Table.Briefing: Europe

Lücken im EU-Datenschutz + Niederlande ohne Merkel + EuGH: Geldstrafe für Polen

  • Spyware Pegasus offenbart Lücken im EU-Datenschutzrecht
  • Termine der kommenden Tage
  • So blicken die Niederlande auf die Bundestagswahl
  • EuGH verurteilt Polen zu Geldstrafe im Streit um Kohleabbau
  • Johnson und Guterres drängen Industrieländer zu mehr Klimaschutz-Ausgaben
  • UK will digitale Handelsschranken abbauen
  • Im Portrait: Anna Cavazzini, grüne Europaabgeordnete und IMCO-Vorsitzende
Liebe Leserin, lieber Leser,

die positive Nachricht zuallererst: Die USA heben ihren Einreisestopp für Geimpfte ab November auf. Ausländer dürfen dann etwa wieder über die Schengen-Länder, Großbritannien, China und Brasilien einreisen. Der “Travel Ban” galt seit Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 und wurde von der EU zunehmend kritisiert.

Die Verwendung der israelischen Spionage-Software Pegasus durch Regierungen, darunter auch europäische, sorgte im Juli für einen Aufschrei. Statt Kriminellen wurden Politiker, Journalisten, Aktivisten, Unternehmensvertreter und Diplomaten durch die Spyware überwacht. Konkrete Konsequenzen blieben bisher trotzdem weitgehend aus. Mein Kollege Falk Steiner hat bei Datenschutzbehörden in Deutschland, Bulgarien, Luxemburg und Frankreich nachgehakt und irritierende Antworten bekommen. Er analysiert, dass der Fall eine dreifache Lücke im europäischen Datenschutzrecht aufzeigt.

Untätigkeit kann man dem EuGH nicht vorwerfen: Weil sich Polen seiner einstweiligen Anordnung widersetzte, die umstrittene Kohleförderung in Turow zu stoppen, verurteilte der Europäische Gerichtshof das Land gestern zu einer saftigen Geldstrafe. Von Einsicht war in Warschau erneut nichts zu spüren.

Unser vorletzter Blick aus Europa auf die Bundestagswahl geht heute in die Niederlande. Dort weiß man nur zu gut, wie gelähmt ein Land nach einer Wahl sein kann: Über sechs Monate ist man in Den Haag schon mit der Regierungsbildung befasst. Warum Angela Merkels politisches Ausscheiden Premierminister Mark Rutte in die europapolitische Orientierungslosigkeit stürzen könnte und was die Niederländer von Olaf Scholz erwarten, erfahren Sie in Annette Birschels Analyse.

Ihre
Jasmin Kohl
Bild von Jasmin  Kohl

Analyse

Wenn die Datenschutzaufsicht wegschaut

Zwischen legalem Handeln und illegaler Ausspähung liegt ein Fall, der einerseits das Problem sicherer IT betrifft, andererseits den Zugang für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Und der aufzeigt, wie groß System- und Handlungslücken im europäischen Datenschutzrecht tatsächlich sind: Der israelische Hersteller NSO Group lizenziert Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten die Nutzung seiner mächtigen Überwachungswerkzeuge wie der Spyware Pegasus.

Die NSO-Software dient einem klaren Zweck: auf die Endgeräte des Angegriffenen zu kommen, um in unverschlüsselter Weise auf Inhalte und Kommunikation zugreifen zu können. Pegasus soll zudem Video- und Audio-Funktionen vom Nutzer unbemerkt anschalten können.

Weltweit ist NSO einer der technologischen Marktführer. Erst vergangene Woche musste Apple ein ungeplantes iOS-Update veröffentlichen, um zwei Sicherheitslücken zu schließen, die Pegasus offenbar ausgenutzt hatte. NSO gilt als wichtiger Baustein für Israels digitale Selbstverteidigung – und als wirtschaftlich erfolgreich. 

Doch der Einsatz der NSO-Produkte steht immer wieder in der Kritik. Nicht nur Terrorismusverdächtige und Kriminelle, auch Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle sollen mithilfe der NSO-Dienstleistungen in vielen Ländern ausgespäht worden sein (Europe.Table berichtete). Und das auch in Europa, wie Amnesty International auf Basis eines 50.000 Nummern umfassenden Datensatzes herausfand. Von daraufhin bis Juli untersuchten 67 Smartphones waren 23 von der Pegasus-Software betroffen, weitere sollen Anzeichen einer versuchten Infektion gezeigt haben. Unter den Betroffenen: regierungskritische ungarische Journalisten und Oppositionelle. Hier sollen es ungarische Behörden gewesen sein, die die NSO-Software eingesetzt haben.

Auch Deutschland ist Kunde bei der NSO Group: Das Bundeskriminalamt hat laut der Wochenzeitung “Zeit” die Dienste der israelischen Firma in Anspruch genommen. Wer Pegasus einsetzt, kann grundsätzlich alles auf dem Telefon sehen, lesen, hören. Zumindest für den Einsatz in Deutschland wäre das so in Folge von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nicht erlaubt – weshalb die Version für das BKA angepasst worden sein soll.

Experten und Bundestagsabgeordnete hegen jedoch Zweifel daran, dass Pegasus überhaupt rechtskonform eingesetzt werden kann. Fragt man beim Bundesdatenschutzbeauftragten nach, erfährt man: nichts. Zwar beschäftigt man sich dort wohl mit dem Einsatz der Software, darf sich aber nicht dazu äußern, da der Geheimschutz jede Art von Äußerung untersagt, die Rückschlüsse auf die Fähigkeiten zuließe.

Dreifache Lücke im EU-Datenschutzrecht

Pegasus zeigt dabei eine dreifache europäische Lücke im Datenschutzrecht. Erstens bindet das Europarecht auch die Behörden der Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich an das Datenschutzrecht. Doch die Sicherheitsangelegenheiten sind keine EU-Kompetenz – und damit auch die Aufsicht nicht.

Daher gibt es als zweite Lücke in diesen Angelegenheiten auch keine gemeinsamen Kontrollmechanismen der Datenschutzaufsichtsbehörden: Ergebnisse einer Prüfung der ungarischen Datenschutzaufsichtsbehörde zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes der NSO-Software und eine Prüfung in Deutschland dürften nicht einmal öffentlich erläutert werden, bemängeln Experten.

Die dritte Lücke zeigt, wie schwer sich die Datenschutzaufsichtsbehörden tun, wenn sie vielleicht doch eine Handhabe hätten. In Frankreich hatte die Agence nationale de la sécurité des systèmes d’information (ANSSI), das Pendant des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, nach den ersten Vorwürfen Telefone von Journalisten der Online-Zeitung “Mediapart” untersucht – und wurde fündig

In diesem Fall steht der marokkanische Geheimdienst im Verdacht, die beiden Journalisten zu Zielen erklärt zu haben – mithilfe der Software von NSO. Aus sicherheitsbehördlicher Sicht ein Fall für die Spionageabwehr. Was als Reaktion auf den Fall geschah? Erstaunlich wenig – doch dazu später mehr.

Durch die Spyware werden auch personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet und weitergegeben – und eine private Firma ist hieran beteiligt, die auch noch in Europa diverse Filialen, teils auch Server unterhält. Die DSGVO sieht zwar vor, dass Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste nicht unter sie fallen. Aber gilt das auch für außereuropäische Akteure? In Artikel 3 der DSGVO ist geregelt: Sie findet auch dann Anwendung, wenn ein Datenverarbeiter außerhalb der EU ein Verhalten betroffener Personen in der Union beobachtet.

Anfragen bei Datenschutzbehörden laufen ins Leere

Nur: Wer wäre zuständig? In Bulgarien hat NSO vor einiger Zeit eine lokale Firma übernommen. Die dortige Datenschutzaufsichtsbehörde CPDP schickt auf Anfrage von Europe.Table den Scan einer von Hand unterschriebenen Antwort: Circles Bulgaria EEOD sei nur in der Softwareentwicklung tätig und damit kein Datenverarbeiter. Die Eigentümerfirma sitze zudem auf Zypern, und man wisse eigentlich nur aus Medienpublikationen von dem Fall.

In Luxemburg sitzen neun NSO-Töchter. Die Datenschutzaufsichtsbehörde dort reagiert schnell auf unsere Anfrage – aufgrund der luxemburgischen Regelungen zu Geschäftsgeheimnissen dürfe man zu laufenden Verfahren, wenn es sie denn gäbe, nichts sagen.

Beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz wird die Frage zuerst einmal nicht verstanden. Hier ist man mit der Prüfung der Vorgänge bei BKA und ZITIS offensichtlich zu beschäftigt, um über weitere Möglichkeiten nachdenken zu können. Aber die internationale Zusammenarbeit der Datenschutzaufsichtsbehörden sei wichtig, ja.

