Facebook heißt jetzt Meta – aber nur der Konzern hinter Facebook, Instagram und WhatsApp. Das kommt Ihnen bekannt vor? Von Alphabet, das bis heute alle nur als Google kennen? Wird es für die Regulierer in Brüssel und Berlin etwas verwirrender, wenn sie zukünftig Alphabet- und Metaregulierung als Aufgabe haben?
Ein Blick auf die ernsten Themen, von denen wir Ihnen in dieser Ausgabe ein wahres Füllhorn bieten können. Der Data Act wird nun wohl erst im Februar statt wie geplant im Dezember kommen – die genauen Gründe und warum sich das mit einigen Bedenken der Wirtschaft überschneidet, haben Till Hoppe und Jasmin Kohl für Sie recherchiert.
In den vergangenen Ausgaben hat Lukas Scheid Ihnen schon einige der wesentlichen Diskussionspunkte für die COP26-Konferenz erläutert – heute schließt diese kurze Reihe mit einem Blick auf Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der die Verhandler intensiv beschäftigen wird.
Die Überarbeitung der NIS-Richtlinie ist auf der Überholspur in Richtung Trilog. Schon Mitte November könnte es losgehen – was die Revision nicht behandelt und was für Diskussionen mit den Mitgliedstaaten sorgen können, finden Sie ebenfalls in dieser Ausgabe. In noch deutlich früherem Stadium befinden sich die Beratungen zur eID, die der Binnenmarktausschuss gestern begann – ein wichtiges Thema, auch für Deutschlands Digitalisierungsvorhaben: sie erinnern sich sicher an den filmreifen Fehlstart der deutschen ID-Wallet vor wenigen Wochen.
Zum Schluss im Apéropa: Genießen Sie das lange Wochenende – solange die Mitgliedstaaten Sie lassen.
“Paris hat die Vision vorgegeben, in Glasgow wird’s konkret”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag im Hinblick auf die am Sonntag startende Weltklimakonferenz. Konkret werden soll es vor allem bei drei Themen: Wie bleibt das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite? Wer finanziert globale Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen (Europe.Table berichtete)? Wie werden Emissionseinsparungen gemessen und honoriert? Letzteres gilt als richtungsweisend für Erfolg oder Scheitern der COP26. Es geht um die Finalisierung des “Paris Rulebook”, jenes Plans, der die Versprechungen von Paris in Resultate verwandeln soll.
Im Paris Rulebook steht, wie die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden, anhand welcher Kriterien die Länder ihre nationalen CO₂-Reduktionsziele (NDCs) festlegen und wie ergriffene Maßnahmen überwacht werden sollen. Bei der Weltklimakonferenz in Katowice 2018 (COP24) haben sich die Länder auf dieses Rulebook geeinigt. Was allerdings fehlte, war die ausformulierte Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens. Auch ein Jahr später in Madrid kam es zu keiner Einigung, und so soll es nun in Glasgow klappen.
Im Pariser Klimaabkommen heißt es, dass Staaten auf freiwilliger Basis und zur Erreichung ihrer Reduktionsziele kooperieren können und sich Emissionsminderungsergebnisse übertragen können. Übersetzt: Ein Land, das der Atmosphäre CO₂ entzieht, kann diese Minderung an andere Länder übertragen. Das Prinzip ist ein globaler Emissionshandel.
Viele Industriestaaten sind nicht in der Lage, die eigenen Emissionen schnell genug zu reduzieren, um die vorgegebenen Reduktions- und Klimaschutzziele zu erreichen. Also wird jedem Land eine festgelegte Menge an Emissionsrechten zugeteilt, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Wenn die verursachten Emissionen die Emissionsrechte übersteigen, kann sich ein Staat dann Emissionsrechte bei anderen Staaten einkaufen. Umgekehrt: Wer weniger emittiert als ihm zusteht, kann überschüssige Rechte verkaufen. Das Resultat ist ein transparentes System, in dem der Ausstoß, die Reduzierung und die Speicherung von Emissionen überprüfbar gemacht werden.
Auf ein solches Prinzip für nachhaltigeres Wirtschaften auf globaler Ebene hatte man sich 1997 im Kyoto-Protokoll schon einmal geeinigt, allerdings lief es 2020 aus. Zudem waren zahlreiche Industriestaaten – darunter USA, Kanada, Japan, Indien und China – entweder schon vorher ausgestiegen oder verpflichteten sich nicht zu weiteren Reduktionszielen. Kyoto gilt daher heute als gescheitertes Klimaabkommen, da es nicht zu einer signifikanten Reduzierung der Treibhausgasemissionen geführt hat. Schuld war allerdings nicht der Emissionshandel per se, sondern die fehlende Verpflichtung, Reduktionsziele einzuhalten.
Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde ein Nachfolger für das Kyoto-Protokoll geschaffen. Jedoch droht die Etablierung eines globalen Emissionshandels abermals zu scheitern, wenn Artikel 6 in seiner konkreten Ausgestaltung nicht hält, was er verspricht: Die Reduzierung der Emissionen auf ein Level, welches das 2-Grad-Ziel und idealerweise das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite hält.
Dass dieses Ziel derzeit außer Reichweite ist, zeigt der diese Woche erschienene UN Emission Gap Report 2021. Mit den derzeitigen NDCs steuert der Planet auf eine globale Erwärmung von 2,7 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau hin. Und selbst wenn alle Klimaneutralitätsziele der Länder erreicht werden, so der Bericht, beträgt die Erwärmung noch immer 2,2 Grad. Doch der Bericht gibt auch Grund zur Hoffnung – Hoffnung in Artikel 6. Ein Emissionshandel könnte zur Senkung der Emissionen beitragen. Jedoch sei dies nur möglich, wenn Regeln klar definiert, Transparenz und Monitoring gewährleistet sind und auf eine tatsächliche Verringerung der Emissionen abzielen, heißt es.
Von der Leyen drängte am Donnerstag auf einen Mechanismus, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und gleichermaßen die größten Emittenten zur Verantwortung zieht, aber auch Doppelzählungen von Emissionseinsparungen verhindert. So steht es im Pariser Klimaabkommen auch geschrieben.
Als großer Gegner der Verhinderung von Doppelzählungen galt lange Brasilien. Das Land mit einer der größten Kohlenstoffsenken der Welt – dem Amazonasgebiet – würde das CO2-Speicherungspotenzial des Regenwaldes gerne für das Erreichen der eigenen Klimaziele verwenden und gleichzeitig Emissionsrechte für genau dasselbe Speicherungspotenzial weiterverkaufen. Diese Doppelnutzung könnte die globale Emissionsreduzierung verhindern und würde die Glaubwürdigkeit eines effektiven Emissionshandels untergraben. Brasilien hat allerdings in der vergangenen Woche angedeutet, in dieser Sache kompromissbereit nach Glasgow zu reisen. Brasiliens Chefverhandler Leonardo Cleaver de Athayde sagte in einem Interview mit der brasilianischen Zeitung Valor Economico, dass man flexibel sein werde, um eine Einigung zu erreichen.
Der zweite Stolperstein ist ein Überbleibsel des Kyoto-Protokolls. Für Emissionen einsparende Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern wurde damals die Ausgabe von Zertifikaten vereinbart, die wiederum von Industriestaaten erworben werden konnten – der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM). Auf Brasilien, Südkorea, China und Indien entfallen fast 85 Prozent aller bisher ausgestellten CDM Zertifikate- sogenannte CERs. Diese Länder wollen ihre noch nicht verwendeten CERs nun mitnehmen in das neue System unter dem Paris Klimaabkommen. Dies könnte allerdings dafür sorgen, dass der Markt von Beginn an mit Zertifikaten für eingesparte Emissionen aus der Vergangenheit geflutet wird. Die große Sorge ist, dass die ausgebenden Länder der Zertifikate weniger ambitioniert ihre Klimaschutzziele verfolgen und sich auf den vorhandenen Zertifikaten ausruhen.
Bei den Verhandlungen in Glasgow wird es also darum gehen, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen Emissionsrechte doppelt gezählt werden dürfen und in welchem Umfang CERs aus dem Kyoto-Protokoll in das neue System mitgenommen werden dürfen. Ein Weg: dass ein Teil der CERs mitgenommen werden darf. Es könnte auch sein, dass bestimmte Länder über einen gewissen Zeitraum, Emissionsrechte doppelt verbuchen können. Allerdings für die EU-Verhandlungsführer gilt in dieser Hinsicht das Mantra, dass ein schlechter Deal schlimmer sei als überhaupt kein Deal. Ausgang offen.
UN-Klimakonferenz 2021 – Gipfel der Staatsoberhäupter
01.11.-02.11.2021
Akteure: Mitglieder der UNFCCC
Agenda: Der Gipfel der Staatsoberhäupter im Rahmen der UN-Klimakonferenz 2021 wird den Fortschritt der UNFCCC-Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Verpflichtungen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens bewerten. Die EU-Delegation wird von Charles Michel (Präsident des Europäischen Rats), Ursula von der Leyen (Präsidentin der EU-Kommission) und Janez Janša (Repräsentant der slowenischen Ratspräsidentschaft) geleitet werden.
Programm
Interparlamentarische Konferenz über Migration und Asyl in Europa
01.11.2021
Akteure: EU-Parlament; Parlamente von Deutschland, Portugal und Slowenien
Agenda: Die Konferenz zu Migration und Asyl in Europa, vom Europäischen Parlament und der parlamentarischen Dimension der Trio-Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union (Deutschland, Portugal und Slowenien) organisiert.
Infos
UN-Klimakonferenz – Energy Day
04.11.2021 09:30-17:00 Uhr
Akteure: Mitglieder der UNFCCC
Agenda: Der Energy Day versammelt Regierungen, Unternehmen, Investoren und Organisationen, um über die globale Strategie zur Dekarbonisierung der Energieproduktion zu beraten.
Programm
Es ist eines der zentralen Anliegen von Thierry Breton: Der Binnenmarktkommissar hatte zu Beginn seiner Amtszeit persönlich eine Datenstrategie initiiert. Nur wenn der Zugang zum wichtigsten Rohstoff gewährleistet sei, so seine Analyse, könne Europas Digitalwirtschaft prosperieren. Während der Data Governance Act die Infrastruktur für Datenmärkte regulieren soll (Europe.Table berichtete), zielt der Data Act auf den rechtmäßigen Zugang und die Nutzung der Daten ab.
