der Augenzeugenbericht von Mihrigul Tursun erschüttert derzeit seine ersten Leser. Die Uigurin war in Xinjiang in einem der gefürchteten Lager interniert. Eines ihrer Kinder ist in dieser Zeit unter ungeklärten Umständen gestorben. Tursun hatte durch ein Auslandsstudium den Verdacht der Behörden auf sich gezogen. Sie hat ihre Erfahrungen in einem Buch niedergelegt, das in der vergangenen Woche erschienen ist: “Ort ohne Wiederkehr”.
Solche Zeugnisse von den Vorgängen in Xinjiang sind wichtig. Schließlich versucht China die Ereignisse in Xinjiang mit allen Mitteln zu verbergen. Die Lager existierten nicht, hieß es zuerst. Dann, sie dienten nur der beruflichen Weiterbildung. Aus Tursuns Buch geht nun klar hervor: Es handelt sich zumindest zum Teil um Orte der Folter. Im Gespräch mit Marcel Grzanna berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Unsere zweite Analyse dreht sich um einen Streitpunkt zwischen der EU und China beim Klimaschutz. Die EU möchte im Rahmen ihres Programms “Fit for 55” eine komplizierte CO2-Grenzabgabe einführen, über deren Ausgestaltung noch gerungen wird. Sie soll verhindern, dass Produkte aus Ländern mit niedrigeren CO2-Preisen zu günstig auf den EU-Markt kommen und hiesige Klimaschutz-Bemühungen unterlaufen. Ning Wang hat die Pläne unter die Lupe genommen und erklärt die Konfliktlinien. China schaut mit Argusaugen auf das Projekt, da es hohe Kosten fürchtet.
Einen guten Start in die Woche wünscht
Die Behörden in Xinjiang haben Mihrigul Tursun vorgeworfen: Sie denke “zu uigurisch”. Dreimal saß sie für mehrere Wochen in Internierungslagern ein, wird geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert. Eines ihrer Babys starb unter ungeklärten Umständen in der Obhut der Behörden. Ganze 18 Visaäntrage stellte derweil ihr ägyptischer Ehemann in der chinesischen Botschaft in Kairo, bis man ihn 2018 einreisen ließ. Gegen die Zusage, im Ausland nicht wegen des toten Kindes vor Gericht zu gehen, gewährte man Tursun die Rückkehr nach Ägypten. Hilfe suchte sie schließlich in den USA, wo sie Asyl beantragt und vor dem Kongress ausgesagt hat. Jetzt hat Tursun gemeinsam mit der deutschen Journalistin Andrea C. Hoffmann ihre Erfahrungen in einem Buch aufgeschrieben. “Ort ohne Wiederkehr – Wie ich als Uigurin Chinas Lager überlebte” (Heyne, 277 Seiten) ist ein erschreckendes Zeugnis chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang.
Frau Tursun, welche Erinnerungen haben Sie an die Olympischen Spiele 2008?
Damals war ich sehr stolz, dass China die Olympischen Spiele ausrichtete, und ich habe die Wettkämpfe mit Freude im Fernsehen verfolgt. Mir war damals gar nicht klar, dass Olympische Spiele alle vier Jahre immer an einem anderen Ort stattfinden. Durch die Propaganda war ich fest davon überzeugt, dass überhaupt nur China in der Lage sein würde, solch eine Veranstaltung auszurichten.
Warum?
Weil alles, was uns durch staatliche Medien über das Ausland vermittelt wurde, nur aus Chaos und Unvermögen bestand. Überall war die Welt schlecht, nur in China war das Leben sicher und gut. Das war nicht nur meine Meinung, sondern die Meinung der meisten Leute, die ich kannte. Erst als ich ins Ausland gegangen bin, habe ich überhaupt begriffen, dass anderswo in der Welt das Leben lebenswert sein kann und andere Gesellschaften durchaus gute Fähigkeiten besitzen.
In der kommenden Woche beginnen erneut Olympische Spiele in Peking. Was empfinden Sie heute?
Ich schaue mit Abscheu auf diese Spiele. Ich würde mir wünsche, dass die ganze Welt diese Spiele boykottiert. Wenn alle einmal besser verstanden haben, was in China und speziell in Xinjiang eigentlich genau passiert, dann werden viele ihre Teilnahme an diesen Spielen vielleicht später einmal bereuen.
Tatsächlich nimmt in demokratischen Staaten das Bewusstsein für die Katastrophe in Xinjiang immer mehr zu. Vergangene Woche hat das französische Parlament die dortigen Menschenrechtsverbrechen als Genozid verurteilt.
Ich habe richtig gejubelt und bin so dankbar für dieses Signal der Franzosen. Hier bei uns in Washington sind Leute auf die Straße gegangen und haben französische Flaggen geschwenkt.
Deutschland tut sich schwer mit der Bezeichnung Genozid.
Ich hoffe, das ändert sich. Deutschland genießt bei den Uiguren einen sehr hohen Stellenwert, weil wir mit dem Qualitätssiegel “Made in Germany” im Kopf aufgewachsen sind. In unserer Vorstellung war Deutschland ein perfektes Land, das alles richtig macht.
Der Volkswagen-Chef hat einmal gesagt, er wisse nichts von Lagern in Xinjiang.
Geld zu verdienen ist nicht alles. Es kommt und geht. Am Ende des Lebens bleibt nur die Frage, was hast du für die Menschlichkeit auf der Welt getan. Irgendwann wird das Gewissen von Herrn Diess auch ihm diese Frage stellen. Er sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sein Land repräsentiert und dessen Image prägt. Viele Menschen vertrauen Deutschland. Wenn er gute Geschäfte mit China für wichtiger hält, dann wird das auch das Vertrauen in sein Land erschüttern.
Warum sind Sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen?
Politik war mir immer völlig egal. Ich habe mich immer gefragt, warum Menschen nicht einfach in Frieden leben. Aber die chinesische Regierung hat meiner Familie, meinem Volk und mir entsetzliche Dinge angetan. Sie foltern und töten uns. Allein während meiner insgesamt drei Monate Haftzeit sind neun Menschen gestorben, wo ich eingesperrt war. Warum tun sie uns das an? Darauf möchte ich eine Antwort.
Fürchten Sie chinesischer Rache?
Nein, ich bin bereit dafür zu sterben, weil ich überzeugt bin, das Richtige zu tun. Sie haben mein Kind genommen und meine Familie. Ich habe meine Hoffnung, meine Träume, meine Gesundheit verloren. Ich hatte das Gefühl, als sei ich tot. Aber mein zweites Leben hat mir gesagt, kümmere dich um deine beiden anderen Kinder.
Gab es Drohungen gegen Sie?
Ja, man droht, meine gesamte Familie einzusperren. Mein Vater rief mich an. Eine Stimme im Hintergrund befahl ihm zu reden. Er sagte, ich solle mich bei der chinesischen Botschaft melden. Dort würde man mir helfen. Es gab auch mehrere Vorfälle, nachdem ich vor dem US-Kongress ausgesagt hatte. Ich wurde verfolgt und ich habe Nachrichten erhalten. Einmal wurde mein Taxi von einem gestohlenen Fahrzeug gerammt. Der andere Fahrer holte eine Waffe heraus und zielte auf mich. Mein Taxifahrer hat meinen Kopf heruntergedrückt und ist losgerast. Ich habe all diese Fälle dem FBI gemeldet. Das ist jetzt zwei Jahre her. Seit der Buchveröffentlichung gab es noch keine Drohung.
Gibt es Momente, in denen Sie wieder unbeschwert sein können?
Nein, das habe ich noch nicht erlebt. Ich wünschte manchmal, mein Arzt hätte die Möglichkeit, meine schrecklichen Erinnerungen zu löschen, sodass ich wieder unbeschwert leben könnte.
Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Ich fühle mich in den USA sicher. Ich hoffe, dass mein Asylantrag bald genehmigt wird und ich dann zusammen mit meiner Familie hier für den Rest meines Lebens bleiben kann.
Die EU hat ein ehrgeiziges Klimaprogramm verabschiedet, den “European Green Deal”. Die Ziele sind ambitioniert. Bis 2030 will die EU die CO2-Emissionen um 55 Prozent senken. Bis zum Jahr 2050 soll der Kontinent klimaneutral sein. Doch der Weg dorthin ist kompliziert: Das Maßnahmenpaket “Fit-for-55” ist gewaltig, und um die Details wird heftig gerungen. Trotzdem soll das Paket in weiten Teilen noch 2022 beschlossen werden.
