für heute ist das erste offizielle Telefonat zwischen Olaf Scholz und Xi Jinping angesetzt. Kein Geringerer als der ehemalige Botschafter Shi Mingde wurde dafür auf chinesischer Seite angewiesen, im Vorfeld die Stimmung in Deutschland zu China auszuloten. Dass so etwas nicht per Video-Call und Zoom-Meeting funktioniert, ist klar. So musste Shi seine Koffer packen, nach Deutschland fliegen und ist im November über eine Woche in der Republik umhergetourt, um mit alten Bekannten aus Politik und Wirtschaft zu sprechen.
Ob Shis Tour etwas gebracht hat, wird sich zeigen. Scholz will China “fair” und “kritisch” behandeln, so stellte er am Mittwoch bereits seine neue China-Politik vor. Wir halten Sie in den kommenden Tagen auf dem Laufenden, wenn es Neues von den Beziehungen der neuen Regierung zu China gibt.
Am Sonntag wählen die Hongkonger zunächst ein neues Parlament. Marcel Grzanna hat mit dem ehemaligen Parlamentarier Ted Hui gesprochen und analysiert, unter welchen Bedingungen die Wahlvorbereitungen laufen. Hui geht davon aus, dass sich die Bürger Hongkongs nicht an der Wahl beteiligen werden. Sie fühlen sich von den “patriotischen” Vertretern, die zur Wahl stehen, schlicht nicht vertreten. Hui und andere Demokratie-Aktivisten aus dem Ausland haben derweil aus dem weltweiten Exil dazu aufgerufen, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen.
Im Rahmen der Reihe Global China Conversations wurde über die Lieferkettensituation gesprochen. Die Welt der Lieferketten werde nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein, analysiert Finn Mayer-Kuckuk. Wenn Geschenke unter dem Weihnachtsbaum fehlen, liegt das nicht nur an Corona, sondern auch am Handeln der Politik. In dem Gespräch am Kiel Institut für Weltwirtschaft gab es leider auch einen pessimistischen Ausblick für 2022.
“Hallo, Genosse!” So haben sich gute Sozialisten in China lange gegrüßt. Dann wurde der Begriff von Homosexuellen besetzt. Seitdem Xi Jinping im Amt ist, will er auch sprachlich aufräumen und hofft durch die Rehabilitierung des Begriffs Genosse, den Sozialismus wieder ins Lot zu bringen. Schließlich formt nach konfuzianischem Verständnis die Sprache die Realität, wie unser Autor Johnny Erling in seiner heutigen Kolumne schreibt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen vierten Advent.
Eine “Geste der kollektiven Verantwortung” nannte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam die Ankündigung, dass am kommenden Sonntag Fahrten mit dem öffentlichen Verkehr für alle Bürger kostenlos sein werden. Man wolle, dass die Leute wählen gehen, so Lam. Dieser Anreiz dürfte nicht von großer Bedeutung sein, da die meisten Wahllokale in der Nähe des Wohnortes der Wähler liegen. Doch sie ist ein Zeichen dafür, dass die Sorge um eine niedrige Wahlbeteiligung groß ist.
Es ist aber auch paradox. Kaum hat die Volksrepublik China die faktische Kontrolle über die Parlamentswahlen in Hongkong an sich gerissen, sind offenbar 10.000 Polizisten zum Schutz des Urnengangs nötig. In der Vergangenheit – als die Stadt noch deutlicher unabhängiger über ihr politisches Personal abgestimmt hat – verliefen die Wahlen immer friedlich, auch ohne Polizeischutz.
Dabei hatte der Nationale Volkskongress in Peking der Sonderverwaltungszone seine einschneidende Wahlrechtsform im März doch eigens deshalb auferlegt, um die Stadt zu befrieden. Jetzt gehen die Behörden anscheinend lieber auf Nummer sicher, um den Frieden tatsächlich auch zu wahren, wenn am Sonntag (19. Dezember) ein neues Parlament unter neuen Bedingungen durch die rund 4,5 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Stadt gewählt werden soll.
Demokratieaktivisten wie Glacier Wong, die derzeit in Deutschland lebt, aber auch Nathan Law, der im Exil in London ist, Regierungsgegner Sunny Cheung und der ehemalige Studentenführer Alex Chow, die beide in den USA sind, haben dieser Tage zu einem Wahlboykott aufgerufen. Erst am Mittwoch wurden vier Personen in Hongkong verhaftet, da sie andere dazu angestiftet haben, nicht an der Wahl des Legislativrats am Sonntag teilzunehmen oder leere Stimmzettel abzugeben. Damit sollen sie angeblich gegen die Wahlverordnung verstoßen haben. Seit Beginn des Jahres verbietet Peking, öffentlich “eine andere Person dazu aufzufordern, nicht zu wählen oder eine ungültige Stimme abzugeben”.
Für den früheren Hongkonger Parlamentarier Ted Hui kommt dieses Vorgehen auch nicht überraschend: “Ich glaube, das Regime hat große Angst vor dem Ergebnis und droht den Menschen deshalb.” Gegen Hui, der in Australien im Exil lebt, wurde ein weiterer Haftbefehl ausgesprochen. Auch Meinungsforschungsinstitute sind ihm zufolge gewarnt worden, die “rote Linie” nicht zu überschreiten.
Vielen seiner politischen Mitstreiter des pro-demokratischen Flügels ist die Flucht nicht gelungen. Mehrere Dutzend von ihnen sitzen nun in Haft und warten auf ihren Prozess. Ihnen wird auf Basis des Nationalen Sicherheitsgesetzes Sezession oder Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Der neue Rechtsrahmen hat den Behörden die Möglichkeit eröffnet, jede Form politischer Opposition als Straftatbestand zu definieren.
Auch viele der einst einflussreichen Oppositionellen sitzen nun schon seit fast einem Jahr hinter Gittern. Die Prozesswelle gegen die Politiker und Aktivisten war im Sommer bis auf Weiteres verschoben worden. Ex-Parlamentarier Hui erkennt darin eine Strategie der Hongkonger Regierung. Von den pro-demokratischen Kräften könne im Vorfeld dieser Wahlen niemand aktiv werden.
Umso mehr Wahlkampf betreibt die Gegenseite, also jener Flügel, der die vorzeitige autoritäre Übernahme der Stadt durch die Volksrepublik China befürwortet. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes forderten in einer konzertierten Aktion ihre Mitbürger:innen dazu auf, “nur Patrioten” zu wählen. Aus Peking stammt die Vorgabe, dass Hongkong künftig nur noch von solchen Patrioten regiert und verwaltet werden möge.
Dazu zählen zwangsweise alle Beamte und Angestellten des Öffentlichen Dienstes. Wer seinen Arbeitsplatz nicht verlieren möchte, sollte tunlichst den Eindruck vermitteln, er sei ein Patriot, der die Linie Pekings voll und ganz unterstützt. Um das zu gewährleisten, führte die Stadt sogar ein neues Gesetz ein, das Amtsträgern einen Eid abverlangt, patriotisch – und damit im Geiste der Kommunistischen Partei – zu handeln.
Doch die Aufrufe wirken geradezu grotesk und dienen eher als ein Versuch, den Wahlen einen demokratischen Anstrich zu verpassen. Das Wahlsystem lässt ohnehin nur noch wenige Lücken für mögliche demokratische Kräfte zu. Ihr Einfluss auf die Legislative wird nur noch sehr gering sein.
Die Wähler:innen haben nur noch die Möglichkeit, die Besetzung von 20 der insgesamt 90 Sitze mit ihrer Stimme zu beeinflussen. Die Mehrheit der Sitze, 70 an der Zahl, wird stattdessen von einem Komitee vergeben, das der Pekinger Führung nahesteht. Bei der letzten Wahl waren es immerhin noch 50 Prozent der Sitze, die von der Bevölkerung bestimmt wurden. Alle Kandidat:innen mussten zudem durch einen Tauglichkeits-Check gehen. Wer dabei den Verdacht erweckte, nicht patriotisch genug zu sein, wurde seines Bürgerrechts der politischen Teilhabe enthoben.
