“Der Hahn wurde zugedreht”, sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa im polnischen Hörfunk. Polen und auch Bulgarien sind seit gestern ohne Gas aus Russland. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte Moskaus Vorgehen den “Versuch, uns mit Gas zu erpressen”. Doch beide Länder hatten den Ausstieg aus dem russischen Gas ohnehin geplant, schwere Versorgungsengpässe seien nicht zu befürchten, hieß es nach einem Krisentreffen in Brüssel. Wie die beiden Länder die Gasversorgung jetzt und in Zukunft sicherstellen und was von der Leyen zu Zahlungen in Rubel zu sagen hatte, lesen Sie in der Analyse von Eric Bonse und Manuel Berkel.
Schon im Februar waren die Preise für Düngemittel außerordentlich hoch. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind sie laut EU-Kommission noch mal um weitere 40 Prozent angestiegen. Das Problem: Auch in diesem Bereich sind etliche EU-Staaten von Importen aus Russland abhängig. Doch die bleiben nun aus. Zudem treiben die hohen Energiepreise die Produktionskosten für Düngemittel in die Höhe. Das könnte starke Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung haben, wie Timo Landenberger berichtet. Der Deutsche Bauernverband warnt bereits vor drastischen Einbußen bei den Ernten.
Die Lage in Polen und Bulgarien sei unter Kontrolle, hieß es nach einem Krisentreffen in Brüssel. Ernste Versorgungsengpässe seien nicht zu befürchten, sagte ein EU-Diplomat. Polen und Bulgarien hatten den Ausstieg aus russischem Gas ohnehin bis Ende des Jahres geplant. Polen sei mit 10 Milliarden Kubikmetern (bcm) pro Jahr betroffen, könne sich aber über LNG-Terminals versorgen, die Speicher im Land seien zu 76 Prozent gefüllt, twitterte Bruegel-Experte Simone Tagliapietra.
Bulgarien ist zwar zu 90 Prozent von russischen Importen abhängig und die Speicherstände liegen nur bei 15 Prozent, allerdings ist die importierte Menge aus Russland mit 3 bcm vergleichsweise gering. Bulgarien hat einen Interkonnektor mit Rumänien und spätestens im September soll die IGB-Leitung nach Griechenland in Betrieb gehen. Über sie sollen künftig 1 bcm pro Jahr aus Aserbaidschan nach Bulgarien fließen. Zudem habe Bulgarien bereits LNG-Lieferungen über griechische Häfen gebucht, sagte gestern ein Sprecher des Energieministeriums in Athen. Insgesamt hat die IGB eine Kapazität von 3 bcm, die laut der Athener Zeitung “Kathimerini” auf 5 bcm gesteigert werden kann.
Der Gastransit in andere Staaten ist nach Einschätzung Tagliapietras und des Versorgers Uniper nicht von den Schritten gegen die polnischen und bulgarischen Firmen betroffen. Bislang sehe man keine größeren Veränderungen auf der Jamal-Route, sagte Uniper-CCO Niek den Hollander vor Analysten. CEO Klaus-Dieter Maubach warnte allerdings in einem Interview mit der “FAZ” vor unberechenbaren Reaktionen aus Moskau: “Sollte der Westen ein Ölembargo beschließen, ist nicht auszuschließen, dass die Russen mit einem Gaslieferstopp reagieren.”
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach angesichts der Aktion aus Moskau von Erpressung. “Die Ankündigung von Gazprom ist ein weiterer Versuch Russlands, uns mit Gas zu erpressen”, sagte sie. Die EU sei aber vorbereitet: “Unsere Antwort wird umgehend, geschlossen und koordiniert sein.”
Ihre Behörde werde sicherstellen, dass Gazproms Entscheidungen die geringstmöglichen Auswirkungen auf die Verbraucher haben, so die CDU-Politikerin. Außerdem will die Kommission für volle Gasspeicher sorgen – vor allem durch den Bezug von Flüssiggas (LNG) aus den USA.
Eine schnelle Lösung zeichnet sich jedoch nicht ab. Die Kommission will erst Ende Mai eine Strategie für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern aus Russland vorlegen. Zudem können viele EU-Länder – darunter auch Deutschland – noch nicht auf die Gaslieferungen verzichten.
Dies führt zu nationalen Alleingängen. So reiste der österreichische Kanzler Karl Nehammer Mitte April nach Moskau, um in einem Vier-Augen-Gespräch mit Kremlchef Putin die Gasversorgung zu sichern. Putin habe erklärt, dass weiter in Euro bezahlt werden kann, hieß es hinterher in Wien. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán wiederum erklärte sich bereit, zur Not auch in Rubel zu zahlen.
Die EU-Kommission selbst hat inzwischen ihre Analyse des Moskauer Dekrets zu den Zahlungsmodalitäten geändert. In der vergangenen Woche hatte die Behörde erklärt, dass Zahlungen in Rubel nicht in jedem Fall einen Verstoß gegen die EU-Sanktionen darstellten. Die Kommission veröffentlichte dazu sogar einen Leitfaden.
Am Mittwoch äußerte sich von der Leyen gegenteilig. Wer von der europäischen Linie abweiche und in Rubel zahle, verstoße gegen die Sanktionsbeschlüsse und müsse mit hohen Risiken rechnen, sagte sie in einer Pressekonferenz. Welche Risiken das sind, ließ sie zunächst offen. Weiter sagte sie, die Lieferverträge mit Russland sähen zu 97 Prozent Zahlungen in Euro oder Dollar vor. Daran seien die EU-Staaten gebunden.
Nach einem SPIEGEL-Bericht geht es bei dem Zahlungsstreit vor allem um zwei Knackpunkte. Zum einen könnte durch Putins Finanztricks das Währungsrisiko auf die Abnehmer im Westen verlagert werden. Stiege der Rubelkurs, würde das Gas für die Energieimporteure teurer.
Zweitens ist erklärtes Ziel der EU-Sanktionen, die russische Zentralbank aus den Währungsgeschäften herauszuhalten. Nach der jüngsten Analyse der Kommission sei das mit dem neuen, von Moskau verlangten Zahlungsverfahren aber nicht mehr auszuschließen. Der Kreml lasse die Details im Unklaren. Mit Manuel Berkel und rtr
Leere Regale im Supermarkt und teils sehr hohe Preise für Grundnahrungsmittel treiben die Sorge vor einem Nahrungsmittel-Engpass weiter an. Derweil beteuern die Verantwortlichen aus Politik und Landwirtschaft schon beinahe gebetsmühlenartig, die Versorgung sei gesichert. In ihrer Mitteilung zur Ernährungssicherung teilte die Europäische Kommission Ende März mit: Ein Mangel sei nicht zu befürchten. Bei der Produktion von Nahrungsmitteln sei der Agrarsektor der EU “weitestgehend autark”. Das stimmt jedoch nur bedingt.
Tatsächlich ist ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad eines der erklärten Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), und bei wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Weizen oder Gerste ist die EU Nettoexporteur. Das könnte sich jedoch schon bald ändern, denn der Krieg in der Ukraine offenbart auch in der Landwirtschaft die internationalen Abhängigkeiten und Verflechtungen. So haben sich die Produktionskosten für Agrarerzeugnisse in den vergangenen Wochen teils enorm verteuert.
Besonders deutlich wird das im Bereich der Düngemittel, wo die Preise bereits im Februar zum Teil um ein Vielfaches über dem Niveau des Vorjahres lagen und die seit Ausbruch des Krieges laut Kommission um weitere 40 Prozent gestiegen sind. Der höchste jemals verzeichnete Wert, sagt der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins. Der Vorsitzende des Agrarausschusses befürchtet deshalb mittelfristig starke Auswirkungen auf die Lebensmittelbranche.
Mit rund 14 Prozent zählt Russland zu den wichtigsten Produktionsländern von mineralischem Dünger auf dem Weltmarkt. Etliche EU-Staaten sind von Importen aus Russland abhängig, doch die bleiben nun aus, nicht zuletzt aufgrund der EU-Sanktionen gegenüber Moskau. Daneben treiben die hohen Energiepreise die Produktionskosten für Düngemittel in die Höhe. Denn Gas ist nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Rohstoff wichtig für Stickstoffdünger, der aus Ammoniak hergestellt wird. Dem Industrieverband Agrar zufolge macht der Gaspreis hier bis zu 90 Prozent der Herstellungskosten aus.
