in Berlin sind die Koalitionäre auf den letzten Metern – und die sind bekanntlich bei jedem Gipfel die schmerzlichsten. Und heute könnte sie sich präsentieren, die Ampel-Koalition. Oder eben auch morgen oder übermorgen. Was es am Ende europapolitisch, digital und umweltpolitisch inhaltlich dazu zu sagen gibt, können wir Ihnen in dieser Ausgabe noch nicht sagen, dafür wissen wir nicht genug.
Was wir aber wissen: Wenn SPD-Parteitag, Grünenmitglieder und FDP dem Ergebnis zustimmen, wird Olaf Scholz aller Voraussicht nach am 7. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden – die Kanzlerwahl findet traditionell an einem Dienstag statt und die Nikolauswoche ist gesetzt.
Derweil wird in Straßburg die Europapolitik weiter ganz praktisch vorangetrieben: Europa muss beim Bezug von Rohstoffen unabhängiger werden. Zugleich sollen die Quellen weniger dreckig werden, Kinderarbeit und andere Formen der Ausbeutung möglichst reduziert. Beides könnte wohl der Großteil der Europaparlamentarier unterschreiben – doch beim Wie gibt es nach wie vor Meinungsverschiedenheiten. Und das hat viel mit Naturschutz in Europa zu tun, analysiert mein Kollege Timo Landenberger.
Tihange und Doel, diese beiden Namen stehen im Westen Deutschlands für potenzielle GAU-Meiler. Die Sicherheit der beiden belgischen Kernkraftwerke wird immer wieder in Zweifel gezogen. Eigentlich war die Abschaltung spätestens 2025 längst beschlossene Sache. Doch ein Teil der Regierungs-Koalition will zwei Reaktorblöcke weiterlaufen lassen – aus Umweltschutzgründen. Charlotte Wirth hat die belgische Debatte unter die Lupe genommen. In Portugal wurde unterdessen das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet.
In der Straßburg-Woche des Europaparlaments stehen natürlich auch digitale Themen wieder auf der Tagesordnung: Der Digital Services Act liegt nun etwas hinter dem Zeitplan. Dort steht erneut ein Treffen der Berichterstatter und Schattenberichterstatter an. Nach Wochen der Uneinigkeit scheint sich dabei jetzt etwas zu bewegen: Neue Vorschläge sollen die Kompromissfindung erleichtern – bei Online-Marktplätzen, personalisierter Werbung und Empfehlungssystemen, berichtet Jasmin Kohl.
Beim Digital Markets Act geht es hingegen schneller voran. So wurden gestern im federführenden Binnemarktausschuss die Kompromiss-Änderungsanträge abgestimmt, der Trilog mit Rat und Kommission soll nach der Abstimmung im Parlament Dezember Anfang des Jahres beginnen.
Und wer sich in diesen Tagen, in denen Österreich und Teile Deutschlands wieder ganz nah am oder im Lockdown sind, noch schnell etwas Weltgefühl sichern möchte: Heute endet die Registrierung für den ersten von drei Stakeholder-Events der Kommission zum TTC.
Weg von der Atomenergie oder doch nicht? Diese Frage muss die belgische Regierung zurzeit klären. Atomstrom machte 2020 rund 38 Prozent der belgischen Energieproduktion aus. Doch bereits seit 2003 ist der Atomausstieg Belgiens im Gesetz verankert. Im Koalitionsabkommen haben sich die sieben Regierungsparteien vor rund einem Jahr auf einen Ausstieg im Jahr 2025 geeinigt, “wenn die Energiesicherheit des Landes gewährleistet ist”.
Ob sie das ist, darüber streiten sich allerdings die Parteien. Während die grüne Energieministerin Tinne Van Der Straeten sich bisher im Sinne eines kompletten Ausstiegs ausgesprochen hat, halten die wallonischen Liberalen (MR) dagegen und wollen die Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 weiterhin am Netz lassen.
“Wenn Belgien die CO2-Emissionen schnell eingrenzen will, gibt es nur eine Lösung: Atomkraft”, sagt der Präsident des MR, Georges-Louis Bouchez. Ein Atomausstieg Belgiens 2025, sei unmöglich, sagte er jüngst der Zeitung Le Soir: Bouchez bevorzugt stattdessen eher ein “renouveau nucléaire” nach dem Vorbild Frankreichs (Europe.Table berichtete).
Dafür fehlt ihm innerhalb der Regierung allerdings die Unterstützung. Viel mehr nähern sich die Liberalen mit dieser Position der rechten N-VA Partei an, die auf nationaler Ebene auf der Oppositionsbank sitzt, in Flandern allerdings mitregiert. Der AKW-Betreiber Engie ist seinerseits nur dann bereit, weiter in die beiden Reaktoren von Tihange und Doel zu investieren, wenn sie hinreichende Garantien hat, dass diese auch wirklich über 2025 hinaus am Netz bleiben.
Dabei ist der erste Schritt hin zum Atomausstieg längst getan: Ende August hat die Europäische Kommission den “mécanisme de rénumération de la capacité” (CRM) Belgiens abgesegnet. Es handelt sich dabei um indirekte Staatsbeihilfen für Energieprojekte, die den Ausstieg aus der Atomkraft kompensieren und die Stabilität des Netzes garantieren sollen. Anfang November hat der Netzbetreiber Elia die ersten Aufträge für die Stromversorgung für 2025 bis 26 bekannt gegeben.
Die Instanz hat insgesamt 40 Aufträge vergeben, die meisten laufen über mehrere Jahre. Berücksichtigt wurden Gaskraftwerke, Batterietechnologien und Projekte zur Steuerung der Energienachfrage. Auf 140 Millionen Euro belaufen sich die Beihilfen im ersten Jahr, rechnete “Le Soir” nach. Zusammen haben die ausgewählten Projekte eine Produktionskapazität von rund 4,5GW. Laut Elia ließe sich der Ausfall der Kernkraft, bei einem Atomausstieg Belgiens, damit kompensieren.
Zwei der Projekte sind besonders wichtig, um die Stromversorgung Belgiens zu sichern. Es handelt sich um den Bau von zwei Gaskraftwerken, das eine in Awirs in der Wallonie, das andere in Vilvoorde in Flandern. Beide Projekte machen zusammen 36 Prozent der 4,5 GW umfassenden Produktionskapazität aus und werden ebenfalls von Engie betrieben, dem größten Energieproduzenten des Landes. Zusammen sollen die beiden Gaskraftwerke rund 1,6 GW produzieren.
Doch bereits kurz nach der Auftragsvergabe wackelt der Plan: Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA) verweigert Engie die Genehmigung für das Projekt in Vilvoorde. Sie kritisiert die hohen Stickstoffemissionen des geplanten Gaskraftwerkes. Eine Entscheidung im Sinne der Umwelt?
Das bezweifeln ihre politischen Gegner: Sie sehen in ihrer Entscheidung eher ein Plädoyer für die Kernkraft und politisches Kalkül. Für umweltfreundliche Politik ist Demir jedenfalls nicht bekannt. Erst Anfang November kritisierte sie die Klimaauflagen der EU-Kommission und plädierte dafür, dass diese für Belgien nach unten angepasst werden sollten.
Gleichzeitig sagt die aktuelle Debatte viel über die Haltung der Grünen aus, von denen sowohl die flämische wie die wallonische Partei in der Regierung sitzt. Trotz der CO₂-Emissionen von Gaskraftwerken ziehen die Grünen den Umstieg auf Gas als Übergangslösung der Atomkraft vor. Man akzeptiere dazu notfalls sogar zwei Gaskraftwerke auf wallonischem Terrain, sagte der Co-Präsident der wallonischen Partei Ecolo, Jean-Marc Nollet.
Ende November soll Energieministerin Van Der Straeten ihren Bericht vorstellen, wie Belgiens Energieversorgung ohne Atom sichergestellt werden kann und wie sich die Energiewende durch den Atomausstieg auf die Strompreise auswirken wird. Als Basis dient vor allem die Auftragsvergabe der Elia, wonach der Energieverlust der AKWs tatsächlich kompensiert werden könne. Doch auch der jüngste Bericht des Hohen Gesundheitsrates soll berücksichtigt werden.
Im Oktober hatte dieser ein Gutachten veröffentlicht, laut dem Kernenergie nicht als “nachhaltig” gelten könne: “Das Risiko von schlimmen Atomunfällen kann nicht ausgeschlossen werden, selbst bei den besten Kraftwerken nicht”, urteilte der Rat. Belgien sei zudem besonders gefährdet, da die AKWs nahe an Städten und internationalen Verkehrsachsen stünden.