Bleibt der Blick nach Frankreich. Immerhin hat dort eine Behörde die Betroffenheit festgestellt, geprüft und ein Problem identifiziert. Die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL erklärt auf Anfrage von Europe.Table, man habe keine Beschwerde vorliegen und habe daher kein Verfahren eingeleitet. Auf Nachfrage wird mitgeteilt, dass eine Beschwerde auch nach französischer Rechtsinterpretation nicht zwingend nötig sei: Man dürfe auch eigeninitiativ tätig werden. Nach einigen Wochen und einer erneuten Nachfrage heißt es wieder: Es gebe keine Beschwerde, also auch keine Untersuchung. 

In den USA wird man diese Praxis interessiert zur Kenntnis nehmen. Das Privacy-Shield-Abkommen war auch am mangelnden Schutz europäischer Bürger vor Ausspähung und Rechtsbehelfen vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert. Die Grundlage für diese Entscheidung: die DSGVO.

Aus Unternehmenskreisen der NSO Group heißt es: Man wisse derzeit von keinem Verfahren einer Datenschutzaufsichtsbehörde.

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Termine

21.09.-23.09.2021, online
FVA, Konferenz 13th E-Motive Expert Forum
Die Forschungsvereinigung Antriebstechnik (FVA) gibt bei dieser Konferenz Einblicke in die industrielle Praxis der Mobilitätstransformation in der Automobil-Industrie. INFOS & ANMELDUNG

21.09.-23.09.2021, online
Conference Container Days
This conference gathers specialists in the cloud native technology in order to discuss its implementation in the current digital transformation. INFORMATION & REGISTRATION

21.09.2021 – 12:00-18:00 Uhr, Köln/online
Eco, Roundtable KI: Von der Kunst, zwischen Buzzwords und Mehrwerten für den Mittelstand zu differenzieren
Der Verband der Internetwirtschaft (Eco) möchte die zahlreichen offenen Fragen zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz und ihrer Anwendungsbereiche insbesondere für mittelständische Unternehmen im Rahmen eines Roundtables thematisieren. INFOS & ANMELDUNG

21.09.2021 – 14:00-16:00 Uhr, online
DBU, Podiumsdiskussion Circular Economy in der Bauwirtschaft – Vision und Praxis
Wie kann eine Ressourcenwende als Beitrag zur Defossilierung unseres Energiesystems im Bausektor gelingen? Darüber diskutiert die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit Expert:innen aus verschiedenen Bereichen. INFOS & ANMELDUNG

21.09.2021 – 17:00-18:00 Uhr, online
Eco, Conference Transatlantic Dialogue on Data Transfer: Standard Contractual Clauses
The Association of the Internet Industry (Eco) discusses how the legal basis of data transfer between the US and the EU has changed in the past and how it might develop. INFOS & REGISTRATION

21.09.2021 – 17:30-19:00 Uhr, online
DStGB/KAS, Seminar Der Europäische Digitale Kompass – Eckstein des Green Deals
Die gemeinsame Veranstaltung des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) widmet sich dem aktuellen Stand und den Herausforderungen der Digitalisierung in öffentlicher Verwaltung und Produktionsprozessen. INFOS & ANMELDUNG

22.09.-23.09.2021, online
DLR, Vortrag HorizonUAM Symposium 2021
Das erste Symposium des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zum Thema Urban Air Mobility (UAM) befasst sich mit der Forschung zu UAM-Luftfahrzeugen, der entsprechenden Infrastruktur, den UAM-Diensten sowie der öffentlichen Akzeptanz des zukünftigen urbanen Luftverkehrs. INFOS & ANMELDUNG

22.09.2021 – 15:00-16:00 Uhr, online
EuC, Panel Discussion Policy Talks with EU Commissioner Janusz Wojciechowski
Euro Commerce (EuC) invites you to this webinar, part of its series of online Policy Talks with senior European decision-makers. INFOS & REGISTRATION

22.09.2021 – 18:00-19:30 Uhr, online
BPB, Podiumsdiskussion Wie steht es um den Grundrechtsschutz in Europa, Herr Prof. Dr. Harbarth?
Die Bundeszentrale für politische Bildung lädt zum Gespräch zwischen Prof. Dr. Harbarth und Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Angelika Nußberger über das Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und europäischem Recht im Hinblick auf die Durchsetzung von Grundrechten in Europa. INFOS & ANMELDUNG

Die Niederlande verlieren mit Merkel ihren Kompass

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit Wochen das beliebteste Covergirl der niederländischen Medien – von der Raute bis zu den charakteristischen Anzügen mit Kasten-Blazer. Von der Kindheit im Pfarrhaus bis zum bevorstehenden Ruhestand. Selten war das Interesse so groß bei einer deutschen Wahl. Das ist kein Wunder. Denn in diesem Jahr geht es auch um einen Epochenwechsel für Europa.

Das Ende der Ära Merkel kann für die Niederlande besondere Folgen haben. Das Nachbarland ist historisch, wirtschaftlich aber auch politisch sehr eng mit Deutschland verbunden.

Am 26. September endet auch eine der längsten politischen Beziehungen in West-Europa, nämlich die zwischen Merkel und ihrem niederländischen Amtskollegen, Premier Mark Rutte. Er ist seit über zehn Jahren Regierungschef und hat nach der von seiner Partei VVD gewonnenen Parlamentswahl vom März beste Chancen, erneut eine Koalitionsregierung zu leiten.

“Merkel war in den vergangenen Jahren sein politischer Kompass und er ihr treuester Verbündeter”, analysiert der Den Haager Korrespondent des renommierten TV-Nachrichtenmagazins “Nieuwsuur”, Arjan Noorlander. Mark Rutte und Merkel verstanden und verstehen sich ausgezeichnet, sie duzen sich und haben regelmäßig Kontakt. Und das, obwohl beide aus unterschiedlichen politischen Familien kommen. Der Rechtsliberale Mark Rutte ist pragmatisch, sagt der politische Journalist Noorlander. “Deutschland und die Niederlande sind wirtschaftlich sehr miteinander verwoben, und dadurch gibt es viele gemeinsame Interessen.” Daher folge er meist der deutschen Linie.

Mark Rutte sei das “Schoßhündchen” von Merkel, lästert dagegen vor allem die rechtspopulistische Opposition. Und tatsächlich  – der Premier konnte im eigenen Parlament eine harte Linie vertreten, gerade wenn es um Sparpolitik in Europa, Haushaltsdisziplin oder Flüchtlingspolitik ging. In Brüssel aber blieben die Niederlande meist dem Merkel-Kurs treu.

Nach Merkel: Mark Ruttes eigener EU-Kurs

Was also wird Mark Rutte tun, wenn sein politischer Kompass wegfällt? In den vergangenen Monaten konnte man bereits erleben, dass die Niederlande unter Mark Rutte in der EU einen eigenen Kurs fuhren, etwa beim Corona-Aufbaufonds. Mark Rutte war starker Motor der sogenannten “Sparsamen Vier” gegen großzügige Aufbauhilfen. Er tritt deutlich auf die Schuldenbremse und will gerne nach dem Brexit in die von Großbritannien hinterlassene Lücke springen.

Doch jetzt kurz vor dem Wechsel in Berlin hält sich die niederländische Politik mit Kommentaren sehr zurück. Man hütet sich vor voreiligen Einschätzungen, solange unklar ist, welche Richtung das politische Den Haag einschlagen wird. Denn mehr als sechs Monate nach der Wahl der Zweiten Kammer in Den Haag (dem Bundestag vergleichbar) ist noch immer keine mehrheitsfähige Koalition in Sicht. Gespräche über eine breite Koalition sind geplatzt, einzige Möglichkeit scheint eine Minderheitsregierung der Rechts- und Linksliberalen mit den Christdemokraten zu sein.

Und noch etwas spielt eine Rolle: Die Niederlande sind traditionell sehr angelsächsisch orientiert. Es gibt zwar ein großes Interesse am Ende der Merkel-Ära, doch das ist in keinster Weise mit der Flut an Nachrichten zum US-Wahlkampf zu vergleichen.

“Extrem kurzsichtig”, meint der Historiker Hanco Jürgens von der Universität von Amsterdam. Er klagt, dass das Interesse der Niederlande an den deutschen Wahlen zu oberflächlich sei. “Deutschland ist das wichtigste Land in der Europäischen Union”, sagt der Deutschland-Experte. “Der Nachfolger von Merkel wird auch auf die Niederlande seinen Stempel aufdrücken.” Nicht zuletzt auch über die Europapolitik. Als Beispiele nennt Jürgens die Klimapolitik und Flüchtlingsfrage.