Den ehrgeizigen Zeitplan für den Data Act kann Breton allerdings nicht halten. Statt wie geplant am 1. Dezember, werde der Data Act nun voraussichtlich erst im kommenden Februar vorgelegt, heißt es in der Kommission. Der Grund: Der Ausschuss für Regulierungskontrolle hat noch etliche Fragen zu Gesetzentwurf und Folgenabschätzung übermittelt. Das Gremium evaluiert geplante Vorhaben in einem frühen Stadium.
Die ausformulierten Bedenken wird der Ausschuss an diesem Freitag an Breton und die zuständige Generaldirektion Connect übermitteln. Laut informierten Kreisen adressiert das Gremium darin mehrere Fragen, die auch die deutsche Wirtschaft in der Konsultationsphase aufgebracht hatte:
In der deutschen Industrie wird die Verschiebung des Vorschlags begrüßt. “Vorschnelles Handeln sollte angesichts der Tragweite neuer Vorschriften und der weitreichenden Konsequenzen für die Unternehmen vermieden werden”, sagt Dirk Binding, Leiter des Bereichs Digitaler Binnenmarkt beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag.
Vielen Wirtschaftsvertretern bereitet das Vorhaben Unbehagen. “Daten sind heute vielmals Grundlage von Geschäftsmodellen und somit ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Unternehmen”, sagt Binding. Der DIHK fordert in seinem Positionspapier daher, der Datenaustausch solle grundsätzlich auf Freiwilligkeit basieren. “Zugangsrechte sind nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen, wenn ein Marktversagen erwiesen ist”, sagt Binding.
Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) warnt vor negativen Konsequenzen vor allem für kleine und mittelgroße Unternehmen – gestärkt würden vor allem die etablierten Datenriesen. Die Firmen sollten “selbst entscheiden und verhandeln können, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen sie ihre Daten an Dritte weitergeben”, sagt Niels Karssen, Fachreferent für Handel und Recht im Brüssel-Büro des VDMA.
Als Beispiel nennt er die vorausschauende Wartung. Für “Predictive Maintenance” sei oft ein Datenaustausch zwischen Maschinenhersteller und Nutzer der Maschine notwendig. “In dieser bilateralen, oft von sehr spezifischen Bedingungen gekennzeichneten B2B-Beziehung sind vertragliche Abmachungen sehr gut geeignet, etwa auch, um den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen oder Details des Serviceangebots zu regeln”, sagt Karssen.
Die Banken sehen großes Potenzial im branchenübergreifenden Datentausch. “Die Datenökonomie kann nur an Fahrt aufnehmen, wenn man in der Lage ist, die Daten einem Dritten zu übermitteln und so neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen und branchenübergreifende Services stärker zu fördern”, sagt Stephan Mietke, Abteilungsdirektor beim Bankenverband. Als Beispiel nennt er die Schaffung einer Banken-Schnittstelle zu E-Commerce-Angeboten. Für diese Schnittstelle – quasi ein Button “Hole ein Finanzierungsangebot deiner Bank ein” – würden dann auch Daten vom Händler benötigt.
Mietke warnt jedoch davor, ein Ungleichgewicht entstehen zu lassen: “Es muss ein Geben und Nehmen sein, Daten müssen in beide Richtungen austauschbar sein. Dann hat jeder einen Gegenwert davon, wenn er selber investiert.” Till Hoppe/Jasmin Kohl
Die Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) hat gestern eine wichtige Hürde genommen: Der federführende Industrie-Ausschuss (ITRE) hat dem Niederländer Bart Groothuis (VVD/Renew) das Verhandlungsmandat erteilt und gemeinsame Änderungswünsche am Kommissionsvorschlag beschlossen. Damit könnten die Verhandlungen schnell beginnen. Wenn die anderen Ausschüsse sich dem Petitum des ITRE anschließen, wäre bereits ab 9. November die Aufnahme der Verhandlungen im Trilog möglich.
Berichterstatter Groothuis hat es auch eilig: “Wenn wir das vor dem Ende der französischen Präsidentschaft schaffen könnten, wäre das großartig”. Das hält er auch angesichts der Ransomware-Erpressungswelle für dringend nötig. Die Biden-Regierung habe bereits auf die Probleme reagiert, Joe Biden mit Wladimir Putin in seinem ersten Gespräch nicht ohne Grund die Cybersicherheit thematisiert. “Wir müssen schnell agieren – denn wir wollen nicht, dass Europa ein attraktiveres Ziel für Angreifer ist als andere Regionen”, sagt Groothuis.
Damit die verpflichteten Organisationen auch wirklich Maßnahmen ergreifen, soll der Strafrahmen bei wiederholten Verstößen gegen die Pflichten künftig bis zu zwei Prozent vom Umsatz oder bis zu zehn Millionen Euro betragen.
Für die Einhaltung der Pflichten sollen nach dem Willen der Europaparlamentarier die Geschäftsführer der Unternehmen verantwortlich sein. “Als letztes Mittel können Managerinnen in Führungsposition sogar temporär ihrer Verantwortung enthoben werden”, erläutert Rasmus Andresen (Grüne/EFA).
Für Bart Groothuis ist eindeutig: “Cybersecurity ist keine Nische mehr, sondern Chefsache.” Überlegungen, die technisch für IT-Sicherheit Zuständigen zur Verantwortung zu ziehen, sieht er deshalb als nicht zielführend an. An vielen Stellen gehe es vor allem um sehr einfache, aber effektive Maßnahmen wie eine Verpflichtung zur Zwei-Faktor-Authentifizierung oder zu Backups.
Kern der auch NIS2-Richtlinie genannten Revision ist ein höheres Cybersicherheitsniveau bei den Betreibern kritischer Infrastrukturen. Diese werden bereits von der alten NIS-Richtlinie und nationalen Gesetzen wie dem IT-Sicherheitsgesetz erfasst, die in weiten Teilen den Charakter von Umsetzungsgesetzen haben.
Die revidierte NIS-Richtlinie soll nach dem Willen der EP-Industriepolitiker nun aber mehr Bereiche als die alte Regelung umfassen: So sollen künftig auch Gesundheitseinrichtungen und Forschungseinrichtungen in den Anwendungsbereich fallen.
In Deutschland fallen durch das im Vorgriff auf die NIS-Revision überarbeitete IT-Sicherheitsgesetz bereits heute alle größeren und über das Patientendatenschutzgesetz dann ab 2022 alle Kliniken unter die IT-Sicherheits-Regelungen. Forschungseinrichtungen unterfallen bislang nicht generell, sondern nur in bestimmten Sektoren den deutschen Regelungen.
Ein potenzieller Streitpunkt mit dem Rat könnte in der Verpflichtung kleinerer Kommunen liegen: Innerhalb Europas sind eigenständige Kommunen teilweise sehr kleine Entitäten, denen ein höheres IT-Sicherheitsniveau durchaus praktische Umsetzungsschwierigkeiten bereiten könnte. Zugleich sind aber gerade diese in den vergangenen Monaten häufig ein leichtes Ziel von Erpressern geworden.
Zudem wollen die Industriepolitiker auch Unternehmen zu erhöhten IT-Sorgfaltspflichten verpflichten, die in Lieferketten eine kritische Rolle spielen. “Wenn erst wichtige Lieferketten, Stromversorgung oder die öffentliche Verwaltung durch einen Angriff zum Erliegen kommen, dann ist es zu spät”, sagt Angelika Niebler (CSU/EVP). Dass die Anforderungen für die Cybersicherheit jetzt erhöht würden, sei richtig. Das gelte auch für die strengeren Berichtspflichten für Unternehmen, die von schwerwiegenden Angriffen betroffen seien. “Das darf zwar nicht zu mehr Belastungen für unseren Mittelstand führen, aber auch KMU müssen Cybersicherheit mehr Aufmerksamkeit schenken”, so Niebler.
Die Parlamentarier wollen die Erstmeldung schwerer Vorfälle an die Cybersicherheitsbehörden analog zu den Datenschutzvorfallvorschriften mit einer Frist von 72 Stunden versehen. Der Kommissionsvorschlag sieht hier nur 24 Stunden vor.
Die NIS-Richtlinie gilt als ein wesentlicher Baustein der europäischen Cybersicherheitsarchitektur – leidet aber unter einem strukturellen Problem: Da der EU die Kompetenzen im Bereich der Sicherheit fehlen, Cybersicherheit aber je nach Vorfall oder nationaler Präferenz von Nachrichtendiensten, militärischen und zivilen Institutionen bearbeitet wird, kann die EU hier nur teilweise eingreifen.
Berichterstatter Bart Groothuis, über ein Jahrzehnt selbst für das niederländische Verteidigungsministerium im Bereich Cybersicherheit tätig, sieht das Problem. Er hält daher insbesondere eine Änderung durch die NIS-Revision für eine bessere Zusammenarbeit für hilfreich: Eine gemeinsame Datenbank für schwerwiegende Vorfälle und eine Sicherheitslückendatenbank sollten das Problem beheben. Die Europäische Netzwerksicherheitsagentur ENISA solle dabei “eine Art Schweiz” werden, “mit der jeder seine Informationen teilen kann, ohne dass jeder weiß, aus welcher Art von Quelle diese stammt”. Dadurch könnten etwa auch Nachrichtendienste Informationen einfacher teilen.
Einen besonders kritischen Bereich will Bart Groothuis dennoch auf keinen Fall reguliert wissen: die Domain Name System-Rootserver des Internets. Diese Zentralverwaltung der Domainnamen im Netz ist auf derzeit 13 Betreiber verteilt, von denen mit RIPE und Netnod zwei in der EU ihren Sitz haben. Von diesen Zentralservern beziehen alle Internetprovider die Übersetzung von Domainname zu IP-Adressen.
Diese Infrastruktur zu regulieren sei aus IT-Sicherheitssicht zwar eigentlich geboten, sagt Groothuis. Doch es wäre politisch falsch, in sie hineinzuregulieren – denn damit würde man China und Russland, die dies unter ganz anderen Prämissen wollten, den Weg zur Beeinflussung dieses zentralen Systems des Internets eröffnen. Weshalb zwar alle relevanten nachgeordneten DNS-Server in Europa unter die NIS fallen, die Root-Server jedoch weiterhin ausgenommen bleiben sollen.
