mit dem traditionellen Hammerschlag hat Sameh Shoukry heute Morgen um 9.30 Uhr in Sharm el Sheikh die zweitlängste Klimakonferenz beendet. Europa konnte seine guten Vorschläge nicht in die Abschlussdokumente bringen. Die Forderungen der EU wollten in den Verhandlungen der letzten Tage und Stunden nicht wirklich verfangen. Vor allem nicht bei denen, die laut EU-Verhandlern am meisten von diesen Vorschlägen profitieren würden: Die Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder.
Die Diskussionen um “Loss & Damage” haben in den vergangenen zwei Wochen gezeigt, woran es Europa mangelt: politische Schlagkraft. Statt den G77/China-Block mit dem europäischen Kompromissvorschlag aufzubrechen, hat sich gezeigt, wie isoliert die EU in der Klimapolitik ist. Es dauerte Tage, bis sich die ersten Vertreter von Inselstaaten an der Seite Europas zeigten. Bernhard Pötter analysiert, wie es schließlich zu einer Einigung bei Loss and Damage kam.
Es fehlt insbesondere das notwendige Vertrauen in die europäischen Partner, um neue Allianzen zu schmieden. Die besonders vulnerablen Staaten sind skeptisch ob der großen Ankündigungen Europas, nun doch Gelder bereitstellen zu wollen. Sie wissen, dass Europa im geopolitischen Klimakosmos oft allein dasteht. Alexandra Endres und Bernhard Pötter erläutern die verschiedenen Positionen der Länder im Laufe dieser COP.
Am Ende der COP27 zeigte sich die europäische Schwäche erneut. Die EU hatte vorher viel politisches Kapital in das Arbeitsprogramm für einen Minderungspfad von Treibhausgasen (Mitigation Work Programme) investiert. Das Ergebnis ist kaum der Rede wert, wie wir in unserer Analyse zu den COP-Ergebnissen zeigen.
Nach den ereignisreichen COP-Wochen erscheint am Donnerstag die nächste Ausgabe des Climate.Table.
Herzliche Grüße aus Sharm el-Sheikh
Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.
Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:
In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.
Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.
Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.
Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.
Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:
Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei auch noch weniger ambitionierte Vorgaben wären möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No-Go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.
Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.
In der Mantelentscheidung steht:
Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.
Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plans”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:
Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch der COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.
“Verluste und Schäden” durch den Klimawandel haben stark zugenommen. Was lange bekannt war, wurde fast ebenso lange von der offiziellen Klimapolitik ignoriert. Vor allem in der letzten Zeit aber ist das Bewusstsein für das Problem enorm gestiegen: Rekordhitze und Indien und Pakistan, Überschwemmungen in Nigeria, die Dürre am Horn von Afrika, die Flutkatastrophe in Pakistan – und nicht zuletzt die verheerende Flut im Ahrtal letztes Jahr. Das bereitete den Hintergrund für den COP27-Beschluss für einen neuen Fonds. Der Weg dahin war weit und verschlungen.
Die Menschheit befindet sich auf einem Weg in Richtung 2,7 Grad – daran konnte auch diese COP nichts ändern. Neue NDCs gab es kaum. Und das Mitigation Work Programme, das die Europäische Union in Sharm el Sheikh voranbringen wollte, blieb am Ende mau. Das Programm sollte einen Prozess festlegen, in dem die Industrieländer ihre Klimaziele nach und nach verschärfen würden, im Austausch zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und mit jährlichen Überprüfungen. Doch die EU konnte sich damit nicht durchsetzen.
Auch der schrittweise Abschied von allen fossilen Energieträgern statt nur von der Kohle, wie in Glasgow vereinbart, blieb nicht im Abschlussdokument, obwohl viele Länder das forderten. Der Verweis auf die Klimawissenschaft und die 1,5-Grad-Schwelle blieb schwach. Im kommenden Jahr wird es darauf ankommen, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft mit umso mehr Nachdruck zu verfolgen.
Es ist ein bislang zu wenig beachtetes Ziel des Pariser Vertrags: Artikel 2(1)c fordert, die Finanzflüsse weltweit mit den Klimazielen in Einklang zu bringen – also beispielsweise Investitionen weg von fossiler Energie hin zu klimafreundlichen Technologien zu leiten und auch staatliche Subventionen für Fossile zu überprüfen. Das Thema schaffte es nicht auf die Agenda.