Entsprechend groß sind die Befürchtungen in der Branche vor einem möglichen Embargo oder Gaslieferstopp aus Russland und einer weiteren Verknappung der Gasversorgung. “Der Bundeswirtschaftsminister verantwortet den Gasnotfallplan, wir stehen im engen Austausch und er ist ebenso wie die Bundesnetzagentur sensibilisiert für die Bedarfe der Land- und Ernährungswirtschaft“, teilt eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums (BMEL) auf Nachfrage mit.
Um weiter wirtschaftlich zu sein, drosseln dennoch viele Hersteller von Stickstoffdünger bereits ihre Produktion. Auch Phosphor und Kalium, neben Stickstoff die meist verwendeten Düngemittel, werden knapp. Zwar ist der Gaspreis hier weniger ausschlaggebend. Jedoch machen alleine Russland und Belarus, das ebenfalls vom Westen sanktioniert wird, rund 40 Prozent der Exportmenge von Kalidünger auf dem Weltmarkt aus. Das treibt die Preise.
Andere Kali-Produzenten profitieren. So erwartet der Düngemittelhersteller S+K gute Geschäfte und hat seine Ergebnisprognose für das laufende Jahr Mitte April deutlich nach oben korrigiert. Herbert Dorfmann, Europaabgeordneter der Südtiroler Volkspartei, spricht von einer “absurden Preissituation”. Der Agrarökonom wirft den Unternehmen vor, die schwierige Lage auszunutzen und fordert von der Kommission, ein mögliches Marktversagen zu untersuchen.
Auf eine entsprechende Anfrage des Europe.Table reagierte die Brüsseler Behörde auch auf Nachfrage nicht. Der Industrieverband Agrar teilte hingegen mit: “Düngemittel sind weltweit gehandelte Commodities, die Preise bilden sich durch Angebot und Nachfrage. Dabei spielen Deutschland und Europa im globalen Maßstab sowohl als Anbieter wie als Abnehmer eine untergeordnete Rolle.”
Für das laufende Jahr befürchtet der Deutsche Bauernverband (DBV) noch wenig Einbußen bei den Ernten infolge der Düngemittelknappheit. Wenn sich die Lage jedoch nicht verbessert, müsse 2023 mit Ertragsrückgängen von bis zu 40 Prozent gerechnet werden, so DBV-Präsident Bernhard Krüsken. “Um die Versorgung für die Anbausaison 2023 sicherzustellen, fordern wir die Bundesregierung auf, eine Düngemittelreserve anzulegen.”
Das lehnt diese jedoch ab. “Düngemittel vom Markt zu nehmen, würde die bereits bestehende Knappheit weiter verschärfen.” Auch aus technischen Gründen der Sicherheit und Lagerfähigkeit sei eine Reserve schwer umzusetzen, so eine BMEL-Sprecherin. Wichtiger sei ein effizienterer Umgang mit Düngemitteln, etwa durch verbesserte Ausbringtechniken oder die Messung des Stickstoffgehalts. Mittelfristig müsse das Prinzip der Kreislaufwirtschaft wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden.
Unmittelbare Hilfe für die Landwirtschaft verspricht sich Norbert Lins von der Forderung des EU-Parlaments an die Kommission, Anti-Dumping-Zölle auf Düngemittel auszusetzen. Eine weitere Maßnahme könne der Umschwung von chemischem zu tierischem Dünger sein, so der Abgeordnete.
Tatsächlich seien viele Betriebe aufgrund der angespannten Situation gezwungen, ihr Düngemanagement anzupassen, bestätigt das BMEL. Statt Mineraldünger einzusetzen, werde der Kauf von tierischem, sogenanntem Wirtschaftsdünger aus Regionen, in denen sich Tierhaltung konzentriert, jetzt deutlich attraktiver. “Komplett ersetzen kann er den Mineraldünger jedoch nicht”, so DBV-Generalsekretär Küsken.
Das größte Problem sei die Abhängigkeit von fossilen Energien, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. Statt in Aktionismus zu verfallen und die Düngemittelproduktion zu subventionieren, müsse der grüne Wandel weiter forciert werden. “Zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen kommen allein aus der Stickstofferzeugung. Die Kollateralschäden sind also nicht ganz unerheblich”, so Häusling.
30.04.2022 – 08:30 Uhr, Berlin/online
Taz, Konferenz Klima und Klasse
Beim Taz-Kongress 2022 werden in verschiedenen Panels Fragen rund um den Klimawandel, die Klimakrisenpolitik und soziale Gerechtigkeit diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
30.04.-09.05.2022, Hamburg/online
Konferenz Europawoche 2022
Die Europawoche in Hamburg steht unter dem Motto “Europäisches Jahr der Jugend”. In verschiedenen Diskussionsrunden werden aktuelle Herausforderungen der Europapolitik wie der Ukraine-Krieg thematisiert. INFOS
02.05.2022 – 09:30-16:30 Uhr, Leipzig
Gesundheitsforen, Konferenz Fokustag Digitale Medizin
Beim Fokustag Digitale Medizin werden Unsicherheiten, Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie der Umsetzung einer digitalen Strategie diskutiert. INFOS
02.05.2022 – 16:30-18:00 Uhr, online
Berliner Energietage & Europe.Table, Seminar Neue Abhängigkeiten? Rohstoffversorgung für klimafreundliche Technologien
Kerstin Jonas (Europäische Kommission), Henrike Hahn (Grüne/ EFA) und Matthias Wachter (BDI) sprechen mit Europe.Table-Redaktionsleiter Till Hoppe über Energieabhängigkeiten in Europa und Möglichkeiten, diese zukünftig zu vermeiden. INFOS & ANMELDUNG
03.05.2022 – 10:00-12:00 Uhr, online
ASEW, Seminar Kombination E-Mobilität und PV
Das Seminar der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beschäftigt sich mit der Frage, wie die Abschaffung der EEG-Umlage die Kombination von Photovoltaik (PV) und E-Mobilität beeinflusst. INFOS & ANMELDUNG
03.05.2022 – 12:00-13:30 Uhr, online
Berliner Energietage & Tagesspiegel, Diskussion Forum Urbane Infrastrukturen 2022
Wie kann Berlin bis 2045 klimaneutral werden? Welche konkreten Maßnahmen sind dafür notwendig? Darum geht es bei diesem Forum des Tagesspiegel. INFOS & ANMELDUNG
03.05.2022 – 16:00-17:30 Uhr, Hamburg
Europa-Union Hamburg, Diskussion Wie viel Europa steckt in Hamburg? Speeddating mit EU-Förderprogrammen
Als Teil der Europawoche 2022 zeigt diese Veranstaltung der Europa-Union Hamburg auf, welche Projekte in Hamburg durch EU-Fördermittel entstanden sind. ANMELDUNG
03.05.2022 – 18:00-21:30 Uhr, Spelle
BVMW, Vortrag Manufaktur & Maschinen – Was Robotertechnik und feinster Genuss miteinander gemein haben
Bei der Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) werden die Schinkenmanufaktur Klümper und die Heinz Sanders GmbH vorgestellt. Beide Familienunternehmen arbeiten automatisiert mit maschineller Unterstützung. INFOS & ANMELDUNG
03.05.-05.05.2022, Amsterdam (Niederlande)/online
Eurogas, Conference Flame 2022
Energy transition is the focus of the conference Flame in Amsterdam. Topics are carbon-free solutions for energy supplies, the role of natural gas and LNG in the transition to a sustainable energy economy, and opportunities for collaboration on hydrogen projects. INFOS
10.05.-11.05.2022, Wien (Österreich)/online
Conference GreenTech Days 2022
Key topics of the GreenTech Days in Austria include the circular economy, resource efficiency, hydrogen, energy storage, urban planning, and energy-efficient buildings. REGISTRATION UNTIL 30.04.2022
Die EU-Kommission will Einfuhrzölle auf alle ukrainischen Waren für ein Jahr aussetzen. Zudem sollen alle Antidumping- und Schutzmaßnahmen der EU gegenüber ukrainischen Exporten von Stahl aufgehoben werden, um die Wirtschaft der Ukraine während des Krieges mit Russland zu unterstützen, wie die Brüsseler Behörde am Mittwoch mitteilte. “Dieser weitreichende Schritt soll dazu beitragen, die ukrainischen Exporte in die EU anzukurbeln.” Damit solle die schwierige Lage der ukrainischen Hersteller und Exporteure angesichts der russischen Invasion abgemildert werden.
