“Sensible Gas-Infrastruktur in Deutschland in die Hände von Gazprom zu legen, war keine kluge Politik”, sagt Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament, mit Blick auf die explodierenden Energiepreise und die historisch leeren Gasspeicher. Deutschland und die EU wollen sich künftig besser aufstellen. Timo Landenberger analysiert, inwiefern strategische Gasreserven oder Vorgaben zur Mindestspeicherung eine Lösung sein können.
Dass die Grünen im EU-Parlament dem Taxonomie-Entwurf der Kommission ablehnend gegenüberstehen, ist keine große Überraschung. Doch mittlerweile regt sich fraktionsübergreifend Widerstand. Über den Brief einiger EVP-Abgeordneter an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie “starke Bedenken” an dem Entwurf äußern, haben wir bereits berichtet. Auch die Unzufriedenheit bei den Sozialdemokraten von S&D ist groß, und aus der Renew-Fraktion kommt ebenfalls deutliche Kritik. Lukas Scheid fasst die Stimmung im Parlament zusammen.
Die Bundesregierung will den Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorantreiben, bei der Windkraft ist ein 2-Prozent-Ziel für die Bundesländer vorgesehen. Doch Windkraftanlagen können zur Gefahr für Tiere werden. Unklare Vorgaben für den Schutz etwa von Rotmilan und Fischadler erschweren den Ausbau der Windenergie. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel darum festgelegt, sich für Klärung und Rechtssicherheit einsetzen zu wollen – auch auf EU-Ebene. Doch Änderungen im EU-Naturschutzrecht hätten laut Parlamentariern erst mal wenig Chancen, berichtet Manuel Berkel. Allerdings gebe es Spielräume.
Der liberalisierte Europäische Gasmarkt durchlebt eine Bestandsprüfung: Seit Wochen leiden Verbraucher und Industrie gleichermaßen unter Preisen auf Rekordniveau, ein Ende ist nicht in Sicht. Etliche Gas-Discounter gingen bereits bankrott, da sie die Preisdifferenz zwischen Spotmarkt und ihren Langzeit-Verträgen nicht mehr aufbringen konnten. Die Gasspeicher sind auf einem historisch niedrigen Füllstand und die eisige Stimmung zwischen dem Westen und seinem wichtigsten Energielieferanten Russland gibt zusätzlich Anlass zur Sorge.
Die Europäische Union deckt rund ein Drittel ihres Bedarfs mit Gas aus Russland, Deutschland sogar etwa die Hälfte. Ein Teil davon wird dauerhaft über Langzeitverträge abgesichert, der Rest über den sogenannten Spotmarkt kurzfristig eingekauft, um flexibel zu bleiben. Doch eben diese zusätzlichen Mengen bleiben seit Herbst vergangenen Jahres aus.
Zwar nahm die derzeitige Krise bereits im Sommer ihren Anfang. Die konjunkturelle Erholung nach den coronabedingten Einschnitten trieb die globale Nachfrage nach fossilen Energieträgern nach oben, Lieferungen nach Europa fielen geringer aus. Die Preise stiegen.
Dennoch: Einem Bericht des Oxford-Instituts for Energy Studies zufolge kam der eigentliche Schock für den Markt erst im vierten Quartal des Jahres, als die Gasströme aus Russland über die nördliche Jamal-Europa-Route drastisch auf weniger als ein Drittel des normalen Niveaus zurückgingen.
Auch Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), gibt Russland die Schuld an Europas Energiekrise. Er warf dem Land vor, die Gaslieferungen nach Europa zu einer Zeit “erhöhter geopolitischer Spannungen” zu drosseln. Das deute darauf hin, dass Moskau eine Energiekrise für politische Zwecke provoziert habe.
“Es kann eigentlich nicht sein, dass Russland nach einem Dreivierteljahr Gaskrise nicht in der Lage ist, mehr zu liefern, wenn sie das wollten”, sagt Christian Egenhofer, Energie-Experte beim Centre for European Policy Studies in Brüssel (CEPS). Die einzige glaubhafte Begründung sei eine geopolitische Motivation.
Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik hingegen sieht hier nur einen geringen Zusammenhang. Zwar liege der Bezug nahe. Der russische Energiekonzern Gazprom sei aber nicht nur ein Instrument des Kremls. “Es ist auch ein Unternehmen, dass sich in einem durch die Kriterien der Marktwirtschaft bestimmten Umfeld bewegt.”
Gazprom nutze geschickt gewisse Mechanismen, die die Europäer durch die Liberalisierung des Gasmarktes selbst eingeführt hätten. “Das ist eine Weile gut gegangen, weil die Spotmarkt-Preise niedriger lagen als die langfristigen Verträge, und da musste Gazprom die Verträge anpassen. Jetzt wendet sich das Blatt und der Konzern hat natürlich ein Interesse daran, dass die Preise hoch bleiben.”
Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament, sieht das anders: “Gazprom kann sich verkleiden, wie immer es gefällt. Das Unternehmen bleibt aber ein geopolitisches Instrument in der Hand des Kremls. Sensible Gas-Infrastruktur in Deutschland in die Hände von Gazprom zu legen, war keine kluge Politik”.
Womit der Europaabgeordnete auch auf die Gasspeicherung anspielt. So gehört, neben einigen weiteren, der größte Gasspeicher Europas der Gazprom-Tochter Astora. Die riesige Anlage unter Tage befindet sich im niedersächsischen Rehen, umfasst beinahe 20 Prozent der gesamten Gasspeicher-Kapazität Deutschlands und ist bereits seit Herbst vergangenen Jahres praktisch leer.
Doch auch hierfür kann es marktwirtschaftliche Gründe geben. Schließlich sind die weiteren 46 Gasspeicher in Deutschland derzeit ebenfalls nur zu durchschnittlich etwa 40 Prozent gefüllt und damit historisch leer. Schon vor Beginn des Winters betrug der Füllstand nur 76 Prozent im Vergleich zu 95 Prozent im Jahr zuvor.
Die Speicher sind infolge der Liberalisierung des Gasmarktes weitestgehend politisch dereguliert. Und für die privatwirtschaftlichen Betreiber gab es aufgrund der hohen Preise im Sommer keinen Anreiz, die Speicher zu füllen. Dennoch sei die Gasversorgung in Deutschland sicher, betont eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Deutschland hat EU-weit die höchste Speicherkapazität, gefolgt von Italien und den Niederlanden. “Die niedrigen Gasspeicherstände müssen genau beobachtet werden”, sagt Nicola Beer (FDP), Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Handlungsbedarf könne nicht ausgeschlossen werden, denn Erdgas komme als Übergangsenergie eine Schlüsselrolle zu.
Kurzfristig sei die einfachste Lösung, Verpflichtungen zur Mindestspeicherung für die Mitgliedsstaaten einzuführen, sagt Christian Egenhofer. Das könne über staatliche Gasreserven, ordnungspolitische Vorgaben an die Unternehmen oder auch privatwirtschaftlich gelöst werden, indem beispielsweise die Kosten für die Speicherung auf die Gasrechnung umgelegt werden können.
Im Durchschnitt seien die Speicher vor dem Winter zu etwa 85 Prozent gefüllt. “90 Prozent wären sicher besser”, so der CEPS-Experte. “Also vier bis fünf Prozent im Vergleich zum Durchschnitt, die durch öffentliche Gelder oder Vorgaben abgedeckt würden. Wir reden hier nicht über gigantische Summen. Die Preise wären immer noch hoch, aber die Situation würde dadurch etwas abgemildert.”
Auch Jacopo Pepe hält Vorgaben zur Mindestfüllmenge, die die Betreiber bereithalten müssen, für eine mögliche Zwischenlösung. Die privaten Gasspeicher seien aber nicht zur strategischen Reserve gedacht. Pepe plädiert deshalb dafür, zusätzlich auch eine staatliche Reserve einzuführen.
“Es sollten Mindest-Speichermengen verfügbar sein und somit auch nationale, staatliche Gasreserven angegangen werden”, sagt Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Damit würde auch dem Charakter der Energieversorgung als Teil der Daseinsvorsorge Rechnung getragen werden.
Die Bundesregierung hatte bereits angekündigt, die Möglichkeiten hinsichtlich Mindestfüllmengen und strategischen Reserven prüfen zu wollen. Auch beim jüngsten Treffen der EU-Energieminister sprachen sich die Teilnehmer für eine “optimierte Nutzung der europäischen Speicherkapazitäten” sowie “mehr gegenseitige Solidarität” aus.
