, und das Besteuern der Extragewinne von Energieversorgern, die sich zwar nach dem hohen Gaspreis bezahlen lassen, mit ihren Kohlekraftwerken oder Windparks aber selbst nur geringe Erzeugungskosten haben.
Für einen Preisdeckel sprachen sich Spanien und Portugal, in eingeschränkter Form auch Italien und Belgien aus. Für Reformen am Energiemarkt plädierten Frankreich, aber auch Polen und Griechenland. Gegen Markteingriffe sträubten sich vor allem Deutschland und die Niederlande, wo der für Gas maßgebliche Handelspunkt TTF beheimatet ist.
Die Staats- und Regierungschefs einigten sich schließlich darauf, das strittige Thema eines Strompreis-Deckels durch die EU-Kommission prüfen zu lassen. Zur Reform des Marktdesigns sagte Scholz, dies müsse geprüft werden, allerdings erwarte er keine schnelle Lösung. Es gehe darum, den Strompreis von den fossilen Energieträgern zu lösen und die Rolle der erneuerbaren Energien zu stärken.
Handfester Streit soll sich zwischen Spanien und Portugal auf der einen Seite und den restlichen EU-Partnern entwickelt haben. Auf der iberischen Halbinsel waren die Strompreise zuletzt besonders stark gestiegen – auf bis zu 540 Euro pro Megawattstunde. Ein Grund ist die schlechte Anbindung der Halbinsel über Strom- und Gasleitungen an den Rest des Kontinents. Preisdämpfende Stromflüsse zu Spitzenzeiten sind so nur schwer möglich. Einige Industrien stellten wegen der hohen Stromkosten vorübergehend ihre Produktion ein.
Spanien und Portugal räumt Brüssel deshalb das Recht ein, den Preisbildungsmechanismus am Strommarkt vorübergehend auszusetzen, um eine Preissenkung zu erreichen. Allerdings soll dies unter Aufsicht der Kommission geschehen.
Die Lage auf der Iberischen Halbinsel sei eine besondere, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Ausnahme begründete sie mit dem hohen Anteil an erneuerbaren Energien.
Berichte über einen handfesten Streit mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez wies Bundeskanzler Scholz zurück. Auf dem Höhepunkt der Debatten soll Sanchez soll mit einem Veto gedroht und wütend den Saal verlassen haben. Sanchez sei am Ende “sehr erfolgreich” gewesen, resümierte Scholz, er habe Spanien und Portugal “gern unterstützt”.
Nach Angaben von EU-Diplomaten war es jedoch vor allem der liberale belgische Premier Alexander De Croo, der eine Einigung möglich machte. De Croo hatte vorgeschlagen, einen möglichen Preisdeckel durch die Kommission prüfen zu lassen und die Industrie zu konsultieren. Dem konnte am Ende auch Scholz zustimmen.
Im Rahmen der von Spanien und Portugal vorgeschlagenen neuen Regelung soll für Strom aus Gaskraftwerken ein noch festzulegender Höchstpreis gelten, für den anschließend ein Ausgleich gezahlt wird. Dies soll verhindern, dass die Kraftwerke den Betrieb einstellen. Die spanische Regierung rechnet damit, dass die EU-Kommission den gemeinsamen Vorschlag mit Portugal in wenigen Tagen oder Wochen bestätigen wird. Die Maßnahmen, die den Geldbeutel der Verbraucher entlasten werden, sollen bereits innerhalb eines Monats umgesetzt werden können. mit Isabel Cuesta Camacho, Manuel Berkel
Nach dem Abschluss der Verhandlungen über den Digital Markets Act mahnen Experten eine wirksame Durchsetzung der neuen Regeln für die Digitalkonzerne an. “Wie der DMA sich jetzt auswirkt, bleibt eine offene Frage, und es hängt massiv davon ab, wie die Durchsetzung konkret aussieht“, sagt Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es müsse sich erst zeigen, wie aktiv die Europäische Kommission gegen die sogenannten Gatekeeper vorgehe, wie ernsthaft die Unternehmen sich um Compliance bemühten und wie sich die Gerichte in Streitfällen verhielten.
Die Unterhändler von Europaparlament, Rat und Kommission hatten am Donnerstagabend die verbliebenen Fragen bei der Formulierung der Verordnung ausgeräumt. Das neue Gesetz wird laut Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager voraussichtlich im Oktober in Kraft treten. Die neuen Verhaltensvorgaben für Digitalkonzerne sollen dann nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten greifen. Die zahlreichen Ge- und Verbote gelten für Unternehmen mit mehr als 75 Milliarden Euro Marktkapitalisierung, 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz, mindestens 45 Millionen aktiven Endnutzern und 10 000 gewerblichen Nutzern pro Monat, die von der Kommission als Gatekeeper eingestuft werden.
Die Durchsetzung wird dabei in der Verantwortung der Kommission liegen. Die nationalen Wettbewerbsbehörden können zwar selbst Untersuchungen auf Basis des DMA einleiten, müssen diese aber ab einem gewissen Zeitpunkt an die Brüsseler Behörde abgeben. Ein hochrangiges Expertengremium mit Vertretern von Datenschutzaufsicht, Telekom-Regulierung und Verbraucherschutzbehörden soll die Kommission zudem beraten. Entscheidend sei aber der politische Wille der EU-Kommission, die Regeln gegen die Unternehmen durchzusetzen, sagt Felix Duffy von der Organisation Lobby-Control, und die Voraussetzung dafür ausreichend Personal. “Dass dies noch nicht abschließend geklärt ist, bereitet uns Sorge.”
