Manchmal ist es ganz gut, wenn man eine konkrete Zahl sieht: 500 Milliarden Euro. Dies ist die Größenordnung für Investitionen in die neue Generation Kernkraftwerke, die EU-Industriekommissar Thierry Breton bis 2050 für notwendig hält, wie er dem Journal di Dimanche im Interview sagte. Angesichts der Preishistorie von Kernkraftwerken, deren Bau selten im geplanten Kostenrahmen blieb, könnte dies sogar noch tiefgestapelt sein. Doch Breton, der umtriebigen Kommissar, dem Kritiker gern vorwerfen, in erster Linie französischer und dann EU-Kommissar zu sein, ist von der Notwendigkeit überzeugt. So wie Teile Europas und weite Teile der französischen Politik, allerdings nicht die Bundesregierung, wie die neue Umweltministerin Steffi Lemke gestern noch einmal klarstellte.
Frankreichs Ratspräsidentschaft fällt mit dem Präsidentschaftswahlkampf Emmanuel Macrons für die Wahl im April zeitlich zusammen. Macrons Credo: Souveränität. In der Energie- und Klimapolitik geht der zweit-einwohnerstärkste Mitgliedstaat dabei mit massiven Eigeninteressen in die Ratspräsidentschaft. Was das für das Fit for 55-Paket bedeutet und warum Frankreichs Regierung den Grenzausgleichmechanismus (CBAM) liebt, analysiert Stephan Israel.
Wenn der CBAM kommt, wird auch eine wesentliche Rolle spielen, wie beispielsweise mit China und dessen Emissionshandelssystem umgegangen wird. Noch liegt die konkrete EU-CBAM-Ausgestaltung in der Ferne – doch ein Blick auf das chinesische ETS, das jetzt in sein zweites Kalenderjahr geht, lohnt umso mehr. Christiane Kühl hat die Startphase analysiert.
Die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung setzt auf grünen Wasserstoff – doch was ist grün? Darüber wird im Rahmen der Taxonomie derzeit intensiv gestritten. Warum diese auch für den Wasserstoffmarkt höchst relevant ist, weshalb Wasserstoff als Ersatzbrennstoff noch etwas Zeit braucht und welche Rolle Geopolitik dabei spielt, hat Markus Exenberger, der Geschäftsführer der Stiftung H2Global, meinem Kollegen Timo Landenberger im Interview verraten.
Doch ganz so leicht ist das alles nicht: Cornelius Matthes soll die Energiewende in der Wüste Realität werden lassen. Desertec, jetzt auch mit grünem Wasserstoff, das Portrait in dieser energiegeladenen Ausgabe.
Es geht um mehr als Energiepreise, wenn sich Russland und der Westen in mehreren Formaten über die Frage beraten, wie kalt oder heiß es jetzt zwischenstaatlich werden soll. US-Außenminister Anthony Blinken jedenfalls machte in einem ABC-Interview klar: “Wir tun nichts und verpflichten uns zu nichts zu Europa ohne Europa. Alles, was europäische Sicherheitsinteressen berührt, wird vollständig mit den Europäern am Tisch koordiniert sein.” Welche Europäer genau an seinem Tisch sitzen dürfen, verriet Blinken dabei nicht. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dürfte nach seinen Äußerungen zu Nord Stream 2, dass irgendwann Rechtsfrieden nötig und die Pipeline nun einmal so gut wie fertig gebaut sei, derzeit eher keinen Platz dort finden.
Kommen Sie gut und gesund in die neue Woche.
Frankreichs Regierung hatte Ende vergangener Woche das Brüsseler Pressekorps nach Paris eingeladen und dort ihre Pläne präsentiert, wie zum Auftakt der rotierenden Ratspräsidentschaft jeweils üblich. Emmanuel Macron selbst blieb dabei sehr allgemein. Er sprach davon, bis Sommer die wichtigsten Gesetzestexte des Klimapakets “fit for 55” voranzubringen, also dem erklärten Ziel, bis 2030 die klimaschädlichen CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Und erwähnte explizit, dass die Bereiche Wohnen und Verkehr künftig auch einen Beitrag zur “Dekarbonisierung” leisten müssten.
Die Details überließ der Präsident seinen Ministerinnen und Ministern, die der Reihe nach ihre Pläne präsentierten, aber nicht zitiert werden dürfen. In Frankreich hat der Präsident im Vorwahlmodus das letzte Wort. Die große Überschrift Macrons: die “ökologische Souveränität”: Europa soll seine kohlenstofffreie Energie selber produzieren, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sichern, auf dem Kontinent die grünen Zukunftstechnologien entwickeln und auch herstellen. Europa soll zudem seine Normen und ökologischen Standards exportieren, unter anderem mithilfe des geplanten CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM).
Soviel zu den großen Linien. Konkret will Barbara Pompili, Ministerin für ökologische Transition (Europe.Table berichtete), die Umwelt- und Energieminister der Mitgliedstaaten vom 20. bis 22. Januar nach Amiens zu einem informellen Treffen einladen. Dort soll der Umweltrat am 6. und 7. März vorbereitet werden. Für März geplant ist eine Einigung unter den Mitgliedstaaten über die neue Batterieverordnung, in der die ökologische Herstellung und das Recycling geregelt werden. Auf der Agenda auch die Verordnung zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR), die Ladestationen spätestens alle 60 Kilometer vorschreiben wird.
Der Verkehr sei der einzige Bereich, in dem der Ausstoß der Klimaschadstoffe seit 1990 weiter zugenommen habe, hieß es dazu in Paris. Neben der Förderung der Elektromobilität soll die Trendwende mit dem System des Emissionshandels (ETS) geschafft werden, das neben Industrie und Strom künftig auch Wohnen und Verkehr erfassen soll (Europe.Table berichtete). Der Ratsvorsitz legt großen Wert darauf, dass dies sozial verträglich geschieht. Die Reform werde scheitern, wenn sie nicht von der Bevölkerung akzeptiert sei. In Frankreich hat man die Proteste der sogenannten Gelbwesten gegen höhere Kraftstoffpreise noch in Erinnerung.
Frankreich unterstützt im Prinzip das Ziel, bis 2035 die Produktion von Verbrennungsmotoren zu verbieten, drängt aber auf eine Übergangsfrist für Hybridfahrzeuge bis 2040. Alle Gesetzestexte des Pakets Fit for 55 seien miteinander verknüpft, das Ziel der Ratspräsidentschaft eine politische Einigung im Rat der Mitgliedstaaten bis zum Ende des französischen Vorsitzes. Oberste Priorität hat für Frankreich dabei der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) (Europe.Table berichtete). Der Mechanismus werde die Handelspartner der EU zwingen, ebenfalls auf grüne Technologie zu setzen. Die CO2-Abgabe auf Importe aus kohlenstoffreicher Produktion und der Emissionshandel seien zudem “zwei Seiten derselben Medaille”.
Zurückhaltend geht Paris mit dem eigenen Erfolg bei der Taxonomie um, wo Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Wunsch der Franzosen unter gewissen Bedingungen neben Gas auch Atom als grüne Energiequellen einstufen will. Dies gilt als Einladung an private Investoren. Neben Deutschland sehen das vor allem Österreich sowie Luxemburg kritisch und drohen (Europe.Table berichtete), die Klassifizierung mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof infrage zu stellen. Ein Szenario, das die Regierung in Paris beunruhigt: Bisher werde die ökologische Transformation weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Ohne private Investitionen werde es nicht möglich sein, die Klimaziele zu erreichen.
Die Ambitionen der französischen Ratspräsidentschaft lösen im Europaparlament keine Jubelstürme aus. Für Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen, hat der Kommissionsvorschlag zur Taxonomie generell einen Schatten auf die französische Ratspräsidentschaft und deren Pläne zu Fit for 55 geworfen. Der Einbezug der Atomenergie bei den grünen Energiequellen in Europas Taxonomie sei eindeutig ein Geschenk von Ursula von der Leyen an Emmanuel Macron gewesen. Frankreichs Präsident sei nicht der große Vermittler, den es jetzt beim Klimapaket eigentlich brauche. Der Vorschlag zur Taxonomie spalte im Gegenteil die EU.
Jens Geier konstatiert die besondere Vorliebe Frankreichs für die Grenzabgabe. Der CBAM stehe in der Tradition französischer Industriepolitik, mit ihrem Hang zum Protektionismus. Der Vorsitzende der SPD-Gruppe in der S&D-Fraktion im EU-Parlament ist aber nicht prinzipiell gegen den Mechanismus. Die Frage sei, wie er genau gestaltet werde. Bei der Industrie sei die Skepsis groß, mahnt der EU-Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet. Derzeit bekommen Stahlindustrie, Aluminiumhersteller oder Düngemittelproduzenten freie Zertifikate über das ETS-System, um gegenüber China oder Brasilien konkurrenzfähig zu bleiben. Parallel zur Einführung des Grenzmechanismus müssten diese freien Zertifikate aber schrittweise auf Null zurückgefahren werden.
Ob der Grenzmechanismus die gewünschten Ergebnisse bringe, sei noch nicht sicher, so Geier. Hersteller aus Drittstaaten könnten den Mechanismus aushebeln, in dem sie etwa Stahl für den Export nach Europa zwar mit grüner Energie herstellten, zu Hause und für andere Märkte aber weiterhin klimaschädlich produzierten. Die EU hätte dann das eigentliche Ziel nicht erreicht und die europäische Industrie stünde gleichzeitig ohne wirksamen Schutz da.