Manche Bestandteile haben große Auswirkungen auf die Handelspartner der EU – darunter auch China. Der größte Brocken in dieser Hinsicht ist der geplante CO2-Grenzausgleich (“Carbon Border Adjustment Mechanism” – CBAM). Auf dieses Projekt blickt die Regierung in Peking mit großer Sorge – auch weil die chinesische Regierung nicht recht weiß, was auf ihre Unternehmen zukommt. Die Befürchtung ist, dass die EU mit ihren neuen Regeln den Import chinesischer Waren verteuert.
Der CBAM soll verhindern, dass Waren aus Ländern mit weniger strengen Emissionsregeln und niedrigeren CO2-Preisen mit in Europa hergestellten Waren konkurrieren, die durch einen höheren CO2-Preis teurer sind. Denn damit könnten klimaschädlichere Produkte die EU-Konkurrenz preislich unterbieten. Der CBAM ist daher eng verknüpft mit dem Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS), das den Preis für die Treibhausgas-Emissionen in Europa bestimmt. Anders gesagt: Wenn China aus europäischer Sicht den CO2-Ausstoß seiner Unternehmen nicht genug bepreist, dann schlägt die EU bei der Einfuhr noch etwas drauf.
Damit will die EU sicherstellen, dass sie ihre Klimaziele erreichen kann, ohne dass energieintensive Industriezweige ins Ausland abwandern. Der Vorgang ist als “Carbon-Leakage” bekannt: Die Industrie verlagert emissionsreiche Prozesse einfach in andere Weltgegenden und spart Geld – ohne dass dem Klima geholfen wäre. Kritiker befürchten durch CBAM jedoch auch Handelskonflikte mit Drittstaaten wie China (Europe.Table berichtete).
Das EU-ETS funktioniert nach dem Cap-and-Trade-Prinzip. Die EU verteilt nach bestimmten Kriterien eine festgelegte Menge an Emissionsrechten (Cap) an die Unternehmen. Firmen, die ihre Emissionen stärker reduzieren als nötig, können die übrigen Zertifikate am Markt verkaufen (Trade). Ein Preis für den Ausstoß von CO2 entsteht (Europe.Table berichtete).
Die Höhe des künftigen CO2-Grenzausgleichs soll sich am CO2-Preis des ETS orientieren, den europäische Unternehmen dort im Wochendurchschnitt für die Ersteigerung von EU-Emissionszertifikaten zahlen müssen. Unternehmen aus Drittstaaten sollen dabei CO2-Preise, die sie in ihrem Heimatland zahlen müssen, geltend machen können. Der CBAM soll 2023 in die Pilotphase gehen und von 2026 bis 2035 nach und nach umgesetzt werden.
In Chinas ETS liegt der CO2-Preis aktuell deutlich niedriger (China.Table berichtete). Dort kostet die Berechtigung zur Emission einer Tonne C02 derzeit umgerechnet rund acht Euro, während dieser Preis in der EU bei 80 Euro pro Tonne liegt. Chinesische Exportunternehmen werden also künftig voraussichtlich einen hohen CO2-Zoll zahlen müssen. Und so ist es kein Wunder, dass Peking mit wenig Begeisterung auf das CBAM-Projekt reagiert (China.Table berichtete).
Laut einer Studie von Chatham House gehört China zu den fünf Ländern, die am stärksten vom CBAM betroffen wären. Denn China exportiert mehr Waren und Dienstleistungen in die EU als jedes andere Land der Welt. 2020 wurden zwischen China und der EU Waren im Wert von 586 Milliarden Euro ausgetauscht. Das entsprach laut Daten des Statistischen Bundesamts 16 Prozent des EU-Außenhandels. Zum Vergleich: Die USA lagen bei 15 Prozent.
Heftige Auswirkungen drohen China vor allem in Sektoren mit überdurchschnittlich hohen Emissionen, vor allem in der Schwerindustrie. Beispiel Eisen und Stahl: In diesem Sektor ist China der zweitgrößte Exporteur in die EU (nach Daten von 2015-2019). Aber auch die energieintensive Aluminiumindustrie wäre stark von einem CO2-Grenzausgleich betroffen (China.Table berichtete). Folglich erwarten Experten vor allem in diesen Sektoren großen Widerstand aus der Volksrepublik.
Doch noch ist es angesichts der Uneinigkeit innerhalb der EU über die CBAM-Ausgestaltung schwierig, die Auswirkungen genau zu bestimmen. “Die chinesische Seite ist nicht nur besorgt darüber, wie das CBAM-System in seiner Anfangsphase aussieht – sondern auch darüber, wie es sich weiterentwickeln könnte”, sagt Lina Li, Senior Managerin im Themenbereich Emissionshandel und Marktmechanismen bei dem Umwelt- und Klimaberatungsunternehmen Adelphi. Gerade die Debatte über eine Ausweitung des CBAM-Geltungsbereichs und die Einbindung indirekter Emissionen lösten bei chinesischen Interessengruppen Sorge aus, so Li. Die EU-Kommission hat in ihrem CBAM-Vorschlag Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und die Stromerzeugung als einzubeziehende Branchen genannt. Aus dem EU-Parlament aber kam kürzlich der Vorschlag, auch organische Chemikalien, Wasserstoff und Polymere einzubeziehen (Europe.Table berichtete).
Die finanziellen CBAM-Auswirkungen auf China könnten damit künftig stark wachsen, sagt Lina Li. Einer Studie des Entwicklungsforschungszentrums des Staatsrates in Peking zufolge könnten die CBAM-Pläne der EU Chinas Wirtschaftswachstum um bis zu 0,64 Prozentpunkte reduzieren. Das könnte Millionen von Arbeitsplätze in der Fertigung kosten. Die Exportkosten in die EU könnte CBAM um drei Prozent verteuern und somit die Exporte von Industriegütern in die EU um 13 Prozent senken. Hinzu kommt: Wenn die CO2-Preisdifferenz im ETS des Herkunftslandes, also etwa China, mit dem des EU-ETS groß ist, “dann wachsen die Kosten für betroffene Unternehmen im Rahmen des CBAM.” Und das ist aktuell der Fall.
Kaum ein Land sorgt sich laut Li so sehr wie China. “Wir führen Gespräche mit Experten aus Afrika, die befürchten, dass CBAM sie hart treffen könnte. Doch die Volumina aus Afrika sind vernachlässigbar gering”, sagt Li zu China.Table. Auch die USA seien weniger besorgt als China, da ihre Produktion eine höhere Effizienz und niedrigere Emissionen aufweise, so die Expertin.
Und Chinas ETS wird zumindest kurzfristig nicht kompatibel werden mit dem EU-ETS. Corinne Abele, Leiterin der Außenwirtschaft der GTAI in Shanghai, geht davon aus, dass der Preis für CO2-Emissionen in China weiterhin deutlich unter dem Preisniveau des europäischen ETS bleiben wird. Eine Verknüpfung des chinesischen ETS mit anderen internationalen Systemen sei daher vorerst kaum möglich.
Auch umfasst das chinesische ETS bisher deutlich weniger Industrien. Bisher sind nur gut 2.200 Unternehmen aus der Energiebranche beteiligt. Es wird aber erwartet, dass in diesem Jahr zwei Industriesektoren dazukommen. So sei schon dieses Jahr die Aufnahme der Aluminium-Branche möglich, meint Lina Li. Bis zu sieben weitere Branchen sollen in den kommenden fünf Jahren dazukommen:
China bringe sich damit in eine gute Position, um mit der EU bilaterale Abkommen zur Verminderung der Auswirkungen durch CBAM zu erörtern, glaubt Li.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte April 2020 in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron betont, dass der Klimawandel nicht als Instrument für geopolitische Verhandlungen missbraucht werden sollte. Vertreter betroffener Branchen erinnern sich nur zu gut daran. So sehr, dass die europäische Aluminiumindustrie gleich nach der Vorstellung des EU-Klimapakets im Sommer 2021 mutmaßte, dass China um jeden Preis Wege finden werde, den CBAM zu unterlaufen (China.Table berichtete). Über die Details des CBAM wird innerhalb der EU noch viel zu verhandeln sein – und wohl auch mit China.
Der olympische Goldmedaillengewinner Georg Hackl sieht den Ablauf der Olympischen Winterspiele in Peking durch die Omikron-Welle gefährdet. Der 55-Jährige bezweifelte in einem Interview mit der Welt am Sonntag die Durchführbarkeit der Wettkämpfe, wenn laufend Teile verschiedener Teams in Isolation müssen. Er entwarf das Szenario eines positiven Tests im Team direkt nach Ankunft in Peking. Das würde ganze Mannschaften von der Teilnahme ausschließen.
