Table.Briefing: China

Urteile gegen Kanadier + Schlag gegen Popkultur + Zweitgrößter Hafen dicht

  • China-Kanada-Beziehungen auf dem Tiefpunkt
  • Die KP greift im Entertainment-Betrieb durch
  • Zweitgrößter Hafen nach Corona-Fall gesperrt
  • Evergrandes E-Auto-Bereich schreibt Verluste
  • Taiwan-Büro in Litauen sorgt für Zwist
  • Im Portrait: Florian Wolff – M&A-Experte mit China-Fokus
Liebe Leserin, lieber Leser,

die spektakulären Aufnahmen der Havarie der Ever Given im Suezkanal gehören schon jetzt zu den Bildern des Jahres. Dabei haben die Corona-Fälle in chinesischen Häfen laut deutscher Wirtschaft viel größere Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Gestern hat es erneut einen Mitarbeiter getroffen. Diesmal im zweitgrößten Hafen des Landes, der auch prompt den Betrieb eingestellt hat. Erneut ist mit Verzögerungen zu rechnen. Globalen Logistikern, die auf “just in time” setzen, drohen neue Kopfschmerzen.

Die Spannungen zwischen China und Kanada haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Gestern verurteilte ein chinesisches Gericht den kanadischen Geschäftsmann Michael Spavor zu elf Jahren Haft. Am Tag zuvor wurde ein Todesurteil gegen den Kanadier Robert Lloyd Schellenberg bestätigt. Die Urteile haben zu einem Aufschrei unter westlichen Diplomaten und Politikern geführt. Heiko Maas kritisierte: “Der Prozess gegen Michael Spavor wurde hinter verschlossen Türen abgehalten und seine konsularischen Rechte wurden auf völkerrechtswidrige Weise eingeschränkt.” Christiane Kühl berichtet über die Hintergründe und was die Urteile mit dem Verfahren gegen die Huawei-Managerin Meng Wanzhou zu tun haben.

Es wäre unvorstellbar, dass deutsche Zeitungen jede zweite Meldung mit dem Namen Angela Merkel aufmachen – und dabei nur lobende Worte finden. Nicht so in Chinas Staatsmedien, auf deren Titelseiten der Name Xi Jinpings häufig allgegenwärtig ist. Die Berichterstattung ist ein weiterer Beleg für den immensen Personenkult um Xi. Doch auf Social Media und bei der Jugend sind Popstars und Schauspielerinnen beliebter. Ning Wang legt dar, warum der Sturz des Popidols Kris Wu im Sinne der KP ist und welche Folgen er für westliche Marken hat, die gerne mit Chinas Berühmtheiten aus der Entertainment-Branche werben.

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Harte Urteile für Kanadier sorgen für Spannungen

Erneut ist in China ein Kanadier zu einer harten Strafe verurteilt worden. Ein Gericht in Dandong an der Grenze zu Nordkorea verurteilte gestern den seit 2018 in Haft sitzenden Geschäftsmann Michael Spavor zu elf Jahren Gefängnis wegen Spionage. Erst am Dienstag hatte das Berufungsgericht in Shenyang ein wegen Drogenhandels gegen den Kanadier Robert Lloyd Schellenberg im Januar 2019 Todesurteil bestätigt (China.Table berichtete).

Das Timing der beiden Urteile dürfte kein Zufall sein. Denn derzeit geht der Prozess um die Auslieferung der in Kanada unter Hausarrest stehenden Huawei-Finanzechefin Meng Wanzhou in die USA in die entscheidende Phase. Auch Spavors Festnahme stand schon im zeitlichen Zusammenhang mit dem Fall Meng: Er war ebenso wie der ehemalige kanadische Diplomat Michael Kovrig im Dezember 2018 kurz nach der Festsetzung der Huawei-Managerin in Vancouver in Haft genommen worden. Beide wurden im Juni 2020 der Spionage angeklagt; Kovrig wartet noch auf sein Urteil. Schellenberg war im November 2018 zunächst zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Diese Strafe wurde – auffällig kurz nach der Festnahme Mengs – als zu gering befunden und in ein Todesurteil umgewandelt.

Chinas Beziehungen zu Kanada seit Jahren belastet

Die Fälle belasten seit Jahren die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Kanada beschuldigt Peking bei den “beiden Michaels” politischer Motivation und des Versuchs einer Einflussnahme auf den Meng-Prozess. Diesen Prozess sieht wiederum Peking als politisch motiviert an: Kanada handele auf Druck der USA, so die Pekinger Lesart. Die Volksrepublik weist einen Zusammenhang zwischen den Verfahren gegen die Kanadier und der Festnahme Mengs zudem stets zurück. Das Verhältnis zwischen Peking und Ottawa dürfte mit den Urteilen dieser Woche nun einen neuen Tiefpunkt erreicht haben.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau kritisierte die Gerichtsentscheidung am Mittwoch nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP scharf: “Dem Urteil für Herrn Spavor gingen mehr als zweieinhalb Jahre willkürlicher Inhaftierung, ein Mangel an Transparenz im Gerichtsverfahren und ein Prozess, der nicht einmal die vom internationalen Recht geforderten Mindeststandards erfüllte, voraus.”

Umgekehrt kritisierte Chinas Botschaft in Kanada die Kritik an der chinesischen Justiz und den Umgang mit den drei Inhaftierten laut der Staatszeitung Global Times als “extrem absurd und heuchlerisch”. Auch die EU kritisierte das Gerichtsverfahren. Man habe “China wiederholt aufgefordert, seinen internationalen rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, um ein faires und ordnungsgemäßes Verfahren für Spavor zu gewährleisten”, teilte der Europäische Auswärtige Dienst mit. Dies sei nicht geschehen. Kanadas Botschafter Dominic Barton war zu der Urteilsverkündung zugelassen – allerdings das erste Mal während des gesamten Prozesses. Er nannte die lange Haftzeit “sehr enttäuschend”.

Vorwürfe gegen Korea-Experte Spavor wenig konkret

Unklar ist weiterhin, was Spavor eigentlich genau vorgeworfen wird. Er ist Nordkorea-Experte und betrieb in Dandong die Firma Paektu Cultural Exchange, die sich auf die Organisation von Kulturaustausch, Tourismus und Investitionen mit Nordkorea spezialisiert hat. Spavor hat mehrfach Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un getroffen – angeblich sogar bei einem Drink auf dessen Yacht – und zum Beispiel die Besuche des ehemaligen US-Basketballspielers Dennis Rodman in Pjöngjang organisiert.

Viele der Beweise, die in Spavors Prozess vorgelegt wurden, betrafen Fotos, die dieser in China “um Flughäfen oder an Orten, an denen man keine Fotos machen sollte”, aufgenommen hatte, sagte Botschafter Barton laut der South China Morning Post. Einige davon hätten Militärflugzeuge abgebildet. Laut Global Times soll Spavor eine wichtige Informationsquelle für den zweiten Kanadier, Michael Kovrig gewesen sein. Kovrig werde vorgeworfen, seit 2017 einen gewöhnlichen Reisepass mit Geschäftsvisum für die Einreise in die Volksrepublik verwendet zu haben, “um über Kontakte in China sensible Informationen und Informationen zu stehlen”.

Die Intransparenz der Verfahren in China machen es praktisch unmöglich, die Stichhaltigkeit der Vorwürfe zu ergründen. Seit 2017 hatte Kovrig als Nordostasien-Experte der Denkfabrik International Crisis Group gearbeitet, die immer wieder seine Freilassung fordert: “Nichts, was Michael tat, hat China geschadet. Im Gegenteil, die Arbeit der Crisis Group zielt darauf ab, jegliche Spannungen zwischen China und benachbarten Staaten zu entschärfen.”