Niederländer sollten lieber genau verfolgen, was in Deutschland geschieht, empfahl auch jüngst Carsten Brzeski, viel gefragter Chefökonom bei der niederländischen ING-Bank in Frankfurt im “Algemeen Dagblad”. Schließlich ist Deutschland der größte Handelspartner. “Jetzt wird sich entscheiden, ob Deutschland tatsächlich große Investitionen macht und mehr Innovation.”

Brzeski nennt strukturelle Veränderungen der Autoindustrie, mehr grüne Autos, Digitalisierung und natürlich Klimawandel. “Man kann davon ausgehen, dass das in einem so großen Stil geschieht, dass Deutschland der Motor des zukünftigen grünen Europas wird”, schätzt der Ökonom. “Und den Zug sollten die Niederlande sicher nicht verpassen.”

Von Olaf Scholz wird Kontinuität erwartet

Sorgen um die politische Stabilität von Deutschland gibt es in den Niederlanden nicht. Dass unter Umständen drei Parteien zur Bildung einer Koalition nötig sein werden, ist schließlich dort schon lange politischer Alltag. 

Der Historiker Jürgens, gefragter Deutschland-Experte, ist davon überzeugt, dass auch ein SPD-Kanzler Olaf Scholz die bisherige außenpolitische und europapolitische Linie fortsetzen könnte. Deutschland agiere am liebsten im internationalen Verband von EU, Nato oder UNO. Dafür brauche man jemanden mit Aktenkenntnis, Stabilität und Durchhaltevermögen. “Da hat der SPD-Kandidat die besten Chancen.” Er habe sich als effizienter Manager bewiesen, und sei der Motor hinter dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU, aber auch der Vereinbarung der G7 zur Mindeststeuer.

Die Europa-Kolumnistin des “NRC Handelsblad”, Caroline de Gruyter, sieht eine interessante Entwicklung in der schärferen ideologischen Profilierung der Flügel. De Gruyter beschreibt den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als einen “Mann der Mitte”, doch seine Partei bewege sich zurück nach links. “Die Aussicht auf eine linke Regierung nach der Wahl vom 26. September bringt alte SPD-Wähler, die zu den Grünen oder der Linken geflohen waren, wieder zurück zur SPD. Wenn Olaf Scholz gewinnt, dann kann er schwerlich seine Wähler enttäuschen und erneut mit der CDU/CSU regieren.”

Auch zur Union kämen radikale Wähler zurück, etwa von der AfD. Müssen die Niederlande davor Angst haben? Keineswegs. Denn genau diese Tendenz beobachtet die Europa-Expertin auch in den Niederlanden. Annette Birschel, Amsterdam

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News

USA heben Travel Ban ab November auf

Rund 18 Monate, nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump wegen der Corona-Pandemie eine Einreisesperre für Ausländer in die USA verhängt hatte, wird der sogenannte Travel Ban wieder aufgehoben. Die USA verlangen von ausländischen Fluggästen künftig einen Corona-Impfnachweis und heben zugleich bestehende Einreiseverbote für viele europäische Länder und andere Staaten auf.

Laut Präsidialamt soll ab Anfang November die Einreisesperre für Ausländer fallen, die über Staaten des Schengenraums, Großbritannien, China, Brasilien und andere Länder einreisen. Derzeit gilt noch ein Einreiseverbot für Personen, die sich innerhalb eines Zeitraums von 14 Tagen vor beabsichtigter Einreise in die USA in Deutschland oder einem anderen Land des Schengenraums aufgehalten haben.

Seit Monaten drängen europäische Politiker darauf, die Sperre aufzuheben, die exportorientierte Unternehmen und das transatlantische Verhältnis belasten. asi/rtr

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EuGH: Geldstrafe für Polen im Streit um Kohleabbau

Im Streit um den Braunkohle-Abbau in Turow hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Entscheidung gefällt und Polen zu einer Geldstrafe von täglich 500.000 Euro an die EU-Kommission verurteilt. Das teilte das Luxemburger Gericht am Montag mit.

Ende Mai hatte der EuGH einen Stopp der Kohleförderung in Turow angeordnet und damit einer Klage Tschechiens stattgegeben. Den Prager Behörden zufolge habe das Nachbarland die Lizenz für den Tagebau ohne die erforderliche Überprüfung der Umweltverträglichkeit bis 2044 verlängert. Dabei wirke sich der Betrieb negativ auf den Grundwasserspiegel aus – auch in Tschechien. Turow befindet sich im Dreiländereck Polen, Tschechien und Deutschland.

Polen widersetzte sich der einstweiligen Anordnung des EuGH und hält weiter an der Kohleförderung fest. Ein Ende des Abbaus in Turow gefährde die Energiesicherheit des Landes, heißt es in Warschau. Die Argumentation halten die Luxemburger Richter für nicht ausreichend begründet und verhängten nun die tägliche Strafzahlung von 500.000 Euro, bis Polen der Anordnung Folge leistet. Tschechien hatte zuvor ein Bußgeld von täglich 5 Millionen Euro beantragt.

Die Strafe stünde “in keinem Verhältnis zur Situation und ist nicht durch Fakten gerechtfertigt. Sie untergräbt den laufenden Prozess einer Einigung”, erklärte die polnische Regierung in einer Reaktion auf das Urteil und kündigte an, den Kohleabbau trotz des verhängten Bußgelds weiterbetreiben zu wollen. rtr/til

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Klimaschutz: “Industrieländer tragen größte Verantwortung”

Der britische Premierminister Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres drängten die Industrieländer am Montag, mehr Geld für den globalen Klimaschutz aufzuwenden. Bei einem Vorbereitungsgespräch zur Weltklimakonferenz im November (COP26 in Glasgow) mahnten beide, dass es vor allem die großen Wirtschaftsmächte seien, die Verantwortung trügen.

Diese haben sich darauf geeinigt, gemeinsam jährlich 100 Milliarden US-Dollar in einen Klimafonds einzuzahlen. Diese Vereinbarung werde nicht von allen gleichermaßen eingehalten, sagte Johnson und rief die Staats- und Regierungschefs auf, ihrer Zusage nachzukommen. “Wir brauchen eine dramatische Verbesserung der national festgelegten Beiträge der meisten Länder”, betonte Guterres.

Johnson sagte, er hoffe, dass die USA ihren Einsatz noch erhöhen würden, um die 100 Milliarden zu erreichen. John Kerry, der Klima-Berater des US-Präsidenten Joe Biden, sagte zu, dass die USA ihren Anteil erhöhen würden. Auch Schweden und Dänemark haben bei dem Treffen angedeutet, ihre Finanzierung aufzustocken.

Das Treffen in New York, bei dem auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anwesend und Bundeskanzlerin Angela Merkel zeitweise zugeschaltet war, dient als Gradmesser vor dem Weltklimagipfel. luk/rtr

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Vereinigtes Königreich will digitale Handelsschranken abbauen

Das Vereinigte Königreich plant, digitale Handelsschranken abzubauen, um seinen Unternehmen den Export von Dienstleistungen zu erleichtern. “Wir hängen alle vom digitalen Handel ab, aber britische Unternehmen treffen in Ländern, die einen protektionistischen Ansatz verfolgen, auf digitale Schranken”, sagte die neue Ministerin für internationalen Handel, Anne-Marie Trevelyan, gestern auf der London Tech Week. Genau diese Schranken wolle das Vereinigte Königreich nun einreißen, um Produktivität, Jobs und Wachstum zu verbessern.

Trevelyan verkündete einen entsprechenden Fünf-Punkte-Plan. Er sieht vor, 1) digitale Märkte zu öffnen; 2) vertrauenswürdige grenzüberschreitende Datenflüsse zu etablieren; 3) hohe Standards im Verbraucherschutz und dem Schutz des geistigen Eigentums aufzubauen und 4) moderne digitale Systeme zu schaffen, die den Verwaltungsaufwand von Unternehmen verringern. Auch die globalen Handelsregeln will das Vereinigte Königreich dem 21. Jahrhundert anpassen – durch die britische G7-Präsidentschaft, “eine unabhängige Stimme” in der Welthandelsorganisation (WTO) und durch Freihandelsabkommen.

Trevelyan nannte die Verhandlungen über ein “Digital Economy Agreement” mit Singapur sowie den Willen, der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) beizutreten, als Beispiele, wie digitale Handelskooperationen umgesetzt werden könnten.

Zuletzt war Verunsicherung aufgekommen, weil sich das Vereinigte Königreich teilweise von EU-Regularien zu entfernen plante – insbesondere im Bereich Datenschutz. Würde das eintreten, könnte dies die Angemessenheitsentscheidung der Europäischen Kommission infrage stellen – und damit die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten aus der EU im Vereinigten Königreich. koj/rtr

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Cybersicherheit: Implementierungsakt zur Funkgeräterichtlinie im Herbst

Eine Randbemerkung des EU-Justizkommissars Didier Reynders am vergangenen Donnerstag im Europaparlament ließ Zuhörer aufhorchen: Über die Funkgeräterichtlinie sollen die Anforderungen an Endgeräte erhöht werden, die mit dem Internet verbunden sind.