Das Vorhaben sichert der Ukraine einen zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt. Nun müssen noch das Europäische Parlament und die EU-Staaten zustimmen. “Diese Maßnahmen werden den ukrainischen Produzenten und Exporteuren direkt helfen. Sie werden das Vertrauen in die ukrainische Wirtschaft stärken”, sagte Kommissions-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Im vergangenen Jahr belief sich der bilaterale Handel zwischen der EU und der Ukraine auf mehr als 52 Milliarden Euro.
Da der ukrainische Schiffsverkehr über das Schwarze Meer nun durch die russische Marine abgeschnitten ist, unterstützt die EU auch den Landtransport ukrainischer Waren. So hat die EU die Bedingungen für ukrainische Lkw-Fahrer liberalisiert und den Transit sowie die Nutzung der EU-Infrastruktur erleichtert. rtr
Wegen möglicher Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien in Ungarn hat die Brüsseler EU-Kommission nun offiziell ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln gegen das Land ausgelöst. Man werde das entsprechende Schreiben am Mittwoch nach Budapest schicken, schrieb EU-Kommissionsvize Věra Jourová auf Twitter. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte den Schritt schon Anfang des Monats angekündigt.
Bis Ungarn tatsächlich Geld aus dem EU-Haushalt gekürzt wird, wird es allerdings noch dauern. Dafür bräuchte es am Ende auch die Zustimmung von mindestens 15 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.
Der sogenannte EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft. Er soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben. Entscheidend dabei ist jedoch, dass durch die Verstöße ein Missbrauch von EU-Geldern droht.
“Wir haben Probleme identifiziert, die die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn verletzen und den EU-Haushalt beeinträchtigen könnten”, sagte Jourová. Hochrangige EU-Beamte sagten, der Fall konzentriere sich auf systemische Fehler im ungarischen öffentlichen Auftragswesen. Dort gelinge es nicht, Interessenkonflikte und das Risiko von Korruption zu verhindern.
Polen und Ungarn sehen sich besonders im Fokus des Instruments und hatten dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Dieser wies die Klagen im Februar jedoch ab. Beide Staaten bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget.
Zunächst einmal kann Budapest nun Stellung zu den Vorwürfen beziehen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorschlagen. Die EU-Kommission berücksichtigt dies dann bei der Entscheidung darüber, ob sie den EU-Staaten tatsächlich vorschlagen wird, Ungarn EU-Mittel zu kürzen. Orbáns Stabschef Gergely Gulyás kündigte in einem Facebook-Video an, dass die ungarische Regierung das Schreiben der Kommission prüfen und heute eine detaillierte Antwort geben werde. dpa/rtr
Die Industriestaatenorganisation OECD bescheinigt ihren Mitgliedsländern nur einen langsamen Fortschritt bei den Nachhaltigkeitszielen für 2030. Bisher seien nur ein Viertel der messbaren Unterziele bereits oder fast erreicht, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris am Mittwoch mit. Um alle Bestrebungen bis 2030 zu erreichen, brauche es stärkere politische Maßnahmen. Besonders viel Aufholbedarf sieht die OECD dabei, Vertrauen in Institutionen wiederherzustellen, die Umweltbelastung herunterzuschrauben und sicherzustellen, dass niemand abgehängt wird.
Die insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele mit jeweils zahlreichen Unterpunkten wurden 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Sie sollen zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene beitragen. dpa
Die EU-Länder sollten der EU-Kommission zufolge trotz sinkender Corona-Zahlen wachsam bleiben. Die Brüsseler Behörde stellte am Mittwoch einen Leitfaden für den Übergang von der Corona-Notlage der vergangenen Monate und Jahre zu einem langfristigeren Umgang mit der Corona-Pandemie vor. “Wir beginnen eine neue Phase der Pandemie, da wir allmählich begonnen haben, mit Covid-19 zu leben. Trotzdem sollten wir extrem wachsam bleiben”, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Es gebe nach wie vor das Risiko neuer Virusvarianten.
Konkret sollen die EU-Länder der Mitteilung zufolge die Kampagnen für Corona-Impfungen und Booster verstärken. Nur 64 Prozent der EU-Bevölkerung hätten einen Booster erhalten, und es gebe noch 90 Millionen komplett ungeimpfte Menschen in der EU, sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Um die Versorgung mit Corona-Impfstoffen langfristig sicherzustellen, sollen unter der Aufsicht der neuen EU-Gesundheitsbehörde Hera Kapazitäten für ihre Herstellung reserviert werden.
Kyriakides sagte auch, dass Impfstoffe, die an Varianten von Covid-19 angepasst seien, so schnell wie möglich zugelassen werden sollten, wenn sie verfügbar seien. “Ich würde sagen, dass eine Zulassung von angepassten Impfstoffen nicht vor Ende des Sommers erwartet wird”, sagte sie.
Gleichzeitig sollten Länder ein langfristiges System für Tests und für die Überwachung des Virus einführen, welches neben Covid-19 auch andere Atemwegserkrankungen wie die Grippe einbeziehen könnte, so die Mitteilung. dpa
Die EU-Kommission will legale Zuwanderung von Arbeitskräften in die Europäische Union einfacher machen. Legale Migration habe rundum positive Auswirkungen, sagte EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Mittwoch in Brüssel. “Sie gibt Migrationswilligen die Möglichkeit, ihre Lebensumstände zu verbessern, und gleichzeitig werden mehr qualifizierte Arbeitskräfte für die Aufnahmeländer gewonnen, die wiederum die Wirtschaft für alle ankurbeln.” Schinas verwies auf einen erheblichen Fachkräftemangel in der EU (Europe.Table berichtete) und betonte: “Migration ist Teil der europäischen DNA.”
Unter anderem schlug die Brüsseler Behörde nun vor, die Regeln für eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu ändern. Unter anderem sollten Menschen mit dieser Erlaubnis das Recht haben, den Arbeitgeber zu wechseln. Auch solle diese Erlaubnis nicht entzogen werden, wenn ein Betroffener zeitweise arbeitslos sei. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten unrechtmäßig ausnutzten, sollten sanktioniert werden.
Zudem schlägt die EU-Kommission vor, dass Migranten die notwendigen fünf Jahre für eine langfristige Aufenthaltserlaubnis in Zukunft in verschiedenen EU-Ländern verbringen können sollten. Damit die Vorschläge umgesetzt werden, müssen sich nun noch die EU-Staaten und das Europaparlament auf eine gemeinsame Linie einigen. dpa
Die EU-Kommission will den grenzüberschreitenden Missbrauch zivilrechtlicher Instrumente durch Unternehmen und öffentliche Stellen eindämmen, mit dem unliebsame Berichterstattung und Kritik verhindert werden sollen. Gestern stellte die Kommission ihre Pläne vor, wie sie grenzüberschreitende Einschüchterungsklagen (strategic lawsuits against public participation, SLAPP) künftig zumindest etwas erschweren will.
Die Kommission will mittels Richtlinienvorschlag unter anderem dafür sorgen, dass aus strategischen Gründen geführte Verfahren von den zuständigen Gerichten schneller verworfen werden können. Zudem soll die Beweispflicht für die Begründetheit des Vorgehens beim Kläger liegen. Der Vorschlag sieht zudem vor, dass unbegründete Klagen auch auf die Initiatoren der SLAPP zurückwirken können: In solchen Fällen sollen nicht nur Entschädigungsregelungen für Betroffene im nationalen Recht geschaffen werden, sondern auch wirksame Möglichkeiten, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen.