24.11.-25.11.2021, online
Celsius, Conference Energy Democracy
The conference intends to clarify the question how cities can ensure that heating and cooling systems are efficient, sustainable, and democratic. INFOS & REGISTRATION
24.11.-25.11.2021, online
DVGW, Konferenz GAT WAT
Die Konferenz des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) beschäftigt sich mit der Zukunft gasförmiger Energieträger und dem Schutz von Wasserressourcen INFOS & ANMELDUNG
24.11.2021 – 09:30-12:30 Uhr, online
Eco, Seminar Hochsichere und performante Anwendungen für die Netze der Zukunft
Das Seminar des Verbands der Internetwirtschaft (Eco) geht auf aktuelle technologische Entwicklungen sowie zukünftige Trends in der Post-Corona-Zeit ein. INFOS & ANMELDUNG
25.11.-26.11.2021, Bled (Slowenien)
EC, Conference Research and innovation to deliver a just and sustainable energy transition
The European Commission (EC) conference brings together speakers, policymakers, industry, researchers, academia and the general public to focus on important energy-related topics in the new post-COVID policy realities. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 09:00 Uhr, online
EC, Conference Fit for recovery and transition: Supporting Quality of Public Administration in the European Union Member States
This conference discusses the profound challenges and opportunities public administrations are confronted with in the face of the COVID-19 pandemic and other pressing global issues. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 09:00-11:00 Uhr, online
Eco, Podiumsdiskussion Mobilität von Morgen – Wohin geht die Reise in Zukunft? Konzepte, Projekte, Trends, Geschäftsmodelle
Die Podiumsdiskussion von Eco geht der Frage nach, wie neue Monilitätskonzepte umgesetzt und ganzheitliche Lösungen vorangetrieben werden können. INFOS & ANMELDUNG
25.11.2021 – 09:00-10:00 Uhr, online
SNV, Hintergrundgespräch Die 720-Millionen Euro Strafe: Frankreichs Offensive gegen Big Tech
Das Hintergrundgespräch der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) beschäftigt sich mit den Auswirkungen der durch Frankreichs Wettbewerbsbehörde gegen Google verhängten 720-Millionen Euro Strafe auf den digitalen Wettbewerb in der EU. INFOS & ANMELDUNG
25.11.2021 – 10:00-15:30 Uhr, online
EC, Conference Energy Infrastructure Forum 2021
The conference gathers representatives of EU institutions, transmission system operators, project promoters, regulators, energy companies, civil society and the financing community to discuss the challenges of developing Europe’s energy infrastructure and building an internal energy market. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 14:00 Uhr, online
EC, Workshop Annual Digital Consumer Event
The workshop focusses on the extension of the Product Safety Pledge into a broader Consumer Law Pledge, and on future steps for ensuring more online fairness. INFOS & REGISTRATION
30.11.-02.12.2021, Mailand (Italien)
Trade Fair Enlit Europe
This Trade Fair presents current and future opportunities for the energy transition process. INFOS & REGISTRATION
Nachdem der Binnenmarktausschuss (IMCO) heute Morgen über den Kompromiss zum “Digital Markets Act” abstimmen wird (Europe.Table berichtete), scheinen sich die Verhandler:innen der Fraktionen im Europaparlament auch beim “Digital Services Act” langsam der Zielgeraden zu nähern. IMCO-Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) hat zu drei zentralen Streitpunkten neue Kompromissentwürfe ausgearbeitet, die Europe.Table vorliegen. Diese will die Dänin bei einer Verhandlungsrunde heute Nachmittag mit den Schattenberichterstatter:innen der mitverhandelnden Ausschüsse diskutieren. “Die Dinge kommen ins Rollen“, twitterte Schaldemose gestern und bat Beobachter gleichzeitig um Geduld.
Bei der personalisierten Werbung (Artikel 24), einem der größten Knackpunkte im Europaparlament (Europe.Table berichtete), folgt Schaldemose weitestgehend jenem Kompromiss, den die Verhandler:innen des “Digital Markets Act” gefunden hatten. Anstatt die umstrittene Werbe-Praxis komplett zu verbieten, soll personalisierte Werbung im Digital Services Act nur für Minderjährige vollständig verboten werden. Ihre personenbezogenen Daten dürften “nicht für kommerzielle Zwecke verarbeitet werden, die mit dem Direktmarketing, Profiling und der auf Analyse des Surfverhaltens basierende Werbung zusammenhängen”.
Personenbezogene Daten von Nutzer:innen sollen von den Online-Plattformen außerdem nicht automatisch für den Zweck der personalisierten Werbung verarbeitet werden dürfen. Mit Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung sollen die Plattformen ihren Nutzer:innen zudem “aussagekräftige Informationen” zur Verfügung stellen, darunter die Information, wie ihre Daten zur Gewinnerzielung genutzt werden. So sollen Nutzer:innen eine informierte Einwilligung geben können, bei der es nicht schwieriger oder zeitaufwendiger sein darf, die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten abzulehnen.
Auch beim Einsatz von Empfehlungssystemen auf Online-Plattformen, die den Nutzer:innen angezeigte Inhalte entsprechend individueller Präferenzen personalisieren, hat Schaldemose eingelenkt: Empfehlungssysteme sollen nicht, wie ursprünglich von ihr gefordert, nur mit einem Opt-In der Nutzer:innen angewandt werden dürfen. Sehr große Online-Plattformen sollen den Nutzer:innen aber mindestens ein alternatives Empfehlungssystem anbieten, das nicht auf Profiling basiert. Die Benutzeroberfläche soll zudem so gestaltet sein, dass Nutzer:innen die Empfehlungssysteme jederzeit an ihre Präferenzen anpassen können.
Um Empfehlungssysteme transparenter zu machen, sollen Informationen über die Hauptparameter der algorithmenbasierten Systeme in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Online-Plattformen aufgeführt werden. Außerdem sollen Nutzer:innen auf diese Informationen direkt über die Benutzeroberflächen der Plattformen zugreifen können. Laut Kompromiss des Digital Services Act gehören zu den erforderlichen Informationen “mindestens”: die Kriterien, auf deren Basis die Empfehlungen getroffen werden; die “relative Bedeutung” der Hauptparameter; die Ziele, für die das Empfehlungssystem optimiert wurde; und eine Erklärung, welche Rolle das Nutzer:innenverhalten für die Produktion von Ergebnissen der Empfehlungssysteme hat.
Schaldemoses Vorschlag, Online-Marktplätze unabhängig von ihrer Größe für den Verstoß von Verkäufer:innen aus Drittstaaten haftbar zu machen (Artikel 22), war auf starken Widerstand gestoßen. Ihr Kompromissvorschlag sieht nun vor, dass: Klein- und Kleinstunternehmen die Möglichkeit bekommen, bei der Kommission eine Ausnahmeregelung für Artikel 22 zu beantragen. Die Kommission soll daraufhin den Antrag prüfen und den europäischen Ausschuss der Digital Services Coordinators konsultieren. Die Entscheidung soll sie dann in Form eines delegierten Rechtsakts treffen. Nutzer:innen sollen von Online-Plattformen außerdem Entschädigungen verlangen können, sollten sie “Schaden oder Verlust erlitten haben, die auf einen Verstoß der Anbieter gegen die Pflichten des DSA zurückgehen”.
Noch offen sind zwei weitere Punkte: Der Rechts- und der Kulturausschuss des Europaparlaments hatten den Vorschlag einer Medienausnahme unterbreitet: Plattformen dürften dann Inhalte nicht löschen oder sperren, die redaktionell verantwortetet von Presse oder Rundfunk-, Fernseh-, Audio oder Videodiensten nach Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie Audiovisuelle Mediendienste dort verbreitet werden und mitgliedstaatlichem Recht unterfallen. Dieser Vorschlag ist auch deshalb von einiger Sprengkraft, da die Medienregulierung weitgehend Sache der Mitgliedstaaten ist – in Deutschland Sache der Länder. Ohne eine solche Ausnahme könnte der Digital Services Act hier die EU-Kompetenzen überschreiten, wenn auch Medien-Inhalte auf Plattformen dem Moderationsregime unterliegen würden.
Die Fraktion der Grünen/EFA hat zudem einen weiteren Vorschlag unterbreitet, der nun kommen könnte: Plattformen mit überwiegend nutzergenerierten pornografischen Inhalten sollen besondere Sorgfaltspflichten auferlegt bekommen. Nutzer:innen, die Inhalte dort verbreiten, sollen eine Zwei-Faktor-Authentifizierung durchlaufen und sowohl eine geprüfte E-Mail-Adresse als auch eine verifizierte Mobilnummer hinterlegen müssen. Zudem sollen die Anbieter:innen spezielle Verfahren einhalten, um bei Beschwerden von illegaler Verbreitung Betroffener ein Prüfverfahren einzuleiten und spätestens nach 48 Stunden eine Entscheidung zu treffen.
Auf Anfrage von Europe.Table zeigte sich Berichterstatterin Schaldemose zuversichtlich, dass ihre neuen Vorschläge zum Digital Services Act die Verhandlungen auf die Zielgerade führen: “Ich bin hoffnungsvoll, dass wir zu den wichtigsten Themen eine Einigung in der heutigen Sitzung finden.” Sollte das gelingen, könne die finale Abstimmung im Binnenmarktauschuss wie geplant am 9. Dezember stattfinden. Das Plenum könne dann im Januar die Position für den Trilog mit dem Rat beschließen.
Auch andere Stimmen aus dem EP rechnen mit einer deutlichen Annäherung der Verhandler:innen in der heutigen Sitzung. Die Feinheiten würden noch in drei technischen Verhandlungsrunden bis zum 30.11. ausgearbeitet werden, heißt es. Mit Falk Steiner
Rohstoffe stehen am Beginn jeder Wertschöpfungskette und sind für den Industriestandort Europa von entscheidender Bedeutung. Dabei ist Europa keine rohstoffarme Region. Dennoch wächst die Liste der sogenannten kritischen Rohstoffe, also all jener, deren Versorgungsrisiko laut EU-Kommission besonders hoch ist, von Jahr zu Jahr an. Zählte die Brüsseler Behörde im Jahr 2011 noch 14 Mineralien auf, sind es inzwischen 30, Tendenz steigend, weshalb bereits vor wachsenden Abhängigkeiten gewarnt wird.
Hauptgrund für die erhöhte Alarmbereitschaft ist neben der Digitalisierung die Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen. Die grüne Transformation der Wirtschaft führt zu einem deutlich steigenden Bedarf an Ressourcen, die größtenteils aus Drittländern stammen. Allein für die Batterien von Elektrofahrzeugen und zur Energiespeicherung wird Europa laut Kommission bis 2030 bis zu 18 Mal und bis 2050 bis zu 60 Mal mehr Lithium benötigen, weshalb das Metall erstmals in die Liste der kritischen Rohstoffe aufgenommen wurde.
Regelmäßig auf der Liste vertreten sind auch Seltene Erden, die als Bestandteil von Permanentmagneten eine wichtige Rolle spielen. Die Magnete kommen in Laptops und Smartphones zum Einsatz, aber auch in Windkraftturbinen oder in Motoren von Elektroautos. Letztere kommen dadurch mit weniger Batterieleistung aus als mit gewöhnlichen Magneten – die Reichweite steigt. Bei Seltenen Erden ist die Importabhängigkeit jedoch besonders hoch. Die EU bezieht 98 Prozent ihres Bedarfs aus China. Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič warnt: “Wir können es uns nicht erlauben, unsere derzeitige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gegen eine Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen einzutauschen.”
