Table.Briefing: Climate

COP27-Ergebnisse + Loss and Damage-Kompromiss + Vier Aufgaben für 2023

  • Was auf der COP27 beschlossen wurde
  • Loss and Damage: Erst ignoriert, dann gefeiert
  • Vier Klima-Aufgaben für 2023
  • Sharm el Sheikh: Geopolitik dominierte die Klimapolitik
  • Energiecharta: EU will Modernisierung verschieben
Liebe Leserin, lieber Leser,

mit dem traditionellen Hammerschlag hat Sameh Shoukry heute Morgen um 9.30 Uhr in Sharm el Sheikh die zweitlängste Klimakonferenz beendet. Europa konnte seine guten Vorschläge nicht in die Abschlussdokumente bringen. Die Forderungen der EU wollten in den Verhandlungen der letzten Tage und Stunden nicht wirklich verfangen. Vor allem nicht bei denen, die laut EU-Verhandlern am meisten von diesen Vorschlägen profitieren würden: Die Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder.

Die Diskussionen um “Loss & Damage” haben in den vergangenen zwei Wochen gezeigt, woran es Europa mangelt: politische Schlagkraft. Statt den G77/China-Block mit dem europäischen Kompromissvorschlag aufzubrechen, hat sich gezeigt, wie isoliert die EU in der Klimapolitik ist. Es dauerte Tage, bis sich die ersten Vertreter von Inselstaaten an der Seite Europas zeigten. Bernhard Pötter analysiert, wie es schließlich zu einer Einigung bei Loss and Damage kam.

Es fehlt insbesondere das notwendige Vertrauen in die europäischen Partner, um neue Allianzen zu schmieden. Die besonders vulnerablen Staaten sind skeptisch ob der großen Ankündigungen Europas, nun doch Gelder bereitstellen zu wollen. Sie wissen, dass Europa im geopolitischen Klimakosmos oft allein dasteht. Alexandra Endres und Bernhard Pötter erläutern die verschiedenen Positionen der Länder im Laufe dieser COP.

Am Ende der COP27 zeigte sich die europäische Schwäche erneut. Die EU hatte vorher viel politisches Kapital in das Arbeitsprogramm für einen Minderungspfad von Treibhausgasen (Mitigation Work Programme) investiert. Das Ergebnis ist kaum der Rede wert, wie wir in unserer Analyse zu den COP-Ergebnissen zeigen.

Nach den ereignisreichen COP-Wochen erscheint am Donnerstag die nächste Ausgabe des Climate.Table.

Herzliche Grüße aus Sharm el-Sheikh

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Historisch bis enttäuschend: die Beschlüsse von Sharm el Sheikh

Deutschlands Chef-Verhandlerinnen: Jennifer Morgan (links) und Annalena Baerbock während der Abschluss-Plenarsitzung der COP27.

Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.

Loss & Damage: Historische Einigung

Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:

  • Einen neuen Fonds für besonders gefährdete Entwicklungsländer
  • Weitere Finanzierungsmaßnahmen über den Fonds hinaus
  • Neue zusätzliche finanzielle Mittel aus unterschiedlichen Quellen, darunter auch die Weltbank und der internationale Währungsfonds
  • Die Einrichtung eines Übergangsausschusses, der bis zur COP28 Details klären und Vorschläge machen soll

In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.

Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.

Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.

Mitigation Work Programme: 1,5 Grad-Ziel wackelt

Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.

Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:

  • Läuft bis 2026 mit Option zur Verlängerung
  • Fordert Länder auf, ihre nationalen Klimaziele nach 1,5-Grad-Pfad auszurichten
  • Legt die sektorale Betrachtung der THG-Minderung (gemäß IPCC-Report) fest
  • Fordert eine jährliche Berichterstattung auf der COP über Fortschritte
  • Fordert Finanzmittel für Just Energy Transition Partnerships (JETPs)

Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei auch noch weniger ambitionierte Vorgaben wären möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No-Go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.

Cover Decision: Shoukrys Vermächtnis

Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.

In der Mantelentscheidung steht:

  • Auslaufen der Kohlekraft ohne CO2-Abscheidung und Spreicherung (wie Glasgow)
  • Abschaffung “ineffizienter” Subventionen für fossile Brennstoffe (wie Glasgow)
  • Reduzierung der globalen Emissionen um mindestens 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2019
  • saubere und gerechte Umstellung auf erneuerbare Energien
  • Ausbau von “emissionsarmen und erneuerbaren” Energien

Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.

Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plans”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:

  • Kein Emissionspeak 2025 (EU-Forderung)
  • Kein Satz zu Methan
  • Kein Fossil Phase-out/down

Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch der COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.

  • Annalena Baerbock
  • China
  • COP27
  • EU
  • Klimapolitik
  • Klimaschutz
  • Loss and Damage
  • Mitigation

Loss and Damage: Erst ignoriert, dann abgelehnt, schließlich gefeiert

“Verluste und Schäden” durch den Klimawandel haben stark zugenommen. Was lange bekannt war, wurde fast ebenso lange von der offiziellen Klimapolitik ignoriert. Vor allem in der letzten Zeit aber ist das Bewusstsein für das Problem enorm gestiegen: Rekordhitze und Indien und Pakistan, Überschwemmungen in Nigeria, die Dürre am Horn von Afrika, die Flutkatastrophe in Pakistan – und nicht zuletzt die verheerende Flut im Ahrtal letztes Jahr. Das bereitete den Hintergrund für den COP27-Beschluss für einen neuen Fonds. Der Weg dahin war weit und verschlungen.