Auch der Chef des deutschen Snowboard-Verbandes, Michael Hölzl, erwartet in China Probleme mit der Coronavirus-Situation. In einem Podcast warnte er, China könnte Athleten mit falsch positiven Covid-Tests kaltstellen, um unliebsame Konkurrenz von den Wettkämpfen fernzuhalten. Das IOC verteidigte unterdessen das chinesische Test-Regime. Es sei ein legitimes Ziel, Omikron nicht in die olympische Blase zu lassen.
Auch Chinas Behörden blicken besorgt auf die Corona-Entwicklung. Alle Bewohner des Pekinger Bezirks Fengtai müssen sich derzeit Corona-Tests unterziehen. In Fengtai waren sechs neue Corona-Infektionen nachgewiesen worden, bei denen Infizierte auch Symptome zeigten. In ganz Peking waren es neun Fälle.
Die Organisatoren der Winterspiele teilten zudem am Sonntag mit, dass sie 72 Fälle von Covid unter den 2.586 Helfern und Mitarbeitern identifiziert haben. Die positiv getesteten Personen kamen zwischen dem 4. und dem 22. Januar in China an. Unter 171 Athleten und Funktionären, die in diesem Zeitraum einreisten, traten jedoch keine Fälle auf. Die Spiele beginnen am 4. Februar. fin/rtr
Die US-Regierung wird 44 Flüge der chinesischen Fluglinien Air China, China Southern Airlines, China Eastern Airlines und Xiamen Airlines aus den USA in die Volksrepublik vorläufig streichen. Damit reagierte die US-Regierung auf die Entscheidung der chinesischen Regierung, Flüge von US-Fluggesellschaften wegen Covid-Bedenken auszusetzen. Die Aussetzungen beginnen nach Angaben des US-Verkehrsministeriums am 30. Januar mit dem Linienflug der Xiamen Airlines von Los Angeles nach Xiamen und dauern bis zum 29. März. Seit dem 31. Dezember haben die chinesischen Behörden 20 Flüge von United Airlines, zehn von American Airlines und 14 von Delta Air Lines ausgesetzt, nachdem einige Passagiere positiv getestet wurden. rtr
In der Tschechischen Republik werden erste Stimmen laut, die eine Annäherung an Taiwan fordern. “Bestimmte Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen wir verteidigen”, sagt Nathalie Vogel vom prominenten European Values Center for Security Policy (EVC), einer Prager Denkfabrik. Nachdem Tschechien sich im vergangenen Jahrzehnt im Rahmen der chinesischen Osteuropa-Initiative zunächst an China angenähert hat, steige nun die Skepsis. Die Positionierung zu Taiwan wird im Zuge der Litauen-Affäre zum Fokus einer Debatte im Land.
Mit dem jährlichen Gesprächsformat “16 plus 1” wollte Chinas Führung vor zehn Jahren die Staaten Mittel- und Osteuropas stärker an sich binden. Doch längst ist Ernüchterung eingekehrt. Viele der chinesischen Investitionsversprechen sind nicht zustande gekommen. Manche Länder gerieten mit China aneinander. Litauen war als erstes der europäischen Staaten aus diesem Format ausgetreten und liefert sich derzeit eine heftige Auseinandersetzung mit Peking um den Namen der taiwanischen Handelsvertretung in Vilnius. Mit Slowenien ist ein ähnlicher Streit ausgebrochen (China.Table berichtete).
Nun wächst auch in Tschechien der Unmut gegen Pekings aggressive Machtpolitik. “Das chinesische Volk sollte wissen, dass in seinem Namen ein Völkermord in Xinjiang begangen wird”, sagte Vogel in einer Video-Botschaft. Sie entspreche dem Erbe des Schriftstellers und ehemaligen Präsidenten Václav Havel, für europäische Werte einzustehen, auch wenn das unbequem sei.
Auch sollten die Chinesen erfahren, “dass alle feindlichen Aktivitäten gegen einzelne europäische Staaten als Bedrohung der EU in ihrer Gesamtheit betrachtet werden.” Dies bewirke nur eines: “Eine größere Kohäsion gegenüber der Volksrepublik”. Dass zunehmend europäische Staaten ihre Solidarität gegenüber Taiwan erklären, sei “nicht das Resultat von irgendwelchen dunklen Mächten im Westen, sondern das Resultat der Politik von Xi Jinping”. Jakob Janda, Direktor des EVC, und derzeit für einen Forschungsaufenthalt in Taiwan, rief Analysten, Politiker und Sicherheitsbehörden in Europa dazu auf, von dem Inselstaat zu lernen. Taiwan habe jede Menge Erfahrung sammeln können, sich dem Druck der kommunistischen Führung in Peking zu widersetzen. Von diesen Erfahrungen könnten Europäer profitieren.
Taiwan hat derweil am Sonntag die schwerste Verletzung seiner Luftverteidigungszone durch chinesische Militärflugzeuge seit Wochen gemeldet. 39 Flugzeuge seien vor dem Eindringen in das Gebiet gewarnt worden, wie das Verteidigungsministerium in Taipei mitteilte. Demnach seien 34 Kampfflugzeuge, ein Bomber und weitere Flieger registriert worden. Das sei die größte Zahl an einem einzigen Tag seit Oktober 2021 gewesen. Taiwan schickte Kampfflugzeuge, um die chinesischen Eindringlinge zu warnen. Zudem seien Raketensysteme zu deren Überwachung eingesetzt worden. Schüsse seien nicht gefallen. flee/rtr
Der Handelskrieg zwischen den USA und China begann 2018 und ist offiziell nie beendet worden. Welche Seite ist der “Gewinner”? Jüngste Untersuchungen liefern eine eindeutige Antwort: keine von beiden. Die US-Zölle auf chinesische Waren führten in den USA zu höheren Einfuhrpreisen in den betroffenen Produktkategorien. Chinas Vergeltungszölle auf US-Waren schadeten letztendlich den chinesischen Importeuren. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern ist eingebrochen. Und da die USA und China die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sind, betrachten viele diese Entwicklung als Vorbote eines Endes der Globalisierung.
In der Debatte um eine “Deglobalisierung” werden jedoch die vielen “unbeteiligten” Länder außer Acht gelassen, die nicht unmittelbar ins Visier der USA oder Chinas geraten sind. In einer neuen Studie, die die Auswirkungen des Handelskriegs auf diese Länder untersucht, kommen meine Mitautoren und ich zu einem unerwarteten Ergebnis: Viele, aber nicht alle dieser unbeteiligten Länder, haben in Form von höheren Exporten von diesem Handelskrieg profitiert.
Man würde natürlich erwarten, dass Ausfuhren aus Drittländern (Mexiko, Vietnam, Malaysia usw.) an die Stelle der chinesischen Exporte in die USA treten. Überraschend ist jedoch, dass diese Länder ihre Ausfuhren nicht nur in die USA, sondern auch in den Rest der Welt gesteigert haben. Tatsächlich scheint der Welthandel mit den vom Handelskrieg betroffenen Produkten im Vergleich zum Welthandel mit den nicht von den Zöllen betroffenen Produkten um drei Prozent zugenommen zu haben. Das bedeutet, dass der Handelskrieg nicht nur zu einer Umverteilung der Exporte von Drittländern in die USA (oder nach China) geführt hat, sondern auch zu einem Nettozuwachs des Handels.
Da Handelskriege im Allgemeinen nicht mit einem solchen Ergebnis in Verbindung gebracht werden, stellt sich die Frage, woran es liegt. Eine mögliche Erklärung ist, dass einige unbeteiligte Länder den Handelskrieg als Gelegenheit betrachteten, ihre Präsenz auf den Weltmärkten auszubauen. Indem sie in zusätzliche Handelskapazitäten investierten oder vorhandene ungenutzte Kapazitäten mobilisierten, konnten sie ihre Exporte steigern – ohne ihre Preise zu erhöhen.
Eine andere Erklärung ist, dass die Produktionsstückkosten der unbeteiligten Länder sanken, als diese begannen, mehr in die USA oder nach China zu exportieren, weil sie aufgrund von Größenvorteilen mehr zu niedrigeren Preisen anbieten konnten. Übereinstimmend mit diesen Erklärungen wird in unserer Studie festgestellt, dass die Länder mit den größten Zuwächsen bei den weltweiten Exporten diejenigen sind, in denen die Exportpreise sinken.
Obwohl der Handelskrieg unterm Strich eine Zunahme des Handels zur Folge hatte, gab es enorme Unterschiede zwischen den Ländern. Einige Länder steigerten ihre Exporte erheblich, andere steigerten ihre Exporte in die USA auf Kosten ihrer Exporte in andere Länder (sie schichteten den Handel um). Und einige Länder verzeichneten schlicht und einfach Exportverluste, indem sie weniger in die USA und in den Rest der Welt verkauften. Wie erklären sich diese Unterschiede, und was hätten Länder tun können, um größere Gewinne aus dem Handelskrieg zu erzielen?