Im Rahmen ihrer Industriestrategie hat die Kommission deshalb bereits einen Aktionsplan für kritische Rohstoffe vorgelegt und die European Raw Materials Alliance (ERMA) ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Kreislaufwirtschaft bei kritischen Rohstoffen zu stärken, die Beschaffung aus Drittländern zu diversifizieren sowie europäische Lieferketten aufzubauen.
Heute wird auch das Europäische Parlament über seine Position zur Rohstoff-Strategie der Kommission abstimmen. Der Druck, schnell zu handeln, sei groß, sagt Berichterstatterin Hildegard Bentele (CDU). Die Europaabgeordnete begrüßt den Vorstoß der Kommission, verstärkt auf die Förderung der eigenen Rohstoff-Vorkommen in Europa zu setzen. Die Behörde legt ihren Schwerpunkt dabei auf Kohlebergbauregionen mit besonderem Augenmerk auf dort vorhandenes Fachwissen und Kompetenzen, die für den Abbau, die Förderung und die Verarbeitung von Rohstoffen relevant sind.
“Aber die Vorkommen sind nun einmal dort, wo sie sind. Deshalb sollte der Abbau unter Einhaltung der EU-Umwelt- und Sozialstandards auch in Naturschutzgebieten möglich sein”, fordert Bentele. In Europa geben es relevante Lithium-Vorkommen beispielsweise am Oberrhein und im Erzgebirge. Der Punkt ist im EU-Parlament umstritten.
“Rohstoffgewinnung in Naturschutzgebieten führt EU-Umweltschutz im Rahmen des Green Deals ad absurdum”, sagte die industriepolitische Sprecherin der Grünen, Henrike Hahn, am Montagabend in der Plenardebatte. “Die benötigten Mengen von kritischen Rohstoffen für die grüne Transformation in Europa werden oft übertrieben und gehen von falschen Grundannahmen aus.”
Sarah Hillmann, Fachreferentin für Rohstoffe beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), hingegen ist überzeugt: Energiewende, Elektromobilität und weitere Klimaschutz-Maßnahmen werden die Nachfrage der Industrie nach kritischen Rohstoffen signifikant erhöhen. Die Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, sei von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft und eine Stärkung der heimischen Rohstoffförderung richtig.
Das allein könne den steigenden Bedarf jedoch nicht decken, weshalb der BDI bei der Rohstoff-Sicherung ein Drei-Säulen-Modell verfolgt. Dazu gehört neben der Stärkung der Kreislaufwirtschaft auch der Aufruf an die Unternehmen, perspektivischer zu denken, und Rohstoffe vermehrt einzulagern, um etwaigen Lieferengpässen entgegenzuwirken. Dies sollte durch steuerliche Anreize gefördert werden, so Hillmann.
“Wir müssen unsere Prioritäten überdenken, weg von der Primär-Rohstoff-Förderung hin zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft”, fordert Johanna Sydow von der Umweltorganisation Germanwatch und ergänzt: “Kein Bergbau in Schutzgebieten”. Schließlich sei dieser immer mit irreversiblen ökologischen Schäden verbunden. Stattdessen müsse verstärkt auf den Ausbau der Nutzungszyklen sowie auf besseres Recycling gesetzt werden. Ein Smartphone beinhalte ungefähr 30 Rohstoffe. Davon würden aber nur zwei bis drei wiedergewonnen.
Tatsächlich ist die Stärkung der Kreislaufwirtschaft Bestandteil der EU-Rohstoffstrategie. “Die Kommission prüft auch, ob die Rechtsvorschriften für die Kreislaufwirtschaft Bestimmungen über Sekundärrohstoffe enthalten sollten”, teilt eine Kommissionssprecherin mit.
Hildegard Bentele gibt zu bedenken: “Diese Effekte werden aber erst langfristig eintreten. Ein Sekundär-Rohstoffmarkt wird mindestens noch zehn bis 15 Jahre dauern und wird Investitionen erfordern. Erst einmal wird es bei einem starken Mehrbedarf bleiben und den müssen wir angehen.”
Der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments hat mit breiter Mehrheit die Kompromissvorschläge der Berichterstatter zum Digital Markets Act (DMA) angenommen. Der daraus resultierende Gesetzesvorschlag wird heute Morgen final im Ausschuss abgestimmt, was aber als Formsache gilt. Anschließend soll das Parlamentsplenum Mitte Dezember den Weg für die Trilogverhandlung freimachen.
Ein Anfang sei der Digital Markets Act, so IMCO-Berichterstatter Andreas Schwab (CDU/EVP): “Es ist der erste Schritt, um einen neuen rechtlichen Rahmen für Gatekeeper auf der Grundlage der Regeln der sozialen Marktwirtschaft zu schaffen.” Die EU stehe für “fairen Wettbewerb in der Sache, aber wir wollen nicht, dass größere Unternehmen immer größer werden, ohne dabei besser zu werden.“
Die Schattenberichterstatterin der Sozialdemokraten, Evelyne Gebhardt, rechnet vor der Abstimmung mit breiter Zustimmung in ihrer Fraktion. “Wir haben einiges erreicht, etwa ein de-facto-Verbot von personalisierter Werbung für Minderjährige“, sagte sie Europe.Table. Auf Druck der Sozialdemokraten sei auch die Vorgabe in die Parlamentsposition aufgenommen worden, wonach Gatekeeper-Plattformen Interoperabilität für ihre Messengerdienste und sozialen Netzwerke gewährleisten müssen.
Konfliktlinien zum Rat in den anstehenden Trilog-Verhandlungen sieht Gebhardt etwa beim Anwendungsbereich des Digital Markets Act (Europe.Table berichtete), den das Parlament etwas enger fasst als die Mitgliedsstaaten. Zudem habe sich der Rat bislang nicht zu einer Beschränkung personalisierter Werbung positioniert. Das Gleiche gelte für ein breit gefasstes Verbot der Selbstbevorzugung der Gatekeeper.
Grundsätzlich richtig, aber auch mit Kritik versehen schaut die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn auf den Kompromiss: “Die Formulierungen zu zielgerichteter Werbung und Interoperabilität schaffen erstmal mehr Fragezeichen, anstatt Antworten für bestehende Probleme zu liefern.” Die Vorgaben zum Schutz Minderjähriger seien ebenfalls gut gemeint, so Hahn. Der Vorschlag im Kompromisstext des Digital Markets Act sei allerdings “unausgereift und zu unklar.”
Der Linken-MdEP Martin Schirdewan hätte gerne noch striktere Regeln für mehr Unternehmen gesehen, unter anderem ein Verbot personalisierter Werbung. Er zeigte sich aber zufrieden, dass unter anderem Interoperabilitäts-Vorschriften für Messenger-Dienste in die Parlamentsposition Einzug gehalten hätten. tho/fst
Portugal hat am vergangenen Wochenende sein letztes am Netz verbliebenes Kohlekraftwerk abgeschaltet. Es ist damit das vierte EU-Land, das sich von dieser schadstoffausstoßreichen Art der Elektrizitätserzeugung verabschiedet hat. Nach Österreich ist es zudem erst der zweite Mitgliedstaat, der zugleich keine Kernkraftwerke betreibt.
Laut der Umweltorganisation Zero war das Pego-Kohlekraftwerk mit 628 Megawatt Nennleistung am Ufer des Tejo der zweitgrößte CO₂-Emittent Portugals. Portugal will bis 2030 den vollständigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vollzogen haben. Bereits im Januar ging das Kohlekraftwerk Sines vom Netz (Nennleistung 1.296 MW).
Bereits heute wird in Portugal 60 bis 70 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energien erzeugt. Allerdings ist das Land bislang noch stark vom Import fossiler Brennstoffe abhängig.
Das dem Unternehmen Tejo Energia gehörende Pego-Kraftwerk könnte nun auf Holzpellet-Verbrennung umgestellt werden, befürchten Umweltschützer. “Auf Kohle zu verzichten, nur um dann auf den nächst-schlechtesten Energieträger zu wechseln ist eindeutig nicht die Antwort”, so Francisco Ferreira, Präsident von Zero. rtr
Der potenzielle Lithium-Förderer Vulcan Energy hat einen zweiten Vertrag mit dem französischen Autobauer Renault abgeschlossen. Renault solle ab 2026 über sechs Jahre 26.000 bis 32.000 Tonnen Lithium von dem Start-up beziehen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Der Rohstoff wird vom Autohersteller für E-Auto-Batterien benötigt. Im August war ein erster Vertrag im Volumen von bis zu 17.000 Tonnen geschlossen worden. Die deutsche Tochter des australischen Unternehmens, Vulcan Energie, will den Rohstoff aus Thermalwasser im Oberrheingraben gewinnen. Durch die gleichzeitige Nutzung der Wärme des aus der Tiefe geförderten Wassers soll das Lithium CO₂-neutral sein.
Doch das Projekt stößt auf Hürden: Vergangene Woche hatte Vulcan Energy mitgeteilt, den Genehmigungsprozess auszusetzen, um die Bevölkerung vor Ort zu überzeugen. Die finale Machbarkeitsstudie ist bisher für Mitte nächsten Jahres geplant. Vulcan erklärte, der Zeitplan könne weiterhin eingehalten werden. Laut einem Bericht der “Badischen Neuesten Nachrichten” von Anfang Oktober lehnte etwa der Gemeinderat Rheinmünster Probebohrungen ab – wegen Bedenken über Erdbeben, die ausgelöst werden könnten, und über die Trinkwasserversorgung.
Vor einigen Wochen sorgte zudem ein Bericht des Leerverkäufers J Capital für Wirbel an der Börse in Australien. Der Terminhändler zog das Vorhaben in Zweifel, nicht nur wegen des zu erwartenden Widerstands der Bevölkerung gegen die Anlagen, sondern auch wegen angeblich falscher Aussagen zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Vulcan wies den Bericht zurück und will rechtlich gegen ihn vorgehen.