Besser geschützt werden sollen auch Einwohner der EU, gegen die unberechtigte Verfahren in Drittstaaten angestrengt werden: Auch hier sollen es einen einklagbaren Anspruch auf Ersatz entstandener Kosten sowie Schadenersatz bei SLAPP geben.
Kritik an dem Vorhaben kommt – bei allgemeiner Zustimmung – aus Reihen der Grünen: Die Vorschläge der Kommission gingen nicht weit genug, da sie sowohl strafrechtliche Fälle wie innerstaatliches Vorgehen nicht adressierten. Marie Toussaint (Grüne/EFA) sagte, dass es über die aktuelle Regulierung hinaus “ein wirklich wirksames Recht auf ein faires Verfahren auf europäischer Ebene” benötige.
Zum jetzigen Zeitpunkt fehlt es der EU an einer unmittelbaren Kompetenz zur Regelung des Missbrauchs strafrechtlicher und ausschließlich in einzelnen Mitgliedstaaten stattfindender Vorgänge. Diese machen den Großteil strategischer juristischer Einschüchterungsversuche gegenüber Journalisten aus. Allerdings sind grobe Rechtssystemmissbräuche auch Gegenstand der Rechtstaatlichkeitsprüfung durch die EU-Kommission – die sich jedoch in der Praxis erst noch bewähren muss. fst
Finanzbehörden dürfen von Onlineplattformen steuerlich relevante Daten abfragen, wenn diese die örtlichen Zuständigkeiten der Behörde betreffen. Das hat in einem gestrigen Urteil der Europäische Gerichtshof anlässlich dreier Vorlagefragen des belgischen Verfassungsgerichtshofs geurteilt.
Die Region Brüssel hatte Ende 2016 die Anbieter von Übernachtungsvermittlungen zur Herausgabe von Informationen zur Anzahl von Übernachtungen und Gästen der jeweiligen Anbieter auf der Plattform verpflichtet. Ziel war die Berechnung einer pauschalen Steuer auf Übernachtungen. Eine ähnliche Abgabe existiert unter den Namen Bettensteuer, City-Tax oder Kulturabgabe auch in vielen deutschen Städten. Auf Anforderung der Behörden sollte Airbnb die entsprechenden Auskünfte erteilen. Der Betreiber hatte 2017 mehrfach Auskünfte verweigert, was die zuständigen Behörden ihrerseits mit einem Bußgeld belegten.
Die Vermietungs-Vermittlung des US-Anbieters Airbnb, deren für das europäische Geschäft maßgebliche Tochtergesellschaft in Irland sitzt, reichte beim belgischen Verfassungsgericht Klage ein. Der Europäische Gerichtshof musste nun entscheiden: Unterliegt der Betreiber des Onlinedienstes dem Recht der Region Brüssel, auch wenn er nicht selbst der Steuerpflichtige ist und keine Betriebsstätte vor Ort hat? Und ist er zur Mitwirkung verpflichtet?
Die Antwort des Europäischen Gerichtshofes ist eindeutig: Die E-Commerce-Richtlinie steht dem nicht entgegen. Denn das Steuerrecht gehört zu den nicht vergemeinschafteten Bereichen. Ausdrücklich sind nationale Gesetze in allen Steuerrechts-Sachverhalten von den Vereinheitlichungs-Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie ausgenommen – und Airbnb bietet seine Vermittlungsdienstleistung im Zuständigkeitsbereich der Region Brüssel an.
Für Deutschland hat das Urteil im Fall Airbnb keine direkten Auswirkungen: Die Servicestelle Steueraufsicht Hamburg hatte im September 2020 vor einem irischen Gericht die Herausgabe steuerrelevanter Daten von der Plattform erstritten, die dann an die Wohnsitzfinanzämter übermittelt wurden.
Das nun erfolgte Urteil des Europäischen Gerichtshofes geht derweil weit über den spezifischen Fall von Airbnb hinaus: Auch andere Plattformen, die unter die E-Commerce-Richtlinie fallen und deren Nutzer nach lokalem Recht Abgaben oder Steuern entrichten müssten, können demnach zur Mitwirkung verpflichtet sein. fst
Wie sich ein Leben mit wenig Privatsphäre anfühlen kann, das hat Paula Cipierre schon als Jugendliche erlebt. Mit sechzehn Jahren hat die Tochter einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters Deutschland verlassen, um die letzten zwei Jahre ihrer Schulzeit auf einem internationalen Internat, dem United World College in Norwegen, zu verbringen. “Wir waren in Fünferzimmern untergebracht”, erinnert sich die 32-Jährige. “Zu meinen Bettnachbarinnen zählten Mädchen aus Litauen, Norwegen, Tibet und der Westsahara, zwei davon waren Geflüchtete.”
Sechzehn Jahre später ist Paula Cipierre als EU-Leiterin für Privacy und Public Policy des Softwareherstellers Palantir Technologies eine Expertin für Datenschutz-Themen. Das Unternehmen bietet – durchaus umstrittene – Produkte wie die Plattform Gotham an, die Sicherheitsbehörden im Bereich der Strafverfolgung und Verteidigung einsetzen. Hier arbeiten Softwareingenieur:innen und Data Scientists Hand in Hand mit Jurist:innen und Ethikexpert:innen. Paula Cipierre hat also bis heute tagtäglich Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen – was möglicherweise daran liegt, dass sie selbst gerne ungewöhnliche Wege geht.
Cipierre ist eine von wenigen jungen Frauen, die sich in einem Software-Unternehmen mit Datenschutzthemen befassen. Sie ist von Hause aus Geistes- und Kulturwissenschaftlerin: Französische Literaturwissenschaft, Europäische Kulturstudien und Nahoststudien hat sie studiert, und zwar an der renommierten Princeton University in den USA. Während ihres Masterstudiums in Public Policy an der Hertie School of Governance half sie 2012 als studentische Mitarbeiterin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) dabei, eine Konferenz zur damals geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung zu organisieren. Seitdem lässt sie das Thema mit seinen rechtlichen und kulturellen Facetten nicht mehr los.
Kurz nachdem Edward Snowden die Ausspähung von Internetnutzern durch den US-Auslandsgeheimdienst aufdeckte, widmete Paula Cipierre ihre Masterarbeit der Transatlantischen Privacy Governance, um dann bei einer Philosophin an der New York University eine Promotion in “Medien, Kultur und Kommunikation” zu beginnen – zu dem Thema, wie man rechtliche und normative Datenschutz-Anforderungen in die Gestaltung von neuen Technologien von Beginn an einbauen kann. Ein Thema, das sonst vor allem Jurist*innen und Computerwissenschaftler*innen beschäftigt.
Die Promotion legte Cipierre Ende 2016 erst mal auf Eis, um bei Palantir anzuheuern, zunächst in New York, dann in München und schließlich in Berlin. “Ich wollte näher an den Themen dran sein, zu denen ich jahrelang geforscht hatte.”
Als Verantwortliche für die Themen Privacy und Public Policy des Unternehmens ist sie nun unter anderem dafür zuständig, Regierungs- und privaten Kunden, aber auch der breiteren Öffentlichkeit zu erklären, wie Palantir mit den Themen Datenschutz und Datenethik in der Praxis umgeht: “Sowohl im Regierungsbereich als auch im kommerziellen Bereich arbeiten wir zu gesellschaftlich wichtigen Themen. Wir wollen als Firma transparent kommunizieren: Was können unsere Plattformen? Und welche Schutzmöglichkeiten sind dort eingebaut?”