Dem will auch die Europäische Kommission mit ihrem Gasmarkt-Paket, das im Dezember vorgestellt wurde, gerecht werden. Ziel sei es, die Gasspeicherung effizienter zu gestalten und die Speicherung innerhalb der EU besser zu koordinieren, so ein Kommissionssprecher. Die Vorschläge ermöglichen es den Mitgliedstaaten auch, strategische Gasreserven aufzubauen, indem sie gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten, die dies wünschen, Gas kaufen.
Dass die Grünen im Europaparlament die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft in die EU-Taxonomie ablehnen, ist wenig überraschend. Dort ist man sich schon länger einig, dass weder Gas noch Atomstrom das Label einer nachhaltigen Energiequelle verdient haben. Inzwischen wird aber auch in anderen Fraktionen die Kritik lauter. Viele Abgeordnete verlangen von der EU-Kommission Änderungen an ihrem Vorschlag. Selbst eine Mehrheit gegen den Rechtsakt gilt nicht mehr als ausgeschlossen.
Bei den Sozialdemokraten gebe es zwar länderspezifische Sichtweisen, sagt Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten zu Europe.Table. Die Unzufriedenheit sei aber weit verbreitet: “Die wesentliche Sorge ist, dass mit dieser nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten politischen Einstufung die Taxonomie in ihrer Substanz gefährdet wird”. Die Taxonomie würde somit keine Orientierungsfunktion auf den Kapitalmärkten mehr bieten, befürchtet Schuster.
Die S&D-Fraktion schlägt daher vor, Atomkraft und Gas unter strengen Kriterien und als Übergangstechnologien in einer dritten Kategorie aufzuführen. Diese würde jedoch nicht als nachhaltig eingestuft werden. “Wenn die EU-Kommission dem nicht folgt, wird ein großer Teil der S&D dem Vorschlag der Kommission widersprechen”, sagt Schuster. Aus den Reihen der liberalen Renew-Fraktion und der christlich-konservativen EVP höre er ähnliches.
Und tatsächlich: Peter Liese, umweltpolitische Sprecher der EVP, erklärte kürzlich im rbb Inforadio, er sei sich jeden Tag sicherer, dass der Vorschlag so auf keinen Fall angenommen werde. Möglicherweise werde er auch komplett abgelehnt. Liese sagte, es habe viele Diskussionen mit Vertretern aller Fraktionen gegeben, in denen eine “große Mehrheit” gesagt habe, sie sehe das sehr kritisch.
Problematisch sei, dass nicht nur moderne Kernkraftwerke taxonomiekonform wären, sondern auch nachgerüstete alte Meiler. Zwar gebe es Vorgaben für die Nachrüstung, aber er glaube nicht, dass diese Kraftwerke überhaupt sicher gemacht werden könnten, so Liese. Zudem werde kritisiert, dass Baugenehmigungen für neue Kernkraftwerke auch 2045 noch erteilt werden könnten und die Entsorgung des Atommülls erst 2050 geregelt werden müsse, obwohl die Kernenergie laut Kommission nur Übergangstechnologie sein soll.
Einige EVP-Abgeordnete hatten vergangene Woche in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen “starke Bedenken” an dem Entwurf geäußert (Europe.Table berichtete). Nun haben sie laut Peter Liese zudem mehr Zeit für die Prüfung des Kommissions-Entwurfs gefordert. Er hielte es für das Beste, den delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Erdgas und Kernenergie in die EU-Taxonomie-Verordnung ganz einzustampfen.
Auch aus der Renew-Fraktion kommen ablehnende Töne gegen den Kommissionsentwurf. Allerdings richten die sich eher gegen den gesetzgeberischen Ablauf. Nach Ansicht von EP-Vizepräsidentin Nicola Beer (FDP) wäre es besser gewesen, anstelle eines delegierten Rechtsaktes ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren anzustoßen und damit zu ermöglichen, Änderungen einzubringen. “Ich hätte einige Änderungsanträge. Aber so können wir den Text nur in Gänze annehmen oder ablehnen, das wird der politischen Komplexität nicht gerecht”, so Beer. Nun stehe man vor einem Dilemma: “Wenn wir den delegierten Rechtsakt zurückweisen, ist nichts gewonnen. Dann fehlt uns der benötigte Referenzrahmen und wir stehen bei der nötigen grünen Transformation mit leeren Händen da”.
Dass die Kommission ihren Entwurf aufgrund der teils deutlichen Kritik aus Mitgliedstaaten, anderen EU-Gremien oder der Wissenschaft (Europe.Table berichtete) anpassen wird, gilt als fraglich. Die zuständige Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness hat eine grundlegende Überarbeitung der EU-Einstufungen für nachhaltige Energie mittlerweile sogar ausgeschlossen. An der ein oder anderen Stelle könne der Vorschlag zwar nachgebessert und somit einige Einwände berücksichtigt werden, sagte McGuinness der “FAZ”. “Aber wir haben tatsächlich nur begrenzten Spielraum.”
Bei Investoren stoßen die Kommissionspläne auf ein geteiltes Echo. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 16 Fonds, die zusammen rund sechs Billionen Euro an Vermögenswerten managen, gaben fünf an, dass Gas und Atomkraft keine nachhaltigen Energiequellen seien. Vier stuften nur eine der beiden Energiequellen als nachhaltig ein. Fünf wiederum betrachteten sowohl Gas als auch Atomkraft unter bestimmten Voraussetzungen als “grün”. In Deutschland hatte sich die Fondsbranche zuletzt ebenfalls kritisch geäußert. Mit Timo Landenberger und rtr
28.01.2022 – 09:00-11:30 Uhr, online
Panel Discussion Fit for 55: Accelerating the Energy Transition and the Re-industrialization of Europe
The Global Annual Energy Meeting will consider social, economic, and geopolitical impacts of the EU’s climate policy and the Fit for 55 package. INFOS & REGISTRATION
28.01.2022 – 10:30-15:00 Uhr, online
HBS, Conference 22nd Foreign Policy Conference
The experts at this event organized by the Heinrich Böll Foundation (HBS) will discuss the integration of climate and foreign policy as well as challenges of international climate partnerships. INFOS & REGISTRATION
28.01.2022 – 11:00-13:00 Uhr, online
Workshop Digitale Mehrwerte im deutschen Gesundheitswesen
Bei diesem Workshop der Hochschule Osnabrück und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie sollen die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die damit einhergehenden Entwicklungen für Mitarbeiter:innen und Patient:innen betrachtet werden. INFOS & ANMELDUNG
31.01.2022 – 18:00-19:30 Uhr, online
HBS, Diskussion Wie beurteilen Klima-Aktivist:innen in Deutschland und den USA die aktuelle Klimapolitik?
Klima-Aktivist:innen von Fridays for Future und Sunrise Movement werfen auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) einen kritischen Blick auf die klimapolitischen Maßnahmen Deutschlands und der USA und diskutieren Strategien für einen Wandel in der Klimapolitik. INFOS & ANMELDUNG
31.01.-04.02.2022, online
VKU, Seminar Kompaktwissen Energiewirtschaft
Dieses Seminar des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) gibt einen Überblick über die Energiewirtschaft in Deutschland. Dabei werden technische Grundlagen sowie Fachwissen über Funktionsweisen des Energiehandels, die unterschiedlichen Energieträger, das Strom- und Gasnetz, den Emissionshandel bis hin zur Digitalisierung und Gesetzgebung vermittelt. INFOS & ANMELDUNG
01.02.2022 – 14:00-14:45 Uhr, online
Siemens Energy, Seminar A pathway to clean hydrogen power generation
This Siemens Energy seminar will highlight hydrogen power plant solutions to reduce emissions and make power plants more sustainable. INFOS & REGISTRATION
01.02-02.02.2022, online
BSI, Konferenz 18. Deutscher IT-Sicherheitskongress
Beim IT-Sicherheitskongress des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) werden unter dem Motto “Cyber-Sicherheit ist Chefinnen- und Chefsache!” Themen wie Cyber-Sicherheit in der Wirtschaft, der Faktor Mensch in der IT-Sicherheit und die Zertifizierung der 5G-Mobilfunkausrüstung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
Einige der größten Hindernisse für die Windenergie sind unklare Vorgaben für den Schutz von Rotmilan und Fischadler. Die Gefahr der Windräder liegt darin, dass die Vögel im Flug mit den Rotorblättern kollidieren können. Nach der Vogelschutzrichtlinie dürfen europäische Vogelarten nur unter eng definierten Ausnahmen getötet werden. Die genaue Auslegung aber beschäftigt lokale Behörden und Gerichte seit Jahren.