Nach Informationen von Europe.Table ist nun klarer, was dabei beabsichtigt ist – und dass dieses Vorhaben nicht mit dem am Mittwoch von Ursula von der Leyen angekündigten Cyber Resilience Act identisch ist. Dieser soll als eigenständiger Legislativakt kommen, das Timing hierzu ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. 

Der delegierte Rechtsakt zur Funkgeräterichtlinie, der bereits in der Cybersicherheitsstrategie angekündigt wurde, soll hingegen für potenziell als Cybersicherheitsrisiko einzustufende Geräte mit Funkverbindungen genauere Vorgaben machen: Das Anbieten und Verkaufen auf dem europäischen Markt wird von der Einhaltung dieser Vorgaben abhängig gemacht. Um welche es genau gehen soll, wird derzeit noch erarbeitet – es dürften viele sogenannte Smart Devices und Internet-of-Things-Anwendungen betroffen sein. Eine Umsetzung des Rechtsaktes ist für diesen Herbst geplant.

Dies spielt nicht zuletzt für Onlinehändler eine wichtige Rolle, die Direktimporte aus dem nichteuropäischen Ausland anbieten – ein verstärktes Haftungsregime für den Vertrieb in der EU unzulässiger Produkte steht im Rahmen des Digital Services Act zur Debatte. Der Kommissionsentwurf fordert von Online-Handelsplattformen, neben diversen Angaben zum Unternehmen auch eine Versicherung des Anbieters einzuholen, dass dieser nur europarechtskonforme Produkte anbietet. Die Händler sollen außerdem mit Stichproben prüfen, ob die Angaben der Anbieter wahrheitsgemäß sind. fst

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Presseschau

USA heben für Geimpfte Einreisestopp auf FAZ
U-Boot-Streit zwischen Frankreich und Australien wirbelt EU-Handelspolitik durcheinander RND
Meeting Cop26 finance goals ‘going to be tough’, says Boris Johnson GUARDIAN
Brussels wants Apple to change iPhone charging system by 2024 POLITICO
EU-Kommission plant neue Regulation für mehr Sicherheit im Internet der Dinge HEISE
EuGH verurteilt Polen zu Geldstrafe wegen Tagebaus in Turow STANDARD
Der Wind soll die Schadstoffe verwehen SUEDDEUTSCHE
European governments weigh billions in aid to weather soaring gas prices FT
‘Climate crisis on our shores’: Mediterranean countries sign deal after summer of fires GUARDIAN
Deutschlands Pläne für grünere GAP-Agrarsubventionen EURACTIV
Orban Zeroes In on Spending, Anti-LGBTQ Law to Sway Hungary Vote BLOOMBERG

Portrait

Anna Cavazzini: Die EU-Batterieverordnung muss rasch kommen

Auf dem Foto ist die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini zu sehen, sie will die Batterieverordnung
Die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini ist seit 2019 Mitglied im Europäischen Parlament

“Ich will, dass wir in der Europäischen Union das Recht auf Reparatur bekommen.” Anna Cavazzini, seit November 2020 Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel im Europäischen Parlament, will den europäischen Binnenmarkt fit für den Green Deal machen.

Das fängt damit an, dass Computer und Handys nicht – kaum ist die Garantiezeit abgelaufen – kaputtgehen: Ein “Repair-Score” soll in Zukunft Verbrauchern die Reparierbarkeit der Produkte aufzeigen. “Wir hoffen, dass wir noch dieses Jahr einen entsprechenden Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission bekommen, der dann in den parlamentarischen Prozess geht.”

Cavazzini sensibilisierte für Umweltprobleme

Bevor Anna Cavazzini 2019 für die Grünen ins Europäische Parlament gewählt wurde, arbeitete sie als Referentin für Menschenrechte bei Brot für die Welt. Das Bedürfnis, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen, entstand nach dem Abitur, während ihres einjährigen Aufenthaltes in Mexiko.

An einer Schule in einem kleinen Bergdorf unterrichtete die damals 19-Jährige Englisch und Ökologie und sensibilisierte die Lernenden für Umweltprobleme: “Wir haben ein Mülltrennungssystem an der Schule eingeführt und im Rahmen einer Aktion Bäume im Dorf gepflanzt.”

Die Umstände an der Grenze zu den USA führten ihr vor Augen, wie ungerecht die globalen Verhältnisse sind: “Durch das damalige Freihandelsabkommen konnte billig Mais aus den USA importiert werden. Dadurch sind Massen an Kleinbauern in Mexiko pleite gegangen. Die Hälfte meines Dorfes ist illegal in die USA ausgewandert.” Cavazzini dolmetschte und verhandelte für Familien, deren männliche Mitglieder in Kalifornien auf Feldern arbeiteten und keinen Lohn bekamen.

Klares Ziel: Europapolitik

“Das war ein Schlüsselerlebnis, welches den Willen in mir auslöste, mich für eine Änderung der globalen Wirtschaftsstrukturen einzusetzen.” Zurück in Deutschland studierte Anna Cavazzini in Chemnitz European Studies und schloss sich in dieser Zeit der Grünen Jugend an. Ihren Master machte sie in Internationalen Beziehungen in Berlin.

Ihr wichtigstes Ziel war schon damals, internationale und europäische Themen voranzutreiben: “In der BAG Europa, einem der Think-Tanks der Grünen, den ich gemeinsam mit Annalena Baerbock eine Weile geleitet habe, haben wir die Forderung einer föderalen Republik Europa als grüne Position entwickelt – diese ist heute in unser Grundsatzprogramm eingegangen.” 2019 kandierte sie schließlich erfolgreich für das Europäische Parlament: “Für mich war klar, wenn ich kandidiere, dann fürs Europaparlament.”

Aktuell arbeitet die 38-Jährige an der EU-Batterie-Verordnung: “Diese Verordnung ist wichtig, weil es vor allem in der E-Mobilität einen riesigen Zuwachs an Autobatterien geben wird, und wenn wir es nicht schaffen, die Rohstoffe wieder dem Kreislauf zurückzuführen, werden diese schnell ausgehen.”

Der Gesetzesvorschlag liegt aktuell dem Europäischen Parlament vor: “Nachdem das Parlament voraussichtlich im Februar über die Batterien-Verordnung abstimmt, wird sie wohl gegen Ende des nächsten Jahres vorliegen und die Produktion von Batterien revolutionieren. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung liegt also direkt vor uns.” Alina Jensen

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Apéropa

Die deutsche Wahl ist unhackbar. Das betonen die Verantwortlichen immer wieder. Zuletzt zum Beispiel der Sprecher des Bundesinnenministeriums: “Wir haben in Deutschland ein Wahlverfahren, das analog funktioniert; das kann man also nicht durch technische Hilfsmittel in irgendeiner Weise beeinflussen.”

Das unterscheidet Deutschland von anderen Staaten: keine Wahlmaschinen, kein Onlinevoting, nirgendwo. Und das nicht bloß, weil es uns an der nötigen digitalen Infrastruktur in Form von e-IDs bislang mangelt. Sondern deshalb, weil die Hürden dafür verfassungsrechtlich unerfüllbar hoch sind. Hier wird gewählt und gezählt, als ob der Computer nie erfunden worden wäre. Erst die Ergebnisweitergaben der auszählenden Wahlvorstände an die jeweils höhere Wahlleiterebene nehmen digitale Wege – immerhin, möchte man sagen, wo doch sonst noch oft das Faxgerät surrt.

Diese digitalen Übermittlungen der Ergebnisse wären ein Angriffsvektor für Böswillige. Einer, der aber höchstens für Verwirrung sorgen könnte, sagen Experten. Denn die Daten würden abgeglichen und im Zweifel müssten die Niederschriften der Wahllokalvorstände auf anderem Wege nachgemeldet werden. Notfalls können auch die Zettel neu ausgezählt werden, stichprobenartig wird dies eh gemacht. Security by Design, das meint manchmal eben auch: Dinge nicht zu digitalisieren.

Allerdings: Diejenigen, die ins Wahllokal gehen, sollen diesmal aus Hygienegründen einen eigenen Stift mitbringen. Da kann man nur hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, mit Zaubertinte sein Kreuz zu machen.

