Table.Briefing: China

Proteste gehen weiter + Ärger über Zensur

  • Xi Jinpings Covid-Dilemma
  • Katz-und-Maus-Spiel im Internet
  • EU kritisiert Urteil gegen Kardinal Zen
  • Rekordumsätze bei Autobauern
  • Evergrande versucht sich zu entschulden
  • iPhone-Mangel bei Apple
  • Personalwechsel auf der Tiangong
  • Standpunkt: Glacier Kwong
Liebe Leserin, lieber Leser,

auch am Montag gingen die Proteste gegen die Regierung und ihre strikte Corona-Politik weiter. Mehr noch: Sie haben inzwischen auch kleinere Städte erfasst. Und die Regierung Xi Jinping? Der ließ sich vor wenigen Monaten ja noch ausgiebig für seine strikte Null-Covid-Politik feiern. Nun scheint es jedoch, als befänden sich Xi und seine Männer in Schockstarre. Die Stille der Regierung, das Ignorieren der Unruhen seitens der staatlichen Medien lassen die Rufe der Demonstranten auf den Straßen umso lauter erschallen.

Außer einem massiven Polizeiaufgebot und konsequenter Zensur scheint den Mächtigen in Peking derzeit nur wenig einzufallen. Finn Mayer-Kuckuk zeigt in seiner Analyse die Gründe auf und erklärt, in welch tiefes Dilemma sich Xi Jinping selbst hineinmanövriert hat: Ein simples Weiter-so ist nicht möglich, rasche Lockerung der Corona-Maßnahmen aber auch nicht. Wenige Wochen nach dem 20. Parteitag der KP und seiner Inthronisierung als Machthaber auf Lebenszeit sieht sich Xi Jinping mit der größten politischen Krise seit seiner Amtsübernahme 2013 konfrontiert.

Fabian Peltsch begibt sich mit seinem Text zu den Demonstranten auf der Straße. Protestler erzählen ihm, wie sie versuchen, die Zensur zu umgehen. Dabei erschöpft sich die Reaktion des Staates nicht nur in blindem Löschen. Vielmehr werden gezielt Bots aktiviert, um die digitalen Kanäle zu fluten und so ein gezieltes Kommunizieren und Informieren unmöglich zu machen. Und natürlich darf auch dieses Mal die Mär vom Einfluss ausländischer Kräfte nicht fehlen.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Morgen starten unsere Kollegen vom ESG.Table unter der Leitung von Caspar Dohmen und Torsten Sewing mit ihrer ersten Ausgabe. Sie berichten über Nachhaltigkeitspolitik, Transformationsstrategien und Lieferkettenverantwortung und analysieren die Entwicklungen für alle, die in Unternehmen oder Verwaltungen über Einkauf, Investitionen, Produkte oder die sozialen und ökologischen Bedingungen innerhalb ihrer Lieferketten entscheiden müssen. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Analyse

Neue Proteste trotz massivem Polizei-Aufgebot

Auch am Montag sind China-weit die Proteste weitergegangen. Neben Kritik an der Corona-Politik traten weitere Anliegen in den Vordergrund, darunter allgemein nach Freiheit und einem Ende der Zensur. Die Polizei war auf den Straßen massiv präsent. Sie sucht vorerst einen Mittelweg zwischen Abschreckung von weiteren Versammlungen und einer generellen Beruhigung der Lage. Zudem will man mit ersten Veränderungen in der Corona-Politik die Wut der Demonstrierenden besänftigen.

Das Ausmaß der Proteste hat in den vergangenen Tagen das Narrativ widerlegt, dass die Partei das Land vollständig unter Kontrolle habe. Auch ausgefeilte Propaganda, digitale Überwachung und ein ausufernder Sicherheitsapparat haben die Unruhen nicht verhindert. Die Bevölkerung hat die globalen Unterschiede im Umgang mit der Pandemie registriert und rebelliert nun gegen die strikten Maßnahmen der eigenen Regierung. Machthaber Xi Jinping ist mit der größten politischen Krise seit seiner Amtsübernahme 2013 konfrontiert – einer Krise, die ganz wesentlich auf seine eigenen administrativen Ideen zurückgeht.

An den Brennpunkten der Proteste des vergangenen Wochenendes trat die Polizei am Montag mit Hundertschaften auf. Vor allem in Peking und Shanghai war die hohe Präsenz der Sicherheitskräfte sehr auffällig. Dennoch riefen Bürger wieder Parolen, darunter: “Freiheit statt PCR-Tests”, “Wir wollen reisen!” oder “Wir wollen zur Arbeit gehen!” Zum Teil brüllten sie ihre Forderungen den Beamten direkt ins Gesicht.

Die Polizei hielt sich an Tag 3 der Proteste grundsätzlich zurück, griff sich aber immer wieder einzelne, besonders auffällige Protestler heraus, um sie teilweise gewaltsam abzuführen. Mitunter kontrollierten die Polizisten auch Bilder und Videos auf den Smartphones der Demonstranten. Zudem machten sie selbst umfangreich Film- und Fotoaufnahmen, vermutlich um die Identitäten der Anwesenden per Gesichtserkennung zu speichern.

Der Ausstieg aus Null Covid ist schwerer denn je

Chinas Staatsapparat zeigte sich einerseits unbeeindruckt und ließ über die Medien verschiedene Bestätigungen ihrer geltenden Null-Covid-Politik verbreiten. Andererseits hat die Führung es inzwischen verboten, die Ausgänge von Wohnanlagen zu verbarrikadieren. Mit derartigen Sperren haben örtliche Seuchenschutzbeauftragte in den vergangenen Monaten die Bewohner am Verlassen ihrer Häuser gehindert. Außerdem hat Peking klargestellt, dass die Nachbarschaftskomitees nicht mehr eigenmächtig Ausgangssperren über Wohnanlagen verhängen können. Dazu sei nur die Bezirksregierung berechtigt.

Die einfachste Möglichkeit, um politischen Druck abzubauen, wäre nun eine rasche Abkehr von der eigenen Lockdown-Politik. Doch auch in China richtet sich das Virus nicht nach den Anforderungen der Politik. Die Bevölkerung ist weiterhin kaum immun und mit über 40.000 Neuinfektionen ist reichlich Virus im Land unterwegs. Modellrechnungen zeigen, dass eine Freigabe zum jetzigen Zeitpunkt 1,5 Millionen Tote kosten könnte. Die Intensivstationen wären 15-fach überlastet. Die Führung könnte zum jetzigen Zeitpunkt also gar nicht öffnen, ohne eine Gesundheitskrise auszulösen. Xi steckt mit der Null-Covid-Politik in der Zwickmühle, als deren Architekt er sich vor wenigen Monaten noch feiern ließ (China.Table berichtete).

Die Märkte befürchten Schlimmes

Aktienanleger und Wirtschaftsvertreter weltweit sehen in den Protesten Vorboten weiterer ungünstiger Entwicklungen in China. Am Tag nach der ersten Protestwelle verloren Börsenindizes weltweit: Der deutsche Aktienindex Dax verlor 1,1 Prozent, auch die Märkte in Japan, Hongkong, Australien, Taiwan und Korea entwickelten sich ins Minus. Die Wall Street eröffnete ebenfalls schwach. Analysten sind sich einig, dass die Unsicherheiten in China den Investoren unheimlich sind. Weder ein hoher Krankenstand noch die ewigen Lockdowns sind gut fürs Wachstum.

Der Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, hat sich kurz vor Ausbruch der jüngsten Proteste genau diese Punkte als Risikofaktoren bezeichnet, die jetzt die Hauptthemen der Protestierenden sind. Wuttke beklagt das weit verbreitete Gefühl des Eingesperrtseins, die Sinnlosigkeit vieler Maßnahmen und die Konsumschwäche. “China hat es verpasst, den Schritt weg von der totalen Kontrolle vorzubereiten”, erklärt Wuttke. Gerade deshalb drohe nun der Kontrollverlust.