Ein Streitpunkt: Dürfen einzelne Individuen einer Art getötet werden, solange der Erhalt ganzer Populationen nicht gefährdet ist? Im Koalitionsvertrag versprach die Ampel Abhilfe: “Wir werden uns für eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz, eine Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz sowie mehr Standardisierung und Rechtssicherheit, auch im Unionsrecht, einsetzen.”
Auf EU-Ebene glauben Abgeordnete zumindest bis 2024 nicht an Änderungen. Die Juncker-Kommission hatte das Naturschutzrecht noch 2016 einem Fitness-Check unterzogen. “Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Richtlinien funktionieren und keiner Änderungen bedürfen. Auch im Green Deal wurden keine Änderungen angekündigt“, sagt die SPD-Parlamentarierin Delara Burkhardt gegenüber Europe.Table. “Reformvorschläge der Vogelschutz- und FFH-Richtlinien durch die Kommission sind somit zumindest bis zum Ende der jetzigen europäischen Legislaturperiode nicht absehbar.”
Auf den Fitness-Check verweist auch die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus. “Unser europäisches Naturschutzrecht ist ein Meilenstein des Artenschutzes, der nicht verwässert werden darf”, sagt die Parlamentarierin. Eine Revision der Richtlinien zu Flora-Fauna-Habitaten (FFH) und zum Vogelschutz sei auch gar nicht notwendig, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. “Der Schutzansatz der FFH- und Vogelschutzrichtlinien ermöglicht unter strengen Gesichtspunkten Ausnahmen, die vom EuGH ausgelegt werden müssen. Die Kommission könnte die Mitgliedstaaten unterstützen, indem sie Leitlinien für eine gute fachliche Praxis insbesondere für den naturverträglichen Ausbau der Windenergie zur Verfügung stellt.”
Bisher haben die Berliner Koalitionäre nicht ausdrücklich angekündigt, sich für europäische Leitlinien einzusetzen. Leitfäden zum Naturschutzrecht wollte die Kommission schon bis 2019 erarbeiten, erst im Oktober 2021 erschien dann ein Leitfaden zur FFH-Richtlinie. Deutlich wichtiger ist für Windparks aber der Rechtsakt zum Vogelschutz.
Die Bundesregierung setzt auf nationale Harmonisierungen mit der Richtlinie. Erst vor diesem Hintergrund erklärt sich ein neuer Anlauf für eine rechtliche Klarstellung. Im Koalitionsvertrag heißt es, Ökostrom-Anlagen dienten der öffentlichen Sicherheit – genau diese ist als ein Ausnahmegrund in Artikel 9 der europäischen Vogelschutzrichtlinie aufgeführt. Der Zusammenhang zwischen öffentlicher Sicherheit und Versorgungssicherheit ist europarechtlich allerdings noch nicht abschließend entschieden.
“Unter Juristinnen und Juristen bestehen derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Sicherheit der Stromversorgung Teil der öffentlichen Sicherheit ist und Windkraftanlagen unter diese Regelung fallen”, erklärt Silke Christiansen, Leiterin Recht des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE). “Genau dies ist eine Frage, die deutsche Gerichte dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren vorlegen könnten.”
Nur der EuGH kann also letztlich weitere Rechtssicherheit schaffen. Hohe Erwartung hatten Juristen zuletzt in ein Verfahren um die Abholzung eines schwedischen Waldes gesetzt. Der Europäische Gerichtshof stützte sich in seiner Entscheidung vom 4. März 2021 (C-473/19) aber vorwiegend auf die Bestimmungen für FFH-Gebiete, die erhoffte Auslegung der Vogelschutzrichtlinie blieb vorerst aus.
Für die Klarstellungen im nationalen Recht gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Die Umweltminister der Länder hatten versucht, den Signifikanzansatz zu konkretisieren, den das Bundesverwaltungsgericht entwickelt hatte und der schließlich Eingang in §44 des Bundesnaturschutzgesetzes fand. Demnach sind Bauvorhaben dann mit dem Artenschutz vereinbar, wenn das Tötungsrisiko nicht signifikant erhöht wird. Behörden und Gerichte streiten allerdings immer wieder, wo die Schwelle verläuft. Ende 2020 beschloss die Umweltministerkonferenz einen Signifikanzrahmen. Nach Meinung der Energieverbände bringt dieser aber keine entscheidende Erleichterung für den Ausbau der Windenergie.
Den zweiten Weg verfolgt ein Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität von Mai 2021. Er will die Ausnahmen konkretisieren, die in Artikel 9 der Richtlinie und in §45 des Bundesnaturschutzgesetzes geregelt sind. In den Niederlanden zum Beispiel werden viele Windräder über Ausnahmen genehmigt.
Die Gutachter der Stiftung schätzten mit probabilistischen Methoden für einen festen Katalog von Vogelarten pauschale Schutzabstände um Horste ab, um den Erhalt der Populationen nicht zu gefährden. In bestimmten Radien wären Windräder überhaupt nicht zu genehmigen oder nur mit bestimmten Auflagen wie Antikollisionssystemen, die Rotoren beim Anflug eines Vogels drosseln. Aufwändige Einzelfallprüfungen, wie sie heute noch die Regeln sind, könnten laut der Stiftung weitgehend entfallen. Nur für die Vielflieger – See- und Fischadler, Rotmilan und Weißstorch – müssten bei Bedarf noch Flugkorridore etwa zu Nahrungsgebieten analysiert werden.
Auch für Umweltrechtler Wolfgang Köck sind der Standardisierung beim Vogelschutz Grenzen gesetzt: “Für atypische Fälle muss eine bundeseinheitliche Verordnung weiterhin Einzelfallprüfungen zulassen. Sonst könnten Gerichte die Verordnung kippen”, sagt das Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU).
Am 4. Februar will der SRU eine Stellungnahme zum Ausbau der Windenergie veröffentlichen. In einem Impulspapier vom vergangenen Oktober hatte sich der Rat noch mehrdeutig ausgedrückt. Einerseits möchte er den strengen Individuenschutz statt des Populationsansatzes beibehalten. Andererseits befürworteten die Wissenschaftler im Zusammenhang mit Ausnahmegenehmigungen Artenhilfsprogramme, die auch Eingang in den Koalitionsvertrag fanden. Manuel Berkel
“Was offline illegal ist, muss auch online illegal sein” – so lautet das Credo der Europäischen Kommission bei den zwei zentralen Plattformgesetzen Digital Services Act und Digital Markets Act. Es bildet auch die Grundlage für die Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen, die die Behörde am Mittwoch präsentierte: “Die Erklärung stellt klar: Die Rechte, die wir offline haben, haben wir auch online“, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Das Vorhaben ist Teil der Mitteilung zur “Digitalen Dekade”, die die Kommission im März 2021 präsentiert hatte, um den digitalen Wandel in der EU bis 2030 zu gestalten.
Die Erklärung sieht im Wesentlichen diese sechs digitalen Rechte und Grundsätze vor:
Um gezielt auf die Bedürfnisse der Europäer:innen einzugehen, hat die Kommission die Ergebnisse einer Eurobarometer-Sonderumfrage von Dezember 2021 in der Erklärung berücksichtigt. “Das ist eine Goldmine von interessanten Erkenntnissen“, sagte Vestager. Besonders bestärkt fühlte sich die Dänin von diesem Fakt: Fast 40 Prozent der EU-Bürger:innen ist laut Umfrage nicht bewusst, dass Rechte wie Meinungsfreiheit, Privatsphäre oder Nichtdiskriminierung auch online geachtet werden müssen.
Vestager betonte ausdrücklich: Neue Rechte und Grundsätze will die Kommission mit der Erklärung nicht schaffen. Grundrechte gelten auch heute schon online und würden etwa durch die Datenschutzgrundverordnung und die aktuell verhandelten Vorhaben Digital Services Act und Digital Markets Act konkret umgesetzt.
Die Erklärung soll vielmehr dazu dienen, die bestehenden Rechte und Grundsätze festzuschreiben, damit sie respektiert werden. Politiker:innen, Unternehmen und Nutzer:innen soll sie gleichermaßen als Leitfaden dienen.
Die Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU/EVP) sieht in der Erklärung einen hilfreichen Bezugspunkt für die Bürger:innen im Hinblick auf die Digitalisierung in Europa. Sie warnt jedoch davor, mit der Erklärung die wahren Hindernisse der Digitalisierung in den Hintergrund rücken zu lassen: “Wir müssen einfach schneller werden beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, vor allem im Bereich Cloud und 5G. Ohne die entsprechende Infrastruktur werden die Bürgerinnen und Bürger ihre digitalen Rechte schlicht nicht nutzen können”, so Niebler.