Die chinesische Führung in Peking stellt damit sicher, dass ihr Einfluss in Hongkong noch größer wird. Zwar hatte sie in den 1980er-Jahren einen Vertrag mit den damaligen britischen Kolonialherren unterschrieben, dass der Stadt nach Übergabe 1997 an die Volksrepublik demokratische Freiheiten für 50 Jahre erhalten bleiben sollten. Doch schon wenige Jahre nach Übergabe zeichnete sich ab, dass Peking andere Pläne verfolgte und den Vertrag mit den Briten allenfalls als groben Orientierungsrahmen interpretierte.
Weil auch die Hongkonger Bürgerinnen und Bürger schnell spitz bekamen, dass die ihnen versprochenen Rechte schneller geschluckt würden als zugesagt, begannen schon zu Beginn des Jahrtausends die ersten Proteste gegen den wachsenden Pekinger Einfluss. Das Brodeln brach sich im Jahr 2019 endgültig in einer Massenbewegung bahn, die mehrere Millionen Menschen auf die Straße brachte. Hongkongs Regierung schlug mit Pekinger Unterstützung und voller Härte gegen die Demonstranten zurück. Ein Jahr nach dem Beginn der Protestbewegung schaffte Peking mit der Einführung des Sicherheitsgesetzes neue Fakten.
“Die Demokratie-Bewegung in Hongkong ist faktisch nicht mehr existent”, stellt Ex-Parlamentarier Hui fest. Der Widerstand der Opposition wird deshalb seit geraumer Zeit aus dem Ausland koordiniert. Hui schaut jetzt aus der Ferne zu, wie am kommenden Sonntag gewählt wird. 620 Wahllokale stehen zur Verfügung. 38.000 Verwaltungsbeamte werden den Ablauf des Wahlgangs begleiten. Und die 10.000 Polizisten werden dafür sorgen, dass es zu keinen Zwischenfällen kommt, die an der Legitimität der Wahl Zweifel wecken könnten. Mitarbeit: Ning Wang
Was zu Beginn der Pandemie als “Störungen der Lieferkette” wahrgenommen wurde, ist inzwischen ein Dauerzustand. Waren kommen verspätet an oder sind wochen- und monatelang gar nicht lieferbar. Der Industrie mangelt es an Teilen, wodurch Zwischen- und Endprodukte nicht fertig werden, die wiederum an anderer Stelle fehlen.
Die stotternden Lieferketten sind einer der Gründe für die weltweit steigenden Preise. Sie sind also eine entscheidende Ursache für die weltweit steigende Inflation. Jetzt, vor Weihnachten, spielt das Phänomen auch noch eine andere Rolle. Beliebte Geschenke sind schwerer zu bekommen als in normalen Jahren. Das betrifft Videospielkonsolen genauso wie Mode. Aldi-Kunden müssen auf Aktionsware warten. In den USA werden sogar bei Ikea die Möbel knapp. Miele drosselt die Herstellung von Waschmaschinen. Die Autoindustrie leidet unter riesigen Schäden durch Produktionsausfälle.
Viele dieser Probleme sind jedoch nicht nur von der Pandemie verursacht, sondern auch vom Verhalten der Politik. Das ist ein Ergebnis der Gesprächsveranstaltung “Umgestaltung globaler Industrieketten: Möglichkeiten für China” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Sie fand im Rahmen der Reihe Global China Conversations statt. “Handelskonflikte zwischen China und den USA haben die Situation verschärft”, sagt Xu Qiyuan, Ökonom an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS). Auch nach der Pandemie werde die Welt der Lieferketten nicht mehr dieselbe sein.
Die Dynamik hin zu schwierigeren Handelsbedingungen liege auch daran, dass die großen Handelsblöcke derzeit alle gleichzeitig versuchen, ihre Lieferbeziehungen robuster aufzustellen. Das führe zunächst nicht zu besserer Versorgung – im Gegenteil. “Die Akteure der Weltwirtschaft errichten Barrieren, trennen Märkte und bemühen sich um größere Kontrolle”, sagt Rolf Langhammer, emeritierter Professor am IfW Kiel.
Statt gemeinsam die Störungsanfälligkeit zu verringern, schaffen die großen Volkswirtschaften neue Unsicherheiten. Sie streben bestenfalls unkoordiniert die gleichen Ziele an. In vielen Fällen arbeiten sie sogar gegeneinander. Die Forscher weisen darauf hin, dass seit 2017 die Zahl der Handelsbeschränkungen steil angestiegen ist. Die meisten davon richteten sich in der einen oder anderen Form gegen China.
China hatte dabei nie ein Interesse daran, den Welthandel umzukrempeln, betont CASS-Forscher Xu. “Es war und ist nicht das Ziel, sich von der Weltwirtschaft abzulösen.” Tatsächlich ist die chinesische Volkswirtschaft weiterhin eng eingebunden, wie seine Daten zeigen. Auch Direktinvestitionen fließen weiter in erheblichem Umfang. Die Investitionen in China lohnen sich zudem für die internationalen Spieler weiterhin sehr.
Chinas eigene Versorgung mit Zulieferteilen ist dabei laut Xu einerseits besonders stabil, weil das Land eine große Fertigungstiefe aufweist. Andererseits ist China mindestens ebenso anfällig für Störungen wie alle anderen globalisierten Volkswirtschaften. Da dort viel Endfertigung stattfindet, ist es auf reibungslose Importe der Vorprodukte angewiesen. Plötzliche Störungen im Handelsgefüge bringen auch China also vor allem Nachteile.
Ökonom Langhammer erwartet, dass die Lieferketten künftig zwar nicht unbedingt kürzer, aber stärker regional gebündelt sein werden. Die Vorprodukte kommen dann also zunehmend aus dem gleichen Wirtschaftsraum. Statt echter Robustheit gibt es also eine Renationalisierung zu höheren Kosten. Das ist die Konsequenz aus mehreren Vorgaben der Politik. Ein wichtiges Motiv ist hier die zunehmende geopolitische Rivalität mit China. Die Reaktion darauf ist eine Annäherung von USA und EU auf Kosten Chinas.
Anfang dieser Woche haben sich auch die Finanzminister der G7 versichert, Lieferkettenprobleme künftig nach Möglichkeit zu bekämpfen. Ein möglicher Zusammenbruch von Lieferstrukturen soll künftig vorhergesehen und vermieden werden, sagte der britische Finanzminister Rishi Sunak. Das Ziel war aber auch hier, die “Resilienz”, also die Robustheit gegenüber Störungen, zu erhöhen. Das ist aber genau das Bestreben, das Langhammer zufolge die Diskriminierung im Handel verstärkt, wenn es alle gleichzeitig machen. Solche Ankündigungen deuten also nicht notwendigerweise auf eine Verringerung der protektionistischen Tendenzen hin.
Ein weiteres politisches Projekt mit erheblichen Auswirkungen auf die Lieferbeziehungen ist die Forderung nach Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Das sollen die verschiedenen Lieferkettengesetze erreichen. Deutschland und Frankreich haben solche Gesetze bereits. Die EU will nun jedoch mit einem strengeren Regelwerk nachlegen. Auch wenn die Motive dahinter nobel sind, trägt das zusätzlich zu den Spannungen mit China bei. Und es ist eine weitere Handelshürde, die den Fluss der Waren hemmt.
Im Gesamtbild sind die Forscher von CASS und IfW für die nähere Zukunft nicht sehr optimistisch, dass die Wirtschaftsblöcke zu einer universellen Politik der offenen Märkte zurückkehren. “Wir können nur hoffen, dass die Entwicklung nicht so negativ sein wird, wie wir sie in unseren Szenarien erwarten”, sagt Wan-Hsin Liu vom IfW Kiel.