Auf die Kommission warte noch viel interne Arbeit, räumte Vestager ein. Wie viele Mitarbeiter für die Aufsicht zur Verfügung stehen, ist ebenso unklar wie die interne Organisation. Die Experten sollen aus mehreren Generaldirektionen zusammengezogen werden, insbesondere aus DG Comp und DG Connect. Wo die Kommission noch keine eigene Expertise habe, würden externe Fachleute eingestellt, sagte Industriekommissar Thierry Breton, auch wenn diese rar seien. So wird etwa die Formulierung der Interoperabilitätsstandards für Messengerdienste technisch anspruchsvoll.
Als Zielgröße hatte die Kommission rund 80 Stellen für die Umsetzung des DMA genannt. Gerade anfangs dürfte dies aber kaum ausreichen, wenn sich die Arbeit ballt.
Wer die quantitativen Kriterien für Gatekeeper erfüllt, muss binnen zwei Monaten umfangreiche Informationen einreichen. Die Kommission hat dann 45 Tage Zeit, über den Status eines Unternehmens als Gatekeeper zu entscheiden. Frankreichs Digitalminister Cédric O rechnet damit, dass dies 15 bis 20 Unternehmen betreffen wird. Die Einstufung beschränkt das erlaubte Geschäftsgebaren erheblich ein. Daher stellt sich die Kommission darauf ein, dass einige Unternehmen dagegen vor Gericht ziehen werden.
Weitere Klagen dürften folgen, wenn die Aufseher bestimmte Praktiken als nicht DMA-konform einstufen. So hat etwa Facebook im Streit mit dem Bundeskartellamt gezeigt, dass es willens ist, sämtliche Rechtsmittel auszuschöpfen, um sich gegen Anordnungen der Wettbewerbshüter zu wehren. tho
Das international umworbene Öl- und Gasförderland Katar dämpft Erwartungen Deutschlands und anderer westlicher Staaten an ein rasches Ende ihrer Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland. Er denke nicht, dass Katar unmittelbar helfen könne, sagte Energieminister Saad al-Kaabi am Samstag auf einer Konferenz in der katarischen Hauptstadt Doha. Niemand könne die russischen Lieferungen derzeit ersetzen.
Al-Kaabi hatte zuletzt bereits der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gesagt: “Wenn man die Abhängigkeit von Russland oder anderen Ländern verringern will, dann muss man das planen, und es braucht Jahre, bis alles entwickelt wird.” Er dämpfte er die Erwartungen an die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufene Energiepartnerschaft beider Länder. Es gebe zwar den “klaren Willen”, künftig Gas nach Deutschland zu liefern, aber einen solchen Deal gebe es noch nicht.
Bis 2025 seien die LNG-Lieferungen Katars durch langfristige Lieferverträge gebunden, sagte Al-Kaabi der FAZ. Erst ab 2026 würden Kapazitäten frei, weil Katar die Förderung von 77 auf 126 Millionen Tonnen pro Jahr ausweiten werde. Ab 2025 solle jedoch ein Projekt in den USA die Produktion aufnehmen, an dem Katar mit 16 Millionen Tonnen Erdgas beteiligt sei. Europa biete sich wegen der geografischen Nähe als Bestimmungsort an.
Laut RWE schreiten die Verhandlungen mit Katar voran. “Dank der politischen Unterstützung sind wir in guten Gesprächen mit unseren katarischen Partnern”, sagte eine Unternehmenssprecherin. Trotzdem wird Deutschland laut einem am Freitag veröffentlichten Papier des Wirtschaftsministeriums wohl noch länger als zwei Jahre russisches Gas benötigen. rtr
Angesichts steigender Energiepreise verkauft der britische Versorger National Grid die Mehrheit an seiner Gassparte und konzentriert sich auf sein Stromgeschäft. Ein 60-prozentiger Anteil am Gasleitungs- und Messgeschäft gehe an den australischen Investor Macquarie Asset Management und den kanadischen Pensionsfonds British Columbia Investment Management, wie National Grid am Sonntag mitteilte. Das Unternehmen erhält nach Abschluss der Transaktion etwa 2,2 Milliarden Pfund in bar und etwa zwei Milliarden Pfund aus einer Fremdfinanzierung.
Seit September haben mehrere Energieversorger in Großbritannien ihre Geschäftstätigkeit eingestellt, da die Preise in die Höhe geschossen sind und die Preisobergrenze der Regulierungsbehörde Ofgem die Weitergabe der steigenden Kosten an die Kunden verhindert hat. Seitdem sind die Gaspreise infolge des russischen Einmarschs in der Ukraine noch weiter gestiegen. Das Gastransportgeschäft von National Grid umfasst ein 7000 Kilometer langes Rohrnetz im gesamten Vereinigten Königreich.