Meng-Verfahren nähert sich der Entscheidung

Details zu Mengs Auslieferungsprozess stehen selten im Zentrum der internationalen Berichterstattung. Dabei ist der Fall durchaus interessant (China.Table berichtete). Die USA werfen der Tochter von Huawei-Gründer Ren Zhengfei vor, sie habe die britische Großbank HSBC 2013 in einer Power Point-Präsentation über die Geschäftsbeziehungen einer Huawei-Tochter namens Skycom in Iran belogen – wodurch die Bank Gefahr lief, die US-Sanktionen gegen Teheran zu verletzen. Meng bestreitet die Vorwürfe. Die USA belegen auch ausländische Firmen, die mit Iran Geschäfte machen, mit Sanktionen – was viele Staaten inklusive der EU und China ablehnen. Dies verlieh dem Fall von Anfang an auch eine geopolitische Komponente.

Entlastende, von Meng beschaffte HSBC-Dokumente lehnte Auslieferungsrichterin Heather Holmes kürzlich als nicht relevant für ihr Verfahren ab. Sie beträfen einen etwaigen Hauptprozess in den USA, so Holmes. Um einer Auslieferung zu entgehen, müsste Meng nach einem Bericht der South China Morning Post nachweisen, dass sie Opfer eines Verfahrensmissbrauchs ist. Dort setzen in diesen Tagen die teils prominenten kanadischen Anwälte der Huawei-Managerin an. Sie argumentieren, der gesamte Fall basiere auf politischen Motiven des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, die USA hätten das Gericht durch Vorlage unzuverlässiger Beweismittel in die Irre geführt, der Auslieferungsantrag verletze internationales Recht, und die kanadische Grenzpolizei habe bei Mengs Festnahme auf dem Flughafen von Vancouver ihre eigene Charta verletzt. Die Liste liest sich hochpolitisch.

Wie es weiter geht

Bis zum 20. August dauert die laufende Anhörung noch an. Erst danach kann Richterin Holmes entscheiden, ob sie eine Freilassung Mengs oder ihre Auslieferung an ein Gericht in New York empfiehlt. Die endgültige Entscheidung trifft Kanadas Justizminister David Lametti. Die Anwälte seines Ministeriums vertreten pikanterweise die USA in dem Prozess.

Wird die Entscheidung über Meng am Ende eine Politische sein? Und könnten die harten Urteile dafür Pekings Druckmittel sein? Darüber spricht niemand öffentlich. Noch gibt es zumindest noch letzte formale Auswege für die Betroffenen. Spavor hat das Recht, gegen sein heutiges Urteil Berufung einzulegen. Und die Todesstrafe für Schellenberg muss in letzter Instanz noch von Chinas Oberstem Gericht bestätigt werden, wie es seit einigen Jahren Vorschrift ist. Wie gut diese Chancen sind, dürfte einiges mit der Entscheidung über Meng zu tun haben. Kanada werde weiterhin die sofortige Freilassung von Spavor und Kovrig fordern, sagte Botschafter Barton. Für Schellenberg werde man sich um eine Begnadigung bemühen. Die Sache spitzt sich allmählich zu.

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Entertainment nur wie es die Partei erlaubt

Kris Wu wird von seinen Fans verehrt wie ein Heiliger. Seitdem der 30-jährige Superstar mit der südkoreanischen Boygroup Exo 2012 sein Debüt in China hatte, ist er zu einem der bekanntesten Prominenten aufgestiegen. In China tritt Wu als Solokünstler, Schauspieler und Rapper unter dem Namen Wu Yifan auf. “Seine Bekanntheit und sein Einfluss in der Popkultur Chinas kommen etwa dem von Tencent für die Techindustrie im Land gleich”, so ein Experte.

Es sind vor allem junge Mädchen und Frauen, die Wus Fangemeinde ausmachen und für ihn “alles tun würden”, wie viele von ihnen in den sozialen Netzwerken immer wieder bekundet haben. Doch nun gibt es einen Knacks für das Prince-Charming-Image von Wu: Du Meizhu, eine 19 Jahre alte Influencerin, beschuldigt Wu der Vergewaltigung in mehreren Fällen. Er soll zum Teil minderjährige Mädchen sexuell missbraucht haben. Wu soll die Mädchen mit der Aussicht auf einen Job in seinem Imperium gelockt haben – so wie in ihrem Fall, als sie selbst erst 17 Jahre alt war. Der Musiker wurde nach diesen Anschuldigungen verhaftet.

Damit ist Kris Wu zur Unperson in der chinesischen Musik-Branche geworden. Er befindet sich dabei inmitten einer von der Regierung vorangetriebenen Säuberungskampagne nach dem Motto “Healthy Cultural Education”. Peking nutzt die Vorwürfe gegen den Popstar für sich, um noch mehr Kontrolle über die Unterhaltungsindustrie auszuüben. Welche Werkzeuge dabei zum Einsatz kommen, verdeutlicht die Vorgehensweise der Behörden gegen Wu: Die Behörden sperrten seinen Weibo-Account, der ihm als Kommunikationskanal mit seinen Fans und der Öffentlichkeit dient.

Dabei blieb es jedoch nicht. Auch Wus Musik und Filme wurden von den führenden Streaminganbietern des Landes gelöscht. Und weil das immer noch nicht genug Wirkung zeigte, wurden zuletzt unliebsame Beiträge seiner Fans, die dennoch zu ihm stehen, zensiert und gelöscht. Die Staatsführung zeigt im Fall Wu eine Entschlossenheit, die auch in anderen Bereichen der Unterhaltungsbranche zu sehen ist.

Verhaltensregeln: Keine Tattoos, keine Ohrringe und keine unangemessene Sprache

Erst vor Kurzem wurden neue Verhaltensregeln für Schauspieler, Prominente und Sternchen aufgestellt, die das Tragen von Ohrringen bei Männern, das Zeigen von Tattoos und die Nutzung von unangemessener Sprache anprangern. Dabei soll es in erster Linie darum gehen, die Jugend in China vor negativen Einflüssen zu schützen.

Staatsmedien greifen seit Wus Verhaftung Ende Juli das Thema immer wieder auf, um die Diskussion zu lenken. In Leitartikeln wurde betont, dass “Ruhm und Reichtum nicht über dem Gesetz” stehen. Bei Wu kommt eine politische Komponente hinzu, da das Teenie-Idol zwar in Guangzhou geboren wurde, aber vor zwanzig Jahren mit seiner Mutter nach Kanada auswanderte und nun einen kanadischen Pass hält. Daher wird Wu auch oft als Justin Bieber Chinas bezeichnet. Bieber ist seit 2017 wegen “unangebrachten, schlechten Verhaltens in den darstellenden Künsten” in China vorerst nicht mehr willkommen, ließ das Kulturbüro in Peking damals verlauten, als der Popsänger auf seiner Asientour China ausließ.

Die Staatszeitung Global Times kommentierte, dass die ausländische Staatsangehörigkeit kein Schutz sei. Egal wie berühmt man ist, es gibt keine Immunität. Wer das Gesetz bricht, wird bestraft. “Denkt daran: Je größer die Popularität, desto mehr müsst ihr selbst diszipliniert sein; je beliebter ihr seid, desto mehr müsst ihr euch an das Gesetz halten”, wird dort weiter ausgeführt. Das klingt wie eine Warnung an die gesamte Branche. Und es gibt Parallelen zu Säuberungsaktionen im politischen Betrieb.