22.12.2021, 10:00-11:00 Uhr Brüssel Time (5:00-6:00 pm Beijing Time)
EU SME/ Webinar: Omni-Channel Marketing Automation in China Mehr
23.12.2021, 14:00-17:00 Uhr
AHK Shenyang/ Seminar: HR & Legal Seminar: Handling Labor Disputes, Labor Contracts & New Recruitment Challenge Mehr
bis 13.02.2022
Kupferstichkabinett Dresden/ Ausstellung: La Chine. Die China-Sammlung des 18. Jahrhunderts im Dresdner Kupferstich-Kabinett Mehr
bis 27. März 2022, sonntags 11:00-17:00 Uhr
Futurum Nordhausen/ Ausstellung: Geister, Geld und Kindersegen – Chinesische Wertvorstellungen in volkstümlichen Holzdrucken Mehr
Die US-Regierung hat acht weitere Namen auf die schwarzen Listen für Investoren und Lieferanten gesetzt. Darunter fällt auch DJI, der Weltmarktführer für kommerzielle Drohnen. Dem Unternehmen wirft die Biden-Regierung eine Beteiligung an der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang vor. Die nun gebannten Firmen gehörten zum “chinesischen militärisch-industriellen Komplex”, sagten zwei mit den Vorgängen vertraute Personen der Financial Times.
Neben DJI wurden Megvii (Bilderkennung), Dawning Information Industry (Informationstechnologie), CloudWalk Technology (Gesichtserkennung), Xiamen Meiya Pico (Cybersecurity), Yitu Technology (KI), Leon Technology (Cloud-Anbieter) und NetPosa Technologies (Cloud-basierte Überwachungssysteme) auf die Liste gesetzt. Bürger und Unternehmen dürfen in diese nicht investieren, die Produkte sind weiter erhältlich.
Alle acht Unternehmen stehen bereits auf der Liste für das US-Handelsembargo. Das US-Handelsministerium wirft ihnen vor, die staatliche Überwachung der Uiguren zu ermöglichen. Die sogenannte “Entity List” verbietet US-Unternehmen an die aufgeführten Firmen Technologie oder Produkte zu exportieren. ari
China hat die im Zusammenhang mit der Opioid-Krise in den USA verhängten Sanktionen gegen Hersteller von Schmerzmitteln in der Volksrepublik verurteilt. China lehne die Strafmaßnahmen der USA “entschieden ab”, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking. Er forderte Washington auf, die Ursachen für den Missbrauch von Opiaten in den USA zu ergründen und nicht “andere Länder zu beschuldigen“.
US-Präsident Joe Biden hat am Donnerstag eine neue Verordnung in Kraft gesetzt, die es den USA erleichtert, gegen ausländische Medikamentenhersteller vorzugehen. Grund dafür ist die seit Jahren andauernde Opioid-Krise in den USA, die sich in der Pandemiezeit noch verstärkt hat. Laut Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC verzeichnete die USA zwischen April 2020 und April 2021 über 100.000 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Drogen-Überdosis.
Washington geht gegen vier Konzerne und eine Einzelperson aus China vor, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Die Maßnahmen “werden dazu beitragen, die globale Versorgungskette und die Finanznetzwerke zu durchbrechen, über die synthetische Opioide und chemische Rohstoffe in die Vereinigten Staaten gelangen”, erklärte US-Außenminister Antony Blinken. China ist einer der größten Herstellerländer dieser Opioide. “Ich denke, es ist ganz klar, dass viele der Rohstoffe für synthetische Opioide ihren Ursprung in China haben”, sagte ein US-Regierungsbeamter. niw
Der Covid-19-Impfstoff von Sinovac Biotech ist laut einer neuen Studie der Universität Hongkong nicht in der Lage, ausreichende Antikörper zu produzieren, um den stark mutierten Coronavirus-Stamm Omikron zu neutralisieren. Der chinesische Impfstoff Sinovac liefert laut Forschern “unzureichende” Antikörper gegen die Omikron-Variante des Coronavirus.
“Omikron hat die chinesischen Impfstoffe gegen die Bedrohung durch Covid noch unwirksamer gemacht”, sagte Nicholas Thomas, außerordentlicher Professor an der City University of Hongkong, der sich auf Gesundheitssicherheit in Asien spezialisiert hat. “Die Herausforderung für die chinesischen Behörden wird darin bestehen, die Bevölkerung für eine weitere Impfrunde zu verpflichten”, fügt Thomas hinzu.
Wissenschaftler der Hongkong-Universität testeten für die Studie die Antikörperspiegel von 25 Personen, die beide Dosen des Sinovac-Impfstoffs erhielten – ein inaktivierter Impfstoff im Gegensatz zu mRNA-Impfungen wie den von Biontech/Pfizer entwickelten Vakzinen. Sie stellten fest, dass keiner der Teilnehmer genügend Antikörper im Blut hatte, um die neue Virusvariante zu neutralisieren. Im Gegensatz dazu wurden bei fünf Personen aus einer Gruppe von 25, die zwei Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs erhielten, nachweisbare neutralisierende Antikörper gegen Omikron festgestellt, die nach Angaben der Forscher eine “Wirksamkeit” zwischen 20 und 24 Prozent gegenüber Omikron zeigten. niw
Nachdem das chinesische KI-Unternehmen Sensetime erst vergangene Woche seinen Börsengang an der Hongkonger Börse verschoben hat (China.Table berichtete), plant Sensetime laut Insidern am kommenden Montag einen neuen Anlauf für sein Börsendebüt.
Das Unternehmen, das seinen Firmensitz in Hongkong hat, und unter anderem für Honda die KI-Technologie entwickelt, hatte aufgrund von neuen Sanktionen der US-Regierung sein IPO in Hongkong zunächst verschoben, da künftige Finanzpositionen von den Sanktionen betroffen wären. Die USA werfen Sensetime vor, mit seiner Gesichtsüberwachungssoftware dazu beizutragen, die Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang zu überwachen.
Laut dem Börsenprospekt will Sensetime 1,5 Millionen Aktien für 3,85 bis 3,99 Hongkong-Dollar verkaufen und damit 767 Millionen Dollar einnehmen. Diese Zahl liegt dabei bereits deutlich unter den einst angepeilten zwei Milliarden US-Dollar. niw/rtr
Chinas Kommunisten sollen auch nach 100 Jahren stolz auf ihre proletarische Anrede “Genosse” (同志 tongzhi) sein. So will es ihre Führung. 1921 schrieben sie ins Gründungsstatut: “Wer der Partei beitreten will, loyal ihr Programm und ihre Politik anerkennt und von einem anderen Mitglied empfohlen wird, ist ungeachtet von Geschlecht oder Nationalität unser Genosse.” Seit Beginn der Reformen aber blätterte der Lack vom Wort Genosse ab. Lokale Parteibonzen ließen sich lieber “Boss” rufen. Schlimmer noch: Nach der sexuellen Emanzipation in der Gesellschaft kaperte sich die LGBTQ-Bewegung den obsolet gewordenen Begriff. In der Szenesprache wurde aus Genosse eine Anrede zwischen Lovern des gleichen Geschlechts. 2016 eroberte die KP ihr Wort zurück. Seither müssen sich wieder “innerparteilich alle ohne Ausnahmen Genossen nennen.”
