Table.Briefing: China

Preisvergabe + Kardinal Zen + Weiße Garden

  • Nürnberg vergibt Menschenrechtspreis an “Die Kronzeugin”
  • Festnahme von Kardinal Zen kurz nach der Wahl in Hongkong
  • G7 kritisieren Lees Wahl zum Hongkonger Regierungschef
  • UN-Menschenrechtsbeauftragte wohl in Kürze in China
  • Verbreitung von WHO-Stellungnahme verhindert
  • Minderjährige erhalten Livestream-Verbot
  • Porträt: Da Bai wecken Erinnerung an die Roten Garden
Liebe Leserin, lieber Leser,

brisante Nachrichten erreichten die Welt am Mittwochabend aus Hongkong: Kardinal Joseph Zen wurde verhaftet. Dem prominenten Kritiker der chinesischen Regierung und ihrer Religionspolitik wird Verschwörung mit ausländischen Kräften vorgeworfen. Zen ist sowohl der Kommunistischen Partei als auch dem Vatikan ein Dorn im Auge, dem er den Ausverkauf der Christen in China an die KP vorwarf.

Inzwischen ist Zen auf Kaution wieder auf freiem Fuß. Dennoch dürfte seine Festnahme die Katholiken in Hongkong in Alarmbereitschaft versetzen. Zwar ist der 90-Jährige nicht wegen seines Glaubens verhaftet worden. Dass die Behörden vor dem Geistlichen jedoch nicht haltmachen, dürfen die Christen, aber auch Muslime als Warnung an diejenigen verstehen, die Staat und Partei nicht über die Kirche stellen wollen.

Konfliktträchtig ist auch die Verleihung des Internationalen Menschenrechtspreises der Stadt Nürnberg. Nachdem bekannt wurde, dass der Preis an eine Zeugin der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gehen soll, gab es die erwartbaren Proteste aus China. Doch die Verantwortlichen ließen sich nicht einschüchtern. Sayragul Sauytbay, die als eine der ersten auf Folter, Inhaftierungen und die Unterdrückung der Uiguren aufmerksam machte, wird den Menschenrechtspreis am Sonntag erhalten. Gut so!

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Menschenrechts-Preis: Nürnberg beugt sich dem Druck nicht

Für Sayragul Sauytbay ist die Auszeichnung eine Würdigung ihres Mutes. Denn sie hat nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt, als sie der Welt Einblicke in die systematischen Menschenrechtsverbrechen durch chinesische Behörden in der autonomen Region Xinjiang lieferte. Am kommenden Sonntagvormittag wird Sauytbay im Opernhaus der Stadt offiziell geehrt.

Die 45-Jährige arbeitete als Lehrerin im Staatsdienst für kasachisch-stämmige Häftlinge in einem Internierungslager in Xinjiang und lebte dabei selbst unter haftähnlichen Bedingungen. Dort wurde sie Zeugin von Folterungen durch chinesische Beamte. 2018 gelang ihr die Flucht nach Kasachstan. Ihr Mann und ihre Kinder waren bereits zwei Jahre zuvor ausgereist, weil die Entwicklung in Xinjiang der Familie zunehmend Angst bereitet hatte. Sauytbay selbst hatte China jedoch nicht legal verlassen können, weil sie keinen Reisepass besaß. Die Behörden hatten ihr das Dokument abgenommen.

In dem Buch “Die Kronzeugin” schildert die deutsche Journalistin Alexandra Cavelius die Erfahrungen Sauytbays in dem Lager und berichtet ausführlich von der Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung in Xinjiang.

Der Nürnberger Menschenrechtspreis ist nicht Sauytbays erste Auszeichnung: 2020 ehrte sie das US-Außenministerium mit dem International Women of Courage Award. Im Herbst des gleichen Jahres wurde sie vom Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages angehört.

China lässt Städtepartnerschaft fast ruhen

Die Vergabe des Nürnberger Menschenrechtspreises, die alle zwei Jahre stattfindet, war eigentlich schon für 2021 vorgesehen, aber wegen der Corona-Pandemie verschoben worden. Als die Preisträgerin bekannt gegeben wurde, rief dies reflexartige Proteste der diplomatischen Vertretung Chinas in Deutschland hervor. Der Generalkonsul in München versuchte, die Stadt Nürnberg davon zu überzeugen, dass Sauytbay eine Terroristin und Betrügerin sei, die Lügen verbreite. Im Nürnberg schloss man sich dieser Darstellung jedoch nicht an.

Als Reaktion darauf schraubte die chinesische Seite ihr Engagement in der Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und Shenzhen in Südchina auf ein Minimum zurück. Die Planungen für die Feierlichkeiten zum anstehenden 25-jährigen Jubiläum der Beziehungen liegen momentan auf Eis, heißt es. Auch die in solchen Fällen gängigen Hinweise auf mögliche Schäden für Geschäftsinteressen Nürnberger Unternehmen in der Volksrepublik seien von chinesischer Seite vermittelt worden.

Thematisieren möchte die Stadt Nürnberg die chinesischen Reaktionen aber nicht. Dies würde nur die Aufmerksamkeit von der Preisträgerin weglenken. Tatsächlich kam die Stadt den Diplomaten aber dennoch ein kleines Stück entgegen. Nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Berlin verzichtete sie in ihren öffentlichen Mitteilungen auf die Bezeichnung Ost-Turkestan für Xinjiang. Damit knickte Nürnberg jedoch weniger vor chinesischer Entrüstung ein, als dass es üblichen internationalen Standards folgte. “Die gesamte Spitze der Stadt Nürnberg steht hinter der Entscheidung der Jury. Daran ändert sich nichts”, sagte die Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros, Martina Mittenhuber zu China.Table.

“China Protokolle” lassen Zeugen zu Wort kommen

Sauytbay hat mit ihrer Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, eine Welle losgetreten, welche die Kommunistische Partei Chinas zunehmend in Erklärungsnot bringt. Die Zahl der Uiguren, Kasachen und anderer ethnischer Minderheiten in Xinjiang, die China öffentlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zum Völkermords anklagen, ist deutlich gestiegen. Einige kommen auch im neuen Buch von Cavelius und Sauytbay zu Wort. Es heißt “China Protokolle” (Europaverlag) und ist 2021 erschienen. Darin legen viele unterschiedliche Stimmen Zeugnis ab von Mord, Folter, Zwangssterilisationen, Organraub, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen.