Neben Renault hat die Firma aus Karlsruhe auch den Opel-Mutterkonzern Stellantis, den belgischen Recycling-Spezialisten Umicore und den koreanischen Batteriehersteller LG Chem als Kunden gewonnen. rtr
“Blah, blah, blah.” – so beschrieb die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg die diesjährige Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26), bevor diese noch begonnen hatte. In gewisser Hinsicht hatte sie recht. Reden ist billig, wann immer es internationalen Übereineinkünften an wirksamen Mechanismen fehlt, um Zusagen zu verifizieren und durchzusetzen. Zusammenkünften wie der COP26 fehlt es häufig an Glaubwürdigkeit, selbst wenn sie als “letzte Chance” präsentiert werden, das Ende der Welt, wie wir sie kennen, zu verhindern. Trotzdem tragen derartige Konferenzen dazu bei, für das Problem und seine potenziellen Lösungen zu sensibilisieren, und das ist besser als die Wissenschaftsverleugnung früherer Jahre.
Zwar scheint die auf der COP26 produzierte Abschlussvereinbarung schwach, wenn man bedenkt, dass das Ziel, die globale Erwärmung unter 1,5 ºC zu halten, jetzt kaum noch erreichbar ist. Statt von einem “schrittweisen Ausstieg aus der Kohle” (phase-out) ist nun von einem “schrittweisen Abbau” (phase-down) die Rede – eine entscheidende Änderung, die auf Beharren Indiens (und mit Chinas Einverständnis) eingefügt wurde. Während “ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger” weiterhin “abgeschafft” werden sollen, wird damit impliziert, dass “effiziente” Subventionen für derartige Energieträger eine Option bleiben.
Doch erinnern wir uns: Reden ist billig. Angesichts von Indiens starker Abhängigkeit von der Kohle ist es womöglich besser, dass es sich zum Ziel gemacht hat, seine Emissionen bis 2070 auf netto null zu reduzieren, statt eine Zusage für die “Mitte des Jahrhunderts” abzugeben, die einzuhalten es nicht die Absicht hat.
Allgemeiner gesagt gibt es zwei wichtige Hindernisse dafür, die erklärten Klimaziele der Welt zu erreichen. Das erste ist geopolitischer Art; ein Beispiel dafür ist Russlands Nutzung des Erdgases als strategisches Instrument, um in Europa Uneinigkeit zwischen jenen zu schaffen, die die Kernkraft als Übergangstechnologie einsetzen (Frankreich), und jenen, die Erdgas nutzen (Deutschland). Sogar noch wichtiger sind bedeutende Rivalitäten wie die zwischen den USA und China. Hier gibt es eine gute Nachricht: Die COP26 scheint die beiden weltgrößten Verschmutzer zu der Erklärung bewegt zu haben, dass sie zur Bekämpfung des Klimawandels zusammenarbeiten werden. (Ob dies mehr als bloß “blah, blah, blah” ist, werden wir wissen, falls und wenn die bilateralen militärischen Spannungen steigen.)
Das zweite große Hindernis ist Uneinigkeit darüber, wie man die weniger entwickelten Länder dafür entschädigen soll, dass sie auf CO2-intensive Technologien verzichten oder diese aufgeben. Die Frage ist nicht nur, wer dabei die Rechnung zahlt, sondern auch, wie die Gelder vergeben werden sollten. Die Geschichte der Entwicklungshilfe ist nicht besonders ermutigend. Und obwohl inzwischen feststeht, dass ein weltweiter CO2-Preis erforderlich ist, um der negativen Externalität zu begegnen, die die Treibhausgas-Emissionen repräsentieren, ist die Umsetzung eines derartigen Systems schwierig. Die CO2-Märkte sind nach wie vor weitgehend unterentwickelt.
Die von fast 200 Ländern auf der COP26 verabschiedete Vereinbarung erlaubt es Ländern, ihre Klimaziele zu erreichen, indem sie Ausgleichsgutschriften kaufen, die die von anderen erzielten Emissionssenkungen repräsentieren. Dieses System wird mehr Klarheit schaffen, aber es lässt sich leicht manipulieren. Schlimmer noch: Es gestattet es Ländern, die seit 2013 registrierten, im Rahmen des Kyoto-Protokolls geschaffenen CO2-Gutschriften vorzutragen. Dies bereitet potenziell einer Überschwemmung des Emissionsmarktes und einem künstlich niedrigen CO2-Preis den Boden.
Die COP26-Vereinbarung ermutigt zudem die öffentlichen und privaten Sektoren, mehr Geld für den Klimaschutz zu mobilisieren und Innovationen in umweltfreundliche Technologien zu fördern. Ein vielversprechendes Modell ist dabei die Operation Warp Speed, die öffentlich-private Partnerschaft in den USA, die die äußerst rasche Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen möglich gemacht hat.
Die Rolle des Finanzsektors wird bei der Umschichtung von Ressourcen von schmutzigen hin zu umweltfreundlichen Technologien entscheidend sein. Vermögensverwalter und Finanzmittler mögen aus reinem Selbstinteresse handeln, wenn sie sich von schmutzigen Kapitalanlagen trennen, die sie inzwischen als zu riskant betrachten (sei es aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels oder der Umstellungen, die sie obsolet machen werden). Alternativ veräußern sie diese Anlagen womöglich auf Weisung anderer, die umweltfreundlichere Investments bevorzugen oder einen längeren Zeithorizont haben, innerhalb dessen sie Klimaprobleme internalisieren. Universelle Eigentümer wie etwa große Rentenfonds beispielsweise sind sich zunehmend der vom Klimawandel ausgehenden systemischen Risiken bewusst.
So oder so ist der Finanzsektor nun dabei, koordiniert auf eine engere Abstimmung mit der globalen Klima-Agenda hinzuarbeiten. Dies zeigt sich etwa an neuen Initiativen wie der Glasgow Financial Alliance for Net Zero, deren Vorsitzender der frühere britsche Notenbankchef Mark Carney ist. Es wird immer deutlicher, dass die von den Finanzmittlern unterstützen freiwilligen Mandate für eine nachhaltige Finanzwirtschaft erheblich stringenter sein müssen als sie das heute sind.
Der Umweltaktivismus von Aktionären mag eine stärkere Offenlegung bestehender Klimarisiken oder sogar direkte Veräußerungen erzwingen, doch wird es vermutlich einer obligatorischen Offenlegung im Rahmen eines klaren Regelwerks bedürfen, um “Greenwashing” im Zaum zu halten. Das neue International Sustainability Standards Board ist diesbezüglich eine begrüßenswerte Entwicklung.
Und schließlich haben auch die Finanzregulierung und die Notenbankpolitik bei der Förderung einer grünen Wirtschaft wichtige Rollen zu spielen. Die Notenbanken haben, insbesondere seit der Finanzkrise von 2007-2009, ein Mandat, Finanzstabilität sicherzustellen, und da der Klimawandel ein systemisches Risiko darstellt, müssen sie ihn in ihre prudentiellen Regelwerke einbeziehen. Sie müssen zudem ein transparenteres Offenlegungsumfeld fördern, damit Klimarisiken angemessen eingepreist werden (obwohl das leichter gesagt ist als getan). Viele Notenbanken führen bereits Klima-Stresstests durch und entwickeln zukunftsorientierte Übergangsszenarien.
Kontroverser sind die Fragen, ob und in welchem Umfang die Notenbanken bei ihren Aktienkaufprogrammen umweltfreundliche Anlegewerte begünstigen (oder schmutzige bestrafen) sollten und in welchem Umfang Eigenkapitalanforderungen an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden sollten. Sollten schmutzige Kredite einen Kapitalaufschlag aufweisen, der über Risikogesichtspunkte hinausgeht (oder sollten bei umweltfreundlichen Krediten ein Nachlass gewährt werden)? Derartige Bestimmungen würden in einer Welt, in der CO2 angemessen bepreist wird, keinen Sinn ergeben, doch von diesem Szenario sind wir noch weit entfernt.
Die Klimaziele der internationalen Gemeinschaft bleiben äußerst ehrgeizig, insbesondere für eine durch die Rivalität der Großmächte charakterisierte Welt. Es ist selten, dass Parteien mit unterschiedlichen Interessen als Team zusammenarbeiten. Kompromisse sind nötig, und “billiges Gerede” ist der erste Schritt in Richtung der Vereinbarung zu gemeinsamem Handeln.
In Zusammenarbeit mit Project Syndicate. Aus dem Englischen von Jan Doolan.
Die Abstimmung über die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) heute im EU-Parlament scheint reine Formsache. Die Mehrheiten sind klar verteilt, das Ergebnis dürfte niemanden mehr überraschen. Mit großer Sicherheit wird sich das Parlament für die Trilogvereinbarung zur GAP aussprechen – zum Unmut der SPD im EU-Parlament und der europäischen Grünen.
Die Grünen zumindest haben noch nicht aufgegeben und zogen zum Abschluss nochmal alle Register der Mobilmachung gegen die ungeliebte Reform. Sie hatten am Montag ein Web-Tool bereitgestellt, mit dem User:innen mit drei Mausklicks einen fertig verfassten Tweet mitsamt Erwähnung einer oder eines ausgewählten Abgeordneten absetzen konnten.
Folgenden automatisch generierten Tweet lasen einige Hundert mehrheitlich konservative Abgeordnete am Montag in ihrer jeweiligen Landessprache: “Sehr geehrte/r @XY, wir brauchen bessere Lebensmittel, eine bessere Landwirtschaft und eine bessere Welt. Ich fordere Sie auf, gegen die GAP abzustimmen, um unseren EU-Green-Deal zu retten!”
Ob sich die Abgeordneten doch noch einmal von den zahlreichen persönlichen Tweets haben umstimmen lassen, erfahren wir heute nach der Parlamentsdebatte um 9 Uhr. Viral gehen wollte der Hashtag #VoteThisCAPDown allerdings nicht so recht. Stattdessen in den Twittertrends in Deutschland: #HaltDieFresseBild, #wirwollenKarl und Lars Eidinger. Lukas Scheid
in Berlin sind die Koalitionäre auf den letzten Metern – und die sind bekanntlich bei jedem Gipfel die schmerzlichsten. Und heute könnte sie sich präsentieren, die Ampel-Koalition. Oder eben auch morgen oder übermorgen. Was es am Ende europapolitisch, digital und umweltpolitisch inhaltlich dazu zu sagen gibt, können wir Ihnen in dieser Ausgabe noch nicht sagen, dafür wissen wir nicht genug.