Nur in der Armee stand die Anrede “Genossen” immer hoch im Kurs. Dafür sorgte nach der Kulturrevolution Deng Xiaoping. Als Oberbefehlshaber ließ er den 35. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik mit einer Militärparade feiern. Dazu hatten die am 1. Oktober 1984 aufmarschierenden Streitkräfte eine neue Grußformel eingeübt. Deng fuhr in einer Rote-Fahne-Limousine mit offenem Verdeck an ihnen unter den Rufen vorbei: “Genossen – Ich grüße Euch!” (同志们好!) und “Genossen – Ihr nehmt große Mühen auf Euch!” (同志们辛苦了!). Die Soldaten brüllten zurück: “Führer: Wir grüßen Dich!” und “Wir dienen dem Volk!”
Die Armee hat seither das Ritual für ihre Paraden beibehalten, auch unter allen späteren Nachfolgern Dengs bis zum heutigen Partei- und Militärchef Xi Jinping. Inzwischen ist das Wort Genosse wieder ein fester Bestandteil des Parteijargons. Im gerade nach einer dreitägigen ZK-Wirtschaftskonferenz veröffentlichten Kommuniqué steht im Schlussabsatz das Wort gleich fünfmal hintereinander. Xi fordert alle “Genossen der gesamten Partei” (全党同志), die “führenden Genossen” (领导同志) und die “verantwortlichen Genossen” (负责同志) zur Erfüllung der Aufgaben für das Jahr 2022 auf.
Genosse ist wieder en Vogue. Die beiden Schriftzeichen des Wortes bedeuten “gemeinsames Wollen”. Die Partei hatte ihr Lehnwort, wie das Großwörterbuch Cihai erklärt, von einem mehr als 2.000 Jahre alten Sinnspruch abgeleitet, wonach “gemeinsame Tugenden und gemeinsames Herz zum gemeinsamen Wollen führen.” (同德则同心,同心则同志). So steht es in den historischen Annalen des Guoyu-Jinyusi (国语·晋语四). Anfangs durften sich nur Parteimitglieder Genossen nennen. Nach 1949, so das Cihai, wurde daraus eine “allgemeine öffentliche Anrede.”
Das ging so lange gut, bis die Bürger dank Pekings Reformpolitik die Nase voll vom gleichmacherischen Namen hatten. Er passte nicht mehr zur angestrebten “zivilisierten Gesellschaft” und auch nicht zur erhofften konfuzianischen Höflichkeit im Umgang miteinander. 2010 spiegelten die “Dienstleistungs-Standards” der Pekinger Verkehrsbetriebe das neue Denken wider. Danach sollten Busreisende mit “Herr”, “Dame” oder neutral mit “Fahrgast” (乘客) angesprochen werden. Jugendliche und Kinder hätten ein Anrecht, “kleine Freunde oder Mitschüler” gerufen zu werden. Nur Rentner dürften Genossen genannt werden – aber nur, wenn es nicht anders geht. Süffisant schrieb die Pekinger Morgenzeitung Chenbao: Alle Älteren sollten entweder “Alter Meister oder Alter Lehrer” gerufen werden und “erst dann Alter Genosse”. (老师傅”、”老先生”,然后才是 “老同志). Die damalige “Global Times” titelte: “Don’t call passengers comrade.”
Für orthodoxe Kommunisten kam es noch schlimmer: Viele KP-Mitglieder verbaten es sich, Genosse genannt zu werden. Sie wollten mit ihrem Namen und Titel angesprochen werden. Lokale KP-Sekretäre ließen sich von ihren Untergebenen als “Großer Boss” (大老板) oder “Chef Nummer 1” (老大) schmeicheln.
Die Marxisten rotierten und erst recht, als der wichtigste Solidarbegriff der Partei zu einem Modewort im Alltag umfunktioniert wurde. Chinas Schwulen- und Lesbenszene übernahm von der Gay-Community auf Taiwan und in Hongkong die Anrede “Genosse und Genossin” als Codeworte für ihre gleichgeschlechtlichen Freundschaften. Das taten sie ganz offen. Seit 1997 war Homosexualität in der Volksrepublik nicht mehr strafbar und wurde ab 2001 von der Stigmatisierung befreit, eine “mentale Störung” zu sein. 2008 drehte Filmemacher Cui Zi’en (崔子恩) einen preisgekrönten, bis heute auf Youku in China verfügbaren Dokumentarfilm “Queer China, ‘Comrade’ China” (誌同志) über die sexuelle Emanzipation unter den “Genossen” in der Volksrepublik. Wie selbstbewusst die Bewegung auftrat, zeigte sich, als ihre Aktivisten 2012 lautstark protestierten, weil sich Chinas neu erschienenes “Modern Chinese Dictionary” nicht traute, die zweite Bedeutung des Wortes Genosse zu erklären.
Es dauerte aber noch bis 2014, bevor die KP unter Parteichef Xi antrat, um sich die ideologischen Positionen zurückzuerobern und wieder aufzubauen, die ein von ihnen als “kultureller Nihilismus” gebrandmarkter Zeitgeist zerstört hatte. Die Parteiführungen in Guangdong und Ningbo waren die ersten, die ihren Mitgliedern verboten, sich und ihre Vorgesetzten “Kumpel“, “Chef” oder “Boss” zu nennen. Xi setzte schließlich durch, dass sich “innerparteilich alle wieder ohne Ausnahme als Genossen anreden müssen” (党内一律称同志), wie das KP-Nachrichtenportal Ende 2016 enthüllte.
Die Hoffnung, dass sich durch die Rehabilitierung und Neubelebung des Begriffs Genosse die Dinge wieder umkehren und von ihrer “Unordnung ins rechte Lot gerückt” werden können, stützt sich auf konfuzianisches Gedankengut. Konfuzius hatte einst seinem Schüler Zilu (子路) die Frage beantwortet, was man zuerst tun müsse, um einen Staat zu regieren und die Herrschaft über ihn herzustellen: “Stell den Sinn der Begriffe wieder richtig (必也正名乎). Wenn die Begriffe nicht richtig sind, stimmen auch die Worte nicht; wenn die aber nicht stimmen, kommen keine Taten zustande… Der Edle ist in der Lage, die Begriffe zu bestimmen und seine Worte zu Taten werden zu lassen (名不正,則 言不順;言不順,則事不成;事不成…。君子于其 言,無所茍而已矣).”
Nach dieser Weisheit lässt Xi ideologisch aufräumen, zuerst in der Partei. Alle ihre Mitglieder sollen sich in Reih und Glied aufstellen, um – ebenso wie die Armee bei den großen Militärparaden – von ihm wieder als gute “Genossen” begrüßt werden zu können.
Jing Quan wurde zum Berater des chinesischen Botschafters Qin Gang in Washington ernannt. Beobachter sehen Jings Ernennung als ein Zeichen dafür, dass Peking um die Beziehungen in den USA bemüht ist, die sich zuletzt durch Sanktionen und Handelsbarrieren verschlechtert haben. Jing, der als stellvertretender Leiter der Abteilung für nordamerikanische und ozeanische Angelegenheiten des Außenministeriums zurückgetreten war, gilt als Pragmatiker.
Hu Xijin tritt als Chefredakteur der Staatszeitung Global Times zurück. “Ich habe die Ruhestandsformalitäten erledigt und bin nicht mehr Chefredakteur der Global Times”, schrieb Hu am Donnerstag auf Chinas Twitter-Pendant Weibo. Er sagte, dass es im Alter von 61 Jahren an der Zeit sei, dass “Old Hu” abtritt. Hu leitet die Global Times seit 2005 und hatte 2009 die englische Version der Zeitung eingeführt. Er scheute sich nicht, auch die heiklen und politisch aufgeladenen Themen in Echtzeit zu kommentieren. Ein Nachfolger steht bisher nicht fest.
