der Ton für das erste amerikanisch-chinesische Treffen nach dem US-Präsidentschaftswechsel ist gesetzt: Wenn sich die Außenminister beider Weltmächte am Donnerstag in Alaska sehen, wird Peking die jüngsten Sanktionen der Biden-Administration als Fortsetzung Trumpscher Politik definieren. Finn Mayer-Kuckuk ordnet die Auswirkungen des amerikanischen Schachzuges auch für die deutsche Huawei-Debatte ein.
Seit der Unterzeichnung des europäisch-chinesischen Investitionsabkommens CAI Ende 2020 wird viel über die Inhalte spekuliert, die sich in den bisher unbekannten Annexen verstecken. Nach sieben Wochen hat Brüssel nun das Geheimnis endlich gelüftet, Amelie Richter hat fast 270 Seiten durchgesehen.
Den Beziehungen der EU-Mitgliedsstaaten Italien und Tschechien zu China hat China.Table in den vergangenen Wochen bereits eigene Analysen gewidmet. Heute betrachtet Christiane Kühl das Verhältnis der Schweden zu China.
Hat sich der Carlsen-Verlag chinesischer Zensur gebeugt, als er sein jüngstes Kinderbuch nur Tage nach dem Erscheinen wieder vom Markt nahm? In dem Buch “Ein Corona-Regenbogen für Anna und Moritz” heißt es, das Virus stammt auch China, was zu wütenden Protesten asiatisch-stämmiger Menschen führte, die darin eine Diskriminierung sehen. Zurecht, schreibt die Forscherin Liya Yu in ihrem Standpunkt und warnt vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, wenn asiatisch-stämmige Kinder und ihre Familien kontextlos zu Mitschuldigen einer weltweiten Pandemie gestempelt werden.
“Zur Sprache” haben wir unsere neue Rubrik am Schluss des China.Table genannt, weil es dabei um mehr geht, als das Erlernen der Sprache. Immer montags wird Verena Menzel wichtige Begriffe und Redewendungen übersetzen und uns Einblick in den kulturellen Hintergrund geben.
US-Präsident Joe Biden schmeißt die großen chinesischen Telekommunikationsausrüster de facto aus den heimischen Netzen. Anbieter wie Huawei seien ein “inakzeptables Risiko”, teilte die US-Telekommunikationsbehörde mit. Die Entscheidung bedeutet, dass die Netzwerkbetreiber keine Förderung aus dem Milliardenfonds der Regierung für den Netzausbau erhalten, wenn sie Zubehör aus China bestellen. Parallel dazu fordert die Regierung Mobilfunk- und Internetanbieter auf, Gerätschaften chinesischer Lieferanten auszubauen und durch einheimische Produkte zu ersetzen. Für kleinere Anbieter mit weniger als zehn Millionen Kunden gibt es dafür eine Entschädigung. Diese Abwrackprämie für Mobilfunkantennen und Router heißt auf Englisch “rip and replace“; sie aus dem großen Konjunkturprogramm finanziert, mit dem Biden die Wirtschaft nach Corona wieder ankurbeln will. Die Regierung könnte ihr Misstrauen gegenüber Huawei kaum deutlicher ausdrücken.
Auf der Liste vorgeblich riskanter Anbieter stehen Huawei, ZTE, Hytera Communications, Hangzhou Hikvision und Dahua. Die Federal Communications Commission (FCC) setzt damit ausdrücklich den Willen der neuen Regierung um. “Unsere Liste ist ein großer Schritt dahin, das Vertrauen in unsere Kommunikationsnetze wiederherzustellen”, sagte FCC-Chefin Jessica Rosenworcel. Biden hatte die Juristin Ende Januar auf ihren Posten gehoben. Es sei von Anfang an ein “Fehler” gewesen, überhaupt chinesische Geräte zu verbauen, sagte Roenworcel.
Vor der US-Wahl hatte Huawei-Chef Ren Zhengfei die Hoffnung geäußert, dass Joe Biden sich gegenüber der chinesischen Wirtschaft offener zeige als sein Vorgänger. Die Regierung Biden wendet nun jedoch ein Anti-China-Gesetz aus der Trump-Ära ohne Abschwächung an. Trump hatte die FCC vor zwei Jahren beauftragt, Sicherheitsrisiken aufzuspüren. Joe Biden hätte nun eine milderen Politik formulieren können – hat er aber nicht. Im dritten Monat seiner Präsidentschaft kam nun erneut ein harter Schlag gegen Huawei.
Zugleich laufen weitere Aktionen der US-Regierung gegen chinesische Technikanbieter. Joe Biden verweigert Huawei weiterhin Zugang zur Nutzung von US-Technik mittels Lizenzen. Das ist ein gewaltiger Hemmschuh für die chinesische Industrie. Viele kleine Elemente an moderner Technik sind auf anderen Kontinenten patentiert – Übertragungsformate, Chip-Designs, Teile von Computerprogrammen, Ver- und Entschlüsselungsalgorithmen. In friedlichen Zeiten ist das kein Problem. Wer Bedarf hat, kauft sich Lizenzen zu deren Nutzung einfach zu. Huawei und seine Zulieferer müssten künftig jedoch alle US-Patente mit originären Eigenentwicklungen umschiffen. Das ist nach derzeitigem Stand praktisch unmöglich.
Auch die App-Anbieter Tencent und ByteDance haben in den USA derzeit Ärger. Die Regierung Trump war in ihren letzten Tagen einen Frontalangriff gegen ihre Flaggschiff-Produkte TikTok und Wechat gefahren. Im Rahmen einer Überprüfung sämtlicher Trump-Sanktionen wurden die bereits angelaufenen Gerichtsverhandlungen zwar auf Eis gelegt. Im Unterschied zur Netzausrüstung handelt es sich bei TikTok und WeChat jedoch um reine Software – die zudem eine Plattform für Meinungsäußerung bietet. Im Gegensatz zum Huawei-Bann räumen Rechtsexperten einem TikTok-Verbot daher schlechtere Chancen vor Gericht ein.
Die harte Linie der Regierung gegen Huawei könnte durchaus auch die Diskussion in Europa beeinflussen. Schließlich ist es diesmal kein erratischer Außenseiter wie Trump, der hinter der Politik steht, sondern der respektierte und erfahrene Joe Biden. Weder Deutschland noch seine EU-Nachbarn sind bisher zu einer eindeutigen Einschätzung gekommen. Im Dezember hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier einen Kompromiss formuliert, der bisher gilt: Huawei darf bleiben, wird aber besser überwacht. Doch es gibt bereits erste Zuckungen, diese Übereinkunft wieder aufzuschnüren.
Experten der dänischen Technik-Beratung Strand Consult halten einen schrittweisen Austausch von Huawei-Geräten durch westliche Ausrüstung in Europa für durchaus machbar. Die Kosten dafür liegen demnach in der EU bei einem einstelligen Milliardenbetrag. Da Kommunikationsapparate ohnehin schnell veralten, ließe sich die Umstellung zusammen mit dem nächsten Generationswechsel vollziehen, so Strand Consult.
Eine ganz andere Frage ist, ob ein völliger Verzicht auf Huawei nötig und wünschenswert ist. Bisher haben Sicherheitsexperten dem Unternehmen keine bösen Absichten im Sinne groß angelegter Spionage oder Sabotage nachgewiesen. China könnte zudem zum Gegenschlag ausholen – und es handelt sich immerhin um den größte Markt für zahlreiche deutsche Produktgruppen. Die staatlichen Misstrauensbekundungen gegen Huawei sind eben vor allem ein Akt des Handelskriegs und der Industriepolitik. Als rein sicherheitspolitische Entscheidung wäre ein Verbot chinesischer Netzausrüstung jedenfalls nur wenig glaubwürdig. Biden ist ganz offensichtlich bereit, China weiterhin hart anzufassen – und lässt die Beschlüsse von Donald Trump zunächst in Kraft.
Gut sieben Wochen hat die EU-Kommission mit der Veröffentlichung der Details des Investitionsabkommens mit China (CAI) gewartet. In den nun publizierten Annexen mit den Einzelheiten der Marktzugänge wird sichtbar: Die Europäische Union macht zwar einen Fortschritt in der Manifestierung des oft genannten “level playing field”, beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe und der privaten Gesundheitsversorgung – große Verhandlungserfolge darüber hinaus sind aber nicht gelungen. In einigen Bereichen bleibt das Abkommen hinter den Erwartungen zurück.
EU-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis erklärte, mit dem CAI würden die Investitionsbeziehungen zwischen der EU und China “zu Gunsten Europas neu ausbalanciert”. Das CAI werde dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen und mehr Marktöffnungen für EU-Unternehmen und Investoren zu schaffen. Dombrovskis lobte den “klaren und durchsetzbaren Regelungsrahmen” durch das CAI. Dieser biete EU-Unternehmen einen besseren Zugang und mehr Sicherheit bei Investitionen in China.
Die Volksrepublik gehe “erhebliche Verpflichtungen im verarbeitenden Gewerbe ein”, betonte die EU-Kommission bei der Veröffentlichung der Annexe. Diese verarbeitende Industrie macht demnach mehr als die Hälfte der gesamten EU-Investitionen in China aus. Darunter fallen nach Angaben der Kommission 28 Prozent für den Automobil- und 22 Prozent für den Grundstoffe-Sektor. “China hat derzeit keine Verpflichtungen gegenüber der EU in diesem Bereich”, betonte die Brüsseler Behörde.
Die nun veröffentlichten Anhänge des CAI beinhalten die Details zu den Marktzugängen auf europäischer und chinesischer Seite. Änderungen an den politischen Einigungen zu dem Abkommen gibt es dabei nicht – beispielsweise am viel kritisierten Nachhaltigkeitskapitel, in welchem es unter anderem um die Umsetzung von Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und Zwangsarbeit geht.
Die sogenannten Verpflichtungspläne der Annexe sind komplex – für die chinesische Seite umfassen sie 93 Seiten, für die europäische 175. Beide Verhandlungsseiten hatten sich darauf geeinigt, einen “Hybridansatz” zu wählen – in den Anhängen werden sogenannte Negativ- und Positivlisten aufgeführt. Unter dem Negativlisten-Ansatz versteht man, dass die entsprechenden Verpflichtungen für alle Sektoren übernommen werden, mit Ausnahme derjenigen, die ausdrücklich ausgeschlossen werden. Für die Sektoren in einer Positivliste verpflichten sich beide Seiten dazu, keine quantitativen Beschränkungen in den genannten Bereichen aufzuerlegen.
Und die Beschränkungen nehmen im CAI-Annex-Text nicht wenig Platz ein: So werden die meisten Automobil-Unternehmen ab 2022 zwar von dem Joint-Venture-Zwang befreit, außerdem verpflichtet sich China zum Marktzugang für alternativ angetriebene Fahrzeuge – aber es gibt Grenzen: Neuwagenfabriken mit Verbrennungsmotoren sind verboten, die Erweiterung wird stark eingeschränkt. Elektroauto-Anlagen sind auf Provinzen beschränkt, in denen die Quoten für die Produktion von Elektroautos bereits überschritten wurden. Ausnahmen gibt es ab einer Investition von mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Mit anderen Worten: Es wird keine ausländischen Start-Ups geben, chinesischen oder bereits etablierten Unternehmen wird in dem Sektor ein klarer Vorteil eingeräumt.