Bei der medizinischen Versorgung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sehen die Kassenärzte in Deutschland immer noch erhebliche Schwierigkeiten. “Registrierungsprobleme führen dazu, dass insbesondere die Arzneimittelversorgung derzeit nicht sichergestellt werden kann”, schrieb der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung diese Woche in einem Brief an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Um sicherzustellen, dass die aus dem Kriegsgebiet ankommenden Menschen sofort und unbürokratisch behandelt und mit Arzneimitteln versorgt werden könnten, wäre es auch Sicht der Kassenärzte zudem gut, einen zentralen Kostenträger zu benennen.
Dass noch nicht alle Menschen, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Zuflucht in Deutschland gesucht haben, registriert sind, hat vor allem zwei Gründe: Ukrainer reisen erst einmal ohne Visum ein und müssen sich daher nicht sofort bei den Behörden anmelden. In einigen Städten kommt es aufgrund mangelnder Kapazitäten zu teilweise erheblichen Verzögerungen bei der Registrierung der Schutzsuchenden.
Sorgen bereitet den Ärzten auch die Situation derjenigen Geflüchteten, die in Massenunterkünften untergebracht sind. “Gegenwärtig fehlt es in vielen Kommunen an einer einheitlichen Sicherstellung der nach dem Infektionsschutzgesetz erforderlichen Untersuchungen“, etwa auf Tuberkulose, heißt es in dem Brief des Vorstandes der Bundesvereinigung. Außerdem gebe es vor Ort teils zu wenig niedergelassene Ärzte. dpa
Es wird nur wenige geben, die so bewusst zu Europa gefunden haben. In Pakistan geboren, ist Shada Islam mit 18 Jahren zunächst als “diplomatisches Gepäck” nach Belgien umgezogen, da ihr Vater in die dortige Botschaft versetzt wurde. Zur Schule gegangen ist sie in den USA, gelebt hat sie außerdem in Großbritannien, Pakistan und Bangladesh. Indonesien ist ihr eine zweite Heimat geworden, China hat sie ausführlich bereist und auch mit Indien, Japan und Malaysia ist sie bestens vertraut. Eine Heimat allerdings, die hat sie letztlich in Brüssel gefunden. Dabei spielte der Zufall zwar auch eine Rolle, doch hier wurde sie zur Wahleuropäerin – aus Überzeugung: “Ich denke, dass die Geschichte der EU, das Zusammenkommen und Aussöhnen ehemaliger Gegner, auch heute noch weltweit in hoher Achtung steht. Und dass die Europäer sich dessen manchmal nicht ganz bewusst sind.”
Ihre Arbeit als Journalistin war grundlegend für ihre Weltkenntnis. Sie war zwei Jahrzehnte lang die EU-Korrespondentin der Far Eastern Economic Review, einer im ost- und südostasiatischen Raum renommierten Wochenzeitung. Die Kontakte, die sie mit hochrangigen Offiziellen geknüpft hat, halfen ihr 2007 dann dabei, als Thinktankerin Fuß zu fassen. Beim European Policy Center und den Friends of Europe baute sie die Arbeitsgebiete für Asien, Integration und Migration auf und leitete sie. Ganz wie nebenbei bekleidete sie dazu noch eine Gastprofessur für Internationale Beziehungen mit den Schwerpunkten Europa, Asien und Afrika am College of Europe im Warschauer Stadtteil Natolin.
2020 traf sie den Entschluss, sich selbständig zu machen und gründete das New Horizons Project: “Ich sehe mich selbst als einen ‘one-woman think-tank'”. In den Fokus gerückt ist für sie seitdem Diversität, welche sie als einen der Stützpfeiler der europäischen Idee begreift. Dieses Interesse stehe aber nicht im Widerspruch zu ihren bisherigen Themengebieten, sondern sei eine dringend benötigte Ergänzung, um Geopolitik zeitgemäß zu verstehen.
So wird sie nicht müde, das Missverhältnis zwischen Werten, Worten und Taten in Sachen europäischer Migrationspolitik anzuprangern. Wenn die EU weiterhin zuließe, dass Migration durch Aggressoren militarisiert wird, dass Islamophobie immer weiter in die politische Mitte rückt und wie in Frankreich als Werbemittel im Wahlkampf missbraucht wird, dann werde Europa auf der Weltbühne erhebliche Einbußen an Respekt und Vertrauen hinnehmen müssen.
Denn wenn die EU ihre Prinzipien von Inklusion, Diversität und Solidarität so leichtfertig aufgebe, untergrabe sie jegliche Kritikkompetenz durch ihre Scheinheiligkeit und ihren “eurozentrischen Blick“. Die Einschätzung von hilfsbedürftigen Menschen als Sicherheitsgefahr sei mit “unserer Wahrnehmung anderer Nationalitäten verbunden, die oft von Stereotypen gefärbt sind”. Umso wichtiger sei es, dass dieser Blick durch Bewegungen wie Black Lives Matter und Brussels So White ein Update erfahre.