“In meinem 40-Jährigen Leben in Ost-Turkestan habe ich mit eigenen Augen die Brutalität der KPCh gesehen. Nur wenige Menschen verstehen das Denken dieser politischen Organisation so gut wie wir Zeugen,” schreibt Sauytbay in dem Buch. Und wirbt darum, den Aussagen Beachtung zu schenken.

Bei der Arbeit an “China Protokolle” machte auch Autorin Cavelius Erfahrungen mit chinesischer Einflussnahme. Ein kasachischer Übersetzer beendete mitten in den Interviews der betroffenen Protagonistinnen seine Arbeit und begann, die Autorin zu diffamieren. “Ich vermute, dass der Mann unter Druck gesetzt worden ist und aus Angst die Seiten gewechselt hat”, sagt Cavelius.

  • Menschenrechte
  • Xinjiang
  • Zivilgesellschaft

Kardinal Zen in Hongkong festgenommen

Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden festgenommen.
Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden verhaftet

Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes hatte der Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun vor zwei Jahren mit einer trotzigen Stellungnahme per Video in sozialen Medien kommentiert. “Wenn richtige und angemessene Worte als Gesetzesverstoß gelten, dann werde ich alle Klagen, Prozesse und Verhaftungen ertragen”, sagte der heute 90-jährige Würdenträger der römisch-katholischen Kirche damals.

Anklage und Prozess gegen Zen stehen zwar noch aus. Die Festnahme ist seit Mittwoch jedoch Realität. Laut South China Morning Post sei der Kardinal ebenso wie die frühere oppositionelle Abgeordnete Margaret Ng und die pro-demokratische Aktivistin und Künstlerin Denise Ho von der Sicherheitspolizei verhaftet und verhört worden. Der Vorwurf gegen das Trio lautet demnach: Verschwörung mit ausländischen Kräften.

Zen, Ng und Ho wurde offenbar ihre Rolle im Zusammenhang mit dem 612 Humanitarian Relief Fund zum Verhängnis, für den sie als Treuhänder tätig waren. Der Fond sammelte zwischen 2019 und 2021 mehr als 30 Millionen US-Dollar ein, auch aus dem Ausland. Das Geld kam unter anderem Demonstranten zugute, die im Rahmen der Massenproteste in der Stadt 2019 festgenommen worden waren und nicht die finanziellen Mittel hatten, um sich vor Gericht verteidigen zu können. Ein weiterer Treuhänder war bereits am Dienstag festgenommen worden. Der fünfte befindet sich bereits seit einer Weile in Haft.

Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Verantwortlichen die Auflösung des Fonds verkündet, um einer möglichen Strafverfolgung auf Basis des Sicherheitsgesetzes zu entgehen. Die Behörden hatten damals allerdings schon Ermittlungen eingeleitet, weil sie die Geldströme aus dem Ausland als Verschwörung werteten. Exil-Hongkonger und Parlamentarier beklagten zu diesem Zeitpunkt die systematische Kriminalisierung der Zivilgesellschaft der Stadt (China.Table berichtete).

Zen beklagt den “Ausverkauf der Katholiken” an die KP

Die Festnahme von Kardinal Zen bekommt wegen seines Ranges in der Katholischen Kirche eine besondere Dimension. Jahrelang lagen die Volksrepublik China und der Vatikan im Clinch darüber, wer die Bischöfe des Landes ernennen dürfe. Religion ist der allein regierenden Kommunistischen Partei in marxistischer Tradition grundsätzlich ein Dorn im Auge. Seit Jahrzehnten existieren deswegen in China eine offizielle und eine inoffizielle katholische Kirche. Die offizielle Katholische Patriotische Vereinigung wird von der Partei kontrolliert, die inoffizielle Kirche agiert im Untergrund.

Im Jahr 2018 hatten sich der Vatikan und die Partei schließlich darauf geeinigt, dass die KP die Bischöfe aussuchen dürfe, aber der Papst das letzte Wort über deren Ernennung haben soll. Kardinal Zen kritisierte die Abmachung mit den Worten: “Keine Vereinbarung ist besser als eine schlechte Vereinbarung.” Er beklagte einen Ausverkauf der Gläubigen im Land an die Kommunistische Partei. Die chinesische Regierung “sagt, dass das letzte Wort dem Heiligen Vater gehöre. Das klingt gut, aber es ist eine Täuschung.” Für seine kontroverse Haltung wurde er innerhalb der Kirche scharf kritisiert.

Der Vatikan äußerte sich am Mittwoch in einer kurzen Stellungnahme zu der Festnahme. Ein Sprecher teilte mit, dass man “mit sehr großer Aufmerksamkeit” nach Hongkong schaue, um die dortige Entwicklung im Fall Zen zu verfolgen. Wesentlich schärfer reagierte die slowakische EU-Abgeordnete Miriam Lexmann, Mitglied der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC): “Ich bin schockiert und angewidert von der Verhaftung des mutigen und friedliebenden 90-jährigen Kardinal Zen und der Treuhänder des 612 Humanitarian Relief Fund. Es ist an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU handeln”, forderte sie auf Twitter.

Auch der Zeitpunkt der Festnahmen war bemerkenswert. Erst am Sonntag war der frühere Sicherheitschef der Stadt, John Lee, zum kommenden Chief Executive der Metropole gewählt worden. Lee war der Wunschkandidat der Pekinger Zentralregierung. (China.Table berichtete.) Wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Polizeidienst gilt er als Idealbesetzung, um politischen Dissens in der Stadt im Keim zu ersticken. Der Gründer der Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch, Benedict Rogers, erkannte in den Festnahmen deshalb “zweifellos ein Zeichen dafür, dass Peking beabsichtigt, sein hartes Durchgreifen gegen Grundrechte und Freiheit in Hongkong zu intensivieren.”

Neuer Bischof will zwischen Regierung und Kirche vermitteln

Der Koordinator für den Indopazifik des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Kurt Campbell, äußerte sich derweil besorgt über die Schritte, die in Hongkong unternommen werden, um die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen und auszuschalten. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Lee und andere Hongkonger Funktionäre sowie der KP müssten “für ihren Terror gegen die Menschen” die Konsequenzen zu spüren bekommen, kommentierte EU-Parlamentarierin Lexmann, ohne selbst mögliche Konsequenzen zu formulieren.