In anderen Bereichen sind ausländische Investitionen weiterhin stark beschränkt. Darunter fallen zum Beispiel die Erkundung Seltener Erden, geologische Kartierungen – und auch der Sektor der Atomenergie. “Für Investitionen ausländischer Investoren in den Bau oder Betrieb von Kernkraftwerken ist chinesische Kontrolle erforderlich”, heißt es in dem entsprechenden Anhang. Ausländische Investoren dürfen zudem “nicht in die Exploration, den Abbau, die Reinigung, die Umwandlung, die Isotopentrennung investieren”.
Vermehrt Kritik gab es nach der Veröffentlichung der Annexe an den Details zum Medien-Bereich – der häufig unterschätzt oder nur wenig beachtet wird. Für China ist der Sektor jedoch besonders wichtig, wenn es um die sogenannte “soft power” geht. Durch Fernseh- oder Radioprogramme, aber auch Filme und Nachrichtenjournalismus versucht Peking, vermehrt das Bild Chinas in der EU positiv zu prägen. Mit dem CAI habe die chinesische Seite nun zementiert, dass Peking mit Investitionen zwar Zugang zu europäischen Medienunternehmen habe – andersherum gelten aber harte Beschränkungen für ausländische Medien in der Volksrepublik.
Die EU-Kommission betonte am Freitag, dass es keine neuen Rechte für chinesische Investoren im Mediensektor gebe. Die EU-Staaten und deren Medienaufsichten können aber beispielsweise aus Sicherheitsbedenken weiterhin gegen chinesische Sender vorgehen wie zuletzt bei CGTN. Hinsichtlich der einzelnen EU-Staaten gibt es im Medienbereich im CAI festgeschriebene Unterschiede bezüglich der Behandlung chinesischer Investoren.
Auch im Bereich der privaten Gesundheitsversorgung sind im CAI Beschränkungen festgelegt: So können EU-Unternehmen in medizinische Einrichtungen nur in Form eines Joint Ventures investieren. Beschränkt ist das auf acht Städte, inklusive Peking, Shanghai und Suzhou sowie die Insel Hainan. “Die Mehrheit der Ärzte und des medizinischen Personals des Joint Ventures sowie der Krankenhäuser und Kliniken in ausländischem Besitz muss chinesischer Staatsangehörigkeit sein“, wird in dem Abkommen festgelegt.
Ausländische Investitionen in Nichtregierungs- und Wohltätigkeitsorganisationen sind ohne chinesische Erlaubnis untersagt. NGOs die im Ausland gegründet wurden, dürfen keine feste Zweigstelle in China haben – Kritiker sehen darin eine Manifestierung des Vorhabens der Volksrepublik, ausländische Einmischung in “innere Angelegenheiten” weiter zu unterbinden.
Wie geht es nun weiter? Das Abkommen muss nun im Wortlaut in alle EU-Sprachen rechtlich geprüft und übersetzt werden. Danach wird es dem EU-Rat und dem Europaparlament zur Debatte und Annahme vorgelegt. Die Ratifizierung wird für Anfang 2022 erwartet.
Vor allem im EU-Parlament wird dem CAI noch starker Gegenwind entgegengebracht werden: Wenn man die Anhänge des Abkommens lese, “verdichte sich der Nebel” nur weiter, schrieb die französische Abgeordnete Marie-Pierre Vedrenne auf Twitter. Das zeige die Notwendigkeit “autonomer Maßnahmen” und eines “rechtlichen Arsenals”, so Vedrenne. In der kommenden Woche soll Medienberichten zufolge der zuständige Monitoring-Ausschuss des Europaparlaments die Annexe erstmals genauer unter die Lupe nehmen.
Völkermord in Xinjiang – ja oder nein? Diese Frage rückt zunehmend in den Mittelpunkt des internationalen Diskurses und könnte früher oder später auch den Deutschen Bundestag beschäftigen. Dem Vernehmen nach rumort das Thema zunehmend in den Fraktionen, nachdem vor wenigen Wochen die Parlamente in Kanada und den Niederlanden das Vorgehen der chinesischen Regierung gegen muslimische Uiguren im Nordwesten der Volksrepublik bereits als Genozid verurteilt haben.
“Die Berichte machen unmissverständlich deutlich, dass dort dramatische Dinge vor sich gehen. Wir müssen jetzt bewerten, wie wir begrifflich damit umgehen“, sagt der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Schwabe im Gespräch mit China.Table. “Andere Parlamente haben Fakten geschaffen. Deshalb werden wir uns automatisch auch zeitnah damit befassen müssen.” Hinsichtlich der Fülle an Berichten über Folter und Vergewaltigungen in Umerziehungslagern, in denen rund eine Million Uiguren gegen ihren Willen festgehalten werden, spricht Schwabe von “unbekannten Dimensionen, die für mich vor ein paar Jahren unvorstellbar waren”. Dennoch: “Die Debatte hat gerade erst begonnen, und wir müssen sorgsam diskutieren, welche Begriffe wir für solche einzigartigen Verbrechen verwenden. Der Begriff des Genozids jedenfalls ist nicht mehr steigerungsfähig.”
Inzwischen nutzt auch die neue US-Regierung in offiziellen Stellungnahmen den Terminus. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte, der “Genozid gegen die Uiguren” werde “direkter Gesprächsgegenstand” mit den Chinesen werden, wenn an diesem Donnerstag Außenminister Anthony Blinken in Alaska erstmals auf seinen Amtskollegen Wang Yi treffen wird. Die Bezeichnung Genozid ist mehr als eine rhetorische Spitzfindigkeit. Sie gilt gemäß der Übereinkunft über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 der Vereinten Nationen als Straftatbestand im internationalen Völkerrecht, der geahndet werden muss.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschuss im Deutschen Bundestag, Gyde Jensen (FDP), hatte kürzlich gesagt, sie könne aufgrund der Faktenlage nachvollziehen, weshalb Regierungen zu dem Schluss kommen, dass es sich um einen Genozid handle. Zurückhaltender ist Michel Brandt von Die Linke, der stattdessen von einem “Ethnozid” spricht. Gemeint ist damit die Auslöschung der kulturellen Identität einer Bevölkerungsgruppe. Internierungen, Massenüberwachung, Unterdrückung und Berichte über Zwangssterilisationen böten Anlass zu großer Sorge. “Um ein umfassendes Bild über die Vorgänge in Xinjiang zu bekommen, unterstützt unsere Fraktion die Entsendung einer UN-Mission in diese Region. Wir sehen die chinesische Regierung in der Pflicht zu kooperieren und mahnen diese auch immer wieder an”, sagte Brandt dem China.Table. Zentrales Ziel sei die Verbesserung der Menschenrechtslage in Xinjiang. Vertreter von CDU und AfD reagierten nicht auf Anfragen zu dem Thema.
Das schärfste Instrument, das dem Bundestag zur Verfügung steht, ist eine Resolution, die einen Genozid in Xinjiang anerkennen und verurteilen würde. Ein entsprechender Entwurf könnte sowohl von der Regierungskoalition als auch der Opposition eingebracht werden. Unabhängig von der Erfolgsaussicht eines solchen Entwurfes könnte sich allerdings das baldige Ende der Legislaturperiode als Bremsklotz für eine solche Initiative erweisen. Mit der Bundestagswahl am Horizont und nur noch wenigen verbleibenden Sitzungswochen bis zur Sommerpause des Parlaments wird die Zeit immer knapper. Das könnte Befürchtungen auslösen, dass vorschnell über eine Resolution entschieden werden könnte. Den Chinesen käme eine solche Verzögerung sicher recht, weil sie Debatte in ihrem Sinne entschleunigen würde.
Zuletzt hatte das Parlament vor knapp fünf Jahren die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten mit bis zu 1,5 Millionen Opfern ausdrücklich als Völkermord bezeichnet und eine entsprechende Resolution verfasst. Die Reaktionen der Türkei waren damals wütende Proteste. Dass die Volksrepublik China eine Resolution zu Xinjiang einfach hinnehmen würde, ist wohl ausgeschlossen. Schon bei deutlich geringeren Anlässen sprechen chinesische Diplomaten Drohungen gegen deutsche Abgeordnete aus oder beschweren sich bei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Das war beispielsweise der Fall, als der Bundestag 2018 in einer Beratung über die Menschenrechtslage in der Region debattierte. Auch anderen Staaten droht die Volksrepublik regelmäßig mit wirtschaftlichen Konsequenzen, wenn dort kritisch die repressive Politik Pekings gegenüber Dritten beurteilt wird. Stets verweist sie auf innere Angelegenheiten, aus denen sich andere Länder herauszuhalten hätten
Derweil erhält die Diskussion um die Bewertung der Vorgänge durch eine Studie des Newlines Instituts eine neue Grundlage. Die unabhängige Denkfabrik in der US-Hauptstadt Washington, die sich mit geopolitischen Entwicklungen beschäftigt, ist unter Teilnahme von 33 internationalen Forschern zu dem Schluss gekommen, dass die Bezeichnung Genozid angemessen ist. Das englischsprachige Papier mit dem Titel “The Uyghur Genocide: An Examination of China’s Breaches of the 1948 Genocide Convention” führt auf 55 Seiten Beweise und Indizien zusammen, die nach Meinung der Autoren die Definition rechtfertigen. Die Studie bündelt alle Informationen, die im Laufe der vergangenen Jahre von Wissenschaftlern, Medien und Augenzeugen zusammengetragen worden sind, zu einem stringenten Argumentationsfaden und bewertet ihre Bedeutung entlang der UN-Konvention von 1948.
Bei ihren Untersuchungen beschränkten sich die Forscher auf Verstöße gegen Artikel II. Dort werden fünf Handlungen aufgeführt, die in der Absicht begangen werden, “eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören”. Alle fünf Handlungen sehen die Wissenschaftler als erwiesen an. Sie beziehen sich bei ihrer Beurteilung auf umfassend verfügbare “Primär- und Sekundärquellen, einschließlich Zeugenaussagen, interne Aussagen der chinesischen Regierung, Dokumente, Statistiken, Weißbücher und Berichte sowie verschiedene Expertenanalysen und wissenschaftliche Arbeiten”. Chinas Regierung weist jedoch jegliche Kritik an ihrem Vorgehen von sich und verteidigt ihre Politik als “Krieg gegen Extremismus, Terrorismus oder Separatismus”.
Die Rhetorik chinesischer Offizieller ist in der Tat kriegerisch, wie die Studie ergibt. Mehrfach wurden von offizieller Stelle Äußerungen getätigt wie “Tumore ausrotten”, “sie komplett auswischen”, “ihre Wurzeln und Zweige zerstören”, “jeden rundmachen” oder “absolut keine Gnade zeigen”. Die Mittel, die China einsetzt, sind demnach Überwachung, Kriminalisierung, Zerstörung uigurischer Kultur, Internierung und Zwangsarbeit, “systematische Zwangsabtreibungen und die Sterilisation uigurischer Frauen im gebärfähigen Alter” sowie die “gewaltsame Trennung uigurischer Kinder von ihren verschwundenen Eltern”.