MeToo-Bewegung wird zensiert

Staats- und Parteichef Xi Jinping startete zu Beginn seiner Amtszeit eine harte “Anti-Korruptionskampagne” gegen Kader, die das Gesetz missachten und einen verschwenderischen Lebensstil führen. Dass sich dies nun auf die Influencer, Superstars und Schauspieler in der Unterhaltungsbranche ausweitet, ist fast ein logischer Schritt. Denn kaum eine andere Gruppe beeinflusst Chinas Jugend mehr und sorgt für einen Personenkult, der im Verständnis der KP eigentlich nur Xi Jinping zusteht.

Durch die Vorwürfe gegen Wu ist jedoch auch die MeToo-Debatte in China wieder aufgeflammt. Bisher haben die chinesischen Behörden dabei regelmäßig mit der Zensur der Missbrauchs-Anschuldigungen der Opfer reagiert. Zu groß war die Angst vor Unruhen im öffentlichen Raum und dem Aufkommen neuer Formen des Graswurzel-Aktivismus.

Kris Wu als Botschafter westlicher Marken

Wus Verhaftung und Absturz betrifft auch die Wirtschaft, denn Wu war zuletzt Markenbotschafter für mindestens 16 chinesische und internationale Marken, darunter Porsche, Bulgari und Kosmetikunternehmen wie Lancome. Sie alle haben ihre Zusammenarbeit bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Damit setzt die Regierung aus ihrer Sicht direkt an der Wurzel des Übels an. Denn häufig bekommen Prominente in der Unterhaltungsindustrie einen großen Anteil der Sponsoren- oder Werbegelder auch von ausländischen Firmen. Der Einfluss dieser Unternehmen auf das Konsumverhalten der jungen Menschen in der Volksrepublik ist daher nicht unerheblich.

Pekings Verhaltensregeln für Prominente setzen ein deutliches Signal. Die Unterhaltungsbranche und Marken aus dem Ausland, die mit Chinas Prominenten werben, sollten nicht vergessen: Sie schließen ihre Werbedeals nicht nur mit Chinas Stars ab, sondern indirekt auch immer mit der KP. Leisten sich die Stars Skandale oder Fehltritte, kann der Bannstrahl Pekings auch schnell das Image und die Umsätze westlicher Marken treffen.

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News

Zweitgrößter Hafen nach Corona-Fall gesperrt

Am Hafen Ningbo Maidong Terminal, dem zweitgrößten Container-Umschlagplatz Chinas, ruhen alle Arbeiten, nachdem am Mittwoch bei einem seiner Mitarbeiter eine Corona-Infektion festgestellt wurde. “Es wurden sofort alle Operationen gestoppt und das Hafengebiet geschlossen, nachdem der Covid-19-Test des Personals positiv ausgefallen war”, sagte der stellvertretende Generaldirektor des Hafenbetreibers, Jiang Yipeng.

Durch die Schließung des Hafens werden sich die Wartezeiten für Güter aus der Volksrepublik vorerst wieder verlängern. Es drohen negative Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Schon im Mai und Juni hatte die zeitweilige Schließung des Hafens Yantai (China.Table berichtete) laut Angaben der deutschen Wirtschaft größere Engpässe für Lieferketten und Warenströme erzeugt als die Schiffshavarie im Suezkanal im März (China.Table berichtete). Vor allem für die Technik- und Elektronikbranche stellten die zwischenzeitlich bei der Container-Verladung eingetreten Verzögerungen ein Problem dar, wie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) bei einer aktuellen Mitgliederbefragung herausfand. Laut dem ifo-Institut klagten im Juli zudem 64 Prozent der Industriebetriebe über Engpässe bei Vorprodukten wie Chips. niw

  • Chips
  • Coronavirus
  • Lieferketten

E-Autos: Evergrande schreibt Verluste

Die China Evergrande Group hat einen Nettoverlust von 740 Millionen US-Dollar für seine E-Auto-Sparte bekannt gegeben. Die Zahlen beziehen sich auf das erste Halbjahr 2021 und gehen auf Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie Ausrüstung zurück, so das Wirtschaftsportal Caixin. Bisher hat Evergrande noch kein einziges E-Auto verkauft. Die Pläne für die Produktion und den Marktstart wurden wiederholt verzögert. Von sechs geplanten Fabriken stehen erst zwei vor der Vollendung. Bei vier kam es zu Verzögerungen, wie die Financial Times berichtet.

Trotz der Verlustmeldung stieg der Aktienkurs der E-Auto-Sparte von Evergrande nach monatelangen Verlusten um acht Prozent. Zuvor gab es Medienberichten, der Mutterkonzern wolle Anteile an seiner E-Auto- und der Immobilien-Sparte verkaufen. Das Unternehmen befindet sich in einer Schulden- und Liquiditätskrise, die auf hohe Ausgaben im Immobiliensektor zurückgeht (China.Table berichtete). nib

  • Autoindustrie
  • Evergrande

Reaktionen auf Streit um Taiwan-Büro in Litauen

Die Entscheidung Pekings, den chinesischen Botschafter in Litauen im Zuge eines Streits um ein Taiwan-Büro in dem baltischen Land abzuziehen, hat gemischte Reaktionen hervorgerufen. Taipeh lobte Litauen für die Entscheidung: Taiwan bewundere den “entschlossenen Willen” Litauens gegen China, sagte die Sprecherin des taiwanesischen Außenministeriums, Joanne Ou, wie lokale Medien berichteten.

Peking hatte am Dienstag seinen Botschafter Shen Zhifei aus Litauen zurückgerufen, nachdem der baltische Staat Taiwan im Juli erlaubt hatte, ein offizielles Handelsbüro zu eröffnen, das zudem “Taiwan” im Namen trägt (China.Table berichtete). Das baltische Land will umgekehrt eine Handelsrepräsentanz auf der Insel eröffnen. Peking forderte Vilnius zudem auf, die Botschafterin des Landes in der Volksrepublik abzuziehen.

Das sei das erste Mal, dass Peking auf diese Weise auf die Büros der EU-Mitgliedsländer in Taiwan reagiert habe, sagte eine Sprecherin für auswärtige Angelegenheiten der EU: “Wir bedauern das Vorgehen Chinas und verfolgen die Entwicklungen aufmerksam.” Im Grunde gehe es um eine bilaterale Angelegenheit zwischen China und Litauen. “Allerdings hat die Entwicklung der bilateralen Beziehungen Chinas zu einzelnen EU-Mitgliedstaaten unweigerlich Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und China insgesamt“, so die Sprecherin. Brüssel arbeitet derzeit an einer Neuausrichtung seiner Strategie hinsichtlich der Volksrepublik.

Ob das Land der Aufforderung Pekings folgen und seine Botschafterin zurückrufen wird, wurde von offizieller Seite zunächst nicht bestätigt. Zygimantas Pavilionis, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im litauischen Parlament und ehemaliger Botschafter in den USA, sagte der South China Morning Post (SCMP), Vilnius werde die Botschafterin wahrscheinlich abziehen.

Litauen: Unmut gegenüber Peking wächst

Normalerweise werde in diesen Fällen mit “Gegenseitigkeit” reagiert – ziehe China den Botschafter ab, müsse also auch Litauen so handeln. Er kritisierte, Peking messe generell “mit zweierlei Maß”: Wenn Deutschland, Frankreich oder andere EU-Länder ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Taiwan ausbauten, erhielte das den Respekt von chinesischer Seite. Dieser stehe dem baltischen Staat auch zu, zitiert die Zeitung den litauischen Politiker. “Wir wollen nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt werden”, fügte Pavilionis hinzu. Litauen hatte sich zuletzt auch den Unmut Pekings zugezogen, nachdem der Staat offiziell verkündet hatte, aus dem “17+1”-Format auszutreten.