Langer Vorlauf zu Loss and Damage

  • Schon bei der COP26 in Glasgow war klar: Loss and Damage würde die nächste Konferenz dominieren. Schottland war das erste Industrieland, das Geld dafür versprach – zwei Millionen britische Pfund und das hatte einen hohen Symbolwert. Denn bisher hatte der globale Norden das stets abgelehnt – aus Angst vor hohen Forderungen, aber auch vor Schadensersatz-Prozessen. Im “Glasgow Dialog” sollte klar werden, dass es um Geld gehen werde, nicht nur um Gerede.
  • Bei der Bonner “Zwischenkonferenz” im Juni war das Thema aktuell. Der Druck wurde stark, das Thema als “Agenda-Item” tatsächlich auf die Tagesordnung von Sharm el Sheikh zu setzen.
  • Beim Petersberger Klimadialog im Juli war es Gastgeber Deutschland, das “Loss and Damage Finance”, wie es offiziell heißt, zum Thema machte. In dem informellen Gesprächsformat wurden rote Linien ausgelotet.
  • Die sahen noch im Sommer so auf: Die EU wollte keinen Fonds, sondern ein “Mosaik” aus verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten. Das “Global Shield“, eine deutsche Idee in der G7 (Climate.Table berichtete), soll verwundbaren Ländern schnelle Hilfen bei Klimaschäden zusichern. Auf der COP wurde das Programm gestartet, sollte aber offiziell keine Konkurrenz zu L&D sein.

USA skeptisch, doch L&D wird Agenda-Item

  • Die USA wiederum sind traditionell skeptisch bei Klimageldern für das Ausland, auch wenn ihr fairer Anteil daran statt elf etwa 40 Milliarden Dollar im Jahr betragen müsste. Klimazar John Kerry warnte mehrfach, amerikanisches Steuergeld für den L&D-Fonds werde es nicht geben. Stattdessen präsentierte er auf der COP einen Mechanismus ETA, mit dem Unternehmen über den privaten Markt für CO2-Emissionen Milliardenbeträge in die Länder des globalen Südens bringen könnten (Climate.Table berichtete).
  • Im Sommer wurde die deutsche Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan zusammen mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas von der COP-Präsidentschaft damit betraut, als “Facilitator” in diesem schwierigen Bereich in den Verhandlungen zu vermitteln.
  • Kurz vor der COP entschieden die Staaten, Loss and Damage tatsächlich zu einem “Agenda-Item” zu machen und damit auf die offizielle Tagesordnung zu setzen. Das sorgte für gute Stimmung am Beginn und erhöhte die Sichtbarkeit des Themas. Sieben andere Themen fielen dafür unter den Tisch – auch die Umleitung aller Finanzflüsse in die globale Transformation laut Pariser Abkommen. Damit machte die EU, der dieser Punkt sehr wichtig ist, ein weiteres Zugeständnis.

Der Verhandlungsprozess in Ägypten

  • Kurz nach Beginn der Konferenz sorgte der Vorsitzende der AOSIS-Gruppe, Gaston Browne, für Aufsehen: Er forderte, auch China solle sich in Zukunft an der Finanzierung der Klimapolitik beteiligen. Von einem Mitglied der G77/China-Gruppe war das ein Ausrufezeichen. Browne ruderte zurück. Das Zeichen war trotzdem gesetzt.
  • Mitte der ersten Woche tagten die G20 auf Bali. Von dort kam Rückendwind für die Klimapolitik – und die Erwartung, beim L&D-Fonds in Sharm el Sheikh “Fortschritt zu machen”.
  • Montag der zweiten Woche gab es ein Geheimtreffen der “High Ambition Coalition” in einem Hotel von Ministern aus EU, Inselstaaten und den am wenigsten entwickelten Ländern. Das Treffen sollte ein Statement der Minister hervorbringen, heißt es von Beobachtern. Das aber kam nicht zustande, auch weil die EU sich beim Fonds nicht genug bewegte. Das Treffen endete enttäuschend.
  • Am nächsten Tag legten die G77/China offiziell ihre Maximalforderungen für den Fonds vor: Einzahlen sollten nur die Industrieländer, profitieren alle Entwicklungsländer, die Entscheidungen sollten bei den Entwicklungsländern liegen. Ein inakzeptabler Vorstoß (Climate.Table berichtete).
  • Mittwoch kam als deutsche Verhandlungsführerin Außenministerin Annalena Baerbock zur Konferenz. Zu einer schnellen Entscheidung für einen Fonds war sie skeptisch: “Diese Konferenz ist vielleicht nicht der richtige Ort, darüber zu entscheiden”, sagte sie.

EU präsentiert Kompromiss-Vorschlag

  • Donnerstagabend allerdings entschied sich die EU dafür, ihre Position zu ändern. Klima-Kommissar Frans Timmermans erklärte im Plenum, man strebe einen Fonds an (Climate.Table berichtete). Allerdings unter Bedingungen: Geld nur für die verwundbarsten Länder, Finanzmitteln von einer “breiteren Grundlage” – also perspektivisch auch von den Ölstaaten und China. Und es solle Fortschritte beim “Arbeitsprogramm” zum Klimaschutz bis 2030 geben, fordern die Europäer. “Das ist das finale Angebot”, so Timmermans.
  • Was die EU erhofft, passierte nicht: Am Freitag, dem letzten Tag der Konferenz, traute sich kein wichtiges Land der G77 aus der Deckung, um den EU-Vorschlag offiziell zu begrüßen. Frust breitet sich in der EU-Delegation aus.
  • Freitag früh machte ein seltsames Papier die Runde: In ihm schlagen die USA, Großbritannien, Australien und die EU offenbar eine abgeschwächte Form des EU-Vorschlags vor. Aber die EU und auch Australien erklären, sie hätten diesem Vorschlag nie zugestimmt. Wie die EU in den Briefkopf des Schreibens geraten ist, bleibt auf der Konferenz ungeklärt.

COP-Präsidentschaft mit eigenen Ideen

  • Samstag erschien der erste Textentwurf von der COP-Präsidentschaft. Er war in Sachen L&D-Fonds für die EU inakzeptabel: Alle roten Linien waren darin ausradiert: Statt den verwundbarsten Ländern soll das Geld allen Entwicklungsländern zur Verfügung stehen. Statt der Ausweitung der Gebergruppe war nur von einer “weiten und ausgedehnten Variation” von Geldern die Rede. “Diesem Text können wir nicht zustimmen”, sagte die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler noch am späten Samstagabend.
  • Die EU spielte intern durch, wie ein Scheitern aussehe – und wer am Ende den Schaden hätte, wenn die Konferenz und der Fonds scheitern. Will die EU schuld daran sein, eine solche dringend nötige Hilfe für die Ärmsten der Armen zu torpedieren? Und: Wird bei der nächsten COP das Zeitfenster dafür immer noch offen sein?
  • Samstagabend: Die “High Ambition Coalition” findet sich zu einer Erklärung zusammen: Vertreter unter anderem aus der EU, Norwegen, Chile, Malediven, Kolumbien stellen sich hinter die EU und ihre Forderungen nach einem Fonds.
  • Nach langem und heftigen Protesten und Verhandlungen enthält die Schlussfassung für die EU annehmbare Positionen. Der Fonds wird beschlossen.
  • Pakistans Klimaministerin Sherry Rehman zog ein positives Fazit: “Wir haben 30 Jahre lang auf diesem Weg gekämpft und heute in Sharm el-Sheikh hat diese Reise ihren ersten positiven Meilenstein erreicht. Es ist eine Anzahlung und eine Investition in die Klimagerechtigkeit”.
  • COP27
  • Loss and Damage