Die Festnahme des emeritierten Bischofs Zen dürfte auch in der katholischen Gemeinde in Hongkong mit großer Sorge wahrgenommen werden. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund. Erst vor wenigen Monaten hat der neue Bischof Stephen Chow seinen Posten angetreten. Nach monatelangem Zögern überzeugte ihn erst ein persönliches Schreiben von Papst Franziskus, die Ernennung zu akzeptieren (China.Table berichtete).

Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker habe die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” zu vermitteln, sagte er in seiner Antrittsrede im Dezember.

Zens Festnahme zeigt: Sicherheitskräfte und Staatsanwaltschaft wenden das neue Sicherheitsgesetz konsequent an. 175 pro-demokratische Aktivisten wurden nach offiziellen Angaben seit seiner Einführung verhaftet, 110 wurden angeklagt. Auch andere Kirchenanhänger neben Kardinal Zen hatten diese Entwicklung vorhergesehen. Beispielsweise warnte die Internationale Christliche Gesellschaft ICC davor, dass die chinesische Zentralregierung jede Form des Protests als terroristischen Akt und der Ruf nach Hongkongs Unabhängigkeit von der Volksrepublik als Staatsgefährdung gedeutet würde.

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News

Reise von Bachelet Ende Mai erwartet

Der Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China ist gegen Ende des Monats geplant. Michelle Bachelet werde die seit längerem geplante Reise voraussichtlich Ende Mai antreten, teilte eine Sprecherin der Vereinten Nationen der Nachrichtenagentur Reuters mit. Bachelets Besuch in China wird demnach auch die Region Xinjiang umfassen (China.Table berichtete). Das genaue Reisedatum war bisher nicht bekannt. Bachelets Vorbereitungsteam befindet sich Medienberichten zufolge bereits in der Volksrepublik. rtr

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  • Michelle Bachelet
  • Xinjiang
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Wahl in Hongkong: Kritik der G7, Glückwünsche aus der Wirtschaft

Die G7-Außenminister haben die Ernennung von John Lee zum neuen Regierungschef in Hongkong kritisiert. “Wir sind zutiefst besorgt über diese stetige Aushöhlung der politischen und bürgerlichen Rechte und der Autonomie Hongkongs“, teilten die Außenministerien der G7-Industriestaaten am Montag mit. “Wir fordern den neuen Chef der Exekutive nachdrücklich auf, die im Grundgesetz verankerten geschützten Rechte und Freiheiten in Hongkong zu achten und dafür zu sorgen, dass das Gerichtssystem die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhält.” Zu den G7 gehören neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Kanada, Japan, die USA und Großbritannien.

Lee hatte am Sonntag 1.416 Stimmen des Peking-nahen Wahlausschusses erhalten und folgt damit ab 1. Juli Carrie Lam als Regierungschef in Hongkong (China.Table berichtete). Es gab keinen Gegenkandidaten gegen den 64-Jährigen. Das derzeitige Nominierungsverfahren und die Ernennung stünden “in krassem Gegensatz zum Ziel des allgemeinen Wahlrechts”, teilten die G7 mit. Dadurch würde den Hongkongern die Möglichkeit genommen, sich legitim vertreten zu lassen. Der Vorgang sei ein Teil eines “fortgesetzten Angriffs auf den politischen Pluralismus und die Grundfreiheiten” in Hongkong.

Mit Glückwünschen überhäufte derweil ein Teil der Wirtschaft den künftigen Regierungschef. In örtlichen Zeitungen hatten zahlreiche ortsansässige Firmen am Montag Anzeigen geschaltet – unter anderem die Wirtschaftsprüfer KPMG, Deloitte, EY und PwC. Die Montagsausgabe der Tageszeitung Ta Kung Pao war insgesamt 100 Seiten stark. 85 davon waren Glückwunsch-Anzeigen.

Auch die Mischkonzerne Swire und Jardine Matheson zählten zu den Gratulanten. Beide Firmen hatten ebenso wie die Banken HSBC und Standard Chartered die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong befürwortet. Das Gesetz gilt als Basis für die zunehmende Erosion der Rechtsstaatlichkeit Hongkongs. ari /grz

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  • John Lee

Peking zensiert WHO-Chef

Die großen sozialen Netzwerke Chinas haben kritische Beiträge der Vereinten Nationen zur Null-Covid-Politik der Volksrepublik zensiert. In den Weibo- und Wechat-Beiträgen ging es um eine Aussage des Vorsitzenden der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu. Er hatte gesagt, Chinas Null-Toleranz-Politik zu Covid-19 sei nicht nachhaltig. WeChat hat die Teilen-Funktion bei einem ähnlichen Beitrag der Vereinten Nationen deaktiviert. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums forderte Ghebreyesus auf, “unverantwortliche” Äußerungen zu vermeiden.

“Wir glauben nicht, dass das nachhaltig ist, wenn man sich überlegt, wie sich das Virus verhält und was wir für die Zukunft erwarten können”, hatte WHO-Chef Ghebreyesus am Dienstag gesagt. Er sagte auch, dass eine Verschiebung der Strategie “sehr wichtig” sei. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Peking verteidigte Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Er sagte, China hoffe, dass der Generaldirektor der WHO Chinas Covid-Politik objektiv betrachten könne.

Ghebreyesus wurde zu Beginn der Corona-Pandemie in den westlichen Medien stark dafür kritisiert, dass die WHO mit Pekings Vorgehen zur Aufdeckung des Ursprungs des Coronavirus zu milde verfahren sei. So wurden monatelang keine Wissenschaftler ins Land gelassen, um in Wuhan nach den Ursprüngen der Pandemie zu forschen. niw/rtr

  • Coronavirus
  • Gesundheit
  • WHO

Live-Streaming-Verbot für Minderjährige

China hat das Live-Streaming für Minderjährige verboten.
Live-Streaming boomt in China. Die Regierung will ihre Jugend vor unbegrenztem Konsumieren besser schützen.

Chinas Aufsichtsbehörden haben Minderjährigen das Live-Streaming (直播, zhíbò) im Internet verboten. Damit wolle man “ihre körperliche und geistige Gesundheit” schützen, heißt es in der entsprechenden Erklärung.

Dabei wird die Gruppe der Minderjährigen aufgeteilt: Personen unter 16 Jahren wird jegliches Live-Streaming verboten, während Benutzer zwischen 16 und 18 Jahren die Erlaubnis ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten einholen müssen, bevor sie live gehen können. Weiter heißt es in der Erklärung: “Internetplattformen sollten die Pflicht zur Registrierung des echten Namens strikt umsetzen und das Angebot von Geldspende-Funktionen für Minderjährige wie Bargeldaufladung, Geschenkkauf und Online-Zahlung verbieten.”