Der europäische Verbraucherdachverband BEUC fordert, dass die Erklärung konkrete Auswirkungen auf die Gesetzgebung hat: “Die EU-Institutionen müssen nun dafür sorgen, dass die Prinzipien ein führendes Licht für alle regulativen Initiativen sind, inklusive derer, die bereits verhandelt werden, wie zum Beispiel der Digital Services Act oder die KI-Verordnung”, sagt David Martin, BEUC-Teamleiter für Digitalpolitik.
“Nur weil es eine politische Erklärung ist, ist diese nicht zahnlos”, betonte Vestager. Die Kommission werde auch genau beobachten, wie die Mitgliedstaaten die Erklärung umsetzen: In einem jährlichen Bericht “über den Stand der Digitalen Dekade” will die Kommission Fortschritte und Lücken bewerten und Empfehlungen aussprechen. Rechtlich bindend ist die Erklärung aber trotzdem nicht.
Bis zum Sommer sollen das Europäische Parlament und der Rat ihr grünes Licht für den Text geben, damit er offiziell verabschiedet werden kann. Auf welcher Ebene die Ko-Legislatoren die Erklärung konkret diskutieren werden, konnte die Kommission auf Anfrage von Europe.Table zunächst nicht beantworten. koj
Das Europäische Gericht hat eine im Mai 2009 von der EU-Kommission verhängte Strafzahlung von 1,06 Mililiarden Euro wegen Wettbewerbsverstößen gegen den Chiphersteller Intel für ungültig erklärt. Die Richter der unteren beiden Kammern der europäischen Gerichtsbarkeit befanden, die Kommission habe nicht ausreichend nachgewiesen, dass Intel mit seiner Rabattpraxis für Computerhersteller gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen habe.
Damit ist ein weiteres Kapitel in einem der langwierigsten Wettbewerbsverfahren der Geschichte geschrieben: Im Juli 2007 eröffnete die EU-Kommission das Verfahren gegen den Chiphersteller Intel. Der Verdacht: ein Missbrauch seiner Marktdominanz im Segment für x86-Prozessoren, die sich seit Jahrzehnten in Desktop-PCs, Notebooks und Servern wiederfinden und weiterhin die Grundarchitektur für derzeitige PC-Prozessoren bilden.
Intel hatte ab 2002 unstrittigerweise Treuerabatte an die PC-Hersteller Dell, Lenovo, HP und NEC gewährt, die den Großteil ihrer Produkte mit CPUs dieses einen Herstellers auf den Markt brachten. Das Ziel Intels, so befand die Kommission damals: Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, insbesondere Advanced Micro Devices (AMD). Zudem wurde Intel vorgeworfen, mit der Ingolstädter Media-Saturn-Holding (Media Markt und Saturn) eine Exklusivvereinbarung getroffen zu haben, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.
Ein erstes Urteil des EU-Gerichts von 2014, welches die Klage Intels gegen die Kommissionsentscheidung abwies, wurde im Jahr 2017 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Revisionsinstanz aufgehoben. Der EuGH bemängelte, dass die EU-Kommission in ihrer Funktion als Wettbewerbsaufsicht auf inhaltliche Einwände des betroffenen Unternehmens eingehen und diese in die eigene Entscheidung einbeziehen müsse. Die Ermittlung des Sachverhalts sei somit fehlerhaft und damit auch die Strafbeimessung.
Dieser Linie des EuGH folgte nun auch die erste Kammer in ihrem neuen Beschluss. Zwar könne “ein System von Rabatten, das von einem Unternehmen eingerichtet wurde, das auf dem Markt eine beherrschende Stellung innehat, als Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden, wenn aufgrund seiner Art vermutet werden kann, dass es wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat.”
Allerdings sei die Kommission auf Antrag dazu verpflichtet zu prüfen, ob das beanstandete Rabattsystem auch tatsächlich geeignet sei, Wettbewerber vom Markt zu drängen, so die Richter in Luxemburg. Unter anderem deshalb sei der “As-Efficient-Competitor-Test” (AEC) hier fehlerhaft vorgenommen worden. Das Europäische Gericht sprach Intel deshalb jedoch nicht komplett von allen Vorwürfen frei. Doch die Richter sahen sich selbst außerstande, zu bestimmen, welche Strafhöhe gerechtfertigt gewesen wäre. Daher annullierten die Richter die 1,06-Milliarden-Strafe insgesamt, während die Verfahrenskosten zu einem Drittel von Intel getragen werden müssen.
Zwar liegt der Intel-Fall 15 Jahre zurück, doch die Auswirkungen des Verfahrens könnten aktueller kaum sein. Die EU-Kommission hatte zuletzt in mehreren Fällen gegen Digitalkonzerne Strafen wegen wettbewerbsschädigendem Verhalten ausgesprochen oder Verfahren eingeleitet.
Gegen den gestrigen Beschluss ist eine Berufung zum Europäischen Gerichtshof als Revisionsinstanz möglich. In einer ersten Reaktion kündigte die für Wettbewerbsverfahren zuständige EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager an, dass die Generaldirektion Wettbewerb und der Legal Service nun erst einmal das Urteil studieren würden. “Wir müssen im Detail prüfen, was wir dem EuG-Urteil entnehmen können, wo die Balance zwischen dem liegt, wo wir gewonnen haben, wo wir verloren haben und wie wir mit der Nichtigkeit der Strafe umgehen”, sagte Vestager. fst
Was er nicht will, ist wie ein weiterer Rudi Carrell zu klingen, sagt Bas Eickhout, stellvertretender Vorsitzender der Grünen/EFA im Europaparlament. Deswegen spricht der 45-jährige Niederländer öffentlich auch nicht so gerne Deutsch, obwohl er es ein bisschen kann, genau wie Französisch und Italienisch, Englisch natürlich auch.
Hinweise darauf findet man auf seinem Twitter-Profil, wo er mal den Deutschen Naturschutzring retweetet, mal einen italienischen Artikel und mal ein Meme, das sich über Macrons Narzissmus lustig macht. “Ich finde, wenn man Europapolitik macht, sollte man auch versuchen, den Debatten in den verschiedenen Ländern zu folgen”, sagt er.
Der Blick über den Tellerrand war es auch, der ihn ins Europaparlament brachte. 2009 zog er zum ersten Mal ein, davor forschte der Chemiker und Umweltwissenschaftler zum Klimawandel, stieß aber irgendwann an die Grenzen. “Die großen Botschaften rund um den Klimawandel waren schon damals klar. Ich hatte das Gefühl, dass ich es von der anderen Seite her versuchen musste – und das war eher auf der politischen Ebene.”
Heute ist Bas Eickhout Mitglied in Delegationen zur Zusammenarbeit mit China, den USA und dem Vereinigten Königreich, stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und Stellvertreter in Ausschüssen für Wirtschaft und Währung und zur Haushaltskontrolle. Die Finanzpolitik liegt ihm am Herzen, und die will er nachhaltiger gestalten.
“Wir haben in 150 Jahren eine fossile Wirtschaft aufgebaut und jetzt wollen wir in 30 Jahren die fossile Wirtschaft in eine klimaneutrale Wirtschaft umwandeln. Das ist eine große Aufgabe”, sagt er. Gut sei, dass in den vergangenen zehn Jahren viele realisiert hätten, dass sich das Klima auf die Stabilität des Finanzsystems auswirkt. “Alle Finanzakteure müssen sich damit beschäftigen, die Finanzströme umzulenken.” Dabei gehe es um private Finanzströme, aber auch die Europäische Zentralbank sollte sich laut Bas Eickhout damit befassen. “An all diesen Stellen werden Klima und Finanzwelt immer enger miteinander verknüpft.”
Dabei sollten Investoren nicht geschont werden. “Wir müssen uns viel kritischer damit auseinandersetzen, ob Investoren, die viel in fossile Brennstoffe investieren, stärker reguliert werden, weil diese Investitionen Schaden anrichten können.”
Das könnte auch die Taxonomie betreffen. “Meiner Meinung nach sollten wir zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur festlegen, was eine grüne Investition ist, sondern auch, was eine nicht nachhaltige Investition ist.”