Vier Klima-Aufgaben für 2023

Der Abschied von fossiler Energie

Die Menschheit befindet sich auf einem Weg in Richtung 2,7 Grad – daran konnte auch diese COP nichts ändern. Neue NDCs gab es kaum. Und das Mitigation Work Programme, das die Europäische Union in Sharm el Sheikh voranbringen wollte, blieb am Ende mau. Das Programm sollte einen Prozess festlegen, in dem die Industrieländer ihre Klimaziele nach und nach verschärfen würden, im Austausch zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und mit jährlichen Überprüfungen. Doch die EU konnte sich damit nicht durchsetzen.

Auch der schrittweise Abschied von allen fossilen Energieträgern statt nur von der Kohle, wie in Glasgow vereinbart, blieb nicht im Abschlussdokument, obwohl viele Länder das forderten. Der Verweis auf die Klimawissenschaft und die 1,5-Grad-Schwelle blieb schwach. Im kommenden Jahr wird es darauf ankommen, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft mit umso mehr Nachdruck zu verfolgen.

Weltweite Finanzströme umleiten

Es ist ein bislang zu wenig beachtetes Ziel des Pariser Vertrags: Artikel 2(1)c fordert, die Finanzflüsse weltweit mit den Klimazielen in Einklang zu bringen – also beispielsweise Investitionen weg von fossiler Energie hin zu klimafreundlichen Technologien zu leiten und auch staatliche Subventionen für Fossile zu überprüfen. Das Thema schaffte es nicht auf die Agenda.

Trotzdem gab es auf der COP27 Gespräche über die Reform von Entwicklungsbanken, der Weltbank und dem Weltwährungsfonds, etwa anhand der Bridgetown Initiative der Präsidentin von Barbados, Mia Mottley. Die französische Klimadiplomatin Laurence Tubiana, eine Architektin des Pariser Vertrags, stellte auf dem Gipfel “Schwung für die Forderung” fest, “die Weltbank und den Weltwährungsfonds zu reformieren, um sie nicht nur fairer für die Verwundbaren zu machen, sondern auch so, dass sie erneuerbare Energien sinnvoll unterstützen”.

Mottley wird sicherlich weiter hinter den Kulissen für ihre Initiative werben. Die Frühjahrstagung von Weltwährungsfonds und Weltbank im kommenden April könnte ein Anlass sein, auch offiziell weiter über die Umlenkung der globalen Finanzströme zu sprechen.

Finanzmechanismen für Loss and Damage

Es gibt nun einen Fonds, aus dem Ausgleichszahlungen für Loss and Damage beglichen werden sollen. Wie er ausgestaltet werden soll, ist die große Frage, die auch den nächsten Klimagipfel prägen dürfte – und die Arbeitstagungen, die zwischen beiden COPs im Rahmen der UNFCCC stattfinden. Eng damit verbunden ist aber eine viel größere Frage:

Welchen Status hat China?

Es ist ein alter Streit in den internationalen Klimaverhandlungen. Bis das Pariser Abkommen geschlossen wurde, verweigerte sich China jeder Verpflichtung (Climate.Table berichtete), Emissionen im eigenen Land zu senken. Stattdessen verwies es gemeinsam mit anderen Schwellenländern auf die historisch gewachsene Pflicht der Industriestaaten. Durch den Pariser Klimavertrag wurde die Front zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen.

Auf der COP27 trat sie wieder klar zutage: China – inzwischen eine Großmacht und der größte Emittent der Welt – beharrte auf seinem Status als Entwicklungsland im Rahmen des UNFCCC-Prozesses. Für die Verhandlungen über die Loss-and-Damage-Ausgleiche hatte das konkrete Folgen: China weigerte sich, in einen Fonds einzuzahlen. Stattdessen wollte das Land die Chance erhalten, künftig einmal selbst Ausgleichszahlungen zu erhalten.

Um die technischen Detailfragen zum Loss-and-Damage-Fonds und den Finanzmechanismen, die um ihn herum gebaut werden sollen, kümmert sich jetzt eine neue Arbeitsgruppe. Das Machtstreben Chinas aber dürfte auch die Klimapolitik der nächsten Jahre prägen. Alexandra Endres/Bernhard Pötter

  • Bridgetown-Initiative
  • China
  • COP27
  • COP28
  • Dekarbonisierung
  • Klimapolitik
  • Klimaschutz

Geopolitik dominierte die Klimapolitik

Nach einer Nachtschicht und 37 Stunden später als ursprünglich geplant endete die COP27 und den Delegierten gelang in Sharm el-Sheikh doch noch eine Einigung. Vorausgegangen waren harte diplomatische Auseinandersetzungen. Noch am Vortag hatte die Europäische Union damit gedroht, die Verhandlungen abzubrechen und so die ganze Konferenz platzen zu lassen. Mehrere Delegationen zogen rote Linien. Für eine kurze Zeit stand der Gipfel auf der Kippe.

Russlands Zurückhaltung

Schuld war die Geopolitik – aber anders als gedacht. Die sichtbarste Konfliktlinie war die zwischen den alten Industriestaaten, die sich in manchen Fragen mit den besonders vulnerablen Ländern verbündeten, und China, das teilweise im Verbund mit Ölstaaten wie Saudi-Arabien agierte.