Aber nicht jeder in Litauen ist mit der Hardliner-Strategie gegenüber China einverstanden: Außenpolitiker Giedrius Surplys sagte der SCMP zufolge, die Situation um Taiwan hätte diplomatischer gehandhabt werden können. Die Zulassung eines “Taiwan-Büros” anstelle eines “Taipeh-Büros” sei unnötig gewesen. ari

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  • Taiwan

Presseschau

China jails Canadian for 11 years in case seen as linked to Huawei CFO’s trial FT (PAY)
Lithuania to recall China ambassador over Taiwan office name row SCMP (PAY)
Electric vehicle sales surge in China as Tesla demand tumbles FT (PAY)
Beijing bans foreign textbooks in primary, junior high schools as regulation continues GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
‘Made in China, sold on Amazon’ community seeks to cut reliance on US e-commerce giant, trade group says SCMP (PAY)
China to ban karaoke songs with ‘illegal content’ that endangers national unity GUARDIAN
Angeblicher Experte in China: Der mysteriöse Wilson Edwards TAGESSCHAU
“China nutzt die Abhängigkeit einzelner Großkonzerne gegen uns” MANAGER-MAGAZIN
Wegen Coronafall: Chinesischer Großhafen stoppt Betrieb spiegel.de

Portrait

Florian Wolff

Florian Wolff
Partner und Leiter des China Desk der Kanzlei Görg in Frankfurt am Main.

Seit 2007 beschäftigt sich Florian Wolff intensiv mit China. Aus seiner Sicht hat sich das Land in dieser Zeit bereits “fünfmal total gewandelt”. Der renommierte Jurist, der jahrelang Partner der Wirtschaftskanzlei GvW war, leitet heute das China Desk der Großkanzlei Görg. Er erinnert sich an seine ersten Reisen nach Shanghai, bei denen die Großstadt asiatischen Metropolen aus freiheitlichen Ländern ähnelte. “Aber als ich das letzte Mal in Shanghai war, war die Stadt anlässlich des 70. Jahrestags der Volksrepublik mit roten Flaggen übersät. Das hat man vorher nicht gesehen”, erzählt Wolff. Doch Veränderungen werden nicht nur von der KP-Führung forciert, wie er zu berichten weiß.

Sein Spezialgebiet sind vor allem Fusionen & Übernahmen (M&A). Konkret berät Wolff private Unternehmen aus China, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern investieren möchten. Doch die Zurückhaltung auf chinesischer Seite ist zuletzt gestiegen. 2018/19 boomte das M&A-Geschäft noch, mittlerweile ist es zusammengeschrumpft. “Das liegt einerseits daran, dass sich chinesische Unternehmen finanziell bei Transaktionen hier in Europa häufig die Finger verbrannt haben”, sagt Wolff. 

Rhetorik und Bürokratie schrecken Investoren aus China ab

Aber wohl noch ausschlaggebender ist die deutsche Haltung. “Herr Altmaier mit seiner Rhetorik, die man in Teilen schon als anti-chinesisch interpretieren muss, und die langwierigen und furchtbar bürokratischen Genehmigungsverfahren, die Altmaier installiert hat – das schreckt schon sehr ab in China”, meint er. Sein Urteil lautet: Das Abkühlen des M&A-Marktes von China nach Deutschland ist vor allem hausgemacht von der hiesigen Regierung. Ließe man die chinesischen Unternehmen freier agieren, wären die Investitionen in den deutschen Mittelstand, auf den sich Wolff spezialisiert hat, viel höher.

Das Interesse aus China ist aber immer noch sehr groß und man sollte der Rhetorik aus Peking hinsichtlich technologischer Unabhängigkeit nicht allzu viel Glauben schenken, so Wolff. “Fakt ist, in vielen Bereichen des Maschinenbaus, in vielen Bereichen der Automobilzulieferindustrie, aber auch in Bereichen der Medizintechnik und selbst in der Elektrotechnik gibt es immer noch sehr viele Technologien, die die Chinesen nicht aus eigener Kraft können”, sagt Wolff. Deshalb wollen sie auch weiterhin auf deutsche Entwicklungs- und Forschungskapazitäten zugreifen.

Chinesen suchen nach Vertriebspartnern

Für ihn als Anwalt ergeben sich aber auch andere Aufgabenfelder. So darf er mit seiner Kanzlei etwa immer mehr internationale Handelsverträge innerhalb der Lieferkette zwischen Deutschland und China verhandeln. “Chinesische Staatsunternehmen merken, dass sie einfach schlecht sind im Vermarkten ihre Produkte weltweit. Deshalb suchen sie Vertriebspartner in Europa und testen Vertriebskanäle, um mehr Auslandsgeschäft zu generieren”, erklärt Wolff.

Als Leiter des China Desk bei Görg arbeiten mit ihm im Team fünf Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, darunter Jia Ding, die als Juristin auch in der Volksrepublik eine Zulassung hat. Wolff selbst war zu Beginn seiner Karriere noch nicht auf China geeicht, warf seinen Blick aber schon lange gen Osten. Er absolvierte in den Neunzigerjahren einen Teil seines Referendariats im Moskauer Büro einer Großkanzlei.

Florian Wolff: Sein Herz hängt an kolonialer Architektur

Einige Jahre später begann die regelmäßige Reisetätigkeit nach China. Neben geschäftlichen Treffen habe Wolff auch stets versucht, die Menschen und Kultur in den Großstädten besser kennenzulernen. Verständlicherweise ist er nicht glücklich über die jüngsten Entwicklungen. “In den letzten 15 Jahren ist China viel verschlossener geworden. Es wird sehr viel mehr auf den nationalen Stolz wert gelegt und man wird immer unduldsamer mit interner oder externer Kritik”, lautet seine Einschätzung.  

Allerdings haben ihm die Reisen in die Volksrepublik auch schon Freude bereitet. “Als Architektur-Freak, der ich nun einmal bin, hängt mein Herz an der French Concession in Shanghai und der kolonialen Architektur, auch in anderen Städten, weil das ein ganz anderes Flair gibt”, sagt Wolff. “Kulturell sagt mir in Peking vor allem das National Center for Performing Arts zu. Dort habe ich schon viele Konzerte von Künstlern weltweit gesehen. Wenn ich in Peking bin, versuche ich ein Ticket zu bekommen, weil es auch eine tolle Stadtgesellschaft ist, die man ansonsten selten in China hat.” Constantin Eckner

  • Handel
  • Lieferketten
  • Peter Altmaier
  • Technologie

Personalien

Zhang Yuzhuo hat die Leitung der China Association for Science and Technology (CAST) übernommen. Zuvor war knapp eineinhalb Jahre Vorsitzender von Sinopec, Chinas größtem Erdgas- und Ölkonzern. Der CAST-Verband soll als Verbindungsstück zwischen der Kommunistischen Partei und der Wissenschaftsgemeinde der Volksrepublik dienen.

  • Duisburger Hafen AG

Dessert

Fünf Arme für Dutzende Flugzeuge – heute eröffnet der neue Flughafen in Qingdao. Der neue Flughafen soll bis 2025 ein jährliches Passagieraufkommen von 35 Millionen Fluggästen erreichen. Bis zum Jahre 2035 plant Peking 400 Flughäfen im Land (China.Table berichtete).