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • Menschenrechte
  • Proteste
  • Zivilgesellschaft

Wettrennen gegen die Zensur

Wie hier in London fanden in zahlreichen Städten der Welt Solidaritätsbekundungen mit den Protesten in China statt.

Während die Bilder der Proteste in China in Deutschland ein großes Thema in den Hauptnachrichten sind, versucht die chinesische Regierung, sie so gut es geht zu unterdrücken. In den staatlichen Medien findet sich bislang kein Bericht oder Kommentar, der die Geschehnisse im Sinne der Partei einordnen würde.

Die sogenannten Wolf Warrior – chinesische Diplomaten, die Proteste außerhalb Chinas gerne als Beweis für das Chaos in Demokratien bewerten – sind auf Twitter erstaunlich still. Auf ihren Accounts finden sich derzeit Fotos vom Marathon in Shanghai, Landschaftsbilder oder statistisch unterfütterte Lobeshymnen auf die Errungenschaften der Partei. Doch lässt sich ein Flächenbrand an Protesten, der im ganzen Land aufflammt, tatsächlich so einfach totschweigen und aussitzen?

Ob man von den Protesten weiß oder nicht, sei eine Frage der Klassenzugehörigkeit, sagt eine junge Chinesin, die die Proteste vor allem auf Social Media erfolgt. “Mein Wechat-Moments-Feed ist noch immer voll von den Ereignissen, aber meine Tante hat zum Beispiel erst spät auf Weibo davon erfahren, und dann auch nicht allzu viel.” Bestimmt machten die Proteste auch bei älteren Menschen die Runde, aber viele wollen lieber nicht offen darüber sprechen, glaubt sie.

Lieder gegen das Schweigen

Die Zensur löscht Beiträge zu den Protesten umgehend. “Viele Menschen versuchen, so schnell wie möglich Screenshots zu machen oder die Live-Streams mitzuschneiden, um so viele Beweise wie möglich zu sammeln“, sagt die Chinesin. Daneben kommentieren viele Nutzer einfallsreich, aber doch eindeutig. Etwa Videos neu errichteter Quarantäne-Stationen, die mit dramatischer Musik unterlegt sind. Oder Lieder, die auf die Proteste hinweisen, ohne sie beim Namen zu nennen, etwa “Another Brick in the Wall” von Pink Floyd, mit den Zeilen: “We don’t need no education, we don’t need no thought control.”

Eine junge Auslandschinesin, die gerade ihre Eltern in der Provinz Zhejiang besucht, beschreibt, wie ihr WeChat-Account eingeschränkt wurde, nachdem sie Videos der Proteste geteilt hatte. Auf einmal bekam sie folgende Nachricht des Providers: “Gemäß internetbezogenen Richtlinien und Gesetzen, können Sie bis zum 1.12. keine Gruppenchats, Moments und weitere Mikro-Funktionen mehr verwenden.” In Shanghai und Peking haben Polizisten angeblich sogar Menschen auf der Straße aufgefordert, Fotos und ausländische Apps wie Twitter und Telegram auf ihren Handys zu löschen. “Es fühlt sich an, als gerieten die Dinge außer Kontrolle”, sagt die junge Frau.

Die Mär von den “ausländischen Kräften”

Anderes wird hingegen bewusst nicht gelöscht. So machte am Montag ein Artikel in den Sozialmedien die Runde, der zuerst auf Jinri Toutiao erschien, einer KI-basierten News-Plattform, die dem Tiktok-Mutterkonzern Bytedance gehört.

Dort bezeichnet der bekannte Blogger Lang Yangzhi die Proteste als “Farbrevolution”. Anhand des Akzents, “Freiheitsslogans im europäischen und amerikanischen Stil” sowie der Verwendung von Langzeichen seien ausländische Kräfte und “Organisatoren mit Hongkong-Taiwan-Hintergrund” als Strippenzieher enttarnt worden, schreibt der Blogger. In Chengdu sei einigen sogar Geld angeboten worden, damit sie an den Protesten teilnehmen – eine Behauptung, die bereits bei den “Regenschirm”-Protesten in Hongkong zum offiziellen Narrativ gehörte.

“Wenn die Sache offiziell als Farbrevolution deklariert wird, kann die Regierung härter gegen die Versammlungen vorgehen”, glaubt die junge Chinesin. Am Montag hatte Langs Artikel, der sich einer sehr aggressiven und teilweise rassistischen Wortwahl bedient, bereits 10.000 Kommentare. 1.000 Likes bekam dort etwa der Satz: “Entschlossen kämpfen, hart bestrafen!” 800 Likes gab es für folgenden Kommentar: “Strenge Strafen für die reaktionären Kräfte aus dem Ausland!”

Weltweite Solidarität

Der Twitter-Kanal @whyyoutouzhele, der in den vergangenen Tagen tausende neue Follower sammeln konnte, und laut Eigenerklärung nur verifizierbare Videos veröffentlicht, dokumentierte neben den größeren Demonstrationen in Shanghai und Peking auch kleinere Protestgruppen in den Städten Hangzhou, Kunming, Nanjing, Wuhan und Guangzhou. Sie wurden allesamt von Sicherheitskräften bedrängt. “Ich war nicht vor Ort, aber ich denke, es ist nachvollziehbar und verständlich. Die Menschen wollen ein normales Leben führen”, sagt ein Mann aus Wuhan gegenüber China.Table.

Ob in Hongkong, Taipeh, Kuala Lumpur, Vancouver, San Francisco, Paris, Dublin, Oxford oder London – weltweit versammelten sich am Montag Menschen vor chinesischen Botschaften und Vertretungen, um sich mit den Protesten in China zu solidarisieren. Auch in Taiwan und Hongkong haben Menschen Kerzen entzündet und weiße Papierseiten hochgehalten – die leeren Seiten sollen zeigen, dass man auch in einem hochgradig zensierten Umfeld ohne Worte seinen Unmut kundtun kann.

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News

Brüssel kritisiert Urteil gegen Kardinal Zen

Die Europäische Union hat die Verurteilung des pro-demokratischen Kardinals Zen und weiteren Aktivisten kritisiert. Es sei “ein weiteres Beispiel dafür, wie Gesetze gezielt eingesetzt werden, um abweichende Stimmen zu unterdrücken“, schrieb die Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS), Nabila Massrali, am Montag auf Twitter. Die Behörden von Hongkong sollten die bürgerlichen und politischen Rechte, insbesondere die Vereinigungsfreiheit, umfassend schützen, betonte Massrali.

Der 90 Jahre alte Zen war am Freitag zu einer Geldstrafe von 4.000 Hongkong-Dollar (rund 480 Euro) verurteilt worden, ebenso die Sängerin Denise Ho, Wissenschaftler Hui Po Keung und die pro-demokratischen Ex-Abgeordneten Margaret Ng und Cyd Ho. Der sechste Angeklagte, Sze Ching-wee, erhielt ein Bußgeld von umgerechnet 320 Euro.

Die Angeklagten hätten es versäumt, einen längst aufgelösten Hilfsfonds anzumelden, durch den verhaftete Teilnehmer der Massenproteste vor drei Jahren unterstützt werden sollten, befand Richterin Ada Yim am Freitag bei einer Anhörung. Kardinal Zen, emeritierter Bischof von Hongkong, war im Mai auf Basis des Gesetzes zur nationalen Sicherheit kurzzeitig festgenommen worden unter dem Verdacht, sich mit ausländischen Kräften verschworen zu haben (China.Table berichtete).