Innerhalb der Europäischen Union wird Berichten zufolge derzeit über Sanktionen gegen chinesische Offizielle wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nachgedacht. Vier Personen und eine Entität sollen auf eine Liste für Strafmaßnahmen gesetzt werden, berichtete Wall Street Journal unter Berufung auf EU-Diplomaten. Demnach sollen die Sanktionen beim Treffen der EU-Außenminister Ende März beschlossen werden. Der Europäische Auswärtige Dienst bestätigte die Berichte zunächst nicht.
Schon lange lief es nicht mehr rund zwischen Schweden und China. Die Saga um einen in China inhaftierten schwedisch-chinesischen Kleinverleger vergiftete die Beziehungen. Der chinesische Botschafter in Stockholm übte Dauerkritik an Schwedens Medien. Und dann schloss Schweden im Oktober 2020 die chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei und ZTE vom Aufbau der 5G-Netze aus. “Der schwedische Sicherheitsdienst ist der Ansicht, dass der chinesische Staat und die Sicherheitsdienste Huawei beeinflussen und unter Druck setzen können”, teilte die schwedische Post- und Telekommunikationsbehörde in ungewohnt deutlichen Worten mit, und wiederholte die Worte für ZTE. Ein Pekinger Außenamtssprecher drohte umgehend mit Nachteilen für schwedische Unternehmen in China.
Die bilateralen Beziehungen sind damit an einem Tiefpunkt angelangt. Und das, obwohl Schwedens Politik sich nicht wirklich von jener der meisten EU-Staaten unterscheidet. Nach einem “Policy Intentions Mapping” des European Council on Foreign Relations (ECFR) vom September 2020 ist Schweden wie die meisten EU-Staaten dafür, eine “gemeinsame EU-Position gegenüber China zu finden, die China – pragmatisch – je nach Thema als Partner oder Rivale betrachtet”. Auch ist Stockholm laut ECFR dafür, chinesische Investitionen nur in strategischen Sektoren zu begrenzen – also eben Bereiche wie 5G. Nur Finnland, Dänemark und Ungarn sind in der Aufstellung gegen jedwede Restriktionen.
Die ganz speziellen Probleme zwischen China und Schweden begannen 2015, als der schwedisch-chinesische Verleger Gui Minhai aus Thailand verschwand – und kurz danach im chinesischen Staatsfernsehen auftauchte. Dort gestand er einen angeblichen Vorfall mit Trunkenheit am Steuer aus dem Jahr 2003. Schwedens Beobachter gingen von einem erzwungenen Geständnis aus – denn Gui führte mit drei anderen Männern einen Kleinverlag in Hongkong, der Bücher voll knackiger Geschichten über das Privatleben von Chinas politischem Führungspersonal verkaufte. Auch die anderen drei sowie der Buchhändler, der ihre Bücher in Hongkong verkaufte, verschwanden zur gleichen Zeit in Festlandchina. Im Februar 2020 wurde Gui wegen angeblicher Weitergabe von Staatsgeheimnissen ans Ausland zu zehn Jahren Haft verurteilt. Schweden bemühte sich jahrelang vergeblich um Guis Freilassung und Ausreise; der Fall löste immer wieder diplomatische Scharmützel aus.
Im September 2018 sorgte dann ein Streit zwischen drei chinesischen Touristen und einem Hostel in Stockholm für einen absurden diplomatischen Eklat. Die Gruppe war nach Aussage des Hostels gegen Mitternacht viele Stunden vor Beginn ihrer Buchung angekommen. Das Hostel ließ sie zunächst in der Lobby warten, bat sie dann aber zu gehen, da sie laut schimpften – und holte schließlich die Polizei. Videos zeigten, wie Polizisten die Familie auf die Straße trugen, und der Sohn auf Englisch brüllte: “This is killing!” Chinas Botschafter in Schweden, Gui Congyou, verlangte eine Entschuldigung der Polizisten und des TV-Senders SVT wegen einer Satiresendung über den Vorfall. Auch ein Außenamtssprecher in Peking nannte die Sendung eine “grobe Beleidigung und einen bösartigen Angriff auf China und das chinesische Volk.”
Die Nerven lagen offenbar blank: Botschafter Gui beklagte immer wieder die schwedische Berichterstattung über China und drohte Ende 2019 Schwedens Kulturministerin wegen einer Preisverleihung an Verleger Gui mit einem Einreiseverbot. “Wir werden einer solchen Drohung niemals klein beigeben. Niemals”, erklärte Ministerpräsident Stefan Löfven. “Wir haben hier Redefreiheit. Punkt.” Schwedens Außenministerium bestellte den Botschafter wegen seiner Ausfälle Dutzende Male ein – lehnte aber Forderungen der Opposition nach einer Ausweisung des Diplomaten ab.
All das blieb nicht ohne Folgen. In einer Umfrage des Pew Research Center hatten Ende 2019 rund 70 Prozent der Schweden eine negative Meinung von China. Weltweit waren es mit 85 Prozent nur in Japan noch mehr. Noch 2018 hatten die Schweden China positiver gesehen als die Menschen in Deutschland, Italien oder Frankreich.
“Zumindest seit 2018 scheinen die bilateralen Beziehungen Schwedens zu China auf einem historischen Tief zu verharren”, schrieb Jerker Hellström, Direktor des Swedish Center for China Studies Mitte 2020 in einer Übersicht über die Beziehungen der letzten Jahre. Trotzdem “aber scheinen die Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen Schweden und China begrenzt gewesen zu sein”. Wirtschaftlich lief es dennoch: Schwedens Exporte nach China legten in jener Zeit zu und tilgten das frühere Handelsbilanzdefizit. Umgekehrt strömten seit der Übernahme Volvos durch den chinesischen Autobauer Geely 2010 immer mehr chinesische Investitionen nach Schweden, die zunächst – auch wegen des Erfolgs der Volvo-Übernahme – mit offenen Armen aufgenommen wurden. 2018 kaufte Geely noch einen Minderheitsanteil am Lastwagenbauer AB Volvo hinzu – mit 3,3 Milliarden Dollar das bisher größte chinesische Investment im Land. 2019 übernahm Chinas Internetriese Tencent die Musikplattform Spotify für 2,3 Milliarden Dollar.
2018 entbrannte angesichts dieser Übernahmen jedoch eine Debatte über politische Naivität gegenüber China, wie sich Hellström erinnert. Zu den größten Warnern gehöre Lars Fredén, Botschafter Schwedens in Peking von 2010 bis 2016. Hellström zitiert einen Beitrag Fredéns auf einem Workshop von 2019: “”Schweden ist eine im Westen einzigartige Kombination aus Hochtechnologie – die oft direkte militärische Anwendungen hat – und grenzenloser Naivität.” Seither habe Schweden die Expertise über China verbessert und befasse sich ernsthaft mit einer institutionalisierten China-Strategie – bilateral und auch im Rahmen der EU.
Auch der Ausschluss Huaweis könnte eine Konsequenz aus der Naivitäts-Debatte sein. Huawei klagte mehrfach gegen seinen Ausschluss vom 5G-Aufbau – verlor aber vor Gericht. Die Auktion der 5G-Lizenzen ging im Januar 2021 ohne Huawei und ZTE über die Bühne. Doch nun gibt es Kritik aus der Wirtschaft. Börje Ekholm, Chef des schwedischen Huawei-Konkurrenten Ericsson kritisierte den Ausschluss Huaweis und äußerte Sorge über seine eigenen 5G-Geschäfte in China. Ob zurecht oder nicht, ist bislang ungewiss.
Auf der Suche nach dem Ursprung des neuartigen Coronavirus hat ein internationales Wissenschaftsteam nun überraschende Ergebnisse geliefert, wie die SCMP zuerst berichtet. So hätten sie 24 bisher unbekannte Fledermaus-Coronaviren in einem Umkreis von weniger als vier Kilometern im Südwesten von China entdeckt. Ein Virus davon trug “ein genomisches Rückgrat”, das dem bisher identifizierten Sars-Cov-2 wohl am nächsten kommt, heißt es in einem auf dem US-Biologieserver bioRxiv.org veröffentlichten Artikel, der noch keiner Peer-Review Prozess unterzogen wurde. Dennoch scheint keines der neu entdeckten Coronaviren-Arten laut dem Bericht verantwortlich für die derzeitige Covid-19-Pandemie zu sein.
Das wissenschaftliche Team, das von China finanziell unterstützt wird, hatte zwischen Mai 2019 und November vergangenen Jahres in der Provinz Yunnan in China mehr als 400 Proben von Kot, Urin und Rachenabstriche von Fledermäusen gesammelt. Die Auswertung der Daten ergab dabei, dass “die genomische Vielfalt dieser Viren wahrscheinlich unterschätzt wurde“.
So weise das gesamte Genom eines der neu entdeckten Viren mit dem Namen RpYN06 zu 94,5 Prozent Ähnlichkeit mit Sars-Cov-2 auf. Zwar wäre dies etwas niedriger als beim RaTG13-Virus, das schon vor einigen Jahren in Yunnan entdeckt worden sei und eine Überstimmung von 96 Prozent aufzeigt. Doch weitere Ergebnisse wiesen laut der neuen Studie daraufhin, dass der Vorfahre von Sars-Cov-2 vor einigen Jahrzehnten von den RpYN06- und TG13-Linien abgewichen war und ein Rekombinationsereignis durchlaufen hatte, indem er sich mit einer anderen Virusspezies vermischte. Wann das passiert sein könnte und an welchem Wirtstier, konnten die Wissenschaftler jedoch nicht im Detail sagen.
Die Veröffentlichung der Studie kommt zeitlich kurz vor dem Bericht der WHO-Delegation, die im Februar in China Forschungen nach dem Ursprung des neuartigen Coronavirus machte und deren Abschlussbericht in dieser Woche erwartet wird. niw
Die G7-Außenminister und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell haben gemeinsam die Änderung des Wahlsystems in Hongkong scharf kritisiert. Die Minister und Borrell brachten in einer Erklärung große Sorge über die Entscheidung Pekings zum Ausdruck, “die demokratischen Elemente des Wahlsystems in Hongkong grundlegend auszuhöhlen”. Der Vorgang deute darauf hin, “dass die Behörden in Festlandchina entschlossen sind, abweichende Stimmen und Haltungen in Hongkong mundtot zu machen”, hieß es in der Mitteilung.
Statt die Autonomie Hongkongs zu untergraben, müsse Peking die Grundrechte und Freiheiten in der früheren britischen Kronkolonie respektieren, betonten die Außenminister von Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada sowie Japan gemeinsam mit Borrell. “Wir rufen China und die Behörden in Hongkong ferner auf, das Vertrauen in die politischen Institutionen Hongkongs wiederherzustellen und die ungerechtfertigte Unterdrückung derjenigen zu beenden, die für demokratische Werte und für die Verteidigung von Rechten und Freiheiten eintreten.”