Die neuen Bestimmungen wurden am Samstag von vier Aufsichtsbehörden herausgegeben – darunter die National Radio and Television Administration und die Cyberspace Administration of China (CAC).

Wie die Hongkonger “South China Morning Post” berichtet, wollen die Aufsichtsbehörden darüber hinaus, dass Chinas Technologie-Unternehmen ihren “Jugendmodus” verbessern. Es handelt sich hierbei um eine Funktion, die im vergangenen Jahr eingeführt wurde, um Teenager vor Spielsucht und “unangemessenen” Inhalten zu schützen. Seit 2018 gibt es beispielsweise auch eine Schwarze Liste für Influencer, die vermeintlich schlechten Einfluss auf die Gesellschaft und vor allem auf Chinas Jugend ausüben.

Nun werden die Plattformen aufgefordert, spezielle Zensurteams für Jugendinhalte einzusetzen. Zudem müssen die Benutzeraktivitäten im Jugendmodus nach 22 Uhr eingestellt werden, um “sicherzustellen, dass sie genug Zeit zum Ausruhen haben”. Es sind die jüngsten Maßnahmen der Regierung, mit der Peking Minderjährige im Cyberspace besser schützen will.

Sollten die neuen Regeln von den Technologie-Unternehmen nicht umgesetzt werden, drohen die Behörden mit drastischen Maßnahmen, angefangen vom Aussetzen der Geldspende-Funktion bis hin zur kompletten Schließung des Live-Streaming-Geschäfts einzelner Unternehmen. rad

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  • Technologie

Portrait

Da Bai – “Weiße Garden” tanzen und prügeln

Die Da Bai in China sind Helfer:innen in der Seuchenbekämpfung - doch schwingt die Stimmung nun um.
Da Bai in einer U-Bahnstation in Shanghai

Sie tanzen und prügeln, schlagen Haustüren ein, testen Hauskatzen auf Covid-19 und lassen sich manches Mal von alten Damen in die Flucht schlagen – die sogenannten Da Bai (大白), Chinas Covid-Helfer in weißen Einweg-Schutzanzügen sind zum Symbol für den Lockdown-Wahnsinn in der Volksrepublik geworden. Der Spitzname, der sich mit “Weißer Riese” übersetzen lässt, geht auf den freundlichen, aufblasbaren Roboter Baymax aus Disneys gleichnamigen Animationsfilm zurück.

Unter den Anzügen aus Polyethylen stecken Polizisten und medizinisches Personal, aber auch Freiwillige aus allen Berufs-und Gesellschaftsschichten. Auch Ausländer haben sich zum Appell gemeldet, um China etwas zurückzugeben, wie die staatliche Shanghai Media Group ergriffen berichtet. Manche “Da Bai” haben ermutigende Sprüche auf die Rückseite ihrer Anzüge geschrieben: “Shanghai du schaffst das!” Oder: “Wenn das hier vorbei ist, trinken wir alle zusammen einen Milchtee!” Wenn man schon eine 26-Millionen-Metropole mit dystopisch aussehenden Seuchentruppen abriegelt, dann doch bitte freundlich.

Schon beim Covid-Ausbruch in Wuhan 2020 wurden die weißen Helfer von der Staatspropaganda als Helden an vorderster Front inszeniert. Dort sah man die “Da Bai” rund um die Uhr Gebäude desinfizieren, Stäbchen in Rachen stecken, Fieber messen und Lebensmittel verteilen. Oft kämen sie nicht einmal dazu, ihre Anzüge abzulegen, um aufs Klo zu gehen, hieß es. Trotz solcher Unannehmlichkeiten behielten die “Da Bai” angeblich stets eine gute Miene. Weil man das unter Mundschutz, Plastikscharnier und Kapuze aber nur schwer erkennen kann, teilten die Staatsmedien gerne Videos von Schutzanzug-Choreographien. Viral ging etwa ein Beitrag aus Xi’an Anfang des Jahres, in dem die weißen Riesen in Mannschaftsstärke einen Hoppelhasen-Tanz zum Popsong “Penguin’s Game” aufführten.

Doch China wäre nicht China, wenn die Bürger nicht im Rahmen des Möglichen ihr eigenes Ding durchziehen würden. Auf Social-Media-Kanälen kursieren Videos von “Da Bai” bei Schwertkämpfen, beim Corona-Testen von Fischen und Hühnern, bei Jackass-verdächtigen Stunts und Desinfektions-Exzessen auf menschenleeren Straßen. Sogar auf Chinas Dating-Apps sind lasziv geöffnete Schutzanzüge mittlerweile ein Selfie-Trend.

Viele Videos, die zuletzt kursierten, zeigten die “Da Bai” jedoch längst nicht mehr nur als niedliche Chaoten, sondern als gewalttätige und willfährige Sturmtruppen, die auf einem Quarantäne-Todesstern außer Kontrolle geraten scheinen. Die Liste der dokumentierten Entgleisungen ist so lang wie schrecklich: Da sind “Da Bai”, die den Bürgern mit Megaphonen ins Gesicht brüllen, Haustiere erschlagen und Rentner, die nicht in die Quarantäne-Zentren wollen, mit Gewalt auf den Boden zwingen.

Mittlerweile werden die Coronavirus-Helfer sogar als “Weiße Garden” bezeichnet, in Anlehnung an die Roten Garden, die während der Kulturrevolution ihre neu gewonnene Macht in Sadismus gipfeln ließen. Die Empörung über die “Big Whites” käme der Regierung sogar gelegen, sagt Rana Mitter, Professor für chinesische Politik an der Universität Oxford in einem Interview mit der Zeitung JapanTimes. “Sie lenken den Zorn der Bevölkerung von den zentralen Behörden ab.”