Es ist die Balance zwischen scharfer Analyse und zuversichtlicher, vorwärtsgewandter Perspektive, die das Schaffen von Shada Islam ausmacht. Um ihre Ziele zu erreichen, so lernte sie es von ihrem Vater, müsse man “vor Macht die Wahrheit sagen – aber mit einem gewissen Grad an Eleganz”. Dieses Motto verkörpert sie bis heute. Julius Schwarzwälder
“um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben”. Was der US-Präsident Samstagabend in Warschau zu einem herbeigesehnten Machtwechsel im Kreml sagte, sorgte am Wochenende noch für ein verbales Hin und Her zwischen Washington und Moskau. Ob nun Versprecher oder bewusste Ambiguität der US-Regierung: Das Biden-Zitat beschloss einen diplomatischen Marathon in Europa.
Beim Europäischen Rat hatten die Staats- und Regierungschefs der Ukraine zuvor die Möglichkeit eröffnet, sich am gemeinsamen Gaseinkauf zu beteiligen. Welche Schritte es gegen hohe Energiepreise geben soll, lesen Sie in der Analyse von Eric Bonse, Isabel Cuesta Camacho und Manuel Berkel.
Die USA und Europa rücken nicht nur bei der Energiesicherheit wieder enger zusammen. In Brüssel verkündeten beide Seiten eine Einigung bei einem weiteren wirtschaftlich bedeutsamen Thema, einem neuen Privacy Shield für transatlantischen Datenschutz. Was Digitalkonzernen ebenso wie Geheimdiensten doch noch in die Quere kommen könnte, analysiert Falk Steiner.
Alles andere als geklärt ist auch die Durchsetzung des Digital Markets Act. Wie es nach Abschluss der Verhandlungen für Behörden und Digitalunternehmen weitergeht, lesen Sie in den News.
Um die hohe Kunst der Diplomatie geht es dann wieder im Portrait über Shada Islam. Die Migrationsexpertin möchte einen Sinn für Diversität vermitteln und wendet sich gegen einen eurozentrischen Blick auf hilfsbedürftige Menschen.
Die EU und die USA haben sich auf ein verbessertes Privacy Shield geeinigt. “Wir haben uns auf noch nie dagewesenen Schutz durch Datenschutzmaßnahmen für unsere Bürger geeinigt”, so US-Präsident Joe Biden am Freitag bei einer Pressekonferenz mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Wir sind sehr zufrieden mit der grundsätzlichen Einigung auf einen neuen Rahmen für transatlantische Datenflüsse”, so von der Leyen. Damit würde der Datenverkehr über den Nordatlantik “vorhersehbar und vertrauenswürdig”, “Privatsphäre und bürgerliche Freiheiten schützend”, so die Kommissionspräsidentin. Große Freude darüber herrscht bei den Beteiligten, doch sie könnte verfrüht sein. Denn, so von Ursula von der Leyen: Es handele sich um eine prinzipielle Einigung. Trocken nahm dies der europäische Datenschutzbeauftragte auf: Prinzipiell begrüße er die Ankündigung, erklärte Wojciech Wiewiórowski. Aber ein solches Abkommen müsse die Anforderungen erfüllen, die der Europäische Gerichtshof aufgestellt habe.
Seitdem der Europäische Gerichtshof in seinem Schrems-II-Urteil im Sommer 2020 die vorangegangene Vereinbarung der EU-Kommission mit den USA für ungültig erklärt hatte, steht der transatlantische Transfer personenbezogener Daten, die der DSGVO unterliegen, auf juristisch tönernen Füßen. In den kommenden Tagen steht die Bekanntgabe eines Beschlusses der irischen Datenschutzaufsicht DPC im Fall Facebook an. Damit könnten die von vielen Unternehmen als Alternative zum Privacy Shield oder vergleichbaren Mechanismen genutzten Standardvertragsklauseln (SCC) als rechtliche Möglichkeit entfallen – etliche Juristen rechnen damit.
Umso größer wurde der Druck auf die Verhandler auf beiden Seiten mit jedem Tag: US-Handelsministerin Gina Raimondo sprach seit Monaten von einem sich abzeichnenden Ergebnis, EU-Justizkommissar Didier Reynders blieb hingegen stets vorsichtig, was das baldige Erreichen einer Vereinbarung anging. Im Zuge der Ukraine-Krise sind die transatlantischen Bünde jedoch wieder deutlich enger geworden, die Angewiesenheit der beiden datenschutzrechtlich ungleichen Partner aufeinander offensichtlich. Doch das Hauptproblem bleibt auch mit der politischen Einigung vorerst ungelöst.
Die Einigung, “Enhanced Trans-Atlantic Data Privacy Framework” genannt, soll in den kommenden Wochen mit den entsprechenden Handlungen unterlegt werden – und das bedeutet allen verfügbaren Erklärungen und Dokumenten zur Einigung nach auf US-Seite zwar Zugeständnisse an die Kriterien des Europäischen Gerichtshofes. Allerdings sollen diese offenbar nur per Präsidialverfügung erfolgen, den sogenannten Executive Orders.