Peking hatte am Donnerstag Änderungen des Wahlsystems in Hongkong beschlossen, die sicherstellen sollen, dass Hongkong “von Patrioten regiert” werde (China.Table berichtete). Die Oppositionskräfte in der chinesischen Sonderverwaltungsregion werden so noch weiter zurückgedrängt.
Die EU veröffentlichte am Freitag zudem ihren Bericht zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Hongkong im Jahr 2020. Im Laufe des vergangenen Jahres habe Hongkong eine “alarmierende politische Verschlechterung erlebt“, hieß es darin. “Das von Peking auferlegte nationale Sicherheitsgesetz wird verwendet, um demokratiefreundliche Kräfte zu bekämpfen.” Die EU warnte, dass Unternehmen vermehrt aus Hongkong fliehen könnten. Europäische Firmen in Hongkong hätten 2020 hauptsächlich abgewartet. “In der Geschäftswelt besteht aber die Auffassung, dass das Sicherheitsgesetz den internationalen Ruf Hongkongs geschädigt hat.” Einige Unternehmen würden ihre Präsenz in der Stadt nun neu bewerten. ari
Ein deutsches Kinderbuch des Carlsen Verlags versuchte, über das Coronavirus aufzuklären. Darin gab es einen Satz, der auf den ersten Blick harmlos schien: Kindern wird erklärt, dass das Virus, das unser Leben umgekrempelt hat, zu einschneidenden Einschränkungen des Alltags, Arbeitslosigkeit und finanziellen Nöten der Eltern sowie dem Verlust von Freunden und Familienangehörigen geführt hat, aus China kommt.
Deutsch-chinesische Eltern spüren augenblicklich beim Lesen dieses Satzes einen Stich im Herz, weil sie vor Augen haben, wie ihre Kinder in Kitagruppen und Grundschulklassen (die Buchreihe wird zum Vorlesen ab drei Jahren empfohlen) diese Worte im Kreis ihrer Mitschüler*innen vorgelesen bekommen. Sie wissen, dass ihre Kinder Scham und Verwirrung darüber fühlen werden, dass das Land, aus dem die Eltern oder ein Elternteil kommt, so viel Schreckliches und Böses angerichtet, für eine globale Katastrophe, Krankheit und Tod gesorgt hat.
Kindergehirne sind schon im frühen Alter hochsensibel gegenüber sozialer Ausgrenzung und den Gefahren des Herausstechens aufgrund von Andersartigkeit. Evolutionär betrachtet ergibt es Sinn: Wer heraussticht, vor allem negativ, wird zur Angriffsfläche der sozialen Gruppe, weil die volle Mitgliedschaft und positive Anerkennung verwehrt wird. Oft ist dann die Gegenreaktion, sich von seiner chinesischen oder asiatischen Identität zu distanzierten “Ich bin keine Chinesin!” oder “Ich hasse China!” zu rufen, ist dann oft traurige migrantische Überlebensstrategie, um Verachtung und Hänseleien durch andere Mitschüler*innen zu vermeiden. Ich weiß das, weil ich selbst eines dieser deutsch-chinesischen Kinder war.
Doch, so der Einwand, das Virus kommt doch aus China. Warum soll ein wahrer Satz Zensur unterliegen? Ich argumentiere, dass die Vermeidung des Satzes in diesem speziellen Kontext der Kinderlektüre keine Zensur darstellt, sondern verhindert, dass kleine Kinder schon von früh negativ gegenüber einer kulturellen und ethnischen Gruppe kognitiv geprägt werden. Dazu reicht ein Satz wie dieser schon aus, vor allem wenn er völlig kontextlos präsentiert wird. Die Forschung zeigt, dass diese Art der Prägung sehr früh beginnt.
Kindergehirne, vor allem solche im jungen Alter, suchen einfache Kausalitäten und verstehen keine geopolitischen Zusammenhänge. Vorschul- und Grundschulkinder wissen nicht, wer China regiert, oder welche Rolle die chinesische Regierung bei der Pandemiebekämpfung spielte. Stattdessen ist der Welthorizont von Kindern sehr viel konkreter und kleiner: Sie wissen, dass die Klassenkameradin, die “irgendwie anders aussieht”, aus China kommt. Nun wird ihnen in diesem Buch ohne weitere Erklärung mitgeteilt, dass dieses blöde Virus aus China kommt, weshalb sie ihre Freunde nicht treffen dürfen, ihre Eltern bis spät in die Nacht besorgt diskutieren und die Oma ins Krankenhaus geliefert wurde.
Ihre Gehirne verbinden also all diese negativen, einschneidenden Erlebnisse der vergangenen Monate mit konkreten Menschen um sie herum, welche die Abstraktion “China” für sie verkörpern können. Es ist Kindern in dem Alter nicht bewusst, dass chinesische Klassenkamerad*innen aus der Kita oder Schule gar nichts mit dem “China” zu tun haben, welches der Satz im Buch anspricht. Verlagshäuser wie Carlsen müssen verstehen, dass Kinderhirne Informationen nicht so differenziert wie Erwachsene oder sogar Teenager verarbeiten können. Es ist daher auch nicht die Schuld der Kinder, die aus dem Satz die falschen Schlüsse ziehen, sondern die Verantwortung der Erwachsenen, nicht zu negativen kognitiven Prägungen beizutragen.
Das Resultat dieser Prägung ist das Ansteigen von Ausgrenzung und Hänseln chinesischer und asiatischer Mitschüler*innen sowie potenzielle Dehumanisierung. Auf Hirnebene, so zeigen Studien, die mit fMRI Gehirnscanning-Methoden arbeiten, führt Assoziation einer spezifischen Gruppe mit einem Ekel hervorrufenden Phänomen wie das eines tödlichen Virus zu Empathieabsprechung und Dehumanisierung dieser Gruppe. Das hat nicht nur Konsequenzen in Form von Ausgrenzung, sondern auch darauf, dass man diese Gruppe kognitiv nicht versteht (sprich: nicht mehr “mentalisieren” kann).
Dies, so mein Argument, kann auch unerwünschte Folgen für das spätere politische Bewusstsein haben: Wenn Kinder von klein auf schon so geprägt werden, dass sie China nicht mentalisieren können, dann werden sie auch nicht das Interesse haben, sich über China zu informieren und China zu verstehen. Selbst aus Sicht des größten Chinakritikers ist dies nicht wünschenswert, weil ein fehlendes Mentalisierungsverständnis Chinas Deutschland letztendlich schadet. Statt also Aufklärungsarbeit über die Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas) und ihre Rolle in der Pandemie zu leisten, wie sich die Verteidiger des Satzes in dem Kinderbuch erhoffen, kann dieser Schuss womöglich nach hinten losgehen.
Er geht vor allem auch nach hinten los, weil sich chinesisch-deutsche Eltern durch Erfahrungen wie diese selbst dehumanisiert von Deutschland fühlen. Dies wird in der Forschung als “Metadehumanisierung” beschrieben, sprich, das Gefühl von anderen in der Gesellschaft dehumanisiert zu werden. Das Problem mit Metadehumanisierung ist, dass sie zu größerer Feindlichkeit und Gespaltenheit führen kann, mehr als andere Ausgrenzungserfahrungen. Dies ist genau das Ziel der KP Chinas: Die chinesische Diaspora zu spalten, ihr den Eindruck zu geben, dass die westlichen Demokratien in denen sie leben sich nicht um ihre Menschlichkeit und Repräsentation scheren, und daher die KP Chinas der wahre und einzige Repräsentant für sie ist.
In meinem Buch “Vulnerable Brains: The Neuropolitics of Divided Societies”, welches dieses Jahr erscheint, argumentiere ich, dass wir die Ausgrenzungsmechanismen, die unsere Gehirne universell und kulturübergreifend besitzen, verstehen und verhindern müssen, damit unsere gespaltenen Demokratien eine Chance haben ins 21. Jahrhundert hinein zu überleben. Es sollte deshalb auch auf politisch strategischer Ebene Ziel Deutschlands sein, der chinesischen Diaspora ein alternatives, demokratisch-inkludierendes Narrativ anzubieten, von dem sie sich repräsentiert und humanisiert fühlen. Die deutsch-chinesischen Eltern und ihre Interessen in der ganzen Diskussion um das Kinderbuch zu ignorieren, kommt daher einer doppelten Entmenschlichung gleich: Als zählten ihre Sorgen um ihre Kinder nicht; als hätten sie kein individuelles, berechtigtes Interesse daran, sich für ihre Kinder einzusetzen.
Gleichzeitig wirft dieser Fall die schwierige Frage auf, wie wir die Coronapandemie historisch, politisch und pädagogisch eines Tages an die jüngste Generation vermitteln sollen. Momentan hat niemand klare Antworten auf diese Fragen. Natürlich sollen ältere Kinder später lernen, woher das Virus kam, wie dies in Bezug zu anderen historischen Pandemien steht, was alles in dieser Pandemie schief gelaufen ist und wie so ein Ausbruch in der Zukunft verhindert werden kann. Wir müssen uns Gedanken machen, wie das geschehen kann, ohne dass asiatische Minderheiten als Sündenböcke herhalten.
Dr. Liya Yu ist Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Sie hat an der University of Cambridge, U.K. und der Columbia University in New York zur politischen Neurowissenschaft des Rassismus und Dehumanisierung geforscht. Ihr Buch “Vulnerable Brains” erscheint 2021 bei Columbia University Press. Sie lebt in Berlin und Taipei.
Influencer und Internetstars sind in China “rot”! Das hat jedoch nichts mit politischer Gesinnung zu tun, sondern schlicht mit der sprachlich-kulturellen Konnotation der Farbe Rot. “Hóng” ist in China nämlich die Glücksfarbe schlechthin. Keine chinesische Eingangstür ohne rote Glücksspruchbänder, kein Neujahrsfesttag ohne rote Umschläge mit Geldgeschenken (红包 hóngbāo). Optisch reicht dieser Einfluss sogar bis zum Aktienmarkt, wo steigende Kurse in Rot aufleuchten. Kein Wunder also, dass auch der neue Trendbegriff “Influencer” sprachlich einen roten Anstrich bekommt: “Wanghong” 网红- wörtlich “Internetrotheit”. Angelehnt ist die Wortneuschöpfung übrigens an den Begriff 走红 zǒuhóng “rotlaufen”, was “eine Glückssträhne haben” oder “berühmt werden” bedeutet. Weitere sprachlich “gefärbte” Begriffe sind z. B. “Dividende” (分红 fēnhóng “Rotverteilung”), “Rendite” (红利 hónglì “roter Gewinn”) oder auch “Heiratsvermittlerin” (红娘 hóngniáng “rote Frau”). Bei Geschenken oder Geschenkverpackungen ist man in China mit der Glücksfarbe Rot übrigens in der Regel gut beraten. Nur auf Hochzeiten sollte man rote Garderobe tunlichst vermeiden, da die Glücksfarbe Rot – wie könnte es auch anders sein – natürlich dem Brautpaar vorbehalten ist! Verena Menzel
Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
der Ton für das erste amerikanisch-chinesische Treffen nach dem US-Präsidentschaftswechsel ist gesetzt: Wenn sich die Außenminister beider Weltmächte am Donnerstag in Alaska sehen, wird Peking die jüngsten Sanktionen der Biden-Administration als Fortsetzung Trumpscher Politik definieren. Finn Mayer-Kuckuk ordnet die Auswirkungen des amerikanischen Schachzuges auch für die deutsche Huawei-Debatte ein.