Wer in Brüssel oder im sonstigen EU-Ausland lebt, sollte seinen Stimmzettel übrigens allerspätestens jetzt auf den Postweg bringen – denn dieser muss bis Sonntagabend 18 Uhr bei den Wahlämtern eingegangen sein. Falk Steiner

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Spyware Pegasus offenbart Lücken im EU-Datenschutzrecht
    • Termine der kommenden Tage
    • So blicken die Niederlande auf die Bundestagswahl
    • EuGH verurteilt Polen zu Geldstrafe im Streit um Kohleabbau
    • Johnson und Guterres drängen Industrieländer zu mehr Klimaschutz-Ausgaben
    • UK will digitale Handelsschranken abbauen
    • Im Portrait: Anna Cavazzini, grüne Europaabgeordnete und IMCO-Vorsitzende
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die positive Nachricht zuallererst: Die USA heben ihren Einreisestopp für Geimpfte ab November auf. Ausländer dürfen dann etwa wieder über die Schengen-Länder, Großbritannien, China und Brasilien einreisen. Der “Travel Ban” galt seit Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 und wurde von der EU zunehmend kritisiert.

    Die Verwendung der israelischen Spionage-Software Pegasus durch Regierungen, darunter auch europäische, sorgte im Juli für einen Aufschrei. Statt Kriminellen wurden Politiker, Journalisten, Aktivisten, Unternehmensvertreter und Diplomaten durch die Spyware überwacht. Konkrete Konsequenzen blieben bisher trotzdem weitgehend aus. Mein Kollege Falk Steiner hat bei Datenschutzbehörden in Deutschland, Bulgarien, Luxemburg und Frankreich nachgehakt und irritierende Antworten bekommen. Er analysiert, dass der Fall eine dreifache Lücke im europäischen Datenschutzrecht aufzeigt.

    Untätigkeit kann man dem EuGH nicht vorwerfen: Weil sich Polen seiner einstweiligen Anordnung widersetzte, die umstrittene Kohleförderung in Turow zu stoppen, verurteilte der Europäische Gerichtshof das Land gestern zu einer saftigen Geldstrafe. Von Einsicht war in Warschau erneut nichts zu spüren.

    Unser vorletzter Blick aus Europa auf die Bundestagswahl geht heute in die Niederlande. Dort weiß man nur zu gut, wie gelähmt ein Land nach einer Wahl sein kann: Über sechs Monate ist man in Den Haag schon mit der Regierungsbildung befasst. Warum Angela Merkels politisches Ausscheiden Premierminister Mark Rutte in die europapolitische Orientierungslosigkeit stürzen könnte und was die Niederländer von Olaf Scholz erwarten, erfahren Sie in Annette Birschels Analyse.

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    Jasmin Kohl
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    Wenn die Datenschutzaufsicht wegschaut

    Zwischen legalem Handeln und illegaler Ausspähung liegt ein Fall, der einerseits das Problem sicherer IT betrifft, andererseits den Zugang für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Und der aufzeigt, wie groß System- und Handlungslücken im europäischen Datenschutzrecht tatsächlich sind: Der israelische Hersteller NSO Group lizenziert Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten die Nutzung seiner mächtigen Überwachungswerkzeuge wie der Spyware Pegasus.

    Die NSO-Software dient einem klaren Zweck: auf die Endgeräte des Angegriffenen zu kommen, um in unverschlüsselter Weise auf Inhalte und Kommunikation zugreifen zu können. Pegasus soll zudem Video- und Audio-Funktionen vom Nutzer unbemerkt anschalten können.

    Weltweit ist NSO einer der technologischen Marktführer. Erst vergangene Woche musste Apple ein ungeplantes iOS-Update veröffentlichen, um zwei Sicherheitslücken zu schließen, die Pegasus offenbar ausgenutzt hatte. NSO gilt als wichtiger Baustein für Israels digitale Selbstverteidigung – und als wirtschaftlich erfolgreich. 

    Doch der Einsatz der NSO-Produkte steht immer wieder in der Kritik. Nicht nur Terrorismusverdächtige und Kriminelle, auch Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle sollen mithilfe der NSO-Dienstleistungen in vielen Ländern ausgespäht worden sein (Europe.Table berichtete). Und das auch in Europa, wie Amnesty International auf Basis eines 50.000 Nummern umfassenden Datensatzes herausfand. Von daraufhin bis Juli untersuchten 67 Smartphones waren 23 von der Pegasus-Software betroffen, weitere sollen Anzeichen einer versuchten Infektion gezeigt haben. Unter den Betroffenen: regierungskritische ungarische Journalisten und Oppositionelle. Hier sollen es ungarische Behörden gewesen sein, die die NSO-Software eingesetzt haben.

    Auch Deutschland ist Kunde bei der NSO Group: Das Bundeskriminalamt hat laut der Wochenzeitung “Zeit” die Dienste der israelischen Firma in Anspruch genommen. Wer Pegasus einsetzt, kann grundsätzlich alles auf dem Telefon sehen, lesen, hören. Zumindest für den Einsatz in Deutschland wäre das so in Folge von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nicht erlaubt – weshalb die Version für das BKA angepasst worden sein soll.

    Experten und Bundestagsabgeordnete hegen jedoch Zweifel daran, dass Pegasus überhaupt rechtskonform eingesetzt werden kann. Fragt man beim Bundesdatenschutzbeauftragten nach, erfährt man: nichts. Zwar beschäftigt man sich dort wohl mit dem Einsatz der Software, darf sich aber nicht dazu äußern, da der Geheimschutz jede Art von Äußerung untersagt, die Rückschlüsse auf die Fähigkeiten zuließe.

    Dreifache Lücke im EU-Datenschutzrecht

    Pegasus zeigt dabei eine dreifache europäische Lücke im Datenschutzrecht. Erstens bindet das Europarecht auch die Behörden der Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich an das Datenschutzrecht. Doch die Sicherheitsangelegenheiten sind keine EU-Kompetenz – und damit auch die Aufsicht nicht.

    Daher gibt es als zweite Lücke in diesen Angelegenheiten auch keine gemeinsamen Kontrollmechanismen der Datenschutzaufsichtsbehörden: Ergebnisse einer Prüfung der ungarischen Datenschutzaufsichtsbehörde zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes der NSO-Software und eine Prüfung in Deutschland dürften nicht einmal öffentlich erläutert werden, bemängeln Experten.

    Die dritte Lücke zeigt, wie schwer sich die Datenschutzaufsichtsbehörden tun, wenn sie vielleicht doch eine Handhabe hätten. In Frankreich hatte die Agence nationale de la sécurité des systèmes d’information (ANSSI), das Pendant des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, nach den ersten Vorwürfen Telefone von Journalisten der Online-Zeitung “Mediapart” untersucht – und wurde fündig

    In diesem Fall steht der marokkanische Geheimdienst im Verdacht, die beiden Journalisten zu Zielen erklärt zu haben – mithilfe der Software von NSO. Aus sicherheitsbehördlicher Sicht ein Fall für die Spionageabwehr. Was als Reaktion auf den Fall geschah? Erstaunlich wenig – doch dazu später mehr.

    Durch die Spyware werden auch personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet und weitergegeben – und eine private Firma ist hieran beteiligt, die auch noch in Europa diverse Filialen, teils auch Server unterhält. Die DSGVO sieht zwar vor, dass Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste nicht unter sie fallen. Aber gilt das auch für außereuropäische Akteure? In Artikel 3 der DSGVO ist geregelt: Sie findet auch dann Anwendung, wenn ein Datenverarbeiter außerhalb der EU ein Verhalten betroffener Personen in der Union beobachtet.

    Anfragen bei Datenschutzbehörden laufen ins Leere

    Nur: Wer wäre zuständig? In Bulgarien hat NSO vor einiger Zeit eine lokale Firma übernommen. Die dortige Datenschutzaufsichtsbehörde CPDP schickt auf Anfrage von Europe.Table den Scan einer von Hand unterschriebenen Antwort: Circles Bulgaria EEOD sei nur in der Softwareentwicklung tätig und damit kein Datenverarbeiter. Die Eigentümerfirma sitze zudem auf Zypern, und man wisse eigentlich nur aus Medienpublikationen von dem Fall.

    In Luxemburg sitzen neun NSO-Töchter. Die Datenschutzaufsichtsbehörde dort reagiert schnell auf unsere Anfrage – aufgrund der luxemburgischen Regelungen zu Geschäftsgeheimnissen dürfe man zu laufenden Verfahren, wenn es sie denn gäbe, nichts sagen.

    Beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz wird die Frage zuerst einmal nicht verstanden. Hier ist man mit der Prüfung der Vorgänge bei BKA und ZITIS offensichtlich zu beschäftigt, um über weitere Möglichkeiten nachdenken zu können. Aber die internationale Zusammenarbeit der Datenschutzaufsichtsbehörden sei wichtig, ja.