Bing Dwen Dwen, so heißt eines der beiden Maskottchen der Olympischen Winterspiele 2022. Der Riesenpanda im Schneeanzug wurde von Cao Xue, einem Chefdesigner der Guangzhou Academy of Fine Arts, entworfen. Dass er nun auf der Einkaufsmeile Wangfujing in Peking den Passanten zuwinkt, zeigt, welche Botschaft die KP den Menschen im Land überbringen will: Die Spiele finden statt! Zuletzt hatten immer mehr ausländische Länder aufgrund von Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang einen diplomatischen Boykott der Winterspiele in Peking signalisiert. Da hilft auch keine Panda-Diplomatie.
für heute ist das erste offizielle Telefonat zwischen Olaf Scholz und Xi Jinping angesetzt. Kein Geringerer als der ehemalige Botschafter Shi Mingde wurde dafür auf chinesischer Seite angewiesen, im Vorfeld die Stimmung in Deutschland zu China auszuloten. Dass so etwas nicht per Video-Call und Zoom-Meeting funktioniert, ist klar. So musste Shi seine Koffer packen, nach Deutschland fliegen und ist im November über eine Woche in der Republik umhergetourt, um mit alten Bekannten aus Politik und Wirtschaft zu sprechen.
Ob Shis Tour etwas gebracht hat, wird sich zeigen. Scholz will China “fair” und “kritisch” behandeln, so stellte er am Mittwoch bereits seine neue China-Politik vor. Wir halten Sie in den kommenden Tagen auf dem Laufenden, wenn es Neues von den Beziehungen der neuen Regierung zu China gibt.
Am Sonntag wählen die Hongkonger zunächst ein neues Parlament. Marcel Grzanna hat mit dem ehemaligen Parlamentarier Ted Hui gesprochen und analysiert, unter welchen Bedingungen die Wahlvorbereitungen laufen. Hui geht davon aus, dass sich die Bürger Hongkongs nicht an der Wahl beteiligen werden. Sie fühlen sich von den “patriotischen” Vertretern, die zur Wahl stehen, schlicht nicht vertreten. Hui und andere Demokratie-Aktivisten aus dem Ausland haben derweil aus dem weltweiten Exil dazu aufgerufen, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen.
Im Rahmen der Reihe Global China Conversations wurde über die Lieferkettensituation gesprochen. Die Welt der Lieferketten werde nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein, analysiert Finn Mayer-Kuckuk. Wenn Geschenke unter dem Weihnachtsbaum fehlen, liegt das nicht nur an Corona, sondern auch am Handeln der Politik. In dem Gespräch am Kiel Institut für Weltwirtschaft gab es leider auch einen pessimistischen Ausblick für 2022.
“Hallo, Genosse!” So haben sich gute Sozialisten in China lange gegrüßt. Dann wurde der Begriff von Homosexuellen besetzt. Seitdem Xi Jinping im Amt ist, will er auch sprachlich aufräumen und hofft durch die Rehabilitierung des Begriffs Genosse, den Sozialismus wieder ins Lot zu bringen. Schließlich formt nach konfuzianischem Verständnis die Sprache die Realität, wie unser Autor Johnny Erling in seiner heutigen Kolumne schreibt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen vierten Advent.
Eine “Geste der kollektiven Verantwortung” nannte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam die Ankündigung, dass am kommenden Sonntag Fahrten mit dem öffentlichen Verkehr für alle Bürger kostenlos sein werden. Man wolle, dass die Leute wählen gehen, so Lam. Dieser Anreiz dürfte nicht von großer Bedeutung sein, da die meisten Wahllokale in der Nähe des Wohnortes der Wähler liegen. Doch sie ist ein Zeichen dafür, dass die Sorge um eine niedrige Wahlbeteiligung groß ist.
Es ist aber auch paradox. Kaum hat die Volksrepublik China die faktische Kontrolle über die Parlamentswahlen in Hongkong an sich gerissen, sind offenbar 10.000 Polizisten zum Schutz des Urnengangs nötig. In der Vergangenheit – als die Stadt noch deutlicher unabhängiger über ihr politisches Personal abgestimmt hat – verliefen die Wahlen immer friedlich, auch ohne Polizeischutz.
Dabei hatte der Nationale Volkskongress in Peking der Sonderverwaltungszone seine einschneidende Wahlrechtsform im März doch eigens deshalb auferlegt, um die Stadt zu befrieden. Jetzt gehen die Behörden anscheinend lieber auf Nummer sicher, um den Frieden tatsächlich auch zu wahren, wenn am Sonntag (19. Dezember) ein neues Parlament unter neuen Bedingungen durch die rund 4,5 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Stadt gewählt werden soll.
Demokratieaktivisten wie Glacier Wong, die derzeit in Deutschland lebt, aber auch Nathan Law, der im Exil in London ist, Regierungsgegner Sunny Cheung und der ehemalige Studentenführer Alex Chow, die beide in den USA sind, haben dieser Tage zu einem Wahlboykott aufgerufen. Erst am Mittwoch wurden vier Personen in Hongkong verhaftet, da sie andere dazu angestiftet haben, nicht an der Wahl des Legislativrats am Sonntag teilzunehmen oder leere Stimmzettel abzugeben. Damit sollen sie angeblich gegen die Wahlverordnung verstoßen haben. Seit Beginn des Jahres verbietet Peking, öffentlich “eine andere Person dazu aufzufordern, nicht zu wählen oder eine ungültige Stimme abzugeben”.
Für den früheren Hongkonger Parlamentarier Ted Hui kommt dieses Vorgehen auch nicht überraschend: “Ich glaube, das Regime hat große Angst vor dem Ergebnis und droht den Menschen deshalb.” Gegen Hui, der in Australien im Exil lebt, wurde ein weiterer Haftbefehl ausgesprochen. Auch Meinungsforschungsinstitute sind ihm zufolge gewarnt worden, die “rote Linie” nicht zu überschreiten.
Vielen seiner politischen Mitstreiter des pro-demokratischen Flügels ist die Flucht nicht gelungen. Mehrere Dutzend von ihnen sitzen nun in Haft und warten auf ihren Prozess. Ihnen wird auf Basis des Nationalen Sicherheitsgesetzes Sezession oder Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Der neue Rechtsrahmen hat den Behörden die Möglichkeit eröffnet, jede Form politischer Opposition als Straftatbestand zu definieren.
Auch viele der einst einflussreichen Oppositionellen sitzen nun schon seit fast einem Jahr hinter Gittern. Die Prozesswelle gegen die Politiker und Aktivisten war im Sommer bis auf Weiteres verschoben worden. Ex-Parlamentarier Hui erkennt darin eine Strategie der Hongkonger Regierung. Von den pro-demokratischen Kräften könne im Vorfeld dieser Wahlen niemand aktiv werden.
Umso mehr Wahlkampf betreibt die Gegenseite, also jener Flügel, der die vorzeitige autoritäre Übernahme der Stadt durch die Volksrepublik China befürwortet. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes forderten in einer konzertierten Aktion ihre Mitbürger:innen dazu auf, “nur Patrioten” zu wählen. Aus Peking stammt die Vorgabe, dass Hongkong künftig nur noch von solchen Patrioten regiert und verwaltet werden möge.
Dazu zählen zwangsweise alle Beamte und Angestellten des Öffentlichen Dienstes. Wer seinen Arbeitsplatz nicht verlieren möchte, sollte tunlichst den Eindruck vermitteln, er sei ein Patriot, der die Linie Pekings voll und ganz unterstützt. Um das zu gewährleisten, führte die Stadt sogar ein neues Gesetz ein, das Amtsträgern einen Eid abverlangt, patriotisch – und damit im Geiste der Kommunistischen Partei – zu handeln.
Doch die Aufrufe wirken geradezu grotesk und dienen eher als ein Versuch, den Wahlen einen demokratischen Anstrich zu verpassen. Das Wahlsystem lässt ohnehin nur noch wenige Lücken für mögliche demokratische Kräfte zu. Ihr Einfluss auf die Legislative wird nur noch sehr gering sein.