Seit der Unterzeichnung des europäisch-chinesischen Investitionsabkommens CAI Ende 2020 wird viel über die Inhalte spekuliert, die sich in den bisher unbekannten Annexen verstecken. Nach sieben Wochen hat Brüssel nun das Geheimnis endlich gelüftet, Amelie Richter hat fast 270 Seiten durchgesehen.
Den Beziehungen der EU-Mitgliedsstaaten Italien und Tschechien zu China hat China.Table in den vergangenen Wochen bereits eigene Analysen gewidmet. Heute betrachtet Christiane Kühl das Verhältnis der Schweden zu China.
Hat sich der Carlsen-Verlag chinesischer Zensur gebeugt, als er sein jüngstes Kinderbuch nur Tage nach dem Erscheinen wieder vom Markt nahm? In dem Buch “Ein Corona-Regenbogen für Anna und Moritz” heißt es, das Virus stammt auch China, was zu wütenden Protesten asiatisch-stämmiger Menschen führte, die darin eine Diskriminierung sehen. Zurecht, schreibt die Forscherin Liya Yu in ihrem Standpunkt und warnt vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, wenn asiatisch-stämmige Kinder und ihre Familien kontextlos zu Mitschuldigen einer weltweiten Pandemie gestempelt werden.
“Zur Sprache” haben wir unsere neue Rubrik am Schluss des China.Table genannt, weil es dabei um mehr geht, als das Erlernen der Sprache. Immer montags wird Verena Menzel wichtige Begriffe und Redewendungen übersetzen und uns Einblick in den kulturellen Hintergrund geben.
US-Präsident Joe Biden schmeißt die großen chinesischen Telekommunikationsausrüster de facto aus den heimischen Netzen. Anbieter wie Huawei seien ein “inakzeptables Risiko”, teilte die US-Telekommunikationsbehörde mit. Die Entscheidung bedeutet, dass die Netzwerkbetreiber keine Förderung aus dem Milliardenfonds der Regierung für den Netzausbau erhalten, wenn sie Zubehör aus China bestellen. Parallel dazu fordert die Regierung Mobilfunk- und Internetanbieter auf, Gerätschaften chinesischer Lieferanten auszubauen und durch einheimische Produkte zu ersetzen. Für kleinere Anbieter mit weniger als zehn Millionen Kunden gibt es dafür eine Entschädigung. Diese Abwrackprämie für Mobilfunkantennen und Router heißt auf Englisch “rip and replace“; sie aus dem großen Konjunkturprogramm finanziert, mit dem Biden die Wirtschaft nach Corona wieder ankurbeln will. Die Regierung könnte ihr Misstrauen gegenüber Huawei kaum deutlicher ausdrücken.
Auf der Liste vorgeblich riskanter Anbieter stehen Huawei, ZTE, Hytera Communications, Hangzhou Hikvision und Dahua. Die Federal Communications Commission (FCC) setzt damit ausdrücklich den Willen der neuen Regierung um. “Unsere Liste ist ein großer Schritt dahin, das Vertrauen in unsere Kommunikationsnetze wiederherzustellen”, sagte FCC-Chefin Jessica Rosenworcel. Biden hatte die Juristin Ende Januar auf ihren Posten gehoben. Es sei von Anfang an ein “Fehler” gewesen, überhaupt chinesische Geräte zu verbauen, sagte Roenworcel.
Vor der US-Wahl hatte Huawei-Chef Ren Zhengfei die Hoffnung geäußert, dass Joe Biden sich gegenüber der chinesischen Wirtschaft offener zeige als sein Vorgänger. Die Regierung Biden wendet nun jedoch ein Anti-China-Gesetz aus der Trump-Ära ohne Abschwächung an. Trump hatte die FCC vor zwei Jahren beauftragt, Sicherheitsrisiken aufzuspüren. Joe Biden hätte nun eine milderen Politik formulieren können – hat er aber nicht. Im dritten Monat seiner Präsidentschaft kam nun erneut ein harter Schlag gegen Huawei.
Zugleich laufen weitere Aktionen der US-Regierung gegen chinesische Technikanbieter. Joe Biden verweigert Huawei weiterhin Zugang zur Nutzung von US-Technik mittels Lizenzen. Das ist ein gewaltiger Hemmschuh für die chinesische Industrie. Viele kleine Elemente an moderner Technik sind auf anderen Kontinenten patentiert – Übertragungsformate, Chip-Designs, Teile von Computerprogrammen, Ver- und Entschlüsselungsalgorithmen. In friedlichen Zeiten ist das kein Problem. Wer Bedarf hat, kauft sich Lizenzen zu deren Nutzung einfach zu. Huawei und seine Zulieferer müssten künftig jedoch alle US-Patente mit originären Eigenentwicklungen umschiffen. Das ist nach derzeitigem Stand praktisch unmöglich.
Auch die App-Anbieter Tencent und ByteDance haben in den USA derzeit Ärger. Die Regierung Trump war in ihren letzten Tagen einen Frontalangriff gegen ihre Flaggschiff-Produkte TikTok und Wechat gefahren. Im Rahmen einer Überprüfung sämtlicher Trump-Sanktionen wurden die bereits angelaufenen Gerichtsverhandlungen zwar auf Eis gelegt. Im Unterschied zur Netzausrüstung handelt es sich bei TikTok und WeChat jedoch um reine Software – die zudem eine Plattform für Meinungsäußerung bietet. Im Gegensatz zum Huawei-Bann räumen Rechtsexperten einem TikTok-Verbot daher schlechtere Chancen vor Gericht ein.
Die harte Linie der Regierung gegen Huawei könnte durchaus auch die Diskussion in Europa beeinflussen. Schließlich ist es diesmal kein erratischer Außenseiter wie Trump, der hinter der Politik steht, sondern der respektierte und erfahrene Joe Biden. Weder Deutschland noch seine EU-Nachbarn sind bisher zu einer eindeutigen Einschätzung gekommen. Im Dezember hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier einen Kompromiss formuliert, der bisher gilt: Huawei darf bleiben, wird aber besser überwacht. Doch es gibt bereits erste Zuckungen, diese Übereinkunft wieder aufzuschnüren.
Experten der dänischen Technik-Beratung Strand Consult halten einen schrittweisen Austausch von Huawei-Geräten durch westliche Ausrüstung in Europa für durchaus machbar. Die Kosten dafür liegen demnach in der EU bei einem einstelligen Milliardenbetrag. Da Kommunikationsapparate ohnehin schnell veralten, ließe sich die Umstellung zusammen mit dem nächsten Generationswechsel vollziehen, so Strand Consult.
Eine ganz andere Frage ist, ob ein völliger Verzicht auf Huawei nötig und wünschenswert ist. Bisher haben Sicherheitsexperten dem Unternehmen keine bösen Absichten im Sinne groß angelegter Spionage oder Sabotage nachgewiesen. China könnte zudem zum Gegenschlag ausholen – und es handelt sich immerhin um den größte Markt für zahlreiche deutsche Produktgruppen. Die staatlichen Misstrauensbekundungen gegen Huawei sind eben vor allem ein Akt des Handelskriegs und der Industriepolitik. Als rein sicherheitspolitische Entscheidung wäre ein Verbot chinesischer Netzausrüstung jedenfalls nur wenig glaubwürdig. Biden ist ganz offensichtlich bereit, China weiterhin hart anzufassen – und lässt die Beschlüsse von Donald Trump zunächst in Kraft.
Gut sieben Wochen hat die EU-Kommission mit der Veröffentlichung der Details des Investitionsabkommens mit China (CAI) gewartet. In den nun publizierten Annexen mit den Einzelheiten der Marktzugänge wird sichtbar: Die Europäische Union macht zwar einen Fortschritt in der Manifestierung des oft genannten “level playing field”, beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe und der privaten Gesundheitsversorgung – große Verhandlungserfolge darüber hinaus sind aber nicht gelungen. In einigen Bereichen bleibt das Abkommen hinter den Erwartungen zurück.
EU-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis erklärte, mit dem CAI würden die Investitionsbeziehungen zwischen der EU und China “zu Gunsten Europas neu ausbalanciert”. Das CAI werde dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen und mehr Marktöffnungen für EU-Unternehmen und Investoren zu schaffen. Dombrovskis lobte den “klaren und durchsetzbaren Regelungsrahmen” durch das CAI. Dieser biete EU-Unternehmen einen besseren Zugang und mehr Sicherheit bei Investitionen in China.
Die Volksrepublik gehe “erhebliche Verpflichtungen im verarbeitenden Gewerbe ein”, betonte die EU-Kommission bei der Veröffentlichung der Annexe. Diese verarbeitende Industrie macht demnach mehr als die Hälfte der gesamten EU-Investitionen in China aus. Darunter fallen nach Angaben der Kommission 28 Prozent für den Automobil- und 22 Prozent für den Grundstoffe-Sektor. “China hat derzeit keine Verpflichtungen gegenüber der EU in diesem Bereich”, betonte die Brüsseler Behörde.
Die nun veröffentlichten Anhänge des CAI beinhalten die Details zu den Marktzugängen auf europäischer und chinesischer Seite. Änderungen an den politischen Einigungen zu dem Abkommen gibt es dabei nicht – beispielsweise am viel kritisierten Nachhaltigkeitskapitel, in welchem es unter anderem um die Umsetzung von Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und Zwangsarbeit geht.
Die sogenannten Verpflichtungspläne der Annexe sind komplex – für die chinesische Seite umfassen sie 93 Seiten, für die europäische 175. Beide Verhandlungsseiten hatten sich darauf geeinigt, einen “Hybridansatz” zu wählen – in den Anhängen werden sogenannte Negativ- und Positivlisten aufgeführt. Unter dem Negativlisten-Ansatz versteht man, dass die entsprechenden Verpflichtungen für alle Sektoren übernommen werden, mit Ausnahme derjenigen, die ausdrücklich ausgeschlossen werden. Für die Sektoren in einer Positivliste verpflichten sich beide Seiten dazu, keine quantitativen Beschränkungen in den genannten Bereichen aufzuerlegen.
Und die Beschränkungen nehmen im CAI-Annex-Text nicht wenig Platz ein: So werden die meisten Automobil-Unternehmen ab 2022 zwar von dem Joint-Venture-Zwang befreit, außerdem verpflichtet sich China zum Marktzugang für alternativ angetriebene Fahrzeuge – aber es gibt Grenzen: Neuwagenfabriken mit Verbrennungsmotoren sind verboten, die Erweiterung wird stark eingeschränkt. Elektroauto-Anlagen sind auf Provinzen beschränkt, in denen die Quoten für die Produktion von Elektroautos bereits überschritten wurden. Ausnahmen gibt es ab einer Investition von mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Mit anderen Worten: Es wird keine ausländischen Start-Ups geben, chinesischen oder bereits etablierten Unternehmen wird in dem Sektor ein klarer Vorteil eingeräumt.