Trotzdem gab es auf der COP27 Gespräche über die Reform von Entwicklungsbanken, der Weltbank und dem Weltwährungsfonds, etwa anhand der Bridgetown Initiative der Präsidentin von Barbados, Mia Mottley. Die französische Klimadiplomatin Laurence Tubiana, eine Architektin des Pariser Vertrags, stellte auf dem Gipfel “Schwung für die Forderung” fest, “die Weltbank und den Weltwährungsfonds zu reformieren, um sie nicht nur fairer für die Verwundbaren zu machen, sondern auch so, dass sie erneuerbare Energien sinnvoll unterstützen”.
Mottley wird sicherlich weiter hinter den Kulissen für ihre Initiative werben. Die Frühjahrstagung von Weltwährungsfonds und Weltbank im kommenden April könnte ein Anlass sein, auch offiziell weiter über die Umlenkung der globalen Finanzströme zu sprechen.
Es gibt nun einen Fonds, aus dem Ausgleichszahlungen für Loss and Damage beglichen werden sollen. Wie er ausgestaltet werden soll, ist die große Frage, die auch den nächsten Klimagipfel prägen dürfte – und die Arbeitstagungen, die zwischen beiden COPs im Rahmen der UNFCCC stattfinden. Eng damit verbunden ist aber eine viel größere Frage:
Es ist ein alter Streit in den internationalen Klimaverhandlungen. Bis das Pariser Abkommen geschlossen wurde, verweigerte sich China jeder Verpflichtung (Climate.Table berichtete), Emissionen im eigenen Land zu senken. Stattdessen verwies es gemeinsam mit anderen Schwellenländern auf die historisch gewachsene Pflicht der Industriestaaten. Durch den Pariser Klimavertrag wurde die Front zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen.
Auf der COP27 trat sie wieder klar zutage: China – inzwischen eine Großmacht und der größte Emittent der Welt – beharrte auf seinem Status als Entwicklungsland im Rahmen des UNFCCC-Prozesses. Für die Verhandlungen über die Loss-and-Damage-Ausgleiche hatte das konkrete Folgen: China weigerte sich, in einen Fonds einzuzahlen. Stattdessen wollte das Land die Chance erhalten, künftig einmal selbst Ausgleichszahlungen zu erhalten.
Um die technischen Detailfragen zum Loss-and-Damage-Fonds und den Finanzmechanismen, die um ihn herum gebaut werden sollen, kümmert sich jetzt eine neue Arbeitsgruppe. Das Machtstreben Chinas aber dürfte auch die Klimapolitik der nächsten Jahre prägen. Alexandra Endres/Bernhard Pötter
Nach einer Nachtschicht und 37 Stunden später als ursprünglich geplant endete die COP27 und den Delegierten gelang in Sharm el-Sheikh doch noch eine Einigung. Vorausgegangen waren harte diplomatische Auseinandersetzungen. Noch am Vortag hatte die Europäische Union damit gedroht, die Verhandlungen abzubrechen und so die ganze Konferenz platzen zu lassen. Mehrere Delegationen zogen rote Linien. Für eine kurze Zeit stand der Gipfel auf der Kippe.
Schuld war die Geopolitik – aber anders als gedacht. Die sichtbarste Konfliktlinie war die zwischen den alten Industriestaaten, die sich in manchen Fragen mit den besonders vulnerablen Ländern verbündeten, und China, das teilweise im Verbund mit Ölstaaten wie Saudi-Arabien agierte.
Vor der COP schien es, als würde der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Gespräche erschweren. Auch der Konflikt zwischen China und den USA, die wegen der Spannungen um Taiwan im Sommer ihre Klimagespräche ausgesetzt hatten, hätte die COP belasten können. Beide Spannungsherde spielten aber in Sharm el-Sheikh kaum eine Rolle. Russland trat während des gesamten Gipfels kaum in Erscheinung. Stattdessen brach ein anderer Konflikt auf: der
Zunächst ging es um eine Frage, die schon seit Jahrzehnten ungelöst über den Klimagipfeln hängt: Welche Verpflichtung zum Klimaschutz und zur Bewältigung seiner Folgen muss China eingehen? Vor sieben Jahren war es ein großer Erfolg, dass auch China im Pariser Klimaabkommen zustimmte, dass alle Länder langfristig ihre Emissionen senken müssen. In Sharm el-Sheikh begann jetzt hinter den Kulissen die Debatte darum, ob sich China langfristig als Supermacht bei Wirtschaft und Klima weiter aus Verpflichtungen zur Finanzierung von Klimahilfen heraushalten kann.