Da die NIS-Revision auf kritische Infrastrukturen beschränkt ist, soll schon bald ein weiterer Aspekt regulatorisch adressiert werden: alle sogenannten smarten Geräte. Industrie- und Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll 2022 seinen ersten Vorschlag für einen Cyber Resilience Act (CRA) für vernetzte Geräte vorstellen. “Wir haben uns auch für eine stärkere Regulierung im Kontext der NIS2-Richtlinie eingesetzt, aber dieses horizontale Gesetz ist nicht das Allheilmittel, mit dem alle Probleme im Bereich der Cybersicherheit auf einmal behoben werden können”, sagt der Grüne Rasmus Andresen. Seine CSU-Kollegin Angelika Niebler begrüßt die CRA-Ankündigung: Ohne klare Anforderungen an die Geräte im Internet der Dinge könne dieses nicht kommen, sagt sie. “Es ist unangenehm genug, wenn jemand meinen smarten Kühlschrank hacken kann, aber, wenn wir an autonomes Fahren oder Ähnliches denken, müssen wir größten Wert auf den Aspekt Cybersicherheit legen.” Die EU sei bei dem Thema bereits weiter als die nationale Ebene.
Vor gut fünf Jahren hatte die EU mit der eIDAS-Verordnung einen rechtlichen Rahmen für die Schaffung eines vertrauenswürdigen Identifikationsrahmens im digitalen Raum geschaffen. Doch kaum eine der Verheißungen hat sich erfüllt – während private Identitätsdienstleister boomen. Federführend für das Dossier der neuen eID-Verordnung ist der Industrieausschuss ITRE, der Binnenmarktausschuss IMCO ist mitberatend – und der traf sich gestern zum ersten Meinungsaustausch.
Den Stand der Probleme fasste Norbert Sagstetter, Referatsleiter in der DG Connect, so zusammen: Zwar habe die eIDAS ein elektronisches Signaturwesen etablieren können. Dort gebe es mittlerweile 270 Anbieter von vertrauenswürdigen Dienstleistungen in der EU. Bei der eID sehe das etwas anders aus: nur 14 von 27 Mitgliedstaaten hätten überhaupt eine Notifizierung gemäß der eIDAS-Verordnung ihrer Systeme vorgenommen. Davon wiederum seien nur sieben vollständig mobil nutzbar, und auch nur die Hälfte könne grenzüberschreitend genutzt werden. Und das dann nur bei staatlichen Institutionen.
Der neue Vorschlag, so Sagstetter, sehe vor allem folgende Dinge vor: Eine eID solle kostenlos, freiwillig und für alle Dienste nutzbar sein, die eine starke Authentifizierung benötigen würden. Besonders wichtig für die Akzeptanz seien ein hohes Datenschutz– und Datensicherheitsniveau. Genau dies werde jetzt mit der eID-Verordnung angestrebt.
Die eID-Verordnung soll eine Wallet-Lösung sein: Vergleichbar den Produkten von privaten Anbietern soll darin die staatlich geprüfte ID die Basis für weitere Nutzungsarten bilden, ohne dass die Daten von anderen Anbietern ausgelesen und gespeichert werden könnten. Die Wallet soll, so der Plan, von den Mitgliedstaaten angeboten werden. Ob der Staat dafür der geeignete Softwareentwickler ist? Zumindest haben auch private Lösungen, wie zuletzt die deutsche ID-Wallet, ihre Probleme.
Man stehe noch ganz am Anfang des Prozesses, betonte IMCO-Rapporteur Andrus Ansip (Renew), der selbst als EU-Kommissionsvizepräsident für die eIDAS-Verordnung mit zuständig war. Zwar hätten etwa 100 Prozent der Bürger in Schweden, Dänemark, Finnland, Estland und Griechenland Zugriff auf eine eID. Doch wenn Schweden etwa nach Finnland reisen würden, bräuchten sie immer noch Papier.
“Wenn wir Facebook oder Google-IDs benutzen, dann schieben wir mehr Daten zu diesen Anbietern”, bemängelte Ansip. Es gebe eine große Nachfrage, er sehe aber derzeit noch viele offene Fragen und bereits heute unterschiedliche Meinungen. Etwa, ob die eID-Verordnung an Hardware-Sicherheitschips gebundene Lösungen und reine Softwarelösungen gleichbehandeln solle. Seine Präferenz ließ Ansip auch gleich durchscheinen: Man müsse sich die Frage stellen, ob man sich von Hardwareherstellern abhängig machen wolle. Estland und Litauen etwa hätten reine Softwarelösungen etabliert.
Der belgische Abgeordnete Tom Vandenkendelaere (EVP) betonte, eine kluge eID-Lösung habe das Potenzial für eine “konkrete, fühlbare Wahrnehmung des Mehrwertes der EU”. Und zwar dann, “wenn man im Ausland ein Konto eröffnet, ein Haus mietet, einen Flug bezahlt, auf einer Plattform etwas tut”. Dafür brauche es aber die gegenseitige Anerkennung der Systeme durch die Mitgliedstaaten. Ähnlich äußerte sich Adriana Maldonalo-Lopez (S&D): Die eID könne vergleichbar dem Roaming als europäisches Projekt wahrgenommen werden – wenn sie funktioniere und sicher sei.
Norbert Sagstetter wies noch einmal darauf hin, dass man mit der eID-Verordnung nur einen Rahmen schaffen könne. Es liege an den Mitgliedstaaten, diesen auch zu nutzen. Das angestrebte System für die eID sei aber ein interoperables System auf Basis gemeinsamer Standards – sodass die gegenseitige Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten nicht mehr die gleichen Schwierigkeiten habe wie in der Vergangenheit. fst
Drei Tage vor Beginn der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow hat China als dreizehntes von gut 190 Ländern seine nachgeschärften Klimaziele bei den Vereinten Nationen eingereicht – die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDC). Chinas NDCs bestehen aus den bereits bekannt gegebenen 30/60-Zielen: Höhepunkt der Treibhausgas-Emissionen vor 2030, Klimaneutralität ab 2060. Der von manchen erhoffte große Wurf Chinas vor dem Gipfel blieb also aus.
Nachgeschärft im Sinne des Pariser Klimaabkommens sind diese Ziele dennoch, denn sie gehen über jene Zielmarken hinaus, zu denen China sich bei der Unterschrift unter das Abkommen in 2015 verpflichtet hatte. Damals hatte das Land sich nur auf einen Höhepunkt “um 2030” verpflichten lassen sowie auf einen Emissionsrückgang relativ zur Wirtschaftsleistung.
Der Emissions-Höhepunkt ist nun aber bestenfalls um eine Nuance vorgezogen worden, von “um 2030” auf “vor 2030”. Das lässt China einen großen Spielraum. Zu Klimaneutralität hatte China 2015 allerdings kein Wort verloren; das 2020 abgegebene Bekenntnis zu “net zero” ist daher der größte Fortschritt. Das Ziel zur relativen Reduktion der Emissionen ist mehr oder weniger unverändert geblieben: Aus 60-65 Prozent sind inzwischen 65 Prozent geworden. Der Anteil erneuerbarer Energien soll bis 2030 auf 25 Prozent statt 20 Prozent steigen. Und das Volumen chinesischer Wälder soll um sechs Kubikmeter statt 4,5 Kubikmeter gegenüber 2005 zunehmen.
Erst vor wenigen Tagen hatte China in einem sogenannten “1+N-Rahmenplan” einige Details und Zwischenschritte für diese Ziele veröffentlicht (China.Table berichtete).Die “1” steht für den Klimaplan, das “N” für eine bestimmte Anzahl an Aktionsplänen. Einer der N-Pläne liegt bereits vor, weitere sollen folgen. China steckt mitten in einer schweren Energiekrise und betonte zuletzt allerdings auch wieder stärker das Thema Energiesicherheit.
Chinas Klimabeauftragter Xie Zhenhua ist mit seiner Delegation bereits in London zu Vorgesprächen mit den wichtigsten Klimapartnern eingetroffen. Am Mittwoch sprach er unter anderem mit EU-Umweltkommissar Frans Timmermans. Details zu dem Treffen gab es zunächst nicht, Timmermans twitterte lediglich ein Foto der Begegnung. ck
Eine künftige Ampel-Koalition könnte laut Umweltbundesamt (UBA) finanziellen Spielraum in zweistelliger Milliarden-Höhe durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen gewinnen. Die Vergünstigungen für Diesel, Vorteile bei der Dienstwagen-Steuer oder Befreiungen von Energie-Abgaben für die Industrie summierten sich 2018 auf insgesamt rund 65 Milliarden Euro, errechnete die Behörde in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Der Betrag liege wohl noch höher, wenn man Hilfen von Kommunen und Ländern mitberücksichtige. Fast die Hälfte der Subventionen entfielen auf den Verkehrssektor. Danach folgt der Energie-Bereich. “Es ist paradox, wenn der Staat mit vielen Milliarden den Klimaschutz fördert und gleichzeitig klimaschädliche Produktions- und Verhaltensweisen subventioniert”, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner.
Die Verhandler von SPD, Grünen und FDP sind auf der Suche nach finanziellem Spielraum, um die nötigen Klimaschutz-Instrumente in einer Regierung zu finanzieren. Dabei haben sie in ihrem Sondierungspapier auch die Subventionen in den Blick genommen: “Wir wollen zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen.”