“Es ist gut, dass die französische Präsidentschaft das Fit for 55-Paket mit großem Engagement verfolgen will”, sagt Peter Liese (CDU/EVP). Bisher seien die Positionen in Paris aber stark durch die nationale Brille gefärbt. Liese hat den Eindruck, dass Frankreich den Emissionshandel für Industrie und Strom zwar verschärfen will, beim Einbezug von Wohnen und Verkehr aber zögert. “Persönlich halte ich das Gegenteil für richtig, und die französische Position ist auch an dieser Stelle sicher durch die starke Rolle der Kernenergie in Frankreich geprägt“, sagt das Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). Liese findet auch den Zeitplan wenig realistisch: “Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn die Präsidentschaft im Rat eine Einigung erzielt”. Stephan Israel
Mit der H2Global-Stiftung will die Bundesregierung den Import von Wasserstoff-Produkten unterstützen und mit einem Fördermechanismus den Hochlauf stimulieren. Hierbei wird ein eigens dafür gegründetes Unternehmen (Hydrogen Intermediary Network Company, HINT.Co) beauftragt, bestimmte Produkte aus dem Kontext des grünen Wasserstoffs global auszuschreiben. Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag für zehn Jahre zu einem festen garantierten Abnahmepreis.
Über kurzfristige Auktionen bringt die HINT.Co das Produkt dann auf den europäischen Markt. Die Preisdifferenz zwischen An- und Verkauf wird durch Fördermittel der Bundesregierung (insgesamt sind 900 Milliarden Euro vorgesehen) ausgeglichen. Infolge der steigenden Wasserstoff-Nachfrage soll sich die Preisdifferenz nach spätestens zehn Jahren schließen, der Markthochlauf wurde stimuliert und die Stiftung wird ihre Arbeit einstellen.
Herr Exenberger, mit der grünen Transformation steht uns eine Mammutaufgabe bevor. Chance oder Hemmnis für die europäische Energiewirtschaft?
Große Chance und so ziemlich die letzte, die wir bekommen, um unseren Klimaverpflichtungen nachzukommen. Aber insbesondere für die deutsche Industrie sehe ich hier viele Möglichkeiten.
Inwiefern?
Wir müssen weltweit auf neue Gegebenheiten reagieren und dafür ist sehr viel Innovationskraft erforderlich. Da sehe ich Deutschland in einer Poleposition. Auf dem internationalen Tableau werden die Karten gerade neu gemischt. Und da ist die neue Bunderegierung und die deutsche Industrie gut beraten, wenn sie die Chance, die sich jetzt bietet, konsequent nutzt. Wenn man den Koalitionsvertrag und die nationale Wasserstoff-Strategie genau liest und mit der Industrie spricht, merkt man aber schnell, dass sowohl die Bundesregierung wie auch die Industrie diese Punkte konsequent umsetzen möchten.
Viele der politischen Rahmenbedingungen im Bereich Klima und Energie werden aber auf europäischer Ebene entschieden und da verstricken sich die Akteure immer mehr in Streitigkeiten, wie diese auszusehen haben. Wie kann so die Energiewende gelingen?
Als größte europäische Volkswirtschaft hat Deutschland in Brüssel eine sehr starke Stimme. Klar ist auch, dass es bei der Energiewende keine nationalen Alleingänge geben kann. Es kann Vorreiter-Rollen geben und unterschiedliche Ansichten, wie man die Ziele erreicht. Aber im Großen und Ganzen ist das nur im europäischen Kontext und letztlich global lösbar. Ich habe da Vertrauen in die Europäische Kommission. Auch wenn es häufig zähe Verhandlungen sind, ist das der Weg, den wir gehen müssen.
Dabei gilt insbesondere Wasserstoff als Hoffnungs- und Energieträger der Zukunft. Das Hydrogen wurde aus dem Schattendasein ins Rampenlicht katapultiert. Zurecht?
Absolut. Klar, viele fragen sich: “Ist das wieder nur ein Hype, der sich nicht durchsetzen kann?” Aber die Zahlen sind vollkommen klar und da argumentiert die Politik auch in die gleiche Richtung: Es ist nicht alles elektrifizierbar. Deshalb braucht es einen Ersatzstoff. Und der einzige, der dafür geeignet ist, ist grüner Wasserstoff mit seinen Derivaten. In der Vergangenheit wurden bereits viele Terrawattstunden weltweit produziert, gehandelt und transportiert. Bislang zwar immer als grauer Wasserstoff, also mit fossilen Energiequellen erzeugt. Aber auf diese bestehenden Strukturen kann man gut aufbauen.
Zu den Derivaten gehört beispielsweise Ammoniak, das als Antriebsstoff in der Seefahrt hoch gehandelt wird.
Genau. Ammoniak bietet sich besonders an. Es kann in den Schiffen direkt vertankt werden. Damit kann nicht nur die Produktion von Wasserstoff nebst Derivaten, sondern auch der Transport klimaneutral gestaltet werden, was viele Möglichkeiten eröffnet.
Der Bedarf wird aber voraussichtlich schneller wachsen als die Elektrolyse-Kapazitäten. Welche Rolle sollte also der sogenannte bunte Wasserstoff spielen?
Die Bundesregierung hat sich klar positioniert. Die nationale Wasserstoffstrategie basiert auf grünem Wasserstoff. Ich habe keinen Grund, das in Frage zu stellen. Andere Staaten gehen anders vor und ob die deutsche Bundesregierung blauen oder türkisen Wasserstoff als Brückentechnologie nutzen wird, habe ich nicht zu bestimmen. Es gibt Argumente dafür wie auch dagegen. Im Moment ist der Pfad grün. Der ist ambitioniert, nach meiner Einschätzung aber machbar.
Kann Wasserstoff aus Kernenergie grün sein?
Da gibt es auf EU-Ebene starke Fürsprecher, insbesondere aus Frankreich. Aber auch eine starke Gruppe dagegen. Für uns ist grüner Wasserstoff klar definiert als Strom, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde. Ich gehe nicht davon aus, dass die neue Regierung von dieser Definition abweicht. Ob es auf EU-Ebene zu einer anderen Einschätzung kommt, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird es auch hier erst einmal auf eine Kompromissformel hinauslaufen.
Wenn nun aber in Frankreich Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wurde, als grün klassifiziert, bei uns in Deutschland aber nicht als solcher anerkannt wird. Bekommen wir dann kein Problem mit dem Energiebinnenmarkt?
Durchaus. Es gibt viele Punkte, die an der Definition dieser einen Kernfrage hängen. Das kann das bestehende Konzept komplett umwerfen. In einem solchen Fall würden ganz andere Wasserstoff-Volumina marktfähig sein, wodurch sich der Preis anders entwickeln würde. Das betrifft dann auch die Frage nach dem Import-Bedarf. Hier würden die Karten wahrscheinlich neu gemischt werden. Der Einfluss dieser Definition auf den Europäischen Energiemarkt ist so groß, dass selbst Nuancen bei der Ausgestaltung großen Einfluss haben.
Da Deutschland als einziges Land gleichzeitig aus Kohle- und Kernkraft aussteigt, setzt die Bundesregierung für den Übergang auf den Ausbau der Gasinfrastruktur. Diese soll H2-ready ausgestaltet werden und auch die EU sieht in ihrem jüngsten Gaspaket eine Beimischung von Wasserstoff ins bestehende Netz vor. Gegner kritisieren, die Gas-Infrastruktur gebe das nicht her und durch das Beimischen werde Wasserstoff beim Heizen verschwendet. Wer hat Recht?
Inwieweit man Beimischen kann ist technisch relativ gut geklärt. Dass man das Gasnetz für den Betrieb von Wasserstoff erst ertüchtigen muss, ist auch klar. Wir brauchen andere Kompressoren, eine andere Verdichtung und gegebenenfalls den Austausch von Komponenten mit neuen Materialien. Aber technisch ist das machbar, die Frage lautet vielmehr: Wofür will man Wasserstoff nutzen? Der Wärmemarkt ist ein extrem großer Abnehmer. In den nächsten drei bis fünf Jahren sehe ich die Produktionskapazitäten keinesfalls so stark anwachsen, dass wir entsprechende Beimischungen in unser doch sehr großes Gasnetzwerk ermöglichen könnten.
Zumal wir den Wasserstoff an anderer Stelle brauchen, an der es keine Alternativen gibt. Für die Transformation der energieintensiven Industrie zum Beispiel.
Für das gesamte Volumen, was wir perspektivisch in Deutschland brauchen, kommen wir an Grenzen, die nicht leistbar sind. Manche rechnen mit 20 Prozent, die wir importieren müssen, andere mit bis zu 80 Prozent. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen. In jedem Fall brauchen wir große Volumina, die wir nicht in Deutschland und auch nicht in Europa produzieren können. Und dann stellt sich die Frage: Mit welchen Staaten kann man kooperieren. Das ist auch eine geopolitische Entscheidung. Wie können Länder auf diesem Weg unterstützt und gefördert werden? Auch Entwicklungs- und Schwellenländer haben enorme Potenziale, im grünen Wasserstoffmarkt eine Rolle zu spielen.
Welche Regionen kommen da infrage?
Es gibt sehr viele Länder, die großes Potenzial haben. Chile, Australien, die arabische Halbinsel, Südafrika. Aber man muss die ganze Wertschöpfung sehen. Es geht nicht nur darum, das Solar-Potenzial in einer Wüste zu nutzen. Man muss das Produkt in der Logistik, im Transport emissionsfrei in die Märkte in Europa bringen können. Dazu braucht man entsprechendes Know-How, Technologien und Finanzkraft vor Ort.
Mit der H2Global-Stiftung will die Bundesregierung den Import von Wasserstoff-Produkten unterstützen. Wie kann dabei sichergestellt werden, dass die Produktionsbedingungen, für die es in Europa klare Standards gibt, im Produktionsland auch angewendet werden?
Es wird klare Kriterien geben. Dazu gehört, die Wasserversorgung, gerade auch in Gebieten mit Wasserknappheit, nicht zu gefährden. Wir wollen mit H2Global nicht dafür sorgen, dass knappes Trinkwasser noch knapper wird. Auch Kriterien der lokalen Nutzung, des Arbeitsschutzes und der Menschenrechte sind Anforderungen, die die Bundesregierung setzen wird. Das werden wir nicht nur einfordern, sondern auch über die gesamte Laufzeit prüfen. Aber was Herkunftsnachweise, Zertifizierungen und Sozialstandards angeht gibt es bereits zahlreihe Modelle, auf denen wir aufbauen können.
