Climate.Table Thema des Tages Treibhausgase

SF6: Offene Fragen um das Leck von Deutschlands aggressivstem Treibhausgas

In Baden-Württemberg gelangt das Treibhausgas SF6 in großen Mengen unkontrolliert in die Atmosphäre. Alles deutet auf ein Leck bei der Chemiefirma Solvay hin, die gegen Auflagen klagt. Die Behörden wollen diese durchsetzen und die Regeln überprüfen.

09. Dezember 2025
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Der Warnhinweis ist deutlich: Das aggressivste Treibhausgas der Welt. (IMAGO / Depositphotos)

Das Rätsel um massive ungeklärte Emission des klimaschädlichsten Stoffes SF6 führt zu einer Konfrontation des baden-württembergischen Umweltministeriums mit dem belgischen Chemieunternehmen Solvay. Auf das mögliche Leck von Schwefelhexafluorid (SF6) in einer Solvay-Anlage in Südwestdeutschland hat das Ministerium am Montag mit der Anordnung von Sofortvollzug von Sicherungsmaßnahmen reagiert. Zuvor hatte die Firma Klage gegen eine solche Anordnung erhoben. Unklar ist bislang, ob und wie sich eine so große ungeklärte Emission von Treibhausgasen auf die offizielle deutsche Emissionsbilanz auswirkt.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass die überhöhten Messwerte von SF6 mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer Anlage des Chemiekonzerns Solvay in Bad Wimpfen bei Heilbronn stammen. Genehmigt sind Emissionen von etwa 56 Kilogramm von SF6. Die nun gemessenen 30 Tonnen dagegen entsprechen etwa 720.000 Tonnen CO₂-Äquivalent und damit etwa ein Promille der deutschen Gesamtemissionen an Treibhausgasen. Solvay hatte erst im Herbst bekanntgegeben, die umstrittene Einleitung der „Ewigkeitschemikalie“ TFA am gleichen Standort in den Neckar einzustellen.

Umweltgruppen forderten ein komplettes Ende der SF6-Emissionen aus der Anlage. Die DUH verlangte, die Freisetzungen müssten ausgesetzt werden und forderte Akteneinsicht an. Das Umweltinstitut München projizierte am Wochenende auf die Solvay-Anlagen in Bad Wimpfen den Slogan „Solvay, noch ganz dicht?“. In einem offenen Brief forderte die Organisation vom Umweltministerium Transparenz, unabhängige Messungen und ein temporäres Emissionsverbot.

Eine Stilllegung der Anlage komme aber nach geltendem Emissionsschutzrecht nicht in Betracht, so die Auffassung des Umweltministeriums in Stuttgart. Denn die Daten legten zwar den starken Verdacht nahe, dass das Werk die Ursache für die Emissionen ist, denn in der Region gibt es keine andere bekannte SF6-Produktionsstätte. Aber Indizien reichten dafür nicht aus. Aus dem Ministerium heißt es, man müsse die Ergebnisse einer Messung von Anfang November abwarten; diese sollen im Januar vorliegen.

Die baden-württembergische Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) bedauerte, „dass die Firma nach Monaten der Zusammenarbeit mit den Behörden und der Universität Frankfurt nun auf eine juristische Auseinandersetzung geht“. Aktuelle Messungen vor Ort deuteten darauf hin, dass die Emissionen durch die zwischenzeitlich getroffenen Anpassungen an der Anlage deutlich gesunken sind, teilte die Ministerin mit. Sie lägen aber noch immer noch deutlich zu hoch und müssten weiter reduziert werden. „Da darf es im Interesse des Klimaschutzes keine Verzögerungen geben“, erklärte Walker. Auch kündigte sie an, beim Bund und in der EU „die Verfahren zur Überwachung von nicht akut, aber langfristig gefährlichen Emissionen aufzuarbeiten“.

Die belgische Firmenzentrale von Solvay erklärte auf Anfrage von Table.Briefings, das Unternehmen „überprüft regelmäßig unsere Anlagen und Prozesse“ und habe „zusätzliche Maßnahmen eingeleitet und die zuständigen Behörden informiert“. Man stehe zu seiner Verantwortung zu Umwelt- und Klimaschutz und führe „alle notwendigen Maßnahmen durch“.

Über die erhöhten Emissionen hatte vorige Woche zuerst der Spiegel berichtet. Er bezog sich auf eine neue Studie der Universität Frankfurt in Zusammenarbeit mit der University of Bristol im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA). Demnach registriert eine Messstation im Taunus schon seit einigen Jahren extrem hohe Werte von SF6. Mit einem neuen Verfahren konnten die Ausgasungen nun der Region im Norden von Baden-Württemberg zugeordnet werden. Die Mengen an Treibhausgasen liegen so hoch, dass die bisher bekannten Verursacher (Ausdünstungen aus alten Schallschutzfenstern oder Turnschuhen) nicht in Betracht kommen.

Nach Alarmierung der Umweltbehörden durch die Universität Frankfurt reagierte das Unternehmen. Die Fabrik in Bad Wimpfen begann nach Behördeninformationen im Mai 2024, ihre Produktionsschritte zu testen und zu sichern. Das habe bereits dazu geführt, die Emissionen bis Herbst 2025 um vier Fünftel zu verringern, teilte das Ministerium mit. Dennoch lägen die Werte immer zehnmal so hoch wie vorgesehen. Die Behörden haben der Firma inzwischen Auflagen gemacht, etwa eine Überprüfung von Anlagen und Ventilen, eine eigene Überwachung der Emissionen und einen Test der Abluftanlage. Gegen diese Anordnungen habe Solvay nun Rechtsmittel eingelegt.

SF6 ist ein extrem klimaschädliches Gas, das unsichtbar und geruchlos ist. Es wird heute vor allem in elektrischen Schaltkästen und bei der Produktion von Computerchips eingesetzt. In der Vergangenheit wurde das Gas, das etwa 24.000-mal so klimaschädlich ist wie CO₂, auch in der Produktion von Schallschutzfenstern und als Aufschäummittel für die Sohlen von Turnschuhen eingesetzt. Die gesamten bekannten SF6-Emissionen Deutschlands wurden seit 2019 von 175 Tonnen praktisch halbiert. Weltweit größter Verschmutzer mit dem klimaschädlichen Gas ist China mit etwa 5.000 Tonnen jährlich.

Letzte Aktualisierung: 11. Dezember 2025