UBA-Präsident Messner forderte rasches Handeln: “Beim Klimaschutz rennt uns bekanntlich die Zeit davon. Es ist daher wichtig, auch beim Abbau umweltschädlicher Subventionen schnell voranzukommen”. Diese hemmten die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte und gefährdeten Umwelt- und Klimaziele. “Aktuell werden ökonomische Anreize in gegensätzliche Richtungen gesetzt – mal für, mal gegen den Umwelt- und Klimaschutz”, kritisierte Messner. “Ein Beispiel dafür ist das unsinnige Nebeneinander von Dieselprivileg für Verbrenner und Kaufprämien für Elektroautos.“
Das UBA räumte ein, ein Subventionsabbau auf einen Schlag sei kaum möglich. Allein zwölf Milliarden Euro entfielen auf Steuervorteil für Kerosin und Flugtickets. Das sei nur auf EU-Ebene zu ändern. Auch sollten Härten für ärmere Menschen vermieden werden. Zudem sei die Höhe des Subventionsabbaus nicht identisch mit dem gewonnenen finanziellen Spielraum. Ein Kurswechsel führe zwar zu klimafreundlicherem Verhalten, könne aber auf der anderen Seite den Staat auch Einnahmen kosten. rtr
Manche Fluggesellschaften könnten einer Studie zufolge bei zu langsamer Reduktion des Treibhausgases CO₂ in den kommenden Jahren in Existenznot geraten. Davor warnte das CAPA Centre vor Aviation in einem gemeinsam mit Envest Global erstellten Bericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Der Druck von Regierungen, Investoren und Kunden könne Airlines zu mehr Tempo auf dem Weg zur CO2-Neutralität zwingen, erklärte David Wills von Envest, eine Beratung für Klimaschutzstrategien. Ansonsten riskierten sie zu scheitern. Die internationale Luftfahrt hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Investoren wie BlackRock, Vanguard Group Inc oder State Street Corp hätten Bedenken zum Thema Klimaschutz und könnten mehr Engagement fordern. Einige Unternehmen wie die Bank HSBC, die Zurich Insurance oder der Finanzdienstleister S&P Global wollen die CO2-Emissionen von Geschäftsreisen in naher Zukunft um bis zu 70 Prozent senken. Capa und Envest werteten die CO2-Emissionen von 52 Fluggesellschaften in den Jahren 2019 und 2020 aus.
Das Viertel mit den höchsten Emissionen stieß demnach 30 Prozent mehr Klimagas pro geflogenem Kilometer aus als das mit den niedrigsten. Die Billigairlines Wizz Air und Ryanair waren unter den drei Besten. Den höchsten Ausstoß hatten Croatian Airlines, Turkish Airlines und Japan Airlines. Die Lufthansa-Gruppe und Air France lagen im Mittelfeld. Gesellschaften mit niedrigerem CO2-Ausstoß haben jüngere Flotten mit sparsameren Flugzeugen – so sind die Maschinen des ungarischen Billigfliegers Wizz keine fünf Jahre alt, die der Lufthansa aber zwölf.
Neue, verbrauchsärmere Flugzeuge sind derzeit der größte Hebel beim Abbau von CO2-Emissionen. Denn die Produktion von klimafreundlichen synthetischen Kraftstoffen steckt noch in den Kinderschuhen, sodass sie viel teurer sind als Kerosin. Wegen hoher Nachfrage will der europäische Flugzeugbauer Airbus die Produktion seines Mittelstreckenflugzeugs A320/A321 in den nächsten Jahren kräftig hochfahren. Doch Zulieferer warnen, sie könnten damit nicht Schritt halten. rtr
Seit Jahren haben wir am Rocky Mountain Institute (RMI) argumentiert, dass der Übergang zu sauberer Energie weniger kosten und schneller ablaufen würde als von Regierungen, Unternehmen und vielen Analysten erwartet. In den letzten Jahren hat sich diese Sicht uneingeschränkt bestätigt: Die Kosten für erneuerbare Energien sind konsequent schneller gesunken als erwartet, während ihre Einführung schneller verlaufen ist als prognostiziert – was die Kosten weiter reduziert hat.
Dank dieses Tugendkreises haben die erneuerbaren Energien den Durchbruch geschafft. Und jetzt haben neue Analysen zweier maßgeblicher Forschungsinstitute den Berg von Daten weiter erhöht, die zeigen, dass eine rasche Umstellung auf saubere Energien der kostengünstigste Weg voran ist.
Politiker, Wirtschaftsführer und Finanzinstitute müssen den vielversprechenden Implikationen dieser Entwicklung dringend Rechnung tragen. Angesichts der UN-Klimakonferenz in Glasgow ist es wichtig, dass die weltweiten Regierungen begreifen, dass es beim Erreichen des Erwärmungsziels des Pariser Klima-Abkommens von 1,5 Grad nicht darum geht, Opfer zu bringen; es geht darum, Chancen zu ergreifen. Der Verhandlungsprozess muss neu gefasst werden, sodass es weniger um Lastenteilung geht und mehr um einen lukrativen Wettlauf beim Einsatz saubererer, preiswerterer Energietechnologien.
Man kann nur vermuten, warum die Prognostiker die sinkenden Kosten und das sich beschleunigende Tempo der Einführung erneuerbarer Energien jahrzehntelang unterschätzt haben. Doch die Folgen sind klar: Ihre schlechten Prognosen haben billionenschwere Investitionen in eine Energieinfrastruktur untermauert, die nicht nur teurer ist, sondern auch schädlicher für die Menschheit und alles Leben auf dem Planeten.
Dies ist unsere womöglich letzte Chance, ein Jahrzehnt verpasster Chancen auszugleichen. Entweder wir verschwenden auch weiterhin Billionen auf ein System, das dabei ist, uns umzubringen. Oder wir stellen rasch auf die preiswerteren, saubereren und fortschrittlicheren Energielösungen der Zukunft um.
Neue Studien werfen ein Licht darauf, wie eine rasche Umstellung auf saubere Energien funktionieren würde. Im Bericht der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) The Renewable Spring zeigt Leitautor Kingsmill Bond, dass erneuerbare Energien derselben exponentiellen Wachstumskurve folgen wie frühere technologische Revolutionen und dabei auf vorhersehbaren und hinlänglich bekannten Verlaufsmustern aufbauen.
Entsprechend weist Bond darauf hin, dass die Energiewende weiter Kapital anlocken und eine Eigendynamik entwickeln wird. Doch kann und sollte man diesen Prozess unterstützen, um sicherzustellen, dass er schnellstmöglich abläuft. Politiker, die den Wandel vorantreiben möchten, müssen ein Umfeld schaffen, dass einen optimalen Kapitalfluss unterstützt.
Die derzeitigen Signale aus den Finanzmärkten zeigen, dass wir uns in der ersten Phase einer vorhersehbaren Transformation des Energiesystems befinden, in der sich neue Energiesektoren spektakulär überdurchschnittlich entwickeln und der Fossilbrennstoffsektor eine Herabstufung erlebt. Dies ist der Punkt, an dem kluge Politiker auf den Plan treten können, um den notwendigen institutionellen Rahmen zur Beschleunigung der Energiewende und zur Realisierung des wirtschaftlichen Nutzens der Errichtung lokaler Lieferketten für saubere Energien zu schaffen.
Bestätigt werden die Erkenntnisse aus dem IRENA-Bericht durch eine aktuelle Analyse des Institute for New Economic Thinking (INET) an der Oxford Martin School. Diese zeigt, dass eine rasche Umstellung auf saubere Energielösungen Billionen von Dollar einsparen und zugleich die Welt auf Kurs für das Ziel von 1,5 Grad aus dem Pariser Vertrag halten wird. Eine langsamere Einführung wäre finanziell kostspieliger als eine schnellere und hätte deutlich höhere Klimakosten durch vermeidbare Katastrophen und sich verschlechternde Lebensbedingungen zur Folge.
Aufgrund der Kraft des exponentiellen Wachstums ist eine schnellere Umstellung auf erneuerbare Energien ohne Weiteres machbar. Der INET-Bericht aus Oxford stellt fest, dass, wenn sich die exponentiellen Wachstumstrends bei Solar- und Windenergie, Batterien und Wasserstoff-Elektrolyseuren noch ein weiteres Jahrzehnt fortsetzen, die Welt auf bestem Wege ist, innerhalb von 25 Jahren eine netto emissionsfreie Stromerzeugung zu erreichen.
In seiner Reaktion auf die INET-Studie verweist Bill McKibben (350.org) darauf, dass die Kosten für fossile Brennstoffe nicht fallen werden. Zudem würden alle Fortschritte auf der technologischen Lernkurve bei Öl und Gas dadurch aufgewogen, dass die leicht erschließbaren weltweiten Vorkommen bereits ausgebeutet sind. Er warnt deshalb, dass, eben weil Sonne und Wind den Verbrauchern Geld sparen, die Fossilbrennstoffindustrie weiterhin versuchen wird, die Umstellung zu verzögern, um ihre eigenen Verluste zu verringern.
Wir dürfen keine weiteren Verzögerungen zulassen. Es ist im Vorfeld der COP26 unverzichtbar, dass die Regierungen begreifen, dass wir bereits über sauberere, preiswertere, unmittelbar einsatzbereite Energielösungen verfügen. Es geht beim Erreichen des Ziels von 1,5 Grad nicht darum, Opfer zu bringen, sondern darum, Chancen zu ergreifen. Wenn wir jetzt tätig werden, können wir Billionen Dollar sparen und die klimatischen Verheerungen vermeiden, die andernfalls unsere Kinder und Enkel heimsuchen werden.
Aus dem Englischen von Jan Doolan. In Kooperation mit Project Syndicate, 2021.
Alle sechs Monate gehen in den Pressestellen von EU-Kommission und Rat zahlreiche Anfragen von Journalisten ein, ob es denn Neuigkeiten bei diesem einen, ganz bestimmten Thema gäbe. Auch jetzt wieder: Am Sonntag wird die Zeit umgestellt. Um drei Uhr in der Nacht springt die Uhr zurück auf zwei Uhr. Das Bundeswirtschaftsministerium gibt aus diesem Anlass gar eine Pressemitteilung heraus.
Dabei sollte die Zeitumstellung doch längst abgeschafft sein. Schon im September 2018 schlug die Kommission ein Ende der halbjährlichen Zeitumstellung vor, als Resultat der Bitten einiger Mitgliedstaaten und einer öffentlichen Konsultation. Das Parlament unterstützte den Vorschlag. Und so wurde – ganz im Sinne der Subsidiarität – die Entscheidung den Mitgliedstaaten überlassen, welche Zeit sie beibehalten wollen: Sommer- oder Winterzeit.
Und dort liege das Vorhaben seither, erwidert ein Kommissionssprecher, vermutlich leicht genervt, auf die seit zwei Jahren immer gleiche Anfrage, bei der sich nichts, aber auch gar nichts getan hat. Er freue sich jedoch darauf, am Wochenende etwas länger schlafen zu können, fügt er hinzu …, wenn seine Kinder es denn zuließen. Lukas Scheid
Facebook heißt jetzt Meta – aber nur der Konzern hinter Facebook, Instagram und WhatsApp. Das kommt Ihnen bekannt vor? Von Alphabet, das bis heute alle nur als Google kennen? Wird es für die Regulierer in Brüssel und Berlin etwas verwirrender, wenn sie zukünftig Alphabet- und Metaregulierung als Aufgabe haben?