Die Kommission arbeitet derzeit an einem delegierten Rechtsakt, der die Produktionsstandards für grünen Wasserstoff explizit definiert. Ersten Entwürfen zufolge muss beispielsweise der Elektrolyseur im selben Jahr in Betrieb genommen werden, wie die zugrundeliegende PV- oder Windkraftanlage.
Es wird herausfordernde Vorgaben geben, die aber nicht unmöglich umzusetzen sind. Das wird das Produkt gegebenenfalls verteuern, wodurch die Relevanz für H2Global eher noch steigt, da der Differenzausgleich dann höher ausfällt und der Markthochlauf eines weiteren Stimulus bedarf.
Gräbt dieser Ansatz der Importförderung der heimischen Produktion in Europa nicht ein Stück weit das Wasser ab?
Die Frage ist äußerst relevant: Auch, um langfristig Energiesicherheit garantieren zu können, sollten wir uns tatsächlich auf die Steigerung und Vereinfachung der Produktion in Deutschland und Europa konzentrieren. Klar ist aber auch: Es wird eine weitere Quelle brauchen und man kann das eine tun ohne das andere zu lassen. Ich denke auch, dass es aus geo- und wirtschaftspolitischen Erwägungen sinnvoll ist, sich internationale Quellen zu erschließen. Da geht es um Kooperationen, um die Unterstützung von Ländern und nicht zuletzt auch darum, einen möglichst günstigen Preis für Wasserstoff zu bekommen. Das braucht die europäische Industrie, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Begeben wir uns dadurch nicht in eine neue Form der Importabhängigkeit, die wiederum geopolitische Spannungen beeinflussen kann, wie wir es aktuell beim Gas beobachten?
Wenn man es schlecht macht, ja. Aber es entsteht eine ganz neue Landkarte. Dazu gehören zwar weiterhin die klassischen Player: Länder auf der arabischen Halbinsel haben nicht nur große Ölvorkommen, sondern auch viel Sonne, viel Wind und eine gute Transport-Infrastruktur. Aber es kommen eben auch ganz neue Player dazu, wodurch wir unsere Importsicherung komplett neu ausgestalten können. Man muss sich nicht mehr von zwei, drei Akteuren abhängig machen.
Gegner würden sagen: Das Potenzial der erneuerbaren Energien sollte in den Regionen selbst genutzt und für deren eigene Dekarbonisierung verwendet werden.
Ich kenne das Schreckgespenst des Wasserstoff-Kolonialismus. Das ist real und damit sollte man professionell und auf Nachhaltigkeit bedacht umgehen. Wasserstoff Kolonialismus darf es nicht geben! Tatsächlich werden die Länder auf absehbare Zeit auch selbst einen hohen Bedarf an Wasserstoff haben. Im Güterverkehr oder Wärmebereich. Aber H2Global ist so ausgestaltet, dass zwar der Export nach Europa im Fokus steht, damit aber auch eine regionale Wertschöpfung und Nutzung unterstützt und auf den Weg gebracht wird. Daran haben nicht nur die Bundesregierung und die EU, sondern auch die Unternehmen selbst ein Interesse. Denn das sichert das Investment ab.
Daneben können wir mit H2Global auch eine Region gezielt fördern, indem wir nicht nur auf den möglichst günstigsten Preis achten. Das kann der Mittelgeber, also die Bunderegierung, über das Instrument auch steuern. Eine solche regionale Fördermöglichkeit ist auch durch die EU-Kommission geprüft. Man kann also durch H2Global gezielt nachhaltige Entwicklungshilfe betreiben.
Chinas Emissionshandel geht ins zweite Kalenderjahr, der erste Handelszyklus des chinesischen Emissionshandelssystems (ETS) ist abgeschlossen. Zeit für eine erste Bilanz. Sie fällt gemischt aus. Positiv ist der gelungene Start des Systems: Seit Mitte Juli läuft der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten an der Shanghaier Umwelt- und Energiebörse (Shanghai Environment and Energy Exchange/SEEE). Doch auch wenn es am Markt reale Transaktionen gab, muss 2021 eher als ein Testlauf für ein künftiges, umfassenderes ETS gesehen werden. Denn das Instrument macht wegen geringer Reichweite bisher kaum einen Unterschied für die Emissionen:
Zum Stichtag am 31. Dezember erfüllten mit 99,5 Prozent praktisch alle der rund 2.200 teilnehmenden Unternehmen die Auflagen, wie das Umweltministerium am Silvestertag mitteilte. Das bedeutet, sie konnten ausreichend Emissionsberechtigungen für ihre verifizierten CO2-Emissionen aus 2019 und 2020 vorlegen und abgeben. Diese Berechtigungszertifikate haben sie entweder aus der Zuteilung oder kauften sie über das ETS hinzu. In der Regel erwerben ältere Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß dabei überschüssige Zertifikate effizienterer neuer Anlagen.
Nach Berechnungen des Finanzdienstleisters Refinitiv emittierten die 99,5 Prozent als regelkonform gemeldeten Firmen in den beiden Jahren gewaltige 8,693 Gigatonnen CO2-Äquivalent, also rund 4,35 Gigatonnen pro Jahr. Das entspricht gut 40 Prozent der Emissionen Chinas und laut der britischen Fachwebsite Carbon Brief etwa zwölf Prozent der globalen Emissionen. Zum Vergleich: Die 1.817 vom ETS der EU erfassten deutschen Anlagen stießen 2020 nur 320 Millionen Tonnen (0,32 Gigatonnen) an Treibhausgasen aus.
Die gesamten CO2-Emissionen Deutschlands lagen 2020 nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) bei knapp 0,59 Gigatonnen. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig das ETS in China für das Weltklima sein wird, wenn es irgendwann richtig funktioniert.
Insgesamt wurden nach Refinitiv-Daten 2021 Berechtigungen für gut 178 Millionen Tonnen CO2 gehandelt. Hinzu kamen knapp 33 Millionen Tonnen sogenannte Zertifizierte Emissionsreduktionen (Chinese Certified Emissions Reductions/CCER). CCER verifizieren Klimaschutzprojekte der ETS-Unternehmen zum Ausgleich (Offset) ihrer Emissionen, etwa durch Investitionen in erneuerbare Energien, Kohlenstoffsenken oder Methannutzung. In Chinas ETS dürfen Unternehmen bis zu fünf Prozent ihrer Compliance-Verpflichtungen mit solchen CCER ausgleichen. Refinitiv geht davon aus, dass derzeit CCER für weitere 30 Millionen Tonnen CO2 im Markt verblieben sind, die Firmen nun in diesem Jahr zukaufen können.
Generell bemängeln Kritiker, dass es in Chinas ETS einen Überschuss an Emissionsberechtigungen gibt, weil die Verteilungskriterien zu locker oder zu ungenau sind (China.Table berichtete). Auch setzt das ETS den Firmen kaum Anreize zur Senkung ihrer Emissionen. Grund ist laut Carbon Brief, dass Kraftwerke nur für die ersten 20 Prozent Emissionen oberhalb ihrer zugeteilten Berechtigungen zusätzliche Zertifikate hinzukaufen müssen. Wer noch mehr emittiert, muss nicht mit Folgen rechnen.
Die wenigen Gaskraftwerke im ETS müssen sogar gar keine Zertifikate zukaufen, wenn sie mehr als die zugeteilte Menge CO2 emittieren. Der einzige Anreiz zum CO2-Sparen: Der Verkauf von Berechtigungen bringt Geld. Doch das haben nach Ansicht vieler Experten die meisten Kraftwerke bislang kaum auf dem Schirm.
Aufgrund dieser Probleme ist der Marktpreis am ETS in China ausgesprochen niedrig. Am Ende des Neujahrstages kostete die Berechtigung für eine Tonne CO2-Emissionen laut Refinitiv 54,22 Yuan (7,52 Euro), 13 Prozent mehr als zum Handelsstart am 16. Juli 2021. Im Durchschnitt lag der Preis demnach an den 104 Handelstagen des vergangenen Jahres bei 43,85 Yuan. Im EU-Emissionshandel stiegen die Preise zuletzt rasant und liegen heute über 60 Euro pro Tonne CO2. Auch das ETS der EU hatte anfangs wegen niedriger Preise in der Kritik gestanden.
Einer der am häufigsten kritisierten Mängel in China sind indes die niedrigen Strafen für Regelverstöße oder gefälschte Emissions-Daten: Die Höchststrafen betragen nur 30.000 Yuan (4.175 Euro).
Kinderkrankheiten wie diese seien bei einem neuen System aber normal, urteilten Yan Qin und Yuan Lin in der neuesten Refinitiv-Studie zum ETS vom Dezember. Es ist für alle Beteiligten ein Lernprozess. Teile des Regelwerks wurden erst aufgebaut, als der Handel bereits lief: So gab das Umweltministerium erst Ende Oktober Richtlinien wie die Compliance-Deadline im Dezember heraus. Die für Ende September vorgesehene Verteilung der Emissionsberechtigungen verzögerte sich bis November. Zwischendrin verlangte das Umweltministerium auch noch eine Überprüfung aller verifizierten Emissionsdaten, nachdem ein Datenbetrug in der Inneren Mongolei aufgeflogen war.
Das aktuelle ETS-System sei ein Kompromiss mit dem Ziel, die Teilnahme der Konzerne zu gewährleisten und Konflikte zu vermeiden, sagt Chen Zhibin, Senior Consultant der Pekinger Beraterfirma Sino-Carbon Innovation & Investment. “Es ist das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörden, Branchenverbänden und großen Unternehmen.”
Bisher gibt es deshalb im ETS keine feste Obergrenze der verteilten CO2-Berechtigungen. Das Maximum kann je nach tatsächlicher Energieproduktion der Kraftwerke jedes Jahr variieren. Noch gibt es keine konkreten Pläne, CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Bloomberg berichtete am Donnerstag immerhin von ersten Vorschlägen, die Berechtigungen um maximal ein Prozent zu reduzieren. Noch hat China die in seinen Klimaschutzzielen angepeilten Emissionshöhepunkte nicht erreicht. Steigerungen sind zumindest bis 2025 in den meisten energieintensiven Sektoren erlaubt. Das dürfte sich auch im ETS-Format widerspiegeln.