Die Wähler:innen haben nur noch die Möglichkeit, die Besetzung von 20 der insgesamt 90 Sitze mit ihrer Stimme zu beeinflussen. Die Mehrheit der Sitze, 70 an der Zahl, wird stattdessen von einem Komitee vergeben, das der Pekinger Führung nahesteht. Bei der letzten Wahl waren es immerhin noch 50 Prozent der Sitze, die von der Bevölkerung bestimmt wurden. Alle Kandidat:innen mussten zudem durch einen Tauglichkeits-Check gehen. Wer dabei den Verdacht erweckte, nicht patriotisch genug zu sein, wurde seines Bürgerrechts der politischen Teilhabe enthoben.
Die chinesische Führung in Peking stellt damit sicher, dass ihr Einfluss in Hongkong noch größer wird. Zwar hatte sie in den 1980er-Jahren einen Vertrag mit den damaligen britischen Kolonialherren unterschrieben, dass der Stadt nach Übergabe 1997 an die Volksrepublik demokratische Freiheiten für 50 Jahre erhalten bleiben sollten. Doch schon wenige Jahre nach Übergabe zeichnete sich ab, dass Peking andere Pläne verfolgte und den Vertrag mit den Briten allenfalls als groben Orientierungsrahmen interpretierte.
Weil auch die Hongkonger Bürgerinnen und Bürger schnell spitz bekamen, dass die ihnen versprochenen Rechte schneller geschluckt würden als zugesagt, begannen schon zu Beginn des Jahrtausends die ersten Proteste gegen den wachsenden Pekinger Einfluss. Das Brodeln brach sich im Jahr 2019 endgültig in einer Massenbewegung bahn, die mehrere Millionen Menschen auf die Straße brachte. Hongkongs Regierung schlug mit Pekinger Unterstützung und voller Härte gegen die Demonstranten zurück. Ein Jahr nach dem Beginn der Protestbewegung schaffte Peking mit der Einführung des Sicherheitsgesetzes neue Fakten.
“Die Demokratie-Bewegung in Hongkong ist faktisch nicht mehr existent”, stellt Ex-Parlamentarier Hui fest. Der Widerstand der Opposition wird deshalb seit geraumer Zeit aus dem Ausland koordiniert. Hui schaut jetzt aus der Ferne zu, wie am kommenden Sonntag gewählt wird. 620 Wahllokale stehen zur Verfügung. 38.000 Verwaltungsbeamte werden den Ablauf des Wahlgangs begleiten. Und die 10.000 Polizisten werden dafür sorgen, dass es zu keinen Zwischenfällen kommt, die an der Legitimität der Wahl Zweifel wecken könnten. Mitarbeit: Ning Wang
Was zu Beginn der Pandemie als “Störungen der Lieferkette” wahrgenommen wurde, ist inzwischen ein Dauerzustand. Waren kommen verspätet an oder sind wochen- und monatelang gar nicht lieferbar. Der Industrie mangelt es an Teilen, wodurch Zwischen- und Endprodukte nicht fertig werden, die wiederum an anderer Stelle fehlen.
Die stotternden Lieferketten sind einer der Gründe für die weltweit steigenden Preise. Sie sind also eine entscheidende Ursache für die weltweit steigende Inflation. Jetzt, vor Weihnachten, spielt das Phänomen auch noch eine andere Rolle. Beliebte Geschenke sind schwerer zu bekommen als in normalen Jahren. Das betrifft Videospielkonsolen genauso wie Mode. Aldi-Kunden müssen auf Aktionsware warten. In den USA werden sogar bei Ikea die Möbel knapp. Miele drosselt die Herstellung von Waschmaschinen. Die Autoindustrie leidet unter riesigen Schäden durch Produktionsausfälle.
Viele dieser Probleme sind jedoch nicht nur von der Pandemie verursacht, sondern auch vom Verhalten der Politik. Das ist ein Ergebnis der Gesprächsveranstaltung “Umgestaltung globaler Industrieketten: Möglichkeiten für China” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Sie fand im Rahmen der Reihe Global China Conversations statt. “Handelskonflikte zwischen China und den USA haben die Situation verschärft”, sagt Xu Qiyuan, Ökonom an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS). Auch nach der Pandemie werde die Welt der Lieferketten nicht mehr dieselbe sein.
Die Dynamik hin zu schwierigeren Handelsbedingungen liege auch daran, dass die großen Handelsblöcke derzeit alle gleichzeitig versuchen, ihre Lieferbeziehungen robuster aufzustellen. Das führe zunächst nicht zu besserer Versorgung – im Gegenteil. “Die Akteure der Weltwirtschaft errichten Barrieren, trennen Märkte und bemühen sich um größere Kontrolle”, sagt Rolf Langhammer, emeritierter Professor am IfW Kiel.
Statt gemeinsam die Störungsanfälligkeit zu verringern, schaffen die großen Volkswirtschaften neue Unsicherheiten. Sie streben bestenfalls unkoordiniert die gleichen Ziele an. In vielen Fällen arbeiten sie sogar gegeneinander. Die Forscher weisen darauf hin, dass seit 2017 die Zahl der Handelsbeschränkungen steil angestiegen ist. Die meisten davon richteten sich in der einen oder anderen Form gegen China.
China hatte dabei nie ein Interesse daran, den Welthandel umzukrempeln, betont CASS-Forscher Xu. “Es war und ist nicht das Ziel, sich von der Weltwirtschaft abzulösen.” Tatsächlich ist die chinesische Volkswirtschaft weiterhin eng eingebunden, wie seine Daten zeigen. Auch Direktinvestitionen fließen weiter in erheblichem Umfang. Die Investitionen in China lohnen sich zudem für die internationalen Spieler weiterhin sehr.
Chinas eigene Versorgung mit Zulieferteilen ist dabei laut Xu einerseits besonders stabil, weil das Land eine große Fertigungstiefe aufweist. Andererseits ist China mindestens ebenso anfällig für Störungen wie alle anderen globalisierten Volkswirtschaften. Da dort viel Endfertigung stattfindet, ist es auf reibungslose Importe der Vorprodukte angewiesen. Plötzliche Störungen im Handelsgefüge bringen auch China also vor allem Nachteile.
Ökonom Langhammer erwartet, dass die Lieferketten künftig zwar nicht unbedingt kürzer, aber stärker regional gebündelt sein werden. Die Vorprodukte kommen dann also zunehmend aus dem gleichen Wirtschaftsraum. Statt echter Robustheit gibt es also eine Renationalisierung zu höheren Kosten. Das ist die Konsequenz aus mehreren Vorgaben der Politik. Ein wichtiges Motiv ist hier die zunehmende geopolitische Rivalität mit China. Die Reaktion darauf ist eine Annäherung von USA und EU auf Kosten Chinas.
Anfang dieser Woche haben sich auch die Finanzminister der G7 versichert, Lieferkettenprobleme künftig nach Möglichkeit zu bekämpfen. Ein möglicher Zusammenbruch von Lieferstrukturen soll künftig vorhergesehen und vermieden werden, sagte der britische Finanzminister Rishi Sunak. Das Ziel war aber auch hier, die “Resilienz”, also die Robustheit gegenüber Störungen, zu erhöhen. Das ist aber genau das Bestreben, das Langhammer zufolge die Diskriminierung im Handel verstärkt, wenn es alle gleichzeitig machen. Solche Ankündigungen deuten also nicht notwendigerweise auf eine Verringerung der protektionistischen Tendenzen hin.
Ein weiteres politisches Projekt mit erheblichen Auswirkungen auf die Lieferbeziehungen ist die Forderung nach Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Das sollen die verschiedenen Lieferkettengesetze erreichen. Deutschland und Frankreich haben solche Gesetze bereits. Die EU will nun jedoch mit einem strengeren Regelwerk nachlegen. Auch wenn die Motive dahinter nobel sind, trägt das zusätzlich zu den Spannungen mit China bei. Und es ist eine weitere Handelshürde, die den Fluss der Waren hemmt.