Ein Blick auf die ernsten Themen, von denen wir Ihnen in dieser Ausgabe ein wahres Füllhorn bieten können. Der Data Act wird nun wohl erst im Februar statt wie geplant im Dezember kommen – die genauen Gründe und warum sich das mit einigen Bedenken der Wirtschaft überschneidet, haben Till Hoppe und Jasmin Kohl für Sie recherchiert.
In den vergangenen Ausgaben hat Lukas Scheid Ihnen schon einige der wesentlichen Diskussionspunkte für die COP26-Konferenz erläutert – heute schließt diese kurze Reihe mit einem Blick auf Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der die Verhandler intensiv beschäftigen wird.
Die Überarbeitung der NIS-Richtlinie ist auf der Überholspur in Richtung Trilog. Schon Mitte November könnte es losgehen – was die Revision nicht behandelt und was für Diskussionen mit den Mitgliedstaaten sorgen können, finden Sie ebenfalls in dieser Ausgabe. In noch deutlich früherem Stadium befinden sich die Beratungen zur eID, die der Binnenmarktausschuss gestern begann – ein wichtiges Thema, auch für Deutschlands Digitalisierungsvorhaben: sie erinnern sich sicher an den filmreifen Fehlstart der deutschen ID-Wallet vor wenigen Wochen.
Zum Schluss im Apéropa: Genießen Sie das lange Wochenende – solange die Mitgliedstaaten Sie lassen.
“Paris hat die Vision vorgegeben, in Glasgow wird’s konkret”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag im Hinblick auf die am Sonntag startende Weltklimakonferenz. Konkret werden soll es vor allem bei drei Themen: Wie bleibt das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite? Wer finanziert globale Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen (Europe.Table berichtete)? Wie werden Emissionseinsparungen gemessen und honoriert? Letzteres gilt als richtungsweisend für Erfolg oder Scheitern der COP26. Es geht um die Finalisierung des “Paris Rulebook”, jenes Plans, der die Versprechungen von Paris in Resultate verwandeln soll.
Im Paris Rulebook steht, wie die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden, anhand welcher Kriterien die Länder ihre nationalen CO₂-Reduktionsziele (NDCs) festlegen und wie ergriffene Maßnahmen überwacht werden sollen. Bei der Weltklimakonferenz in Katowice 2018 (COP24) haben sich die Länder auf dieses Rulebook geeinigt. Was allerdings fehlte, war die ausformulierte Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens. Auch ein Jahr später in Madrid kam es zu keiner Einigung, und so soll es nun in Glasgow klappen.
Im Pariser Klimaabkommen heißt es, dass Staaten auf freiwilliger Basis und zur Erreichung ihrer Reduktionsziele kooperieren können und sich Emissionsminderungsergebnisse übertragen können. Übersetzt: Ein Land, das der Atmosphäre CO₂ entzieht, kann diese Minderung an andere Länder übertragen. Das Prinzip ist ein globaler Emissionshandel.
Viele Industriestaaten sind nicht in der Lage, die eigenen Emissionen schnell genug zu reduzieren, um die vorgegebenen Reduktions- und Klimaschutzziele zu erreichen. Also wird jedem Land eine festgelegte Menge an Emissionsrechten zugeteilt, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Wenn die verursachten Emissionen die Emissionsrechte übersteigen, kann sich ein Staat dann Emissionsrechte bei anderen Staaten einkaufen. Umgekehrt: Wer weniger emittiert als ihm zusteht, kann überschüssige Rechte verkaufen. Das Resultat ist ein transparentes System, in dem der Ausstoß, die Reduzierung und die Speicherung von Emissionen überprüfbar gemacht werden.
Auf ein solches Prinzip für nachhaltigeres Wirtschaften auf globaler Ebene hatte man sich 1997 im Kyoto-Protokoll schon einmal geeinigt, allerdings lief es 2020 aus. Zudem waren zahlreiche Industriestaaten – darunter USA, Kanada, Japan, Indien und China – entweder schon vorher ausgestiegen oder verpflichteten sich nicht zu weiteren Reduktionszielen. Kyoto gilt daher heute als gescheitertes Klimaabkommen, da es nicht zu einer signifikanten Reduzierung der Treibhausgasemissionen geführt hat. Schuld war allerdings nicht der Emissionshandel per se, sondern die fehlende Verpflichtung, Reduktionsziele einzuhalten.
Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde ein Nachfolger für das Kyoto-Protokoll geschaffen. Jedoch droht die Etablierung eines globalen Emissionshandels abermals zu scheitern, wenn Artikel 6 in seiner konkreten Ausgestaltung nicht hält, was er verspricht: Die Reduzierung der Emissionen auf ein Level, welches das 2-Grad-Ziel und idealerweise das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite hält.
Dass dieses Ziel derzeit außer Reichweite ist, zeigt der diese Woche erschienene UN Emission Gap Report 2021. Mit den derzeitigen NDCs steuert der Planet auf eine globale Erwärmung von 2,7 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau hin. Und selbst wenn alle Klimaneutralitätsziele der Länder erreicht werden, so der Bericht, beträgt die Erwärmung noch immer 2,2 Grad. Doch der Bericht gibt auch Grund zur Hoffnung – Hoffnung in Artikel 6. Ein Emissionshandel könnte zur Senkung der Emissionen beitragen. Jedoch sei dies nur möglich, wenn Regeln klar definiert, Transparenz und Monitoring gewährleistet sind und auf eine tatsächliche Verringerung der Emissionen abzielen, heißt es.
Von der Leyen drängte am Donnerstag auf einen Mechanismus, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und gleichermaßen die größten Emittenten zur Verantwortung zieht, aber auch Doppelzählungen von Emissionseinsparungen verhindert. So steht es im Pariser Klimaabkommen auch geschrieben.
Als großer Gegner der Verhinderung von Doppelzählungen galt lange Brasilien. Das Land mit einer der größten Kohlenstoffsenken der Welt – dem Amazonasgebiet – würde das CO2-Speicherungspotenzial des Regenwaldes gerne für das Erreichen der eigenen Klimaziele verwenden und gleichzeitig Emissionsrechte für genau dasselbe Speicherungspotenzial weiterverkaufen. Diese Doppelnutzung könnte die globale Emissionsreduzierung verhindern und würde die Glaubwürdigkeit eines effektiven Emissionshandels untergraben. Brasilien hat allerdings in der vergangenen Woche angedeutet, in dieser Sache kompromissbereit nach Glasgow zu reisen. Brasiliens Chefverhandler Leonardo Cleaver de Athayde sagte in einem Interview mit der brasilianischen Zeitung Valor Economico, dass man flexibel sein werde, um eine Einigung zu erreichen.
Der zweite Stolperstein ist ein Überbleibsel des Kyoto-Protokolls. Für Emissionen einsparende Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern wurde damals die Ausgabe von Zertifikaten vereinbart, die wiederum von Industriestaaten erworben werden konnten – der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM). Auf Brasilien, Südkorea, China und Indien entfallen fast 85 Prozent aller bisher ausgestellten CDM Zertifikate- sogenannte CERs. Diese Länder wollen ihre noch nicht verwendeten CERs nun mitnehmen in das neue System unter dem Paris Klimaabkommen. Dies könnte allerdings dafür sorgen, dass der Markt von Beginn an mit Zertifikaten für eingesparte Emissionen aus der Vergangenheit geflutet wird. Die große Sorge ist, dass die ausgebenden Länder der Zertifikate weniger ambitioniert ihre Klimaschutzziele verfolgen und sich auf den vorhandenen Zertifikaten ausruhen.
Bei den Verhandlungen in Glasgow wird es also darum gehen, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen Emissionsrechte doppelt gezählt werden dürfen und in welchem Umfang CERs aus dem Kyoto-Protokoll in das neue System mitgenommen werden dürfen. Ein Weg: dass ein Teil der CERs mitgenommen werden darf. Es könnte auch sein, dass bestimmte Länder über einen gewissen Zeitraum, Emissionsrechte doppelt verbuchen können. Allerdings für die EU-Verhandlungsführer gilt in dieser Hinsicht das Mantra, dass ein schlechter Deal schlimmer sei als überhaupt kein Deal. Ausgang offen.
UN-Klimakonferenz 2021 – Gipfel der Staatsoberhäupter
01.11.-02.11.2021
Akteure: Mitglieder der UNFCCC
Agenda: Der Gipfel der Staatsoberhäupter im Rahmen der UN-Klimakonferenz 2021 wird den Fortschritt der UNFCCC-Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Verpflichtungen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens bewerten. Die EU-Delegation wird von Charles Michel (Präsident des Europäischen Rats), Ursula von der Leyen (Präsidentin der EU-Kommission) und Janez Janša (Repräsentant der slowenischen Ratspräsidentschaft) geleitet werden.
Programm
Interparlamentarische Konferenz über Migration und Asyl in Europa
01.11.2021
Akteure: EU-Parlament; Parlamente von Deutschland, Portugal und Slowenien
Agenda: Die Konferenz zu Migration und Asyl in Europa, vom Europäischen Parlament und der parlamentarischen Dimension der Trio-Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union (Deutschland, Portugal und Slowenien) organisiert.
Infos
UN-Klimakonferenz – Energy Day
04.11.2021 09:30-17:00 Uhr
Akteure: Mitglieder der UNFCCC
Agenda: Der Energy Day versammelt Regierungen, Unternehmen, Investoren und Organisationen, um über die globale Strategie zur Dekarbonisierung der Energieproduktion zu beraten.
Programm
Es ist eines der zentralen Anliegen von Thierry Breton: Der Binnenmarktkommissar hatte zu Beginn seiner Amtszeit persönlich eine Datenstrategie initiiert. Nur wenn der Zugang zum wichtigsten Rohstoff gewährleistet sei, so seine Analyse, könne Europas Digitalwirtschaft prosperieren. Während der Data Governance Act die Infrastruktur für Datenmärkte regulieren soll (Europe.Table berichtete), zielt der Data Act auf den rechtmäßigen Zugang und die Nutzung der Daten ab.