Bis Ende März müssen die Energiekonzerne nun ihre Emissionen für 2021 zur Verifikation einreichen. Experten erwarten, dass diese weiterhin bei über vier Gigatonnen liegen werden.
Immerhin soll das System bald weitere Sektoren umfassen. SEEE-Chef Lai Xiaoming will zunächst Finanzunternehmen und dann Konzerne aus energieintensiven Sektoren wie Nichteisenmetallen oder Baustoffen aufnehmen. Das könne schon 2022 beginnen. Bis 2025 sollen laut Lai alle acht wichtigen emissionsintensiven Industrien Chinas einbezogen sein. Dazu gehören etwa Chemie, Zement, Raffinerien, Stahl sowie die Zellstoff- und Papierproduktion. Deren einflussreiche Industrieverbände müssen die Teilnahme bereits vorbereiten. Die Firmen dieser Sektoren mussten zudem bis Silvester ihre Emissionen für 2020 melden und verifizieren lassen.
Außerdem will die SEEE CO2-bezogene Derivateprodukte auf den Markt bringen, wie Lai Ende Dezember der Shanghaier Börsenzeitung sagte. Dazu gehören Swaps, Forwards und Optionen. Ziel sei es, China zu einem globalen Zentrum für CO2-Handel und -Preise zu machen. Irgendwann sollen die Berechtigungen laut den ETS-Regeln des Umweltministeriums auch etwas kosten und versteigert werden. Zeitpläne für all diese Reformen gibt es aber noch nicht.
Es ist klar, dass die CO2-Emissionen in China deutlich teurer und die Berechtigungen knapper werden müssen. Sonst hätte das ETS keinerlei Lenkungswirkung. Viele Experten gehen davon aus, dass nur ein so genanntes Cap-and-Trade-System mit stetig sinkender “Cap”, also einer Obergrenze für alle CO2-Zertifikate im Markt, wirkliche Effekte für eine Senkung der Emissionen hat. So, wie es in der EU geregelt ist.
Der wichtigste Effekt des ETS in seiner jetzigen Form ist daher, dass es den Beginn einer landesweiten CO2-Bepreisung darstellt – mit dem Potenzial für eine spätere Ausweitung und Verschärfung. Christiane Kühl
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat angekündigt, dass der bislang für März vorgesehene (Europe.Table berichtete) EU-Kommissions-Vorschlag zur Bekämpfung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs im Netz (CSAM) statt freiwilliger Regelungen eine konkrete Verpflichtung zur Suche und Meldung enthalten soll. “Eine freiwillige Meldung wird dann nicht mehr ausreichen”, so Johansson laut Welt am Sonntag.
Bislang sei, so die aus Schweden stammende sozialdemokratische EU-Kommissarin, 95 Prozent des Meldeaufkommens auf die Benachrichtigungen eines einzigen Unternehmens zurückzuführen, des Facebook-Mutterkonzerns Meta. Das Recht der Kinder auf physische Unversehrtheit, Sicherheit im Internet und Privatsphäre im Internet müssten im Fokus stehen, so Johansson. Die neue Regelung ist unter anderem deshalb umstritten, da sie die automatisierte Durchsuchung von Inhalten durch Anbieter nicht nur legalisieren (Europe.Table berichtete), sondern verpflichtend gestalten könnte. fst
Die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat angekündigt, dass die formale Stellungnahme der Bundesregierung an die EU-Kommission zum Taxonomie-Vorschlag ablehnend ausfallen werde. “Diese Stellungnahme wird ein klares Nein zur Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie beinhalten. Das vertritt die Bundesregierung geschlossen”, sagte Lemke am Sonntagabend in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin.
Rechtliche Folgen hat die deutsche Ablehnung derweil nicht. Einen Delegierten Rechtsakt entsprechend der zugrundeliegenden Taxonomieverordnung können nur der Rat der Mitgliedstaaten oder das Europaparlament per Mehrheit und ohne Rückwirkung verhindern. Beides ist derzeit nicht absehbar. “Das muss die EU-Kommission dann für sich entscheiden, wie sie mit ihrem Taxonomie-Vorschlag weiter umgeht.”, so Lemke, die seit Dezember das Umwelt- und Verbraucherschutz leitet. Sie kritisiert: Wenn Atomkraft aufgenommen würde, würde die Taxonomie ihr eigentliches Ziel verfehlen, Finanzströme in nachhaltige Energieformen zu lenken. fst
Cornelius Matthes lebt in Dubai. Also jener der Stadt, die in den vergangenen zwanzig Jahren wie keine andere zum Symbol für Reichtum, Überfluss und Verschwendung auf Erdöl-Basis geworden ist, ohne sich dauerhaft auf das endliche schwarze Gold zu verlassen. Als CEO der Dii Desert Energy arbeitet der 46-Jährige Cornelius Matthes daran, die Energiewende nicht nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sondern auch im Mittleren Osten und Nordafrika (Mena-Region) in Schwung zu bringen.
Dabei ist die Dii eine alte Bekannte: Sie versuchte seit 2009, die Initiative Desertec voranzutreiben. Ziel war es und ist es noch immer, so viel erneuerbare Energie in Nordafrika und im Mittleren Osten zu produzieren, dass dieser auch nach Europa exportiert werden kann. Medial für tot erklärt wurde das Projekt 2014, als mehrere Investoren ausstiegen. Das Problem damals: Der europäische Strommarkt war gesättigt, Stromexporte flossen über die bestehenden Leitungen statt von Marokko nach Spanien in die entgegengesetzte Richtung. Doch nach mehr als 10 Jahren in der Region habe man viel über die Länder und die lokale Energiewirtschaft gelernt. “Desertec hatte ja nie das Mandat, Projekte zu bauen oder zu betreiben, Dii sollte den Weg zur Energiewende ebnen”, erzählt Matthes.
Mit dem Green Deal der EU gibt es auch neuen Antrieb für die Region, findet Matthes: “Die Initiative wird hier sehr genau wahrgenommen.”Doch auch in der Mena-Region sind die Staaten unterschiedlich weit bei ihrer Energietransformation. “Marokko ist mit einem Anteil von 42 Prozent Erneuerbaren-Anteil am Strommix sehr weit und auch Jordanien hat bereits früh auf Solar und Wind gesetzt”, erklärt Matthes. Mittlerweile gebe es aber auch eine zweite Generation wie Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die viel in die grüne Transformation investierten.
Neben dem klassischen Erneuerbaren Sonnen- und Windenergie gebe es jedoch einen noch viel wichtigeren neuen Energieträger. “Mit grünem Wasserstoff ist mittlerweile ein Game Changer im Spiel”, sagt Matthes. Jetzt gehe es nicht mehr nur um Strom aus der MENA-Region, sondern ein grüner Energieträger könnte nach Europa geliefert werden, der saisonal speicherbar ist. Im direkten Vergleich zu den Übertragungskapazitäten von Unterseekabeln, die im Moment bei zwei bis drei Gigawatt liegen, zeige sich das Potenzial von Wasserstoff, erklärt Matthes: “Große Pipelines haben eine Übertragungskapazität für ein Energieäquivalent von 70 Gigawatt.” So wird aus dem alten Desertec-Projekt die Idee Desertec 3.0. Mit EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans habe man dabei einen prominenten Wasserstoffverbündeten aus Brüssel an seiner Seite, verrät Matthes.
Vor der Dii Desert Energy war Cornelius Matthes unter anderem lange Jahre bei der Deutschen Bank. “Aber schon damals hatte ich den Ruf als grüner Investment-Typ”, erzählt Matthes. Die Prägung liegt bei dem gebürtigen Münchner allerdings auch in der Familie. Matthes’ Vater war Vizepräsident beim Bayerischen Landesamt für Umwelt, der Bruder war bei Siemens lange Zeit im Windbereich tätig, mittlerweile liegt auch sein Fokus jedoch auf der grünen Wasserstoffproduktion.
Die Faszination für die Mena-Region entwickelte Matthes auf einem Trip mit einem Studienfreund: Mit einem alten VW Passat ging es von Passau bis nach Marokko, um den gut 4100 Meter hohen Jbel Toubkal im Atlasgebirge zu besteigen. Diese Faszination ist bis heute geblieben. David Renke
Fünfhundert Jahre gibt es die Französische Akademie bereits. Pardon, die Académie française, naturellement. Noch gewichtiger als die (medial oft schon etwas übergewichtige) Gesellschaft für deutsche Sprache wacht sie über den Erhalt französischer Kultur und kämpft vor allem gegen jede drohende Gleichsetzung des Französischen mit anderen Sprachen.
Was für eine Schmach es für sie gewesen sein muss, dass man ihre Warnungen überhörte und ignorierte. Sodass sie nun erwägt, sich an den Conseil d’Etat der fünften Republik zu wenden. Gegenstand ihres Zorns: Zweisprachigkeit, also die Verwässerung der französischen Kultur. Und das auf einem offiziellen, behördlichen Dokument. Nicht irgendeinem, nein, das werden viele deutsche Leser nachvollziehen können. Sondern: Der nationalen Identitätskarte.
Die aktuelle Version, die seit August 2021 ausgegeben wird, enthält die Namen aller Kategorien nicht nur in französischer, sondern auch in englischer Sprache. Also nicht nur das Date d’expir, sondern auch das Expiry Date.