Damit droht der nun getroffenen Einigung eine harte Zukunft: Viele Juristen sind der Auffassung, dass das US-Datenschutzniveau nur dann den EuGH-Vorgaben entsprechen kann, wenn US-Präsident und US-Kongress tätig werden und eine geeignete rechtliche Grundlage schaffen. Nach EU-Recht geschützte Betroffene in den USA müssten wirksam gegen aus EU-Sicht unzulässige Datenverarbeitungen vorgehen können. Da die Richter in Luxemburg hiermit bis in die US-Geheimdienstbefugnisse hineinregieren würden, bräuchte es bei dieser Lesart der bisherigen Urteile nicht nur den guten Willen des US-Präsidenten. Sondern auch den des US-Kongresses, um ein nach europäischem Standard adäquates Datenschutzniveau tatsächlich zu gewährleisten, insbesondere im Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA). Bislang jedenfalls schien es nicht denkbar, dass US-Abgeordnete FBI, NSA oder CIA aufgrund eines Urteils der höchsten EU-Richter in ihren Befugnissen beschneiden würden.
Maximilian Schrems, der vor dem Europäischen Gerichtshof bereits zweimal die sogenannte Angemessenheitsentscheidung der Kommission erfolgreich wegklagte, die auf den vorangegangenen Vereinbarungen Safe Harbor und Privacy Shield beruhte, will erneut tätig werden. Er kündigte an, dass ein rein politisches Abkommen nicht reichen werde. “Wir könnten das gleiche Spiel jetzt ein drittes Mal spielen, am Ende wird der Europäische Gerichtshof entscheiden.”
Hier besteht ungewohnte Einigkeit zwischen Datenschutzaktivist und Wirtschaft: Zwar begrüße man die Ankündigung, dies sei der dringend benötigte erste Schritt, sagt Rebekka Weiß vom Bitkom. “Jetzt gilt es diesen politischen Willen in eine belastbare rechtliche Regelung zu überführen. Die Unternehmen brauchen rasch Rechtssicherheit, damit die bestehende Datenblockade endlich aufgelöst werden kann.”
Und auch andere Akteure, etwa der Berufsverband der Datenschützer (BvD) äußern sich vorsichtig: Nicht alle Fragen konnten gelöst werden, sagt Thomas Spaeing, Bundesvorsitzender des BvD. “Insofern bleibt abzuwarten, inwiefern dieses neue Abkommen vor Gericht Bestand haben wird. Ich denke, man sollte hier keine allzu hohen Erwartungen hegen, bis Details zu dem Abkommen bekannt sind”
Ähnlich sieht Sophie in ‘t Veld (D66/Renew) die neue Vereinbarung: “Ich bin neugierig, wie die neue Vereinbarung EuGH-fest sein soll, wenn sie ohne Änderungen am US-Recht daherkommt”, so die niederländische Europaabgeordnete. Die Kommission habe hoffentlich diesmal dafür gesorgt, dass die Vereinbarung tragfähig sei, hofft in ‘t Veld: “Ein Schrems-III-Urteil wäre eine Bankrotterklärung der Kommission als Europas zuständige Exekutive.”
Die Union ächzt unter hohen Gaspreisen, die über Gaskraftwerke auch die Strompreise nach oben ziehen. Ein mögliches Mittel zur Entlastung könnten gemeinsame Einkäufe des Brennstoffs sein. Beim Europäischen Rat, der am vergangenen Freitag in Brüssel zu Ende ging, nannte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine gemeinsame Beschaffung “das beste Instrument, um die Preise für unser Gas zu senken“. Er verwies auf das Vorbild der Corona-Impfstoffe, welche die Brüsseler Behörde im Auftrag der Mitgliedstaaten bestellt hatte. Unterstützung kam auch von Griechenland und Polen.
Nach Macrons Angaben erhielt die Kommission dafür mit der Abschlusserklärung des Gipfels vom Freitag ein klares Mandat: Es soll freiwillige gemeinsame Käufe von Gas, Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff geben. Dafür soll eine gemeinsame Plattform eingerichtet werden. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte dagegen die Freiwilligkeit der Kooperationen.
Als mindestens ebenso wichtig wie die Kooperation der EU-Staaten untereinander könnte sich noch die Öffnung der gemeinsamen Beschaffungsplattform für ausgewählte Nachbarn erweisen. Offenstehen soll sie laut Abschlusserklärung auch den Ländern des westlichen Balkans sowie den “drei assoziierten östlichen Partnern” – gemeint sind damit die Ukraine, Moldawien und Georgien. Erstere wird bereits über europäische Leitungen mit Erdgas versorgt.
Kiew nahm die Brüsseler Signale am Wochenende gleich auf und versuchte, die gegenseitigen Bande noch weiter zu verstärken. Die Ukraine könne mit ihren Gasspeichern zum Solidaritäts- und Ausgleichsmechanismus beitragen, schrieb Energieminister Herman Haluschtschenko am Samstag auf Facebook. Sein Land habe die größten unterirdischen Speicheranlagen in Europa.
Zweiter Zankapfel beim Gipfel war die Frage, wie die Staaten auf die hohen Energiepreise reagieren können. Zur Debatte standen Preisdeckel für einzelne Energieträger, eine Änderung des Marktdesigns, das den Strompreis an die hohen Gaspreise koppelt, und das Besteuern der Extragewinne von Energieversorgern, die sich zwar nach dem hohen Gaspreis bezahlen lassen, mit ihren Kohlekraftwerken oder Windparks aber selbst nur geringe Erzeugungskosten haben.