Cipierre lebt in Berlin und studiert derzeit berufsbegleitend Informationstechnologierecht, bildet sich also auch juristisch weiter – und profitiert nach wie vor von ihrem ersten Studium, in dem sie Französisch, Spanisch und auch Hebräisch gelernt hat: “In unterschiedlichen Sprachen denkt man unterschiedlich über gewisse Konzepte. Programmiersprachen sind auch Sprachen. Nun helfe ich, rechtliche und ethische Prinzipien in unsere Software zu übersetzen.” Janna Degener-Storr
“Der Hahn wurde zugedreht”, sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa im polnischen Hörfunk. Polen und auch Bulgarien sind seit gestern ohne Gas aus Russland. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte Moskaus Vorgehen den “Versuch, uns mit Gas zu erpressen”. Doch beide Länder hatten den Ausstieg aus dem russischen Gas ohnehin geplant, schwere Versorgungsengpässe seien nicht zu befürchten, hieß es nach einem Krisentreffen in Brüssel. Wie die beiden Länder die Gasversorgung jetzt und in Zukunft sicherstellen und was von der Leyen zu Zahlungen in Rubel zu sagen hatte, lesen Sie in der Analyse von Eric Bonse und Manuel Berkel.
Schon im Februar waren die Preise für Düngemittel außerordentlich hoch. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind sie laut EU-Kommission noch mal um weitere 40 Prozent angestiegen. Das Problem: Auch in diesem Bereich sind etliche EU-Staaten von Importen aus Russland abhängig. Doch die bleiben nun aus. Zudem treiben die hohen Energiepreise die Produktionskosten für Düngemittel in die Höhe. Das könnte starke Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung haben, wie Timo Landenberger berichtet. Der Deutsche Bauernverband warnt bereits vor drastischen Einbußen bei den Ernten.
Die Lage in Polen und Bulgarien sei unter Kontrolle, hieß es nach einem Krisentreffen in Brüssel. Ernste Versorgungsengpässe seien nicht zu befürchten, sagte ein EU-Diplomat. Polen und Bulgarien hatten den Ausstieg aus russischem Gas ohnehin bis Ende des Jahres geplant. Polen sei mit 10 Milliarden Kubikmetern (bcm) pro Jahr betroffen, könne sich aber über LNG-Terminals versorgen, die Speicher im Land seien zu 76 Prozent gefüllt, twitterte Bruegel-Experte Simone Tagliapietra.
Bulgarien ist zwar zu 90 Prozent von russischen Importen abhängig und die Speicherstände liegen nur bei 15 Prozent, allerdings ist die importierte Menge aus Russland mit 3 bcm vergleichsweise gering. Bulgarien hat einen Interkonnektor mit Rumänien und spätestens im September soll die IGB-Leitung nach Griechenland in Betrieb gehen. Über sie sollen künftig 1 bcm pro Jahr aus Aserbaidschan nach Bulgarien fließen. Zudem habe Bulgarien bereits LNG-Lieferungen über griechische Häfen gebucht, sagte gestern ein Sprecher des Energieministeriums in Athen. Insgesamt hat die IGB eine Kapazität von 3 bcm, die laut der Athener Zeitung “Kathimerini” auf 5 bcm gesteigert werden kann.
Der Gastransit in andere Staaten ist nach Einschätzung Tagliapietras und des Versorgers Uniper nicht von den Schritten gegen die polnischen und bulgarischen Firmen betroffen. Bislang sehe man keine größeren Veränderungen auf der Jamal-Route, sagte Uniper-CCO Niek den Hollander vor Analysten. CEO Klaus-Dieter Maubach warnte allerdings in einem Interview mit der “FAZ” vor unberechenbaren Reaktionen aus Moskau: “Sollte der Westen ein Ölembargo beschließen, ist nicht auszuschließen, dass die Russen mit einem Gaslieferstopp reagieren.”
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach angesichts der Aktion aus Moskau von Erpressung. “Die Ankündigung von Gazprom ist ein weiterer Versuch Russlands, uns mit Gas zu erpressen”, sagte sie. Die EU sei aber vorbereitet: “Unsere Antwort wird umgehend, geschlossen und koordiniert sein.”
Ihre Behörde werde sicherstellen, dass Gazproms Entscheidungen die geringstmöglichen Auswirkungen auf die Verbraucher haben, so die CDU-Politikerin. Außerdem will die Kommission für volle Gasspeicher sorgen – vor allem durch den Bezug von Flüssiggas (LNG) aus den USA.
Eine schnelle Lösung zeichnet sich jedoch nicht ab. Die Kommission will erst Ende Mai eine Strategie für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern aus Russland vorlegen. Zudem können viele EU-Länder – darunter auch Deutschland – noch nicht auf die Gaslieferungen verzichten.
Dies führt zu nationalen Alleingängen. So reiste der österreichische Kanzler Karl Nehammer Mitte April nach Moskau, um in einem Vier-Augen-Gespräch mit Kremlchef Putin die Gasversorgung zu sichern. Putin habe erklärt, dass weiter in Euro bezahlt werden kann, hieß es hinterher in Wien. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán wiederum erklärte sich bereit, zur Not auch in Rubel zu zahlen.
Die EU-Kommission selbst hat inzwischen ihre Analyse des Moskauer Dekrets zu den Zahlungsmodalitäten geändert. In der vergangenen Woche hatte die Behörde erklärt, dass Zahlungen in Rubel nicht in jedem Fall einen Verstoß gegen die EU-Sanktionen darstellten. Die Kommission veröffentlichte dazu sogar einen Leitfaden.
Am Mittwoch äußerte sich von der Leyen gegenteilig. Wer von der europäischen Linie abweiche und in Rubel zahle, verstoße gegen die Sanktionsbeschlüsse und müsse mit hohen Risiken rechnen, sagte sie in einer Pressekonferenz. Welche Risiken das sind, ließ sie zunächst offen. Weiter sagte sie, die Lieferverträge mit Russland sähen zu 97 Prozent Zahlungen in Euro oder Dollar vor. Daran seien die EU-Staaten gebunden.
Nach einem SPIEGEL-Bericht geht es bei dem Zahlungsstreit vor allem um zwei Knackpunkte. Zum einen könnte durch Putins Finanztricks das Währungsrisiko auf die Abnehmer im Westen verlagert werden. Stiege der Rubelkurs, würde das Gas für die Energieimporteure teurer.
Zweitens ist erklärtes Ziel der EU-Sanktionen, die russische Zentralbank aus den Währungsgeschäften herauszuhalten. Nach der jüngsten Analyse der Kommission sei das mit dem neuen, von Moskau verlangten Zahlungsverfahren aber nicht mehr auszuschließen. Der Kreml lasse die Details im Unklaren. Mit Manuel Berkel und rtr
Leere Regale im Supermarkt und teils sehr hohe Preise für Grundnahrungsmittel treiben die Sorge vor einem Nahrungsmittel-Engpass weiter an. Derweil beteuern die Verantwortlichen aus Politik und Landwirtschaft schon beinahe gebetsmühlenartig, die Versorgung sei gesichert. In ihrer Mitteilung zur Ernährungssicherung teilte die Europäische Kommission Ende März mit: Ein Mangel sei nicht zu befürchten. Bei der Produktion von Nahrungsmitteln sei der Agrarsektor der EU “weitestgehend autark”. Das stimmt jedoch nur bedingt.
Tatsächlich ist ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad eines der erklärten Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), und bei wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Weizen oder Gerste ist die EU Nettoexporteur. Das könnte sich jedoch schon bald ändern, denn der Krieg in der Ukraine offenbart auch in der Landwirtschaft die internationalen Abhängigkeiten und Verflechtungen. So haben sich die Produktionskosten für Agrarerzeugnisse in den vergangenen Wochen teils enorm verteuert.
Besonders deutlich wird das im Bereich der Düngemittel, wo die Preise bereits im Februar zum Teil um ein Vielfaches über dem Niveau des Vorjahres lagen und die seit Ausbruch des Krieges laut Kommission um weitere 40 Prozent gestiegen sind. Der höchste jemals verzeichnete Wert, sagt der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins. Der Vorsitzende des Agrarausschusses befürchtet deshalb mittelfristig starke Auswirkungen auf die Lebensmittelbranche.
Mit rund 14 Prozent zählt Russland zu den wichtigsten Produktionsländern von mineralischem Dünger auf dem Weltmarkt. Etliche EU-Staaten sind von Importen aus Russland abhängig, doch die bleiben nun aus, nicht zuletzt aufgrund der EU-Sanktionen gegenüber Moskau. Daneben treiben die hohen Energiepreise die Produktionskosten für Düngemittel in die Höhe. Denn Gas ist nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Rohstoff wichtig für Stickstoffdünger, der aus Ammoniak hergestellt wird. Dem Industrieverband Agrar zufolge macht der Gaspreis hier bis zu 90 Prozent der Herstellungskosten aus.