Im Gesamtbild sind die Forscher von CASS und IfW für die nähere Zukunft nicht sehr optimistisch, dass die Wirtschaftsblöcke zu einer universellen Politik der offenen Märkte zurückkehren. “Wir können nur hoffen, dass die Entwicklung nicht so negativ sein wird, wie wir sie in unseren Szenarien erwarten”, sagt Wan-Hsin Liu vom IfW Kiel.
22.12.2021, 10:00-11:00 Uhr Brüssel Time (5:00-6:00 pm Beijing Time)
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23.12.2021, 14:00-17:00 Uhr
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Die US-Regierung hat acht weitere Namen auf die schwarzen Listen für Investoren und Lieferanten gesetzt. Darunter fällt auch DJI, der Weltmarktführer für kommerzielle Drohnen. Dem Unternehmen wirft die Biden-Regierung eine Beteiligung an der Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang vor. Die nun gebannten Firmen gehörten zum “chinesischen militärisch-industriellen Komplex”, sagten zwei mit den Vorgängen vertraute Personen der Financial Times.
Neben DJI wurden Megvii (Bilderkennung), Dawning Information Industry (Informationstechnologie), CloudWalk Technology (Gesichtserkennung), Xiamen Meiya Pico (Cybersecurity), Yitu Technology (KI), Leon Technology (Cloud-Anbieter) und NetPosa Technologies (Cloud-basierte Überwachungssysteme) auf die Liste gesetzt. Bürger und Unternehmen dürfen in diese nicht investieren, die Produkte sind weiter erhältlich.
Alle acht Unternehmen stehen bereits auf der Liste für das US-Handelsembargo. Das US-Handelsministerium wirft ihnen vor, die staatliche Überwachung der Uiguren zu ermöglichen. Die sogenannte “Entity List” verbietet US-Unternehmen an die aufgeführten Firmen Technologie oder Produkte zu exportieren. ari
China hat die im Zusammenhang mit der Opioid-Krise in den USA verhängten Sanktionen gegen Hersteller von Schmerzmitteln in der Volksrepublik verurteilt. China lehne die Strafmaßnahmen der USA “entschieden ab”, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Donnerstag in Peking. Er forderte Washington auf, die Ursachen für den Missbrauch von Opiaten in den USA zu ergründen und nicht “andere Länder zu beschuldigen“.
US-Präsident Joe Biden hat am Donnerstag eine neue Verordnung in Kraft gesetzt, die es den USA erleichtert, gegen ausländische Medikamentenhersteller vorzugehen. Grund dafür ist die seit Jahren andauernde Opioid-Krise in den USA, die sich in der Pandemiezeit noch verstärkt hat. Laut Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC verzeichnete die USA zwischen April 2020 und April 2021 über 100.000 Todesfälle im Zusammenhang mit einer Drogen-Überdosis.
Washington geht gegen vier Konzerne und eine Einzelperson aus China vor, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Die Maßnahmen “werden dazu beitragen, die globale Versorgungskette und die Finanznetzwerke zu durchbrechen, über die synthetische Opioide und chemische Rohstoffe in die Vereinigten Staaten gelangen”, erklärte US-Außenminister Antony Blinken. China ist einer der größten Herstellerländer dieser Opioide. “Ich denke, es ist ganz klar, dass viele der Rohstoffe für synthetische Opioide ihren Ursprung in China haben”, sagte ein US-Regierungsbeamter. niw
Der Covid-19-Impfstoff von Sinovac Biotech ist laut einer neuen Studie der Universität Hongkong nicht in der Lage, ausreichende Antikörper zu produzieren, um den stark mutierten Coronavirus-Stamm Omikron zu neutralisieren. Der chinesische Impfstoff Sinovac liefert laut Forschern “unzureichende” Antikörper gegen die Omikron-Variante des Coronavirus.
“Omikron hat die chinesischen Impfstoffe gegen die Bedrohung durch Covid noch unwirksamer gemacht”, sagte Nicholas Thomas, außerordentlicher Professor an der City University of Hongkong, der sich auf Gesundheitssicherheit in Asien spezialisiert hat. “Die Herausforderung für die chinesischen Behörden wird darin bestehen, die Bevölkerung für eine weitere Impfrunde zu verpflichten”, fügt Thomas hinzu.
Wissenschaftler der Hongkong-Universität testeten für die Studie die Antikörperspiegel von 25 Personen, die beide Dosen des Sinovac-Impfstoffs erhielten – ein inaktivierter Impfstoff im Gegensatz zu mRNA-Impfungen wie den von Biontech/Pfizer entwickelten Vakzinen. Sie stellten fest, dass keiner der Teilnehmer genügend Antikörper im Blut hatte, um die neue Virusvariante zu neutralisieren. Im Gegensatz dazu wurden bei fünf Personen aus einer Gruppe von 25, die zwei Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs erhielten, nachweisbare neutralisierende Antikörper gegen Omikron festgestellt, die nach Angaben der Forscher eine “Wirksamkeit” zwischen 20 und 24 Prozent gegenüber Omikron zeigten. niw
Nachdem das chinesische KI-Unternehmen Sensetime erst vergangene Woche seinen Börsengang an der Hongkonger Börse verschoben hat (China.Table berichtete), plant Sensetime laut Insidern am kommenden Montag einen neuen Anlauf für sein Börsendebüt.
Das Unternehmen, das seinen Firmensitz in Hongkong hat, und unter anderem für Honda die KI-Technologie entwickelt, hatte aufgrund von neuen Sanktionen der US-Regierung sein IPO in Hongkong zunächst verschoben, da künftige Finanzpositionen von den Sanktionen betroffen wären. Die USA werfen Sensetime vor, mit seiner Gesichtsüberwachungssoftware dazu beizutragen, die Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang zu überwachen.
Laut dem Börsenprospekt will Sensetime 1,5 Millionen Aktien für 3,85 bis 3,99 Hongkong-Dollar verkaufen und damit 767 Millionen Dollar einnehmen. Diese Zahl liegt dabei bereits deutlich unter den einst angepeilten zwei Milliarden US-Dollar. niw/rtr
Chinas Kommunisten sollen auch nach 100 Jahren stolz auf ihre proletarische Anrede “Genosse” (同志 tongzhi) sein. So will es ihre Führung. 1921 schrieben sie ins Gründungsstatut: “Wer der Partei beitreten will, loyal ihr Programm und ihre Politik anerkennt und von einem anderen Mitglied empfohlen wird, ist ungeachtet von Geschlecht oder Nationalität unser Genosse.” Seit Beginn der Reformen aber blätterte der Lack vom Wort Genosse ab. Lokale Parteibonzen ließen sich lieber “Boss” rufen. Schlimmer noch: Nach der sexuellen Emanzipation in der Gesellschaft kaperte sich die LGBTQ-Bewegung den obsolet gewordenen Begriff. In der Szenesprache wurde aus Genosse eine Anrede zwischen Lovern des gleichen Geschlechts. 2016 eroberte die KP ihr Wort zurück. Seither müssen sich wieder “innerparteilich alle ohne Ausnahmen Genossen nennen.”
Nur in der Armee stand die Anrede “Genossen” immer hoch im Kurs. Dafür sorgte nach der Kulturrevolution Deng Xiaoping. Als Oberbefehlshaber ließ er den 35. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik mit einer Militärparade feiern. Dazu hatten die am 1. Oktober 1984 aufmarschierenden Streitkräfte eine neue Grußformel eingeübt. Deng fuhr in einer Rote-Fahne-Limousine mit offenem Verdeck an ihnen unter den Rufen vorbei: “Genossen – Ich grüße Euch!” (同志们好!) und “Genossen – Ihr nehmt große Mühen auf Euch!” (同志们辛苦了!). Die Soldaten brüllten zurück: “Führer: Wir grüßen Dich!” und “Wir dienen dem Volk!”