    Bleibt der Blick nach Frankreich. Immerhin hat dort eine Behörde die Betroffenheit festgestellt, geprüft und ein Problem identifiziert. Die französische Datenschutzaufsichtsbehörde CNIL erklärt auf Anfrage von Europe.Table, man habe keine Beschwerde vorliegen und habe daher kein Verfahren eingeleitet. Auf Nachfrage wird mitgeteilt, dass eine Beschwerde auch nach französischer Rechtsinterpretation nicht zwingend nötig sei: Man dürfe auch eigeninitiativ tätig werden. Nach einigen Wochen und einer erneuten Nachfrage heißt es wieder: Es gebe keine Beschwerde, also auch keine Untersuchung. 

    In den USA wird man diese Praxis interessiert zur Kenntnis nehmen. Das Privacy-Shield-Abkommen war auch am mangelnden Schutz europäischer Bürger vor Ausspähung und Rechtsbehelfen vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert. Die Grundlage für diese Entscheidung: die DSGVO.

    Aus Unternehmenskreisen der NSO Group heißt es: Man wisse derzeit von keinem Verfahren einer Datenschutzaufsichtsbehörde.

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    Termine

    21.09.-23.09.2021, online
    FVA, Konferenz 13th E-Motive Expert Forum
    Die Forschungsvereinigung Antriebstechnik (FVA) gibt bei dieser Konferenz Einblicke in die industrielle Praxis der Mobilitätstransformation in der Automobil-Industrie. INFOS & ANMELDUNG

    21.09.-23.09.2021, online
    Conference Container Days
    This conference gathers specialists in the cloud native technology in order to discuss its implementation in the current digital transformation. INFORMATION & REGISTRATION

    21.09.2021 – 12:00-18:00 Uhr, Köln/online
    Eco, Roundtable KI: Von der Kunst, zwischen Buzzwords und Mehrwerten für den Mittelstand zu differenzieren
    Der Verband der Internetwirtschaft (Eco) möchte die zahlreichen offenen Fragen zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz und ihrer Anwendungsbereiche insbesondere für mittelständische Unternehmen im Rahmen eines Roundtables thematisieren. INFOS & ANMELDUNG

    21.09.2021 – 14:00-16:00 Uhr, online
    DBU, Podiumsdiskussion Circular Economy in der Bauwirtschaft – Vision und Praxis
    Wie kann eine Ressourcenwende als Beitrag zur Defossilierung unseres Energiesystems im Bausektor gelingen? Darüber diskutiert die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit Expert:innen aus verschiedenen Bereichen. INFOS & ANMELDUNG

    21.09.2021 – 17:00-18:00 Uhr, online
    Eco, Conference Transatlantic Dialogue on Data Transfer: Standard Contractual Clauses
    The Association of the Internet Industry (Eco) discusses how the legal basis of data transfer between the US and the EU has changed in the past and how it might develop. INFOS & REGISTRATION

    21.09.2021 – 17:30-19:00 Uhr, online
    DStGB/KAS, Seminar Der Europäische Digitale Kompass – Eckstein des Green Deals
    Die gemeinsame Veranstaltung des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) widmet sich dem aktuellen Stand und den Herausforderungen der Digitalisierung in öffentlicher Verwaltung und Produktionsprozessen. INFOS & ANMELDUNG

    22.09.-23.09.2021, online
    DLR, Vortrag HorizonUAM Symposium 2021
    Das erste Symposium des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zum Thema Urban Air Mobility (UAM) befasst sich mit der Forschung zu UAM-Luftfahrzeugen, der entsprechenden Infrastruktur, den UAM-Diensten sowie der öffentlichen Akzeptanz des zukünftigen urbanen Luftverkehrs. INFOS & ANMELDUNG

    22.09.2021 – 15:00-16:00 Uhr, online
    EuC, Panel Discussion Policy Talks with EU Commissioner Janusz Wojciechowski
    Euro Commerce (EuC) invites you to this webinar, part of its series of online Policy Talks with senior European decision-makers. INFOS & REGISTRATION

    22.09.2021 – 18:00-19:30 Uhr, online
    BPB, Podiumsdiskussion Wie steht es um den Grundrechtsschutz in Europa, Herr Prof. Dr. Harbarth?
    Die Bundeszentrale für politische Bildung lädt zum Gespräch zwischen Prof. Dr. Harbarth und Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Angelika Nußberger über das Verhältnis von nationalem Verfassungsrecht und europäischem Recht im Hinblick auf die Durchsetzung von Grundrechten in Europa. INFOS & ANMELDUNG

    Die Niederlande verlieren mit Merkel ihren Kompass

    Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit Wochen das beliebteste Covergirl der niederländischen Medien – von der Raute bis zu den charakteristischen Anzügen mit Kasten-Blazer. Von der Kindheit im Pfarrhaus bis zum bevorstehenden Ruhestand. Selten war das Interesse so groß bei einer deutschen Wahl. Das ist kein Wunder. Denn in diesem Jahr geht es auch um einen Epochenwechsel für Europa.

    Das Ende der Ära Merkel kann für die Niederlande besondere Folgen haben. Das Nachbarland ist historisch, wirtschaftlich aber auch politisch sehr eng mit Deutschland verbunden.

    Am 26. September endet auch eine der längsten politischen Beziehungen in West-Europa, nämlich die zwischen Merkel und ihrem niederländischen Amtskollegen, Premier Mark Rutte. Er ist seit über zehn Jahren Regierungschef und hat nach der von seiner Partei VVD gewonnenen Parlamentswahl vom März beste Chancen, erneut eine Koalitionsregierung zu leiten.

    “Merkel war in den vergangenen Jahren sein politischer Kompass und er ihr treuester Verbündeter”, analysiert der Den Haager Korrespondent des renommierten TV-Nachrichtenmagazins “Nieuwsuur”, Arjan Noorlander. Mark Rutte und Merkel verstanden und verstehen sich ausgezeichnet, sie duzen sich und haben regelmäßig Kontakt. Und das, obwohl beide aus unterschiedlichen politischen Familien kommen. Der Rechtsliberale Mark Rutte ist pragmatisch, sagt der politische Journalist Noorlander. “Deutschland und die Niederlande sind wirtschaftlich sehr miteinander verwoben, und dadurch gibt es viele gemeinsame Interessen.” Daher folge er meist der deutschen Linie.

    Mark Rutte sei das “Schoßhündchen” von Merkel, lästert dagegen vor allem die rechtspopulistische Opposition. Und tatsächlich  – der Premier konnte im eigenen Parlament eine harte Linie vertreten, gerade wenn es um Sparpolitik in Europa, Haushaltsdisziplin oder Flüchtlingspolitik ging. In Brüssel aber blieben die Niederlande meist dem Merkel-Kurs treu.

    Nach Merkel: Mark Ruttes eigener EU-Kurs

    Was also wird Mark Rutte tun, wenn sein politischer Kompass wegfällt? In den vergangenen Monaten konnte man bereits erleben, dass die Niederlande unter Mark Rutte in der EU einen eigenen Kurs fuhren, etwa beim Corona-Aufbaufonds. Mark Rutte war starker Motor der sogenannten “Sparsamen Vier” gegen großzügige Aufbauhilfen. Er tritt deutlich auf die Schuldenbremse und will gerne nach dem Brexit in die von Großbritannien hinterlassene Lücke springen.

    Doch jetzt kurz vor dem Wechsel in Berlin hält sich die niederländische Politik mit Kommentaren sehr zurück. Man hütet sich vor voreiligen Einschätzungen, solange unklar ist, welche Richtung das politische Den Haag einschlagen wird. Denn mehr als sechs Monate nach der Wahl der Zweiten Kammer in Den Haag (dem Bundestag vergleichbar) ist noch immer keine mehrheitsfähige Koalition in Sicht. Gespräche über eine breite Koalition sind geplatzt, einzige Möglichkeit scheint eine Minderheitsregierung der Rechts- und Linksliberalen mit den Christdemokraten zu sein.

    Und noch etwas spielt eine Rolle: Die Niederlande sind traditionell sehr angelsächsisch orientiert. Es gibt zwar ein großes Interesse am Ende der Merkel-Ära, doch das ist in keinster Weise mit der Flut an Nachrichten zum US-Wahlkampf zu vergleichen.

    “Extrem kurzsichtig”, meint der Historiker Hanco Jürgens von der Universität von Amsterdam. Er klagt, dass das Interesse der Niederlande an den deutschen Wahlen zu oberflächlich sei. “Deutschland ist das wichtigste Land in der Europäischen Union”, sagt der Deutschland-Experte. “Der Nachfolger von Merkel wird auch auf die Niederlande seinen Stempel aufdrücken.” Nicht zuletzt auch über die Europapolitik. Als Beispiele nennt Jürgens die Klimapolitik und Flüchtlingsfrage.

    Niederländer sollten lieber genau verfolgen, was in Deutschland geschieht, empfahl auch jüngst Carsten Brzeski, viel gefragter Chefökonom bei der niederländischen ING-Bank in Frankfurt im “Algemeen Dagblad”. Schließlich ist Deutschland der größte Handelspartner. “Jetzt wird sich entscheiden, ob Deutschland tatsächlich große Investitionen macht und mehr Innovation.”