Was wir aber wissen: Wenn SPD-Parteitag, Grünenmitglieder und FDP dem Ergebnis zustimmen, wird Olaf Scholz aller Voraussicht nach am 7. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden – die Kanzlerwahl findet traditionell an einem Dienstag statt und die Nikolauswoche ist gesetzt.
Derweil wird in Straßburg die Europapolitik weiter ganz praktisch vorangetrieben: Europa muss beim Bezug von Rohstoffen unabhängiger werden. Zugleich sollen die Quellen weniger dreckig werden, Kinderarbeit und andere Formen der Ausbeutung möglichst reduziert. Beides könnte wohl der Großteil der Europaparlamentarier unterschreiben – doch beim Wie gibt es nach wie vor Meinungsverschiedenheiten. Und das hat viel mit Naturschutz in Europa zu tun, analysiert mein Kollege Timo Landenberger.
Tihange und Doel, diese beiden Namen stehen im Westen Deutschlands für potenzielle GAU-Meiler. Die Sicherheit der beiden belgischen Kernkraftwerke wird immer wieder in Zweifel gezogen. Eigentlich war die Abschaltung spätestens 2025 längst beschlossene Sache. Doch ein Teil der Regierungs-Koalition will zwei Reaktorblöcke weiterlaufen lassen – aus Umweltschutzgründen. Charlotte Wirth hat die belgische Debatte unter die Lupe genommen. In Portugal wurde unterdessen das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet.
In der Straßburg-Woche des Europaparlaments stehen natürlich auch digitale Themen wieder auf der Tagesordnung: Der Digital Services Act liegt nun etwas hinter dem Zeitplan. Dort steht erneut ein Treffen der Berichterstatter und Schattenberichterstatter an. Nach Wochen der Uneinigkeit scheint sich dabei jetzt etwas zu bewegen: Neue Vorschläge sollen die Kompromissfindung erleichtern – bei Online-Marktplätzen, personalisierter Werbung und Empfehlungssystemen, berichtet Jasmin Kohl.
Beim Digital Markets Act geht es hingegen schneller voran. So wurden gestern im federführenden Binnemarktausschuss die Kompromiss-Änderungsanträge abgestimmt, der Trilog mit Rat und Kommission soll nach der Abstimmung im Parlament Dezember Anfang des Jahres beginnen.
Und wer sich in diesen Tagen, in denen Österreich und Teile Deutschlands wieder ganz nah am oder im Lockdown sind, noch schnell etwas Weltgefühl sichern möchte: Heute endet die Registrierung für den ersten von drei Stakeholder-Events der Kommission zum TTC.
Weg von der Atomenergie oder doch nicht? Diese Frage muss die belgische Regierung zurzeit klären. Atomstrom machte 2020 rund 38 Prozent der belgischen Energieproduktion aus. Doch bereits seit 2003 ist der Atomausstieg Belgiens im Gesetz verankert. Im Koalitionsabkommen haben sich die sieben Regierungsparteien vor rund einem Jahr auf einen Ausstieg im Jahr 2025 geeinigt, “wenn die Energiesicherheit des Landes gewährleistet ist”.
Ob sie das ist, darüber streiten sich allerdings die Parteien. Während die grüne Energieministerin Tinne Van Der Straeten sich bisher im Sinne eines kompletten Ausstiegs ausgesprochen hat, halten die wallonischen Liberalen (MR) dagegen und wollen die Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 weiterhin am Netz lassen.
“Wenn Belgien die CO2-Emissionen schnell eingrenzen will, gibt es nur eine Lösung: Atomkraft”, sagt der Präsident des MR, Georges-Louis Bouchez. Ein Atomausstieg Belgiens 2025, sei unmöglich, sagte er jüngst der Zeitung Le Soir: Bouchez bevorzugt stattdessen eher ein “renouveau nucléaire” nach dem Vorbild Frankreichs (Europe.Table berichtete).
Dafür fehlt ihm innerhalb der Regierung allerdings die Unterstützung. Viel mehr nähern sich die Liberalen mit dieser Position der rechten N-VA Partei an, die auf nationaler Ebene auf der Oppositionsbank sitzt, in Flandern allerdings mitregiert. Der AKW-Betreiber Engie ist seinerseits nur dann bereit, weiter in die beiden Reaktoren von Tihange und Doel zu investieren, wenn sie hinreichende Garantien hat, dass diese auch wirklich über 2025 hinaus am Netz bleiben.
Dabei ist der erste Schritt hin zum Atomausstieg längst getan: Ende August hat die Europäische Kommission den “mécanisme de rénumération de la capacité” (CRM) Belgiens abgesegnet. Es handelt sich dabei um indirekte Staatsbeihilfen für Energieprojekte, die den Ausstieg aus der Atomkraft kompensieren und die Stabilität des Netzes garantieren sollen. Anfang November hat der Netzbetreiber Elia die ersten Aufträge für die Stromversorgung für 2025 bis 26 bekannt gegeben.
Die Instanz hat insgesamt 40 Aufträge vergeben, die meisten laufen über mehrere Jahre. Berücksichtigt wurden Gaskraftwerke, Batterietechnologien und Projekte zur Steuerung der Energienachfrage. Auf 140 Millionen Euro belaufen sich die Beihilfen im ersten Jahr, rechnete “Le Soir” nach. Zusammen haben die ausgewählten Projekte eine Produktionskapazität von rund 4,5GW. Laut Elia ließe sich der Ausfall der Kernkraft, bei einem Atomausstieg Belgiens, damit kompensieren.
Zwei der Projekte sind besonders wichtig, um die Stromversorgung Belgiens zu sichern. Es handelt sich um den Bau von zwei Gaskraftwerken, das eine in Awirs in der Wallonie, das andere in Vilvoorde in Flandern. Beide Projekte machen zusammen 36 Prozent der 4,5 GW umfassenden Produktionskapazität aus und werden ebenfalls von Engie betrieben, dem größten Energieproduzenten des Landes. Zusammen sollen die beiden Gaskraftwerke rund 1,6 GW produzieren.
Doch bereits kurz nach der Auftragsvergabe wackelt der Plan: Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA) verweigert Engie die Genehmigung für das Projekt in Vilvoorde. Sie kritisiert die hohen Stickstoffemissionen des geplanten Gaskraftwerkes. Eine Entscheidung im Sinne der Umwelt?
Das bezweifeln ihre politischen Gegner: Sie sehen in ihrer Entscheidung eher ein Plädoyer für die Kernkraft und politisches Kalkül. Für umweltfreundliche Politik ist Demir jedenfalls nicht bekannt. Erst Anfang November kritisierte sie die Klimaauflagen der EU-Kommission und plädierte dafür, dass diese für Belgien nach unten angepasst werden sollten.
Gleichzeitig sagt die aktuelle Debatte viel über die Haltung der Grünen aus, von denen sowohl die flämische wie die wallonische Partei in der Regierung sitzt. Trotz der CO₂-Emissionen von Gaskraftwerken ziehen die Grünen den Umstieg auf Gas als Übergangslösung der Atomkraft vor. Man akzeptiere dazu notfalls sogar zwei Gaskraftwerke auf wallonischem Terrain, sagte der Co-Präsident der wallonischen Partei Ecolo, Jean-Marc Nollet.
Ende November soll Energieministerin Van Der Straeten ihren Bericht vorstellen, wie Belgiens Energieversorgung ohne Atom sichergestellt werden kann und wie sich die Energiewende durch den Atomausstieg auf die Strompreise auswirken wird. Als Basis dient vor allem die Auftragsvergabe der Elia, wonach der Energieverlust der AKWs tatsächlich kompensiert werden könne. Doch auch der jüngste Bericht des Hohen Gesundheitsrates soll berücksichtigt werden.
Im Oktober hatte dieser ein Gutachten veröffentlicht, laut dem Kernenergie nicht als “nachhaltig” gelten könne: “Das Risiko von schlimmen Atomunfällen kann nicht ausgeschlossen werden, selbst bei den besten Kraftwerken nicht”, urteilte der Rat. Belgien sei zudem besonders gefährdet, da die AKWs nahe an Städten und internationalen Verkehrsachsen stünden.