Auch hier sind die Antworten etwas überraschend. Man hätte vermuten können, dass der wichtigste Faktor, der die unterschiedlichen Erfahrungen der Länder erklärt, die Spezialisierungsmuster aus der Zeit vor dem Handelskrieg sind. So hatten etwa Länder wie Malaysia und Vietnam das Glück, eine stark betroffene Produktkategorie wie Maschinen herzustellen. Die Spezialisierungsmuster scheinen jedoch kaum eine Rolle gespielt zu haben, wenn man die großen Exportgewinner des Handelskriegs betrachtet: Südafrika, die Türkei, Ägypten, Rumänien, Mexiko, Singapur, die Niederlande, Belgien, Ungarn, Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik.
Ausschlaggebend waren stattdessen zwei wichtige Ländermerkmale: die Beteiligung an “tiefgehenden” Handelsabkommen (definiert als Regelungen, die nicht nur Zölle, sondern auch andere Maßnahmen zum Schutz nichttarifärer Bereiche hinter der Grenze umfassen) und akkumulierte ausländische Direktinvestitionen. Am meisten profitierten die Länder, die bereits einen hohen Grad an internationaler Handelsintegration aufwiesen. Handelsabkommen verringern in der Regel die Fixkosten für die Expansion auf ausländischen Märkten, und die bestehenden Vereinbarungen haben möglicherweise die durch den Handelskrieg entstandene Unsicherheit teilweise ausgeglichen. Ebenso sind höhere ausländische Direktinvestitionen ein zuverlässiger Indikator für eine stärkere soziale, politische und wirtschaftliche Bindung an ausländische Märkte.
Auch die Auswirkungen auf die Lieferketten könnten eine wichtige Rolle gespielt haben. In einem vorausschauenden Policy Brief, das auf privaten Gesprächen mit Führungskräften großer multinationaler Unternehmen beruhte, sagten Analysten des Peterson Institute for International Economics 2016 voraus, dass US-Zölle “eine Kette von Produktionsverlagerungen in Gang setzen” würden.
Beschließt ein Unternehmen, die Produktion eines von chinesischen Zöllen betroffenen Produkts in ein Drittland zu verlagern, erfordert dies eine Umstrukturierung anderer Aktivitäten in diesem Drittland, was wiederum mehrere andere Länder betrifft. Das genaue Muster dieser Reaktionen wäre angesichts der Komplexität moderner Lieferketten schwer vorherzusagen gewesen. Aber der Grad der internationalen Verflechtung eines Landes scheint ein entscheidender Faktor für die Verlagerungsentscheidungen eines Unternehmens gewesen zu sein.
Um auf unsere ursprüngliche Frage zurückzukommen: Der große Gewinner des Handelskriegs scheinen “unbeteiligte” Länder mit engen internationalen Beziehungen zu sein. Aus Sicht der USA hat der Handelskrieg zumindest kurz- bis mittelfristig nicht zu der angekündigten Produktionsrückverlagerung von Wirtschaftstätigkeiten aus dem Ausland geführt. Stattdessen wurden chinesische Einfuhren in die USA einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt.
Aus der Sicht “unbeteiligter” Länder hat der Handelskrieg ironischerweise gezeigt, wie wichtig die Handelsverflechtung ist – insbesondere tiefgehende Handelsabkommen und ausländische Direktinvestitionen. Glücklicherweise bedeutet der amerikanisch-chinesische Handelskrieg nicht das Ende der Globalisierung. Er könnte vielmehr der Auftakt für ein neues Welthandelssystem sein, in dessen Zentrum nicht mehr die USA oder China stehen.
Pinelopi Koujianou Goldberg, ehemalige Chefökonomin der Weltbank-Gruppe und Herausgeberin des American Economic Review, ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. Übersetzung: Sandra Pontow.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org
Shawn Siu wird Executive Director des angeschlagenen Immobilienkonzerns Evergrande. Er löst Lai Lixin ab. Evergrande bewegt sich am Rande der Insolvenz, was auch zu einem Personalaustausch führt. Siu kommt von der Autosparte der Firmengruppe.
Webb Ding wird am 1. Februar Geschäftsführer der China-Tochter des Schweizer Biopharma-Spezialisten Oculis. Das Hauptquartier von Oculis befindet sich in Lausanne. Ding hat Erfahrung bei chinesischen Tochterunternehmen von Fresenius und Novartis.
Yan Sibo, auch genannt Steven Yan, wird Geschäftsführer von KHD Beijing, einer Tochter der Zementgruppe KHD Humboldt Wedag International mit Sitz in Köln. KHD befindet sich mehrheitlich im Besitz des chinesischen Rüstungskonzerns AVIC.
Mord nach Drehbuch. Was nach eiskalt geplanter Bluttat klingt, ist in Wirklichkeit eine neue chinesische Entertainment-Sparte, in der es zudem ordentlich menschelt. 剧本杀 jùběnshā nennt sich der Trend auf Chinesisch – zusammengesetzt aus den Wörtern für “Drehbuch” (剧本 jùběn) und “töten, morden” (杀 shā).
Totgeschlagen wird aber höchstens Zeit – und das zudem auf kreative und unterhaltsame Weise – wenn sich junge chinesische Großstädter zum “Mörderkomplott” treffen. Jubensha ist nämlich eine Art erweiterte Antwort auf das Detektivspiel Cluedo aus Großbritannien, das im Westen schon in den neunziger Jahren große Erfolge feierte. In Deutschland wurde der Game-Klassiker, bei dem es darum geht, anhand von Indizien einen fiktiven Mord aufzuklären, sowohl im Fernsehen als auch als Brettspiel abgefeiert. China hat die Idee nun seit einigen Jahren zum Live-Rollenspiel ausgebaut. Es gibt mit “Who’s the Murder” (明星大侦探 míngxīng dà zhēntàn) sogar eine eigene Promi-Realityshow zum Thema, die in diesem Jahr in die siebte Staffel geht.
Das Geschäft boomt also kräftig. In Metropolen wie Beijing, Shanghai und Chengdu poppen immer neue Jubensha-Erlebnisräume auf, in denen man sich zum gemeinsamen Knacken von Kriminalfällen verabreden kann. Die Spieler kommen dabei real zusammen – eine willkommene Abwechslung zur Smartphone- und Computerspielewelt – und durchlaufen das Spiel gemeinsam anhand eines Drehbuchs. Dabei gibt die Qualität des Skripts den Ausschlag über den Unterhaltungsfaktor und darüber, wie tief man letztlich in die Tasche greifen muss. Eine Runde Jubensha dauert im Schnitt zwei bis drei Stunden, die Preisspanne pro Kopf reicht von umgerechnet zehn bis 20 Euro (für einfache Plots) bis hin zu mehreren hundert Euro (für besonders aufwendige Szenarien). Auch der Gestaltungsspielraum variiert je nach Drehbuch – es gibt “geschlossene” und “offene Skripte” (封闭本 fēngbìběn vs. 开放本 kāifàngběn), jeweils mit mehr oder weniger großer Bandbreite möglicher Handlungsstränge.
Zu den gängigsten Spielvarianten zählen: Detektivskripte (推理本 tuīlǐběn von 推理 tuīlǐ – “einen Schluss ziehen”. Aufgabe: den Mörder im Raum ausfindig machen), Teamkampf-Skripte (阵营本 zhènyíngběn von 阵营 zhènyíng – “Lager, militärische Gruppierung”. Hier kämpfen verschiedene Lager gegeneinander) oder Fantasy-Skripte (变格本 biàngéběn von 变格 biàngé – “Formveränderung; Deklination”. Dabei kann man schon mal auf Übernatürliches stoßen oder sich in einem Science-Fiction-Szenario wiederfinden). Und dann wären da noch die Adult-Scripts (小黄本 xiǎohuángběn – wörtlich “kleine gelbe Skripte”. “Gelb” 黄 huáng steht in China ja bekanntlich synonym für alles Schlüpfrige; “gelbe” Drehbücher werden entsprechend um das Themenfeld “Passion, Crime and Sex” gesponnen).