Zen gehörte zu den Verwaltern des humanitären 612-Hilfsfonds, der Arztrechnungen und Anwaltskosten für verhaftete pro-demokratische Demonstranten übernehmen sollte. Im Oktober 2021 wurde der Fonds eingestellt. Kritiker sehen die Festnahme jedoch als einen Schlag gegen die Religionsfreiheit in Hongkong an (China.Table berichtete).ari/rtr

  • EU
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  • Menschenrechte

Autobauer verdienen wieder prächtig

Einer Studie der Beratungsgesellschaft EY zufolge fahren internationale Autobauer, darunter auch Deutsche, derzeit Rekordgewinne ein. Und auch im zuletzt zurückhaltenden chinesischen Markt geht es für die Autobauer wieder bergauf.

“Unterm Strich war das dritte Quartal trotz der abflauenden Konjunktur und einer sehr schwierigen geopolitischen Lage für die Autoindustrie ein Traumquartal”, sagte der Leiter Mobilität Westeuropa bei EY, Constantin Gall. Die Versorgung mit Halbleitern verbessere sich langsam und vor allem die Nachfrage nach Premium-Fahrzeugen sei weiter hoch. Entsprechend hatte der deutsche Hersteller Daimler seine Strategie angepasst: Der Fokus liegt auf Luxus und E-Mobilität (China.Table berichtete).

In China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, legten die deutschen Hersteller beim Absatz um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu. In der ersten Jahreshälfte hatten sich die Zahlen zuletzt eher rückläufig entwickelt. Am stärksten wuchs Mercedes-Benz mit einem Plus von 67 Prozent. Im September hatte Daimler Truck zudem mit dem Bau von Lastwagen unter der Marke Mercedes-Benz in China begonnen (China.Table berichtete). Jedoch musste das Stuttgarter Unternehmen für einige Modelle die Preise auch senken. “In China wachsen die Bäume längst nicht mehr in den Himmel, der Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und anspruchsvoll“, sagte EY-Branchenberater Peter Fuß. flee

  • Autoindustrie

Evergrande gelingt Milliarden-Verkauf

Dem taumelnden Immobilienkonzern China Evergrande ist es gelungen, ein riesiges Grundstück in Shenzhen für eine Milliarde US-Dollar (7,5 Milliarden Yuan) zu verkaufen. Das mehr als 10.000 Quadratmeter große Areal im westlichen Nanshan-Distrikt war einst für den Bau des Firmenhauptsitzes in Shenzhen reserviert worden. Käufer sei eine Treuhand-Tochtergesellschaft der in Shanghai notierten Industrial Bank Co., wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet. Der Verkauf ist Teil einer Reihe von Vermögensübertragungen des Unternehmens.

China Evergrande war lange Zeit der umsatzstärkste Immobilienentwickler des Landes. Als man im vergangenen Jahr Auslandsverbindlichkeiten im Volumen von 22,7 Milliarden Dollar nicht bedienen konnte, löste der Zahlungsausfall in China eine landesweite Immobilienkrise aus. Das Unternehmen hat einen Schuldenberg von 300 Milliarden Dollar angehäuft.

Einige Stadtregierungen – unter anderem in Shenzhen – versuchen, Bauprojekte in der Stadt fertigzustellen, die aufgrund der Zahlungsschwierigkeiten vorerst gestoppt werden mussten (China.Table berichtete). Klar ist: Die Gläubiger von Evergrande werden Geld verlieren (China.Table berichtete).

Wie Bloomberg vergangene Woche berichtete, hat der Bauträger mitgeteilt, dass er noch in der ersten Dezemberwoche einen Vorschlag zur Umschuldung vorlegen wolle. Dafür hofft der angeschlagene Immobilienkonzern auf die Zustimmung seiner Gläubiger. Die Vorschläge sollten Ende Februar oder Anfang März feststehen, teilten die Anwälte des Unternehmens am Montag mit. rad

  • Evergrande
  • Finanzen
  • Immobilien

Sechs Millionen weniger iPhones

Die jüngsten Unruhen im weltweit größten iPhone-Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in der zentralchinesischen Stadt Zhengzhou werden in dieser Weihnachtssaison wahrscheinlich zu einem Produktionsausfall von fast 6 Millionen iPhone-Geräten führen. Das berichtet der Finanzinformationsdienstleister Bloomberg und beruft sich dabei auf eine mit den Montagevorgängen vertraute Person. Mit dem aktuellen Exodus von Mitarbeitern sei es unmöglich, bis zum Monatsende die Kapazitäten wie geplant wieder auszuweiten.

Aus Frustration über einbehaltene Löhne und Prämien sowie wegen der weitreichenden Corona-Beschränkungen war es am vergangenen Mittwoch auf dem Foxconn-Fabrikgelände zu schweren Ausschreitungen gekommen (China.Table berichtete). Foxconn begründete die ausstehenden Zahlungen mit einem technischen Fehler, der wiederum zu falschen Lohnabrechnungen geführt habe (China.Table berichtete).

Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben daraufhin mehr als 20.000 meist neu eingestellte Mitarbeiter das Gelände des Foxconn-Werks in Zhengzhou wieder verlassen. Aufgrund der immer weiter steigenden Corona-Infektionen in China befindet sich das Werk seit Wochen in einem sogenannten geschlossenen Kreislauf. Dies bedeutet, dass die insgesamt 300.000 Beschäftigten von der Außenwelt abgeschottet auf dem Gelände leben und arbeiten.

In der Fabrik in Zhengzhou werden vor allem iPhones 14 der Modelle Pro und Pro-Max hergestellt. Die Herstellung der Apple-Smartphones werde um mindestens 30 Prozent zurückgehen, sagte auch eine mit der Angelegenheit vertraute Person am Freitag Reuters. flee

  • Apple
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  • Zivilgesellschaft

Taikonauten-Wechsel auf der Tiangong

Die chinesische Raumfahrtbehörde hat die letzten Vorbereitungen für den Start einer dreiköpfigen Besatzung zur Raumstation Tiangong getroffen. Die drei Taikonauten werden ihre Mission mit der “Shenzhou-15” um 23.08 Uhr vom Weltraumzentrum Jiuquan am Rande der Wüste Gobi starten und ins All fliegen.

Kommandant der Mission ist der 57-jährige Fei Junlong, der schon 2005 mit der Mission “Shenzhou-6” mehrere Tage im Weltraum verbracht hat. Für seine Kollegen Deng Qingming und Zhang Lu ist es hingegen der erste Flug ins All. Die drei Männer werden auf der Raumstation kurz auch die aktuelle Besatzung treffen, die seit Anfang Juni auf der Tiangong ist.  

Das dritte und letzte Modul der Station war bereits Anfang des Monats an die Station angedockt (China.Table berichtete). Der Name des Moduls lautet “Mengtian”, “Himmelsträume”; es handelt sich um ein Labor. Die Raumstation untermauert Chinas Ambition, zu einer Weltraummacht zu werden und zu den führenden Raumfahrtnationen USA und Russland aufzuschließen (China.Table berichtete). Mit Tiangong betreibt China neben der ISS nun den zweiten menschlichen Außenposten außerhalb der Erdatmosphäre. Der Schritt war einer der letzten in dem mehr als zehnjährigen Bemühen Chinas, eine ständige Präsenz im All aufzubauen. flee

  • Raumfahrt
  • Technologie
  • Tiangong

Presseschau

Nach Protesten: China kündigt nur vereinzelte Corona-Lockerungen an – Regierung schweigt zu Kritik RND
Deutschland bietet China Impfhilfe an SPIEGEL
Proteste in China: UNO und Steinmeier fordern Peking zur Achtung der Meinungsfreiheit auf DEUTSCHLANDFUNK
“Inakzeptabel” – Großbritannien verurteilt Festnahme von BBC-Journalist in China WELT
Rishi Sunak declares “golden era” between UK and China over as he calls for new approach SKYNEWS
Gezielte Desinformationskampagne: Tweets zu China-Protesten gehen in Flut von Spamnachrichten unter RND
USA zu Protesten in China: Demonstranten sprechen für sich selbst INVESTING
Expertin zu Protesten in China: Xi Jinping steht “unter enormem Druck” ZDF
Protestwelle in China beunruhigt Anleger WALLSTREET-ONLINE
Protesters take to Hong Kong’s streets in solidarity with mainland CNN
China’s rebellious youth has forgotten Tiananmen POLITICO
Proteste bei Zulieferer Foxconn in China: Sechs Millionen iPhones weniger? Apple drohen massive Produktionsausfälle RND
VW stoppt wegen Corona Produktion im Werk Chengdu HANDELSBLATT
Wahlsieger in Taiwan will harte Abgrenzung zu Peking aufweichen WIENERZEITUNG
Hürden für Auslands-Invests: EU verbietet Konzern-Abverkauf an China N-TV
Für sechs Monate im “Himmelspalast”: China schickt drei neue Astronauten zur Raumstation “Tiangong” RND
Mit dieser Botschaft buhlt China um Einfluss in Lateinamerika WELT

Standpunkt

Der eisernen Faust der Partei die Stirn bieten

Von Chung Ching Kwong
Chung Ching Kwong ist Demokratie-Aktivistin aus Hongkong.