24.11.-25.11.2021, online
Celsius, Conference Energy Democracy
The conference intends to clarify the question how cities can ensure that heating and cooling systems are efficient, sustainable, and democratic. INFOS & REGISTRATION
24.11.-25.11.2021, online
DVGW, Konferenz GAT WAT
Die Konferenz des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) beschäftigt sich mit der Zukunft gasförmiger Energieträger und dem Schutz von Wasserressourcen INFOS & ANMELDUNG
24.11.2021 – 09:30-12:30 Uhr, online
Eco, Seminar Hochsichere und performante Anwendungen für die Netze der Zukunft
Das Seminar des Verbands der Internetwirtschaft (Eco) geht auf aktuelle technologische Entwicklungen sowie zukünftige Trends in der Post-Corona-Zeit ein. INFOS & ANMELDUNG
25.11.-26.11.2021, Bled (Slowenien)
EC, Conference Research and innovation to deliver a just and sustainable energy transition
The European Commission (EC) conference brings together speakers, policymakers, industry, researchers, academia and the general public to focus on important energy-related topics in the new post-COVID policy realities. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 09:00 Uhr, online
EC, Conference Fit for recovery and transition: Supporting Quality of Public Administration in the European Union Member States
This conference discusses the profound challenges and opportunities public administrations are confronted with in the face of the COVID-19 pandemic and other pressing global issues. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 09:00-11:00 Uhr, online
Eco, Podiumsdiskussion Mobilität von Morgen – Wohin geht die Reise in Zukunft? Konzepte, Projekte, Trends, Geschäftsmodelle
Die Podiumsdiskussion von Eco geht der Frage nach, wie neue Monilitätskonzepte umgesetzt und ganzheitliche Lösungen vorangetrieben werden können. INFOS & ANMELDUNG
25.11.2021 – 09:00-10:00 Uhr, online
SNV, Hintergrundgespräch Die 720-Millionen Euro Strafe: Frankreichs Offensive gegen Big Tech
Das Hintergrundgespräch der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) beschäftigt sich mit den Auswirkungen der durch Frankreichs Wettbewerbsbehörde gegen Google verhängten 720-Millionen Euro Strafe auf den digitalen Wettbewerb in der EU. INFOS & ANMELDUNG
25.11.2021 – 10:00-15:30 Uhr, online
EC, Conference Energy Infrastructure Forum 2021
The conference gathers representatives of EU institutions, transmission system operators, project promoters, regulators, energy companies, civil society and the financing community to discuss the challenges of developing Europe’s energy infrastructure and building an internal energy market. INFOS & REGISTRATION
25.11.2021 – 14:00 Uhr, online
EC, Workshop Annual Digital Consumer Event
The workshop focusses on the extension of the Product Safety Pledge into a broader Consumer Law Pledge, and on future steps for ensuring more online fairness. INFOS & REGISTRATION
30.11.-02.12.2021, Mailand (Italien)
Trade Fair Enlit Europe
This Trade Fair presents current and future opportunities for the energy transition process. INFOS & REGISTRATION
Nachdem der Binnenmarktausschuss (IMCO) heute Morgen über den Kompromiss zum “Digital Markets Act” abstimmen wird (Europe.Table berichtete), scheinen sich die Verhandler:innen der Fraktionen im Europaparlament auch beim “Digital Services Act” langsam der Zielgeraden zu nähern. IMCO-Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) hat zu drei zentralen Streitpunkten neue Kompromissentwürfe ausgearbeitet, die Europe.Table vorliegen. Diese will die Dänin bei einer Verhandlungsrunde heute Nachmittag mit den Schattenberichterstatter:innen der mitverhandelnden Ausschüsse diskutieren. “Die Dinge kommen ins Rollen“, twitterte Schaldemose gestern und bat Beobachter gleichzeitig um Geduld.
Bei der personalisierten Werbung (Artikel 24), einem der größten Knackpunkte im Europaparlament (Europe.Table berichtete), folgt Schaldemose weitestgehend jenem Kompromiss, den die Verhandler:innen des “Digital Markets Act” gefunden hatten. Anstatt die umstrittene Werbe-Praxis komplett zu verbieten, soll personalisierte Werbung im Digital Services Act nur für Minderjährige vollständig verboten werden. Ihre personenbezogenen Daten dürften “nicht für kommerzielle Zwecke verarbeitet werden, die mit dem Direktmarketing, Profiling und der auf Analyse des Surfverhaltens basierende Werbung zusammenhängen”.
Personenbezogene Daten von Nutzer:innen sollen von den Online-Plattformen außerdem nicht automatisch für den Zweck der personalisierten Werbung verarbeitet werden dürfen. Mit Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung sollen die Plattformen ihren Nutzer:innen zudem “aussagekräftige Informationen” zur Verfügung stellen, darunter die Information, wie ihre Daten zur Gewinnerzielung genutzt werden. So sollen Nutzer:innen eine informierte Einwilligung geben können, bei der es nicht schwieriger oder zeitaufwendiger sein darf, die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten abzulehnen.
Auch beim Einsatz von Empfehlungssystemen auf Online-Plattformen, die den Nutzer:innen angezeigte Inhalte entsprechend individueller Präferenzen personalisieren, hat Schaldemose eingelenkt: Empfehlungssysteme sollen nicht, wie ursprünglich von ihr gefordert, nur mit einem Opt-In der Nutzer:innen angewandt werden dürfen. Sehr große Online-Plattformen sollen den Nutzer:innen aber mindestens ein alternatives Empfehlungssystem anbieten, das nicht auf Profiling basiert. Die Benutzeroberfläche soll zudem so gestaltet sein, dass Nutzer:innen die Empfehlungssysteme jederzeit an ihre Präferenzen anpassen können.
Um Empfehlungssysteme transparenter zu machen, sollen Informationen über die Hauptparameter der algorithmenbasierten Systeme in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Online-Plattformen aufgeführt werden. Außerdem sollen Nutzer:innen auf diese Informationen direkt über die Benutzeroberflächen der Plattformen zugreifen können. Laut Kompromiss des Digital Services Act gehören zu den erforderlichen Informationen “mindestens”: die Kriterien, auf deren Basis die Empfehlungen getroffen werden; die “relative Bedeutung” der Hauptparameter; die Ziele, für die das Empfehlungssystem optimiert wurde; und eine Erklärung, welche Rolle das Nutzer:innenverhalten für die Produktion von Ergebnissen der Empfehlungssysteme hat.
Schaldemoses Vorschlag, Online-Marktplätze unabhängig von ihrer Größe für den Verstoß von Verkäufer:innen aus Drittstaaten haftbar zu machen (Artikel 22), war auf starken Widerstand gestoßen. Ihr Kompromissvorschlag sieht nun vor, dass: Klein- und Kleinstunternehmen die Möglichkeit bekommen, bei der Kommission eine Ausnahmeregelung für Artikel 22 zu beantragen. Die Kommission soll daraufhin den Antrag prüfen und den europäischen Ausschuss der Digital Services Coordinators konsultieren. Die Entscheidung soll sie dann in Form eines delegierten Rechtsakts treffen. Nutzer:innen sollen von Online-Plattformen außerdem Entschädigungen verlangen können, sollten sie “Schaden oder Verlust erlitten haben, die auf einen Verstoß der Anbieter gegen die Pflichten des DSA zurückgehen”.
Noch offen sind zwei weitere Punkte: Der Rechts- und der Kulturausschuss des Europaparlaments hatten den Vorschlag einer Medienausnahme unterbreitet: Plattformen dürften dann Inhalte nicht löschen oder sperren, die redaktionell verantwortetet von Presse oder Rundfunk-, Fernseh-, Audio oder Videodiensten nach Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie Audiovisuelle Mediendienste dort verbreitet werden und mitgliedstaatlichem Recht unterfallen. Dieser Vorschlag ist auch deshalb von einiger Sprengkraft, da die Medienregulierung weitgehend Sache der Mitgliedstaaten ist – in Deutschland Sache der Länder. Ohne eine solche Ausnahme könnte der Digital Services Act hier die EU-Kompetenzen überschreiten, wenn auch Medien-Inhalte auf Plattformen dem Moderationsregime unterliegen würden.
Die Fraktion der Grünen/EFA hat zudem einen weiteren Vorschlag unterbreitet, der nun kommen könnte: Plattformen mit überwiegend nutzergenerierten pornografischen Inhalten sollen besondere Sorgfaltspflichten auferlegt bekommen. Nutzer:innen, die Inhalte dort verbreiten, sollen eine Zwei-Faktor-Authentifizierung durchlaufen und sowohl eine geprüfte E-Mail-Adresse als auch eine verifizierte Mobilnummer hinterlegen müssen. Zudem sollen die Anbieter:innen spezielle Verfahren einhalten, um bei Beschwerden von illegaler Verbreitung Betroffener ein Prüfverfahren einzuleiten und spätestens nach 48 Stunden eine Entscheidung zu treffen.
Auf Anfrage von Europe.Table zeigte sich Berichterstatterin Schaldemose zuversichtlich, dass ihre neuen Vorschläge zum Digital Services Act die Verhandlungen auf die Zielgerade führen: “Ich bin hoffnungsvoll, dass wir zu den wichtigsten Themen eine Einigung in der heutigen Sitzung finden.” Sollte das gelingen, könne die finale Abstimmung im Binnenmarktauschuss wie geplant am 9. Dezember stattfinden. Das Plenum könne dann im Januar die Position für den Trilog mit dem Rat beschließen.
Auch andere Stimmen aus dem EP rechnen mit einer deutlichen Annäherung der Verhandler:innen in der heutigen Sitzung. Die Feinheiten würden noch in drei technischen Verhandlungsrunden bis zum 30.11. ausgearbeitet werden, heißt es. Mit Falk Steiner
Rohstoffe stehen am Beginn jeder Wertschöpfungskette und sind für den Industriestandort Europa von entscheidender Bedeutung. Dabei ist Europa keine rohstoffarme Region. Dennoch wächst die Liste der sogenannten kritischen Rohstoffe, also all jener, deren Versorgungsrisiko laut EU-Kommission besonders hoch ist, von Jahr zu Jahr an. Zählte die Brüsseler Behörde im Jahr 2011 noch 14 Mineralien auf, sind es inzwischen 30, Tendenz steigend, weshalb bereits vor wachsenden Abhängigkeiten gewarnt wird.
Hauptgrund für die erhöhte Alarmbereitschaft ist neben der Digitalisierung die Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen. Die grüne Transformation der Wirtschaft führt zu einem deutlich steigenden Bedarf an Ressourcen, die größtenteils aus Drittländern stammen. Allein für die Batterien von Elektrofahrzeugen und zur Energiespeicherung wird Europa laut Kommission bis 2030 bis zu 18 Mal und bis 2050 bis zu 60 Mal mehr Lithium benötigen, weshalb das Metall erstmals in die Liste der kritischen Rohstoffe aufgenommen wurde.
Regelmäßig auf der Liste vertreten sind auch Seltene Erden, die als Bestandteil von Permanentmagneten eine wichtige Rolle spielen. Die Magnete kommen in Laptops und Smartphones zum Einsatz, aber auch in Windkraftturbinen oder in Motoren von Elektroautos. Letztere kommen dadurch mit weniger Batterieleistung aus als mit gewöhnlichen Magneten – die Reichweite steigt. Bei Seltenen Erden ist die Importabhängigkeit jedoch besonders hoch. Die EU bezieht 98 Prozent ihres Bedarfs aus China. Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič warnt: “Wir können es uns nicht erlauben, unsere derzeitige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gegen eine Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen einzutauschen.”