Entsprechend groß sind die Befürchtungen in der Branche vor einem möglichen Embargo oder Gaslieferstopp aus Russland und einer weiteren Verknappung der Gasversorgung. “Der Bundeswirtschaftsminister verantwortet den Gasnotfallplan, wir stehen im engen Austausch und er ist ebenso wie die Bundesnetzagentur sensibilisiert für die Bedarfe der Land- und Ernährungswirtschaft“, teilt eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums (BMEL) auf Nachfrage mit.
Um weiter wirtschaftlich zu sein, drosseln dennoch viele Hersteller von Stickstoffdünger bereits ihre Produktion. Auch Phosphor und Kalium, neben Stickstoff die meist verwendeten Düngemittel, werden knapp. Zwar ist der Gaspreis hier weniger ausschlaggebend. Jedoch machen alleine Russland und Belarus, das ebenfalls vom Westen sanktioniert wird, rund 40 Prozent der Exportmenge von Kalidünger auf dem Weltmarkt aus. Das treibt die Preise.
Andere Kali-Produzenten profitieren. So erwartet der Düngemittelhersteller S+K gute Geschäfte und hat seine Ergebnisprognose für das laufende Jahr Mitte April deutlich nach oben korrigiert. Herbert Dorfmann, Europaabgeordneter der Südtiroler Volkspartei, spricht von einer “absurden Preissituation”. Der Agrarökonom wirft den Unternehmen vor, die schwierige Lage auszunutzen und fordert von der Kommission, ein mögliches Marktversagen zu untersuchen.
Auf eine entsprechende Anfrage des Europe.Table reagierte die Brüsseler Behörde auch auf Nachfrage nicht. Der Industrieverband Agrar teilte hingegen mit: “Düngemittel sind weltweit gehandelte Commodities, die Preise bilden sich durch Angebot und Nachfrage. Dabei spielen Deutschland und Europa im globalen Maßstab sowohl als Anbieter wie als Abnehmer eine untergeordnete Rolle.”
Für das laufende Jahr befürchtet der Deutsche Bauernverband (DBV) noch wenig Einbußen bei den Ernten infolge der Düngemittelknappheit. Wenn sich die Lage jedoch nicht verbessert, müsse 2023 mit Ertragsrückgängen von bis zu 40 Prozent gerechnet werden, so DBV-Präsident Bernhard Krüsken. “Um die Versorgung für die Anbausaison 2023 sicherzustellen, fordern wir die Bundesregierung auf, eine Düngemittelreserve anzulegen.”
Das lehnt diese jedoch ab. “Düngemittel vom Markt zu nehmen, würde die bereits bestehende Knappheit weiter verschärfen.” Auch aus technischen Gründen der Sicherheit und Lagerfähigkeit sei eine Reserve schwer umzusetzen, so eine BMEL-Sprecherin. Wichtiger sei ein effizienterer Umgang mit Düngemitteln, etwa durch verbesserte Ausbringtechniken oder die Messung des Stickstoffgehalts. Mittelfristig müsse das Prinzip der Kreislaufwirtschaft wieder mehr in den Vordergrund gerückt werden.
Unmittelbare Hilfe für die Landwirtschaft verspricht sich Norbert Lins von der Forderung des EU-Parlaments an die Kommission, Anti-Dumping-Zölle auf Düngemittel auszusetzen. Eine weitere Maßnahme könne der Umschwung von chemischem zu tierischem Dünger sein, so der Abgeordnete.
Tatsächlich seien viele Betriebe aufgrund der angespannten Situation gezwungen, ihr Düngemanagement anzupassen, bestätigt das BMEL. Statt Mineraldünger einzusetzen, werde der Kauf von tierischem, sogenanntem Wirtschaftsdünger aus Regionen, in denen sich Tierhaltung konzentriert, jetzt deutlich attraktiver. “Komplett ersetzen kann er den Mineraldünger jedoch nicht”, so DBV-Generalsekretär Küsken.
Das größte Problem sei die Abhängigkeit von fossilen Energien, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. Statt in Aktionismus zu verfallen und die Düngemittelproduktion zu subventionieren, müsse der grüne Wandel weiter forciert werden. “Zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen kommen allein aus der Stickstofferzeugung. Die Kollateralschäden sind also nicht ganz unerheblich”, so Häusling.
30.04.2022 – 08:30 Uhr, Berlin/online
Taz, Konferenz Klima und Klasse
Beim Taz-Kongress 2022 werden in verschiedenen Panels Fragen rund um den Klimawandel, die Klimakrisenpolitik und soziale Gerechtigkeit diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
30.04.-09.05.2022, Hamburg/online
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Die Europawoche in Hamburg steht unter dem Motto “Europäisches Jahr der Jugend”. In verschiedenen Diskussionsrunden werden aktuelle Herausforderungen der Europapolitik wie der Ukraine-Krieg thematisiert. INFOS
02.05.2022 – 09:30-16:30 Uhr, Leipzig
Gesundheitsforen, Konferenz Fokustag Digitale Medizin
Beim Fokustag Digitale Medizin werden Unsicherheiten, Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie der Umsetzung einer digitalen Strategie diskutiert. INFOS
02.05.2022 – 16:30-18:00 Uhr, online
Berliner Energietage & Europe.Table, Seminar Neue Abhängigkeiten? Rohstoffversorgung für klimafreundliche Technologien
Kerstin Jonas (Europäische Kommission), Henrike Hahn (Grüne/ EFA) und Matthias Wachter (BDI) sprechen mit Europe.Table-Redaktionsleiter Till Hoppe über Energieabhängigkeiten in Europa und Möglichkeiten, diese zukünftig zu vermeiden. INFOS & ANMELDUNG
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ASEW, Seminar Kombination E-Mobilität und PV
Das Seminar der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beschäftigt sich mit der Frage, wie die Abschaffung der EEG-Umlage die Kombination von Photovoltaik (PV) und E-Mobilität beeinflusst. INFOS & ANMELDUNG
03.05.2022 – 12:00-13:30 Uhr, online
Berliner Energietage & Tagesspiegel, Diskussion Forum Urbane Infrastrukturen 2022
Wie kann Berlin bis 2045 klimaneutral werden? Welche konkreten Maßnahmen sind dafür notwendig? Darum geht es bei diesem Forum des Tagesspiegel. INFOS & ANMELDUNG
03.05.2022 – 16:00-17:30 Uhr, Hamburg
Europa-Union Hamburg, Diskussion Wie viel Europa steckt in Hamburg? Speeddating mit EU-Förderprogrammen
Als Teil der Europawoche 2022 zeigt diese Veranstaltung der Europa-Union Hamburg auf, welche Projekte in Hamburg durch EU-Fördermittel entstanden sind. ANMELDUNG
03.05.2022 – 18:00-21:30 Uhr, Spelle
BVMW, Vortrag Manufaktur & Maschinen – Was Robotertechnik und feinster Genuss miteinander gemein haben
Bei der Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) werden die Schinkenmanufaktur Klümper und die Heinz Sanders GmbH vorgestellt. Beide Familienunternehmen arbeiten automatisiert mit maschineller Unterstützung. INFOS & ANMELDUNG
03.05.-05.05.2022, Amsterdam (Niederlande)/online
Eurogas, Conference Flame 2022
Energy transition is the focus of the conference Flame in Amsterdam. Topics are carbon-free solutions for energy supplies, the role of natural gas and LNG in the transition to a sustainable energy economy, and opportunities for collaboration on hydrogen projects. INFOS
10.05.-11.05.2022, Wien (Österreich)/online
Conference GreenTech Days 2022
Key topics of the GreenTech Days in Austria include the circular economy, resource efficiency, hydrogen, energy storage, urban planning, and energy-efficient buildings. REGISTRATION UNTIL 30.04.2022
Die EU-Kommission will Einfuhrzölle auf alle ukrainischen Waren für ein Jahr aussetzen. Zudem sollen alle Antidumping- und Schutzmaßnahmen der EU gegenüber ukrainischen Exporten von Stahl aufgehoben werden, um die Wirtschaft der Ukraine während des Krieges mit Russland zu unterstützen, wie die Brüsseler Behörde am Mittwoch mitteilte. “Dieser weitreichende Schritt soll dazu beitragen, die ukrainischen Exporte in die EU anzukurbeln.” Damit solle die schwierige Lage der ukrainischen Hersteller und Exporteure angesichts der russischen Invasion abgemildert werden.