Für alle, die jetzt Blut geleckt haben, hier noch ein paar weitere “mörderische” chinesische Vokabeln (die sich bei näherem Hinsehen jedoch als weniger blutrünstig erweisen als befürchtet):
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.
der Augenzeugenbericht von Mihrigul Tursun erschüttert derzeit seine ersten Leser. Die Uigurin war in Xinjiang in einem der gefürchteten Lager interniert. Eines ihrer Kinder ist in dieser Zeit unter ungeklärten Umständen gestorben. Tursun hatte durch ein Auslandsstudium den Verdacht der Behörden auf sich gezogen. Sie hat ihre Erfahrungen in einem Buch niedergelegt, das in der vergangenen Woche erschienen ist: “Ort ohne Wiederkehr”.
Solche Zeugnisse von den Vorgängen in Xinjiang sind wichtig. Schließlich versucht China die Ereignisse in Xinjiang mit allen Mitteln zu verbergen. Die Lager existierten nicht, hieß es zuerst. Dann, sie dienten nur der beruflichen Weiterbildung. Aus Tursuns Buch geht nun klar hervor: Es handelt sich zumindest zum Teil um Orte der Folter. Im Gespräch mit Marcel Grzanna berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Unsere zweite Analyse dreht sich um einen Streitpunkt zwischen der EU und China beim Klimaschutz. Die EU möchte im Rahmen ihres Programms “Fit for 55” eine komplizierte CO2-Grenzabgabe einführen, über deren Ausgestaltung noch gerungen wird. Sie soll verhindern, dass Produkte aus Ländern mit niedrigeren CO2-Preisen zu günstig auf den EU-Markt kommen und hiesige Klimaschutz-Bemühungen unterlaufen. Ning Wang hat die Pläne unter die Lupe genommen und erklärt die Konfliktlinien. China schaut mit Argusaugen auf das Projekt, da es hohe Kosten fürchtet.
Einen guten Start in die Woche wünscht
Die Behörden in Xinjiang haben Mihrigul Tursun vorgeworfen: Sie denke “zu uigurisch”. Dreimal saß sie für mehrere Wochen in Internierungslagern ein, wird geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert. Eines ihrer Babys starb unter ungeklärten Umständen in der Obhut der Behörden. Ganze 18 Visaäntrage stellte derweil ihr ägyptischer Ehemann in der chinesischen Botschaft in Kairo, bis man ihn 2018 einreisen ließ. Gegen die Zusage, im Ausland nicht wegen des toten Kindes vor Gericht zu gehen, gewährte man Tursun die Rückkehr nach Ägypten. Hilfe suchte sie schließlich in den USA, wo sie Asyl beantragt und vor dem Kongress ausgesagt hat. Jetzt hat Tursun gemeinsam mit der deutschen Journalistin Andrea C. Hoffmann ihre Erfahrungen in einem Buch aufgeschrieben. “Ort ohne Wiederkehr – Wie ich als Uigurin Chinas Lager überlebte” (Heyne, 277 Seiten) ist ein erschreckendes Zeugnis chinesischer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang.
Frau Tursun, welche Erinnerungen haben Sie an die Olympischen Spiele 2008?
Damals war ich sehr stolz, dass China die Olympischen Spiele ausrichtete, und ich habe die Wettkämpfe mit Freude im Fernsehen verfolgt. Mir war damals gar nicht klar, dass Olympische Spiele alle vier Jahre immer an einem anderen Ort stattfinden. Durch die Propaganda war ich fest davon überzeugt, dass überhaupt nur China in der Lage sein würde, solch eine Veranstaltung auszurichten.
Warum?
Weil alles, was uns durch staatliche Medien über das Ausland vermittelt wurde, nur aus Chaos und Unvermögen bestand. Überall war die Welt schlecht, nur in China war das Leben sicher und gut. Das war nicht nur meine Meinung, sondern die Meinung der meisten Leute, die ich kannte. Erst als ich ins Ausland gegangen bin, habe ich überhaupt begriffen, dass anderswo in der Welt das Leben lebenswert sein kann und andere Gesellschaften durchaus gute Fähigkeiten besitzen.
In der kommenden Woche beginnen erneut Olympische Spiele in Peking. Was empfinden Sie heute?
Ich schaue mit Abscheu auf diese Spiele. Ich würde mir wünsche, dass die ganze Welt diese Spiele boykottiert. Wenn alle einmal besser verstanden haben, was in China und speziell in Xinjiang eigentlich genau passiert, dann werden viele ihre Teilnahme an diesen Spielen vielleicht später einmal bereuen.
Tatsächlich nimmt in demokratischen Staaten das Bewusstsein für die Katastrophe in Xinjiang immer mehr zu. Vergangene Woche hat das französische Parlament die dortigen Menschenrechtsverbrechen als Genozid verurteilt.
Ich habe richtig gejubelt und bin so dankbar für dieses Signal der Franzosen. Hier bei uns in Washington sind Leute auf die Straße gegangen und haben französische Flaggen geschwenkt.
Deutschland tut sich schwer mit der Bezeichnung Genozid.
Ich hoffe, das ändert sich. Deutschland genießt bei den Uiguren einen sehr hohen Stellenwert, weil wir mit dem Qualitätssiegel “Made in Germany” im Kopf aufgewachsen sind. In unserer Vorstellung war Deutschland ein perfektes Land, das alles richtig macht.
Der Volkswagen-Chef hat einmal gesagt, er wisse nichts von Lagern in Xinjiang.
Geld zu verdienen ist nicht alles. Es kommt und geht. Am Ende des Lebens bleibt nur die Frage, was hast du für die Menschlichkeit auf der Welt getan. Irgendwann wird das Gewissen von Herrn Diess auch ihm diese Frage stellen. Er sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sein Land repräsentiert und dessen Image prägt. Viele Menschen vertrauen Deutschland. Wenn er gute Geschäfte mit China für wichtiger hält, dann wird das auch das Vertrauen in sein Land erschüttern.
Warum sind Sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen?
Politik war mir immer völlig egal. Ich habe mich immer gefragt, warum Menschen nicht einfach in Frieden leben. Aber die chinesische Regierung hat meiner Familie, meinem Volk und mir entsetzliche Dinge angetan. Sie foltern und töten uns. Allein während meiner insgesamt drei Monate Haftzeit sind neun Menschen gestorben, wo ich eingesperrt war. Warum tun sie uns das an? Darauf möchte ich eine Antwort.
Fürchten Sie chinesischer Rache?
Nein, ich bin bereit dafür zu sterben, weil ich überzeugt bin, das Richtige zu tun. Sie haben mein Kind genommen und meine Familie. Ich habe meine Hoffnung, meine Träume, meine Gesundheit verloren. Ich hatte das Gefühl, als sei ich tot. Aber mein zweites Leben hat mir gesagt, kümmere dich um deine beiden anderen Kinder.
Gab es Drohungen gegen Sie?
Ja, man droht, meine gesamte Familie einzusperren. Mein Vater rief mich an. Eine Stimme im Hintergrund befahl ihm zu reden. Er sagte, ich solle mich bei der chinesischen Botschaft melden. Dort würde man mir helfen. Es gab auch mehrere Vorfälle, nachdem ich vor dem US-Kongress ausgesagt hatte. Ich wurde verfolgt und ich habe Nachrichten erhalten. Einmal wurde mein Taxi von einem gestohlenen Fahrzeug gerammt. Der andere Fahrer holte eine Waffe heraus und zielte auf mich. Mein Taxifahrer hat meinen Kopf heruntergedrückt und ist losgerast. Ich habe all diese Fälle dem FBI gemeldet. Das ist jetzt zwei Jahre her. Seit der Buchveröffentlichung gab es noch keine Drohung.
Gibt es Momente, in denen Sie wieder unbeschwert sein können?
Nein, das habe ich noch nicht erlebt. Ich wünschte manchmal, mein Arzt hätte die Möglichkeit, meine schrecklichen Erinnerungen zu löschen, sodass ich wieder unbeschwert leben könnte.
Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Ich fühle mich in den USA sicher. Ich hoffe, dass mein Asylantrag bald genehmigt wird und ich dann zusammen mit meiner Familie hier für den Rest meines Lebens bleiben kann.
Die EU hat ein ehrgeiziges Klimaprogramm verabschiedet, den “European Green Deal”. Die Ziele sind ambitioniert. Bis 2030 will die EU die CO2-Emissionen um 55 Prozent senken. Bis zum Jahr 2050 soll der Kontinent klimaneutral sein. Doch der Weg dorthin ist kompliziert: Das Maßnahmenpaket “Fit-for-55” ist gewaltig, und um die Details wird heftig gerungen. Trotzdem soll das Paket in weiten Teilen noch 2022 beschlossen werden.