In anderen Bereichen sind ausländische Investitionen weiterhin stark beschränkt. Darunter fallen zum Beispiel die Erkundung Seltener Erden, geologische Kartierungen – und auch der Sektor der Atomenergie. “Für Investitionen ausländischer Investoren in den Bau oder Betrieb von Kernkraftwerken ist chinesische Kontrolle erforderlich”, heißt es in dem entsprechenden Anhang. Ausländische Investoren dürfen zudem “nicht in die Exploration, den Abbau, die Reinigung, die Umwandlung, die Isotopentrennung investieren”.
Vermehrt Kritik gab es nach der Veröffentlichung der Annexe an den Details zum Medien-Bereich – der häufig unterschätzt oder nur wenig beachtet wird. Für China ist der Sektor jedoch besonders wichtig, wenn es um die sogenannte “soft power” geht. Durch Fernseh- oder Radioprogramme, aber auch Filme und Nachrichtenjournalismus versucht Peking, vermehrt das Bild Chinas in der EU positiv zu prägen. Mit dem CAI habe die chinesische Seite nun zementiert, dass Peking mit Investitionen zwar Zugang zu europäischen Medienunternehmen habe – andersherum gelten aber harte Beschränkungen für ausländische Medien in der Volksrepublik.
Die EU-Kommission betonte am Freitag, dass es keine neuen Rechte für chinesische Investoren im Mediensektor gebe. Die EU-Staaten und deren Medienaufsichten können aber beispielsweise aus Sicherheitsbedenken weiterhin gegen chinesische Sender vorgehen wie zuletzt bei CGTN. Hinsichtlich der einzelnen EU-Staaten gibt es im Medienbereich im CAI festgeschriebene Unterschiede bezüglich der Behandlung chinesischer Investoren.
Auch im Bereich der privaten Gesundheitsversorgung sind im CAI Beschränkungen festgelegt: So können EU-Unternehmen in medizinische Einrichtungen nur in Form eines Joint Ventures investieren. Beschränkt ist das auf acht Städte, inklusive Peking, Shanghai und Suzhou sowie die Insel Hainan. “Die Mehrheit der Ärzte und des medizinischen Personals des Joint Ventures sowie der Krankenhäuser und Kliniken in ausländischem Besitz muss chinesischer Staatsangehörigkeit sein“, wird in dem Abkommen festgelegt.
Ausländische Investitionen in Nichtregierungs- und Wohltätigkeitsorganisationen sind ohne chinesische Erlaubnis untersagt. NGOs die im Ausland gegründet wurden, dürfen keine feste Zweigstelle in China haben – Kritiker sehen darin eine Manifestierung des Vorhabens der Volksrepublik, ausländische Einmischung in “innere Angelegenheiten” weiter zu unterbinden.
Wie geht es nun weiter? Das Abkommen muss nun im Wortlaut in alle EU-Sprachen rechtlich geprüft und übersetzt werden. Danach wird es dem EU-Rat und dem Europaparlament zur Debatte und Annahme vorgelegt. Die Ratifizierung wird für Anfang 2022 erwartet.
Vor allem im EU-Parlament wird dem CAI noch starker Gegenwind entgegengebracht werden: Wenn man die Anhänge des Abkommens lese, “verdichte sich der Nebel” nur weiter, schrieb die französische Abgeordnete Marie-Pierre Vedrenne auf Twitter. Das zeige die Notwendigkeit “autonomer Maßnahmen” und eines “rechtlichen Arsenals”, so Vedrenne. In der kommenden Woche soll Medienberichten zufolge der zuständige Monitoring-Ausschuss des Europaparlaments die Annexe erstmals genauer unter die Lupe nehmen.
Völkermord in Xinjiang – ja oder nein? Diese Frage rückt zunehmend in den Mittelpunkt des internationalen Diskurses und könnte früher oder später auch den Deutschen Bundestag beschäftigen. Dem Vernehmen nach rumort das Thema zunehmend in den Fraktionen, nachdem vor wenigen Wochen die Parlamente in Kanada und den Niederlanden das Vorgehen der chinesischen Regierung gegen muslimische Uiguren im Nordwesten der Volksrepublik bereits als Genozid verurteilt haben.
“Die Berichte machen unmissverständlich deutlich, dass dort dramatische Dinge vor sich gehen. Wir müssen jetzt bewerten, wie wir begrifflich damit umgehen“, sagt der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Schwabe im Gespräch mit China.Table. “Andere Parlamente haben Fakten geschaffen. Deshalb werden wir uns automatisch auch zeitnah damit befassen müssen.” Hinsichtlich der Fülle an Berichten über Folter und Vergewaltigungen in Umerziehungslagern, in denen rund eine Million Uiguren gegen ihren Willen festgehalten werden, spricht Schwabe von “unbekannten Dimensionen, die für mich vor ein paar Jahren unvorstellbar waren”. Dennoch: “Die Debatte hat gerade erst begonnen, und wir müssen sorgsam diskutieren, welche Begriffe wir für solche einzigartigen Verbrechen verwenden. Der Begriff des Genozids jedenfalls ist nicht mehr steigerungsfähig.”
Inzwischen nutzt auch die neue US-Regierung in offiziellen Stellungnahmen den Terminus. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte, der “Genozid gegen die Uiguren” werde “direkter Gesprächsgegenstand” mit den Chinesen werden, wenn an diesem Donnerstag Außenminister Anthony Blinken in Alaska erstmals auf seinen Amtskollegen Wang Yi treffen wird. Die Bezeichnung Genozid ist mehr als eine rhetorische Spitzfindigkeit. Sie gilt gemäß der Übereinkunft über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 der Vereinten Nationen als Straftatbestand im internationalen Völkerrecht, der geahndet werden muss.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschuss im Deutschen Bundestag, Gyde Jensen (FDP), hatte kürzlich gesagt, sie könne aufgrund der Faktenlage nachvollziehen, weshalb Regierungen zu dem Schluss kommen, dass es sich um einen Genozid handle. Zurückhaltender ist Michel Brandt von Die Linke, der stattdessen von einem “Ethnozid” spricht. Gemeint ist damit die Auslöschung der kulturellen Identität einer Bevölkerungsgruppe. Internierungen, Massenüberwachung, Unterdrückung und Berichte über Zwangssterilisationen böten Anlass zu großer Sorge. “Um ein umfassendes Bild über die Vorgänge in Xinjiang zu bekommen, unterstützt unsere Fraktion die Entsendung einer UN-Mission in diese Region. Wir sehen die chinesische Regierung in der Pflicht zu kooperieren und mahnen diese auch immer wieder an”, sagte Brandt dem China.Table. Zentrales Ziel sei die Verbesserung der Menschenrechtslage in Xinjiang. Vertreter von CDU und AfD reagierten nicht auf Anfragen zu dem Thema.
Das schärfste Instrument, das dem Bundestag zur Verfügung steht, ist eine Resolution, die einen Genozid in Xinjiang anerkennen und verurteilen würde. Ein entsprechender Entwurf könnte sowohl von der Regierungskoalition als auch der Opposition eingebracht werden. Unabhängig von der Erfolgsaussicht eines solchen Entwurfes könnte sich allerdings das baldige Ende der Legislaturperiode als Bremsklotz für eine solche Initiative erweisen. Mit der Bundestagswahl am Horizont und nur noch wenigen verbleibenden Sitzungswochen bis zur Sommerpause des Parlaments wird die Zeit immer knapper. Das könnte Befürchtungen auslösen, dass vorschnell über eine Resolution entschieden werden könnte. Den Chinesen käme eine solche Verzögerung sicher recht, weil sie Debatte in ihrem Sinne entschleunigen würde.
Zuletzt hatte das Parlament vor knapp fünf Jahren die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten mit bis zu 1,5 Millionen Opfern ausdrücklich als Völkermord bezeichnet und eine entsprechende Resolution verfasst. Die Reaktionen der Türkei waren damals wütende Proteste. Dass die Volksrepublik China eine Resolution zu Xinjiang einfach hinnehmen würde, ist wohl ausgeschlossen. Schon bei deutlich geringeren Anlässen sprechen chinesische Diplomaten Drohungen gegen deutsche Abgeordnete aus oder beschweren sich bei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Das war beispielsweise der Fall, als der Bundestag 2018 in einer Beratung über die Menschenrechtslage in der Region debattierte. Auch anderen Staaten droht die Volksrepublik regelmäßig mit wirtschaftlichen Konsequenzen, wenn dort kritisch die repressive Politik Pekings gegenüber Dritten beurteilt wird. Stets verweist sie auf innere Angelegenheiten, aus denen sich andere Länder herauszuhalten hätten
Derweil erhält die Diskussion um die Bewertung der Vorgänge durch eine Studie des Newlines Instituts eine neue Grundlage. Die unabhängige Denkfabrik in der US-Hauptstadt Washington, die sich mit geopolitischen Entwicklungen beschäftigt, ist unter Teilnahme von 33 internationalen Forschern zu dem Schluss gekommen, dass die Bezeichnung Genozid angemessen ist. Das englischsprachige Papier mit dem Titel “The Uyghur Genocide: An Examination of China’s Breaches of the 1948 Genocide Convention” führt auf 55 Seiten Beweise und Indizien zusammen, die nach Meinung der Autoren die Definition rechtfertigen. Die Studie bündelt alle Informationen, die im Laufe der vergangenen Jahre von Wissenschaftlern, Medien und Augenzeugen zusammengetragen worden sind, zu einem stringenten Argumentationsfaden und bewertet ihre Bedeutung entlang der UN-Konvention von 1948.
Bei ihren Untersuchungen beschränkten sich die Forscher auf Verstöße gegen Artikel II. Dort werden fünf Handlungen aufgeführt, die in der Absicht begangen werden, “eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören”. Alle fünf Handlungen sehen die Wissenschaftler als erwiesen an. Sie beziehen sich bei ihrer Beurteilung auf umfassend verfügbare “Primär- und Sekundärquellen, einschließlich Zeugenaussagen, interne Aussagen der chinesischen Regierung, Dokumente, Statistiken, Weißbücher und Berichte sowie verschiedene Expertenanalysen und wissenschaftliche Arbeiten”. Chinas Regierung weist jedoch jegliche Kritik an ihrem Vorgehen von sich und verteidigt ihre Politik als “Krieg gegen Extremismus, Terrorismus oder Separatismus”.
Die Rhetorik chinesischer Offizieller ist in der Tat kriegerisch, wie die Studie ergibt. Mehrfach wurden von offizieller Stelle Äußerungen getätigt wie “Tumore ausrotten”, “sie komplett auswischen”, “ihre Wurzeln und Zweige zerstören”, “jeden rundmachen” oder “absolut keine Gnade zeigen”. Die Mittel, die China einsetzt, sind demnach Überwachung, Kriminalisierung, Zerstörung uigurischer Kultur, Internierung und Zwangsarbeit, “systematische Zwangsabtreibungen und die Sterilisation uigurischer Frauen im gebärfähigen Alter” sowie die “gewaltsame Trennung uigurischer Kinder von ihren verschwundenen Eltern”.