    Brzeski nennt strukturelle Veränderungen der Autoindustrie, mehr grüne Autos, Digitalisierung und natürlich Klimawandel. “Man kann davon ausgehen, dass das in einem so großen Stil geschieht, dass Deutschland der Motor des zukünftigen grünen Europas wird”, schätzt der Ökonom. “Und den Zug sollten die Niederlande sicher nicht verpassen.”

    Von Olaf Scholz wird Kontinuität erwartet

    Sorgen um die politische Stabilität von Deutschland gibt es in den Niederlanden nicht. Dass unter Umständen drei Parteien zur Bildung einer Koalition nötig sein werden, ist schließlich dort schon lange politischer Alltag. 

    Der Historiker Jürgens, gefragter Deutschland-Experte, ist davon überzeugt, dass auch ein SPD-Kanzler Olaf Scholz die bisherige außenpolitische und europapolitische Linie fortsetzen könnte. Deutschland agiere am liebsten im internationalen Verband von EU, Nato oder UNO. Dafür brauche man jemanden mit Aktenkenntnis, Stabilität und Durchhaltevermögen. “Da hat der SPD-Kandidat die besten Chancen.” Er habe sich als effizienter Manager bewiesen, und sei der Motor hinter dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU, aber auch der Vereinbarung der G7 zur Mindeststeuer.

    Die Europa-Kolumnistin des “NRC Handelsblad”, Caroline de Gruyter, sieht eine interessante Entwicklung in der schärferen ideologischen Profilierung der Flügel. De Gruyter beschreibt den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als einen “Mann der Mitte”, doch seine Partei bewege sich zurück nach links. “Die Aussicht auf eine linke Regierung nach der Wahl vom 26. September bringt alte SPD-Wähler, die zu den Grünen oder der Linken geflohen waren, wieder zurück zur SPD. Wenn Olaf Scholz gewinnt, dann kann er schwerlich seine Wähler enttäuschen und erneut mit der CDU/CSU regieren.”

    Auch zur Union kämen radikale Wähler zurück, etwa von der AfD. Müssen die Niederlande davor Angst haben? Keineswegs. Denn genau diese Tendenz beobachtet die Europa-Expertin auch in den Niederlanden. Annette Birschel, Amsterdam

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    News

    USA heben Travel Ban ab November auf

    Rund 18 Monate, nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump wegen der Corona-Pandemie eine Einreisesperre für Ausländer in die USA verhängt hatte, wird der sogenannte Travel Ban wieder aufgehoben. Die USA verlangen von ausländischen Fluggästen künftig einen Corona-Impfnachweis und heben zugleich bestehende Einreiseverbote für viele europäische Länder und andere Staaten auf.

    Laut Präsidialamt soll ab Anfang November die Einreisesperre für Ausländer fallen, die über Staaten des Schengenraums, Großbritannien, China, Brasilien und andere Länder einreisen. Derzeit gilt noch ein Einreiseverbot für Personen, die sich innerhalb eines Zeitraums von 14 Tagen vor beabsichtigter Einreise in die USA in Deutschland oder einem anderen Land des Schengenraums aufgehalten haben.

    Seit Monaten drängen europäische Politiker darauf, die Sperre aufzuheben, die exportorientierte Unternehmen und das transatlantische Verhältnis belasten. asi/rtr

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    EuGH: Geldstrafe für Polen im Streit um Kohleabbau

    Im Streit um den Braunkohle-Abbau in Turow hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Entscheidung gefällt und Polen zu einer Geldstrafe von täglich 500.000 Euro an die EU-Kommission verurteilt. Das teilte das Luxemburger Gericht am Montag mit.

    Ende Mai hatte der EuGH einen Stopp der Kohleförderung in Turow angeordnet und damit einer Klage Tschechiens stattgegeben. Den Prager Behörden zufolge habe das Nachbarland die Lizenz für den Tagebau ohne die erforderliche Überprüfung der Umweltverträglichkeit bis 2044 verlängert. Dabei wirke sich der Betrieb negativ auf den Grundwasserspiegel aus – auch in Tschechien. Turow befindet sich im Dreiländereck Polen, Tschechien und Deutschland.

    Polen widersetzte sich der einstweiligen Anordnung des EuGH und hält weiter an der Kohleförderung fest. Ein Ende des Abbaus in Turow gefährde die Energiesicherheit des Landes, heißt es in Warschau. Die Argumentation halten die Luxemburger Richter für nicht ausreichend begründet und verhängten nun die tägliche Strafzahlung von 500.000 Euro, bis Polen der Anordnung Folge leistet. Tschechien hatte zuvor ein Bußgeld von täglich 5 Millionen Euro beantragt.

    Die Strafe stünde “in keinem Verhältnis zur Situation und ist nicht durch Fakten gerechtfertigt. Sie untergräbt den laufenden Prozess einer Einigung”, erklärte die polnische Regierung in einer Reaktion auf das Urteil und kündigte an, den Kohleabbau trotz des verhängten Bußgelds weiterbetreiben zu wollen. rtr/til

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    Klimaschutz: “Industrieländer tragen größte Verantwortung”

    Der britische Premierminister Boris Johnson und UN-Generalsekretär António Guterres drängten die Industrieländer am Montag, mehr Geld für den globalen Klimaschutz aufzuwenden. Bei einem Vorbereitungsgespräch zur Weltklimakonferenz im November (COP26 in Glasgow) mahnten beide, dass es vor allem die großen Wirtschaftsmächte seien, die Verantwortung trügen.

    Diese haben sich darauf geeinigt, gemeinsam jährlich 100 Milliarden US-Dollar in einen Klimafonds einzuzahlen. Diese Vereinbarung werde nicht von allen gleichermaßen eingehalten, sagte Johnson und rief die Staats- und Regierungschefs auf, ihrer Zusage nachzukommen. “Wir brauchen eine dramatische Verbesserung der national festgelegten Beiträge der meisten Länder”, betonte Guterres.

    Johnson sagte, er hoffe, dass die USA ihren Einsatz noch erhöhen würden, um die 100 Milliarden zu erreichen. John Kerry, der Klima-Berater des US-Präsidenten Joe Biden, sagte zu, dass die USA ihren Anteil erhöhen würden. Auch Schweden und Dänemark haben bei dem Treffen angedeutet, ihre Finanzierung aufzustocken.

    Das Treffen in New York, bei dem auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anwesend und Bundeskanzlerin Angela Merkel zeitweise zugeschaltet war, dient als Gradmesser vor dem Weltklimagipfel. luk/rtr

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    Vereinigtes Königreich will digitale Handelsschranken abbauen

    Das Vereinigte Königreich plant, digitale Handelsschranken abzubauen, um seinen Unternehmen den Export von Dienstleistungen zu erleichtern. “Wir hängen alle vom digitalen Handel ab, aber britische Unternehmen treffen in Ländern, die einen protektionistischen Ansatz verfolgen, auf digitale Schranken”, sagte die neue Ministerin für internationalen Handel, Anne-Marie Trevelyan, gestern auf der London Tech Week. Genau diese Schranken wolle das Vereinigte Königreich nun einreißen, um Produktivität, Jobs und Wachstum zu verbessern.

    Trevelyan verkündete einen entsprechenden Fünf-Punkte-Plan. Er sieht vor, 1) digitale Märkte zu öffnen; 2) vertrauenswürdige grenzüberschreitende Datenflüsse zu etablieren; 3) hohe Standards im Verbraucherschutz und dem Schutz des geistigen Eigentums aufzubauen und 4) moderne digitale Systeme zu schaffen, die den Verwaltungsaufwand von Unternehmen verringern. Auch die globalen Handelsregeln will das Vereinigte Königreich dem 21. Jahrhundert anpassen – durch die britische G7-Präsidentschaft, “eine unabhängige Stimme” in der Welthandelsorganisation (WTO) und durch Freihandelsabkommen.

    Trevelyan nannte die Verhandlungen über ein “Digital Economy Agreement” mit Singapur sowie den Willen, der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) beizutreten, als Beispiele, wie digitale Handelskooperationen umgesetzt werden könnten.

    Zuletzt war Verunsicherung aufgekommen, weil sich das Vereinigte Königreich teilweise von EU-Regularien zu entfernen plante – insbesondere im Bereich Datenschutz. Würde das eintreten, könnte dies die Angemessenheitsentscheidung der Europäischen Kommission infrage stellen – und damit die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten aus der EU im Vereinigten Königreich. koj/rtr

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    Cybersicherheit: Implementierungsakt zur Funkgeräterichtlinie im Herbst

    Eine Randbemerkung des EU-Justizkommissars Didier Reynders am vergangenen Donnerstag im Europaparlament ließ Zuhörer aufhorchen: Über die Funkgeräterichtlinie sollen die Anforderungen an Endgeräte erhöht werden, die mit dem Internet verbunden sind.