Anfang der Woche sah man, wie die weißen Anzüge ohne Inhalt vor Hauseingängen festgezurrt wurden, um die Bewohner davon abzuhalten, vor die Tür zu gehen. Der “Da Bai” ist endgültig zur Vogelscheuche geworden – mal sehen, wie lange sich die Bevölkerung noch von ihm abschrecken lässt. Fabian Peltsch

  • Coronavirus
  • Gesellschaft
  • Gesundheit

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Festnahme von Kardinal Zen kurz nach der Wahl in Hongkong
    • G7 kritisieren Lees Wahl zum Hongkonger Regierungschef
    • UN-Menschenrechtsbeauftragte wohl in Kürze in China
    • Verbreitung von WHO-Stellungnahme verhindert
    • Minderjährige erhalten Livestream-Verbot
    • Porträt: Da Bai wecken Erinnerung an die Roten Garden
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    brisante Nachrichten erreichten die Welt am Mittwochabend aus Hongkong: Kardinal Joseph Zen wurde verhaftet. Dem prominenten Kritiker der chinesischen Regierung und ihrer Religionspolitik wird Verschwörung mit ausländischen Kräften vorgeworfen. Zen ist sowohl der Kommunistischen Partei als auch dem Vatikan ein Dorn im Auge, dem er den Ausverkauf der Christen in China an die KP vorwarf.

    Inzwischen ist Zen auf Kaution wieder auf freiem Fuß. Dennoch dürfte seine Festnahme die Katholiken in Hongkong in Alarmbereitschaft versetzen. Zwar ist der 90-Jährige nicht wegen seines Glaubens verhaftet worden. Dass die Behörden vor dem Geistlichen jedoch nicht haltmachen, dürfen die Christen, aber auch Muslime als Warnung an diejenigen verstehen, die Staat und Partei nicht über die Kirche stellen wollen.

    Konfliktträchtig ist auch die Verleihung des Internationalen Menschenrechtspreises der Stadt Nürnberg. Nachdem bekannt wurde, dass der Preis an eine Zeugin der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang gehen soll, gab es die erwartbaren Proteste aus China. Doch die Verantwortlichen ließen sich nicht einschüchtern. Sayragul Sauytbay, die als eine der ersten auf Folter, Inhaftierungen und die Unterdrückung der Uiguren aufmerksam machte, wird den Menschenrechtspreis am Sonntag erhalten. Gut so!

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    Menschenrechts-Preis: Nürnberg beugt sich dem Druck nicht

    Für Sayragul Sauytbay ist die Auszeichnung eine Würdigung ihres Mutes. Denn sie hat nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt, als sie der Welt Einblicke in die systematischen Menschenrechtsverbrechen durch chinesische Behörden in der autonomen Region Xinjiang lieferte. Am kommenden Sonntagvormittag wird Sauytbay im Opernhaus der Stadt offiziell geehrt.

    Die 45-Jährige arbeitete als Lehrerin im Staatsdienst für kasachisch-stämmige Häftlinge in einem Internierungslager in Xinjiang und lebte dabei selbst unter haftähnlichen Bedingungen. Dort wurde sie Zeugin von Folterungen durch chinesische Beamte. 2018 gelang ihr die Flucht nach Kasachstan. Ihr Mann und ihre Kinder waren bereits zwei Jahre zuvor ausgereist, weil die Entwicklung in Xinjiang der Familie zunehmend Angst bereitet hatte. Sauytbay selbst hatte China jedoch nicht legal verlassen können, weil sie keinen Reisepass besaß. Die Behörden hatten ihr das Dokument abgenommen.

    In dem Buch “Die Kronzeugin” schildert die deutsche Journalistin Alexandra Cavelius die Erfahrungen Sauytbays in dem Lager und berichtet ausführlich von der Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung in Xinjiang.

    Der Nürnberger Menschenrechtspreis ist nicht Sauytbays erste Auszeichnung: 2020 ehrte sie das US-Außenministerium mit dem International Women of Courage Award. Im Herbst des gleichen Jahres wurde sie vom Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages angehört.

    China lässt Städtepartnerschaft fast ruhen

    Die Vergabe des Nürnberger Menschenrechtspreises, die alle zwei Jahre stattfindet, war eigentlich schon für 2021 vorgesehen, aber wegen der Corona-Pandemie verschoben worden. Als die Preisträgerin bekannt gegeben wurde, rief dies reflexartige Proteste der diplomatischen Vertretung Chinas in Deutschland hervor. Der Generalkonsul in München versuchte, die Stadt Nürnberg davon zu überzeugen, dass Sauytbay eine Terroristin und Betrügerin sei, die Lügen verbreite. Im Nürnberg schloss man sich dieser Darstellung jedoch nicht an.

    Als Reaktion darauf schraubte die chinesische Seite ihr Engagement in der Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und Shenzhen in Südchina auf ein Minimum zurück. Die Planungen für die Feierlichkeiten zum anstehenden 25-jährigen Jubiläum der Beziehungen liegen momentan auf Eis, heißt es. Auch die in solchen Fällen gängigen Hinweise auf mögliche Schäden für Geschäftsinteressen Nürnberger Unternehmen in der Volksrepublik seien von chinesischer Seite vermittelt worden.

    Thematisieren möchte die Stadt Nürnberg die chinesischen Reaktionen aber nicht. Dies würde nur die Aufmerksamkeit von der Preisträgerin weglenken. Tatsächlich kam die Stadt den Diplomaten aber dennoch ein kleines Stück entgegen. Nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Berlin verzichtete sie in ihren öffentlichen Mitteilungen auf die Bezeichnung Ost-Turkestan für Xinjiang. Damit knickte Nürnberg jedoch weniger vor chinesischer Entrüstung ein, als dass es üblichen internationalen Standards folgte. “Die gesamte Spitze der Stadt Nürnberg steht hinter der Entscheidung der Jury. Daran ändert sich nichts”, sagte die Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsbüros, Martina Mittenhuber zu China.Table.

    “China Protokolle” lassen Zeugen zu Wort kommen

    Sauytbay hat mit ihrer Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, eine Welle losgetreten, welche die Kommunistische Partei Chinas zunehmend in Erklärungsnot bringt. Die Zahl der Uiguren, Kasachen und anderer ethnischer Minderheiten in Xinjiang, die China öffentlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zum Völkermords anklagen, ist deutlich gestiegen. Einige kommen auch im neuen Buch von Cavelius und Sauytbay zu Wort. Es heißt “China Protokolle” (Europaverlag) und ist 2021 erschienen. Darin legen viele unterschiedliche Stimmen Zeugnis ab von Mord, Folter, Zwangssterilisationen, Organraub, Zwangsarbeit und Vergewaltigungen.

    “In meinem 40-Jährigen Leben in Ost-Turkestan habe ich mit eigenen Augen die Brutalität der KPCh gesehen. Nur wenige Menschen verstehen das Denken dieser politischen Organisation so gut wie wir Zeugen,” schreibt Sauytbay in dem Buch. Und wirbt darum, den Aussagen Beachtung zu schenken.