Vor der COP schien es, als würde der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Gespräche erschweren. Auch der Konflikt zwischen China und den USA, die wegen der Spannungen um Taiwan im Sommer ihre Klimagespräche ausgesetzt hatten, hätte die COP belasten können. Beide Spannungsherde spielten aber in Sharm el-Sheikh kaum eine Rolle. Russland trat während des gesamten Gipfels kaum in Erscheinung. Stattdessen brach ein anderer Konflikt auf: der

China: Muss der größte CO2-Emittent zahlen?

Zunächst ging es um eine Frage, die schon seit Jahrzehnten ungelöst über den Klimagipfeln hängt: Welche Verpflichtung zum Klimaschutz und zur Bewältigung seiner Folgen muss China eingehen? Vor sieben Jahren war es ein großer Erfolg, dass auch China im Pariser Klimaabkommen zustimmte, dass alle Länder langfristig ihre Emissionen senken müssen. In Sharm el-Sheikh begann jetzt hinter den Kulissen die Debatte darum, ob sich China langfristig als Supermacht bei Wirtschaft und Klima weiter aus Verpflichtungen zur Finanzierung von Klimahilfen heraushalten kann.

Ein zweiter Grundsatzstreit entflammte über fossile Energieträger. Die Ölstaaten nahmen den Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise zum Anlass, sich für eine Renaissance von Öl, Kohle und Gas einzusetzen. Am Ende wurde ihr Angriff abgewehrt. Aber er führte dazu, dass Fortschritte im Bereich der Emissionsreduktion ausblieben.

So verhandelten die einzelnen Blöcke auf der COP:

  • Die EU hatte einen großen Plan: Als Klima-Supermacht auftreten und China und den USA die Stirn bieten. Doch der Überraschungscoup am vorletzten Konferenztag gelang nur halb. Die EU hatte angeboten, einen Loss-and-Damage-Fonds (L&D) zu akzeptieren und daran Bedingungen geknüpft: Das Geld nur für die Verwundbarsten zu reservieren, mehr ernsthaften Klimaschutz zu bekommen und gleichzeitig China und die Ölländer zur Finanzierung kommender Aufgaben zu drängen – nun kommt der Fonds und die Forderungen stehen nur stark abgeschwächt im Beschluss.
  • Die USA hatten auf der COP27 nur eine Nebenrolle. Die Konferenz atmete auf, als sich herausstellte, dass die Demokraten bei den “Midterms” den Senat halten konnten. Präsident Biden kam und erklärte die USA zum Klimaschutz-Vorreiter, hatte aber außer dem heimischen 369-Milliardenprogramm für Infrastruktur nichts anzubieten, was eine solche Rolle rechtfertigen würde. Das reichste Land der Welt erklärte wiederholt, es habe kein Geld für internationale Klimaprogramme und lehne einen L&D-Fonds ab. Immerhin reden die USA und China wieder offiziell über das Klima. Eine befürchtete Koalition der Bremser zeigte sich aber bei ihnen nicht. Den US-Schwung bremste vielleicht auch, dass Klima-Zar John Kerry zum Ende der Konferenz isoliert wurde – er war positiv auf Covid getestet worden.
  • Auch China hielt sich mit öffentlichen Auftritten zurück. In den Sitzungen achtete das Land mit seinen Alliierten allerdings sorgfältig darauf, dass die COP nicht zu viel Ehrgeiz entwickelte. Den Angriff der EU, deren Fondsvorschlag die Gruppe G77/China in ärmere Staaten, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, und reiche “große Emittenten” spalten sollte, wehrte Peking erst einmal ab. “Hier stand nichts auf der Tagesordnung, was chinesische Interessen wirklich betroffen hätte”, so Greenpeace-Experte Li Shuo. “Der EU-Vorstoß war nur politisch und fand sich kaum in den Verhandlungstexten wieder”. Zu laut waren die Chinesen aber auch nicht: Immerhin leitet China Anfang Dezember selbst als Präsidentschaft eine COP – die Biodiversitäts-Konferenz in Montreal.
  • Die Öl- und Gasländer wollten diese “afrikanische COP” zur Gas-Konferenz machen – mit einigem Erfolg. Zwar wehrten die afrikanischen Klimaverhandler vor Beginn den Vorstoß ab, neue Gasfelder in Afrika als Beitrag zum Klimaschutz zu adeln. Aber es zeigten sich so viele Lobbyisten für Gas und Öl wie selten auf der COP und in den Gremien und Papieren wurde vor allem fossiles Gas als Lösung präsentiert. Mit tatkräftiger Hilfe der ägyptischen Präsidentschaft wurde den Interessen des Nachbarn Saudi-Arabien und seiner Alliierten immer wieder Vorrang eingeräumt. Ein Vorstoß Indiens, alle fossilen Brennstoffe – nicht nur Kohle – herunterzufahren, tauchte nicht in der Abschlusserklärung auf – obwohl sich 80 Staaten dafür starkgemacht hatten.
  • Die Gruppe der G77/China stand unter Druck, bröckelte aber nur wenig. Gleich zu Beginn forderte der Vorsitzende der Allianz kleiner Inselstaaten (AOSIS), auch China müsse an der Finanzierung eines L&D-Fonds beteiligt werden – ruderte dann aber zurück. Indiens Vorschlag zu weniger Fossilen fand eisiges Schweigen in der Gruppe. EU-Verhandler berichten, viele kleine Länder fühlten sich von China wirtschaftlich und politisch erpresst und trauten dem Westen nicht über den Weg – wagten aber deshalb nicht den Ausstieg aus der G77. Bisher hält die seltsame Allianz, obwohl die Interessengegensätze in ihr wachsen.
  • Auferstanden aus Ruinen ist die “High Ambition Coalition”. Die Interessengemeinschaft von Klimaschutz-Vorreitern, etwa aus der EU, Norwegen, manchmal den USA, und G77-Staaten wie Indonesien, Brasilien, Chile, Kolumbien oder Inselstaaten wie Tuvalu und Barbados findet sich immer mal wieder zusammen, wenn es ernst wird: 2015 beim Pariser Abkommen, diesmal, um den Deal rund um den L&D-Fonds zu retten. Wäre das eine permanente Gruppe, die über die traditionellen Gräben hinausreicht, könnte sie viel Dynamik entfalten. Alexandra Endres/Bernhard Pötter.
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News

Energiecharta: EU will Modernisierung verschieben

Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter am Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.