Für einen Preisdeckel sprachen sich Spanien und Portugal, in eingeschränkter Form auch Italien und Belgien aus. Für Reformen am Energiemarkt plädierten Frankreich, aber auch Polen und Griechenland. Gegen Markteingriffe sträubten sich vor allem Deutschland und die Niederlande, wo der für Gas maßgebliche Handelspunkt TTF beheimatet ist.
Die Staats- und Regierungschefs einigten sich schließlich darauf, das strittige Thema eines Strompreis-Deckels durch die EU-Kommission prüfen zu lassen. Zur Reform des Marktdesigns sagte Scholz, dies müsse geprüft werden, allerdings erwarte er keine schnelle Lösung. Es gehe darum, den Strompreis von den fossilen Energieträgern zu lösen und die Rolle der erneuerbaren Energien zu stärken.
Handfester Streit soll sich zwischen Spanien und Portugal auf der einen Seite und den restlichen EU-Partnern entwickelt haben. Auf der iberischen Halbinsel waren die Strompreise zuletzt besonders stark gestiegen – auf bis zu 540 Euro pro Megawattstunde. Ein Grund ist die schlechte Anbindung der Halbinsel über Strom- und Gasleitungen an den Rest des Kontinents. Preisdämpfende Stromflüsse zu Spitzenzeiten sind so nur schwer möglich. Einige Industrien stellten wegen der hohen Stromkosten vorübergehend ihre Produktion ein.
Spanien und Portugal räumt Brüssel deshalb das Recht ein, den Preisbildungsmechanismus am Strommarkt vorübergehend auszusetzen, um eine Preissenkung zu erreichen. Allerdings soll dies unter Aufsicht der Kommission geschehen.
Die Lage auf der Iberischen Halbinsel sei eine besondere, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Ausnahme begründete sie mit dem hohen Anteil an erneuerbaren Energien.
Berichte über einen handfesten Streit mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez wies Bundeskanzler Scholz zurück. Auf dem Höhepunkt der Debatten soll Sanchez soll mit einem Veto gedroht und wütend den Saal verlassen haben. Sanchez sei am Ende “sehr erfolgreich” gewesen, resümierte Scholz, er habe Spanien und Portugal “gern unterstützt”.
Nach Angaben von EU-Diplomaten war es jedoch vor allem der liberale belgische Premier Alexander De Croo, der eine Einigung möglich machte. De Croo hatte vorgeschlagen, einen möglichen Preisdeckel durch die Kommission prüfen zu lassen und die Industrie zu konsultieren. Dem konnte am Ende auch Scholz zustimmen.
Im Rahmen der von Spanien und Portugal vorgeschlagenen neuen Regelung soll für Strom aus Gaskraftwerken ein noch festzulegender Höchstpreis gelten, für den anschließend ein Ausgleich gezahlt wird. Dies soll verhindern, dass die Kraftwerke den Betrieb einstellen. Die spanische Regierung rechnet damit, dass die EU-Kommission den gemeinsamen Vorschlag mit Portugal in wenigen Tagen oder Wochen bestätigen wird. Die Maßnahmen, die den Geldbeutel der Verbraucher entlasten werden, sollen bereits innerhalb eines Monats umgesetzt werden können. mit Isabel Cuesta Camacho, Manuel Berkel
Nach dem Abschluss der Verhandlungen über den Digital Markets Act mahnen Experten eine wirksame Durchsetzung der neuen Regeln für die Digitalkonzerne an. “Wie der DMA sich jetzt auswirkt, bleibt eine offene Frage, und es hängt massiv davon ab, wie die Durchsetzung konkret aussieht“, sagt Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es müsse sich erst zeigen, wie aktiv die Europäische Kommission gegen die sogenannten Gatekeeper vorgehe, wie ernsthaft die Unternehmen sich um Compliance bemühten und wie sich die Gerichte in Streitfällen verhielten.
Die Unterhändler von Europaparlament, Rat und Kommission hatten am Donnerstagabend die verbliebenen Fragen bei der Formulierung der Verordnung ausgeräumt. Das neue Gesetz wird laut Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager voraussichtlich im Oktober in Kraft treten. Die neuen Verhaltensvorgaben für Digitalkonzerne sollen dann nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten greifen. Die zahlreichen Ge- und Verbote gelten für Unternehmen mit mehr als 75 Milliarden Euro Marktkapitalisierung, 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz, mindestens 45 Millionen aktiven Endnutzern und 10 000 gewerblichen Nutzern pro Monat, die von der Kommission als Gatekeeper eingestuft werden.
Die Durchsetzung wird dabei in der Verantwortung der Kommission liegen. Die nationalen Wettbewerbsbehörden können zwar selbst Untersuchungen auf Basis des DMA einleiten, müssen diese aber ab einem gewissen Zeitpunkt an die Brüsseler Behörde abgeben. Ein hochrangiges Expertengremium mit Vertretern von Datenschutzaufsicht, Telekom-Regulierung und Verbraucherschutzbehörden soll die Kommission zudem beraten. Entscheidend sei aber der politische Wille der EU-Kommission, die Regeln gegen die Unternehmen durchzusetzen, sagt Felix Duffy von der Organisation Lobby-Control, und die Voraussetzung dafür ausreichend Personal. “Dass dies noch nicht abschließend geklärt ist, bereitet uns Sorge.”