Ein zweiter Grundsatzstreit entflammte über fossile Energieträger. Die Ölstaaten nahmen den Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise zum Anlass, sich für eine Renaissance von Öl, Kohle und Gas einzusetzen. Am Ende wurde ihr Angriff abgewehrt. Aber er führte dazu, dass Fortschritte im Bereich der Emissionsreduktion ausblieben.
Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter am Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.
In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.
Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird.
Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.
Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten.
Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes. Charlotte Wirth
mit dem traditionellen Hammerschlag hat Sameh Shoukry heute Morgen um 9.30 Uhr in Sharm el Sheikh die zweitlängste Klimakonferenz beendet. Europa konnte seine guten Vorschläge nicht in die Abschlussdokumente bringen. Die Forderungen der EU wollten in den Verhandlungen der letzten Tage und Stunden nicht wirklich verfangen. Vor allem nicht bei denen, die laut EU-Verhandlern am meisten von diesen Vorschlägen profitieren würden: Die Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder.
Die Diskussionen um “Loss & Damage” haben in den vergangenen zwei Wochen gezeigt, woran es Europa mangelt: politische Schlagkraft. Statt den G77/China-Block mit dem europäischen Kompromissvorschlag aufzubrechen, hat sich gezeigt, wie isoliert die EU in der Klimapolitik ist. Es dauerte Tage, bis sich die ersten Vertreter von Inselstaaten an der Seite Europas zeigten. Bernhard Pötter analysiert, wie es schließlich zu einer Einigung bei Loss and Damage kam.
Es fehlt insbesondere das notwendige Vertrauen in die europäischen Partner, um neue Allianzen zu schmieden. Die besonders vulnerablen Staaten sind skeptisch ob der großen Ankündigungen Europas, nun doch Gelder bereitstellen zu wollen. Sie wissen, dass Europa im geopolitischen Klimakosmos oft allein dasteht. Alexandra Endres und Bernhard Pötter erläutern die verschiedenen Positionen der Länder im Laufe dieser COP.
Am Ende der COP27 zeigte sich die europäische Schwäche erneut. Die EU hatte vorher viel politisches Kapital in das Arbeitsprogramm für einen Minderungspfad von Treibhausgasen (Mitigation Work Programme) investiert. Das Ergebnis ist kaum der Rede wert, wie wir in unserer Analyse zu den COP-Ergebnissen zeigen.
Nach den ereignisreichen COP-Wochen erscheint am Donnerstag die nächste Ausgabe des Climate.Table.
Herzliche Grüße aus Sharm el-Sheikh
Noch vor einer Woche – zur Halbzeit der COP27 – galt es als nahezu ausgeschlossen, dass es einen Fonds für “Loss & Damage” geben würde. Nun ist er beschlossen und soll im nächsten Jahr in Kraft treten. Es ist eine historische Entscheidung, denn Entwicklungsländer fordern seit 30 Jahren ein Finanzinstrument, das bei Verlusten und Schäden in Folge des Klimawandels greift. Ein wichtiger Durchbruch, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Bundesregierung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die EU und andere Industrieländer für diesen Fonds erwärmen konnten.
Die Einigung zu Loss & Damage auf der COP27 beinhaltet:
In der Nacht zum Sonntag wurde noch gerungen, ob nur “besonders gefährdete” Entwicklungsländer oder alle Entwicklungsländer als Empfänger für Gelder aus den “Loss & Damage”-Finanzinstrumenten infrage kommen sollten. Eine Formulierung, die alle Entwicklungsländer vom Stand 1992 als Nehmerländer einstufte, wurde kurz vor dem Abschlussplenum der COP gestrichen.