In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.

Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird.

Immer mehr Stimmen für EU-Austritt

Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.

Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten.

Luxemburg tritt ebenfalls aus der Charta aus

Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes. Charlotte Wirth

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

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    mit dem traditionellen Hammerschlag hat Sameh Shoukry heute Morgen um 9.30 Uhr in Sharm el Sheikh die zweitlängste Klimakonferenz beendet. Europa konnte seine guten Vorschläge nicht in die Abschlussdokumente bringen. Die Forderungen der EU wollten in den Verhandlungen der letzten Tage und Stunden nicht wirklich verfangen. Vor allem nicht bei denen, die laut EU-Verhandlern am meisten von diesen Vorschlägen profitieren würden: Die Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder.

    Die Diskussionen um “Loss & Damage” haben in den vergangenen zwei Wochen gezeigt, woran es Europa mangelt: politische Schlagkraft. Statt den G77/China-Block mit dem europäischen Kompromissvorschlag aufzubrechen, hat sich gezeigt, wie isoliert die EU in der Klimapolitik ist. Es dauerte Tage, bis sich die ersten Vertreter von Inselstaaten an der Seite Europas zeigten. Bernhard Pötter analysiert, wie es schließlich zu einer Einigung bei Loss and Damage kam.

    Es fehlt insbesondere das notwendige Vertrauen in die europäischen Partner, um neue Allianzen zu schmieden. Die besonders vulnerablen Staaten sind skeptisch ob der großen Ankündigungen Europas, nun doch Gelder bereitstellen zu wollen. Sie wissen, dass Europa im geopolitischen Klimakosmos oft allein dasteht. Alexandra Endres und Bernhard Pötter erläutern die verschiedenen Positionen der Länder im Laufe dieser COP.

    Am Ende der COP27 zeigte sich die europäische Schwäche erneut. Die EU hatte vorher viel politisches Kapital in das Arbeitsprogramm für einen Minderungspfad von Treibhausgasen (Mitigation Work Programme) investiert. Das Ergebnis ist kaum der Rede wert, wie wir in unserer Analyse zu den COP-Ergebnissen zeigen.

    Nach den ereignisreichen COP-Wochen erscheint am Donnerstag die nächste Ausgabe des Climate.Table.

    Herzliche Grüße aus Sharm el-Sheikh

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    Lukas Knigge
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    Historisch bis enttäuschend: die Beschlüsse von Sharm el Sheikh

    Deutschlands Chef-Verhandlerinnen: Jennifer Morgan (links) und Annalena Baerbock während der Abschluss-Plenarsitzung der COP27.

    Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.

    Loss & Damage: Historische Einigung

    Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:

    • Einen neuen Fonds für besonders gefährdete Entwicklungsländer
    • Weitere Finanzierungsmaßnahmen über den Fonds hinaus
    • Neue zusätzliche finanzielle Mittel aus unterschiedlichen Quellen, darunter auch die Weltbank und der internationale Währungsfonds
    • Die Einrichtung eines Übergangsausschusses, der bis zur COP28 Details klären und Vorschläge machen soll

    In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.

    Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.

    Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.

    Mitigation Work Programme: 1,5 Grad-Ziel wackelt

    Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.

    Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:

    • Läuft bis 2026 mit Option zur Verlängerung
    • Fordert Länder auf, ihre nationalen Klimaziele nach 1,5-Grad-Pfad auszurichten
    • Legt die sektorale Betrachtung der THG-Minderung (gemäß IPCC-Report) fest
    • Fordert eine jährliche Berichterstattung auf der COP über Fortschritte
    • Fordert Finanzmittel für Just Energy Transition Partnerships (JETPs)

    Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei auch noch weniger ambitionierte Vorgaben wären möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No-Go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.

    Cover Decision: Shoukrys Vermächtnis

    Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.

    In der Mantelentscheidung steht:

    • Auslaufen der Kohlekraft ohne CO2-Abscheidung und Spreicherung (wie Glasgow)
    • Abschaffung “ineffizienter” Subventionen für fossile Brennstoffe (wie Glasgow)
    • Reduzierung der globalen Emissionen um mindestens 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2019
    • saubere und gerechte Umstellung auf erneuerbare Energien
    • Ausbau von “emissionsarmen und erneuerbaren” Energien

    Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.

    Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plans”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:

    • Kein Emissionspeak 2025 (EU-Forderung)
    • Kein Satz zu Methan
    • Kein Fossil Phase-out/down

    Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch der COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.

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    Loss and Damage: Erst ignoriert, dann abgelehnt, schließlich gefeiert

    “Verluste und Schäden” durch den Klimawandel haben stark zugenommen. Was lange bekannt war, wurde fast ebenso lange von der offiziellen Klimapolitik ignoriert. Vor allem in der letzten Zeit aber ist das Bewusstsein für das Problem enorm gestiegen: Rekordhitze und Indien und Pakistan, Überschwemmungen in Nigeria, die Dürre am Horn von Afrika, die Flutkatastrophe in Pakistan – und nicht zuletzt die verheerende Flut im Ahrtal letztes Jahr. Das bereitete den Hintergrund für den COP27-Beschluss für einen neuen Fonds. Der Weg dahin war weit und verschlungen.

    Langer Vorlauf zu Loss and Damage

    • Schon bei der COP26 in Glasgow war klar: Loss and Damage würde die nächste Konferenz dominieren. Schottland war das erste Industrieland, das Geld dafür versprach – zwei Millionen britische Pfund und das hatte einen hohen Symbolwert. Denn bisher hatte der globale Norden das stets abgelehnt – aus Angst vor hohen Forderungen, aber auch vor Schadensersatz-Prozessen. Im “Glasgow Dialog” sollte klar werden, dass es um Geld gehen werde, nicht nur um Gerede.
    • Bei der Bonner “Zwischenkonferenz” im Juni war das Thema aktuell. Der Druck wurde stark, das Thema als “Agenda-Item” tatsächlich auf die Tagesordnung von Sharm el Sheikh zu setzen.
    • Beim Petersberger Klimadialog im Juli war es Gastgeber Deutschland, das “Loss and Damage Finance”, wie es offiziell heißt, zum Thema machte. In dem informellen Gesprächsformat wurden rote Linien ausgelotet.
    • Die sahen noch im Sommer so auf: Die EU wollte keinen Fonds, sondern ein “Mosaik” aus verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten. Das “Global Shield“, eine deutsche Idee in der G7 (Climate.Table berichtete), soll verwundbaren Ländern schnelle Hilfen bei Klimaschäden zusichern. Auf der COP wurde das Programm gestartet, sollte aber offiziell keine Konkurrenz zu L&D sein.