Innerhalb der Europäischen Union wird Berichten zufolge derzeit über Sanktionen gegen chinesische Offizielle wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nachgedacht. Vier Personen und eine Entität sollen auf eine Liste für Strafmaßnahmen gesetzt werden, berichtete Wall Street Journal unter Berufung auf EU-Diplomaten. Demnach sollen die Sanktionen beim Treffen der EU-Außenminister Ende März beschlossen werden. Der Europäische Auswärtige Dienst bestätigte die Berichte zunächst nicht.
Schon lange lief es nicht mehr rund zwischen Schweden und China. Die Saga um einen in China inhaftierten schwedisch-chinesischen Kleinverleger vergiftete die Beziehungen. Der chinesische Botschafter in Stockholm übte Dauerkritik an Schwedens Medien. Und dann schloss Schweden im Oktober 2020 die chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei und ZTE vom Aufbau der 5G-Netze aus. “Der schwedische Sicherheitsdienst ist der Ansicht, dass der chinesische Staat und die Sicherheitsdienste Huawei beeinflussen und unter Druck setzen können”, teilte die schwedische Post- und Telekommunikationsbehörde in ungewohnt deutlichen Worten mit, und wiederholte die Worte für ZTE. Ein Pekinger Außenamtssprecher drohte umgehend mit Nachteilen für schwedische Unternehmen in China.
Die bilateralen Beziehungen sind damit an einem Tiefpunkt angelangt. Und das, obwohl Schwedens Politik sich nicht wirklich von jener der meisten EU-Staaten unterscheidet. Nach einem “Policy Intentions Mapping” des European Council on Foreign Relations (ECFR) vom September 2020 ist Schweden wie die meisten EU-Staaten dafür, eine “gemeinsame EU-Position gegenüber China zu finden, die China – pragmatisch – je nach Thema als Partner oder Rivale betrachtet”. Auch ist Stockholm laut ECFR dafür, chinesische Investitionen nur in strategischen Sektoren zu begrenzen – also eben Bereiche wie 5G. Nur Finnland, Dänemark und Ungarn sind in der Aufstellung gegen jedwede Restriktionen.
Die ganz speziellen Probleme zwischen China und Schweden begannen 2015, als der schwedisch-chinesische Verleger Gui Minhai aus Thailand verschwand – und kurz danach im chinesischen Staatsfernsehen auftauchte. Dort gestand er einen angeblichen Vorfall mit Trunkenheit am Steuer aus dem Jahr 2003. Schwedens Beobachter gingen von einem erzwungenen Geständnis aus – denn Gui führte mit drei anderen Männern einen Kleinverlag in Hongkong, der Bücher voll knackiger Geschichten über das Privatleben von Chinas politischem Führungspersonal verkaufte. Auch die anderen drei sowie der Buchhändler, der ihre Bücher in Hongkong verkaufte, verschwanden zur gleichen Zeit in Festlandchina. Im Februar 2020 wurde Gui wegen angeblicher Weitergabe von Staatsgeheimnissen ans Ausland zu zehn Jahren Haft verurteilt. Schweden bemühte sich jahrelang vergeblich um Guis Freilassung und Ausreise; der Fall löste immer wieder diplomatische Scharmützel aus.
Im September 2018 sorgte dann ein Streit zwischen drei chinesischen Touristen und einem Hostel in Stockholm für einen absurden diplomatischen Eklat. Die Gruppe war nach Aussage des Hostels gegen Mitternacht viele Stunden vor Beginn ihrer Buchung angekommen. Das Hostel ließ sie zunächst in der Lobby warten, bat sie dann aber zu gehen, da sie laut schimpften – und holte schließlich die Polizei. Videos zeigten, wie Polizisten die Familie auf die Straße trugen, und der Sohn auf Englisch brüllte: “This is killing!” Chinas Botschafter in Schweden, Gui Congyou, verlangte eine Entschuldigung der Polizisten und des TV-Senders SVT wegen einer Satiresendung über den Vorfall. Auch ein Außenamtssprecher in Peking nannte die Sendung eine “grobe Beleidigung und einen bösartigen Angriff auf China und das chinesische Volk.”
Die Nerven lagen offenbar blank: Botschafter Gui beklagte immer wieder die schwedische Berichterstattung über China und drohte Ende 2019 Schwedens Kulturministerin wegen einer Preisverleihung an Verleger Gui mit einem Einreiseverbot. “Wir werden einer solchen Drohung niemals klein beigeben. Niemals”, erklärte Ministerpräsident Stefan Löfven. “Wir haben hier Redefreiheit. Punkt.” Schwedens Außenministerium bestellte den Botschafter wegen seiner Ausfälle Dutzende Male ein – lehnte aber Forderungen der Opposition nach einer Ausweisung des Diplomaten ab.
All das blieb nicht ohne Folgen. In einer Umfrage des Pew Research Center hatten Ende 2019 rund 70 Prozent der Schweden eine negative Meinung von China. Weltweit waren es mit 85 Prozent nur in Japan noch mehr. Noch 2018 hatten die Schweden China positiver gesehen als die Menschen in Deutschland, Italien oder Frankreich.
“Zumindest seit 2018 scheinen die bilateralen Beziehungen Schwedens zu China auf einem historischen Tief zu verharren”, schrieb Jerker Hellström, Direktor des Swedish Center for China Studies Mitte 2020 in einer Übersicht über die Beziehungen der letzten Jahre. Trotzdem “aber scheinen die Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen Schweden und China begrenzt gewesen zu sein”. Wirtschaftlich lief es dennoch: Schwedens Exporte nach China legten in jener Zeit zu und tilgten das frühere Handelsbilanzdefizit. Umgekehrt strömten seit der Übernahme Volvos durch den chinesischen Autobauer Geely 2010 immer mehr chinesische Investitionen nach Schweden, die zunächst – auch wegen des Erfolgs der Volvo-Übernahme – mit offenen Armen aufgenommen wurden. 2018 kaufte Geely noch einen Minderheitsanteil am Lastwagenbauer AB Volvo hinzu – mit 3,3 Milliarden Dollar das bisher größte chinesische Investment im Land. 2019 übernahm Chinas Internetriese Tencent die Musikplattform Spotify für 2,3 Milliarden Dollar.
2018 entbrannte angesichts dieser Übernahmen jedoch eine Debatte über politische Naivität gegenüber China, wie sich Hellström erinnert. Zu den größten Warnern gehöre Lars Fredén, Botschafter Schwedens in Peking von 2010 bis 2016. Hellström zitiert einen Beitrag Fredéns auf einem Workshop von 2019: “”Schweden ist eine im Westen einzigartige Kombination aus Hochtechnologie – die oft direkte militärische Anwendungen hat – und grenzenloser Naivität.” Seither habe Schweden die Expertise über China verbessert und befasse sich ernsthaft mit einer institutionalisierten China-Strategie – bilateral und auch im Rahmen der EU.
Auch der Ausschluss Huaweis könnte eine Konsequenz aus der Naivitäts-Debatte sein. Huawei klagte mehrfach gegen seinen Ausschluss vom 5G-Aufbau – verlor aber vor Gericht. Die Auktion der 5G-Lizenzen ging im Januar 2021 ohne Huawei und ZTE über die Bühne. Doch nun gibt es Kritik aus der Wirtschaft. Börje Ekholm, Chef des schwedischen Huawei-Konkurrenten Ericsson kritisierte den Ausschluss Huaweis und äußerte Sorge über seine eigenen 5G-Geschäfte in China. Ob zurecht oder nicht, ist bislang ungewiss.
Auf der Suche nach dem Ursprung des neuartigen Coronavirus hat ein internationales Wissenschaftsteam nun überraschende Ergebnisse geliefert, wie die SCMP zuerst berichtet. So hätten sie 24 bisher unbekannte Fledermaus-Coronaviren in einem Umkreis von weniger als vier Kilometern im Südwesten von China entdeckt. Ein Virus davon trug “ein genomisches Rückgrat”, das dem bisher identifizierten Sars-Cov-2 wohl am nächsten kommt, heißt es in einem auf dem US-Biologieserver bioRxiv.org veröffentlichten Artikel, der noch keiner Peer-Review Prozess unterzogen wurde. Dennoch scheint keines der neu entdeckten Coronaviren-Arten laut dem Bericht verantwortlich für die derzeitige Covid-19-Pandemie zu sein.
Das wissenschaftliche Team, das von China finanziell unterstützt wird, hatte zwischen Mai 2019 und November vergangenen Jahres in der Provinz Yunnan in China mehr als 400 Proben von Kot, Urin und Rachenabstriche von Fledermäusen gesammelt. Die Auswertung der Daten ergab dabei, dass “die genomische Vielfalt dieser Viren wahrscheinlich unterschätzt wurde“.
So weise das gesamte Genom eines der neu entdeckten Viren mit dem Namen RpYN06 zu 94,5 Prozent Ähnlichkeit mit Sars-Cov-2 auf. Zwar wäre dies etwas niedriger als beim RaTG13-Virus, das schon vor einigen Jahren in Yunnan entdeckt worden sei und eine Überstimmung von 96 Prozent aufzeigt. Doch weitere Ergebnisse wiesen laut der neuen Studie daraufhin, dass der Vorfahre von Sars-Cov-2 vor einigen Jahrzehnten von den RpYN06- und TG13-Linien abgewichen war und ein Rekombinationsereignis durchlaufen hatte, indem er sich mit einer anderen Virusspezies vermischte. Wann das passiert sein könnte und an welchem Wirtstier, konnten die Wissenschaftler jedoch nicht im Detail sagen.
Die Veröffentlichung der Studie kommt zeitlich kurz vor dem Bericht der WHO-Delegation, die im Februar in China Forschungen nach dem Ursprung des neuartigen Coronavirus machte und deren Abschlussbericht in dieser Woche erwartet wird. niw
Die G7-Außenminister und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell haben gemeinsam die Änderung des Wahlsystems in Hongkong scharf kritisiert. Die Minister und Borrell brachten in einer Erklärung große Sorge über die Entscheidung Pekings zum Ausdruck, “die demokratischen Elemente des Wahlsystems in Hongkong grundlegend auszuhöhlen”. Der Vorgang deute darauf hin, “dass die Behörden in Festlandchina entschlossen sind, abweichende Stimmen und Haltungen in Hongkong mundtot zu machen”, hieß es in der Mitteilung.
Statt die Autonomie Hongkongs zu untergraben, müsse Peking die Grundrechte und Freiheiten in der früheren britischen Kronkolonie respektieren, betonten die Außenminister von Deutschland, den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada sowie Japan gemeinsam mit Borrell. “Wir rufen China und die Behörden in Hongkong ferner auf, das Vertrauen in die politischen Institutionen Hongkongs wiederherzustellen und die ungerechtfertigte Unterdrückung derjenigen zu beenden, die für demokratische Werte und für die Verteidigung von Rechten und Freiheiten eintreten.”