Genauso umstritten war die Frage, wer die Gelder bereitstellen sollte. Die EU und später auch einige Inselstaaten pochten darauf, dass neue Finanzquellen aufgetan werden müssten – so weit, so vage. Die ursprüngliche EU-Forderung sah vor, dass die Gruppe der Geberländer erweitert wird. Somit hätten die mittlerweile wohlhabenden Schwellenländer wie China, Indien, Südkorea, Indonesien, Mexiko und die ölreichen Staaten ebenfalls in den Fonds zahlen müssen. “Die EU wollte China und die Golfstaaten zu Beitragszahlern machen – aber sie hatte am Schluss nicht den Mut für die notwendige Konfrontation”, analysiert David Ryfisch, Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.
Die neue Formulierung schließt die Erweiterung der Beitragszahler zwar nicht aus, ist aber auch nicht besonders explizit. Es ist nun Aufgabe des Übergangsausschusses, neue Finanzierungsquellen für “Loss & Damage” vorzuschlagen. Bedeutet: Die Debatte, ob China als historisch zweitgrößter Emittent auch Verantwortung für den Schaden am Klima übernehmen muss, ist keineswegs beendet, sondern lediglich auf die COP28 verschoben.
Der Fahrplan zur weltweiten Treibhausgasreduktion war für die Europäer auf der COP von enormer Bedeutung. Es sollte ein ambitionierter Pfad zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels werden. Doch er fällt hinter die Erwartungen vieler zurück. “In Glasgow haben wir die 1,5 noch erhalten können. Bei dieser COP sind wir an einer Schnittstelle, wo sie verlieren könnten”, sagte Franz Perrez, Chefverhandler der Schweiz.
Das Arbeitsprogramm zur Treibhausgasminderung:
Die Industriestaaten hätten sich noch ambitioniertere Vorgaben gewünscht, die sie als Hauptemittenten auch selbst am ehesten hätten umsetzen müssen. Dabei auch noch weniger ambitionierte Vorgaben wären möglich gewesen: In einer früheren Version des Texts hieß es, dass das Arbeitsprogramm nicht zu höheren Klimazielen führen dürfe. Für die EU ein absolutes No-Go, was sie der ägyptischen COP-Präsidentschaft auch deutlich machte. Ohne höhere Klimaziele (NDCs) wäre das 1,5-Grad-Ziel außer Reichweite. Die EU setzte sich durch, doch die Frage ist, zu welchem Preis.
Der Preis könnte ein Kuhhandel gewesen sein, denn der Abschlusstext – Cover Decision genannt – fällt hinter Glasgow zurück und dürfte noch lange für schlechte Laune unter den europäischen Verhandlern sorgen.
In der Mantelentscheidung steht:
Besonders der letzte Punkt lässt viele Fragen offen, denn “emissionsarm” bedeutet auch Gas und Atomstrom. Aus dem Umfeld von EU-Klimakommissar Frans Timmermans hieß es am Sonntag zwar, dass lediglich Gas mit CO2-Abscheidung als “emissionsarm” gilt. David Ryfisch von Germanwatch schätzt jedoch, dass andere Länder die Formulierung anders interpretieren werden.
Es gibt jedoch auch positive Signale des “Sharm el-Sheikh Implementations Plans”. So wird der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Cover Decision auch in EU-Kreisen als Fortschritt gewertet. Viel wichtiger als das, was in der Cover Decision steht, ist das, was nicht drinsteht:
Eine Allianz von 80 Staaten (darunter auch die USA, Indien und die EU) hatten am Samstagabend nachdrücklich versucht, auf den in Glasgow gezeigten Ambitionen aufzubauen. Sie forderten explizit einen “Phase-out” aller fossilen Energieträger. Doch der COP-Präsident Sameh Shoukry ignorierte den Vorstoß, da der Widerstand insbesondere aus den ölreichen Ländern wie Saudi-Arabien zu massiv war. Stattdessen legte die Präsidentschaft den nun beschlossenen Text zur “Friss oder stirb”-Abstimmung vor, sagt Christoph Bals. Am Schluss hat sich nach einer durchverhandelten Nacht um 7 Uhr morgens keines der 80 Ländern nochmal zum Protest erhoben.
“Verluste und Schäden” durch den Klimawandel haben stark zugenommen. Was lange bekannt war, wurde fast ebenso lange von der offiziellen Klimapolitik ignoriert. Vor allem in der letzten Zeit aber ist das Bewusstsein für das Problem enorm gestiegen: Rekordhitze und Indien und Pakistan, Überschwemmungen in Nigeria, die Dürre am Horn von Afrika, die Flutkatastrophe in Pakistan – und nicht zuletzt die verheerende Flut im Ahrtal letztes Jahr. Das bereitete den Hintergrund für den COP27-Beschluss für einen neuen Fonds. Der Weg dahin war weit und verschlungen.