    USA skeptisch, doch L&D wird Agenda-Item

    • Die USA wiederum sind traditionell skeptisch bei Klimageldern für das Ausland, auch wenn ihr fairer Anteil daran statt elf etwa 40 Milliarden Dollar im Jahr betragen müsste. Klimazar John Kerry warnte mehrfach, amerikanisches Steuergeld für den L&D-Fonds werde es nicht geben. Stattdessen präsentierte er auf der COP einen Mechanismus ETA, mit dem Unternehmen über den privaten Markt für CO2-Emissionen Milliardenbeträge in die Länder des globalen Südens bringen könnten (Climate.Table berichtete).
    • Im Sommer wurde die deutsche Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan zusammen mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas von der COP-Präsidentschaft damit betraut, als “Facilitator” in diesem schwierigen Bereich in den Verhandlungen zu vermitteln.
    • Kurz vor der COP entschieden die Staaten, Loss and Damage tatsächlich zu einem “Agenda-Item” zu machen und damit auf die offizielle Tagesordnung zu setzen. Das sorgte für gute Stimmung am Beginn und erhöhte die Sichtbarkeit des Themas. Sieben andere Themen fielen dafür unter den Tisch – auch die Umleitung aller Finanzflüsse in die globale Transformation laut Pariser Abkommen. Damit machte die EU, der dieser Punkt sehr wichtig ist, ein weiteres Zugeständnis.

    Der Verhandlungsprozess in Ägypten

    • Kurz nach Beginn der Konferenz sorgte der Vorsitzende der AOSIS-Gruppe, Gaston Browne, für Aufsehen: Er forderte, auch China solle sich in Zukunft an der Finanzierung der Klimapolitik beteiligen. Von einem Mitglied der G77/China-Gruppe war das ein Ausrufezeichen. Browne ruderte zurück. Das Zeichen war trotzdem gesetzt.
    • Mitte der ersten Woche tagten die G20 auf Bali. Von dort kam Rückendwind für die Klimapolitik – und die Erwartung, beim L&D-Fonds in Sharm el Sheikh “Fortschritt zu machen”.
    • Montag der zweiten Woche gab es ein Geheimtreffen der “High Ambition Coalition” in einem Hotel von Ministern aus EU, Inselstaaten und den am wenigsten entwickelten Ländern. Das Treffen sollte ein Statement der Minister hervorbringen, heißt es von Beobachtern. Das aber kam nicht zustande, auch weil die EU sich beim Fonds nicht genug bewegte. Das Treffen endete enttäuschend.
    • Am nächsten Tag legten die G77/China offiziell ihre Maximalforderungen für den Fonds vor: Einzahlen sollten nur die Industrieländer, profitieren alle Entwicklungsländer, die Entscheidungen sollten bei den Entwicklungsländern liegen. Ein inakzeptabler Vorstoß (Climate.Table berichtete).
    • Mittwoch kam als deutsche Verhandlungsführerin Außenministerin Annalena Baerbock zur Konferenz. Zu einer schnellen Entscheidung für einen Fonds war sie skeptisch: “Diese Konferenz ist vielleicht nicht der richtige Ort, darüber zu entscheiden”, sagte sie.

    EU präsentiert Kompromiss-Vorschlag

    • Donnerstagabend allerdings entschied sich die EU dafür, ihre Position zu ändern. Klima-Kommissar Frans Timmermans erklärte im Plenum, man strebe einen Fonds an (Climate.Table berichtete). Allerdings unter Bedingungen: Geld nur für die verwundbarsten Länder, Finanzmitteln von einer “breiteren Grundlage” – also perspektivisch auch von den Ölstaaten und China. Und es solle Fortschritte beim “Arbeitsprogramm” zum Klimaschutz bis 2030 geben, fordern die Europäer. “Das ist das finale Angebot”, so Timmermans.
    • Was die EU erhofft, passierte nicht: Am Freitag, dem letzten Tag der Konferenz, traute sich kein wichtiges Land der G77 aus der Deckung, um den EU-Vorschlag offiziell zu begrüßen. Frust breitet sich in der EU-Delegation aus.
    • Freitag früh machte ein seltsames Papier die Runde: In ihm schlagen die USA, Großbritannien, Australien und die EU offenbar eine abgeschwächte Form des EU-Vorschlags vor. Aber die EU und auch Australien erklären, sie hätten diesem Vorschlag nie zugestimmt. Wie die EU in den Briefkopf des Schreibens geraten ist, bleibt auf der Konferenz ungeklärt.

    COP-Präsidentschaft mit eigenen Ideen

    • Samstag erschien der erste Textentwurf von der COP-Präsidentschaft. Er war in Sachen L&D-Fonds für die EU inakzeptabel: Alle roten Linien waren darin ausradiert: Statt den verwundbarsten Ländern soll das Geld allen Entwicklungsländern zur Verfügung stehen. Statt der Ausweitung der Gebergruppe war nur von einer “weiten und ausgedehnten Variation” von Geldern die Rede. “Diesem Text können wir nicht zustimmen”, sagte die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler noch am späten Samstagabend.
    • Die EU spielte intern durch, wie ein Scheitern aussehe – und wer am Ende den Schaden hätte, wenn die Konferenz und der Fonds scheitern. Will die EU schuld daran sein, eine solche dringend nötige Hilfe für die Ärmsten der Armen zu torpedieren? Und: Wird bei der nächsten COP das Zeitfenster dafür immer noch offen sein?
    • Samstagabend: Die “High Ambition Coalition” findet sich zu einer Erklärung zusammen: Vertreter unter anderem aus der EU, Norwegen, Chile, Malediven, Kolumbien stellen sich hinter die EU und ihre Forderungen nach einem Fonds.
    • Nach langem und heftigen Protesten und Verhandlungen enthält die Schlussfassung für die EU annehmbare Positionen. Der Fonds wird beschlossen.
    • Pakistans Klimaministerin Sherry Rehman zog ein positives Fazit: “Wir haben 30 Jahre lang auf diesem Weg gekämpft und heute in Sharm el-Sheikh hat diese Reise ihren ersten positiven Meilenstein erreicht. Es ist eine Anzahlung und eine Investition in die Klimagerechtigkeit”.
    • COP27
    • Loss and Damage