Die Demonstrationen begannen in der vergangenen Woche, als die Menschen um die Opfer eines Feuers in Urumqi in der autonomen Region Xinjiang trauerten. Der Brand kostete zehn Menschen das Leben und verletzte neun Personen schwer. Sie konnten das Gebäude nicht verlassen, da die Behörden aus Quarantänegründen die Türen von außen verriegelt hatten.

Die Trauernden forderten die Lockerung der Corona-Maßnahmen und riefen: “Keine Lockdowns mehr, keine PCR-Tests mehr.” Doch als sich immer mehr Menschen auf den Straßen versammelten, begannen sie, lauthals den Rücktritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping zu fordern: “Wir brauchen Menschenrechte, wir brauchen Freiheit”. Seitdem haben sich die Demonstrationen wie ein Lauffeuer über das ganze Land ausgebreitet.

Bisher galt das chinesische Volk allgemein als politisch unbedarft und wenig bereit, sich für soziale Themen zu engagieren. Obwohl sich die Unzufriedenheit sicherlich schon seit einiger Zeit zusammenbraut, hat unter der enormen Last von drei Jahren harter Null-Covid Politik niemand mit so viel Dissens gerechnet. Zudem haben die Behörden alles daran gesetzt, durch Zensur oder Löschung von Online-Inhalten und durch die Verbreitung von Propaganda über Chinas Erfolg im Kampf gegen Covid die Bevölkerung im Dunkeln zu lassen.

Aber die Menschen in China haben sich nicht abschrecken lassen. Obwohl sie sich der Konsequenzen bewusst sind, gehen sie auf die Straße. Sie wissen, dass die Behörden die Proteste brutal niederschlagen könnten und sogar zu noch Schlimmerem fähig sind. Dennoch strömen sie auf die Straßen. Die Wucht der Demonstrationen war so überwältigend, dass sich einige lokale Behörden sogar gezwungen sahen, die Corona-Maßnahmen teilweise zu lockern.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es in China immer wieder vereinzelt kleinere Proteste und Widerstand. Nachdem Li Wenliang, der Arzt, der erstmals vor den Gefahren des Coronavirus warnte, von der KPCh kaum behandelt wurde, brachen vor zwei Jahren Proteste aus. Einige erinnern sich vielleicht noch an das Busunglück in Guizhou oder an die Protestplakate gegen Xi Jinping an der Xitong-Brücke vor dem großen Parteitag. Viele kleine Ereignisse haben sich angesammelt und ein Feuer des Widerstands in ganz China entfacht.

Die Akzeptanz für die KP hängt vom Wachstum ab

Lange Zeit haben die Menschen in China die Kommunistische Partei Chinas als ihre Regierungspartei akzeptiert. Sie waren bereit, ihre Freiheiten einzutauschen. Solange die Wirtschaft scheinbar gut lief, haben sie Stillschweigen bewahrt. Für uns Hongkonger ist es befremdlich zu sehen, dass die Menschen auf dem Festland eine ähnliche Haltung einnehmen wie wir bei den Protesten 2019. Während der Hongkong-Proteste warf uns die chinesische Bevölkerung häufig vor: “Ihr undankbaren Gören, ihr werdet von ausländischen Regierungen bezahlt”. Sie verstanden nicht, weshalb wir ohne finanziellen Anreiz kämpften, und beleidigten uns auf unterschiedlichste Weise. Für uns war es immer unvorstellbar, dass Festlandchinesen einmal Demokratie und Menschenrechte fordern und den Rücktritt von Xi Jinping verlangen.

Aber jetzt bekomme ich Nachrichten von Chinesen in den sozialen Medien, die sich für die Schikanen entschuldigen. Sie schreiben, dass sie jetzt verstehen, warum wir uns für Demokratie und Freiheit einsetzen und so verzweifelt danach streben. Zum ersten Mal herrscht ein Gefühl von Sympathie und gegenseitigem Verständnis.

Diejenigen unter uns, die der Unterdrückung durch die KPCh schutzlos ausgeliefert sind, verspüren ein ausgeprägtes Gefühl gerechter Empörung. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Journalisten an unserer Sache gezweifelt und sich sogar über unsere Bemühungen lustig gemacht haben, der eisernen Faust der Partei die Stirn zu bieten. Ich muss dem Drang widerstehen, ihnen Videos von den mutigen Menschen in China zu schicken. Die totalitäre Regierung in Peking wird nur dann aufhören, wenn das chinesische Volk dies fordert, und die Tatsache, dass es damit begonnen hat, erfüllt mich mit Hoffnung und Ehrfurcht.

Mut zu bewundern, reicht nicht aus

Aber ihren Mut zu bewundern, reicht nicht aus. Wir werden erleben, wie man versucht, diese Menschen massiv zu bekämpfen. Es könnte sogar zu einem zweiten Tian’anmen kommen. Wie immer sind die demokratischen Nationen völlig unvorbereitet. Was werden wir tun, wenn Xis Armee anrollt, um diese mutigen Stimmen, die ihre Rechte einfordern, zu zermalmen? Werden wir einfach tatenlos zusehen, wie sie zu Tausenden inhaftiert werden und verschwinden?

Die Zeit drängt. Unsere Staats- und Regierungschefs müssen sich frühzeitig auf ein Sanktionspaket einigen, um ein brutales Niederschlagen zu verhindern und diejenigen zu schützen und zu verteidigen, die für ihre Grundrechte eintreten.

Im Jahr 1989 sah die Welt dem Tian’anmen-Massaker zu. 2019 sah die Welt zu, wie China Hongkong unter eklatanter Verletzung des Völkerrechts an sich riss. Werden wir erneut tatenlos zusehen, wie die Hoffnung auf ein freies China brutal zunichtegemacht wird? Wir müssen handeln, bevor es zu spät ist.

Chung Ching Kwong (zuvor auch Glacier Kwong) ist eine Bürgerrechtlerin aus Hongkong, die seit der Ausschaltung der demokratischen Parteien im Exil in Deutschland lebt.