Das Vorhaben sichert der Ukraine einen zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt. Nun müssen noch das Europäische Parlament und die EU-Staaten zustimmen. “Diese Maßnahmen werden den ukrainischen Produzenten und Exporteuren direkt helfen. Sie werden das Vertrauen in die ukrainische Wirtschaft stärken”, sagte Kommissions-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Im vergangenen Jahr belief sich der bilaterale Handel zwischen der EU und der Ukraine auf mehr als 52 Milliarden Euro.
Da der ukrainische Schiffsverkehr über das Schwarze Meer nun durch die russische Marine abgeschnitten ist, unterstützt die EU auch den Landtransport ukrainischer Waren. So hat die EU die Bedingungen für ukrainische Lkw-Fahrer liberalisiert und den Transit sowie die Nutzung der EU-Infrastruktur erleichtert. rtr
Wegen möglicher Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien in Ungarn hat die Brüsseler EU-Kommission nun offiziell ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln gegen das Land ausgelöst. Man werde das entsprechende Schreiben am Mittwoch nach Budapest schicken, schrieb EU-Kommissionsvize Věra Jourová auf Twitter. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte den Schritt schon Anfang des Monats angekündigt.
Bis Ungarn tatsächlich Geld aus dem EU-Haushalt gekürzt wird, wird es allerdings noch dauern. Dafür bräuchte es am Ende auch die Zustimmung von mindestens 15 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.
Der sogenannte EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft. Er soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben. Entscheidend dabei ist jedoch, dass durch die Verstöße ein Missbrauch von EU-Geldern droht.
“Wir haben Probleme identifiziert, die die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn verletzen und den EU-Haushalt beeinträchtigen könnten”, sagte Jourová. Hochrangige EU-Beamte sagten, der Fall konzentriere sich auf systemische Fehler im ungarischen öffentlichen Auftragswesen. Dort gelinge es nicht, Interessenkonflikte und das Risiko von Korruption zu verhindern.
Polen und Ungarn sehen sich besonders im Fokus des Instruments und hatten dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Dieser wies die Klagen im Februar jedoch ab. Beide Staaten bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget.
Zunächst einmal kann Budapest nun Stellung zu den Vorwürfen beziehen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorschlagen. Die EU-Kommission berücksichtigt dies dann bei der Entscheidung darüber, ob sie den EU-Staaten tatsächlich vorschlagen wird, Ungarn EU-Mittel zu kürzen. Orbáns Stabschef Gergely Gulyás kündigte in einem Facebook-Video an, dass die ungarische Regierung das Schreiben der Kommission prüfen und heute eine detaillierte Antwort geben werde. dpa/rtr
Die Industriestaatenorganisation OECD bescheinigt ihren Mitgliedsländern nur einen langsamen Fortschritt bei den Nachhaltigkeitszielen für 2030. Bisher seien nur ein Viertel der messbaren Unterziele bereits oder fast erreicht, teilte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris am Mittwoch mit. Um alle Bestrebungen bis 2030 zu erreichen, brauche es stärkere politische Maßnahmen. Besonders viel Aufholbedarf sieht die OECD dabei, Vertrauen in Institutionen wiederherzustellen, die Umweltbelastung herunterzuschrauben und sicherzustellen, dass niemand abgehängt wird.
Die insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele mit jeweils zahlreichen Unterpunkten wurden 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Sie sollen zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung auf wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ebene beitragen. dpa
Die EU-Länder sollten der EU-Kommission zufolge trotz sinkender Corona-Zahlen wachsam bleiben. Die Brüsseler Behörde stellte am Mittwoch einen Leitfaden für den Übergang von der Corona-Notlage der vergangenen Monate und Jahre zu einem langfristigeren Umgang mit der Corona-Pandemie vor. “Wir beginnen eine neue Phase der Pandemie, da wir allmählich begonnen haben, mit Covid-19 zu leben. Trotzdem sollten wir extrem wachsam bleiben”, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Es gebe nach wie vor das Risiko neuer Virusvarianten.
Konkret sollen die EU-Länder der Mitteilung zufolge die Kampagnen für Corona-Impfungen und Booster verstärken. Nur 64 Prozent der EU-Bevölkerung hätten einen Booster erhalten, und es gebe noch 90 Millionen komplett ungeimpfte Menschen in der EU, sagte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Um die Versorgung mit Corona-Impfstoffen langfristig sicherzustellen, sollen unter der Aufsicht der neuen EU-Gesundheitsbehörde Hera Kapazitäten für ihre Herstellung reserviert werden.
Kyriakides sagte auch, dass Impfstoffe, die an Varianten von Covid-19 angepasst seien, so schnell wie möglich zugelassen werden sollten, wenn sie verfügbar seien. “Ich würde sagen, dass eine Zulassung von angepassten Impfstoffen nicht vor Ende des Sommers erwartet wird”, sagte sie.
Gleichzeitig sollten Länder ein langfristiges System für Tests und für die Überwachung des Virus einführen, welches neben Covid-19 auch andere Atemwegserkrankungen wie die Grippe einbeziehen könnte, so die Mitteilung. dpa
Die EU-Kommission will legale Zuwanderung von Arbeitskräften in die Europäische Union einfacher machen. Legale Migration habe rundum positive Auswirkungen, sagte EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Mittwoch in Brüssel. “Sie gibt Migrationswilligen die Möglichkeit, ihre Lebensumstände zu verbessern, und gleichzeitig werden mehr qualifizierte Arbeitskräfte für die Aufnahmeländer gewonnen, die wiederum die Wirtschaft für alle ankurbeln.” Schinas verwies auf einen erheblichen Fachkräftemangel in der EU (Europe.Table berichtete) und betonte: “Migration ist Teil der europäischen DNA.”
Unter anderem schlug die Brüsseler Behörde nun vor, die Regeln für eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu ändern. Unter anderem sollten Menschen mit dieser Erlaubnis das Recht haben, den Arbeitgeber zu wechseln. Auch solle diese Erlaubnis nicht entzogen werden, wenn ein Betroffener zeitweise arbeitslos sei. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten unrechtmäßig ausnutzten, sollten sanktioniert werden.
Zudem schlägt die EU-Kommission vor, dass Migranten die notwendigen fünf Jahre für eine langfristige Aufenthaltserlaubnis in Zukunft in verschiedenen EU-Ländern verbringen können sollten. Damit die Vorschläge umgesetzt werden, müssen sich nun noch die EU-Staaten und das Europaparlament auf eine gemeinsame Linie einigen. dpa
Die EU-Kommission will den grenzüberschreitenden Missbrauch zivilrechtlicher Instrumente durch Unternehmen und öffentliche Stellen eindämmen, mit dem unliebsame Berichterstattung und Kritik verhindert werden sollen. Gestern stellte die Kommission ihre Pläne vor, wie sie grenzüberschreitende Einschüchterungsklagen (strategic lawsuits against public participation, SLAPP) künftig zumindest etwas erschweren will.
Die Kommission will mittels Richtlinienvorschlag unter anderem dafür sorgen, dass aus strategischen Gründen geführte Verfahren von den zuständigen Gerichten schneller verworfen werden können. Zudem soll die Beweispflicht für die Begründetheit des Vorgehens beim Kläger liegen. Der Vorschlag sieht zudem vor, dass unbegründete Klagen auch auf die Initiatoren der SLAPP zurückwirken können: In solchen Fällen sollen nicht nur Entschädigungsregelungen für Betroffene im nationalen Recht geschaffen werden, sondern auch wirksame Möglichkeiten, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen.