Hoffentlich verrät niemand der Gesellschaft für deutsche Sprache, die so gerne ähnliche Wichtigkeit wie die Académie française hätte, dass auf den deutschen Personalausweisen noch etwas viel Schlimmeres lauert: Alle Kategorien sind auf Deutsch, Englisch und sogar auf Französisch benannt. Mon dieu! Falk Steiner
Manchmal ist es ganz gut, wenn man eine konkrete Zahl sieht: 500 Milliarden Euro. Dies ist die Größenordnung für Investitionen in die neue Generation Kernkraftwerke, die EU-Industriekommissar Thierry Breton bis 2050 für notwendig hält, wie er dem Journal di Dimanche im Interview sagte. Angesichts der Preishistorie von Kernkraftwerken, deren Bau selten im geplanten Kostenrahmen blieb, könnte dies sogar noch tiefgestapelt sein. Doch Breton, der umtriebigen Kommissar, dem Kritiker gern vorwerfen, in erster Linie französischer und dann EU-Kommissar zu sein, ist von der Notwendigkeit überzeugt. So wie Teile Europas und weite Teile der französischen Politik, allerdings nicht die Bundesregierung, wie die neue Umweltministerin Steffi Lemke gestern noch einmal klarstellte.
Frankreichs Ratspräsidentschaft fällt mit dem Präsidentschaftswahlkampf Emmanuel Macrons für die Wahl im April zeitlich zusammen. Macrons Credo: Souveränität. In der Energie- und Klimapolitik geht der zweit-einwohnerstärkste Mitgliedstaat dabei mit massiven Eigeninteressen in die Ratspräsidentschaft. Was das für das Fit for 55-Paket bedeutet und warum Frankreichs Regierung den Grenzausgleichmechanismus (CBAM) liebt, analysiert Stephan Israel.
Wenn der CBAM kommt, wird auch eine wesentliche Rolle spielen, wie beispielsweise mit China und dessen Emissionshandelssystem umgegangen wird. Noch liegt die konkrete EU-CBAM-Ausgestaltung in der Ferne – doch ein Blick auf das chinesische ETS, das jetzt in sein zweites Kalenderjahr geht, lohnt umso mehr. Christiane Kühl hat die Startphase analysiert.
Die Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung setzt auf grünen Wasserstoff – doch was ist grün? Darüber wird im Rahmen der Taxonomie derzeit intensiv gestritten. Warum diese auch für den Wasserstoffmarkt höchst relevant ist, weshalb Wasserstoff als Ersatzbrennstoff noch etwas Zeit braucht und welche Rolle Geopolitik dabei spielt, hat Markus Exenberger, der Geschäftsführer der Stiftung H2Global, meinem Kollegen Timo Landenberger im Interview verraten.
Doch ganz so leicht ist das alles nicht: Cornelius Matthes soll die Energiewende in der Wüste Realität werden lassen. Desertec, jetzt auch mit grünem Wasserstoff, das Portrait in dieser energiegeladenen Ausgabe.
Es geht um mehr als Energiepreise, wenn sich Russland und der Westen in mehreren Formaten über die Frage beraten, wie kalt oder heiß es jetzt zwischenstaatlich werden soll. US-Außenminister Anthony Blinken jedenfalls machte in einem ABC-Interview klar: “Wir tun nichts und verpflichten uns zu nichts zu Europa ohne Europa. Alles, was europäische Sicherheitsinteressen berührt, wird vollständig mit den Europäern am Tisch koordiniert sein.” Welche Europäer genau an seinem Tisch sitzen dürfen, verriet Blinken dabei nicht. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dürfte nach seinen Äußerungen zu Nord Stream 2, dass irgendwann Rechtsfrieden nötig und die Pipeline nun einmal so gut wie fertig gebaut sei, derzeit eher keinen Platz dort finden.
Kommen Sie gut und gesund in die neue Woche.
Frankreichs Regierung hatte Ende vergangener Woche das Brüsseler Pressekorps nach Paris eingeladen und dort ihre Pläne präsentiert, wie zum Auftakt der rotierenden Ratspräsidentschaft jeweils üblich. Emmanuel Macron selbst blieb dabei sehr allgemein. Er sprach davon, bis Sommer die wichtigsten Gesetzestexte des Klimapakets “fit for 55” voranzubringen, also dem erklärten Ziel, bis 2030 die klimaschädlichen CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Und erwähnte explizit, dass die Bereiche Wohnen und Verkehr künftig auch einen Beitrag zur “Dekarbonisierung” leisten müssten.
Die Details überließ der Präsident seinen Ministerinnen und Ministern, die der Reihe nach ihre Pläne präsentierten, aber nicht zitiert werden dürfen. In Frankreich hat der Präsident im Vorwahlmodus das letzte Wort. Die große Überschrift Macrons: die “ökologische Souveränität”: Europa soll seine kohlenstofffreie Energie selber produzieren, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen sichern, auf dem Kontinent die grünen Zukunftstechnologien entwickeln und auch herstellen. Europa soll zudem seine Normen und ökologischen Standards exportieren, unter anderem mithilfe des geplanten CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM).
Soviel zu den großen Linien. Konkret will Barbara Pompili, Ministerin für ökologische Transition (Europe.Table berichtete), die Umwelt- und Energieminister der Mitgliedstaaten vom 20. bis 22. Januar nach Amiens zu einem informellen Treffen einladen. Dort soll der Umweltrat am 6. und 7. März vorbereitet werden. Für März geplant ist eine Einigung unter den Mitgliedstaaten über die neue Batterieverordnung, in der die ökologische Herstellung und das Recycling geregelt werden. Auf der Agenda auch die Verordnung zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR), die Ladestationen spätestens alle 60 Kilometer vorschreiben wird.
Der Verkehr sei der einzige Bereich, in dem der Ausstoß der Klimaschadstoffe seit 1990 weiter zugenommen habe, hieß es dazu in Paris. Neben der Förderung der Elektromobilität soll die Trendwende mit dem System des Emissionshandels (ETS) geschafft werden, das neben Industrie und Strom künftig auch Wohnen und Verkehr erfassen soll (Europe.Table berichtete). Der Ratsvorsitz legt großen Wert darauf, dass dies sozial verträglich geschieht. Die Reform werde scheitern, wenn sie nicht von der Bevölkerung akzeptiert sei. In Frankreich hat man die Proteste der sogenannten Gelbwesten gegen höhere Kraftstoffpreise noch in Erinnerung.
Frankreich unterstützt im Prinzip das Ziel, bis 2035 die Produktion von Verbrennungsmotoren zu verbieten, drängt aber auf eine Übergangsfrist für Hybridfahrzeuge bis 2040. Alle Gesetzestexte des Pakets Fit for 55 seien miteinander verknüpft, das Ziel der Ratspräsidentschaft eine politische Einigung im Rat der Mitgliedstaaten bis zum Ende des französischen Vorsitzes. Oberste Priorität hat für Frankreich dabei der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) (Europe.Table berichtete). Der Mechanismus werde die Handelspartner der EU zwingen, ebenfalls auf grüne Technologie zu setzen. Die CO2-Abgabe auf Importe aus kohlenstoffreicher Produktion und der Emissionshandel seien zudem “zwei Seiten derselben Medaille”.
Zurückhaltend geht Paris mit dem eigenen Erfolg bei der Taxonomie um, wo Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Wunsch der Franzosen unter gewissen Bedingungen neben Gas auch Atom als grüne Energiequellen einstufen will. Dies gilt als Einladung an private Investoren. Neben Deutschland sehen das vor allem Österreich sowie Luxemburg kritisch und drohen (Europe.Table berichtete), die Klassifizierung mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof infrage zu stellen. Ein Szenario, das die Regierung in Paris beunruhigt: Bisher werde die ökologische Transformation weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Ohne private Investitionen werde es nicht möglich sein, die Klimaziele zu erreichen.
Die Ambitionen der französischen Ratspräsidentschaft lösen im Europaparlament keine Jubelstürme aus. Für Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen, hat der Kommissionsvorschlag zur Taxonomie generell einen Schatten auf die französische Ratspräsidentschaft und deren Pläne zu Fit for 55 geworfen. Der Einbezug der Atomenergie bei den grünen Energiequellen in Europas Taxonomie sei eindeutig ein Geschenk von Ursula von der Leyen an Emmanuel Macron gewesen. Frankreichs Präsident sei nicht der große Vermittler, den es jetzt beim Klimapaket eigentlich brauche. Der Vorschlag zur Taxonomie spalte im Gegenteil die EU.
Jens Geier konstatiert die besondere Vorliebe Frankreichs für die Grenzabgabe. Der CBAM stehe in der Tradition französischer Industriepolitik, mit ihrem Hang zum Protektionismus. Der Vorsitzende der SPD-Gruppe in der S&D-Fraktion im EU-Parlament ist aber nicht prinzipiell gegen den Mechanismus. Die Frage sei, wie er genau gestaltet werde. Bei der Industrie sei die Skepsis groß, mahnt der EU-Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet. Derzeit bekommen Stahlindustrie, Aluminiumhersteller oder Düngemittelproduzenten freie Zertifikate über das ETS-System, um gegenüber China oder Brasilien konkurrenzfähig zu bleiben. Parallel zur Einführung des Grenzmechanismus müssten diese freien Zertifikate aber schrittweise auf Null zurückgefahren werden.
Ob der Grenzmechanismus die gewünschten Ergebnisse bringe, sei noch nicht sicher, so Geier. Hersteller aus Drittstaaten könnten den Mechanismus aushebeln, in dem sie etwa Stahl für den Export nach Europa zwar mit grüner Energie herstellten, zu Hause und für andere Märkte aber weiterhin klimaschädlich produzierten. Die EU hätte dann das eigentliche Ziel nicht erreicht und die europäische Industrie stünde gleichzeitig ohne wirksamen Schutz da.