Das klingt recht diplomatisch. Für laute Töne setzt er sich lieber ans Schlagzeug, wenn er denn die Zeit dafür findet. Ist er in seinem Büro und liest Texte, trägt er oft Kopfhörer und trommelt immerhin auf dem Schreibtisch. Gabriel Bub
“Sensible Gas-Infrastruktur in Deutschland in die Hände von Gazprom zu legen, war keine kluge Politik”, sagt Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament, mit Blick auf die explodierenden Energiepreise und die historisch leeren Gasspeicher. Deutschland und die EU wollen sich künftig besser aufstellen. Timo Landenberger analysiert, inwiefern strategische Gasreserven oder Vorgaben zur Mindestspeicherung eine Lösung sein können.
Dass die Grünen im EU-Parlament dem Taxonomie-Entwurf der Kommission ablehnend gegenüberstehen, ist keine große Überraschung. Doch mittlerweile regt sich fraktionsübergreifend Widerstand. Über den Brief einiger EVP-Abgeordneter an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie “starke Bedenken” an dem Entwurf äußern, haben wir bereits berichtet. Auch die Unzufriedenheit bei den Sozialdemokraten von S&D ist groß, und aus der Renew-Fraktion kommt ebenfalls deutliche Kritik. Lukas Scheid fasst die Stimmung im Parlament zusammen.
Die Bundesregierung will den Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorantreiben, bei der Windkraft ist ein 2-Prozent-Ziel für die Bundesländer vorgesehen. Doch Windkraftanlagen können zur Gefahr für Tiere werden. Unklare Vorgaben für den Schutz etwa von Rotmilan und Fischadler erschweren den Ausbau der Windenergie. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel darum festgelegt, sich für Klärung und Rechtssicherheit einsetzen zu wollen – auch auf EU-Ebene. Doch Änderungen im EU-Naturschutzrecht hätten laut Parlamentariern erst mal wenig Chancen, berichtet Manuel Berkel. Allerdings gebe es Spielräume.
Der liberalisierte Europäische Gasmarkt durchlebt eine Bestandsprüfung: Seit Wochen leiden Verbraucher und Industrie gleichermaßen unter Preisen auf Rekordniveau, ein Ende ist nicht in Sicht. Etliche Gas-Discounter gingen bereits bankrott, da sie die Preisdifferenz zwischen Spotmarkt und ihren Langzeit-Verträgen nicht mehr aufbringen konnten. Die Gasspeicher sind auf einem historisch niedrigen Füllstand und die eisige Stimmung zwischen dem Westen und seinem wichtigsten Energielieferanten Russland gibt zusätzlich Anlass zur Sorge.
Die Europäische Union deckt rund ein Drittel ihres Bedarfs mit Gas aus Russland, Deutschland sogar etwa die Hälfte. Ein Teil davon wird dauerhaft über Langzeitverträge abgesichert, der Rest über den sogenannten Spotmarkt kurzfristig eingekauft, um flexibel zu bleiben. Doch eben diese zusätzlichen Mengen bleiben seit Herbst vergangenen Jahres aus.
Zwar nahm die derzeitige Krise bereits im Sommer ihren Anfang. Die konjunkturelle Erholung nach den coronabedingten Einschnitten trieb die globale Nachfrage nach fossilen Energieträgern nach oben, Lieferungen nach Europa fielen geringer aus. Die Preise stiegen.
Dennoch: Einem Bericht des Oxford-Instituts for Energy Studies zufolge kam der eigentliche Schock für den Markt erst im vierten Quartal des Jahres, als die Gasströme aus Russland über die nördliche Jamal-Europa-Route drastisch auf weniger als ein Drittel des normalen Niveaus zurückgingen.
Auch Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), gibt Russland die Schuld an Europas Energiekrise. Er warf dem Land vor, die Gaslieferungen nach Europa zu einer Zeit “erhöhter geopolitischer Spannungen” zu drosseln. Das deute darauf hin, dass Moskau eine Energiekrise für politische Zwecke provoziert habe.
“Es kann eigentlich nicht sein, dass Russland nach einem Dreivierteljahr Gaskrise nicht in der Lage ist, mehr zu liefern, wenn sie das wollten”, sagt Christian Egenhofer, Energie-Experte beim Centre for European Policy Studies in Brüssel (CEPS). Die einzige glaubhafte Begründung sei eine geopolitische Motivation.
Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik hingegen sieht hier nur einen geringen Zusammenhang. Zwar liege der Bezug nahe. Der russische Energiekonzern Gazprom sei aber nicht nur ein Instrument des Kremls. “Es ist auch ein Unternehmen, dass sich in einem durch die Kriterien der Marktwirtschaft bestimmten Umfeld bewegt.”
Gazprom nutze geschickt gewisse Mechanismen, die die Europäer durch die Liberalisierung des Gasmarktes selbst eingeführt hätten. “Das ist eine Weile gut gegangen, weil die Spotmarkt-Preise niedriger lagen als die langfristigen Verträge, und da musste Gazprom die Verträge anpassen. Jetzt wendet sich das Blatt und der Konzern hat natürlich ein Interesse daran, dass die Preise hoch bleiben.”
Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament, sieht das anders: “Gazprom kann sich verkleiden, wie immer es gefällt. Das Unternehmen bleibt aber ein geopolitisches Instrument in der Hand des Kremls. Sensible Gas-Infrastruktur in Deutschland in die Hände von Gazprom zu legen, war keine kluge Politik”.
Womit der Europaabgeordnete auch auf die Gasspeicherung anspielt. So gehört, neben einigen weiteren, der größte Gasspeicher Europas der Gazprom-Tochter Astora. Die riesige Anlage unter Tage befindet sich im niedersächsischen Rehen, umfasst beinahe 20 Prozent der gesamten Gasspeicher-Kapazität Deutschlands und ist bereits seit Herbst vergangenen Jahres praktisch leer.
Doch auch hierfür kann es marktwirtschaftliche Gründe geben. Schließlich sind die weiteren 46 Gasspeicher in Deutschland derzeit ebenfalls nur zu durchschnittlich etwa 40 Prozent gefüllt und damit historisch leer. Schon vor Beginn des Winters betrug der Füllstand nur 76 Prozent im Vergleich zu 95 Prozent im Jahr zuvor.
Die Speicher sind infolge der Liberalisierung des Gasmarktes weitestgehend politisch dereguliert. Und für die privatwirtschaftlichen Betreiber gab es aufgrund der hohen Preise im Sommer keinen Anreiz, die Speicher zu füllen. Dennoch sei die Gasversorgung in Deutschland sicher, betont eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Deutschland hat EU-weit die höchste Speicherkapazität, gefolgt von Italien und den Niederlanden. “Die niedrigen Gasspeicherstände müssen genau beobachtet werden”, sagt Nicola Beer (FDP), Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Handlungsbedarf könne nicht ausgeschlossen werden, denn Erdgas komme als Übergangsenergie eine Schlüsselrolle zu.
Kurzfristig sei die einfachste Lösung, Verpflichtungen zur Mindestspeicherung für die Mitgliedsstaaten einzuführen, sagt Christian Egenhofer. Das könne über staatliche Gasreserven, ordnungspolitische Vorgaben an die Unternehmen oder auch privatwirtschaftlich gelöst werden, indem beispielsweise die Kosten für die Speicherung auf die Gasrechnung umgelegt werden können.
Im Durchschnitt seien die Speicher vor dem Winter zu etwa 85 Prozent gefüllt. “90 Prozent wären sicher besser”, so der CEPS-Experte. “Also vier bis fünf Prozent im Vergleich zum Durchschnitt, die durch öffentliche Gelder oder Vorgaben abgedeckt würden. Wir reden hier nicht über gigantische Summen. Die Preise wären immer noch hoch, aber die Situation würde dadurch etwas abgemildert.”
Auch Jacopo Pepe hält Vorgaben zur Mindestfüllmenge, die die Betreiber bereithalten müssen, für eine mögliche Zwischenlösung. Die privaten Gasspeicher seien aber nicht zur strategischen Reserve gedacht. Pepe plädiert deshalb dafür, zusätzlich auch eine staatliche Reserve einzuführen.
“Es sollten Mindest-Speichermengen verfügbar sein und somit auch nationale, staatliche Gasreserven angegangen werden”, sagt Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Damit würde auch dem Charakter der Energieversorgung als Teil der Daseinsvorsorge Rechnung getragen werden.
Die Bundesregierung hatte bereits angekündigt, die Möglichkeiten hinsichtlich Mindestfüllmengen und strategischen Reserven prüfen zu wollen. Auch beim jüngsten Treffen der EU-Energieminister sprachen sich die Teilnehmer für eine “optimierte Nutzung der europäischen Speicherkapazitäten” sowie “mehr gegenseitige Solidarität” aus.