    Bei der Arbeit an “China Protokolle” machte auch Autorin Cavelius Erfahrungen mit chinesischer Einflussnahme. Ein kasachischer Übersetzer beendete mitten in den Interviews der betroffenen Protagonistinnen seine Arbeit und begann, die Autorin zu diffamieren. “Ich vermute, dass der Mann unter Druck gesetzt worden ist und aus Angst die Seiten gewechselt hat”, sagt Cavelius.

    • Menschenrechte
    • Xinjiang
    • Zivilgesellschaft

    Kardinal Zen in Hongkong festgenommen

    Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden festgenommen.
    Kardinal Joseph Zen, 90, wurde am Mittwoch von den Hongkonger Behörden verhaftet

    Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes hatte der Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun vor zwei Jahren mit einer trotzigen Stellungnahme per Video in sozialen Medien kommentiert. “Wenn richtige und angemessene Worte als Gesetzesverstoß gelten, dann werde ich alle Klagen, Prozesse und Verhaftungen ertragen”, sagte der heute 90-jährige Würdenträger der römisch-katholischen Kirche damals.

    Anklage und Prozess gegen Zen stehen zwar noch aus. Die Festnahme ist seit Mittwoch jedoch Realität. Laut South China Morning Post sei der Kardinal ebenso wie die frühere oppositionelle Abgeordnete Margaret Ng und die pro-demokratische Aktivistin und Künstlerin Denise Ho von der Sicherheitspolizei verhaftet und verhört worden. Der Vorwurf gegen das Trio lautet demnach: Verschwörung mit ausländischen Kräften.

    Zen, Ng und Ho wurde offenbar ihre Rolle im Zusammenhang mit dem 612 Humanitarian Relief Fund zum Verhängnis, für den sie als Treuhänder tätig waren. Der Fond sammelte zwischen 2019 und 2021 mehr als 30 Millionen US-Dollar ein, auch aus dem Ausland. Das Geld kam unter anderem Demonstranten zugute, die im Rahmen der Massenproteste in der Stadt 2019 festgenommen worden waren und nicht die finanziellen Mittel hatten, um sich vor Gericht verteidigen zu können. Ein weiterer Treuhänder war bereits am Dienstag festgenommen worden. Der fünfte befindet sich bereits seit einer Weile in Haft.

    Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Verantwortlichen die Auflösung des Fonds verkündet, um einer möglichen Strafverfolgung auf Basis des Sicherheitsgesetzes zu entgehen. Die Behörden hatten damals allerdings schon Ermittlungen eingeleitet, weil sie die Geldströme aus dem Ausland als Verschwörung werteten. Exil-Hongkonger und Parlamentarier beklagten zu diesem Zeitpunkt die systematische Kriminalisierung der Zivilgesellschaft der Stadt (China.Table berichtete).

    Zen beklagt den “Ausverkauf der Katholiken” an die KP

    Die Festnahme von Kardinal Zen bekommt wegen seines Ranges in der Katholischen Kirche eine besondere Dimension. Jahrelang lagen die Volksrepublik China und der Vatikan im Clinch darüber, wer die Bischöfe des Landes ernennen dürfe. Religion ist der allein regierenden Kommunistischen Partei in marxistischer Tradition grundsätzlich ein Dorn im Auge. Seit Jahrzehnten existieren deswegen in China eine offizielle und eine inoffizielle katholische Kirche. Die offizielle Katholische Patriotische Vereinigung wird von der Partei kontrolliert, die inoffizielle Kirche agiert im Untergrund.

    Im Jahr 2018 hatten sich der Vatikan und die Partei schließlich darauf geeinigt, dass die KP die Bischöfe aussuchen dürfe, aber der Papst das letzte Wort über deren Ernennung haben soll. Kardinal Zen kritisierte die Abmachung mit den Worten: “Keine Vereinbarung ist besser als eine schlechte Vereinbarung.” Er beklagte einen Ausverkauf der Gläubigen im Land an die Kommunistische Partei. Die chinesische Regierung “sagt, dass das letzte Wort dem Heiligen Vater gehöre. Das klingt gut, aber es ist eine Täuschung.” Für seine kontroverse Haltung wurde er innerhalb der Kirche scharf kritisiert.

    Der Vatikan äußerte sich am Mittwoch in einer kurzen Stellungnahme zu der Festnahme. Ein Sprecher teilte mit, dass man “mit sehr großer Aufmerksamkeit” nach Hongkong schaue, um die dortige Entwicklung im Fall Zen zu verfolgen. Wesentlich schärfer reagierte die slowakische EU-Abgeordnete Miriam Lexmann, Mitglied der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC): “Ich bin schockiert und angewidert von der Verhaftung des mutigen und friedliebenden 90-jährigen Kardinal Zen und der Treuhänder des 612 Humanitarian Relief Fund. Es ist an der Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU handeln”, forderte sie auf Twitter.

    Auch der Zeitpunkt der Festnahmen war bemerkenswert. Erst am Sonntag war der frühere Sicherheitschef der Stadt, John Lee, zum kommenden Chief Executive der Metropole gewählt worden. Lee war der Wunschkandidat der Pekinger Zentralregierung. (China.Table berichtete.) Wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Polizeidienst gilt er als Idealbesetzung, um politischen Dissens in der Stadt im Keim zu ersticken. Der Gründer der Menschenrechtsorganisation Hongkong Watch, Benedict Rogers, erkannte in den Festnahmen deshalb “zweifellos ein Zeichen dafür, dass Peking beabsichtigt, sein hartes Durchgreifen gegen Grundrechte und Freiheit in Hongkong zu intensivieren.”

    Neuer Bischof will zwischen Regierung und Kirche vermitteln

    Der Koordinator für den Indopazifik des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Kurt Campbell, äußerte sich derweil besorgt über die Schritte, die in Hongkong unternommen werden, um die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen und auszuschalten. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Lee und andere Hongkonger Funktionäre sowie der KP müssten “für ihren Terror gegen die Menschen” die Konsequenzen zu spüren bekommen, kommentierte EU-Parlamentarierin Lexmann, ohne selbst mögliche Konsequenzen zu formulieren.