  • Hongkong
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  • Proteste
  • Zivilgesellschaft

Personalie

Zhao Yide, bisher Gouverneur der Provinz Shaanxi, wurde zum Parteisekretär der Provinz ernannt. Damit ist der 57-Jährige der jüngste Parteichef auf Provinzebene in China. Ein Parteisekretär ist in China mächtiger als ein Gouverneur.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Die Natur muss dem Straßenbau Platz machen. Das ist auch in China so. Die Provinzregierung von Hubei hat sich offenbar gedacht: Der Fluss in der Nähe von Yichang wird ohnehin für die Schifffahrt genutzt – warum nicht auch die Autobahn draufsetzen? Dann muss nichts von den malerisch schönen Bergen abgetragen werden. Und zu einer zusätzlichen Touristenattraktion dürfte diese außergewöhnliche Schnellstraße auf Stelzen im Flusswasser sicherlich auch werden.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    auch am Montag gingen die Proteste gegen die Regierung und ihre strikte Corona-Politik weiter. Mehr noch: Sie haben inzwischen auch kleinere Städte erfasst. Und die Regierung Xi Jinping? Der ließ sich vor wenigen Monaten ja noch ausgiebig für seine strikte Null-Covid-Politik feiern. Nun scheint es jedoch, als befänden sich Xi und seine Männer in Schockstarre. Die Stille der Regierung, das Ignorieren der Unruhen seitens der staatlichen Medien lassen die Rufe der Demonstranten auf den Straßen umso lauter erschallen.

    Außer einem massiven Polizeiaufgebot und konsequenter Zensur scheint den Mächtigen in Peking derzeit nur wenig einzufallen. Finn Mayer-Kuckuk zeigt in seiner Analyse die Gründe auf und erklärt, in welch tiefes Dilemma sich Xi Jinping selbst hineinmanövriert hat: Ein simples Weiter-so ist nicht möglich, rasche Lockerung der Corona-Maßnahmen aber auch nicht. Wenige Wochen nach dem 20. Parteitag der KP und seiner Inthronisierung als Machthaber auf Lebenszeit sieht sich Xi Jinping mit der größten politischen Krise seit seiner Amtsübernahme 2013 konfrontiert.

    Fabian Peltsch begibt sich mit seinem Text zu den Demonstranten auf der Straße. Protestler erzählen ihm, wie sie versuchen, die Zensur zu umgehen. Dabei erschöpft sich die Reaktion des Staates nicht nur in blindem Löschen. Vielmehr werden gezielt Bots aktiviert, um die digitalen Kanäle zu fluten und so ein gezieltes Kommunizieren und Informieren unmöglich zu machen. Und natürlich darf auch dieses Mal die Mär vom Einfluss ausländischer Kräfte nicht fehlen.

    Zu guter Letzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Morgen starten unsere Kollegen vom ESG.Table unter der Leitung von Caspar Dohmen und Torsten Sewing mit ihrer ersten Ausgabe. Sie berichten über Nachhaltigkeitspolitik, Transformationsstrategien und Lieferkettenverantwortung und analysieren die Entwicklungen für alle, die in Unternehmen oder Verwaltungen über Einkauf, Investitionen, Produkte oder die sozialen und ökologischen Bedingungen innerhalb ihrer Lieferketten entscheiden müssen. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

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    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Analyse

    Neue Proteste trotz massivem Polizei-Aufgebot

    Auch am Montag sind China-weit die Proteste weitergegangen. Neben Kritik an der Corona-Politik traten weitere Anliegen in den Vordergrund, darunter allgemein nach Freiheit und einem Ende der Zensur. Die Polizei war auf den Straßen massiv präsent. Sie sucht vorerst einen Mittelweg zwischen Abschreckung von weiteren Versammlungen und einer generellen Beruhigung der Lage. Zudem will man mit ersten Veränderungen in der Corona-Politik die Wut der Demonstrierenden besänftigen.

    Das Ausmaß der Proteste hat in den vergangenen Tagen das Narrativ widerlegt, dass die Partei das Land vollständig unter Kontrolle habe. Auch ausgefeilte Propaganda, digitale Überwachung und ein ausufernder Sicherheitsapparat haben die Unruhen nicht verhindert. Die Bevölkerung hat die globalen Unterschiede im Umgang mit der Pandemie registriert und rebelliert nun gegen die strikten Maßnahmen der eigenen Regierung. Machthaber Xi Jinping ist mit der größten politischen Krise seit seiner Amtsübernahme 2013 konfrontiert – einer Krise, die ganz wesentlich auf seine eigenen administrativen Ideen zurückgeht.

    An den Brennpunkten der Proteste des vergangenen Wochenendes trat die Polizei am Montag mit Hundertschaften auf. Vor allem in Peking und Shanghai war die hohe Präsenz der Sicherheitskräfte sehr auffällig. Dennoch riefen Bürger wieder Parolen, darunter: “Freiheit statt PCR-Tests”, “Wir wollen reisen!” oder “Wir wollen zur Arbeit gehen!” Zum Teil brüllten sie ihre Forderungen den Beamten direkt ins Gesicht.

    Die Polizei hielt sich an Tag 3 der Proteste grundsätzlich zurück, griff sich aber immer wieder einzelne, besonders auffällige Protestler heraus, um sie teilweise gewaltsam abzuführen. Mitunter kontrollierten die Polizisten auch Bilder und Videos auf den Smartphones der Demonstranten. Zudem machten sie selbst umfangreich Film- und Fotoaufnahmen, vermutlich um die Identitäten der Anwesenden per Gesichtserkennung zu speichern.

    Der Ausstieg aus Null Covid ist schwerer denn je

    Chinas Staatsapparat zeigte sich einerseits unbeeindruckt und ließ über die Medien verschiedene Bestätigungen ihrer geltenden Null-Covid-Politik verbreiten. Andererseits hat die Führung es inzwischen verboten, die Ausgänge von Wohnanlagen zu verbarrikadieren. Mit derartigen Sperren haben örtliche Seuchenschutzbeauftragte in den vergangenen Monaten die Bewohner am Verlassen ihrer Häuser gehindert. Außerdem hat Peking klargestellt, dass die Nachbarschaftskomitees nicht mehr eigenmächtig Ausgangssperren über Wohnanlagen verhängen können. Dazu sei nur die Bezirksregierung berechtigt.

    Die einfachste Möglichkeit, um politischen Druck abzubauen, wäre nun eine rasche Abkehr von der eigenen Lockdown-Politik. Doch auch in China richtet sich das Virus nicht nach den Anforderungen der Politik. Die Bevölkerung ist weiterhin kaum immun und mit über 40.000 Neuinfektionen ist reichlich Virus im Land unterwegs. Modellrechnungen zeigen, dass eine Freigabe zum jetzigen Zeitpunkt 1,5 Millionen Tote kosten könnte. Die Intensivstationen wären 15-fach überlastet. Die Führung könnte zum jetzigen Zeitpunkt also gar nicht öffnen, ohne eine Gesundheitskrise auszulösen. Xi steckt mit der Null-Covid-Politik in der Zwickmühle, als deren Architekt er sich vor wenigen Monaten noch feiern ließ (China.Table berichtete).

    Die Märkte befürchten Schlimmes

    Aktienanleger und Wirtschaftsvertreter weltweit sehen in den Protesten Vorboten weiterer ungünstiger Entwicklungen in China. Am Tag nach der ersten Protestwelle verloren Börsenindizes weltweit: Der deutsche Aktienindex Dax verlor 1,1 Prozent, auch die Märkte in Japan, Hongkong, Australien, Taiwan und Korea entwickelten sich ins Minus. Die Wall Street eröffnete ebenfalls schwach. Analysten sind sich einig, dass die Unsicherheiten in China den Investoren unheimlich sind. Weder ein hoher Krankenstand noch die ewigen Lockdowns sind gut fürs Wachstum.

    Der Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, hat sich kurz vor Ausbruch der jüngsten Proteste genau diese Punkte als Risikofaktoren bezeichnet, die jetzt die Hauptthemen der Protestierenden sind. Wuttke beklagt das weit verbreitete Gefühl des Eingesperrtseins, die Sinnlosigkeit vieler Maßnahmen und die Konsumschwäche. “China hat es verpasst, den Schritt weg von der totalen Kontrolle vorzubereiten”, erklärt Wuttke. Gerade deshalb drohe nun der Kontrollverlust.