    Vier Klima-Aufgaben für 2023

    Der Abschied von fossiler Energie

    Die Menschheit befindet sich auf einem Weg in Richtung 2,7 Grad – daran konnte auch diese COP nichts ändern. Neue NDCs gab es kaum. Und das Mitigation Work Programme, das die Europäische Union in Sharm el Sheikh voranbringen wollte, blieb am Ende mau. Das Programm sollte einen Prozess festlegen, in dem die Industrieländer ihre Klimaziele nach und nach verschärfen würden, im Austausch zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und mit jährlichen Überprüfungen. Doch die EU konnte sich damit nicht durchsetzen.

    Auch der schrittweise Abschied von allen fossilen Energieträgern statt nur von der Kohle, wie in Glasgow vereinbart, blieb nicht im Abschlussdokument, obwohl viele Länder das forderten. Der Verweis auf die Klimawissenschaft und die 1,5-Grad-Schwelle blieb schwach. Im kommenden Jahr wird es darauf ankommen, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft mit umso mehr Nachdruck zu verfolgen.

    Weltweite Finanzströme umleiten

    Es ist ein bislang zu wenig beachtetes Ziel des Pariser Vertrags: Artikel 2(1)c fordert, die Finanzflüsse weltweit mit den Klimazielen in Einklang zu bringen – also beispielsweise Investitionen weg von fossiler Energie hin zu klimafreundlichen Technologien zu leiten und auch staatliche Subventionen für Fossile zu überprüfen. Das Thema schaffte es nicht auf die Agenda.

    Trotzdem gab es auf der COP27 Gespräche über die Reform von Entwicklungsbanken, der Weltbank und dem Weltwährungsfonds, etwa anhand der Bridgetown Initiative der Präsidentin von Barbados, Mia Mottley. Die französische Klimadiplomatin Laurence Tubiana, eine Architektin des Pariser Vertrags, stellte auf dem Gipfel “Schwung für die Forderung” fest, “die Weltbank und den Weltwährungsfonds zu reformieren, um sie nicht nur fairer für die Verwundbaren zu machen, sondern auch so, dass sie erneuerbare Energien sinnvoll unterstützen”.

    Mottley wird sicherlich weiter hinter den Kulissen für ihre Initiative werben. Die Frühjahrstagung von Weltwährungsfonds und Weltbank im kommenden April könnte ein Anlass sein, auch offiziell weiter über die Umlenkung der globalen Finanzströme zu sprechen.

    Finanzmechanismen für Loss and Damage

    Es gibt nun einen Fonds, aus dem Ausgleichszahlungen für Loss and Damage beglichen werden sollen. Wie er ausgestaltet werden soll, ist die große Frage, die auch den nächsten Klimagipfel prägen dürfte – und die Arbeitstagungen, die zwischen beiden COPs im Rahmen der UNFCCC stattfinden. Eng damit verbunden ist aber eine viel größere Frage:

    Welchen Status hat China?

    Es ist ein alter Streit in den internationalen Klimaverhandlungen. Bis das Pariser Abkommen geschlossen wurde, verweigerte sich China jeder Verpflichtung (Climate.Table berichtete), Emissionen im eigenen Land zu senken. Stattdessen verwies es gemeinsam mit anderen Schwellenländern auf die historisch gewachsene Pflicht der Industriestaaten. Durch den Pariser Klimavertrag wurde die Front zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen.

    Auf der COP27 trat sie wieder klar zutage: China – inzwischen eine Großmacht und der größte Emittent der Welt – beharrte auf seinem Status als Entwicklungsland im Rahmen des UNFCCC-Prozesses. Für die Verhandlungen über die Loss-and-Damage-Ausgleiche hatte das konkrete Folgen: China weigerte sich, in einen Fonds einzuzahlen. Stattdessen wollte das Land die Chance erhalten, künftig einmal selbst Ausgleichszahlungen zu erhalten.

    Um die technischen Detailfragen zum Loss-and-Damage-Fonds und den Finanzmechanismen, die um ihn herum gebaut werden sollen, kümmert sich jetzt eine neue Arbeitsgruppe. Das Machtstreben Chinas aber dürfte auch die Klimapolitik der nächsten Jahre prägen. Alexandra Endres/Bernhard Pötter

    • Bridgetown-Initiative
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    • COP27
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    • Klimaschutz

    Geopolitik dominierte die Klimapolitik

    Nach einer Nachtschicht und 37 Stunden später als ursprünglich geplant endete die COP27 und den Delegierten gelang in Sharm el-Sheikh doch noch eine Einigung. Vorausgegangen waren harte diplomatische Auseinandersetzungen. Noch am Vortag hatte die Europäische Union damit gedroht, die Verhandlungen abzubrechen und so die ganze Konferenz platzen zu lassen. Mehrere Delegationen zogen rote Linien. Für eine kurze Zeit stand der Gipfel auf der Kippe.

    Russlands Zurückhaltung

    Schuld war die Geopolitik – aber anders als gedacht. Die sichtbarste Konfliktlinie war die zwischen den alten Industriestaaten, die sich in manchen Fragen mit den besonders vulnerablen Ländern verbündeten, und China, das teilweise im Verbund mit Ölstaaten wie Saudi-Arabien agierte.

    Vor der COP schien es, als würde der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Gespräche erschweren. Auch der Konflikt zwischen China und den USA, die wegen der Spannungen um Taiwan im Sommer ihre Klimagespräche ausgesetzt hatten, hätte die COP belasten können. Beide Spannungsherde spielten aber in Sharm el-Sheikh kaum eine Rolle. Russland trat während des gesamten Gipfels kaum in Erscheinung. Stattdessen brach ein anderer Konflikt auf: der

    China: Muss der größte CO2-Emittent zahlen?