Die Menschheit befindet sich auf einem Weg in Richtung 2,7 Grad – daran konnte auch diese COP nichts ändern. Neue NDCs gab es kaum. Und das Mitigation Work Programme, das die Europäische Union in Sharm el Sheikh voranbringen wollte, blieb am Ende mau. Das Programm sollte einen Prozess festlegen, in dem die Industrieländer ihre Klimaziele nach und nach verschärfen würden, im Austausch zwischen hochrangigen Regierungsvertretern und mit jährlichen Überprüfungen. Doch die EU konnte sich damit nicht durchsetzen.
Auch der schrittweise Abschied von allen fossilen Energieträgern statt nur von der Kohle, wie in Glasgow vereinbart, blieb nicht im Abschlussdokument, obwohl viele Länder das forderten. Der Verweis auf die Klimawissenschaft und die 1,5-Grad-Schwelle blieb schwach. Im kommenden Jahr wird es darauf ankommen, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft mit umso mehr Nachdruck zu verfolgen.
Es ist ein bislang zu wenig beachtetes Ziel des Pariser Vertrags: Artikel 2(1)c fordert, die Finanzflüsse weltweit mit den Klimazielen in Einklang zu bringen – also beispielsweise Investitionen weg von fossiler Energie hin zu klimafreundlichen Technologien zu leiten und auch staatliche Subventionen für Fossile zu überprüfen. Das Thema schaffte es nicht auf die Agenda.
Trotzdem gab es auf der COP27 Gespräche über die Reform von Entwicklungsbanken, der Weltbank und dem Weltwährungsfonds, etwa anhand der Bridgetown Initiative der Präsidentin von Barbados, Mia Mottley. Die französische Klimadiplomatin Laurence Tubiana, eine Architektin des Pariser Vertrags, stellte auf dem Gipfel “Schwung für die Forderung” fest, “die Weltbank und den Weltwährungsfonds zu reformieren, um sie nicht nur fairer für die Verwundbaren zu machen, sondern auch so, dass sie erneuerbare Energien sinnvoll unterstützen”.
Mottley wird sicherlich weiter hinter den Kulissen für ihre Initiative werben. Die Frühjahrstagung von Weltwährungsfonds und Weltbank im kommenden April könnte ein Anlass sein, auch offiziell weiter über die Umlenkung der globalen Finanzströme zu sprechen.
Es gibt nun einen Fonds, aus dem Ausgleichszahlungen für Loss and Damage beglichen werden sollen. Wie er ausgestaltet werden soll, ist die große Frage, die auch den nächsten Klimagipfel prägen dürfte – und die Arbeitstagungen, die zwischen beiden COPs im Rahmen der UNFCCC stattfinden. Eng damit verbunden ist aber eine viel größere Frage:
Es ist ein alter Streit in den internationalen Klimaverhandlungen. Bis das Pariser Abkommen geschlossen wurde, verweigerte sich China jeder Verpflichtung (Climate.Table berichtete), Emissionen im eigenen Land zu senken. Stattdessen verwies es gemeinsam mit anderen Schwellenländern auf die historisch gewachsene Pflicht der Industriestaaten. Durch den Pariser Klimavertrag wurde die Front zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen.
Auf der COP27 trat sie wieder klar zutage: China – inzwischen eine Großmacht und der größte Emittent der Welt – beharrte auf seinem Status als Entwicklungsland im Rahmen des UNFCCC-Prozesses. Für die Verhandlungen über die Loss-and-Damage-Ausgleiche hatte das konkrete Folgen: China weigerte sich, in einen Fonds einzuzahlen. Stattdessen wollte das Land die Chance erhalten, künftig einmal selbst Ausgleichszahlungen zu erhalten.