Den ehrgeizigen Zeitplan für den Data Act kann Breton allerdings nicht halten. Statt wie geplant am 1. Dezember, werde der Data Act nun voraussichtlich erst im kommenden Februar vorgelegt, heißt es in der Kommission. Der Grund: Der Ausschuss für Regulierungskontrolle hat noch etliche Fragen zu Gesetzentwurf und Folgenabschätzung übermittelt. Das Gremium evaluiert geplante Vorhaben in einem frühen Stadium.
Die ausformulierten Bedenken wird der Ausschuss an diesem Freitag an Breton und die zuständige Generaldirektion Connect übermitteln. Laut informierten Kreisen adressiert das Gremium darin mehrere Fragen, die auch die deutsche Wirtschaft in der Konsultationsphase aufgebracht hatte:
In der deutschen Industrie wird die Verschiebung des Vorschlags begrüßt. “Vorschnelles Handeln sollte angesichts der Tragweite neuer Vorschriften und der weitreichenden Konsequenzen für die Unternehmen vermieden werden”, sagt Dirk Binding, Leiter des Bereichs Digitaler Binnenmarkt beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag.
Vielen Wirtschaftsvertretern bereitet das Vorhaben Unbehagen. “Daten sind heute vielmals Grundlage von Geschäftsmodellen und somit ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Unternehmen”, sagt Binding. Der DIHK fordert in seinem Positionspapier daher, der Datenaustausch solle grundsätzlich auf Freiwilligkeit basieren. “Zugangsrechte sind nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen, wenn ein Marktversagen erwiesen ist”, sagt Binding.
Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) warnt vor negativen Konsequenzen vor allem für kleine und mittelgroße Unternehmen – gestärkt würden vor allem die etablierten Datenriesen. Die Firmen sollten “selbst entscheiden und verhandeln können, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen sie ihre Daten an Dritte weitergeben”, sagt Niels Karssen, Fachreferent für Handel und Recht im Brüssel-Büro des VDMA.
Als Beispiel nennt er die vorausschauende Wartung. Für “Predictive Maintenance” sei oft ein Datenaustausch zwischen Maschinenhersteller und Nutzer der Maschine notwendig. “In dieser bilateralen, oft von sehr spezifischen Bedingungen gekennzeichneten B2B-Beziehung sind vertragliche Abmachungen sehr gut geeignet, etwa auch, um den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen oder Details des Serviceangebots zu regeln”, sagt Karssen.
Die Banken sehen großes Potenzial im branchenübergreifenden Datentausch. “Die Datenökonomie kann nur an Fahrt aufnehmen, wenn man in der Lage ist, die Daten einem Dritten zu übermitteln und so neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen und branchenübergreifende Services stärker zu fördern”, sagt Stephan Mietke, Abteilungsdirektor beim Bankenverband. Als Beispiel nennt er die Schaffung einer Banken-Schnittstelle zu E-Commerce-Angeboten. Für diese Schnittstelle – quasi ein Button “Hole ein Finanzierungsangebot deiner Bank ein” – würden dann auch Daten vom Händler benötigt.
Mietke warnt jedoch davor, ein Ungleichgewicht entstehen zu lassen: “Es muss ein Geben und Nehmen sein, Daten müssen in beide Richtungen austauschbar sein. Dann hat jeder einen Gegenwert davon, wenn er selber investiert.” Till Hoppe/Jasmin Kohl
Die Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) hat gestern eine wichtige Hürde genommen: Der federführende Industrie-Ausschuss (ITRE) hat dem Niederländer Bart Groothuis (VVD/Renew) das Verhandlungsmandat erteilt und gemeinsame Änderungswünsche am Kommissionsvorschlag beschlossen. Damit könnten die Verhandlungen schnell beginnen. Wenn die anderen Ausschüsse sich dem Petitum des ITRE anschließen, wäre bereits ab 9. November die Aufnahme der Verhandlungen im Trilog möglich.
Berichterstatter Groothuis hat es auch eilig: “Wenn wir das vor dem Ende der französischen Präsidentschaft schaffen könnten, wäre das großartig”. Das hält er auch angesichts der Ransomware-Erpressungswelle für dringend nötig. Die Biden-Regierung habe bereits auf die Probleme reagiert, Joe Biden mit Wladimir Putin in seinem ersten Gespräch nicht ohne Grund die Cybersicherheit thematisiert. “Wir müssen schnell agieren – denn wir wollen nicht, dass Europa ein attraktiveres Ziel für Angreifer ist als andere Regionen”, sagt Groothuis.
Damit die verpflichteten Organisationen auch wirklich Maßnahmen ergreifen, soll der Strafrahmen bei wiederholten Verstößen gegen die Pflichten künftig bis zu zwei Prozent vom Umsatz oder bis zu zehn Millionen Euro betragen.
Für die Einhaltung der Pflichten sollen nach dem Willen der Europaparlamentarier die Geschäftsführer der Unternehmen verantwortlich sein. “Als letztes Mittel können Managerinnen in Führungsposition sogar temporär ihrer Verantwortung enthoben werden”, erläutert Rasmus Andresen (Grüne/EFA).
Für Bart Groothuis ist eindeutig: “Cybersecurity ist keine Nische mehr, sondern Chefsache.” Überlegungen, die technisch für IT-Sicherheit Zuständigen zur Verantwortung zu ziehen, sieht er deshalb als nicht zielführend an. An vielen Stellen gehe es vor allem um sehr einfache, aber effektive Maßnahmen wie eine Verpflichtung zur Zwei-Faktor-Authentifizierung oder zu Backups.
Kern der auch NIS2-Richtlinie genannten Revision ist ein höheres Cybersicherheitsniveau bei den Betreibern kritischer Infrastrukturen. Diese werden bereits von der alten NIS-Richtlinie und nationalen Gesetzen wie dem IT-Sicherheitsgesetz erfasst, die in weiten Teilen den Charakter von Umsetzungsgesetzen haben.
Die revidierte NIS-Richtlinie soll nach dem Willen der EP-Industriepolitiker nun aber mehr Bereiche als die alte Regelung umfassen: So sollen künftig auch Gesundheitseinrichtungen und Forschungseinrichtungen in den Anwendungsbereich fallen.
In Deutschland fallen durch das im Vorgriff auf die NIS-Revision überarbeitete IT-Sicherheitsgesetz bereits heute alle größeren und über das Patientendatenschutzgesetz dann ab 2022 alle Kliniken unter die IT-Sicherheits-Regelungen. Forschungseinrichtungen unterfallen bislang nicht generell, sondern nur in bestimmten Sektoren den deutschen Regelungen.
Ein potenzieller Streitpunkt mit dem Rat könnte in der Verpflichtung kleinerer Kommunen liegen: Innerhalb Europas sind eigenständige Kommunen teilweise sehr kleine Entitäten, denen ein höheres IT-Sicherheitsniveau durchaus praktische Umsetzungsschwierigkeiten bereiten könnte. Zugleich sind aber gerade diese in den vergangenen Monaten häufig ein leichtes Ziel von Erpressern geworden.
Zudem wollen die Industriepolitiker auch Unternehmen zu erhöhten IT-Sorgfaltspflichten verpflichten, die in Lieferketten eine kritische Rolle spielen. “Wenn erst wichtige Lieferketten, Stromversorgung oder die öffentliche Verwaltung durch einen Angriff zum Erliegen kommen, dann ist es zu spät”, sagt Angelika Niebler (CSU/EVP). Dass die Anforderungen für die Cybersicherheit jetzt erhöht würden, sei richtig. Das gelte auch für die strengeren Berichtspflichten für Unternehmen, die von schwerwiegenden Angriffen betroffen seien. “Das darf zwar nicht zu mehr Belastungen für unseren Mittelstand führen, aber auch KMU müssen Cybersicherheit mehr Aufmerksamkeit schenken”, so Niebler.
Die Parlamentarier wollen die Erstmeldung schwerer Vorfälle an die Cybersicherheitsbehörden analog zu den Datenschutzvorfallvorschriften mit einer Frist von 72 Stunden versehen. Der Kommissionsvorschlag sieht hier nur 24 Stunden vor.
Die NIS-Richtlinie gilt als ein wesentlicher Baustein der europäischen Cybersicherheitsarchitektur – leidet aber unter einem strukturellen Problem: Da der EU die Kompetenzen im Bereich der Sicherheit fehlen, Cybersicherheit aber je nach Vorfall oder nationaler Präferenz von Nachrichtendiensten, militärischen und zivilen Institutionen bearbeitet wird, kann die EU hier nur teilweise eingreifen.
Berichterstatter Bart Groothuis, über ein Jahrzehnt selbst für das niederländische Verteidigungsministerium im Bereich Cybersicherheit tätig, sieht das Problem. Er hält daher insbesondere eine Änderung durch die NIS-Revision für eine bessere Zusammenarbeit für hilfreich: Eine gemeinsame Datenbank für schwerwiegende Vorfälle und eine Sicherheitslückendatenbank sollten das Problem beheben. Die Europäische Netzwerksicherheitsagentur ENISA solle dabei “eine Art Schweiz” werden, “mit der jeder seine Informationen teilen kann, ohne dass jeder weiß, aus welcher Art von Quelle diese stammt”. Dadurch könnten etwa auch Nachrichtendienste Informationen einfacher teilen.
Einen besonders kritischen Bereich will Bart Groothuis dennoch auf keinen Fall reguliert wissen: die Domain Name System-Rootserver des Internets. Diese Zentralverwaltung der Domainnamen im Netz ist auf derzeit 13 Betreiber verteilt, von denen mit RIPE und Netnod zwei in der EU ihren Sitz haben. Von diesen Zentralservern beziehen alle Internetprovider die Übersetzung von Domainname zu IP-Adressen.
Diese Infrastruktur zu regulieren sei aus IT-Sicherheitssicht zwar eigentlich geboten, sagt Groothuis. Doch es wäre politisch falsch, in sie hineinzuregulieren – denn damit würde man China und Russland, die dies unter ganz anderen Prämissen wollten, den Weg zur Beeinflussung dieses zentralen Systems des Internets eröffnen. Weshalb zwar alle relevanten nachgeordneten DNS-Server in Europa unter die NIS fallen, die Root-Server jedoch weiterhin ausgenommen bleiben sollen.