    Nach Informationen von Europe.Table ist nun klarer, was dabei beabsichtigt ist – und dass dieses Vorhaben nicht mit dem am Mittwoch von Ursula von der Leyen angekündigten Cyber Resilience Act identisch ist. Dieser soll als eigenständiger Legislativakt kommen, das Timing hierzu ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. 

    Der delegierte Rechtsakt zur Funkgeräterichtlinie, der bereits in der Cybersicherheitsstrategie angekündigt wurde, soll hingegen für potenziell als Cybersicherheitsrisiko einzustufende Geräte mit Funkverbindungen genauere Vorgaben machen: Das Anbieten und Verkaufen auf dem europäischen Markt wird von der Einhaltung dieser Vorgaben abhängig gemacht. Um welche es genau gehen soll, wird derzeit noch erarbeitet – es dürften viele sogenannte Smart Devices und Internet-of-Things-Anwendungen betroffen sein. Eine Umsetzung des Rechtsaktes ist für diesen Herbst geplant.

    Dies spielt nicht zuletzt für Onlinehändler eine wichtige Rolle, die Direktimporte aus dem nichteuropäischen Ausland anbieten – ein verstärktes Haftungsregime für den Vertrieb in der EU unzulässiger Produkte steht im Rahmen des Digital Services Act zur Debatte. Der Kommissionsentwurf fordert von Online-Handelsplattformen, neben diversen Angaben zum Unternehmen auch eine Versicherung des Anbieters einzuholen, dass dieser nur europarechtskonforme Produkte anbietet. Die Händler sollen außerdem mit Stichproben prüfen, ob die Angaben der Anbieter wahrheitsgemäß sind. fst

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    Presseschau

    USA heben für Geimpfte Einreisestopp auf FAZ
    U-Boot-Streit zwischen Frankreich und Australien wirbelt EU-Handelspolitik durcheinander RND
    Meeting Cop26 finance goals ‘going to be tough’, says Boris Johnson GUARDIAN
    Brussels wants Apple to change iPhone charging system by 2024 POLITICO
    EU-Kommission plant neue Regulation für mehr Sicherheit im Internet der Dinge HEISE
    EuGH verurteilt Polen zu Geldstrafe wegen Tagebaus in Turow STANDARD
    Der Wind soll die Schadstoffe verwehen SUEDDEUTSCHE
    European governments weigh billions in aid to weather soaring gas prices FT
    ‘Climate crisis on our shores’: Mediterranean countries sign deal after summer of fires GUARDIAN
    Deutschlands Pläne für grünere GAP-Agrarsubventionen EURACTIV
    Orban Zeroes In on Spending, Anti-LGBTQ Law to Sway Hungary Vote BLOOMBERG

    Portrait

    Anna Cavazzini: Die EU-Batterieverordnung muss rasch kommen

    Auf dem Foto ist die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini zu sehen, sie will die Batterieverordnung
    Die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini ist seit 2019 Mitglied im Europäischen Parlament

    “Ich will, dass wir in der Europäischen Union das Recht auf Reparatur bekommen.” Anna Cavazzini, seit November 2020 Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Internationalen Handel im Europäischen Parlament, will den europäischen Binnenmarkt fit für den Green Deal machen.

    Das fängt damit an, dass Computer und Handys nicht – kaum ist die Garantiezeit abgelaufen – kaputtgehen: Ein “Repair-Score” soll in Zukunft Verbrauchern die Reparierbarkeit der Produkte aufzeigen. “Wir hoffen, dass wir noch dieses Jahr einen entsprechenden Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission bekommen, der dann in den parlamentarischen Prozess geht.”

    Cavazzini sensibilisierte für Umweltprobleme

    Bevor Anna Cavazzini 2019 für die Grünen ins Europäische Parlament gewählt wurde, arbeitete sie als Referentin für Menschenrechte bei Brot für die Welt. Das Bedürfnis, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen, entstand nach dem Abitur, während ihres einjährigen Aufenthaltes in Mexiko.

    An einer Schule in einem kleinen Bergdorf unterrichtete die damals 19-Jährige Englisch und Ökologie und sensibilisierte die Lernenden für Umweltprobleme: “Wir haben ein Mülltrennungssystem an der Schule eingeführt und im Rahmen einer Aktion Bäume im Dorf gepflanzt.”

    Die Umstände an der Grenze zu den USA führten ihr vor Augen, wie ungerecht die globalen Verhältnisse sind: “Durch das damalige Freihandelsabkommen konnte billig Mais aus den USA importiert werden. Dadurch sind Massen an Kleinbauern in Mexiko pleite gegangen. Die Hälfte meines Dorfes ist illegal in die USA ausgewandert.” Cavazzini dolmetschte und verhandelte für Familien, deren männliche Mitglieder in Kalifornien auf Feldern arbeiteten und keinen Lohn bekamen.

    Klares Ziel: Europapolitik

    “Das war ein Schlüsselerlebnis, welches den Willen in mir auslöste, mich für eine Änderung der globalen Wirtschaftsstrukturen einzusetzen.” Zurück in Deutschland studierte Anna Cavazzini in Chemnitz European Studies und schloss sich in dieser Zeit der Grünen Jugend an. Ihren Master machte sie in Internationalen Beziehungen in Berlin.

    Ihr wichtigstes Ziel war schon damals, internationale und europäische Themen voranzutreiben: “In der BAG Europa, einem der Think-Tanks der Grünen, den ich gemeinsam mit Annalena Baerbock eine Weile geleitet habe, haben wir die Forderung einer föderalen Republik Europa als grüne Position entwickelt – diese ist heute in unser Grundsatzprogramm eingegangen.” 2019 kandierte sie schließlich erfolgreich für das Europäische Parlament: “Für mich war klar, wenn ich kandidiere, dann fürs Europaparlament.”

    Aktuell arbeitet die 38-Jährige an der EU-Batterie-Verordnung: “Diese Verordnung ist wichtig, weil es vor allem in der E-Mobilität einen riesigen Zuwachs an Autobatterien geben wird, und wenn wir es nicht schaffen, die Rohstoffe wieder dem Kreislauf zurückzuführen, werden diese schnell ausgehen.”

    Der Gesetzesvorschlag liegt aktuell dem Europäischen Parlament vor: “Nachdem das Parlament voraussichtlich im Februar über die Batterien-Verordnung abstimmt, wird sie wohl gegen Ende des nächsten Jahres vorliegen und die Produktion von Batterien revolutionieren. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung liegt also direkt vor uns.” Alina Jensen

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    Apéropa

    Die deutsche Wahl ist unhackbar. Das betonen die Verantwortlichen immer wieder. Zuletzt zum Beispiel der Sprecher des Bundesinnenministeriums: “Wir haben in Deutschland ein Wahlverfahren, das analog funktioniert; das kann man also nicht durch technische Hilfsmittel in irgendeiner Weise beeinflussen.”

    Das unterscheidet Deutschland von anderen Staaten: keine Wahlmaschinen, kein Onlinevoting, nirgendwo. Und das nicht bloß, weil es uns an der nötigen digitalen Infrastruktur in Form von e-IDs bislang mangelt. Sondern deshalb, weil die Hürden dafür verfassungsrechtlich unerfüllbar hoch sind. Hier wird gewählt und gezählt, als ob der Computer nie erfunden worden wäre. Erst die Ergebnisweitergaben der auszählenden Wahlvorstände an die jeweils höhere Wahlleiterebene nehmen digitale Wege – immerhin, möchte man sagen, wo doch sonst noch oft das Faxgerät surrt.

    Diese digitalen Übermittlungen der Ergebnisse wären ein Angriffsvektor für Böswillige. Einer, der aber höchstens für Verwirrung sorgen könnte, sagen Experten. Denn die Daten würden abgeglichen und im Zweifel müssten die Niederschriften der Wahllokalvorstände auf anderem Wege nachgemeldet werden. Notfalls können auch die Zettel neu ausgezählt werden, stichprobenartig wird dies eh gemacht. Security by Design, das meint manchmal eben auch: Dinge nicht zu digitalisieren.

    Allerdings: Diejenigen, die ins Wahllokal gehen, sollen diesmal aus Hygienegründen einen eigenen Stift mitbringen. Da kann man nur hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, mit Zaubertinte sein Kreuz zu machen.

    Wer in Brüssel oder im sonstigen EU-Ausland lebt, sollte seinen Stimmzettel übrigens allerspätestens jetzt auf den Postweg bringen – denn dieser muss bis Sonntagabend 18 Uhr bei den Wahlämtern eingegangen sein. Falk Steiner

    Europe.Table Redaktion

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