    Zunächst ging es um eine Frage, die schon seit Jahrzehnten ungelöst über den Klimagipfeln hängt: Welche Verpflichtung zum Klimaschutz und zur Bewältigung seiner Folgen muss China eingehen? Vor sieben Jahren war es ein großer Erfolg, dass auch China im Pariser Klimaabkommen zustimmte, dass alle Länder langfristig ihre Emissionen senken müssen. In Sharm el-Sheikh begann jetzt hinter den Kulissen die Debatte darum, ob sich China langfristig als Supermacht bei Wirtschaft und Klima weiter aus Verpflichtungen zur Finanzierung von Klimahilfen heraushalten kann.

    Ein zweiter Grundsatzstreit entflammte über fossile Energieträger. Die Ölstaaten nahmen den Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise zum Anlass, sich für eine Renaissance von Öl, Kohle und Gas einzusetzen. Am Ende wurde ihr Angriff abgewehrt. Aber er führte dazu, dass Fortschritte im Bereich der Emissionsreduktion ausblieben.

    So verhandelten die einzelnen Blöcke auf der COP:

    • Die EU hatte einen großen Plan: Als Klima-Supermacht auftreten und China und den USA die Stirn bieten. Doch der Überraschungscoup am vorletzten Konferenztag gelang nur halb. Die EU hatte angeboten, einen Loss-and-Damage-Fonds (L&D) zu akzeptieren und daran Bedingungen geknüpft: Das Geld nur für die Verwundbarsten zu reservieren, mehr ernsthaften Klimaschutz zu bekommen und gleichzeitig China und die Ölländer zur Finanzierung kommender Aufgaben zu drängen – nun kommt der Fonds und die Forderungen stehen nur stark abgeschwächt im Beschluss.
    • Die USA hatten auf der COP27 nur eine Nebenrolle. Die Konferenz atmete auf, als sich herausstellte, dass die Demokraten bei den “Midterms” den Senat halten konnten. Präsident Biden kam und erklärte die USA zum Klimaschutz-Vorreiter, hatte aber außer dem heimischen 369-Milliardenprogramm für Infrastruktur nichts anzubieten, was eine solche Rolle rechtfertigen würde. Das reichste Land der Welt erklärte wiederholt, es habe kein Geld für internationale Klimaprogramme und lehne einen L&D-Fonds ab. Immerhin reden die USA und China wieder offiziell über das Klima. Eine befürchtete Koalition der Bremser zeigte sich aber bei ihnen nicht. Den US-Schwung bremste vielleicht auch, dass Klima-Zar John Kerry zum Ende der Konferenz isoliert wurde – er war positiv auf Covid getestet worden.
    • Auch China hielt sich mit öffentlichen Auftritten zurück. In den Sitzungen achtete das Land mit seinen Alliierten allerdings sorgfältig darauf, dass die COP nicht zu viel Ehrgeiz entwickelte. Den Angriff der EU, deren Fondsvorschlag die Gruppe G77/China in ärmere Staaten, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, und reiche “große Emittenten” spalten sollte, wehrte Peking erst einmal ab. “Hier stand nichts auf der Tagesordnung, was chinesische Interessen wirklich betroffen hätte”, so Greenpeace-Experte Li Shuo. “Der EU-Vorstoß war nur politisch und fand sich kaum in den Verhandlungstexten wieder”. Zu laut waren die Chinesen aber auch nicht: Immerhin leitet China Anfang Dezember selbst als Präsidentschaft eine COP – die Biodiversitäts-Konferenz in Montreal.
    • Die Öl- und Gasländer wollten diese “afrikanische COP” zur Gas-Konferenz machen – mit einigem Erfolg. Zwar wehrten die afrikanischen Klimaverhandler vor Beginn den Vorstoß ab, neue Gasfelder in Afrika als Beitrag zum Klimaschutz zu adeln. Aber es zeigten sich so viele Lobbyisten für Gas und Öl wie selten auf der COP und in den Gremien und Papieren wurde vor allem fossiles Gas als Lösung präsentiert. Mit tatkräftiger Hilfe der ägyptischen Präsidentschaft wurde den Interessen des Nachbarn Saudi-Arabien und seiner Alliierten immer wieder Vorrang eingeräumt. Ein Vorstoß Indiens, alle fossilen Brennstoffe – nicht nur Kohle – herunterzufahren, tauchte nicht in der Abschlusserklärung auf – obwohl sich 80 Staaten dafür starkgemacht hatten.
    • Die Gruppe der G77/China stand unter Druck, bröckelte aber nur wenig. Gleich zu Beginn forderte der Vorsitzende der Allianz kleiner Inselstaaten (AOSIS), auch China müsse an der Finanzierung eines L&D-Fonds beteiligt werden – ruderte dann aber zurück. Indiens Vorschlag zu weniger Fossilen fand eisiges Schweigen in der Gruppe. EU-Verhandler berichten, viele kleine Länder fühlten sich von China wirtschaftlich und politisch erpresst und trauten dem Westen nicht über den Weg – wagten aber deshalb nicht den Ausstieg aus der G77. Bisher hält die seltsame Allianz, obwohl die Interessengegensätze in ihr wachsen.
    • Auferstanden aus Ruinen ist die “High Ambition Coalition”. Die Interessengemeinschaft von Klimaschutz-Vorreitern, etwa aus der EU, Norwegen, manchmal den USA, und G77-Staaten wie Indonesien, Brasilien, Chile, Kolumbien oder Inselstaaten wie Tuvalu und Barbados findet sich immer mal wieder zusammen, wenn es ernst wird: 2015 beim Pariser Abkommen, diesmal, um den Deal rund um den L&D-Fonds zu retten. Wäre das eine permanente Gruppe, die über die traditionellen Gräben hinausreicht, könnte sie viel Dynamik entfalten. Alexandra Endres/Bernhard Pötter.
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    Energiecharta: EU will Modernisierung verschieben

    Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter am Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.

    In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.

    Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird.

    Immer mehr Stimmen für EU-Austritt

    Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.

    Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten.

    Luxemburg tritt ebenfalls aus der Charta aus

    Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes. Charlotte Wirth

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    Climate.Table Redaktion

    REDAKTION CLIMATE.TABLE

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