Dem will auch die Europäische Kommission mit ihrem Gasmarkt-Paket, das im Dezember vorgestellt wurde, gerecht werden. Ziel sei es, die Gasspeicherung effizienter zu gestalten und die Speicherung innerhalb der EU besser zu koordinieren, so ein Kommissionssprecher. Die Vorschläge ermöglichen es den Mitgliedstaaten auch, strategische Gasreserven aufzubauen, indem sie gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten, die dies wünschen, Gas kaufen.
Dass die Grünen im Europaparlament die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft in die EU-Taxonomie ablehnen, ist wenig überraschend. Dort ist man sich schon länger einig, dass weder Gas noch Atomstrom das Label einer nachhaltigen Energiequelle verdient haben. Inzwischen wird aber auch in anderen Fraktionen die Kritik lauter. Viele Abgeordnete verlangen von der EU-Kommission Änderungen an ihrem Vorschlag. Selbst eine Mehrheit gegen den Rechtsakt gilt nicht mehr als ausgeschlossen.
Bei den Sozialdemokraten gebe es zwar länderspezifische Sichtweisen, sagt Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten zu Europe.Table. Die Unzufriedenheit sei aber weit verbreitet: “Die wesentliche Sorge ist, dass mit dieser nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützten politischen Einstufung die Taxonomie in ihrer Substanz gefährdet wird”. Die Taxonomie würde somit keine Orientierungsfunktion auf den Kapitalmärkten mehr bieten, befürchtet Schuster.
Die S&D-Fraktion schlägt daher vor, Atomkraft und Gas unter strengen Kriterien und als Übergangstechnologien in einer dritten Kategorie aufzuführen. Diese würde jedoch nicht als nachhaltig eingestuft werden. “Wenn die EU-Kommission dem nicht folgt, wird ein großer Teil der S&D dem Vorschlag der Kommission widersprechen”, sagt Schuster. Aus den Reihen der liberalen Renew-Fraktion und der christlich-konservativen EVP höre er ähnliches.
Und tatsächlich: Peter Liese, umweltpolitische Sprecher der EVP, erklärte kürzlich im rbb Inforadio, er sei sich jeden Tag sicherer, dass der Vorschlag so auf keinen Fall angenommen werde. Möglicherweise werde er auch komplett abgelehnt. Liese sagte, es habe viele Diskussionen mit Vertretern aller Fraktionen gegeben, in denen eine “große Mehrheit” gesagt habe, sie sehe das sehr kritisch.
Problematisch sei, dass nicht nur moderne Kernkraftwerke taxonomiekonform wären, sondern auch nachgerüstete alte Meiler. Zwar gebe es Vorgaben für die Nachrüstung, aber er glaube nicht, dass diese Kraftwerke überhaupt sicher gemacht werden könnten, so Liese. Zudem werde kritisiert, dass Baugenehmigungen für neue Kernkraftwerke auch 2045 noch erteilt werden könnten und die Entsorgung des Atommülls erst 2050 geregelt werden müsse, obwohl die Kernenergie laut Kommission nur Übergangstechnologie sein soll.
Einige EVP-Abgeordnete hatten vergangene Woche in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen “starke Bedenken” an dem Entwurf geäußert (Europe.Table berichtete). Nun haben sie laut Peter Liese zudem mehr Zeit für die Prüfung des Kommissions-Entwurfs gefordert. Er hielte es für das Beste, den delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Erdgas und Kernenergie in die EU-Taxonomie-Verordnung ganz einzustampfen.
Auch aus der Renew-Fraktion kommen ablehnende Töne gegen den Kommissionsentwurf. Allerdings richten die sich eher gegen den gesetzgeberischen Ablauf. Nach Ansicht von EP-Vizepräsidentin Nicola Beer (FDP) wäre es besser gewesen, anstelle eines delegierten Rechtsaktes ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren anzustoßen und damit zu ermöglichen, Änderungen einzubringen. “Ich hätte einige Änderungsanträge. Aber so können wir den Text nur in Gänze annehmen oder ablehnen, das wird der politischen Komplexität nicht gerecht”, so Beer. Nun stehe man vor einem Dilemma: “Wenn wir den delegierten Rechtsakt zurückweisen, ist nichts gewonnen. Dann fehlt uns der benötigte Referenzrahmen und wir stehen bei der nötigen grünen Transformation mit leeren Händen da”.
Dass die Kommission ihren Entwurf aufgrund der teils deutlichen Kritik aus Mitgliedstaaten, anderen EU-Gremien oder der Wissenschaft (Europe.Table berichtete) anpassen wird, gilt als fraglich. Die zuständige Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness hat eine grundlegende Überarbeitung der EU-Einstufungen für nachhaltige Energie mittlerweile sogar ausgeschlossen. An der ein oder anderen Stelle könne der Vorschlag zwar nachgebessert und somit einige Einwände berücksichtigt werden, sagte McGuinness der “FAZ”. “Aber wir haben tatsächlich nur begrenzten Spielraum.”
Bei Investoren stoßen die Kommissionspläne auf ein geteiltes Echo. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 16 Fonds, die zusammen rund sechs Billionen Euro an Vermögenswerten managen, gaben fünf an, dass Gas und Atomkraft keine nachhaltigen Energiequellen seien. Vier stuften nur eine der beiden Energiequellen als nachhaltig ein. Fünf wiederum betrachteten sowohl Gas als auch Atomkraft unter bestimmten Voraussetzungen als “grün”. In Deutschland hatte sich die Fondsbranche zuletzt ebenfalls kritisch geäußert. Mit Timo Landenberger und rtr
28.01.2022 – 09:00-11:30 Uhr, online
Panel Discussion Fit for 55: Accelerating the Energy Transition and the Re-industrialization of Europe
The Global Annual Energy Meeting will consider social, economic, and geopolitical impacts of the EU’s climate policy and the Fit for 55 package. INFOS & REGISTRATION
28.01.2022 – 10:30-15:00 Uhr, online
HBS, Conference 22nd Foreign Policy Conference
The experts at this event organized by the Heinrich Böll Foundation (HBS) will discuss the integration of climate and foreign policy as well as challenges of international climate partnerships. INFOS & REGISTRATION
28.01.2022 – 11:00-13:00 Uhr, online
Workshop Digitale Mehrwerte im deutschen Gesundheitswesen
Bei diesem Workshop der Hochschule Osnabrück und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie sollen die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die damit einhergehenden Entwicklungen für Mitarbeiter:innen und Patient:innen betrachtet werden. INFOS & ANMELDUNG
31.01.2022 – 18:00-19:30 Uhr, online
HBS, Diskussion Wie beurteilen Klima-Aktivist:innen in Deutschland und den USA die aktuelle Klimapolitik?
Klima-Aktivist:innen von Fridays for Future und Sunrise Movement werfen auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) einen kritischen Blick auf die klimapolitischen Maßnahmen Deutschlands und der USA und diskutieren Strategien für einen Wandel in der Klimapolitik. INFOS & ANMELDUNG
31.01.-04.02.2022, online
VKU, Seminar Kompaktwissen Energiewirtschaft
Dieses Seminar des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) gibt einen Überblick über die Energiewirtschaft in Deutschland. Dabei werden technische Grundlagen sowie Fachwissen über Funktionsweisen des Energiehandels, die unterschiedlichen Energieträger, das Strom- und Gasnetz, den Emissionshandel bis hin zur Digitalisierung und Gesetzgebung vermittelt. INFOS & ANMELDUNG
01.02.2022 – 14:00-14:45 Uhr, online
Siemens Energy, Seminar A pathway to clean hydrogen power generation
This Siemens Energy seminar will highlight hydrogen power plant solutions to reduce emissions and make power plants more sustainable. INFOS & REGISTRATION
01.02-02.02.2022, online
BSI, Konferenz 18. Deutscher IT-Sicherheitskongress
Beim IT-Sicherheitskongress des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) werden unter dem Motto “Cyber-Sicherheit ist Chefinnen- und Chefsache!” Themen wie Cyber-Sicherheit in der Wirtschaft, der Faktor Mensch in der IT-Sicherheit und die Zertifizierung der 5G-Mobilfunkausrüstung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
Einige der größten Hindernisse für die Windenergie sind unklare Vorgaben für den Schutz von Rotmilan und Fischadler. Die Gefahr der Windräder liegt darin, dass die Vögel im Flug mit den Rotorblättern kollidieren können. Nach der Vogelschutzrichtlinie dürfen europäische Vogelarten nur unter eng definierten Ausnahmen getötet werden. Die genaue Auslegung aber beschäftigt lokale Behörden und Gerichte seit Jahren.