Im Rahmen ihrer Industriestrategie hat die Kommission deshalb bereits einen Aktionsplan für kritische Rohstoffe vorgelegt und die European Raw Materials Alliance (ERMA) ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Kreislaufwirtschaft bei kritischen Rohstoffen zu stärken, die Beschaffung aus Drittländern zu diversifizieren sowie europäische Lieferketten aufzubauen.
Heute wird auch das Europäische Parlament über seine Position zur Rohstoff-Strategie der Kommission abstimmen. Der Druck, schnell zu handeln, sei groß, sagt Berichterstatterin Hildegard Bentele (CDU). Die Europaabgeordnete begrüßt den Vorstoß der Kommission, verstärkt auf die Förderung der eigenen Rohstoff-Vorkommen in Europa zu setzen. Die Behörde legt ihren Schwerpunkt dabei auf Kohlebergbauregionen mit besonderem Augenmerk auf dort vorhandenes Fachwissen und Kompetenzen, die für den Abbau, die Förderung und die Verarbeitung von Rohstoffen relevant sind.
“Aber die Vorkommen sind nun einmal dort, wo sie sind. Deshalb sollte der Abbau unter Einhaltung der EU-Umwelt- und Sozialstandards auch in Naturschutzgebieten möglich sein”, fordert Bentele. In Europa geben es relevante Lithium-Vorkommen beispielsweise am Oberrhein und im Erzgebirge. Der Punkt ist im EU-Parlament umstritten.
“Rohstoffgewinnung in Naturschutzgebieten führt EU-Umweltschutz im Rahmen des Green Deals ad absurdum”, sagte die industriepolitische Sprecherin der Grünen, Henrike Hahn, am Montagabend in der Plenardebatte. “Die benötigten Mengen von kritischen Rohstoffen für die grüne Transformation in Europa werden oft übertrieben und gehen von falschen Grundannahmen aus.”
Sarah Hillmann, Fachreferentin für Rohstoffe beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), hingegen ist überzeugt: Energiewende, Elektromobilität und weitere Klimaschutz-Maßnahmen werden die Nachfrage der Industrie nach kritischen Rohstoffen signifikant erhöhen. Die Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, sei von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft und eine Stärkung der heimischen Rohstoffförderung richtig.
Das allein könne den steigenden Bedarf jedoch nicht decken, weshalb der BDI bei der Rohstoff-Sicherung ein Drei-Säulen-Modell verfolgt. Dazu gehört neben der Stärkung der Kreislaufwirtschaft auch der Aufruf an die Unternehmen, perspektivischer zu denken, und Rohstoffe vermehrt einzulagern, um etwaigen Lieferengpässen entgegenzuwirken. Dies sollte durch steuerliche Anreize gefördert werden, so Hillmann.
“Wir müssen unsere Prioritäten überdenken, weg von der Primär-Rohstoff-Förderung hin zu einer stärkeren Kreislaufwirtschaft”, fordert Johanna Sydow von der Umweltorganisation Germanwatch und ergänzt: “Kein Bergbau in Schutzgebieten”. Schließlich sei dieser immer mit irreversiblen ökologischen Schäden verbunden. Stattdessen müsse verstärkt auf den Ausbau der Nutzungszyklen sowie auf besseres Recycling gesetzt werden. Ein Smartphone beinhalte ungefähr 30 Rohstoffe. Davon würden aber nur zwei bis drei wiedergewonnen.
Tatsächlich ist die Stärkung der Kreislaufwirtschaft Bestandteil der EU-Rohstoffstrategie. “Die Kommission prüft auch, ob die Rechtsvorschriften für die Kreislaufwirtschaft Bestimmungen über Sekundärrohstoffe enthalten sollten”, teilt eine Kommissionssprecherin mit.
Hildegard Bentele gibt zu bedenken: “Diese Effekte werden aber erst langfristig eintreten. Ein Sekundär-Rohstoffmarkt wird mindestens noch zehn bis 15 Jahre dauern und wird Investitionen erfordern. Erst einmal wird es bei einem starken Mehrbedarf bleiben und den müssen wir angehen.”
Der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments hat mit breiter Mehrheit die Kompromissvorschläge der Berichterstatter zum Digital Markets Act (DMA) angenommen. Der daraus resultierende Gesetzesvorschlag wird heute Morgen final im Ausschuss abgestimmt, was aber als Formsache gilt. Anschließend soll das Parlamentsplenum Mitte Dezember den Weg für die Trilogverhandlung freimachen.
Ein Anfang sei der Digital Markets Act, so IMCO-Berichterstatter Andreas Schwab (CDU/EVP): “Es ist der erste Schritt, um einen neuen rechtlichen Rahmen für Gatekeeper auf der Grundlage der Regeln der sozialen Marktwirtschaft zu schaffen.” Die EU stehe für “fairen Wettbewerb in der Sache, aber wir wollen nicht, dass größere Unternehmen immer größer werden, ohne dabei besser zu werden.“
Die Schattenberichterstatterin der Sozialdemokraten, Evelyne Gebhardt, rechnet vor der Abstimmung mit breiter Zustimmung in ihrer Fraktion. “Wir haben einiges erreicht, etwa ein de-facto-Verbot von personalisierter Werbung für Minderjährige“, sagte sie Europe.Table. Auf Druck der Sozialdemokraten sei auch die Vorgabe in die Parlamentsposition aufgenommen worden, wonach Gatekeeper-Plattformen Interoperabilität für ihre Messengerdienste und sozialen Netzwerke gewährleisten müssen.
Konfliktlinien zum Rat in den anstehenden Trilog-Verhandlungen sieht Gebhardt etwa beim Anwendungsbereich des Digital Markets Act (Europe.Table berichtete), den das Parlament etwas enger fasst als die Mitgliedsstaaten. Zudem habe sich der Rat bislang nicht zu einer Beschränkung personalisierter Werbung positioniert. Das Gleiche gelte für ein breit gefasstes Verbot der Selbstbevorzugung der Gatekeeper.
Grundsätzlich richtig, aber auch mit Kritik versehen schaut die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn auf den Kompromiss: “Die Formulierungen zu zielgerichteter Werbung und Interoperabilität schaffen erstmal mehr Fragezeichen, anstatt Antworten für bestehende Probleme zu liefern.” Die Vorgaben zum Schutz Minderjähriger seien ebenfalls gut gemeint, so Hahn. Der Vorschlag im Kompromisstext des Digital Markets Act sei allerdings “unausgereift und zu unklar.”
Der Linken-MdEP Martin Schirdewan hätte gerne noch striktere Regeln für mehr Unternehmen gesehen, unter anderem ein Verbot personalisierter Werbung. Er zeigte sich aber zufrieden, dass unter anderem Interoperabilitäts-Vorschriften für Messenger-Dienste in die Parlamentsposition Einzug gehalten hätten. tho/fst
Portugal hat am vergangenen Wochenende sein letztes am Netz verbliebenes Kohlekraftwerk abgeschaltet. Es ist damit das vierte EU-Land, das sich von dieser schadstoffausstoßreichen Art der Elektrizitätserzeugung verabschiedet hat. Nach Österreich ist es zudem erst der zweite Mitgliedstaat, der zugleich keine Kernkraftwerke betreibt.
Laut der Umweltorganisation Zero war das Pego-Kohlekraftwerk mit 628 Megawatt Nennleistung am Ufer des Tejo der zweitgrößte CO₂-Emittent Portugals. Portugal will bis 2030 den vollständigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vollzogen haben. Bereits im Januar ging das Kohlekraftwerk Sines vom Netz (Nennleistung 1.296 MW).
Bereits heute wird in Portugal 60 bis 70 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energien erzeugt. Allerdings ist das Land bislang noch stark vom Import fossiler Brennstoffe abhängig.
Das dem Unternehmen Tejo Energia gehörende Pego-Kraftwerk könnte nun auf Holzpellet-Verbrennung umgestellt werden, befürchten Umweltschützer. “Auf Kohle zu verzichten, nur um dann auf den nächst-schlechtesten Energieträger zu wechseln ist eindeutig nicht die Antwort”, so Francisco Ferreira, Präsident von Zero. rtr
Der potenzielle Lithium-Förderer Vulcan Energy hat einen zweiten Vertrag mit dem französischen Autobauer Renault abgeschlossen. Renault solle ab 2026 über sechs Jahre 26.000 bis 32.000 Tonnen Lithium von dem Start-up beziehen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Der Rohstoff wird vom Autohersteller für E-Auto-Batterien benötigt. Im August war ein erster Vertrag im Volumen von bis zu 17.000 Tonnen geschlossen worden. Die deutsche Tochter des australischen Unternehmens, Vulcan Energie, will den Rohstoff aus Thermalwasser im Oberrheingraben gewinnen. Durch die gleichzeitige Nutzung der Wärme des aus der Tiefe geförderten Wassers soll das Lithium CO₂-neutral sein.
Doch das Projekt stößt auf Hürden: Vergangene Woche hatte Vulcan Energy mitgeteilt, den Genehmigungsprozess auszusetzen, um die Bevölkerung vor Ort zu überzeugen. Die finale Machbarkeitsstudie ist bisher für Mitte nächsten Jahres geplant. Vulcan erklärte, der Zeitplan könne weiterhin eingehalten werden. Laut einem Bericht der “Badischen Neuesten Nachrichten” von Anfang Oktober lehnte etwa der Gemeinderat Rheinmünster Probebohrungen ab – wegen Bedenken über Erdbeben, die ausgelöst werden könnten, und über die Trinkwasserversorgung.
Vor einigen Wochen sorgte zudem ein Bericht des Leerverkäufers J Capital für Wirbel an der Börse in Australien. Der Terminhändler zog das Vorhaben in Zweifel, nicht nur wegen des zu erwartenden Widerstands der Bevölkerung gegen die Anlagen, sondern auch wegen angeblich falscher Aussagen zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Vulcan wies den Bericht zurück und will rechtlich gegen ihn vorgehen.