Manche Bestandteile haben große Auswirkungen auf die Handelspartner der EU – darunter auch China. Der größte Brocken in dieser Hinsicht ist der geplante CO2-Grenzausgleich (“Carbon Border Adjustment Mechanism” – CBAM). Auf dieses Projekt blickt die Regierung in Peking mit großer Sorge – auch weil die chinesische Regierung nicht recht weiß, was auf ihre Unternehmen zukommt. Die Befürchtung ist, dass die EU mit ihren neuen Regeln den Import chinesischer Waren verteuert.
Der CBAM soll verhindern, dass Waren aus Ländern mit weniger strengen Emissionsregeln und niedrigeren CO2-Preisen mit in Europa hergestellten Waren konkurrieren, die durch einen höheren CO2-Preis teurer sind. Denn damit könnten klimaschädlichere Produkte die EU-Konkurrenz preislich unterbieten. Der CBAM ist daher eng verknüpft mit dem Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS), das den Preis für die Treibhausgas-Emissionen in Europa bestimmt. Anders gesagt: Wenn China aus europäischer Sicht den CO2-Ausstoß seiner Unternehmen nicht genug bepreist, dann schlägt die EU bei der Einfuhr noch etwas drauf.
Damit will die EU sicherstellen, dass sie ihre Klimaziele erreichen kann, ohne dass energieintensive Industriezweige ins Ausland abwandern. Der Vorgang ist als “Carbon-Leakage” bekannt: Die Industrie verlagert emissionsreiche Prozesse einfach in andere Weltgegenden und spart Geld – ohne dass dem Klima geholfen wäre. Kritiker befürchten durch CBAM jedoch auch Handelskonflikte mit Drittstaaten wie China (Europe.Table berichtete).
Das EU-ETS funktioniert nach dem Cap-and-Trade-Prinzip. Die EU verteilt nach bestimmten Kriterien eine festgelegte Menge an Emissionsrechten (Cap) an die Unternehmen. Firmen, die ihre Emissionen stärker reduzieren als nötig, können die übrigen Zertifikate am Markt verkaufen (Trade). Ein Preis für den Ausstoß von CO2 entsteht (Europe.Table berichtete).
Die Höhe des künftigen CO2-Grenzausgleichs soll sich am CO2-Preis des ETS orientieren, den europäische Unternehmen dort im Wochendurchschnitt für die Ersteigerung von EU-Emissionszertifikaten zahlen müssen. Unternehmen aus Drittstaaten sollen dabei CO2-Preise, die sie in ihrem Heimatland zahlen müssen, geltend machen können. Der CBAM soll 2023 in die Pilotphase gehen und von 2026 bis 2035 nach und nach umgesetzt werden.
In Chinas ETS liegt der CO2-Preis aktuell deutlich niedriger (China.Table berichtete). Dort kostet die Berechtigung zur Emission einer Tonne C02 derzeit umgerechnet rund acht Euro, während dieser Preis in der EU bei 80 Euro pro Tonne liegt. Chinesische Exportunternehmen werden also künftig voraussichtlich einen hohen CO2-Zoll zahlen müssen. Und so ist es kein Wunder, dass Peking mit wenig Begeisterung auf das CBAM-Projekt reagiert (China.Table berichtete).
Laut einer Studie von Chatham House gehört China zu den fünf Ländern, die am stärksten vom CBAM betroffen wären. Denn China exportiert mehr Waren und Dienstleistungen in die EU als jedes andere Land der Welt. 2020 wurden zwischen China und der EU Waren im Wert von 586 Milliarden Euro ausgetauscht. Das entsprach laut Daten des Statistischen Bundesamts 16 Prozent des EU-Außenhandels. Zum Vergleich: Die USA lagen bei 15 Prozent.
Heftige Auswirkungen drohen China vor allem in Sektoren mit überdurchschnittlich hohen Emissionen, vor allem in der Schwerindustrie. Beispiel Eisen und Stahl: In diesem Sektor ist China der zweitgrößte Exporteur in die EU (nach Daten von 2015-2019). Aber auch die energieintensive Aluminiumindustrie wäre stark von einem CO2-Grenzausgleich betroffen (China.Table berichtete). Folglich erwarten Experten vor allem in diesen Sektoren großen Widerstand aus der Volksrepublik.
Doch noch ist es angesichts der Uneinigkeit innerhalb der EU über die CBAM-Ausgestaltung schwierig, die Auswirkungen genau zu bestimmen. “Die chinesische Seite ist nicht nur besorgt darüber, wie das CBAM-System in seiner Anfangsphase aussieht – sondern auch darüber, wie es sich weiterentwickeln könnte”, sagt Lina Li, Senior Managerin im Themenbereich Emissionshandel und Marktmechanismen bei dem Umwelt- und Klimaberatungsunternehmen Adelphi. Gerade die Debatte über eine Ausweitung des CBAM-Geltungsbereichs und die Einbindung indirekter Emissionen lösten bei chinesischen Interessengruppen Sorge aus, so Li. Die EU-Kommission hat in ihrem CBAM-Vorschlag Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und die Stromerzeugung als einzubeziehende Branchen genannt. Aus dem EU-Parlament aber kam kürzlich der Vorschlag, auch organische Chemikalien, Wasserstoff und Polymere einzubeziehen (Europe.Table berichtete).
Die finanziellen CBAM-Auswirkungen auf China könnten damit künftig stark wachsen, sagt Lina Li. Einer Studie des Entwicklungsforschungszentrums des Staatsrates in Peking zufolge könnten die CBAM-Pläne der EU Chinas Wirtschaftswachstum um bis zu 0,64 Prozentpunkte reduzieren. Das könnte Millionen von Arbeitsplätze in der Fertigung kosten. Die Exportkosten in die EU könnte CBAM um drei Prozent verteuern und somit die Exporte von Industriegütern in die EU um 13 Prozent senken. Hinzu kommt: Wenn die CO2-Preisdifferenz im ETS des Herkunftslandes, also etwa China, mit dem des EU-ETS groß ist, “dann wachsen die Kosten für betroffene Unternehmen im Rahmen des CBAM.” Und das ist aktuell der Fall.
Kaum ein Land sorgt sich laut Li so sehr wie China. “Wir führen Gespräche mit Experten aus Afrika, die befürchten, dass CBAM sie hart treffen könnte. Doch die Volumina aus Afrika sind vernachlässigbar gering”, sagt Li zu China.Table. Auch die USA seien weniger besorgt als China, da ihre Produktion eine höhere Effizienz und niedrigere Emissionen aufweise, so die Expertin.
Und Chinas ETS wird zumindest kurzfristig nicht kompatibel werden mit dem EU-ETS. Corinne Abele, Leiterin der Außenwirtschaft der GTAI in Shanghai, geht davon aus, dass der Preis für CO2-Emissionen in China weiterhin deutlich unter dem Preisniveau des europäischen ETS bleiben wird. Eine Verknüpfung des chinesischen ETS mit anderen internationalen Systemen sei daher vorerst kaum möglich.
Auch umfasst das chinesische ETS bisher deutlich weniger Industrien. Bisher sind nur gut 2.200 Unternehmen aus der Energiebranche beteiligt. Es wird aber erwartet, dass in diesem Jahr zwei Industriesektoren dazukommen. So sei schon dieses Jahr die Aufnahme der Aluminium-Branche möglich, meint Lina Li. Bis zu sieben weitere Branchen sollen in den kommenden fünf Jahren dazukommen:
China bringe sich damit in eine gute Position, um mit der EU bilaterale Abkommen zur Verminderung der Auswirkungen durch CBAM zu erörtern, glaubt Li.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte April 2020 in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron betont, dass der Klimawandel nicht als Instrument für geopolitische Verhandlungen missbraucht werden sollte. Vertreter betroffener Branchen erinnern sich nur zu gut daran. So sehr, dass die europäische Aluminiumindustrie gleich nach der Vorstellung des EU-Klimapakets im Sommer 2021 mutmaßte, dass China um jeden Preis Wege finden werde, den CBAM zu unterlaufen (China.Table berichtete). Über die Details des CBAM wird innerhalb der EU noch viel zu verhandeln sein – und wohl auch mit China.
Der olympische Goldmedaillengewinner Georg Hackl sieht den Ablauf der Olympischen Winterspiele in Peking durch die Omikron-Welle gefährdet. Der 55-Jährige bezweifelte in einem Interview mit der Welt am Sonntag die Durchführbarkeit der Wettkämpfe, wenn laufend Teile verschiedener Teams in Isolation müssen. Er entwarf das Szenario eines positiven Tests im Team direkt nach Ankunft in Peking. Das würde ganze Mannschaften von der Teilnahme ausschließen.