Um die technischen Detailfragen zum Loss-and-Damage-Fonds und den Finanzmechanismen, die um ihn herum gebaut werden sollen, kümmert sich jetzt eine neue Arbeitsgruppe. Das Machtstreben Chinas aber dürfte auch die Klimapolitik der nächsten Jahre prägen. Alexandra Endres/Bernhard Pötter
Nach einer Nachtschicht und 37 Stunden später als ursprünglich geplant endete die COP27 und den Delegierten gelang in Sharm el-Sheikh doch noch eine Einigung. Vorausgegangen waren harte diplomatische Auseinandersetzungen. Noch am Vortag hatte die Europäische Union damit gedroht, die Verhandlungen abzubrechen und so die ganze Konferenz platzen zu lassen. Mehrere Delegationen zogen rote Linien. Für eine kurze Zeit stand der Gipfel auf der Kippe.
Schuld war die Geopolitik – aber anders als gedacht. Die sichtbarste Konfliktlinie war die zwischen den alten Industriestaaten, die sich in manchen Fragen mit den besonders vulnerablen Ländern verbündeten, und China, das teilweise im Verbund mit Ölstaaten wie Saudi-Arabien agierte.
Vor der COP schien es, als würde der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Gespräche erschweren. Auch der Konflikt zwischen China und den USA, die wegen der Spannungen um Taiwan im Sommer ihre Klimagespräche ausgesetzt hatten, hätte die COP belasten können. Beide Spannungsherde spielten aber in Sharm el-Sheikh kaum eine Rolle. Russland trat während des gesamten Gipfels kaum in Erscheinung. Stattdessen brach ein anderer Konflikt auf: der
Zunächst ging es um eine Frage, die schon seit Jahrzehnten ungelöst über den Klimagipfeln hängt: Welche Verpflichtung zum Klimaschutz und zur Bewältigung seiner Folgen muss China eingehen? Vor sieben Jahren war es ein großer Erfolg, dass auch China im Pariser Klimaabkommen zustimmte, dass alle Länder langfristig ihre Emissionen senken müssen. In Sharm el-Sheikh begann jetzt hinter den Kulissen die Debatte darum, ob sich China langfristig als Supermacht bei Wirtschaft und Klima weiter aus Verpflichtungen zur Finanzierung von Klimahilfen heraushalten kann.
Ein zweiter Grundsatzstreit entflammte über fossile Energieträger. Die Ölstaaten nahmen den Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise zum Anlass, sich für eine Renaissance von Öl, Kohle und Gas einzusetzen. Am Ende wurde ihr Angriff abgewehrt. Aber er führte dazu, dass Fortschritte im Bereich der Emissionsreduktion ausblieben.
Die EU hat kein Mandat, um am 22. November über die Modernisierung des Energiechartavertrags abzustimmen. Beim Votum im Ausschuss der ständigen Vertreter am Freitag konnte keine qualifizierte Mehrheit erreicht werden. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande haben sich enthalten. Demnach kann die EU der Modernisierung des Vertrages auf der für Dienstag angesetzten Energiecharta-Konferenz in der Mongolei nicht zustimmen.
In den letzten Monaten haben immer mehr EU-Staaten ihren Austritt aus der Charta beschlossen. Die Bundesregierung hat erst vor einer Woche entschieden, die Energiecharta zu verlassen.
Die EU-Kommission will die Abstimmung über die Modernisierung der Energiecharta nun verschieben. Sie bemüht sich darum, dass die Abstimmung von der Tagesordnung der ECT-Konferenz am 22. November genommen wird.
Derweil werden die Forderungen eines EU-Austrittes aus der Energiecharta immer lauter. Mit der Abstimmung am Freitag sei “der Klimakiller-Vertrag nun auch auf EU-Ebene endgültig gescheitert. Wir fordern die EU-Kommission auf, sofort den Ausstieg einzuleiten!”, schreibt das Umweltinstitut München in einer Pressemitteilung.
Genauso sieht es die EU-Abgeordnete Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen): “Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden. Auch die EU muss nun endlich aussteigen.” Seit letzter Woche kursiert bereits ein Brief, in dem Abgeordnete von den Grünen, Renew, S&D und den Linken die EU-Kommission auffordern, aus der Charta auszutreten.
Am Freitagnachmittag hat mit Luxemburg weiteres Land seinen Austritt aus der Energiecharta angekündigt. “Auch wenn mit der Modernisierung ein paar Fortschritte erzielt wurden, ist der Vertrag immer noch nicht mit den Zielen der Pariser Klimakonferenz vereinbar. Die Charta schützt weiterhin Investitionen in fossile Energien und Atomenergie”, kritisiert der grüne Energieminister Claude Turmes. Charlotte Wirth