    Die Festnahme des emeritierten Bischofs Zen dürfte auch in der katholischen Gemeinde in Hongkong mit großer Sorge wahrgenommen werden. Gut zwölf Prozent der Bürger der Stadt bekennen sich zum Christentum. Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen haben oft einen christlichen Hintergrund. Erst vor wenigen Monaten hat der neue Bischof Stephen Chow seinen Posten angetreten. Nach monatelangem Zögern überzeugte ihn erst ein persönliches Schreiben von Papst Franziskus, die Ernennung zu akzeptieren (China.Table berichtete).

    Der in Hongkong geborene und in den USA zum Psychologen ausgebildete Kleriker habe die schwierige Aufgabe, “zwischen der Regierung und der Kirche in Hongkong sowie zwischen Katholiken und Christen anderer Konfessionen und Religionen” zu vermitteln, sagte er in seiner Antrittsrede im Dezember.

    Zens Festnahme zeigt: Sicherheitskräfte und Staatsanwaltschaft wenden das neue Sicherheitsgesetz konsequent an. 175 pro-demokratische Aktivisten wurden nach offiziellen Angaben seit seiner Einführung verhaftet, 110 wurden angeklagt. Auch andere Kirchenanhänger neben Kardinal Zen hatten diese Entwicklung vorhergesehen. Beispielsweise warnte die Internationale Christliche Gesellschaft ICC davor, dass die chinesische Zentralregierung jede Form des Protests als terroristischen Akt und der Ruf nach Hongkongs Unabhängigkeit von der Volksrepublik als Staatsgefährdung gedeutet würde.

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    Reise von Bachelet Ende Mai erwartet

    Der Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China ist gegen Ende des Monats geplant. Michelle Bachelet werde die seit längerem geplante Reise voraussichtlich Ende Mai antreten, teilte eine Sprecherin der Vereinten Nationen der Nachrichtenagentur Reuters mit. Bachelets Besuch in China wird demnach auch die Region Xinjiang umfassen (China.Table berichtete). Das genaue Reisedatum war bisher nicht bekannt. Bachelets Vorbereitungsteam befindet sich Medienberichten zufolge bereits in der Volksrepublik. rtr

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    Wahl in Hongkong: Kritik der G7, Glückwünsche aus der Wirtschaft

    Die G7-Außenminister haben die Ernennung von John Lee zum neuen Regierungschef in Hongkong kritisiert. “Wir sind zutiefst besorgt über diese stetige Aushöhlung der politischen und bürgerlichen Rechte und der Autonomie Hongkongs“, teilten die Außenministerien der G7-Industriestaaten am Montag mit. “Wir fordern den neuen Chef der Exekutive nachdrücklich auf, die im Grundgesetz verankerten geschützten Rechte und Freiheiten in Hongkong zu achten und dafür zu sorgen, dass das Gerichtssystem die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhält.” Zu den G7 gehören neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Kanada, Japan, die USA und Großbritannien.

    Lee hatte am Sonntag 1.416 Stimmen des Peking-nahen Wahlausschusses erhalten und folgt damit ab 1. Juli Carrie Lam als Regierungschef in Hongkong (China.Table berichtete). Es gab keinen Gegenkandidaten gegen den 64-Jährigen. Das derzeitige Nominierungsverfahren und die Ernennung stünden “in krassem Gegensatz zum Ziel des allgemeinen Wahlrechts”, teilten die G7 mit. Dadurch würde den Hongkongern die Möglichkeit genommen, sich legitim vertreten zu lassen. Der Vorgang sei ein Teil eines “fortgesetzten Angriffs auf den politischen Pluralismus und die Grundfreiheiten” in Hongkong.

    Mit Glückwünschen überhäufte derweil ein Teil der Wirtschaft den künftigen Regierungschef. In örtlichen Zeitungen hatten zahlreiche ortsansässige Firmen am Montag Anzeigen geschaltet – unter anderem die Wirtschaftsprüfer KPMG, Deloitte, EY und PwC. Die Montagsausgabe der Tageszeitung Ta Kung Pao war insgesamt 100 Seiten stark. 85 davon waren Glückwunsch-Anzeigen.

    Auch die Mischkonzerne Swire und Jardine Matheson zählten zu den Gratulanten. Beide Firmen hatten ebenso wie die Banken HSBC und Standard Chartered die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong befürwortet. Das Gesetz gilt als Basis für die zunehmende Erosion der Rechtsstaatlichkeit Hongkongs. ari /grz

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    Peking zensiert WHO-Chef

    Die großen sozialen Netzwerke Chinas haben kritische Beiträge der Vereinten Nationen zur Null-Covid-Politik der Volksrepublik zensiert. In den Weibo- und Wechat-Beiträgen ging es um eine Aussage des Vorsitzenden der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu. Er hatte gesagt, Chinas Null-Toleranz-Politik zu Covid-19 sei nicht nachhaltig. WeChat hat die Teilen-Funktion bei einem ähnlichen Beitrag der Vereinten Nationen deaktiviert. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums forderte Ghebreyesus auf, “unverantwortliche” Äußerungen zu vermeiden.

    “Wir glauben nicht, dass das nachhaltig ist, wenn man sich überlegt, wie sich das Virus verhält und was wir für die Zukunft erwarten können”, hatte WHO-Chef Ghebreyesus am Dienstag gesagt. Er sagte auch, dass eine Verschiebung der Strategie “sehr wichtig” sei. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Peking verteidigte Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Er sagte, China hoffe, dass der Generaldirektor der WHO Chinas Covid-Politik objektiv betrachten könne.

    Ghebreyesus wurde zu Beginn der Corona-Pandemie in den westlichen Medien stark dafür kritisiert, dass die WHO mit Pekings Vorgehen zur Aufdeckung des Ursprungs des Coronavirus zu milde verfahren sei. So wurden monatelang keine Wissenschaftler ins Land gelassen, um in Wuhan nach den Ursprüngen der Pandemie zu forschen. niw/rtr

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    Live-Streaming-Verbot für Minderjährige

    China hat das Live-Streaming für Minderjährige verboten.
    Live-Streaming boomt in China. Die Regierung will ihre Jugend vor unbegrenztem Konsumieren besser schützen.

    Chinas Aufsichtsbehörden haben Minderjährigen das Live-Streaming (直播, zhíbò) im Internet verboten. Damit wolle man “ihre körperliche und geistige Gesundheit” schützen, heißt es in der entsprechenden Erklärung.