Da die NIS-Revision auf kritische Infrastrukturen beschränkt ist, soll schon bald ein weiterer Aspekt regulatorisch adressiert werden: alle sogenannten smarten Geräte. Industrie- und Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll 2022 seinen ersten Vorschlag für einen Cyber Resilience Act (CRA) für vernetzte Geräte vorstellen. “Wir haben uns auch für eine stärkere Regulierung im Kontext der NIS2-Richtlinie eingesetzt, aber dieses horizontale Gesetz ist nicht das Allheilmittel, mit dem alle Probleme im Bereich der Cybersicherheit auf einmal behoben werden können”, sagt der Grüne Rasmus Andresen. Seine CSU-Kollegin Angelika Niebler begrüßt die CRA-Ankündigung: Ohne klare Anforderungen an die Geräte im Internet der Dinge könne dieses nicht kommen, sagt sie. “Es ist unangenehm genug, wenn jemand meinen smarten Kühlschrank hacken kann, aber, wenn wir an autonomes Fahren oder Ähnliches denken, müssen wir größten Wert auf den Aspekt Cybersicherheit legen.” Die EU sei bei dem Thema bereits weiter als die nationale Ebene.
Vor gut fünf Jahren hatte die EU mit der eIDAS-Verordnung einen rechtlichen Rahmen für die Schaffung eines vertrauenswürdigen Identifikationsrahmens im digitalen Raum geschaffen. Doch kaum eine der Verheißungen hat sich erfüllt – während private Identitätsdienstleister boomen. Federführend für das Dossier der neuen eID-Verordnung ist der Industrieausschuss ITRE, der Binnenmarktausschuss IMCO ist mitberatend – und der traf sich gestern zum ersten Meinungsaustausch.
Den Stand der Probleme fasste Norbert Sagstetter, Referatsleiter in der DG Connect, so zusammen: Zwar habe die eIDAS ein elektronisches Signaturwesen etablieren können. Dort gebe es mittlerweile 270 Anbieter von vertrauenswürdigen Dienstleistungen in der EU. Bei der eID sehe das etwas anders aus: nur 14 von 27 Mitgliedstaaten hätten überhaupt eine Notifizierung gemäß der eIDAS-Verordnung ihrer Systeme vorgenommen. Davon wiederum seien nur sieben vollständig mobil nutzbar, und auch nur die Hälfte könne grenzüberschreitend genutzt werden. Und das dann nur bei staatlichen Institutionen.
Der neue Vorschlag, so Sagstetter, sehe vor allem folgende Dinge vor: Eine eID solle kostenlos, freiwillig und für alle Dienste nutzbar sein, die eine starke Authentifizierung benötigen würden. Besonders wichtig für die Akzeptanz seien ein hohes Datenschutz– und Datensicherheitsniveau. Genau dies werde jetzt mit der eID-Verordnung angestrebt.
Die eID-Verordnung soll eine Wallet-Lösung sein: Vergleichbar den Produkten von privaten Anbietern soll darin die staatlich geprüfte ID die Basis für weitere Nutzungsarten bilden, ohne dass die Daten von anderen Anbietern ausgelesen und gespeichert werden könnten. Die Wallet soll, so der Plan, von den Mitgliedstaaten angeboten werden. Ob der Staat dafür der geeignete Softwareentwickler ist? Zumindest haben auch private Lösungen, wie zuletzt die deutsche ID-Wallet, ihre Probleme.
Man stehe noch ganz am Anfang des Prozesses, betonte IMCO-Rapporteur Andrus Ansip (Renew), der selbst als EU-Kommissionsvizepräsident für die eIDAS-Verordnung mit zuständig war. Zwar hätten etwa 100 Prozent der Bürger in Schweden, Dänemark, Finnland, Estland und Griechenland Zugriff auf eine eID. Doch wenn Schweden etwa nach Finnland reisen würden, bräuchten sie immer noch Papier.
“Wenn wir Facebook oder Google-IDs benutzen, dann schieben wir mehr Daten zu diesen Anbietern”, bemängelte Ansip. Es gebe eine große Nachfrage, er sehe aber derzeit noch viele offene Fragen und bereits heute unterschiedliche Meinungen. Etwa, ob die eID-Verordnung an Hardware-Sicherheitschips gebundene Lösungen und reine Softwarelösungen gleichbehandeln solle. Seine Präferenz ließ Ansip auch gleich durchscheinen: Man müsse sich die Frage stellen, ob man sich von Hardwareherstellern abhängig machen wolle. Estland und Litauen etwa hätten reine Softwarelösungen etabliert.
Der belgische Abgeordnete Tom Vandenkendelaere (EVP) betonte, eine kluge eID-Lösung habe das Potenzial für eine “konkrete, fühlbare Wahrnehmung des Mehrwertes der EU”. Und zwar dann, “wenn man im Ausland ein Konto eröffnet, ein Haus mietet, einen Flug bezahlt, auf einer Plattform etwas tut”. Dafür brauche es aber die gegenseitige Anerkennung der Systeme durch die Mitgliedstaaten. Ähnlich äußerte sich Adriana Maldonalo-Lopez (S&D): Die eID könne vergleichbar dem Roaming als europäisches Projekt wahrgenommen werden – wenn sie funktioniere und sicher sei.
Norbert Sagstetter wies noch einmal darauf hin, dass man mit der eID-Verordnung nur einen Rahmen schaffen könne. Es liege an den Mitgliedstaaten, diesen auch zu nutzen. Das angestrebte System für die eID sei aber ein interoperables System auf Basis gemeinsamer Standards – sodass die gegenseitige Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten nicht mehr die gleichen Schwierigkeiten habe wie in der Vergangenheit. fst
Drei Tage vor Beginn der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow hat China als dreizehntes von gut 190 Ländern seine nachgeschärften Klimaziele bei den Vereinten Nationen eingereicht – die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDC). Chinas NDCs bestehen aus den bereits bekannt gegebenen 30/60-Zielen: Höhepunkt der Treibhausgas-Emissionen vor 2030, Klimaneutralität ab 2060. Der von manchen erhoffte große Wurf Chinas vor dem Gipfel blieb also aus.
Nachgeschärft im Sinne des Pariser Klimaabkommens sind diese Ziele dennoch, denn sie gehen über jene Zielmarken hinaus, zu denen China sich bei der Unterschrift unter das Abkommen in 2015 verpflichtet hatte. Damals hatte das Land sich nur auf einen Höhepunkt “um 2030” verpflichten lassen sowie auf einen Emissionsrückgang relativ zur Wirtschaftsleistung.
Der Emissions-Höhepunkt ist nun aber bestenfalls um eine Nuance vorgezogen worden, von “um 2030” auf “vor 2030”. Das lässt China einen großen Spielraum. Zu Klimaneutralität hatte China 2015 allerdings kein Wort verloren; das 2020 abgegebene Bekenntnis zu “net zero” ist daher der größte Fortschritt. Das Ziel zur relativen Reduktion der Emissionen ist mehr oder weniger unverändert geblieben: Aus 60-65 Prozent sind inzwischen 65 Prozent geworden. Der Anteil erneuerbarer Energien soll bis 2030 auf 25 Prozent statt 20 Prozent steigen. Und das Volumen chinesischer Wälder soll um sechs Kubikmeter statt 4,5 Kubikmeter gegenüber 2005 zunehmen.
Erst vor wenigen Tagen hatte China in einem sogenannten “1+N-Rahmenplan” einige Details und Zwischenschritte für diese Ziele veröffentlicht (China.Table berichtete).Die “1” steht für den Klimaplan, das “N” für eine bestimmte Anzahl an Aktionsplänen. Einer der N-Pläne liegt bereits vor, weitere sollen folgen. China steckt mitten in einer schweren Energiekrise und betonte zuletzt allerdings auch wieder stärker das Thema Energiesicherheit.
Chinas Klimabeauftragter Xie Zhenhua ist mit seiner Delegation bereits in London zu Vorgesprächen mit den wichtigsten Klimapartnern eingetroffen. Am Mittwoch sprach er unter anderem mit EU-Umweltkommissar Frans Timmermans. Details zu dem Treffen gab es zunächst nicht, Timmermans twitterte lediglich ein Foto der Begegnung. ck
Eine künftige Ampel-Koalition könnte laut Umweltbundesamt (UBA) finanziellen Spielraum in zweistelliger Milliarden-Höhe durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen gewinnen. Die Vergünstigungen für Diesel, Vorteile bei der Dienstwagen-Steuer oder Befreiungen von Energie-Abgaben für die Industrie summierten sich 2018 auf insgesamt rund 65 Milliarden Euro, errechnete die Behörde in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Der Betrag liege wohl noch höher, wenn man Hilfen von Kommunen und Ländern mitberücksichtige. Fast die Hälfte der Subventionen entfielen auf den Verkehrssektor. Danach folgt der Energie-Bereich. “Es ist paradox, wenn der Staat mit vielen Milliarden den Klimaschutz fördert und gleichzeitig klimaschädliche Produktions- und Verhaltensweisen subventioniert”, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner.
Die Verhandler von SPD, Grünen und FDP sind auf der Suche nach finanziellem Spielraum, um die nötigen Klimaschutz-Instrumente in einer Regierung zu finanzieren. Dabei haben sie in ihrem Sondierungspapier auch die Subventionen in den Blick genommen: “Wir wollen zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen.”