Neben Renault hat die Firma aus Karlsruhe auch den Opel-Mutterkonzern Stellantis, den belgischen Recycling-Spezialisten Umicore und den koreanischen Batteriehersteller LG Chem als Kunden gewonnen. rtr
“Blah, blah, blah.” – so beschrieb die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg die diesjährige Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26), bevor diese noch begonnen hatte. In gewisser Hinsicht hatte sie recht. Reden ist billig, wann immer es internationalen Übereineinkünften an wirksamen Mechanismen fehlt, um Zusagen zu verifizieren und durchzusetzen. Zusammenkünften wie der COP26 fehlt es häufig an Glaubwürdigkeit, selbst wenn sie als “letzte Chance” präsentiert werden, das Ende der Welt, wie wir sie kennen, zu verhindern. Trotzdem tragen derartige Konferenzen dazu bei, für das Problem und seine potenziellen Lösungen zu sensibilisieren, und das ist besser als die Wissenschaftsverleugnung früherer Jahre.
Zwar scheint die auf der COP26 produzierte Abschlussvereinbarung schwach, wenn man bedenkt, dass das Ziel, die globale Erwärmung unter 1,5 ºC zu halten, jetzt kaum noch erreichbar ist. Statt von einem “schrittweisen Ausstieg aus der Kohle” (phase-out) ist nun von einem “schrittweisen Abbau” (phase-down) die Rede – eine entscheidende Änderung, die auf Beharren Indiens (und mit Chinas Einverständnis) eingefügt wurde. Während “ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger” weiterhin “abgeschafft” werden sollen, wird damit impliziert, dass “effiziente” Subventionen für derartige Energieträger eine Option bleiben.
Doch erinnern wir uns: Reden ist billig. Angesichts von Indiens starker Abhängigkeit von der Kohle ist es womöglich besser, dass es sich zum Ziel gemacht hat, seine Emissionen bis 2070 auf netto null zu reduzieren, statt eine Zusage für die “Mitte des Jahrhunderts” abzugeben, die einzuhalten es nicht die Absicht hat.
Allgemeiner gesagt gibt es zwei wichtige Hindernisse dafür, die erklärten Klimaziele der Welt zu erreichen. Das erste ist geopolitischer Art; ein Beispiel dafür ist Russlands Nutzung des Erdgases als strategisches Instrument, um in Europa Uneinigkeit zwischen jenen zu schaffen, die die Kernkraft als Übergangstechnologie einsetzen (Frankreich), und jenen, die Erdgas nutzen (Deutschland). Sogar noch wichtiger sind bedeutende Rivalitäten wie die zwischen den USA und China. Hier gibt es eine gute Nachricht: Die COP26 scheint die beiden weltgrößten Verschmutzer zu der Erklärung bewegt zu haben, dass sie zur Bekämpfung des Klimawandels zusammenarbeiten werden. (Ob dies mehr als bloß “blah, blah, blah” ist, werden wir wissen, falls und wenn die bilateralen militärischen Spannungen steigen.)
Das zweite große Hindernis ist Uneinigkeit darüber, wie man die weniger entwickelten Länder dafür entschädigen soll, dass sie auf CO2-intensive Technologien verzichten oder diese aufgeben. Die Frage ist nicht nur, wer dabei die Rechnung zahlt, sondern auch, wie die Gelder vergeben werden sollten. Die Geschichte der Entwicklungshilfe ist nicht besonders ermutigend. Und obwohl inzwischen feststeht, dass ein weltweiter CO2-Preis erforderlich ist, um der negativen Externalität zu begegnen, die die Treibhausgas-Emissionen repräsentieren, ist die Umsetzung eines derartigen Systems schwierig. Die CO2-Märkte sind nach wie vor weitgehend unterentwickelt.
Die von fast 200 Ländern auf der COP26 verabschiedete Vereinbarung erlaubt es Ländern, ihre Klimaziele zu erreichen, indem sie Ausgleichsgutschriften kaufen, die die von anderen erzielten Emissionssenkungen repräsentieren. Dieses System wird mehr Klarheit schaffen, aber es lässt sich leicht manipulieren. Schlimmer noch: Es gestattet es Ländern, die seit 2013 registrierten, im Rahmen des Kyoto-Protokolls geschaffenen CO2-Gutschriften vorzutragen. Dies bereitet potenziell einer Überschwemmung des Emissionsmarktes und einem künstlich niedrigen CO2-Preis den Boden.
Die COP26-Vereinbarung ermutigt zudem die öffentlichen und privaten Sektoren, mehr Geld für den Klimaschutz zu mobilisieren und Innovationen in umweltfreundliche Technologien zu fördern. Ein vielversprechendes Modell ist dabei die Operation Warp Speed, die öffentlich-private Partnerschaft in den USA, die die äußerst rasche Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen möglich gemacht hat.
Die Rolle des Finanzsektors wird bei der Umschichtung von Ressourcen von schmutzigen hin zu umweltfreundlichen Technologien entscheidend sein. Vermögensverwalter und Finanzmittler mögen aus reinem Selbstinteresse handeln, wenn sie sich von schmutzigen Kapitalanlagen trennen, die sie inzwischen als zu riskant betrachten (sei es aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels oder der Umstellungen, die sie obsolet machen werden). Alternativ veräußern sie diese Anlagen womöglich auf Weisung anderer, die umweltfreundlichere Investments bevorzugen oder einen längeren Zeithorizont haben, innerhalb dessen sie Klimaprobleme internalisieren. Universelle Eigentümer wie etwa große Rentenfonds beispielsweise sind sich zunehmend der vom Klimawandel ausgehenden systemischen Risiken bewusst.
So oder so ist der Finanzsektor nun dabei, koordiniert auf eine engere Abstimmung mit der globalen Klima-Agenda hinzuarbeiten. Dies zeigt sich etwa an neuen Initiativen wie der Glasgow Financial Alliance for Net Zero, deren Vorsitzender der frühere britsche Notenbankchef Mark Carney ist. Es wird immer deutlicher, dass die von den Finanzmittlern unterstützen freiwilligen Mandate für eine nachhaltige Finanzwirtschaft erheblich stringenter sein müssen als sie das heute sind.
Der Umweltaktivismus von Aktionären mag eine stärkere Offenlegung bestehender Klimarisiken oder sogar direkte Veräußerungen erzwingen, doch wird es vermutlich einer obligatorischen Offenlegung im Rahmen eines klaren Regelwerks bedürfen, um “Greenwashing” im Zaum zu halten. Das neue International Sustainability Standards Board ist diesbezüglich eine begrüßenswerte Entwicklung.
Und schließlich haben auch die Finanzregulierung und die Notenbankpolitik bei der Förderung einer grünen Wirtschaft wichtige Rollen zu spielen. Die Notenbanken haben, insbesondere seit der Finanzkrise von 2007-2009, ein Mandat, Finanzstabilität sicherzustellen, und da der Klimawandel ein systemisches Risiko darstellt, müssen sie ihn in ihre prudentiellen Regelwerke einbeziehen. Sie müssen zudem ein transparenteres Offenlegungsumfeld fördern, damit Klimarisiken angemessen eingepreist werden (obwohl das leichter gesagt ist als getan). Viele Notenbanken führen bereits Klima-Stresstests durch und entwickeln zukunftsorientierte Übergangsszenarien.
Kontroverser sind die Fragen, ob und in welchem Umfang die Notenbanken bei ihren Aktienkaufprogrammen umweltfreundliche Anlegewerte begünstigen (oder schmutzige bestrafen) sollten und in welchem Umfang Eigenkapitalanforderungen an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden sollten. Sollten schmutzige Kredite einen Kapitalaufschlag aufweisen, der über Risikogesichtspunkte hinausgeht (oder sollten bei umweltfreundlichen Krediten ein Nachlass gewährt werden)? Derartige Bestimmungen würden in einer Welt, in der CO2 angemessen bepreist wird, keinen Sinn ergeben, doch von diesem Szenario sind wir noch weit entfernt.
Die Klimaziele der internationalen Gemeinschaft bleiben äußerst ehrgeizig, insbesondere für eine durch die Rivalität der Großmächte charakterisierte Welt. Es ist selten, dass Parteien mit unterschiedlichen Interessen als Team zusammenarbeiten. Kompromisse sind nötig, und “billiges Gerede” ist der erste Schritt in Richtung der Vereinbarung zu gemeinsamem Handeln.
In Zusammenarbeit mit Project Syndicate. Aus dem Englischen von Jan Doolan.
Die Abstimmung über die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) heute im EU-Parlament scheint reine Formsache. Die Mehrheiten sind klar verteilt, das Ergebnis dürfte niemanden mehr überraschen. Mit großer Sicherheit wird sich das Parlament für die Trilogvereinbarung zur GAP aussprechen – zum Unmut der SPD im EU-Parlament und der europäischen Grünen.
Die Grünen zumindest haben noch nicht aufgegeben und zogen zum Abschluss nochmal alle Register der Mobilmachung gegen die ungeliebte Reform. Sie hatten am Montag ein Web-Tool bereitgestellt, mit dem User:innen mit drei Mausklicks einen fertig verfassten Tweet mitsamt Erwähnung einer oder eines ausgewählten Abgeordneten absetzen konnten.
Folgenden automatisch generierten Tweet lasen einige Hundert mehrheitlich konservative Abgeordnete am Montag in ihrer jeweiligen Landessprache: “Sehr geehrte/r @XY, wir brauchen bessere Lebensmittel, eine bessere Landwirtschaft und eine bessere Welt. Ich fordere Sie auf, gegen die GAP abzustimmen, um unseren EU-Green-Deal zu retten!”
Ob sich die Abgeordneten doch noch einmal von den zahlreichen persönlichen Tweets haben umstimmen lassen, erfahren wir heute nach der Parlamentsdebatte um 9 Uhr. Viral gehen wollte der Hashtag #VoteThisCAPDown allerdings nicht so recht. Stattdessen in den Twittertrends in Deutschland: #HaltDieFresseBild, #wirwollenKarl und Lars Eidinger. Lukas Scheid