Die Armee hat seither das Ritual für ihre Paraden beibehalten, auch unter allen späteren Nachfolgern Dengs bis zum heutigen Partei- und Militärchef Xi Jinping. Inzwischen ist das Wort Genosse wieder ein fester Bestandteil des Parteijargons. Im gerade nach einer dreitägigen ZK-Wirtschaftskonferenz veröffentlichten Kommuniqué steht im Schlussabsatz das Wort gleich fünfmal hintereinander. Xi fordert alle “Genossen der gesamten Partei” (全党同志), die “führenden Genossen” (领导同志) und die “verantwortlichen Genossen” (负责同志) zur Erfüllung der Aufgaben für das Jahr 2022 auf.
Genosse ist wieder en Vogue. Die beiden Schriftzeichen des Wortes bedeuten “gemeinsames Wollen”. Die Partei hatte ihr Lehnwort, wie das Großwörterbuch Cihai erklärt, von einem mehr als 2.000 Jahre alten Sinnspruch abgeleitet, wonach “gemeinsame Tugenden und gemeinsames Herz zum gemeinsamen Wollen führen.” (同德则同心,同心则同志). So steht es in den historischen Annalen des Guoyu-Jinyusi (国语·晋语四). Anfangs durften sich nur Parteimitglieder Genossen nennen. Nach 1949, so das Cihai, wurde daraus eine “allgemeine öffentliche Anrede.”
Das ging so lange gut, bis die Bürger dank Pekings Reformpolitik die Nase voll vom gleichmacherischen Namen hatten. Er passte nicht mehr zur angestrebten “zivilisierten Gesellschaft” und auch nicht zur erhofften konfuzianischen Höflichkeit im Umgang miteinander. 2010 spiegelten die “Dienstleistungs-Standards” der Pekinger Verkehrsbetriebe das neue Denken wider. Danach sollten Busreisende mit “Herr”, “Dame” oder neutral mit “Fahrgast” (乘客) angesprochen werden. Jugendliche und Kinder hätten ein Anrecht, “kleine Freunde oder Mitschüler” gerufen zu werden. Nur Rentner dürften Genossen genannt werden – aber nur, wenn es nicht anders geht. Süffisant schrieb die Pekinger Morgenzeitung Chenbao: Alle Älteren sollten entweder “Alter Meister oder Alter Lehrer” gerufen werden und “erst dann Alter Genosse”. (老师傅”、”老先生”,然后才是 “老同志). Die damalige “Global Times” titelte: “Don’t call passengers comrade.”
Für orthodoxe Kommunisten kam es noch schlimmer: Viele KP-Mitglieder verbaten es sich, Genosse genannt zu werden. Sie wollten mit ihrem Namen und Titel angesprochen werden. Lokale KP-Sekretäre ließen sich von ihren Untergebenen als “Großer Boss” (大老板) oder “Chef Nummer 1” (老大) schmeicheln.
Die Marxisten rotierten und erst recht, als der wichtigste Solidarbegriff der Partei zu einem Modewort im Alltag umfunktioniert wurde. Chinas Schwulen- und Lesbenszene übernahm von der Gay-Community auf Taiwan und in Hongkong die Anrede “Genosse und Genossin” als Codeworte für ihre gleichgeschlechtlichen Freundschaften. Das taten sie ganz offen. Seit 1997 war Homosexualität in der Volksrepublik nicht mehr strafbar und wurde ab 2001 von der Stigmatisierung befreit, eine “mentale Störung” zu sein. 2008 drehte Filmemacher Cui Zi’en (崔子恩) einen preisgekrönten, bis heute auf Youku in China verfügbaren Dokumentarfilm “Queer China, ‘Comrade’ China” (誌同志) über die sexuelle Emanzipation unter den “Genossen” in der Volksrepublik. Wie selbstbewusst die Bewegung auftrat, zeigte sich, als ihre Aktivisten 2012 lautstark protestierten, weil sich Chinas neu erschienenes “Modern Chinese Dictionary” nicht traute, die zweite Bedeutung des Wortes Genosse zu erklären.
Es dauerte aber noch bis 2014, bevor die KP unter Parteichef Xi antrat, um sich die ideologischen Positionen zurückzuerobern und wieder aufzubauen, die ein von ihnen als “kultureller Nihilismus” gebrandmarkter Zeitgeist zerstört hatte. Die Parteiführungen in Guangdong und Ningbo waren die ersten, die ihren Mitgliedern verboten, sich und ihre Vorgesetzten “Kumpel“, “Chef” oder “Boss” zu nennen. Xi setzte schließlich durch, dass sich “innerparteilich alle wieder ohne Ausnahme als Genossen anreden müssen” (党内一律称同志), wie das KP-Nachrichtenportal Ende 2016 enthüllte.
Die Hoffnung, dass sich durch die Rehabilitierung und Neubelebung des Begriffs Genosse die Dinge wieder umkehren und von ihrer “Unordnung ins rechte Lot gerückt” werden können, stützt sich auf konfuzianisches Gedankengut. Konfuzius hatte einst seinem Schüler Zilu (子路) die Frage beantwortet, was man zuerst tun müsse, um einen Staat zu regieren und die Herrschaft über ihn herzustellen: “Stell den Sinn der Begriffe wieder richtig (必也正名乎). Wenn die Begriffe nicht richtig sind, stimmen auch die Worte nicht; wenn die aber nicht stimmen, kommen keine Taten zustande… Der Edle ist in der Lage, die Begriffe zu bestimmen und seine Worte zu Taten werden zu lassen (名不正,則 言不順;言不順,則事不成;事不成…。君子于其 言,無所茍而已矣).”
Nach dieser Weisheit lässt Xi ideologisch aufräumen, zuerst in der Partei. Alle ihre Mitglieder sollen sich in Reih und Glied aufstellen, um – ebenso wie die Armee bei den großen Militärparaden – von ihm wieder als gute “Genossen” begrüßt werden zu können.
Jing Quan wurde zum Berater des chinesischen Botschafters Qin Gang in Washington ernannt. Beobachter sehen Jings Ernennung als ein Zeichen dafür, dass Peking um die Beziehungen in den USA bemüht ist, die sich zuletzt durch Sanktionen und Handelsbarrieren verschlechtert haben. Jing, der als stellvertretender Leiter der Abteilung für nordamerikanische und ozeanische Angelegenheiten des Außenministeriums zurückgetreten war, gilt als Pragmatiker.
Hu Xijin tritt als Chefredakteur der Staatszeitung Global Times zurück. “Ich habe die Ruhestandsformalitäten erledigt und bin nicht mehr Chefredakteur der Global Times”, schrieb Hu am Donnerstag auf Chinas Twitter-Pendant Weibo. Er sagte, dass es im Alter von 61 Jahren an der Zeit sei, dass “Old Hu” abtritt. Hu leitet die Global Times seit 2005 und hatte 2009 die englische Version der Zeitung eingeführt. Er scheute sich nicht, auch die heiklen und politisch aufgeladenen Themen in Echtzeit zu kommentieren. Ein Nachfolger steht bisher nicht fest.
Bing Dwen Dwen, so heißt eines der beiden Maskottchen der Olympischen Winterspiele 2022. Der Riesenpanda im Schneeanzug wurde von Cao Xue, einem Chefdesigner der Guangzhou Academy of Fine Arts, entworfen. Dass er nun auf der Einkaufsmeile Wangfujing in Peking den Passanten zuwinkt, zeigt, welche Botschaft die KP den Menschen im Land überbringen will: Die Spiele finden statt! Zuletzt hatten immer mehr ausländische Länder aufgrund von Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang einen diplomatischen Boykott der Winterspiele in Peking signalisiert. Da hilft auch keine Panda-Diplomatie.