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:

    • China-Kanada-Beziehungen auf dem Tiefpunkt
    • Die KP greift im Entertainment-Betrieb durch
    • Zweitgrößter Hafen nach Corona-Fall gesperrt
    • Evergrandes E-Auto-Bereich schreibt Verluste
    • Taiwan-Büro in Litauen sorgt für Zwist
    • Im Portrait: Florian Wolff – M&A-Experte mit China-Fokus
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die spektakulären Aufnahmen der Havarie der Ever Given im Suezkanal gehören schon jetzt zu den Bildern des Jahres. Dabei haben die Corona-Fälle in chinesischen Häfen laut deutscher Wirtschaft viel größere Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Gestern hat es erneut einen Mitarbeiter getroffen. Diesmal im zweitgrößten Hafen des Landes, der auch prompt den Betrieb eingestellt hat. Erneut ist mit Verzögerungen zu rechnen. Globalen Logistikern, die auf “just in time” setzen, drohen neue Kopfschmerzen.

    Die Spannungen zwischen China und Kanada haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Gestern verurteilte ein chinesisches Gericht den kanadischen Geschäftsmann Michael Spavor zu elf Jahren Haft. Am Tag zuvor wurde ein Todesurteil gegen den Kanadier Robert Lloyd Schellenberg bestätigt. Die Urteile haben zu einem Aufschrei unter westlichen Diplomaten und Politikern geführt. Heiko Maas kritisierte: “Der Prozess gegen Michael Spavor wurde hinter verschlossen Türen abgehalten und seine konsularischen Rechte wurden auf völkerrechtswidrige Weise eingeschränkt.” Christiane Kühl berichtet über die Hintergründe und was die Urteile mit dem Verfahren gegen die Huawei-Managerin Meng Wanzhou zu tun haben.

    Es wäre unvorstellbar, dass deutsche Zeitungen jede zweite Meldung mit dem Namen Angela Merkel aufmachen – und dabei nur lobende Worte finden. Nicht so in Chinas Staatsmedien, auf deren Titelseiten der Name Xi Jinpings häufig allgegenwärtig ist. Die Berichterstattung ist ein weiterer Beleg für den immensen Personenkult um Xi. Doch auf Social Media und bei der Jugend sind Popstars und Schauspielerinnen beliebter. Ning Wang legt dar, warum der Sturz des Popidols Kris Wu im Sinne der KP ist und welche Folgen er für westliche Marken hat, die gerne mit Chinas Berühmtheiten aus der Entertainment-Branche werben.

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Harte Urteile für Kanadier sorgen für Spannungen

    Erneut ist in China ein Kanadier zu einer harten Strafe verurteilt worden. Ein Gericht in Dandong an der Grenze zu Nordkorea verurteilte gestern den seit 2018 in Haft sitzenden Geschäftsmann Michael Spavor zu elf Jahren Gefängnis wegen Spionage. Erst am Dienstag hatte das Berufungsgericht in Shenyang ein wegen Drogenhandels gegen den Kanadier Robert Lloyd Schellenberg im Januar 2019 Todesurteil bestätigt (China.Table berichtete).

    Das Timing der beiden Urteile dürfte kein Zufall sein. Denn derzeit geht der Prozess um die Auslieferung der in Kanada unter Hausarrest stehenden Huawei-Finanzechefin Meng Wanzhou in die USA in die entscheidende Phase. Auch Spavors Festnahme stand schon im zeitlichen Zusammenhang mit dem Fall Meng: Er war ebenso wie der ehemalige kanadische Diplomat Michael Kovrig im Dezember 2018 kurz nach der Festsetzung der Huawei-Managerin in Vancouver in Haft genommen worden. Beide wurden im Juni 2020 der Spionage angeklagt; Kovrig wartet noch auf sein Urteil. Schellenberg war im November 2018 zunächst zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Diese Strafe wurde – auffällig kurz nach der Festnahme Mengs – als zu gering befunden und in ein Todesurteil umgewandelt.

    Chinas Beziehungen zu Kanada seit Jahren belastet

    Die Fälle belasten seit Jahren die Beziehungen zwischen beiden Staaten. Kanada beschuldigt Peking bei den “beiden Michaels” politischer Motivation und des Versuchs einer Einflussnahme auf den Meng-Prozess. Diesen Prozess sieht wiederum Peking als politisch motiviert an: Kanada handele auf Druck der USA, so die Pekinger Lesart. Die Volksrepublik weist einen Zusammenhang zwischen den Verfahren gegen die Kanadier und der Festnahme Mengs zudem stets zurück. Das Verhältnis zwischen Peking und Ottawa dürfte mit den Urteilen dieser Woche nun einen neuen Tiefpunkt erreicht haben.

    Kanadas Premierminister Justin Trudeau kritisierte die Gerichtsentscheidung am Mittwoch nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP scharf: “Dem Urteil für Herrn Spavor gingen mehr als zweieinhalb Jahre willkürlicher Inhaftierung, ein Mangel an Transparenz im Gerichtsverfahren und ein Prozess, der nicht einmal die vom internationalen Recht geforderten Mindeststandards erfüllte, voraus.”

    Umgekehrt kritisierte Chinas Botschaft in Kanada die Kritik an der chinesischen Justiz und den Umgang mit den drei Inhaftierten laut der Staatszeitung Global Times als “extrem absurd und heuchlerisch”. Auch die EU kritisierte das Gerichtsverfahren. Man habe “China wiederholt aufgefordert, seinen internationalen rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, um ein faires und ordnungsgemäßes Verfahren für Spavor zu gewährleisten”, teilte der Europäische Auswärtige Dienst mit. Dies sei nicht geschehen. Kanadas Botschafter Dominic Barton war zu der Urteilsverkündung zugelassen – allerdings das erste Mal während des gesamten Prozesses. Er nannte die lange Haftzeit “sehr enttäuschend”.

    Vorwürfe gegen Korea-Experte Spavor wenig konkret

    Unklar ist weiterhin, was Spavor eigentlich genau vorgeworfen wird. Er ist Nordkorea-Experte und betrieb in Dandong die Firma Paektu Cultural Exchange, die sich auf die Organisation von Kulturaustausch, Tourismus und Investitionen mit Nordkorea spezialisiert hat. Spavor hat mehrfach Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un getroffen – angeblich sogar bei einem Drink auf dessen Yacht – und zum Beispiel die Besuche des ehemaligen US-Basketballspielers Dennis Rodman in Pjöngjang organisiert.

    Viele der Beweise, die in Spavors Prozess vorgelegt wurden, betrafen Fotos, die dieser in China “um Flughäfen oder an Orten, an denen man keine Fotos machen sollte”, aufgenommen hatte, sagte Botschafter Barton laut der South China Morning Post. Einige davon hätten Militärflugzeuge abgebildet. Laut Global Times soll Spavor eine wichtige Informationsquelle für den zweiten Kanadier, Michael Kovrig gewesen sein. Kovrig werde vorgeworfen, seit 2017 einen gewöhnlichen Reisepass mit Geschäftsvisum für die Einreise in die Volksrepublik verwendet zu haben, “um über Kontakte in China sensible Informationen und Informationen zu stehlen”.

    Die Intransparenz der Verfahren in China machen es praktisch unmöglich, die Stichhaltigkeit der Vorwürfe zu ergründen. Seit 2017 hatte Kovrig als Nordostasien-Experte der Denkfabrik International Crisis Group gearbeitet, die immer wieder seine Freilassung fordert: “Nichts, was Michael tat, hat China geschadet. Im Gegenteil, die Arbeit der Crisis Group zielt darauf ab, jegliche Spannungen zwischen China und benachbarten Staaten zu entschärfen.”