Ein Streitpunkt: Dürfen einzelne Individuen einer Art getötet werden, solange der Erhalt ganzer Populationen nicht gefährdet ist? Im Koalitionsvertrag versprach die Ampel Abhilfe: “Wir werden uns für eine stärkere Ausrichtung auf den Populationsschutz, eine Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz sowie mehr Standardisierung und Rechtssicherheit, auch im Unionsrecht, einsetzen.”
Auf EU-Ebene glauben Abgeordnete zumindest bis 2024 nicht an Änderungen. Die Juncker-Kommission hatte das Naturschutzrecht noch 2016 einem Fitness-Check unterzogen. “Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Richtlinien funktionieren und keiner Änderungen bedürfen. Auch im Green Deal wurden keine Änderungen angekündigt“, sagt die SPD-Parlamentarierin Delara Burkhardt gegenüber Europe.Table. “Reformvorschläge der Vogelschutz- und FFH-Richtlinien durch die Kommission sind somit zumindest bis zum Ende der jetzigen europäischen Legislaturperiode nicht absehbar.”
Auf den Fitness-Check verweist auch die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus. “Unser europäisches Naturschutzrecht ist ein Meilenstein des Artenschutzes, der nicht verwässert werden darf”, sagt die Parlamentarierin. Eine Revision der Richtlinien zu Flora-Fauna-Habitaten (FFH) und zum Vogelschutz sei auch gar nicht notwendig, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. “Der Schutzansatz der FFH- und Vogelschutzrichtlinien ermöglicht unter strengen Gesichtspunkten Ausnahmen, die vom EuGH ausgelegt werden müssen. Die Kommission könnte die Mitgliedstaaten unterstützen, indem sie Leitlinien für eine gute fachliche Praxis insbesondere für den naturverträglichen Ausbau der Windenergie zur Verfügung stellt.”
Bisher haben die Berliner Koalitionäre nicht ausdrücklich angekündigt, sich für europäische Leitlinien einzusetzen. Leitfäden zum Naturschutzrecht wollte die Kommission schon bis 2019 erarbeiten, erst im Oktober 2021 erschien dann ein Leitfaden zur FFH-Richtlinie. Deutlich wichtiger ist für Windparks aber der Rechtsakt zum Vogelschutz.
Die Bundesregierung setzt auf nationale Harmonisierungen mit der Richtlinie. Erst vor diesem Hintergrund erklärt sich ein neuer Anlauf für eine rechtliche Klarstellung. Im Koalitionsvertrag heißt es, Ökostrom-Anlagen dienten der öffentlichen Sicherheit – genau diese ist als ein Ausnahmegrund in Artikel 9 der europäischen Vogelschutzrichtlinie aufgeführt. Der Zusammenhang zwischen öffentlicher Sicherheit und Versorgungssicherheit ist europarechtlich allerdings noch nicht abschließend entschieden.
“Unter Juristinnen und Juristen bestehen derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Sicherheit der Stromversorgung Teil der öffentlichen Sicherheit ist und Windkraftanlagen unter diese Regelung fallen”, erklärt Silke Christiansen, Leiterin Recht des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE). “Genau dies ist eine Frage, die deutsche Gerichte dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren vorlegen könnten.”
Nur der EuGH kann also letztlich weitere Rechtssicherheit schaffen. Hohe Erwartung hatten Juristen zuletzt in ein Verfahren um die Abholzung eines schwedischen Waldes gesetzt. Der Europäische Gerichtshof stützte sich in seiner Entscheidung vom 4. März 2021 (C-473/19) aber vorwiegend auf die Bestimmungen für FFH-Gebiete, die erhoffte Auslegung der Vogelschutzrichtlinie blieb vorerst aus.
Für die Klarstellungen im nationalen Recht gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Die Umweltminister der Länder hatten versucht, den Signifikanzansatz zu konkretisieren, den das Bundesverwaltungsgericht entwickelt hatte und der schließlich Eingang in §44 des Bundesnaturschutzgesetzes fand. Demnach sind Bauvorhaben dann mit dem Artenschutz vereinbar, wenn das Tötungsrisiko nicht signifikant erhöht wird. Behörden und Gerichte streiten allerdings immer wieder, wo die Schwelle verläuft. Ende 2020 beschloss die Umweltministerkonferenz einen Signifikanzrahmen. Nach Meinung der Energieverbände bringt dieser aber keine entscheidende Erleichterung für den Ausbau der Windenergie.
Den zweiten Weg verfolgt ein Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität von Mai 2021. Er will die Ausnahmen konkretisieren, die in Artikel 9 der Richtlinie und in §45 des Bundesnaturschutzgesetzes geregelt sind. In den Niederlanden zum Beispiel werden viele Windräder über Ausnahmen genehmigt.
Die Gutachter der Stiftung schätzten mit probabilistischen Methoden für einen festen Katalog von Vogelarten pauschale Schutzabstände um Horste ab, um den Erhalt der Populationen nicht zu gefährden. In bestimmten Radien wären Windräder überhaupt nicht zu genehmigen oder nur mit bestimmten Auflagen wie Antikollisionssystemen, die Rotoren beim Anflug eines Vogels drosseln. Aufwändige Einzelfallprüfungen, wie sie heute noch die Regeln sind, könnten laut der Stiftung weitgehend entfallen. Nur für die Vielflieger – See- und Fischadler, Rotmilan und Weißstorch – müssten bei Bedarf noch Flugkorridore etwa zu Nahrungsgebieten analysiert werden.
Auch für Umweltrechtler Wolfgang Köck sind der Standardisierung beim Vogelschutz Grenzen gesetzt: “Für atypische Fälle muss eine bundeseinheitliche Verordnung weiterhin Einzelfallprüfungen zulassen. Sonst könnten Gerichte die Verordnung kippen”, sagt das Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU).
Am 4. Februar will der SRU eine Stellungnahme zum Ausbau der Windenergie veröffentlichen. In einem Impulspapier vom vergangenen Oktober hatte sich der Rat noch mehrdeutig ausgedrückt. Einerseits möchte er den strengen Individuenschutz statt des Populationsansatzes beibehalten. Andererseits befürworteten die Wissenschaftler im Zusammenhang mit Ausnahmegenehmigungen Artenhilfsprogramme, die auch Eingang in den Koalitionsvertrag fanden. Manuel Berkel
“Was offline illegal ist, muss auch online illegal sein” – so lautet das Credo der Europäischen Kommission bei den zwei zentralen Plattformgesetzen Digital Services Act und Digital Markets Act. Es bildet auch die Grundlage für die Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen, die die Behörde am Mittwoch präsentierte: “Die Erklärung stellt klar: Die Rechte, die wir offline haben, haben wir auch online“, sagte Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Das Vorhaben ist Teil der Mitteilung zur “Digitalen Dekade”, die die Kommission im März 2021 präsentiert hatte, um den digitalen Wandel in der EU bis 2030 zu gestalten.
Die Erklärung sieht im Wesentlichen diese sechs digitalen Rechte und Grundsätze vor:
Um gezielt auf die Bedürfnisse der Europäer:innen einzugehen, hat die Kommission die Ergebnisse einer Eurobarometer-Sonderumfrage von Dezember 2021 in der Erklärung berücksichtigt. “Das ist eine Goldmine von interessanten Erkenntnissen“, sagte Vestager. Besonders bestärkt fühlte sich die Dänin von diesem Fakt: Fast 40 Prozent der EU-Bürger:innen ist laut Umfrage nicht bewusst, dass Rechte wie Meinungsfreiheit, Privatsphäre oder Nichtdiskriminierung auch online geachtet werden müssen.
Vestager betonte ausdrücklich: Neue Rechte und Grundsätze will die Kommission mit der Erklärung nicht schaffen. Grundrechte gelten auch heute schon online und würden etwa durch die Datenschutzgrundverordnung und die aktuell verhandelten Vorhaben Digital Services Act und Digital Markets Act konkret umgesetzt.
Die Erklärung soll vielmehr dazu dienen, die bestehenden Rechte und Grundsätze festzuschreiben, damit sie respektiert werden. Politiker:innen, Unternehmen und Nutzer:innen soll sie gleichermaßen als Leitfaden dienen.
Die Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU/EVP) sieht in der Erklärung einen hilfreichen Bezugspunkt für die Bürger:innen im Hinblick auf die Digitalisierung in Europa. Sie warnt jedoch davor, mit der Erklärung die wahren Hindernisse der Digitalisierung in den Hintergrund rücken zu lassen: “Wir müssen einfach schneller werden beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, vor allem im Bereich Cloud und 5G. Ohne die entsprechende Infrastruktur werden die Bürgerinnen und Bürger ihre digitalen Rechte schlicht nicht nutzen können”, so Niebler.