Auf die Kommission warte noch viel interne Arbeit, räumte Vestager ein. Wie viele Mitarbeiter für die Aufsicht zur Verfügung stehen, ist ebenso unklar wie die interne Organisation. Die Experten sollen aus mehreren Generaldirektionen zusammengezogen werden, insbesondere aus DG Comp und DG Connect. Wo die Kommission noch keine eigene Expertise habe, würden externe Fachleute eingestellt, sagte Industriekommissar Thierry Breton, auch wenn diese rar seien. So wird etwa die Formulierung der Interoperabilitätsstandards für Messengerdienste technisch anspruchsvoll.
Als Zielgröße hatte die Kommission rund 80 Stellen für die Umsetzung des DMA genannt. Gerade anfangs dürfte dies aber kaum ausreichen, wenn sich die Arbeit ballt.
Wer die quantitativen Kriterien für Gatekeeper erfüllt, muss binnen zwei Monaten umfangreiche Informationen einreichen. Die Kommission hat dann 45 Tage Zeit, über den Status eines Unternehmens als Gatekeeper zu entscheiden. Frankreichs Digitalminister Cédric O rechnet damit, dass dies 15 bis 20 Unternehmen betreffen wird. Die Einstufung beschränkt das erlaubte Geschäftsgebaren erheblich ein. Daher stellt sich die Kommission darauf ein, dass einige Unternehmen dagegen vor Gericht ziehen werden.
Weitere Klagen dürften folgen, wenn die Aufseher bestimmte Praktiken als nicht DMA-konform einstufen. So hat etwa Facebook im Streit mit dem Bundeskartellamt gezeigt, dass es willens ist, sämtliche Rechtsmittel auszuschöpfen, um sich gegen Anordnungen der Wettbewerbshüter zu wehren. tho
Das international umworbene Öl- und Gasförderland Katar dämpft Erwartungen Deutschlands und anderer westlicher Staaten an ein rasches Ende ihrer Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland. Er denke nicht, dass Katar unmittelbar helfen könne, sagte Energieminister Saad al-Kaabi am Samstag auf einer Konferenz in der katarischen Hauptstadt Doha. Niemand könne die russischen Lieferungen derzeit ersetzen.
Al-Kaabi hatte zuletzt bereits der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gesagt: “Wenn man die Abhängigkeit von Russland oder anderen Ländern verringern will, dann muss man das planen, und es braucht Jahre, bis alles entwickelt wird.” Er dämpfte er die Erwartungen an die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufene Energiepartnerschaft beider Länder. Es gebe zwar den “klaren Willen”, künftig Gas nach Deutschland zu liefern, aber einen solchen Deal gebe es noch nicht.
Bis 2025 seien die LNG-Lieferungen Katars durch langfristige Lieferverträge gebunden, sagte Al-Kaabi der FAZ. Erst ab 2026 würden Kapazitäten frei, weil Katar die Förderung von 77 auf 126 Millionen Tonnen pro Jahr ausweiten werde. Ab 2025 solle jedoch ein Projekt in den USA die Produktion aufnehmen, an dem Katar mit 16 Millionen Tonnen Erdgas beteiligt sei. Europa biete sich wegen der geografischen Nähe als Bestimmungsort an.
Laut RWE schreiten die Verhandlungen mit Katar voran. “Dank der politischen Unterstützung sind wir in guten Gesprächen mit unseren katarischen Partnern”, sagte eine Unternehmenssprecherin. Trotzdem wird Deutschland laut einem am Freitag veröffentlichten Papier des Wirtschaftsministeriums wohl noch länger als zwei Jahre russisches Gas benötigen. rtr
Angesichts steigender Energiepreise verkauft der britische Versorger National Grid die Mehrheit an seiner Gassparte und konzentriert sich auf sein Stromgeschäft. Ein 60-prozentiger Anteil am Gasleitungs- und Messgeschäft gehe an den australischen Investor Macquarie Asset Management und den kanadischen Pensionsfonds British Columbia Investment Management, wie National Grid am Sonntag mitteilte. Das Unternehmen erhält nach Abschluss der Transaktion etwa 2,2 Milliarden Pfund in bar und etwa zwei Milliarden Pfund aus einer Fremdfinanzierung.
Seit September haben mehrere Energieversorger in Großbritannien ihre Geschäftstätigkeit eingestellt, da die Preise in die Höhe geschossen sind und die Preisobergrenze der Regulierungsbehörde Ofgem die Weitergabe der steigenden Kosten an die Kunden verhindert hat. Seitdem sind die Gaspreise infolge des russischen Einmarschs in der Ukraine noch weiter gestiegen. Das Gastransportgeschäft von National Grid umfasst ein 7000 Kilometer langes Rohrnetz im gesamten Vereinigten Königreich.