    Meng-Verfahren nähert sich der Entscheidung

    Details zu Mengs Auslieferungsprozess stehen selten im Zentrum der internationalen Berichterstattung. Dabei ist der Fall durchaus interessant (China.Table berichtete). Die USA werfen der Tochter von Huawei-Gründer Ren Zhengfei vor, sie habe die britische Großbank HSBC 2013 in einer Power Point-Präsentation über die Geschäftsbeziehungen einer Huawei-Tochter namens Skycom in Iran belogen – wodurch die Bank Gefahr lief, die US-Sanktionen gegen Teheran zu verletzen. Meng bestreitet die Vorwürfe. Die USA belegen auch ausländische Firmen, die mit Iran Geschäfte machen, mit Sanktionen – was viele Staaten inklusive der EU und China ablehnen. Dies verlieh dem Fall von Anfang an auch eine geopolitische Komponente.

    Entlastende, von Meng beschaffte HSBC-Dokumente lehnte Auslieferungsrichterin Heather Holmes kürzlich als nicht relevant für ihr Verfahren ab. Sie beträfen einen etwaigen Hauptprozess in den USA, so Holmes. Um einer Auslieferung zu entgehen, müsste Meng nach einem Bericht der South China Morning Post nachweisen, dass sie Opfer eines Verfahrensmissbrauchs ist. Dort setzen in diesen Tagen die teils prominenten kanadischen Anwälte der Huawei-Managerin an. Sie argumentieren, der gesamte Fall basiere auf politischen Motiven des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, die USA hätten das Gericht durch Vorlage unzuverlässiger Beweismittel in die Irre geführt, der Auslieferungsantrag verletze internationales Recht, und die kanadische Grenzpolizei habe bei Mengs Festnahme auf dem Flughafen von Vancouver ihre eigene Charta verletzt. Die Liste liest sich hochpolitisch.

    Wie es weiter geht

    Bis zum 20. August dauert die laufende Anhörung noch an. Erst danach kann Richterin Holmes entscheiden, ob sie eine Freilassung Mengs oder ihre Auslieferung an ein Gericht in New York empfiehlt. Die endgültige Entscheidung trifft Kanadas Justizminister David Lametti. Die Anwälte seines Ministeriums vertreten pikanterweise die USA in dem Prozess.

    Wird die Entscheidung über Meng am Ende eine Politische sein? Und könnten die harten Urteile dafür Pekings Druckmittel sein? Darüber spricht niemand öffentlich. Noch gibt es zumindest noch letzte formale Auswege für die Betroffenen. Spavor hat das Recht, gegen sein heutiges Urteil Berufung einzulegen. Und die Todesstrafe für Schellenberg muss in letzter Instanz noch von Chinas Oberstem Gericht bestätigt werden, wie es seit einigen Jahren Vorschrift ist. Wie gut diese Chancen sind, dürfte einiges mit der Entscheidung über Meng zu tun haben. Kanada werde weiterhin die sofortige Freilassung von Spavor und Kovrig fordern, sagte Botschafter Barton. Für Schellenberg werde man sich um eine Begnadigung bemühen. Die Sache spitzt sich allmählich zu.

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    Entertainment nur wie es die Partei erlaubt

    Kris Wu wird von seinen Fans verehrt wie ein Heiliger. Seitdem der 30-jährige Superstar mit der südkoreanischen Boygroup Exo 2012 sein Debüt in China hatte, ist er zu einem der bekanntesten Prominenten aufgestiegen. In China tritt Wu als Solokünstler, Schauspieler und Rapper unter dem Namen Wu Yifan auf. “Seine Bekanntheit und sein Einfluss in der Popkultur Chinas kommen etwa dem von Tencent für die Techindustrie im Land gleich”, so ein Experte.

    Es sind vor allem junge Mädchen und Frauen, die Wus Fangemeinde ausmachen und für ihn “alles tun würden”, wie viele von ihnen in den sozialen Netzwerken immer wieder bekundet haben. Doch nun gibt es einen Knacks für das Prince-Charming-Image von Wu: Du Meizhu, eine 19 Jahre alte Influencerin, beschuldigt Wu der Vergewaltigung in mehreren Fällen. Er soll zum Teil minderjährige Mädchen sexuell missbraucht haben. Wu soll die Mädchen mit der Aussicht auf einen Job in seinem Imperium gelockt haben – so wie in ihrem Fall, als sie selbst erst 17 Jahre alt war. Der Musiker wurde nach diesen Anschuldigungen verhaftet.

    Damit ist Kris Wu zur Unperson in der chinesischen Musik-Branche geworden. Er befindet sich dabei inmitten einer von der Regierung vorangetriebenen Säuberungskampagne nach dem Motto “Healthy Cultural Education”. Peking nutzt die Vorwürfe gegen den Popstar für sich, um noch mehr Kontrolle über die Unterhaltungsindustrie auszuüben. Welche Werkzeuge dabei zum Einsatz kommen, verdeutlicht die Vorgehensweise der Behörden gegen Wu: Die Behörden sperrten seinen Weibo-Account, der ihm als Kommunikationskanal mit seinen Fans und der Öffentlichkeit dient.

    Dabei blieb es jedoch nicht. Auch Wus Musik und Filme wurden von den führenden Streaminganbietern des Landes gelöscht. Und weil das immer noch nicht genug Wirkung zeigte, wurden zuletzt unliebsame Beiträge seiner Fans, die dennoch zu ihm stehen, zensiert und gelöscht. Die Staatsführung zeigt im Fall Wu eine Entschlossenheit, die auch in anderen Bereichen der Unterhaltungsbranche zu sehen ist.

    Verhaltensregeln: Keine Tattoos, keine Ohrringe und keine unangemessene Sprache

    Erst vor Kurzem wurden neue Verhaltensregeln für Schauspieler, Prominente und Sternchen aufgestellt, die das Tragen von Ohrringen bei Männern, das Zeigen von Tattoos und die Nutzung von unangemessener Sprache anprangern. Dabei soll es in erster Linie darum gehen, die Jugend in China vor negativen Einflüssen zu schützen.

    Staatsmedien greifen seit Wus Verhaftung Ende Juli das Thema immer wieder auf, um die Diskussion zu lenken. In Leitartikeln wurde betont, dass “Ruhm und Reichtum nicht über dem Gesetz” stehen. Bei Wu kommt eine politische Komponente hinzu, da das Teenie-Idol zwar in Guangzhou geboren wurde, aber vor zwanzig Jahren mit seiner Mutter nach Kanada auswanderte und nun einen kanadischen Pass hält. Daher wird Wu auch oft als Justin Bieber Chinas bezeichnet. Bieber ist seit 2017 wegen “unangebrachten, schlechten Verhaltens in den darstellenden Künsten” in China vorerst nicht mehr willkommen, ließ das Kulturbüro in Peking damals verlauten, als der Popsänger auf seiner Asientour China ausließ.

    Die Staatszeitung Global Times kommentierte, dass die ausländische Staatsangehörigkeit kein Schutz sei. Egal wie berühmt man ist, es gibt keine Immunität. Wer das Gesetz bricht, wird bestraft. “Denkt daran: Je größer die Popularität, desto mehr müsst ihr selbst diszipliniert sein; je beliebter ihr seid, desto mehr müsst ihr euch an das Gesetz halten”, wird dort weiter ausgeführt. Das klingt wie eine Warnung an die gesamte Branche. Und es gibt Parallelen zu Säuberungsaktionen im politischen Betrieb.