Besser geschützt werden sollen auch Einwohner der EU, gegen die unberechtigte Verfahren in Drittstaaten angestrengt werden: Auch hier sollen es einen einklagbaren Anspruch auf Ersatz entstandener Kosten sowie Schadenersatz bei SLAPP geben.
Kritik an dem Vorhaben kommt – bei allgemeiner Zustimmung – aus Reihen der Grünen: Die Vorschläge der Kommission gingen nicht weit genug, da sie sowohl strafrechtliche Fälle wie innerstaatliches Vorgehen nicht adressierten. Marie Toussaint (Grüne/EFA) sagte, dass es über die aktuelle Regulierung hinaus “ein wirklich wirksames Recht auf ein faires Verfahren auf europäischer Ebene” benötige.
Zum jetzigen Zeitpunkt fehlt es der EU an einer unmittelbaren Kompetenz zur Regelung des Missbrauchs strafrechtlicher und ausschließlich in einzelnen Mitgliedstaaten stattfindender Vorgänge. Diese machen den Großteil strategischer juristischer Einschüchterungsversuche gegenüber Journalisten aus. Allerdings sind grobe Rechtssystemmissbräuche auch Gegenstand der Rechtstaatlichkeitsprüfung durch die EU-Kommission – die sich jedoch in der Praxis erst noch bewähren muss. fst
Finanzbehörden dürfen von Onlineplattformen steuerlich relevante Daten abfragen, wenn diese die örtlichen Zuständigkeiten der Behörde betreffen. Das hat in einem gestrigen Urteil der Europäische Gerichtshof anlässlich dreier Vorlagefragen des belgischen Verfassungsgerichtshofs geurteilt.
Die Region Brüssel hatte Ende 2016 die Anbieter von Übernachtungsvermittlungen zur Herausgabe von Informationen zur Anzahl von Übernachtungen und Gästen der jeweiligen Anbieter auf der Plattform verpflichtet. Ziel war die Berechnung einer pauschalen Steuer auf Übernachtungen. Eine ähnliche Abgabe existiert unter den Namen Bettensteuer, City-Tax oder Kulturabgabe auch in vielen deutschen Städten. Auf Anforderung der Behörden sollte Airbnb die entsprechenden Auskünfte erteilen. Der Betreiber hatte 2017 mehrfach Auskünfte verweigert, was die zuständigen Behörden ihrerseits mit einem Bußgeld belegten.
Die Vermietungs-Vermittlung des US-Anbieters Airbnb, deren für das europäische Geschäft maßgebliche Tochtergesellschaft in Irland sitzt, reichte beim belgischen Verfassungsgericht Klage ein. Der Europäische Gerichtshof musste nun entscheiden: Unterliegt der Betreiber des Onlinedienstes dem Recht der Region Brüssel, auch wenn er nicht selbst der Steuerpflichtige ist und keine Betriebsstätte vor Ort hat? Und ist er zur Mitwirkung verpflichtet?
Die Antwort des Europäischen Gerichtshofes ist eindeutig: Die E-Commerce-Richtlinie steht dem nicht entgegen. Denn das Steuerrecht gehört zu den nicht vergemeinschafteten Bereichen. Ausdrücklich sind nationale Gesetze in allen Steuerrechts-Sachverhalten von den Vereinheitlichungs-Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie ausgenommen – und Airbnb bietet seine Vermittlungsdienstleistung im Zuständigkeitsbereich der Region Brüssel an.
Für Deutschland hat das Urteil im Fall Airbnb keine direkten Auswirkungen: Die Servicestelle Steueraufsicht Hamburg hatte im September 2020 vor einem irischen Gericht die Herausgabe steuerrelevanter Daten von der Plattform erstritten, die dann an die Wohnsitzfinanzämter übermittelt wurden.
Das nun erfolgte Urteil des Europäischen Gerichtshofes geht derweil weit über den spezifischen Fall von Airbnb hinaus: Auch andere Plattformen, die unter die E-Commerce-Richtlinie fallen und deren Nutzer nach lokalem Recht Abgaben oder Steuern entrichten müssten, können demnach zur Mitwirkung verpflichtet sein. fst
Wie sich ein Leben mit wenig Privatsphäre anfühlen kann, das hat Paula Cipierre schon als Jugendliche erlebt. Mit sechzehn Jahren hat die Tochter einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters Deutschland verlassen, um die letzten zwei Jahre ihrer Schulzeit auf einem internationalen Internat, dem United World College in Norwegen, zu verbringen. “Wir waren in Fünferzimmern untergebracht”, erinnert sich die 32-Jährige. “Zu meinen Bettnachbarinnen zählten Mädchen aus Litauen, Norwegen, Tibet und der Westsahara, zwei davon waren Geflüchtete.”
Sechzehn Jahre später ist Paula Cipierre als EU-Leiterin für Privacy und Public Policy des Softwareherstellers Palantir Technologies eine Expertin für Datenschutz-Themen. Das Unternehmen bietet – durchaus umstrittene – Produkte wie die Plattform Gotham an, die Sicherheitsbehörden im Bereich der Strafverfolgung und Verteidigung einsetzen. Hier arbeiten Softwareingenieur:innen und Data Scientists Hand in Hand mit Jurist:innen und Ethikexpert:innen. Paula Cipierre hat also bis heute tagtäglich Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen – was möglicherweise daran liegt, dass sie selbst gerne ungewöhnliche Wege geht.
Cipierre ist eine von wenigen jungen Frauen, die sich in einem Software-Unternehmen mit Datenschutzthemen befassen. Sie ist von Hause aus Geistes- und Kulturwissenschaftlerin: Französische Literaturwissenschaft, Europäische Kulturstudien und Nahoststudien hat sie studiert, und zwar an der renommierten Princeton University in den USA. Während ihres Masterstudiums in Public Policy an der Hertie School of Governance half sie 2012 als studentische Mitarbeiterin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) dabei, eine Konferenz zur damals geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung zu organisieren. Seitdem lässt sie das Thema mit seinen rechtlichen und kulturellen Facetten nicht mehr los.
Kurz nachdem Edward Snowden die Ausspähung von Internetnutzern durch den US-Auslandsgeheimdienst aufdeckte, widmete Paula Cipierre ihre Masterarbeit der Transatlantischen Privacy Governance, um dann bei einer Philosophin an der New York University eine Promotion in “Medien, Kultur und Kommunikation” zu beginnen – zu dem Thema, wie man rechtliche und normative Datenschutz-Anforderungen in die Gestaltung von neuen Technologien von Beginn an einbauen kann. Ein Thema, das sonst vor allem Jurist*innen und Computerwissenschaftler*innen beschäftigt.
Die Promotion legte Cipierre Ende 2016 erst mal auf Eis, um bei Palantir anzuheuern, zunächst in New York, dann in München und schließlich in Berlin. “Ich wollte näher an den Themen dran sein, zu denen ich jahrelang geforscht hatte.”
Als Verantwortliche für die Themen Privacy und Public Policy des Unternehmens ist sie nun unter anderem dafür zuständig, Regierungs- und privaten Kunden, aber auch der breiteren Öffentlichkeit zu erklären, wie Palantir mit den Themen Datenschutz und Datenethik in der Praxis umgeht: “Sowohl im Regierungsbereich als auch im kommerziellen Bereich arbeiten wir zu gesellschaftlich wichtigen Themen. Wir wollen als Firma transparent kommunizieren: Was können unsere Plattformen? Und welche Schutzmöglichkeiten sind dort eingebaut?”
Cipierre lebt in Berlin und studiert derzeit berufsbegleitend Informationstechnologierecht, bildet sich also auch juristisch weiter – und profitiert nach wie vor von ihrem ersten Studium, in dem sie Französisch, Spanisch und auch Hebräisch gelernt hat: “In unterschiedlichen Sprachen denkt man unterschiedlich über gewisse Konzepte. Programmiersprachen sind auch Sprachen. Nun helfe ich, rechtliche und ethische Prinzipien in unsere Software zu übersetzen.” Janna Degener-Storr