    • Coronavirus
    • Gesundheit
    • Menschenrechte
    • Proteste
    • Zivilgesellschaft

    Wettrennen gegen die Zensur

    Wie hier in London fanden in zahlreichen Städten der Welt Solidaritätsbekundungen mit den Protesten in China statt.

    Während die Bilder der Proteste in China in Deutschland ein großes Thema in den Hauptnachrichten sind, versucht die chinesische Regierung, sie so gut es geht zu unterdrücken. In den staatlichen Medien findet sich bislang kein Bericht oder Kommentar, der die Geschehnisse im Sinne der Partei einordnen würde.

    Die sogenannten Wolf Warrior – chinesische Diplomaten, die Proteste außerhalb Chinas gerne als Beweis für das Chaos in Demokratien bewerten – sind auf Twitter erstaunlich still. Auf ihren Accounts finden sich derzeit Fotos vom Marathon in Shanghai, Landschaftsbilder oder statistisch unterfütterte Lobeshymnen auf die Errungenschaften der Partei. Doch lässt sich ein Flächenbrand an Protesten, der im ganzen Land aufflammt, tatsächlich so einfach totschweigen und aussitzen?

    Ob man von den Protesten weiß oder nicht, sei eine Frage der Klassenzugehörigkeit, sagt eine junge Chinesin, die die Proteste vor allem auf Social Media erfolgt. “Mein Wechat-Moments-Feed ist noch immer voll von den Ereignissen, aber meine Tante hat zum Beispiel erst spät auf Weibo davon erfahren, und dann auch nicht allzu viel.” Bestimmt machten die Proteste auch bei älteren Menschen die Runde, aber viele wollen lieber nicht offen darüber sprechen, glaubt sie.

    Lieder gegen das Schweigen

    Die Zensur löscht Beiträge zu den Protesten umgehend. “Viele Menschen versuchen, so schnell wie möglich Screenshots zu machen oder die Live-Streams mitzuschneiden, um so viele Beweise wie möglich zu sammeln“, sagt die Chinesin. Daneben kommentieren viele Nutzer einfallsreich, aber doch eindeutig. Etwa Videos neu errichteter Quarantäne-Stationen, die mit dramatischer Musik unterlegt sind. Oder Lieder, die auf die Proteste hinweisen, ohne sie beim Namen zu nennen, etwa “Another Brick in the Wall” von Pink Floyd, mit den Zeilen: “We don’t need no education, we don’t need no thought control.”

    Eine junge Auslandschinesin, die gerade ihre Eltern in der Provinz Zhejiang besucht, beschreibt, wie ihr WeChat-Account eingeschränkt wurde, nachdem sie Videos der Proteste geteilt hatte. Auf einmal bekam sie folgende Nachricht des Providers: “Gemäß internetbezogenen Richtlinien und Gesetzen, können Sie bis zum 1.12. keine Gruppenchats, Moments und weitere Mikro-Funktionen mehr verwenden.” In Shanghai und Peking haben Polizisten angeblich sogar Menschen auf der Straße aufgefordert, Fotos und ausländische Apps wie Twitter und Telegram auf ihren Handys zu löschen. “Es fühlt sich an, als gerieten die Dinge außer Kontrolle”, sagt die junge Frau.

    Die Mär von den “ausländischen Kräften”

    Anderes wird hingegen bewusst nicht gelöscht. So machte am Montag ein Artikel in den Sozialmedien die Runde, der zuerst auf Jinri Toutiao erschien, einer KI-basierten News-Plattform, die dem Tiktok-Mutterkonzern Bytedance gehört.

    Dort bezeichnet der bekannte Blogger Lang Yangzhi die Proteste als “Farbrevolution”. Anhand des Akzents, “Freiheitsslogans im europäischen und amerikanischen Stil” sowie der Verwendung von Langzeichen seien ausländische Kräfte und “Organisatoren mit Hongkong-Taiwan-Hintergrund” als Strippenzieher enttarnt worden, schreibt der Blogger. In Chengdu sei einigen sogar Geld angeboten worden, damit sie an den Protesten teilnehmen – eine Behauptung, die bereits bei den “Regenschirm”-Protesten in Hongkong zum offiziellen Narrativ gehörte.

    “Wenn die Sache offiziell als Farbrevolution deklariert wird, kann die Regierung härter gegen die Versammlungen vorgehen”, glaubt die junge Chinesin. Am Montag hatte Langs Artikel, der sich einer sehr aggressiven und teilweise rassistischen Wortwahl bedient, bereits 10.000 Kommentare. 1.000 Likes bekam dort etwa der Satz: “Entschlossen kämpfen, hart bestrafen!” 800 Likes gab es für folgenden Kommentar: “Strenge Strafen für die reaktionären Kräfte aus dem Ausland!”

    Weltweite Solidarität

    Der Twitter-Kanal @whyyoutouzhele, der in den vergangenen Tagen tausende neue Follower sammeln konnte, und laut Eigenerklärung nur verifizierbare Videos veröffentlicht, dokumentierte neben den größeren Demonstrationen in Shanghai und Peking auch kleinere Protestgruppen in den Städten Hangzhou, Kunming, Nanjing, Wuhan und Guangzhou. Sie wurden allesamt von Sicherheitskräften bedrängt. “Ich war nicht vor Ort, aber ich denke, es ist nachvollziehbar und verständlich. Die Menschen wollen ein normales Leben führen”, sagt ein Mann aus Wuhan gegenüber China.Table.

    Ob in Hongkong, Taipeh, Kuala Lumpur, Vancouver, San Francisco, Paris, Dublin, Oxford oder London – weltweit versammelten sich am Montag Menschen vor chinesischen Botschaften und Vertretungen, um sich mit den Protesten in China zu solidarisieren. Auch in Taiwan und Hongkong haben Menschen Kerzen entzündet und weiße Papierseiten hochgehalten – die leeren Seiten sollen zeigen, dass man auch in einem hochgradig zensierten Umfeld ohne Worte seinen Unmut kundtun kann.

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    News

    Brüssel kritisiert Urteil gegen Kardinal Zen

    Die Europäische Union hat die Verurteilung des pro-demokratischen Kardinals Zen und weiteren Aktivisten kritisiert. Es sei “ein weiteres Beispiel dafür, wie Gesetze gezielt eingesetzt werden, um abweichende Stimmen zu unterdrücken“, schrieb die Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS), Nabila Massrali, am Montag auf Twitter. Die Behörden von Hongkong sollten die bürgerlichen und politischen Rechte, insbesondere die Vereinigungsfreiheit, umfassend schützen, betonte Massrali.

    Der 90 Jahre alte Zen war am Freitag zu einer Geldstrafe von 4.000 Hongkong-Dollar (rund 480 Euro) verurteilt worden, ebenso die Sängerin Denise Ho, Wissenschaftler Hui Po Keung und die pro-demokratischen Ex-Abgeordneten Margaret Ng und Cyd Ho. Der sechste Angeklagte, Sze Ching-wee, erhielt ein Bußgeld von umgerechnet 320 Euro.

    Die Angeklagten hätten es versäumt, einen längst aufgelösten Hilfsfonds anzumelden, durch den verhaftete Teilnehmer der Massenproteste vor drei Jahren unterstützt werden sollten, befand Richterin Ada Yim am Freitag bei einer Anhörung. Kardinal Zen, emeritierter Bischof von Hongkong, war im Mai auf Basis des Gesetzes zur nationalen Sicherheit kurzzeitig festgenommen worden unter dem Verdacht, sich mit ausländischen Kräften verschworen zu haben (China.Table berichtete).

    Zen gehörte zu den Verwaltern des humanitären 612-Hilfsfonds, der Arztrechnungen und Anwaltskosten für verhaftete pro-demokratische Demonstranten übernehmen sollte. Im Oktober 2021 wurde der Fonds eingestellt. Kritiker sehen die Festnahme jedoch als einen Schlag gegen die Religionsfreiheit in Hongkong an (China.Table berichtete).ari/rtr

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    Autobauer verdienen wieder prächtig

    Einer Studie der Beratungsgesellschaft EY zufolge fahren internationale Autobauer, darunter auch Deutsche, derzeit Rekordgewinne ein. Und auch im zuletzt zurückhaltenden chinesischen Markt geht es für die Autobauer wieder bergauf.