Auch der Chef des deutschen Snowboard-Verbandes, Michael Hölzl, erwartet in China Probleme mit der Coronavirus-Situation. In einem Podcast warnte er, China könnte Athleten mit falsch positiven Covid-Tests kaltstellen, um unliebsame Konkurrenz von den Wettkämpfen fernzuhalten. Das IOC verteidigte unterdessen das chinesische Test-Regime. Es sei ein legitimes Ziel, Omikron nicht in die olympische Blase zu lassen.
Auch Chinas Behörden blicken besorgt auf die Corona-Entwicklung. Alle Bewohner des Pekinger Bezirks Fengtai müssen sich derzeit Corona-Tests unterziehen. In Fengtai waren sechs neue Corona-Infektionen nachgewiesen worden, bei denen Infizierte auch Symptome zeigten. In ganz Peking waren es neun Fälle.
Die Organisatoren der Winterspiele teilten zudem am Sonntag mit, dass sie 72 Fälle von Covid unter den 2.586 Helfern und Mitarbeitern identifiziert haben. Die positiv getesteten Personen kamen zwischen dem 4. und dem 22. Januar in China an. Unter 171 Athleten und Funktionären, die in diesem Zeitraum einreisten, traten jedoch keine Fälle auf. Die Spiele beginnen am 4. Februar. fin/rtr
Die US-Regierung wird 44 Flüge der chinesischen Fluglinien Air China, China Southern Airlines, China Eastern Airlines und Xiamen Airlines aus den USA in die Volksrepublik vorläufig streichen. Damit reagierte die US-Regierung auf die Entscheidung der chinesischen Regierung, Flüge von US-Fluggesellschaften wegen Covid-Bedenken auszusetzen. Die Aussetzungen beginnen nach Angaben des US-Verkehrsministeriums am 30. Januar mit dem Linienflug der Xiamen Airlines von Los Angeles nach Xiamen und dauern bis zum 29. März. Seit dem 31. Dezember haben die chinesischen Behörden 20 Flüge von United Airlines, zehn von American Airlines und 14 von Delta Air Lines ausgesetzt, nachdem einige Passagiere positiv getestet wurden. rtr
In der Tschechischen Republik werden erste Stimmen laut, die eine Annäherung an Taiwan fordern. “Bestimmte Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen wir verteidigen”, sagt Nathalie Vogel vom prominenten European Values Center for Security Policy (EVC), einer Prager Denkfabrik. Nachdem Tschechien sich im vergangenen Jahrzehnt im Rahmen der chinesischen Osteuropa-Initiative zunächst an China angenähert hat, steige nun die Skepsis. Die Positionierung zu Taiwan wird im Zuge der Litauen-Affäre zum Fokus einer Debatte im Land.
Mit dem jährlichen Gesprächsformat “16 plus 1” wollte Chinas Führung vor zehn Jahren die Staaten Mittel- und Osteuropas stärker an sich binden. Doch längst ist Ernüchterung eingekehrt. Viele der chinesischen Investitionsversprechen sind nicht zustande gekommen. Manche Länder gerieten mit China aneinander. Litauen war als erstes der europäischen Staaten aus diesem Format ausgetreten und liefert sich derzeit eine heftige Auseinandersetzung mit Peking um den Namen der taiwanischen Handelsvertretung in Vilnius. Mit Slowenien ist ein ähnlicher Streit ausgebrochen (China.Table berichtete).
Nun wächst auch in Tschechien der Unmut gegen Pekings aggressive Machtpolitik. “Das chinesische Volk sollte wissen, dass in seinem Namen ein Völkermord in Xinjiang begangen wird”, sagte Vogel in einer Video-Botschaft. Sie entspreche dem Erbe des Schriftstellers und ehemaligen Präsidenten Václav Havel, für europäische Werte einzustehen, auch wenn das unbequem sei.
Auch sollten die Chinesen erfahren, “dass alle feindlichen Aktivitäten gegen einzelne europäische Staaten als Bedrohung der EU in ihrer Gesamtheit betrachtet werden.” Dies bewirke nur eines: “Eine größere Kohäsion gegenüber der Volksrepublik”. Dass zunehmend europäische Staaten ihre Solidarität gegenüber Taiwan erklären, sei “nicht das Resultat von irgendwelchen dunklen Mächten im Westen, sondern das Resultat der Politik von Xi Jinping”. Jakob Janda, Direktor des EVC, und derzeit für einen Forschungsaufenthalt in Taiwan, rief Analysten, Politiker und Sicherheitsbehörden in Europa dazu auf, von dem Inselstaat zu lernen. Taiwan habe jede Menge Erfahrung sammeln können, sich dem Druck der kommunistischen Führung in Peking zu widersetzen. Von diesen Erfahrungen könnten Europäer profitieren.
Taiwan hat derweil am Sonntag die schwerste Verletzung seiner Luftverteidigungszone durch chinesische Militärflugzeuge seit Wochen gemeldet. 39 Flugzeuge seien vor dem Eindringen in das Gebiet gewarnt worden, wie das Verteidigungsministerium in Taipei mitteilte. Demnach seien 34 Kampfflugzeuge, ein Bomber und weitere Flieger registriert worden. Das sei die größte Zahl an einem einzigen Tag seit Oktober 2021 gewesen. Taiwan schickte Kampfflugzeuge, um die chinesischen Eindringlinge zu warnen. Zudem seien Raketensysteme zu deren Überwachung eingesetzt worden. Schüsse seien nicht gefallen. flee/rtr
Der Handelskrieg zwischen den USA und China begann 2018 und ist offiziell nie beendet worden. Welche Seite ist der “Gewinner”? Jüngste Untersuchungen liefern eine eindeutige Antwort: keine von beiden. Die US-Zölle auf chinesische Waren führten in den USA zu höheren Einfuhrpreisen in den betroffenen Produktkategorien. Chinas Vergeltungszölle auf US-Waren schadeten letztendlich den chinesischen Importeuren. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern ist eingebrochen. Und da die USA und China die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sind, betrachten viele diese Entwicklung als Vorbote eines Endes der Globalisierung.
In der Debatte um eine “Deglobalisierung” werden jedoch die vielen “unbeteiligten” Länder außer Acht gelassen, die nicht unmittelbar ins Visier der USA oder Chinas geraten sind. In einer neuen Studie, die die Auswirkungen des Handelskriegs auf diese Länder untersucht, kommen meine Mitautoren und ich zu einem unerwarteten Ergebnis: Viele, aber nicht alle dieser unbeteiligten Länder, haben in Form von höheren Exporten von diesem Handelskrieg profitiert.
Man würde natürlich erwarten, dass Ausfuhren aus Drittländern (Mexiko, Vietnam, Malaysia usw.) an die Stelle der chinesischen Exporte in die USA treten. Überraschend ist jedoch, dass diese Länder ihre Ausfuhren nicht nur in die USA, sondern auch in den Rest der Welt gesteigert haben. Tatsächlich scheint der Welthandel mit den vom Handelskrieg betroffenen Produkten im Vergleich zum Welthandel mit den nicht von den Zöllen betroffenen Produkten um drei Prozent zugenommen zu haben. Das bedeutet, dass der Handelskrieg nicht nur zu einer Umverteilung der Exporte von Drittländern in die USA (oder nach China) geführt hat, sondern auch zu einem Nettozuwachs des Handels.
Da Handelskriege im Allgemeinen nicht mit einem solchen Ergebnis in Verbindung gebracht werden, stellt sich die Frage, woran es liegt. Eine mögliche Erklärung ist, dass einige unbeteiligte Länder den Handelskrieg als Gelegenheit betrachteten, ihre Präsenz auf den Weltmärkten auszubauen. Indem sie in zusätzliche Handelskapazitäten investierten oder vorhandene ungenutzte Kapazitäten mobilisierten, konnten sie ihre Exporte steigern – ohne ihre Preise zu erhöhen.
Eine andere Erklärung ist, dass die Produktionsstückkosten der unbeteiligten Länder sanken, als diese begannen, mehr in die USA oder nach China zu exportieren, weil sie aufgrund von Größenvorteilen mehr zu niedrigeren Preisen anbieten konnten. Übereinstimmend mit diesen Erklärungen wird in unserer Studie festgestellt, dass die Länder mit den größten Zuwächsen bei den weltweiten Exporten diejenigen sind, in denen die Exportpreise sinken.
Obwohl der Handelskrieg unterm Strich eine Zunahme des Handels zur Folge hatte, gab es enorme Unterschiede zwischen den Ländern. Einige Länder steigerten ihre Exporte erheblich, andere steigerten ihre Exporte in die USA auf Kosten ihrer Exporte in andere Länder (sie schichteten den Handel um). Und einige Länder verzeichneten schlicht und einfach Exportverluste, indem sie weniger in die USA und in den Rest der Welt verkauften. Wie erklären sich diese Unterschiede, und was hätten Länder tun können, um größere Gewinne aus dem Handelskrieg zu erzielen?