    Dabei wird die Gruppe der Minderjährigen aufgeteilt: Personen unter 16 Jahren wird jegliches Live-Streaming verboten, während Benutzer zwischen 16 und 18 Jahren die Erlaubnis ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten einholen müssen, bevor sie live gehen können. Weiter heißt es in der Erklärung: “Internetplattformen sollten die Pflicht zur Registrierung des echten Namens strikt umsetzen und das Angebot von Geldspende-Funktionen für Minderjährige wie Bargeldaufladung, Geschenkkauf und Online-Zahlung verbieten.”

    Die neuen Bestimmungen wurden am Samstag von vier Aufsichtsbehörden herausgegeben – darunter die National Radio and Television Administration und die Cyberspace Administration of China (CAC).

    Wie die Hongkonger “South China Morning Post” berichtet, wollen die Aufsichtsbehörden darüber hinaus, dass Chinas Technologie-Unternehmen ihren “Jugendmodus” verbessern. Es handelt sich hierbei um eine Funktion, die im vergangenen Jahr eingeführt wurde, um Teenager vor Spielsucht und “unangemessenen” Inhalten zu schützen. Seit 2018 gibt es beispielsweise auch eine Schwarze Liste für Influencer, die vermeintlich schlechten Einfluss auf die Gesellschaft und vor allem auf Chinas Jugend ausüben.

    Nun werden die Plattformen aufgefordert, spezielle Zensurteams für Jugendinhalte einzusetzen. Zudem müssen die Benutzeraktivitäten im Jugendmodus nach 22 Uhr eingestellt werden, um “sicherzustellen, dass sie genug Zeit zum Ausruhen haben”. Es sind die jüngsten Maßnahmen der Regierung, mit der Peking Minderjährige im Cyberspace besser schützen will.

    Sollten die neuen Regeln von den Technologie-Unternehmen nicht umgesetzt werden, drohen die Behörden mit drastischen Maßnahmen, angefangen vom Aussetzen der Geldspende-Funktion bis hin zur kompletten Schließung des Live-Streaming-Geschäfts einzelner Unternehmen. rad

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    Portrait

    Da Bai – “Weiße Garden” tanzen und prügeln

    Die Da Bai in China sind Helfer:innen in der Seuchenbekämpfung - doch schwingt die Stimmung nun um.
    Da Bai in einer U-Bahnstation in Shanghai

    Sie tanzen und prügeln, schlagen Haustüren ein, testen Hauskatzen auf Covid-19 und lassen sich manches Mal von alten Damen in die Flucht schlagen – die sogenannten Da Bai (大白), Chinas Covid-Helfer in weißen Einweg-Schutzanzügen sind zum Symbol für den Lockdown-Wahnsinn in der Volksrepublik geworden. Der Spitzname, der sich mit “Weißer Riese” übersetzen lässt, geht auf den freundlichen, aufblasbaren Roboter Baymax aus Disneys gleichnamigen Animationsfilm zurück.

    Unter den Anzügen aus Polyethylen stecken Polizisten und medizinisches Personal, aber auch Freiwillige aus allen Berufs-und Gesellschaftsschichten. Auch Ausländer haben sich zum Appell gemeldet, um China etwas zurückzugeben, wie die staatliche Shanghai Media Group ergriffen berichtet. Manche “Da Bai” haben ermutigende Sprüche auf die Rückseite ihrer Anzüge geschrieben: “Shanghai du schaffst das!” Oder: “Wenn das hier vorbei ist, trinken wir alle zusammen einen Milchtee!” Wenn man schon eine 26-Millionen-Metropole mit dystopisch aussehenden Seuchentruppen abriegelt, dann doch bitte freundlich.

    Schon beim Covid-Ausbruch in Wuhan 2020 wurden die weißen Helfer von der Staatspropaganda als Helden an vorderster Front inszeniert. Dort sah man die “Da Bai” rund um die Uhr Gebäude desinfizieren, Stäbchen in Rachen stecken, Fieber messen und Lebensmittel verteilen. Oft kämen sie nicht einmal dazu, ihre Anzüge abzulegen, um aufs Klo zu gehen, hieß es. Trotz solcher Unannehmlichkeiten behielten die “Da Bai” angeblich stets eine gute Miene. Weil man das unter Mundschutz, Plastikscharnier und Kapuze aber nur schwer erkennen kann, teilten die Staatsmedien gerne Videos von Schutzanzug-Choreographien. Viral ging etwa ein Beitrag aus Xi’an Anfang des Jahres, in dem die weißen Riesen in Mannschaftsstärke einen Hoppelhasen-Tanz zum Popsong “Penguin’s Game” aufführten.

    Doch China wäre nicht China, wenn die Bürger nicht im Rahmen des Möglichen ihr eigenes Ding durchziehen würden. Auf Social-Media-Kanälen kursieren Videos von “Da Bai” bei Schwertkämpfen, beim Corona-Testen von Fischen und Hühnern, bei Jackass-verdächtigen Stunts und Desinfektions-Exzessen auf menschenleeren Straßen. Sogar auf Chinas Dating-Apps sind lasziv geöffnete Schutzanzüge mittlerweile ein Selfie-Trend.

    Viele Videos, die zuletzt kursierten, zeigten die “Da Bai” jedoch längst nicht mehr nur als niedliche Chaoten, sondern als gewalttätige und willfährige Sturmtruppen, die auf einem Quarantäne-Todesstern außer Kontrolle geraten scheinen. Die Liste der dokumentierten Entgleisungen ist so lang wie schrecklich: Da sind “Da Bai”, die den Bürgern mit Megaphonen ins Gesicht brüllen, Haustiere erschlagen und Rentner, die nicht in die Quarantäne-Zentren wollen, mit Gewalt auf den Boden zwingen.

    Mittlerweile werden die Coronavirus-Helfer sogar als “Weiße Garden” bezeichnet, in Anlehnung an die Roten Garden, die während der Kulturrevolution ihre neu gewonnene Macht in Sadismus gipfeln ließen. Die Empörung über die “Big Whites” käme der Regierung sogar gelegen, sagt Rana Mitter, Professor für chinesische Politik an der Universität Oxford in einem Interview mit der Zeitung JapanTimes. “Sie lenken den Zorn der Bevölkerung von den zentralen Behörden ab.”

    Anfang der Woche sah man, wie die weißen Anzüge ohne Inhalt vor Hauseingängen festgezurrt wurden, um die Bewohner davon abzuhalten, vor die Tür zu gehen. Der “Da Bai” ist endgültig zur Vogelscheuche geworden – mal sehen, wie lange sich die Bevölkerung noch von ihm abschrecken lässt. Fabian Peltsch

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    China.Table Redaktion

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