UBA-Präsident Messner forderte rasches Handeln: “Beim Klimaschutz rennt uns bekanntlich die Zeit davon. Es ist daher wichtig, auch beim Abbau umweltschädlicher Subventionen schnell voranzukommen”. Diese hemmten die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte und gefährdeten Umwelt- und Klimaziele. “Aktuell werden ökonomische Anreize in gegensätzliche Richtungen gesetzt – mal für, mal gegen den Umwelt- und Klimaschutz”, kritisierte Messner. “Ein Beispiel dafür ist das unsinnige Nebeneinander von Dieselprivileg für Verbrenner und Kaufprämien für Elektroautos.“
Das UBA räumte ein, ein Subventionsabbau auf einen Schlag sei kaum möglich. Allein zwölf Milliarden Euro entfielen auf Steuervorteil für Kerosin und Flugtickets. Das sei nur auf EU-Ebene zu ändern. Auch sollten Härten für ärmere Menschen vermieden werden. Zudem sei die Höhe des Subventionsabbaus nicht identisch mit dem gewonnenen finanziellen Spielraum. Ein Kurswechsel führe zwar zu klimafreundlicherem Verhalten, könne aber auf der anderen Seite den Staat auch Einnahmen kosten. rtr
Manche Fluggesellschaften könnten einer Studie zufolge bei zu langsamer Reduktion des Treibhausgases CO₂ in den kommenden Jahren in Existenznot geraten. Davor warnte das CAPA Centre vor Aviation in einem gemeinsam mit Envest Global erstellten Bericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Der Druck von Regierungen, Investoren und Kunden könne Airlines zu mehr Tempo auf dem Weg zur CO2-Neutralität zwingen, erklärte David Wills von Envest, eine Beratung für Klimaschutzstrategien. Ansonsten riskierten sie zu scheitern. Die internationale Luftfahrt hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Investoren wie BlackRock, Vanguard Group Inc oder State Street Corp hätten Bedenken zum Thema Klimaschutz und könnten mehr Engagement fordern. Einige Unternehmen wie die Bank HSBC, die Zurich Insurance oder der Finanzdienstleister S&P Global wollen die CO2-Emissionen von Geschäftsreisen in naher Zukunft um bis zu 70 Prozent senken. Capa und Envest werteten die CO2-Emissionen von 52 Fluggesellschaften in den Jahren 2019 und 2020 aus.
Das Viertel mit den höchsten Emissionen stieß demnach 30 Prozent mehr Klimagas pro geflogenem Kilometer aus als das mit den niedrigsten. Die Billigairlines Wizz Air und Ryanair waren unter den drei Besten. Den höchsten Ausstoß hatten Croatian Airlines, Turkish Airlines und Japan Airlines. Die Lufthansa-Gruppe und Air France lagen im Mittelfeld. Gesellschaften mit niedrigerem CO2-Ausstoß haben jüngere Flotten mit sparsameren Flugzeugen – so sind die Maschinen des ungarischen Billigfliegers Wizz keine fünf Jahre alt, die der Lufthansa aber zwölf.
Neue, verbrauchsärmere Flugzeuge sind derzeit der größte Hebel beim Abbau von CO2-Emissionen. Denn die Produktion von klimafreundlichen synthetischen Kraftstoffen steckt noch in den Kinderschuhen, sodass sie viel teurer sind als Kerosin. Wegen hoher Nachfrage will der europäische Flugzeugbauer Airbus die Produktion seines Mittelstreckenflugzeugs A320/A321 in den nächsten Jahren kräftig hochfahren. Doch Zulieferer warnen, sie könnten damit nicht Schritt halten. rtr
Seit Jahren haben wir am Rocky Mountain Institute (RMI) argumentiert, dass der Übergang zu sauberer Energie weniger kosten und schneller ablaufen würde als von Regierungen, Unternehmen und vielen Analysten erwartet. In den letzten Jahren hat sich diese Sicht uneingeschränkt bestätigt: Die Kosten für erneuerbare Energien sind konsequent schneller gesunken als erwartet, während ihre Einführung schneller verlaufen ist als prognostiziert – was die Kosten weiter reduziert hat.
Dank dieses Tugendkreises haben die erneuerbaren Energien den Durchbruch geschafft. Und jetzt haben neue Analysen zweier maßgeblicher Forschungsinstitute den Berg von Daten weiter erhöht, die zeigen, dass eine rasche Umstellung auf saubere Energien der kostengünstigste Weg voran ist.
Politiker, Wirtschaftsführer und Finanzinstitute müssen den vielversprechenden Implikationen dieser Entwicklung dringend Rechnung tragen. Angesichts der UN-Klimakonferenz in Glasgow ist es wichtig, dass die weltweiten Regierungen begreifen, dass es beim Erreichen des Erwärmungsziels des Pariser Klima-Abkommens von 1,5 Grad nicht darum geht, Opfer zu bringen; es geht darum, Chancen zu ergreifen. Der Verhandlungsprozess muss neu gefasst werden, sodass es weniger um Lastenteilung geht und mehr um einen lukrativen Wettlauf beim Einsatz saubererer, preiswerterer Energietechnologien.
Man kann nur vermuten, warum die Prognostiker die sinkenden Kosten und das sich beschleunigende Tempo der Einführung erneuerbarer Energien jahrzehntelang unterschätzt haben. Doch die Folgen sind klar: Ihre schlechten Prognosen haben billionenschwere Investitionen in eine Energieinfrastruktur untermauert, die nicht nur teurer ist, sondern auch schädlicher für die Menschheit und alles Leben auf dem Planeten.
Dies ist unsere womöglich letzte Chance, ein Jahrzehnt verpasster Chancen auszugleichen. Entweder wir verschwenden auch weiterhin Billionen auf ein System, das dabei ist, uns umzubringen. Oder wir stellen rasch auf die preiswerteren, saubereren und fortschrittlicheren Energielösungen der Zukunft um.
Neue Studien werfen ein Licht darauf, wie eine rasche Umstellung auf saubere Energien funktionieren würde. Im Bericht der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) The Renewable Spring zeigt Leitautor Kingsmill Bond, dass erneuerbare Energien derselben exponentiellen Wachstumskurve folgen wie frühere technologische Revolutionen und dabei auf vorhersehbaren und hinlänglich bekannten Verlaufsmustern aufbauen.
Entsprechend weist Bond darauf hin, dass die Energiewende weiter Kapital anlocken und eine Eigendynamik entwickeln wird. Doch kann und sollte man diesen Prozess unterstützen, um sicherzustellen, dass er schnellstmöglich abläuft. Politiker, die den Wandel vorantreiben möchten, müssen ein Umfeld schaffen, dass einen optimalen Kapitalfluss unterstützt.
Die derzeitigen Signale aus den Finanzmärkten zeigen, dass wir uns in der ersten Phase einer vorhersehbaren Transformation des Energiesystems befinden, in der sich neue Energiesektoren spektakulär überdurchschnittlich entwickeln und der Fossilbrennstoffsektor eine Herabstufung erlebt. Dies ist der Punkt, an dem kluge Politiker auf den Plan treten können, um den notwendigen institutionellen Rahmen zur Beschleunigung der Energiewende und zur Realisierung des wirtschaftlichen Nutzens der Errichtung lokaler Lieferketten für saubere Energien zu schaffen.
Bestätigt werden die Erkenntnisse aus dem IRENA-Bericht durch eine aktuelle Analyse des Institute for New Economic Thinking (INET) an der Oxford Martin School. Diese zeigt, dass eine rasche Umstellung auf saubere Energielösungen Billionen von Dollar einsparen und zugleich die Welt auf Kurs für das Ziel von 1,5 Grad aus dem Pariser Vertrag halten wird. Eine langsamere Einführung wäre finanziell kostspieliger als eine schnellere und hätte deutlich höhere Klimakosten durch vermeidbare Katastrophen und sich verschlechternde Lebensbedingungen zur Folge.
Aufgrund der Kraft des exponentiellen Wachstums ist eine schnellere Umstellung auf erneuerbare Energien ohne Weiteres machbar. Der INET-Bericht aus Oxford stellt fest, dass, wenn sich die exponentiellen Wachstumstrends bei Solar- und Windenergie, Batterien und Wasserstoff-Elektrolyseuren noch ein weiteres Jahrzehnt fortsetzen, die Welt auf bestem Wege ist, innerhalb von 25 Jahren eine netto emissionsfreie Stromerzeugung zu erreichen.
In seiner Reaktion auf die INET-Studie verweist Bill McKibben (350.org) darauf, dass die Kosten für fossile Brennstoffe nicht fallen werden. Zudem würden alle Fortschritte auf der technologischen Lernkurve bei Öl und Gas dadurch aufgewogen, dass die leicht erschließbaren weltweiten Vorkommen bereits ausgebeutet sind. Er warnt deshalb, dass, eben weil Sonne und Wind den Verbrauchern Geld sparen, die Fossilbrennstoffindustrie weiterhin versuchen wird, die Umstellung zu verzögern, um ihre eigenen Verluste zu verringern.
Wir dürfen keine weiteren Verzögerungen zulassen. Es ist im Vorfeld der COP26 unverzichtbar, dass die Regierungen begreifen, dass wir bereits über sauberere, preiswertere, unmittelbar einsatzbereite Energielösungen verfügen. Es geht beim Erreichen des Ziels von 1,5 Grad nicht darum, Opfer zu bringen, sondern darum, Chancen zu ergreifen. Wenn wir jetzt tätig werden, können wir Billionen Dollar sparen und die klimatischen Verheerungen vermeiden, die andernfalls unsere Kinder und Enkel heimsuchen werden.
Aus dem Englischen von Jan Doolan. In Kooperation mit Project Syndicate, 2021.
Alle sechs Monate gehen in den Pressestellen von EU-Kommission und Rat zahlreiche Anfragen von Journalisten ein, ob es denn Neuigkeiten bei diesem einen, ganz bestimmten Thema gäbe. Auch jetzt wieder: Am Sonntag wird die Zeit umgestellt. Um drei Uhr in der Nacht springt die Uhr zurück auf zwei Uhr. Das Bundeswirtschaftsministerium gibt aus diesem Anlass gar eine Pressemitteilung heraus.
Dabei sollte die Zeitumstellung doch längst abgeschafft sein. Schon im September 2018 schlug die Kommission ein Ende der halbjährlichen Zeitumstellung vor, als Resultat der Bitten einiger Mitgliedstaaten und einer öffentlichen Konsultation. Das Parlament unterstützte den Vorschlag. Und so wurde – ganz im Sinne der Subsidiarität – die Entscheidung den Mitgliedstaaten überlassen, welche Zeit sie beibehalten wollen: Sommer- oder Winterzeit.
Und dort liege das Vorhaben seither, erwidert ein Kommissionssprecher, vermutlich leicht genervt, auf die seit zwei Jahren immer gleiche Anfrage, bei der sich nichts, aber auch gar nichts getan hat. Er freue sich jedoch darauf, am Wochenende etwas länger schlafen zu können, fügt er hinzu …, wenn seine Kinder es denn zuließen. Lukas Scheid