Bei der medizinischen Versorgung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sehen die Kassenärzte in Deutschland immer noch erhebliche Schwierigkeiten. “Registrierungsprobleme führen dazu, dass insbesondere die Arzneimittelversorgung derzeit nicht sichergestellt werden kann”, schrieb der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung diese Woche in einem Brief an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Um sicherzustellen, dass die aus dem Kriegsgebiet ankommenden Menschen sofort und unbürokratisch behandelt und mit Arzneimitteln versorgt werden könnten, wäre es auch Sicht der Kassenärzte zudem gut, einen zentralen Kostenträger zu benennen.
Dass noch nicht alle Menschen, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Zuflucht in Deutschland gesucht haben, registriert sind, hat vor allem zwei Gründe: Ukrainer reisen erst einmal ohne Visum ein und müssen sich daher nicht sofort bei den Behörden anmelden. In einigen Städten kommt es aufgrund mangelnder Kapazitäten zu teilweise erheblichen Verzögerungen bei der Registrierung der Schutzsuchenden.
Sorgen bereitet den Ärzten auch die Situation derjenigen Geflüchteten, die in Massenunterkünften untergebracht sind. “Gegenwärtig fehlt es in vielen Kommunen an einer einheitlichen Sicherstellung der nach dem Infektionsschutzgesetz erforderlichen Untersuchungen“, etwa auf Tuberkulose, heißt es in dem Brief des Vorstandes der Bundesvereinigung. Außerdem gebe es vor Ort teils zu wenig niedergelassene Ärzte. dpa
Es wird nur wenige geben, die so bewusst zu Europa gefunden haben. In Pakistan geboren, ist Shada Islam mit 18 Jahren zunächst als “diplomatisches Gepäck” nach Belgien umgezogen, da ihr Vater in die dortige Botschaft versetzt wurde. Zur Schule gegangen ist sie in den USA, gelebt hat sie außerdem in Großbritannien, Pakistan und Bangladesh. Indonesien ist ihr eine zweite Heimat geworden, China hat sie ausführlich bereist und auch mit Indien, Japan und Malaysia ist sie bestens vertraut. Eine Heimat allerdings, die hat sie letztlich in Brüssel gefunden. Dabei spielte der Zufall zwar auch eine Rolle, doch hier wurde sie zur Wahleuropäerin – aus Überzeugung: “Ich denke, dass die Geschichte der EU, das Zusammenkommen und Aussöhnen ehemaliger Gegner, auch heute noch weltweit in hoher Achtung steht. Und dass die Europäer sich dessen manchmal nicht ganz bewusst sind.”
Ihre Arbeit als Journalistin war grundlegend für ihre Weltkenntnis. Sie war zwei Jahrzehnte lang die EU-Korrespondentin der Far Eastern Economic Review, einer im ost- und südostasiatischen Raum renommierten Wochenzeitung. Die Kontakte, die sie mit hochrangigen Offiziellen geknüpft hat, halfen ihr 2007 dann dabei, als Thinktankerin Fuß zu fassen. Beim European Policy Center und den Friends of Europe baute sie die Arbeitsgebiete für Asien, Integration und Migration auf und leitete sie. Ganz wie nebenbei bekleidete sie dazu noch eine Gastprofessur für Internationale Beziehungen mit den Schwerpunkten Europa, Asien und Afrika am College of Europe im Warschauer Stadtteil Natolin.
2020 traf sie den Entschluss, sich selbständig zu machen und gründete das New Horizons Project: “Ich sehe mich selbst als einen ‘one-woman think-tank'”. In den Fokus gerückt ist für sie seitdem Diversität, welche sie als einen der Stützpfeiler der europäischen Idee begreift. Dieses Interesse stehe aber nicht im Widerspruch zu ihren bisherigen Themengebieten, sondern sei eine dringend benötigte Ergänzung, um Geopolitik zeitgemäß zu verstehen.
So wird sie nicht müde, das Missverhältnis zwischen Werten, Worten und Taten in Sachen europäischer Migrationspolitik anzuprangern. Wenn die EU weiterhin zuließe, dass Migration durch Aggressoren militarisiert wird, dass Islamophobie immer weiter in die politische Mitte rückt und wie in Frankreich als Werbemittel im Wahlkampf missbraucht wird, dann werde Europa auf der Weltbühne erhebliche Einbußen an Respekt und Vertrauen hinnehmen müssen.
Denn wenn die EU ihre Prinzipien von Inklusion, Diversität und Solidarität so leichtfertig aufgebe, untergrabe sie jegliche Kritikkompetenz durch ihre Scheinheiligkeit und ihren “eurozentrischen Blick“. Die Einschätzung von hilfsbedürftigen Menschen als Sicherheitsgefahr sei mit “unserer Wahrnehmung anderer Nationalitäten verbunden, die oft von Stereotypen gefärbt sind”. Umso wichtiger sei es, dass dieser Blick durch Bewegungen wie Black Lives Matter und Brussels So White ein Update erfahre.
Es ist die Balance zwischen scharfer Analyse und zuversichtlicher, vorwärtsgewandter Perspektive, die das Schaffen von Shada Islam ausmacht. Um ihre Ziele zu erreichen, so lernte sie es von ihrem Vater, müsse man “vor Macht die Wahrheit sagen – aber mit einem gewissen Grad an Eleganz”. Dieses Motto verkörpert sie bis heute. Julius Schwarzwälder