Der europäische Verbraucherdachverband BEUC fordert, dass die Erklärung konkrete Auswirkungen auf die Gesetzgebung hat: “Die EU-Institutionen müssen nun dafür sorgen, dass die Prinzipien ein führendes Licht für alle regulativen Initiativen sind, inklusive derer, die bereits verhandelt werden, wie zum Beispiel der Digital Services Act oder die KI-Verordnung”, sagt David Martin, BEUC-Teamleiter für Digitalpolitik.
“Nur weil es eine politische Erklärung ist, ist diese nicht zahnlos”, betonte Vestager. Die Kommission werde auch genau beobachten, wie die Mitgliedstaaten die Erklärung umsetzen: In einem jährlichen Bericht “über den Stand der Digitalen Dekade” will die Kommission Fortschritte und Lücken bewerten und Empfehlungen aussprechen. Rechtlich bindend ist die Erklärung aber trotzdem nicht.
Bis zum Sommer sollen das Europäische Parlament und der Rat ihr grünes Licht für den Text geben, damit er offiziell verabschiedet werden kann. Auf welcher Ebene die Ko-Legislatoren die Erklärung konkret diskutieren werden, konnte die Kommission auf Anfrage von Europe.Table zunächst nicht beantworten. koj
Das Europäische Gericht hat eine im Mai 2009 von der EU-Kommission verhängte Strafzahlung von 1,06 Mililiarden Euro wegen Wettbewerbsverstößen gegen den Chiphersteller Intel für ungültig erklärt. Die Richter der unteren beiden Kammern der europäischen Gerichtsbarkeit befanden, die Kommission habe nicht ausreichend nachgewiesen, dass Intel mit seiner Rabattpraxis für Computerhersteller gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen habe.
Damit ist ein weiteres Kapitel in einem der langwierigsten Wettbewerbsverfahren der Geschichte geschrieben: Im Juli 2007 eröffnete die EU-Kommission das Verfahren gegen den Chiphersteller Intel. Der Verdacht: ein Missbrauch seiner Marktdominanz im Segment für x86-Prozessoren, die sich seit Jahrzehnten in Desktop-PCs, Notebooks und Servern wiederfinden und weiterhin die Grundarchitektur für derzeitige PC-Prozessoren bilden.
Intel hatte ab 2002 unstrittigerweise Treuerabatte an die PC-Hersteller Dell, Lenovo, HP und NEC gewährt, die den Großteil ihrer Produkte mit CPUs dieses einen Herstellers auf den Markt brachten. Das Ziel Intels, so befand die Kommission damals: Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, insbesondere Advanced Micro Devices (AMD). Zudem wurde Intel vorgeworfen, mit der Ingolstädter Media-Saturn-Holding (Media Markt und Saturn) eine Exklusivvereinbarung getroffen zu haben, um Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.
Ein erstes Urteil des EU-Gerichts von 2014, welches die Klage Intels gegen die Kommissionsentscheidung abwies, wurde im Jahr 2017 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Revisionsinstanz aufgehoben. Der EuGH bemängelte, dass die EU-Kommission in ihrer Funktion als Wettbewerbsaufsicht auf inhaltliche Einwände des betroffenen Unternehmens eingehen und diese in die eigene Entscheidung einbeziehen müsse. Die Ermittlung des Sachverhalts sei somit fehlerhaft und damit auch die Strafbeimessung.
Dieser Linie des EuGH folgte nun auch die erste Kammer in ihrem neuen Beschluss. Zwar könne “ein System von Rabatten, das von einem Unternehmen eingerichtet wurde, das auf dem Markt eine beherrschende Stellung innehat, als Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden, wenn aufgrund seiner Art vermutet werden kann, dass es wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat.”
Allerdings sei die Kommission auf Antrag dazu verpflichtet zu prüfen, ob das beanstandete Rabattsystem auch tatsächlich geeignet sei, Wettbewerber vom Markt zu drängen, so die Richter in Luxemburg. Unter anderem deshalb sei der “As-Efficient-Competitor-Test” (AEC) hier fehlerhaft vorgenommen worden. Das Europäische Gericht sprach Intel deshalb jedoch nicht komplett von allen Vorwürfen frei. Doch die Richter sahen sich selbst außerstande, zu bestimmen, welche Strafhöhe gerechtfertigt gewesen wäre. Daher annullierten die Richter die 1,06-Milliarden-Strafe insgesamt, während die Verfahrenskosten zu einem Drittel von Intel getragen werden müssen.
Zwar liegt der Intel-Fall 15 Jahre zurück, doch die Auswirkungen des Verfahrens könnten aktueller kaum sein. Die EU-Kommission hatte zuletzt in mehreren Fällen gegen Digitalkonzerne Strafen wegen wettbewerbsschädigendem Verhalten ausgesprochen oder Verfahren eingeleitet.
Gegen den gestrigen Beschluss ist eine Berufung zum Europäischen Gerichtshof als Revisionsinstanz möglich. In einer ersten Reaktion kündigte die für Wettbewerbsverfahren zuständige EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager an, dass die Generaldirektion Wettbewerb und der Legal Service nun erst einmal das Urteil studieren würden. “Wir müssen im Detail prüfen, was wir dem EuG-Urteil entnehmen können, wo die Balance zwischen dem liegt, wo wir gewonnen haben, wo wir verloren haben und wie wir mit der Nichtigkeit der Strafe umgehen”, sagte Vestager. fst
Was er nicht will, ist wie ein weiterer Rudi Carrell zu klingen, sagt Bas Eickhout, stellvertretender Vorsitzender der Grünen/EFA im Europaparlament. Deswegen spricht der 45-jährige Niederländer öffentlich auch nicht so gerne Deutsch, obwohl er es ein bisschen kann, genau wie Französisch und Italienisch, Englisch natürlich auch.
Hinweise darauf findet man auf seinem Twitter-Profil, wo er mal den Deutschen Naturschutzring retweetet, mal einen italienischen Artikel und mal ein Meme, das sich über Macrons Narzissmus lustig macht. “Ich finde, wenn man Europapolitik macht, sollte man auch versuchen, den Debatten in den verschiedenen Ländern zu folgen”, sagt er.
Der Blick über den Tellerrand war es auch, der ihn ins Europaparlament brachte. 2009 zog er zum ersten Mal ein, davor forschte der Chemiker und Umweltwissenschaftler zum Klimawandel, stieß aber irgendwann an die Grenzen. “Die großen Botschaften rund um den Klimawandel waren schon damals klar. Ich hatte das Gefühl, dass ich es von der anderen Seite her versuchen musste – und das war eher auf der politischen Ebene.”
Heute ist Bas Eickhout Mitglied in Delegationen zur Zusammenarbeit mit China, den USA und dem Vereinigten Königreich, stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) und Stellvertreter in Ausschüssen für Wirtschaft und Währung und zur Haushaltskontrolle. Die Finanzpolitik liegt ihm am Herzen, und die will er nachhaltiger gestalten.
“Wir haben in 150 Jahren eine fossile Wirtschaft aufgebaut und jetzt wollen wir in 30 Jahren die fossile Wirtschaft in eine klimaneutrale Wirtschaft umwandeln. Das ist eine große Aufgabe”, sagt er. Gut sei, dass in den vergangenen zehn Jahren viele realisiert hätten, dass sich das Klima auf die Stabilität des Finanzsystems auswirkt. “Alle Finanzakteure müssen sich damit beschäftigen, die Finanzströme umzulenken.” Dabei gehe es um private Finanzströme, aber auch die Europäische Zentralbank sollte sich laut Bas Eickhout damit befassen. “An all diesen Stellen werden Klima und Finanzwelt immer enger miteinander verknüpft.”
Dabei sollten Investoren nicht geschont werden. “Wir müssen uns viel kritischer damit auseinandersetzen, ob Investoren, die viel in fossile Brennstoffe investieren, stärker reguliert werden, weil diese Investitionen Schaden anrichten können.”
Das könnte auch die Taxonomie betreffen. “Meiner Meinung nach sollten wir zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur festlegen, was eine grüne Investition ist, sondern auch, was eine nicht nachhaltige Investition ist.”
Das klingt recht diplomatisch. Für laute Töne setzt er sich lieber ans Schlagzeug, wenn er denn die Zeit dafür findet. Ist er in seinem Büro und liest Texte, trägt er oft Kopfhörer und trommelt immerhin auf dem Schreibtisch. Gabriel Bub