    “Unterm Strich war das dritte Quartal trotz der abflauenden Konjunktur und einer sehr schwierigen geopolitischen Lage für die Autoindustrie ein Traumquartal”, sagte der Leiter Mobilität Westeuropa bei EY, Constantin Gall. Die Versorgung mit Halbleitern verbessere sich langsam und vor allem die Nachfrage nach Premium-Fahrzeugen sei weiter hoch. Entsprechend hatte der deutsche Hersteller Daimler seine Strategie angepasst: Der Fokus liegt auf Luxus und E-Mobilität (China.Table berichtete).

    In China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, legten die deutschen Hersteller beim Absatz um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu. In der ersten Jahreshälfte hatten sich die Zahlen zuletzt eher rückläufig entwickelt. Am stärksten wuchs Mercedes-Benz mit einem Plus von 67 Prozent. Im September hatte Daimler Truck zudem mit dem Bau von Lastwagen unter der Marke Mercedes-Benz in China begonnen (China.Table berichtete). Jedoch musste das Stuttgarter Unternehmen für einige Modelle die Preise auch senken. “In China wachsen die Bäume längst nicht mehr in den Himmel, der Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und anspruchsvoll“, sagte EY-Branchenberater Peter Fuß. flee

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    Evergrande gelingt Milliarden-Verkauf

    Dem taumelnden Immobilienkonzern China Evergrande ist es gelungen, ein riesiges Grundstück in Shenzhen für eine Milliarde US-Dollar (7,5 Milliarden Yuan) zu verkaufen. Das mehr als 10.000 Quadratmeter große Areal im westlichen Nanshan-Distrikt war einst für den Bau des Firmenhauptsitzes in Shenzhen reserviert worden. Käufer sei eine Treuhand-Tochtergesellschaft der in Shanghai notierten Industrial Bank Co., wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet. Der Verkauf ist Teil einer Reihe von Vermögensübertragungen des Unternehmens.

    China Evergrande war lange Zeit der umsatzstärkste Immobilienentwickler des Landes. Als man im vergangenen Jahr Auslandsverbindlichkeiten im Volumen von 22,7 Milliarden Dollar nicht bedienen konnte, löste der Zahlungsausfall in China eine landesweite Immobilienkrise aus. Das Unternehmen hat einen Schuldenberg von 300 Milliarden Dollar angehäuft.

    Einige Stadtregierungen – unter anderem in Shenzhen – versuchen, Bauprojekte in der Stadt fertigzustellen, die aufgrund der Zahlungsschwierigkeiten vorerst gestoppt werden mussten (China.Table berichtete). Klar ist: Die Gläubiger von Evergrande werden Geld verlieren (China.Table berichtete).

    Wie Bloomberg vergangene Woche berichtete, hat der Bauträger mitgeteilt, dass er noch in der ersten Dezemberwoche einen Vorschlag zur Umschuldung vorlegen wolle. Dafür hofft der angeschlagene Immobilienkonzern auf die Zustimmung seiner Gläubiger. Die Vorschläge sollten Ende Februar oder Anfang März feststehen, teilten die Anwälte des Unternehmens am Montag mit. rad

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    Sechs Millionen weniger iPhones

    Die jüngsten Unruhen im weltweit größten iPhone-Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in der zentralchinesischen Stadt Zhengzhou werden in dieser Weihnachtssaison wahrscheinlich zu einem Produktionsausfall von fast 6 Millionen iPhone-Geräten führen. Das berichtet der Finanzinformationsdienstleister Bloomberg und beruft sich dabei auf eine mit den Montagevorgängen vertraute Person. Mit dem aktuellen Exodus von Mitarbeitern sei es unmöglich, bis zum Monatsende die Kapazitäten wie geplant wieder auszuweiten.

    Aus Frustration über einbehaltene Löhne und Prämien sowie wegen der weitreichenden Corona-Beschränkungen war es am vergangenen Mittwoch auf dem Foxconn-Fabrikgelände zu schweren Ausschreitungen gekommen (China.Table berichtete). Foxconn begründete die ausstehenden Zahlungen mit einem technischen Fehler, der wiederum zu falschen Lohnabrechnungen geführt habe (China.Table berichtete).

    Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben daraufhin mehr als 20.000 meist neu eingestellte Mitarbeiter das Gelände des Foxconn-Werks in Zhengzhou wieder verlassen. Aufgrund der immer weiter steigenden Corona-Infektionen in China befindet sich das Werk seit Wochen in einem sogenannten geschlossenen Kreislauf. Dies bedeutet, dass die insgesamt 300.000 Beschäftigten von der Außenwelt abgeschottet auf dem Gelände leben und arbeiten.

    In der Fabrik in Zhengzhou werden vor allem iPhones 14 der Modelle Pro und Pro-Max hergestellt. Die Herstellung der Apple-Smartphones werde um mindestens 30 Prozent zurückgehen, sagte auch eine mit der Angelegenheit vertraute Person am Freitag Reuters. flee

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    Taikonauten-Wechsel auf der Tiangong

    Die chinesische Raumfahrtbehörde hat die letzten Vorbereitungen für den Start einer dreiköpfigen Besatzung zur Raumstation Tiangong getroffen. Die drei Taikonauten werden ihre Mission mit der “Shenzhou-15” um 23.08 Uhr vom Weltraumzentrum Jiuquan am Rande der Wüste Gobi starten und ins All fliegen.

    Kommandant der Mission ist der 57-jährige Fei Junlong, der schon 2005 mit der Mission “Shenzhou-6” mehrere Tage im Weltraum verbracht hat. Für seine Kollegen Deng Qingming und Zhang Lu ist es hingegen der erste Flug ins All. Die drei Männer werden auf der Raumstation kurz auch die aktuelle Besatzung treffen, die seit Anfang Juni auf der Tiangong ist.  

    Das dritte und letzte Modul der Station war bereits Anfang des Monats an die Station angedockt (China.Table berichtete). Der Name des Moduls lautet “Mengtian”, “Himmelsträume”; es handelt sich um ein Labor. Die Raumstation untermauert Chinas Ambition, zu einer Weltraummacht zu werden und zu den führenden Raumfahrtnationen USA und Russland aufzuschließen (China.Table berichtete). Mit Tiangong betreibt China neben der ISS nun den zweiten menschlichen Außenposten außerhalb der Erdatmosphäre. Der Schritt war einer der letzten in dem mehr als zehnjährigen Bemühen Chinas, eine ständige Präsenz im All aufzubauen. flee

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    Presseschau

    Nach Protesten: China kündigt nur vereinzelte Corona-Lockerungen an – Regierung schweigt zu Kritik RND
    Deutschland bietet China Impfhilfe an SPIEGEL
    Proteste in China: UNO und Steinmeier fordern Peking zur Achtung der Meinungsfreiheit auf DEUTSCHLANDFUNK
    “Inakzeptabel” – Großbritannien verurteilt Festnahme von BBC-Journalist in China WELT
    Rishi Sunak declares “golden era” between UK and China over as he calls for new approach SKYNEWS
    Gezielte Desinformationskampagne: Tweets zu China-Protesten gehen in Flut von Spamnachrichten unter RND
    USA zu Protesten in China: Demonstranten sprechen für sich selbst INVESTING
    Expertin zu Protesten in China: Xi Jinping steht “unter enormem Druck” ZDF
    Protestwelle in China beunruhigt Anleger WALLSTREET-ONLINE
    Protesters take to Hong Kong’s streets in solidarity with mainland CNN
    China’s rebellious youth has forgotten Tiananmen POLITICO
    Proteste bei Zulieferer Foxconn in China: Sechs Millionen iPhones weniger? Apple drohen massive Produktionsausfälle RND
    VW stoppt wegen Corona Produktion im Werk Chengdu HANDELSBLATT
    Wahlsieger in Taiwan will harte Abgrenzung zu Peking aufweichen WIENERZEITUNG
    Hürden für Auslands-Invests: EU verbietet Konzern-Abverkauf an China N-TV
    Für sechs Monate im “Himmelspalast”: China schickt drei neue Astronauten zur Raumstation “Tiangong” RND
    Mit dieser Botschaft buhlt China um Einfluss in Lateinamerika WELT

    Standpunkt

    Der eisernen Faust der Partei die Stirn bieten

    Von Chung Ching Kwong
    Chung Ching Kwong ist Demokratie-Aktivistin aus Hongkong.