“Es ist gut, dass die französische Präsidentschaft das Fit for 55-Paket mit großem Engagement verfolgen will”, sagt Peter Liese (CDU/EVP). Bisher seien die Positionen in Paris aber stark durch die nationale Brille gefärbt. Liese hat den Eindruck, dass Frankreich den Emissionshandel für Industrie und Strom zwar verschärfen will, beim Einbezug von Wohnen und Verkehr aber zögert. “Persönlich halte ich das Gegenteil für richtig, und die französische Position ist auch an dieser Stelle sicher durch die starke Rolle der Kernenergie in Frankreich geprägt“, sagt das Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI). Liese findet auch den Zeitplan wenig realistisch: “Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn die Präsidentschaft im Rat eine Einigung erzielt”. Stephan Israel
Mit der H2Global-Stiftung will die Bundesregierung den Import von Wasserstoff-Produkten unterstützen und mit einem Fördermechanismus den Hochlauf stimulieren. Hierbei wird ein eigens dafür gegründetes Unternehmen (Hydrogen Intermediary Network Company, HINT.Co) beauftragt, bestimmte Produkte aus dem Kontext des grünen Wasserstoffs global auszuschreiben. Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag für zehn Jahre zu einem festen garantierten Abnahmepreis.
Über kurzfristige Auktionen bringt die HINT.Co das Produkt dann auf den europäischen Markt. Die Preisdifferenz zwischen An- und Verkauf wird durch Fördermittel der Bundesregierung (insgesamt sind 900 Milliarden Euro vorgesehen) ausgeglichen. Infolge der steigenden Wasserstoff-Nachfrage soll sich die Preisdifferenz nach spätestens zehn Jahren schließen, der Markthochlauf wurde stimuliert und die Stiftung wird ihre Arbeit einstellen.
Herr Exenberger, mit der grünen Transformation steht uns eine Mammutaufgabe bevor. Chance oder Hemmnis für die europäische Energiewirtschaft?
Große Chance und so ziemlich die letzte, die wir bekommen, um unseren Klimaverpflichtungen nachzukommen. Aber insbesondere für die deutsche Industrie sehe ich hier viele Möglichkeiten.
Inwiefern?
Wir müssen weltweit auf neue Gegebenheiten reagieren und dafür ist sehr viel Innovationskraft erforderlich. Da sehe ich Deutschland in einer Poleposition. Auf dem internationalen Tableau werden die Karten gerade neu gemischt. Und da ist die neue Bunderegierung und die deutsche Industrie gut beraten, wenn sie die Chance, die sich jetzt bietet, konsequent nutzt. Wenn man den Koalitionsvertrag und die nationale Wasserstoff-Strategie genau liest und mit der Industrie spricht, merkt man aber schnell, dass sowohl die Bundesregierung wie auch die Industrie diese Punkte konsequent umsetzen möchten.
Viele der politischen Rahmenbedingungen im Bereich Klima und Energie werden aber auf europäischer Ebene entschieden und da verstricken sich die Akteure immer mehr in Streitigkeiten, wie diese auszusehen haben. Wie kann so die Energiewende gelingen?
Als größte europäische Volkswirtschaft hat Deutschland in Brüssel eine sehr starke Stimme. Klar ist auch, dass es bei der Energiewende keine nationalen Alleingänge geben kann. Es kann Vorreiter-Rollen geben und unterschiedliche Ansichten, wie man die Ziele erreicht. Aber im Großen und Ganzen ist das nur im europäischen Kontext und letztlich global lösbar. Ich habe da Vertrauen in die Europäische Kommission. Auch wenn es häufig zähe Verhandlungen sind, ist das der Weg, den wir gehen müssen.
Dabei gilt insbesondere Wasserstoff als Hoffnungs- und Energieträger der Zukunft. Das Hydrogen wurde aus dem Schattendasein ins Rampenlicht katapultiert. Zurecht?
Absolut. Klar, viele fragen sich: “Ist das wieder nur ein Hype, der sich nicht durchsetzen kann?” Aber die Zahlen sind vollkommen klar und da argumentiert die Politik auch in die gleiche Richtung: Es ist nicht alles elektrifizierbar. Deshalb braucht es einen Ersatzstoff. Und der einzige, der dafür geeignet ist, ist grüner Wasserstoff mit seinen Derivaten. In der Vergangenheit wurden bereits viele Terrawattstunden weltweit produziert, gehandelt und transportiert. Bislang zwar immer als grauer Wasserstoff, also mit fossilen Energiequellen erzeugt. Aber auf diese bestehenden Strukturen kann man gut aufbauen.
Zu den Derivaten gehört beispielsweise Ammoniak, das als Antriebsstoff in der Seefahrt hoch gehandelt wird.
Genau. Ammoniak bietet sich besonders an. Es kann in den Schiffen direkt vertankt werden. Damit kann nicht nur die Produktion von Wasserstoff nebst Derivaten, sondern auch der Transport klimaneutral gestaltet werden, was viele Möglichkeiten eröffnet.
Der Bedarf wird aber voraussichtlich schneller wachsen als die Elektrolyse-Kapazitäten. Welche Rolle sollte also der sogenannte bunte Wasserstoff spielen?
Die Bundesregierung hat sich klar positioniert. Die nationale Wasserstoffstrategie basiert auf grünem Wasserstoff. Ich habe keinen Grund, das in Frage zu stellen. Andere Staaten gehen anders vor und ob die deutsche Bundesregierung blauen oder türkisen Wasserstoff als Brückentechnologie nutzen wird, habe ich nicht zu bestimmen. Es gibt Argumente dafür wie auch dagegen. Im Moment ist der Pfad grün. Der ist ambitioniert, nach meiner Einschätzung aber machbar.
Kann Wasserstoff aus Kernenergie grün sein?
Da gibt es auf EU-Ebene starke Fürsprecher, insbesondere aus Frankreich. Aber auch eine starke Gruppe dagegen. Für uns ist grüner Wasserstoff klar definiert als Strom, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde. Ich gehe nicht davon aus, dass die neue Regierung von dieser Definition abweicht. Ob es auf EU-Ebene zu einer anderen Einschätzung kommt, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird es auch hier erst einmal auf eine Kompromissformel hinauslaufen.
Wenn nun aber in Frankreich Wasserstoff, der mit Atomstrom hergestellt wurde, als grün klassifiziert, bei uns in Deutschland aber nicht als solcher anerkannt wird. Bekommen wir dann kein Problem mit dem Energiebinnenmarkt?
Durchaus. Es gibt viele Punkte, die an der Definition dieser einen Kernfrage hängen. Das kann das bestehende Konzept komplett umwerfen. In einem solchen Fall würden ganz andere Wasserstoff-Volumina marktfähig sein, wodurch sich der Preis anders entwickeln würde. Das betrifft dann auch die Frage nach dem Import-Bedarf. Hier würden die Karten wahrscheinlich neu gemischt werden. Der Einfluss dieser Definition auf den Europäischen Energiemarkt ist so groß, dass selbst Nuancen bei der Ausgestaltung großen Einfluss haben.
Da Deutschland als einziges Land gleichzeitig aus Kohle- und Kernkraft aussteigt, setzt die Bundesregierung für den Übergang auf den Ausbau der Gasinfrastruktur. Diese soll H2-ready ausgestaltet werden und auch die EU sieht in ihrem jüngsten Gaspaket eine Beimischung von Wasserstoff ins bestehende Netz vor. Gegner kritisieren, die Gas-Infrastruktur gebe das nicht her und durch das Beimischen werde Wasserstoff beim Heizen verschwendet. Wer hat Recht?
Inwieweit man Beimischen kann ist technisch relativ gut geklärt. Dass man das Gasnetz für den Betrieb von Wasserstoff erst ertüchtigen muss, ist auch klar. Wir brauchen andere Kompressoren, eine andere Verdichtung und gegebenenfalls den Austausch von Komponenten mit neuen Materialien. Aber technisch ist das machbar, die Frage lautet vielmehr: Wofür will man Wasserstoff nutzen? Der Wärmemarkt ist ein extrem großer Abnehmer. In den nächsten drei bis fünf Jahren sehe ich die Produktionskapazitäten keinesfalls so stark anwachsen, dass wir entsprechende Beimischungen in unser doch sehr großes Gasnetzwerk ermöglichen könnten.
Zumal wir den Wasserstoff an anderer Stelle brauchen, an der es keine Alternativen gibt. Für die Transformation der energieintensiven Industrie zum Beispiel.
Für das gesamte Volumen, was wir perspektivisch in Deutschland brauchen, kommen wir an Grenzen, die nicht leistbar sind. Manche rechnen mit 20 Prozent, die wir importieren müssen, andere mit bis zu 80 Prozent. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen. In jedem Fall brauchen wir große Volumina, die wir nicht in Deutschland und auch nicht in Europa produzieren können. Und dann stellt sich die Frage: Mit welchen Staaten kann man kooperieren. Das ist auch eine geopolitische Entscheidung. Wie können Länder auf diesem Weg unterstützt und gefördert werden? Auch Entwicklungs- und Schwellenländer haben enorme Potenziale, im grünen Wasserstoffmarkt eine Rolle zu spielen.
Welche Regionen kommen da infrage?
Es gibt sehr viele Länder, die großes Potenzial haben. Chile, Australien, die arabische Halbinsel, Südafrika. Aber man muss die ganze Wertschöpfung sehen. Es geht nicht nur darum, das Solar-Potenzial in einer Wüste zu nutzen. Man muss das Produkt in der Logistik, im Transport emissionsfrei in die Märkte in Europa bringen können. Dazu braucht man entsprechendes Know-How, Technologien und Finanzkraft vor Ort.
Mit der H2Global-Stiftung will die Bundesregierung den Import von Wasserstoff-Produkten unterstützen. Wie kann dabei sichergestellt werden, dass die Produktionsbedingungen, für die es in Europa klare Standards gibt, im Produktionsland auch angewendet werden?
Es wird klare Kriterien geben. Dazu gehört, die Wasserversorgung, gerade auch in Gebieten mit Wasserknappheit, nicht zu gefährden. Wir wollen mit H2Global nicht dafür sorgen, dass knappes Trinkwasser noch knapper wird. Auch Kriterien der lokalen Nutzung, des Arbeitsschutzes und der Menschenrechte sind Anforderungen, die die Bundesregierung setzen wird. Das werden wir nicht nur einfordern, sondern auch über die gesamte Laufzeit prüfen. Aber was Herkunftsnachweise, Zertifizierungen und Sozialstandards angeht gibt es bereits zahlreihe Modelle, auf denen wir aufbauen können.