Auch hier sind die Antworten etwas überraschend. Man hätte vermuten können, dass der wichtigste Faktor, der die unterschiedlichen Erfahrungen der Länder erklärt, die Spezialisierungsmuster aus der Zeit vor dem Handelskrieg sind. So hatten etwa Länder wie Malaysia und Vietnam das Glück, eine stark betroffene Produktkategorie wie Maschinen herzustellen. Die Spezialisierungsmuster scheinen jedoch kaum eine Rolle gespielt zu haben, wenn man die großen Exportgewinner des Handelskriegs betrachtet: Südafrika, die Türkei, Ägypten, Rumänien, Mexiko, Singapur, die Niederlande, Belgien, Ungarn, Polen, die Slowakei und die Tschechische Republik.
Ausschlaggebend waren stattdessen zwei wichtige Ländermerkmale: die Beteiligung an “tiefgehenden” Handelsabkommen (definiert als Regelungen, die nicht nur Zölle, sondern auch andere Maßnahmen zum Schutz nichttarifärer Bereiche hinter der Grenze umfassen) und akkumulierte ausländische Direktinvestitionen. Am meisten profitierten die Länder, die bereits einen hohen Grad an internationaler Handelsintegration aufwiesen. Handelsabkommen verringern in der Regel die Fixkosten für die Expansion auf ausländischen Märkten, und die bestehenden Vereinbarungen haben möglicherweise die durch den Handelskrieg entstandene Unsicherheit teilweise ausgeglichen. Ebenso sind höhere ausländische Direktinvestitionen ein zuverlässiger Indikator für eine stärkere soziale, politische und wirtschaftliche Bindung an ausländische Märkte.
Auch die Auswirkungen auf die Lieferketten könnten eine wichtige Rolle gespielt haben. In einem vorausschauenden Policy Brief, das auf privaten Gesprächen mit Führungskräften großer multinationaler Unternehmen beruhte, sagten Analysten des Peterson Institute for International Economics 2016 voraus, dass US-Zölle “eine Kette von Produktionsverlagerungen in Gang setzen” würden.
Beschließt ein Unternehmen, die Produktion eines von chinesischen Zöllen betroffenen Produkts in ein Drittland zu verlagern, erfordert dies eine Umstrukturierung anderer Aktivitäten in diesem Drittland, was wiederum mehrere andere Länder betrifft. Das genaue Muster dieser Reaktionen wäre angesichts der Komplexität moderner Lieferketten schwer vorherzusagen gewesen. Aber der Grad der internationalen Verflechtung eines Landes scheint ein entscheidender Faktor für die Verlagerungsentscheidungen eines Unternehmens gewesen zu sein.
Um auf unsere ursprüngliche Frage zurückzukommen: Der große Gewinner des Handelskriegs scheinen “unbeteiligte” Länder mit engen internationalen Beziehungen zu sein. Aus Sicht der USA hat der Handelskrieg zumindest kurz- bis mittelfristig nicht zu der angekündigten Produktionsrückverlagerung von Wirtschaftstätigkeiten aus dem Ausland geführt. Stattdessen wurden chinesische Einfuhren in die USA einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt.
Aus der Sicht “unbeteiligter” Länder hat der Handelskrieg ironischerweise gezeigt, wie wichtig die Handelsverflechtung ist – insbesondere tiefgehende Handelsabkommen und ausländische Direktinvestitionen. Glücklicherweise bedeutet der amerikanisch-chinesische Handelskrieg nicht das Ende der Globalisierung. Er könnte vielmehr der Auftakt für ein neues Welthandelssystem sein, in dessen Zentrum nicht mehr die USA oder China stehen.
Pinelopi Koujianou Goldberg, ehemalige Chefökonomin der Weltbank-Gruppe und Herausgeberin des American Economic Review, ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. Übersetzung: Sandra Pontow.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Shawn Siu wird Executive Director des angeschlagenen Immobilienkonzerns Evergrande. Er löst Lai Lixin ab. Evergrande bewegt sich am Rande der Insolvenz, was auch zu einem Personalaustausch führt. Siu kommt von der Autosparte der Firmengruppe.
Webb Ding wird am 1. Februar Geschäftsführer der China-Tochter des Schweizer Biopharma-Spezialisten Oculis. Das Hauptquartier von Oculis befindet sich in Lausanne. Ding hat Erfahrung bei chinesischen Tochterunternehmen von Fresenius und Novartis.
Yan Sibo, auch genannt Steven Yan, wird Geschäftsführer von KHD Beijing, einer Tochter der Zementgruppe KHD Humboldt Wedag International mit Sitz in Köln. KHD befindet sich mehrheitlich im Besitz des chinesischen Rüstungskonzerns AVIC.
Mord nach Drehbuch. Was nach eiskalt geplanter Bluttat klingt, ist in Wirklichkeit eine neue chinesische Entertainment-Sparte, in der es zudem ordentlich menschelt. 剧本杀 jùběnshā nennt sich der Trend auf Chinesisch – zusammengesetzt aus den Wörtern für “Drehbuch” (剧本 jùběn) und “töten, morden” (杀 shā).
Totgeschlagen wird aber höchstens Zeit – und das zudem auf kreative und unterhaltsame Weise – wenn sich junge chinesische Großstädter zum “Mörderkomplott” treffen. Jubensha ist nämlich eine Art erweiterte Antwort auf das Detektivspiel Cluedo aus Großbritannien, das im Westen schon in den neunziger Jahren große Erfolge feierte. In Deutschland wurde der Game-Klassiker, bei dem es darum geht, anhand von Indizien einen fiktiven Mord aufzuklären, sowohl im Fernsehen als auch als Brettspiel abgefeiert. China hat die Idee nun seit einigen Jahren zum Live-Rollenspiel ausgebaut. Es gibt mit “Who’s the Murder” (明星大侦探 míngxīng dà zhēntàn) sogar eine eigene Promi-Realityshow zum Thema, die in diesem Jahr in die siebte Staffel geht.
Das Geschäft boomt also kräftig. In Metropolen wie Beijing, Shanghai und Chengdu poppen immer neue Jubensha-Erlebnisräume auf, in denen man sich zum gemeinsamen Knacken von Kriminalfällen verabreden kann. Die Spieler kommen dabei real zusammen – eine willkommene Abwechslung zur Smartphone- und Computerspielewelt – und durchlaufen das Spiel gemeinsam anhand eines Drehbuchs. Dabei gibt die Qualität des Skripts den Ausschlag über den Unterhaltungsfaktor und darüber, wie tief man letztlich in die Tasche greifen muss. Eine Runde Jubensha dauert im Schnitt zwei bis drei Stunden, die Preisspanne pro Kopf reicht von umgerechnet zehn bis 20 Euro (für einfache Plots) bis hin zu mehreren hundert Euro (für besonders aufwendige Szenarien). Auch der Gestaltungsspielraum variiert je nach Drehbuch – es gibt “geschlossene” und “offene Skripte” (封闭本 fēngbìběn vs. 开放本 kāifàngběn), jeweils mit mehr oder weniger großer Bandbreite möglicher Handlungsstränge.
Zu den gängigsten Spielvarianten zählen: Detektivskripte (推理本 tuīlǐběn von 推理 tuīlǐ – “einen Schluss ziehen”. Aufgabe: den Mörder im Raum ausfindig machen), Teamkampf-Skripte (阵营本 zhènyíngběn von 阵营 zhènyíng – “Lager, militärische Gruppierung”. Hier kämpfen verschiedene Lager gegeneinander) oder Fantasy-Skripte (变格本 biàngéběn von 变格 biàngé – “Formveränderung; Deklination”. Dabei kann man schon mal auf Übernatürliches stoßen oder sich in einem Science-Fiction-Szenario wiederfinden). Und dann wären da noch die Adult-Scripts (小黄本 xiǎohuángběn – wörtlich “kleine gelbe Skripte”. “Gelb” 黄 huáng steht in China ja bekanntlich synonym für alles Schlüpfrige; “gelbe” Drehbücher werden entsprechend um das Themenfeld “Passion, Crime and Sex” gesponnen).
Für alle, die jetzt Blut geleckt haben, hier noch ein paar weitere “mörderische” chinesische Vokabeln (die sich bei näherem Hinsehen jedoch als weniger blutrünstig erweisen als befürchtet):
Verena Menzel betreibt in Peking die Sprachschule New Chinese.