Peking hatte am Donnerstag Änderungen des Wahlsystems in Hongkong beschlossen, die sicherstellen sollen, dass Hongkong “von Patrioten regiert” werde (China.Table berichtete). Die Oppositionskräfte in der chinesischen Sonderverwaltungsregion werden so noch weiter zurückgedrängt.
Die EU veröffentlichte am Freitag zudem ihren Bericht zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Hongkong im Jahr 2020. Im Laufe des vergangenen Jahres habe Hongkong eine “alarmierende politische Verschlechterung erlebt“, hieß es darin. “Das von Peking auferlegte nationale Sicherheitsgesetz wird verwendet, um demokratiefreundliche Kräfte zu bekämpfen.” Die EU warnte, dass Unternehmen vermehrt aus Hongkong fliehen könnten. Europäische Firmen in Hongkong hätten 2020 hauptsächlich abgewartet. “In der Geschäftswelt besteht aber die Auffassung, dass das Sicherheitsgesetz den internationalen Ruf Hongkongs geschädigt hat.” Einige Unternehmen würden ihre Präsenz in der Stadt nun neu bewerten. ari
Ein deutsches Kinderbuch des Carlsen Verlags versuchte, über das Coronavirus aufzuklären. Darin gab es einen Satz, der auf den ersten Blick harmlos schien: Kindern wird erklärt, dass das Virus, das unser Leben umgekrempelt hat, zu einschneidenden Einschränkungen des Alltags, Arbeitslosigkeit und finanziellen Nöten der Eltern sowie dem Verlust von Freunden und Familienangehörigen geführt hat, aus China kommt.
Deutsch-chinesische Eltern spüren augenblicklich beim Lesen dieses Satzes einen Stich im Herz, weil sie vor Augen haben, wie ihre Kinder in Kitagruppen und Grundschulklassen (die Buchreihe wird zum Vorlesen ab drei Jahren empfohlen) diese Worte im Kreis ihrer Mitschüler*innen vorgelesen bekommen. Sie wissen, dass ihre Kinder Scham und Verwirrung darüber fühlen werden, dass das Land, aus dem die Eltern oder ein Elternteil kommt, so viel Schreckliches und Böses angerichtet, für eine globale Katastrophe, Krankheit und Tod gesorgt hat.
Kindergehirne sind schon im frühen Alter hochsensibel gegenüber sozialer Ausgrenzung und den Gefahren des Herausstechens aufgrund von Andersartigkeit. Evolutionär betrachtet ergibt es Sinn: Wer heraussticht, vor allem negativ, wird zur Angriffsfläche der sozialen Gruppe, weil die volle Mitgliedschaft und positive Anerkennung verwehrt wird. Oft ist dann die Gegenreaktion, sich von seiner chinesischen oder asiatischen Identität zu distanzierten “Ich bin keine Chinesin!” oder “Ich hasse China!” zu rufen, ist dann oft traurige migrantische Überlebensstrategie, um Verachtung und Hänseleien durch andere Mitschüler*innen zu vermeiden. Ich weiß das, weil ich selbst eines dieser deutsch-chinesischen Kinder war.
Doch, so der Einwand, das Virus kommt doch aus China. Warum soll ein wahrer Satz Zensur unterliegen? Ich argumentiere, dass die Vermeidung des Satzes in diesem speziellen Kontext der Kinderlektüre keine Zensur darstellt, sondern verhindert, dass kleine Kinder schon von früh negativ gegenüber einer kulturellen und ethnischen Gruppe kognitiv geprägt werden. Dazu reicht ein Satz wie dieser schon aus, vor allem wenn er völlig kontextlos präsentiert wird. Die Forschung zeigt, dass diese Art der Prägung sehr früh beginnt.
Kindergehirne, vor allem solche im jungen Alter, suchen einfache Kausalitäten und verstehen keine geopolitischen Zusammenhänge. Vorschul- und Grundschulkinder wissen nicht, wer China regiert, oder welche Rolle die chinesische Regierung bei der Pandemiebekämpfung spielte. Stattdessen ist der Welthorizont von Kindern sehr viel konkreter und kleiner: Sie wissen, dass die Klassenkameradin, die “irgendwie anders aussieht”, aus China kommt. Nun wird ihnen in diesem Buch ohne weitere Erklärung mitgeteilt, dass dieses blöde Virus aus China kommt, weshalb sie ihre Freunde nicht treffen dürfen, ihre Eltern bis spät in die Nacht besorgt diskutieren und die Oma ins Krankenhaus geliefert wurde.
Ihre Gehirne verbinden also all diese negativen, einschneidenden Erlebnisse der vergangenen Monate mit konkreten Menschen um sie herum, welche die Abstraktion “China” für sie verkörpern können. Es ist Kindern in dem Alter nicht bewusst, dass chinesische Klassenkamerad*innen aus der Kita oder Schule gar nichts mit dem “China” zu tun haben, welches der Satz im Buch anspricht. Verlagshäuser wie Carlsen müssen verstehen, dass Kinderhirne Informationen nicht so differenziert wie Erwachsene oder sogar Teenager verarbeiten können. Es ist daher auch nicht die Schuld der Kinder, die aus dem Satz die falschen Schlüsse ziehen, sondern die Verantwortung der Erwachsenen, nicht zu negativen kognitiven Prägungen beizutragen.
Das Resultat dieser Prägung ist das Ansteigen von Ausgrenzung und Hänseln chinesischer und asiatischer Mitschüler*innen sowie potenzielle Dehumanisierung. Auf Hirnebene, so zeigen Studien, die mit fMRI Gehirnscanning-Methoden arbeiten, führt Assoziation einer spezifischen Gruppe mit einem Ekel hervorrufenden Phänomen wie das eines tödlichen Virus zu Empathieabsprechung und Dehumanisierung dieser Gruppe. Das hat nicht nur Konsequenzen in Form von Ausgrenzung, sondern auch darauf, dass man diese Gruppe kognitiv nicht versteht (sprich: nicht mehr “mentalisieren” kann).
Dies, so mein Argument, kann auch unerwünschte Folgen für das spätere politische Bewusstsein haben: Wenn Kinder von klein auf schon so geprägt werden, dass sie China nicht mentalisieren können, dann werden sie auch nicht das Interesse haben, sich über China zu informieren und China zu verstehen. Selbst aus Sicht des größten Chinakritikers ist dies nicht wünschenswert, weil ein fehlendes Mentalisierungsverständnis Chinas Deutschland letztendlich schadet. Statt also Aufklärungsarbeit über die Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas) und ihre Rolle in der Pandemie zu leisten, wie sich die Verteidiger des Satzes in dem Kinderbuch erhoffen, kann dieser Schuss womöglich nach hinten losgehen.
Er geht vor allem auch nach hinten los, weil sich chinesisch-deutsche Eltern durch Erfahrungen wie diese selbst dehumanisiert von Deutschland fühlen. Dies wird in der Forschung als “Metadehumanisierung” beschrieben, sprich, das Gefühl von anderen in der Gesellschaft dehumanisiert zu werden. Das Problem mit Metadehumanisierung ist, dass sie zu größerer Feindlichkeit und Gespaltenheit führen kann, mehr als andere Ausgrenzungserfahrungen. Dies ist genau das Ziel der KP Chinas: Die chinesische Diaspora zu spalten, ihr den Eindruck zu geben, dass die westlichen Demokratien in denen sie leben sich nicht um ihre Menschlichkeit und Repräsentation scheren, und daher die KP Chinas der wahre und einzige Repräsentant für sie ist.
In meinem Buch “Vulnerable Brains: The Neuropolitics of Divided Societies”, welches dieses Jahr erscheint, argumentiere ich, dass wir die Ausgrenzungsmechanismen, die unsere Gehirne universell und kulturübergreifend besitzen, verstehen und verhindern müssen, damit unsere gespaltenen Demokratien eine Chance haben ins 21. Jahrhundert hinein zu überleben. Es sollte deshalb auch auf politisch strategischer Ebene Ziel Deutschlands sein, der chinesischen Diaspora ein alternatives, demokratisch-inkludierendes Narrativ anzubieten, von dem sie sich repräsentiert und humanisiert fühlen. Die deutsch-chinesischen Eltern und ihre Interessen in der ganzen Diskussion um das Kinderbuch zu ignorieren, kommt daher einer doppelten Entmenschlichung gleich: Als zählten ihre Sorgen um ihre Kinder nicht; als hätten sie kein individuelles, berechtigtes Interesse daran, sich für ihre Kinder einzusetzen.
Gleichzeitig wirft dieser Fall die schwierige Frage auf, wie wir die Coronapandemie historisch, politisch und pädagogisch eines Tages an die jüngste Generation vermitteln sollen. Momentan hat niemand klare Antworten auf diese Fragen. Natürlich sollen ältere Kinder später lernen, woher das Virus kam, wie dies in Bezug zu anderen historischen Pandemien steht, was alles in dieser Pandemie schief gelaufen ist und wie so ein Ausbruch in der Zukunft verhindert werden kann. Wir müssen uns Gedanken machen, wie das geschehen kann, ohne dass asiatische Minderheiten als Sündenböcke herhalten.
Dr. Liya Yu ist Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin. Sie hat an der University of Cambridge, U.K. und der Columbia University in New York zur politischen Neurowissenschaft des Rassismus und Dehumanisierung geforscht. Ihr Buch “Vulnerable Brains” erscheint 2021 bei Columbia University Press. Sie lebt in Berlin und Taipei.
Influencer und Internetstars sind in China “rot”! Das hat jedoch nichts mit politischer Gesinnung zu tun, sondern schlicht mit der sprachlich-kulturellen Konnotation der Farbe Rot. “Hóng” ist in China nämlich die Glücksfarbe schlechthin. Keine chinesische Eingangstür ohne rote Glücksspruchbänder, kein Neujahrsfesttag ohne rote Umschläge mit Geldgeschenken (红包 hóngbāo). Optisch reicht dieser Einfluss sogar bis zum Aktienmarkt, wo steigende Kurse in Rot aufleuchten. Kein Wunder also, dass auch der neue Trendbegriff “Influencer” sprachlich einen roten Anstrich bekommt: “Wanghong” 网红- wörtlich “Internetrotheit”. Angelehnt ist die Wortneuschöpfung übrigens an den Begriff 走红 zǒuhóng “rotlaufen”, was “eine Glückssträhne haben” oder “berühmt werden” bedeutet. Weitere sprachlich “gefärbte” Begriffe sind z. B. “Dividende” (分红 fēnhóng “Rotverteilung”), “Rendite” (红利 hónglì “roter Gewinn”) oder auch “Heiratsvermittlerin” (红娘 hóngniáng “rote Frau”). Bei Geschenken oder Geschenkverpackungen ist man in China mit der Glücksfarbe Rot übrigens in der Regel gut beraten. Nur auf Hochzeiten sollte man rote Garderobe tunlichst vermeiden, da die Glücksfarbe Rot – wie könnte es auch anders sein – natürlich dem Brautpaar vorbehalten ist! Verena Menzel
Verena Menzel 孟维娜 betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.