Die Kommission arbeitet derzeit an einem delegierten Rechtsakt, der die Produktionsstandards für grünen Wasserstoff explizit definiert. Ersten Entwürfen zufolge muss beispielsweise der Elektrolyseur im selben Jahr in Betrieb genommen werden, wie die zugrundeliegende PV- oder Windkraftanlage.
Es wird herausfordernde Vorgaben geben, die aber nicht unmöglich umzusetzen sind. Das wird das Produkt gegebenenfalls verteuern, wodurch die Relevanz für H2Global eher noch steigt, da der Differenzausgleich dann höher ausfällt und der Markthochlauf eines weiteren Stimulus bedarf.
Gräbt dieser Ansatz der Importförderung der heimischen Produktion in Europa nicht ein Stück weit das Wasser ab?
Die Frage ist äußerst relevant: Auch, um langfristig Energiesicherheit garantieren zu können, sollten wir uns tatsächlich auf die Steigerung und Vereinfachung der Produktion in Deutschland und Europa konzentrieren. Klar ist aber auch: Es wird eine weitere Quelle brauchen und man kann das eine tun ohne das andere zu lassen. Ich denke auch, dass es aus geo- und wirtschaftspolitischen Erwägungen sinnvoll ist, sich internationale Quellen zu erschließen. Da geht es um Kooperationen, um die Unterstützung von Ländern und nicht zuletzt auch darum, einen möglichst günstigen Preis für Wasserstoff zu bekommen. Das braucht die europäische Industrie, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Begeben wir uns dadurch nicht in eine neue Form der Importabhängigkeit, die wiederum geopolitische Spannungen beeinflussen kann, wie wir es aktuell beim Gas beobachten?
Wenn man es schlecht macht, ja. Aber es entsteht eine ganz neue Landkarte. Dazu gehören zwar weiterhin die klassischen Player: Länder auf der arabischen Halbinsel haben nicht nur große Ölvorkommen, sondern auch viel Sonne, viel Wind und eine gute Transport-Infrastruktur. Aber es kommen eben auch ganz neue Player dazu, wodurch wir unsere Importsicherung komplett neu ausgestalten können. Man muss sich nicht mehr von zwei, drei Akteuren abhängig machen.
Gegner würden sagen: Das Potenzial der erneuerbaren Energien sollte in den Regionen selbst genutzt und für deren eigene Dekarbonisierung verwendet werden.
Ich kenne das Schreckgespenst des Wasserstoff-Kolonialismus. Das ist real und damit sollte man professionell und auf Nachhaltigkeit bedacht umgehen. Wasserstoff Kolonialismus darf es nicht geben! Tatsächlich werden die Länder auf absehbare Zeit auch selbst einen hohen Bedarf an Wasserstoff haben. Im Güterverkehr oder Wärmebereich. Aber H2Global ist so ausgestaltet, dass zwar der Export nach Europa im Fokus steht, damit aber auch eine regionale Wertschöpfung und Nutzung unterstützt und auf den Weg gebracht wird. Daran haben nicht nur die Bundesregierung und die EU, sondern auch die Unternehmen selbst ein Interesse. Denn das sichert das Investment ab.
Daneben können wir mit H2Global auch eine Region gezielt fördern, indem wir nicht nur auf den möglichst günstigsten Preis achten. Das kann der Mittelgeber, also die Bunderegierung, über das Instrument auch steuern. Eine solche regionale Fördermöglichkeit ist auch durch die EU-Kommission geprüft. Man kann also durch H2Global gezielt nachhaltige Entwicklungshilfe betreiben.
Chinas Emissionshandel geht ins zweite Kalenderjahr, der erste Handelszyklus des chinesischen Emissionshandelssystems (ETS) ist abgeschlossen. Zeit für eine erste Bilanz. Sie fällt gemischt aus. Positiv ist der gelungene Start des Systems: Seit Mitte Juli läuft der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten an der Shanghaier Umwelt- und Energiebörse (Shanghai Environment and Energy Exchange/SEEE). Doch auch wenn es am Markt reale Transaktionen gab, muss 2021 eher als ein Testlauf für ein künftiges, umfassenderes ETS gesehen werden. Denn das Instrument macht wegen geringer Reichweite bisher kaum einen Unterschied für die Emissionen:
Zum Stichtag am 31. Dezember erfüllten mit 99,5 Prozent praktisch alle der rund 2.200 teilnehmenden Unternehmen die Auflagen, wie das Umweltministerium am Silvestertag mitteilte. Das bedeutet, sie konnten ausreichend Emissionsberechtigungen für ihre verifizierten CO2-Emissionen aus 2019 und 2020 vorlegen und abgeben. Diese Berechtigungszertifikate haben sie entweder aus der Zuteilung oder kauften sie über das ETS hinzu. In der Regel erwerben ältere Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß dabei überschüssige Zertifikate effizienterer neuer Anlagen.
Nach Berechnungen des Finanzdienstleisters Refinitiv emittierten die 99,5 Prozent als regelkonform gemeldeten Firmen in den beiden Jahren gewaltige 8,693 Gigatonnen CO2-Äquivalent, also rund 4,35 Gigatonnen pro Jahr. Das entspricht gut 40 Prozent der Emissionen Chinas und laut der britischen Fachwebsite Carbon Brief etwa zwölf Prozent der globalen Emissionen. Zum Vergleich: Die 1.817 vom ETS der EU erfassten deutschen Anlagen stießen 2020 nur 320 Millionen Tonnen (0,32 Gigatonnen) an Treibhausgasen aus.
Die gesamten CO2-Emissionen Deutschlands lagen 2020 nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) bei knapp 0,59 Gigatonnen. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig das ETS in China für das Weltklima sein wird, wenn es irgendwann richtig funktioniert.
Insgesamt wurden nach Refinitiv-Daten 2021 Berechtigungen für gut 178 Millionen Tonnen CO2 gehandelt. Hinzu kamen knapp 33 Millionen Tonnen sogenannte Zertifizierte Emissionsreduktionen (Chinese Certified Emissions Reductions/CCER). CCER verifizieren Klimaschutzprojekte der ETS-Unternehmen zum Ausgleich (Offset) ihrer Emissionen, etwa durch Investitionen in erneuerbare Energien, Kohlenstoffsenken oder Methannutzung. In Chinas ETS dürfen Unternehmen bis zu fünf Prozent ihrer Compliance-Verpflichtungen mit solchen CCER ausgleichen. Refinitiv geht davon aus, dass derzeit CCER für weitere 30 Millionen Tonnen CO2 im Markt verblieben sind, die Firmen nun in diesem Jahr zukaufen können.
Generell bemängeln Kritiker, dass es in Chinas ETS einen Überschuss an Emissionsberechtigungen gibt, weil die Verteilungskriterien zu locker oder zu ungenau sind (China.Table berichtete). Auch setzt das ETS den Firmen kaum Anreize zur Senkung ihrer Emissionen. Grund ist laut Carbon Brief, dass Kraftwerke nur für die ersten 20 Prozent Emissionen oberhalb ihrer zugeteilten Berechtigungen zusätzliche Zertifikate hinzukaufen müssen. Wer noch mehr emittiert, muss nicht mit Folgen rechnen.
Die wenigen Gaskraftwerke im ETS müssen sogar gar keine Zertifikate zukaufen, wenn sie mehr als die zugeteilte Menge CO2 emittieren. Der einzige Anreiz zum CO2-Sparen: Der Verkauf von Berechtigungen bringt Geld. Doch das haben nach Ansicht vieler Experten die meisten Kraftwerke bislang kaum auf dem Schirm.
Aufgrund dieser Probleme ist der Marktpreis am ETS in China ausgesprochen niedrig. Am Ende des Neujahrstages kostete die Berechtigung für eine Tonne CO2-Emissionen laut Refinitiv 54,22 Yuan (7,52 Euro), 13 Prozent mehr als zum Handelsstart am 16. Juli 2021. Im Durchschnitt lag der Preis demnach an den 104 Handelstagen des vergangenen Jahres bei 43,85 Yuan. Im EU-Emissionshandel stiegen die Preise zuletzt rasant und liegen heute über 60 Euro pro Tonne CO2. Auch das ETS der EU hatte anfangs wegen niedriger Preise in der Kritik gestanden.
Einer der am häufigsten kritisierten Mängel in China sind indes die niedrigen Strafen für Regelverstöße oder gefälschte Emissions-Daten: Die Höchststrafen betragen nur 30.000 Yuan (4.175 Euro).
Kinderkrankheiten wie diese seien bei einem neuen System aber normal, urteilten Yan Qin und Yuan Lin in der neuesten Refinitiv-Studie zum ETS vom Dezember. Es ist für alle Beteiligten ein Lernprozess. Teile des Regelwerks wurden erst aufgebaut, als der Handel bereits lief: So gab das Umweltministerium erst Ende Oktober Richtlinien wie die Compliance-Deadline im Dezember heraus. Die für Ende September vorgesehene Verteilung der Emissionsberechtigungen verzögerte sich bis November. Zwischendrin verlangte das Umweltministerium auch noch eine Überprüfung aller verifizierten Emissionsdaten, nachdem ein Datenbetrug in der Inneren Mongolei aufgeflogen war.
Das aktuelle ETS-System sei ein Kompromiss mit dem Ziel, die Teilnahme der Konzerne zu gewährleisten und Konflikte zu vermeiden, sagt Chen Zhibin, Senior Consultant der Pekinger Beraterfirma Sino-Carbon Innovation & Investment. “Es ist das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörden, Branchenverbänden und großen Unternehmen.”