    MeToo-Bewegung wird zensiert

    Staats- und Parteichef Xi Jinping startete zu Beginn seiner Amtszeit eine harte “Anti-Korruptionskampagne” gegen Kader, die das Gesetz missachten und einen verschwenderischen Lebensstil führen. Dass sich dies nun auf die Influencer, Superstars und Schauspieler in der Unterhaltungsbranche ausweitet, ist fast ein logischer Schritt. Denn kaum eine andere Gruppe beeinflusst Chinas Jugend mehr und sorgt für einen Personenkult, der im Verständnis der KP eigentlich nur Xi Jinping zusteht.

    Durch die Vorwürfe gegen Wu ist jedoch auch die MeToo-Debatte in China wieder aufgeflammt. Bisher haben die chinesischen Behörden dabei regelmäßig mit der Zensur der Missbrauchs-Anschuldigungen der Opfer reagiert. Zu groß war die Angst vor Unruhen im öffentlichen Raum und dem Aufkommen neuer Formen des Graswurzel-Aktivismus.

    Kris Wu als Botschafter westlicher Marken

    Wus Verhaftung und Absturz betrifft auch die Wirtschaft, denn Wu war zuletzt Markenbotschafter für mindestens 16 chinesische und internationale Marken, darunter Porsche, Bulgari und Kosmetikunternehmen wie Lancome. Sie alle haben ihre Zusammenarbeit bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Damit setzt die Regierung aus ihrer Sicht direkt an der Wurzel des Übels an. Denn häufig bekommen Prominente in der Unterhaltungsindustrie einen großen Anteil der Sponsoren- oder Werbegelder auch von ausländischen Firmen. Der Einfluss dieser Unternehmen auf das Konsumverhalten der jungen Menschen in der Volksrepublik ist daher nicht unerheblich.

    Pekings Verhaltensregeln für Prominente setzen ein deutliches Signal. Die Unterhaltungsbranche und Marken aus dem Ausland, die mit Chinas Prominenten werben, sollten nicht vergessen: Sie schließen ihre Werbedeals nicht nur mit Chinas Stars ab, sondern indirekt auch immer mit der KP. Leisten sich die Stars Skandale oder Fehltritte, kann der Bannstrahl Pekings auch schnell das Image und die Umsätze westlicher Marken treffen.

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    News

    Zweitgrößter Hafen nach Corona-Fall gesperrt

    Am Hafen Ningbo Maidong Terminal, dem zweitgrößten Container-Umschlagplatz Chinas, ruhen alle Arbeiten, nachdem am Mittwoch bei einem seiner Mitarbeiter eine Corona-Infektion festgestellt wurde. “Es wurden sofort alle Operationen gestoppt und das Hafengebiet geschlossen, nachdem der Covid-19-Test des Personals positiv ausgefallen war”, sagte der stellvertretende Generaldirektor des Hafenbetreibers, Jiang Yipeng.

    Durch die Schließung des Hafens werden sich die Wartezeiten für Güter aus der Volksrepublik vorerst wieder verlängern. Es drohen negative Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Schon im Mai und Juni hatte die zeitweilige Schließung des Hafens Yantai (China.Table berichtete) laut Angaben der deutschen Wirtschaft größere Engpässe für Lieferketten und Warenströme erzeugt als die Schiffshavarie im Suezkanal im März (China.Table berichtete). Vor allem für die Technik- und Elektronikbranche stellten die zwischenzeitlich bei der Container-Verladung eingetreten Verzögerungen ein Problem dar, wie der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) bei einer aktuellen Mitgliederbefragung herausfand. Laut dem ifo-Institut klagten im Juli zudem 64 Prozent der Industriebetriebe über Engpässe bei Vorprodukten wie Chips. niw

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    E-Autos: Evergrande schreibt Verluste

    Die China Evergrande Group hat einen Nettoverlust von 740 Millionen US-Dollar für seine E-Auto-Sparte bekannt gegeben. Die Zahlen beziehen sich auf das erste Halbjahr 2021 und gehen auf Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie Ausrüstung zurück, so das Wirtschaftsportal Caixin. Bisher hat Evergrande noch kein einziges E-Auto verkauft. Die Pläne für die Produktion und den Marktstart wurden wiederholt verzögert. Von sechs geplanten Fabriken stehen erst zwei vor der Vollendung. Bei vier kam es zu Verzögerungen, wie die Financial Times berichtet.

    Trotz der Verlustmeldung stieg der Aktienkurs der E-Auto-Sparte von Evergrande nach monatelangen Verlusten um acht Prozent. Zuvor gab es Medienberichten, der Mutterkonzern wolle Anteile an seiner E-Auto- und der Immobilien-Sparte verkaufen. Das Unternehmen befindet sich in einer Schulden- und Liquiditätskrise, die auf hohe Ausgaben im Immobiliensektor zurückgeht (China.Table berichtete). nib

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    Reaktionen auf Streit um Taiwan-Büro in Litauen

    Die Entscheidung Pekings, den chinesischen Botschafter in Litauen im Zuge eines Streits um ein Taiwan-Büro in dem baltischen Land abzuziehen, hat gemischte Reaktionen hervorgerufen. Taipeh lobte Litauen für die Entscheidung: Taiwan bewundere den “entschlossenen Willen” Litauens gegen China, sagte die Sprecherin des taiwanesischen Außenministeriums, Joanne Ou, wie lokale Medien berichteten.

    Peking hatte am Dienstag seinen Botschafter Shen Zhifei aus Litauen zurückgerufen, nachdem der baltische Staat Taiwan im Juli erlaubt hatte, ein offizielles Handelsbüro zu eröffnen, das zudem “Taiwan” im Namen trägt (China.Table berichtete). Das baltische Land will umgekehrt eine Handelsrepräsentanz auf der Insel eröffnen. Peking forderte Vilnius zudem auf, die Botschafterin des Landes in der Volksrepublik abzuziehen.

    Das sei das erste Mal, dass Peking auf diese Weise auf die Büros der EU-Mitgliedsländer in Taiwan reagiert habe, sagte eine Sprecherin für auswärtige Angelegenheiten der EU: “Wir bedauern das Vorgehen Chinas und verfolgen die Entwicklungen aufmerksam.” Im Grunde gehe es um eine bilaterale Angelegenheit zwischen China und Litauen. “Allerdings hat die Entwicklung der bilateralen Beziehungen Chinas zu einzelnen EU-Mitgliedstaaten unweigerlich Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und China insgesamt“, so die Sprecherin. Brüssel arbeitet derzeit an einer Neuausrichtung seiner Strategie hinsichtlich der Volksrepublik.

    Ob das Land der Aufforderung Pekings folgen und seine Botschafterin zurückrufen wird, wurde von offizieller Seite zunächst nicht bestätigt. Zygimantas Pavilionis, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im litauischen Parlament und ehemaliger Botschafter in den USA, sagte der South China Morning Post (SCMP), Vilnius werde die Botschafterin wahrscheinlich abziehen.

    Litauen: Unmut gegenüber Peking wächst

    Normalerweise werde in diesen Fällen mit “Gegenseitigkeit” reagiert – ziehe China den Botschafter ab, müsse also auch Litauen so handeln. Er kritisierte, Peking messe generell “mit zweierlei Maß”: Wenn Deutschland, Frankreich oder andere EU-Länder ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Taiwan ausbauten, erhielte das den Respekt von chinesischer Seite. Dieser stehe dem baltischen Staat auch zu, zitiert die Zeitung den litauischen Politiker. “Wir wollen nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt werden”, fügte Pavilionis hinzu. Litauen hatte sich zuletzt auch den Unmut Pekings zugezogen, nachdem der Staat offiziell verkündet hatte, aus dem “17+1”-Format auszutreten.