    Die Demonstrationen begannen in der vergangenen Woche, als die Menschen um die Opfer eines Feuers in Urumqi in der autonomen Region Xinjiang trauerten. Der Brand kostete zehn Menschen das Leben und verletzte neun Personen schwer. Sie konnten das Gebäude nicht verlassen, da die Behörden aus Quarantänegründen die Türen von außen verriegelt hatten.

    Die Trauernden forderten die Lockerung der Corona-Maßnahmen und riefen: “Keine Lockdowns mehr, keine PCR-Tests mehr.” Doch als sich immer mehr Menschen auf den Straßen versammelten, begannen sie, lauthals den Rücktritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping zu fordern: “Wir brauchen Menschenrechte, wir brauchen Freiheit”. Seitdem haben sich die Demonstrationen wie ein Lauffeuer über das ganze Land ausgebreitet.

    Bisher galt das chinesische Volk allgemein als politisch unbedarft und wenig bereit, sich für soziale Themen zu engagieren. Obwohl sich die Unzufriedenheit sicherlich schon seit einiger Zeit zusammenbraut, hat unter der enormen Last von drei Jahren harter Null-Covid Politik niemand mit so viel Dissens gerechnet. Zudem haben die Behörden alles daran gesetzt, durch Zensur oder Löschung von Online-Inhalten und durch die Verbreitung von Propaganda über Chinas Erfolg im Kampf gegen Covid die Bevölkerung im Dunkeln zu lassen.

    Aber die Menschen in China haben sich nicht abschrecken lassen. Obwohl sie sich der Konsequenzen bewusst sind, gehen sie auf die Straße. Sie wissen, dass die Behörden die Proteste brutal niederschlagen könnten und sogar zu noch Schlimmerem fähig sind. Dennoch strömen sie auf die Straßen. Die Wucht der Demonstrationen war so überwältigend, dass sich einige lokale Behörden sogar gezwungen sahen, die Corona-Maßnahmen teilweise zu lockern.

    In den vergangenen Jahrzehnten gab es in China immer wieder vereinzelt kleinere Proteste und Widerstand. Nachdem Li Wenliang, der Arzt, der erstmals vor den Gefahren des Coronavirus warnte, von der KPCh kaum behandelt wurde, brachen vor zwei Jahren Proteste aus. Einige erinnern sich vielleicht noch an das Busunglück in Guizhou oder an die Protestplakate gegen Xi Jinping an der Xitong-Brücke vor dem großen Parteitag. Viele kleine Ereignisse haben sich angesammelt und ein Feuer des Widerstands in ganz China entfacht.

    Die Akzeptanz für die KP hängt vom Wachstum ab

    Lange Zeit haben die Menschen in China die Kommunistische Partei Chinas als ihre Regierungspartei akzeptiert. Sie waren bereit, ihre Freiheiten einzutauschen. Solange die Wirtschaft scheinbar gut lief, haben sie Stillschweigen bewahrt. Für uns Hongkonger ist es befremdlich zu sehen, dass die Menschen auf dem Festland eine ähnliche Haltung einnehmen wie wir bei den Protesten 2019. Während der Hongkong-Proteste warf uns die chinesische Bevölkerung häufig vor: “Ihr undankbaren Gören, ihr werdet von ausländischen Regierungen bezahlt”. Sie verstanden nicht, weshalb wir ohne finanziellen Anreiz kämpften, und beleidigten uns auf unterschiedlichste Weise. Für uns war es immer unvorstellbar, dass Festlandchinesen einmal Demokratie und Menschenrechte fordern und den Rücktritt von Xi Jinping verlangen.

    Aber jetzt bekomme ich Nachrichten von Chinesen in den sozialen Medien, die sich für die Schikanen entschuldigen. Sie schreiben, dass sie jetzt verstehen, warum wir uns für Demokratie und Freiheit einsetzen und so verzweifelt danach streben. Zum ersten Mal herrscht ein Gefühl von Sympathie und gegenseitigem Verständnis.

    Diejenigen unter uns, die der Unterdrückung durch die KPCh schutzlos ausgeliefert sind, verspüren ein ausgeprägtes Gefühl gerechter Empörung. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Journalisten an unserer Sache gezweifelt und sich sogar über unsere Bemühungen lustig gemacht haben, der eisernen Faust der Partei die Stirn zu bieten. Ich muss dem Drang widerstehen, ihnen Videos von den mutigen Menschen in China zu schicken. Die totalitäre Regierung in Peking wird nur dann aufhören, wenn das chinesische Volk dies fordert, und die Tatsache, dass es damit begonnen hat, erfüllt mich mit Hoffnung und Ehrfurcht.

    Mut zu bewundern, reicht nicht aus

    Aber ihren Mut zu bewundern, reicht nicht aus. Wir werden erleben, wie man versucht, diese Menschen massiv zu bekämpfen. Es könnte sogar zu einem zweiten Tian’anmen kommen. Wie immer sind die demokratischen Nationen völlig unvorbereitet. Was werden wir tun, wenn Xis Armee anrollt, um diese mutigen Stimmen, die ihre Rechte einfordern, zu zermalmen? Werden wir einfach tatenlos zusehen, wie sie zu Tausenden inhaftiert werden und verschwinden?

    Die Zeit drängt. Unsere Staats- und Regierungschefs müssen sich frühzeitig auf ein Sanktionspaket einigen, um ein brutales Niederschlagen zu verhindern und diejenigen zu schützen und zu verteidigen, die für ihre Grundrechte eintreten.

    Im Jahr 1989 sah die Welt dem Tian’anmen-Massaker zu. 2019 sah die Welt zu, wie China Hongkong unter eklatanter Verletzung des Völkerrechts an sich riss. Werden wir erneut tatenlos zusehen, wie die Hoffnung auf ein freies China brutal zunichtegemacht wird? Wir müssen handeln, bevor es zu spät ist.

    Chung Ching Kwong (zuvor auch Glacier Kwong) ist eine Bürgerrechtlerin aus Hongkong, die seit der Ausschaltung der demokratischen Parteien im Exil in Deutschland lebt.

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    Personalie

    Zhao Yide, bisher Gouverneur der Provinz Shaanxi, wurde zum Parteisekretär der Provinz ernannt. Damit ist der 57-Jährige der jüngste Parteichef auf Provinzebene in China. Ein Parteisekretär ist in China mächtiger als ein Gouverneur.

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    Dessert

    Die Natur muss dem Straßenbau Platz machen. Das ist auch in China so. Die Provinzregierung von Hubei hat sich offenbar gedacht: Der Fluss in der Nähe von Yichang wird ohnehin für die Schifffahrt genutzt – warum nicht auch die Autobahn draufsetzen? Dann muss nichts von den malerisch schönen Bergen abgetragen werden. Und zu einer zusätzlichen Touristenattraktion dürfte diese außergewöhnliche Schnellstraße auf Stelzen im Flusswasser sicherlich auch werden.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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