Bisher gibt es deshalb im ETS keine feste Obergrenze der verteilten CO2-Berechtigungen. Das Maximum kann je nach tatsächlicher Energieproduktion der Kraftwerke jedes Jahr variieren. Noch gibt es keine konkreten Pläne, CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Bloomberg berichtete am Donnerstag immerhin von ersten Vorschlägen, die Berechtigungen um maximal ein Prozent zu reduzieren. Noch hat China die in seinen Klimaschutzzielen angepeilten Emissionshöhepunkte nicht erreicht. Steigerungen sind zumindest bis 2025 in den meisten energieintensiven Sektoren erlaubt. Das dürfte sich auch im ETS-Format widerspiegeln.
Bis Ende März müssen die Energiekonzerne nun ihre Emissionen für 2021 zur Verifikation einreichen. Experten erwarten, dass diese weiterhin bei über vier Gigatonnen liegen werden.
Immerhin soll das System bald weitere Sektoren umfassen. SEEE-Chef Lai Xiaoming will zunächst Finanzunternehmen und dann Konzerne aus energieintensiven Sektoren wie Nichteisenmetallen oder Baustoffen aufnehmen. Das könne schon 2022 beginnen. Bis 2025 sollen laut Lai alle acht wichtigen emissionsintensiven Industrien Chinas einbezogen sein. Dazu gehören etwa Chemie, Zement, Raffinerien, Stahl sowie die Zellstoff- und Papierproduktion. Deren einflussreiche Industrieverbände müssen die Teilnahme bereits vorbereiten. Die Firmen dieser Sektoren mussten zudem bis Silvester ihre Emissionen für 2020 melden und verifizieren lassen.
Außerdem will die SEEE CO2-bezogene Derivateprodukte auf den Markt bringen, wie Lai Ende Dezember der Shanghaier Börsenzeitung sagte. Dazu gehören Swaps, Forwards und Optionen. Ziel sei es, China zu einem globalen Zentrum für CO2-Handel und -Preise zu machen. Irgendwann sollen die Berechtigungen laut den ETS-Regeln des Umweltministeriums auch etwas kosten und versteigert werden. Zeitpläne für all diese Reformen gibt es aber noch nicht.
Es ist klar, dass die CO2-Emissionen in China deutlich teurer und die Berechtigungen knapper werden müssen. Sonst hätte das ETS keinerlei Lenkungswirkung. Viele Experten gehen davon aus, dass nur ein so genanntes Cap-and-Trade-System mit stetig sinkender “Cap”, also einer Obergrenze für alle CO2-Zertifikate im Markt, wirkliche Effekte für eine Senkung der Emissionen hat. So, wie es in der EU geregelt ist.
Der wichtigste Effekt des ETS in seiner jetzigen Form ist daher, dass es den Beginn einer landesweiten CO2-Bepreisung darstellt – mit dem Potenzial für eine spätere Ausweitung und Verschärfung. Christiane Kühl
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat angekündigt, dass der bislang für März vorgesehene (Europe.Table berichtete) EU-Kommissions-Vorschlag zur Bekämpfung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs im Netz (CSAM) statt freiwilliger Regelungen eine konkrete Verpflichtung zur Suche und Meldung enthalten soll. “Eine freiwillige Meldung wird dann nicht mehr ausreichen”, so Johansson laut Welt am Sonntag.
Bislang sei, so die aus Schweden stammende sozialdemokratische EU-Kommissarin, 95 Prozent des Meldeaufkommens auf die Benachrichtigungen eines einzigen Unternehmens zurückzuführen, des Facebook-Mutterkonzerns Meta. Das Recht der Kinder auf physische Unversehrtheit, Sicherheit im Internet und Privatsphäre im Internet müssten im Fokus stehen, so Johansson. Die neue Regelung ist unter anderem deshalb umstritten, da sie die automatisierte Durchsuchung von Inhalten durch Anbieter nicht nur legalisieren (Europe.Table berichtete), sondern verpflichtend gestalten könnte. fst
Die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat angekündigt, dass die formale Stellungnahme der Bundesregierung an die EU-Kommission zum Taxonomie-Vorschlag ablehnend ausfallen werde. “Diese Stellungnahme wird ein klares Nein zur Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie beinhalten. Das vertritt die Bundesregierung geschlossen”, sagte Lemke am Sonntagabend in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin.
Rechtliche Folgen hat die deutsche Ablehnung derweil nicht. Einen Delegierten Rechtsakt entsprechend der zugrundeliegenden Taxonomieverordnung können nur der Rat der Mitgliedstaaten oder das Europaparlament per Mehrheit und ohne Rückwirkung verhindern. Beides ist derzeit nicht absehbar. “Das muss die EU-Kommission dann für sich entscheiden, wie sie mit ihrem Taxonomie-Vorschlag weiter umgeht.”, so Lemke, die seit Dezember das Umwelt- und Verbraucherschutz leitet. Sie kritisiert: Wenn Atomkraft aufgenommen würde, würde die Taxonomie ihr eigentliches Ziel verfehlen, Finanzströme in nachhaltige Energieformen zu lenken. fst
Cornelius Matthes lebt in Dubai. Also jener der Stadt, die in den vergangenen zwanzig Jahren wie keine andere zum Symbol für Reichtum, Überfluss und Verschwendung auf Erdöl-Basis geworden ist, ohne sich dauerhaft auf das endliche schwarze Gold zu verlassen. Als CEO der Dii Desert Energy arbeitet der 46-Jährige Cornelius Matthes daran, die Energiewende nicht nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sondern auch im Mittleren Osten und Nordafrika (Mena-Region) in Schwung zu bringen.
Dabei ist die Dii eine alte Bekannte: Sie versuchte seit 2009, die Initiative Desertec voranzutreiben. Ziel war es und ist es noch immer, so viel erneuerbare Energie in Nordafrika und im Mittleren Osten zu produzieren, dass dieser auch nach Europa exportiert werden kann. Medial für tot erklärt wurde das Projekt 2014, als mehrere Investoren ausstiegen. Das Problem damals: Der europäische Strommarkt war gesättigt, Stromexporte flossen über die bestehenden Leitungen statt von Marokko nach Spanien in die entgegengesetzte Richtung. Doch nach mehr als 10 Jahren in der Region habe man viel über die Länder und die lokale Energiewirtschaft gelernt. “Desertec hatte ja nie das Mandat, Projekte zu bauen oder zu betreiben, Dii sollte den Weg zur Energiewende ebnen”, erzählt Matthes.
Mit dem Green Deal der EU gibt es auch neuen Antrieb für die Region, findet Matthes: “Die Initiative wird hier sehr genau wahrgenommen.”Doch auch in der Mena-Region sind die Staaten unterschiedlich weit bei ihrer Energietransformation. “Marokko ist mit einem Anteil von 42 Prozent Erneuerbaren-Anteil am Strommix sehr weit und auch Jordanien hat bereits früh auf Solar und Wind gesetzt”, erklärt Matthes. Mittlerweile gebe es aber auch eine zweite Generation wie Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die viel in die grüne Transformation investierten.
Neben dem klassischen Erneuerbaren Sonnen- und Windenergie gebe es jedoch einen noch viel wichtigeren neuen Energieträger. “Mit grünem Wasserstoff ist mittlerweile ein Game Changer im Spiel”, sagt Matthes. Jetzt gehe es nicht mehr nur um Strom aus der MENA-Region, sondern ein grüner Energieträger könnte nach Europa geliefert werden, der saisonal speicherbar ist. Im direkten Vergleich zu den Übertragungskapazitäten von Unterseekabeln, die im Moment bei zwei bis drei Gigawatt liegen, zeige sich das Potenzial von Wasserstoff, erklärt Matthes: “Große Pipelines haben eine Übertragungskapazität für ein Energieäquivalent von 70 Gigawatt.” So wird aus dem alten Desertec-Projekt die Idee Desertec 3.0. Mit EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans habe man dabei einen prominenten Wasserstoffverbündeten aus Brüssel an seiner Seite, verrät Matthes.
Vor der Dii Desert Energy war Cornelius Matthes unter anderem lange Jahre bei der Deutschen Bank. “Aber schon damals hatte ich den Ruf als grüner Investment-Typ”, erzählt Matthes. Die Prägung liegt bei dem gebürtigen Münchner allerdings auch in der Familie. Matthes’ Vater war Vizepräsident beim Bayerischen Landesamt für Umwelt, der Bruder war bei Siemens lange Zeit im Windbereich tätig, mittlerweile liegt auch sein Fokus jedoch auf der grünen Wasserstoffproduktion.
Die Faszination für die Mena-Region entwickelte Matthes auf einem Trip mit einem Studienfreund: Mit einem alten VW Passat ging es von Passau bis nach Marokko, um den gut 4100 Meter hohen Jbel Toubkal im Atlasgebirge zu besteigen. Diese Faszination ist bis heute geblieben. David Renke
Fünfhundert Jahre gibt es die Französische Akademie bereits. Pardon, die Académie française, naturellement. Noch gewichtiger als die (medial oft schon etwas übergewichtige) Gesellschaft für deutsche Sprache wacht sie über den Erhalt französischer Kultur und kämpft vor allem gegen jede drohende Gleichsetzung des Französischen mit anderen Sprachen.
Was für eine Schmach es für sie gewesen sein muss, dass man ihre Warnungen überhörte und ignorierte. Sodass sie nun erwägt, sich an den Conseil d’Etat der fünften Republik zu wenden. Gegenstand ihres Zorns: Zweisprachigkeit, also die Verwässerung der französischen Kultur. Und das auf einem offiziellen, behördlichen Dokument. Nicht irgendeinem, nein, das werden viele deutsche Leser nachvollziehen können. Sondern: Der nationalen Identitätskarte.
Die aktuelle Version, die seit August 2021 ausgegeben wird, enthält die Namen aller Kategorien nicht nur in französischer, sondern auch in englischer Sprache. Also nicht nur das Date d’expir, sondern auch das Expiry Date.
Hoffentlich verrät niemand der Gesellschaft für deutsche Sprache, die so gerne ähnliche Wichtigkeit wie die Académie française hätte, dass auf den deutschen Personalausweisen noch etwas viel Schlimmeres lauert: Alle Kategorien sind auf Deutsch, Englisch und sogar auf Französisch benannt. Mon dieu! Falk Steiner