    Aber nicht jeder in Litauen ist mit der Hardliner-Strategie gegenüber China einverstanden: Außenpolitiker Giedrius Surplys sagte der SCMP zufolge, die Situation um Taiwan hätte diplomatischer gehandhabt werden können. Die Zulassung eines “Taiwan-Büros” anstelle eines “Taipeh-Büros” sei unnötig gewesen. ari

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    Presseschau

    China jails Canadian for 11 years in case seen as linked to Huawei CFO’s trial FT (PAY)
    Lithuania to recall China ambassador over Taiwan office name row SCMP (PAY)
    Electric vehicle sales surge in China as Tesla demand tumbles FT (PAY)
    Beijing bans foreign textbooks in primary, junior high schools as regulation continues GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    ‘Made in China, sold on Amazon’ community seeks to cut reliance on US e-commerce giant, trade group says SCMP (PAY)
    China to ban karaoke songs with ‘illegal content’ that endangers national unity GUARDIAN
    Angeblicher Experte in China: Der mysteriöse Wilson Edwards TAGESSCHAU
    “China nutzt die Abhängigkeit einzelner Großkonzerne gegen uns” MANAGER-MAGAZIN
    Wegen Coronafall: Chinesischer Großhafen stoppt Betrieb spiegel.de

    Portrait

    Florian Wolff

    Florian Wolff
    Partner und Leiter des China Desk der Kanzlei Görg in Frankfurt am Main.

    Seit 2007 beschäftigt sich Florian Wolff intensiv mit China. Aus seiner Sicht hat sich das Land in dieser Zeit bereits “fünfmal total gewandelt”. Der renommierte Jurist, der jahrelang Partner der Wirtschaftskanzlei GvW war, leitet heute das China Desk der Großkanzlei Görg. Er erinnert sich an seine ersten Reisen nach Shanghai, bei denen die Großstadt asiatischen Metropolen aus freiheitlichen Ländern ähnelte. “Aber als ich das letzte Mal in Shanghai war, war die Stadt anlässlich des 70. Jahrestags der Volksrepublik mit roten Flaggen übersät. Das hat man vorher nicht gesehen”, erzählt Wolff. Doch Veränderungen werden nicht nur von der KP-Führung forciert, wie er zu berichten weiß.

    Sein Spezialgebiet sind vor allem Fusionen & Übernahmen (M&A). Konkret berät Wolff private Unternehmen aus China, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern investieren möchten. Doch die Zurückhaltung auf chinesischer Seite ist zuletzt gestiegen. 2018/19 boomte das M&A-Geschäft noch, mittlerweile ist es zusammengeschrumpft. “Das liegt einerseits daran, dass sich chinesische Unternehmen finanziell bei Transaktionen hier in Europa häufig die Finger verbrannt haben”, sagt Wolff. 

    Rhetorik und Bürokratie schrecken Investoren aus China ab

    Aber wohl noch ausschlaggebender ist die deutsche Haltung. “Herr Altmaier mit seiner Rhetorik, die man in Teilen schon als anti-chinesisch interpretieren muss, und die langwierigen und furchtbar bürokratischen Genehmigungsverfahren, die Altmaier installiert hat – das schreckt schon sehr ab in China”, meint er. Sein Urteil lautet: Das Abkühlen des M&A-Marktes von China nach Deutschland ist vor allem hausgemacht von der hiesigen Regierung. Ließe man die chinesischen Unternehmen freier agieren, wären die Investitionen in den deutschen Mittelstand, auf den sich Wolff spezialisiert hat, viel höher.

    Das Interesse aus China ist aber immer noch sehr groß und man sollte der Rhetorik aus Peking hinsichtlich technologischer Unabhängigkeit nicht allzu viel Glauben schenken, so Wolff. “Fakt ist, in vielen Bereichen des Maschinenbaus, in vielen Bereichen der Automobilzulieferindustrie, aber auch in Bereichen der Medizintechnik und selbst in der Elektrotechnik gibt es immer noch sehr viele Technologien, die die Chinesen nicht aus eigener Kraft können”, sagt Wolff. Deshalb wollen sie auch weiterhin auf deutsche Entwicklungs- und Forschungskapazitäten zugreifen.

    Chinesen suchen nach Vertriebspartnern

    Für ihn als Anwalt ergeben sich aber auch andere Aufgabenfelder. So darf er mit seiner Kanzlei etwa immer mehr internationale Handelsverträge innerhalb der Lieferkette zwischen Deutschland und China verhandeln. “Chinesische Staatsunternehmen merken, dass sie einfach schlecht sind im Vermarkten ihre Produkte weltweit. Deshalb suchen sie Vertriebspartner in Europa und testen Vertriebskanäle, um mehr Auslandsgeschäft zu generieren”, erklärt Wolff.

    Als Leiter des China Desk bei Görg arbeiten mit ihm im Team fünf Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, darunter Jia Ding, die als Juristin auch in der Volksrepublik eine Zulassung hat. Wolff selbst war zu Beginn seiner Karriere noch nicht auf China geeicht, warf seinen Blick aber schon lange gen Osten. Er absolvierte in den Neunzigerjahren einen Teil seines Referendariats im Moskauer Büro einer Großkanzlei.

    Florian Wolff: Sein Herz hängt an kolonialer Architektur

    Einige Jahre später begann die regelmäßige Reisetätigkeit nach China. Neben geschäftlichen Treffen habe Wolff auch stets versucht, die Menschen und Kultur in den Großstädten besser kennenzulernen. Verständlicherweise ist er nicht glücklich über die jüngsten Entwicklungen. “In den letzten 15 Jahren ist China viel verschlossener geworden. Es wird sehr viel mehr auf den nationalen Stolz wert gelegt und man wird immer unduldsamer mit interner oder externer Kritik”, lautet seine Einschätzung.  

    Allerdings haben ihm die Reisen in die Volksrepublik auch schon Freude bereitet. “Als Architektur-Freak, der ich nun einmal bin, hängt mein Herz an der French Concession in Shanghai und der kolonialen Architektur, auch in anderen Städten, weil das ein ganz anderes Flair gibt”, sagt Wolff. “Kulturell sagt mir in Peking vor allem das National Center for Performing Arts zu. Dort habe ich schon viele Konzerte von Künstlern weltweit gesehen. Wenn ich in Peking bin, versuche ich ein Ticket zu bekommen, weil es auch eine tolle Stadtgesellschaft ist, die man ansonsten selten in China hat.” Constantin Eckner

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    Personalien

    Zhang Yuzhuo hat die Leitung der China Association for Science and Technology (CAST) übernommen. Zuvor war knapp eineinhalb Jahre Vorsitzender von Sinopec, Chinas größtem Erdgas- und Ölkonzern. Der CAST-Verband soll als Verbindungsstück zwischen der Kommunistischen Partei und der Wissenschaftsgemeinde der Volksrepublik dienen.

    • Duisburger Hafen AG

    Dessert

    Fünf Arme für Dutzende Flugzeuge – heute eröffnet der neue Flughafen in Qingdao. Der neue Flughafen soll bis 2025 ein jährliches Passagieraufkommen von 35 Millionen Fluggästen erreichen. Bis zum Jahre 2035 plant Peking 400 Flughäfen im Land (China.Table berichtete).

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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